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Archiv "Medikamente als Verursacher sexueller Dysfunktionen: Eine Analyse von Daten des deutschen Spontanerfassungssystems" (15.11.2002)

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S

exuelle Dysfunktionen (SD) stellen eine Klasse von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) dar, der in bisher vorliegenden Untersu- chungen wenig Aufmerksamkeit ge- widmet wurde. In der ärztlichen Praxis ist möglicherweise nicht ausreichend bekannt, dass viele Medikamente so- wohl nervale Abläufe, insbesondere im Bereich der Neurotransmitter, als auch endokrinologische und nicht zuletzt neuropsychoendokrinologische Syste- me beeinflussen und dabei Einfluss auf die sexuellen Funktionen nehmen (42).

Um die Ursachen der medikamentös bedingten SD zu verstehen, seien vorab die physiologischen Vorgänge der sexu- ellen Funktionen und damit mögliche Angriffspunkte von Arzneimitteln skiz- ziert. Im Wesentlichen muss man die zentralnervöse Ebene, die periphere (genitale) und die endokrine Ebene un- terscheiden. Dementsprechend lassen sich vier funktionelle Bereiche trennen,

innerhalb derer Arzneimittel auf die se- xuellen Abläufe im Sinne einer Störung einwirken können:

> zentral unspezifisch, zum Beispiel durch Sedierung oder allgemeine Ab- nahme des sexuellen Interesses,

> zentral spezifisch durch Wirkung auf die Neurotransmitter und Rezepto- ren,

> peripher durch Beeinflussung der peripheren Neurotransmitter,

> durch hormonelle Effekte.

Auf der zentralen Ebene sind es die beiden Transmitter Dopamin und Sero- tonin sowie das Hormon Prolaktin, die nach heutigem Stand des Wissens eine wesentliche Rolle für die Vorgänge der Sexualität spielen (33). Dabei scheint

Dopamin beziehungsweise ein über D2- Rezeptoren erniedrigter Prolaktinspie- gel eine stimulierende Wirkung insbe- sondere auf die Erektion zu haben (9).

Außerdem bewirkt Dopamin eine Stei- gerung der Stickstoffoxidsynthese, wel- ches sowohl auf zentraler als auch auf peripherer Ebene eine wichtige Rolle bei den sexuellen Abläufen spielt (37) und auf beiden Ebenen auch schon the- rapeutisch in Form von Apomorphin (zentral) und Sildenafil (peripher) bei der Behandlung der erektilen Dysfunk- tion genutzt wird (13). Die beschriebe- nen Mechanismen erklären auch eine Steigerung der sexuellen Aktivität durch Parkinsonmedikamente oder Dopamin-Wiederaufnahmehemmer wie Kokain (12), wohingegen von Do- paminantagonisten eher eine hem- mende Wirkung zu erwarten ist, was die Verminderung der Sexualfunktionen durch Neuroleptika partiell erklären kann (35).

Medikamente als

Verursacher sexueller Dysfunktionen

Eine Analyse von Daten des deutschen Spontanerfassungssystems

Zusammenfassung

Viele Arzneimittel können zu sexuellen Dys- funktionen (SD) führen: Potenz- beziehungs- weise Erektionsstörungen können unter ande- rem durch antidopaminerge, Orgasmus-/Ejaku- lationsstörungen durch antiserotoninerge Ef- fekte bedingt sein. Anticholinerg und adreno- lytisch wirkende Pharmaka beeinflussen insbe- sondere die erektile Funktion. Eine Auswer- tung von etwa 100 000 Berichten über uner- wünschte Arzneimittelwirkungen in der ge- meinsamen Datenbank vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und der Arzneimittelkommission der deut- schen Ärzteschaft (AkdÄ) ergab 539 Fälle von SD; jedoch ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. 35 Prozent der Meldungen bezo- gen sich auf Antihypertensiva, 26 Prozent auf Psychopharmaka, 14 Prozent auf Lipidsenker.

Ein Drittel aller Meldungen zu Psychopharma- ka entfielen auf SSRI und Trazodon. Da arznei-

mittelbedingte SD gerade in Indikationsgebie- ten auftreten, wo die Krankheit selbst die Se- xualfunktion beeinträchtigen kann, sollte den SD (insbesondere auch bei Frauen) eine ver- stärkte Aufmerksamkeit der Ärzte gelten.

Schlüsselwörter: Arzneimittelnebenwirkun- gen, Spontanerfassungssystem, Sexualstörun- gen, Antihypertensiva, Psychopharmaka

Summary

Drug induced Sexual Dysfunctions

Findings from the German Spontaneous Report- ing System

Various drugs can induce sexual dysfunctions (SD). Impotence or erectile dysfunction can be caused by antidopaminergic mechanisms, whereas disorders of ejaculation and anorgas- mia may be explained by antiserotoninergic effects. Anticholinergic and adrenolytic drugs

impair erectile functions particularly. A detail- ed evaluation of close to 100,000 reports on adverse drug reactions (ADR) in the data bank of the Federal Institute for Drugs and Medical Devices and the Drug Commission of the German Medical Association resulted into 539 cases of SD; most likely the figure of unreport- ed SD is much higher. Antihypertensive drugs accounted for 35 per cent, psychotropic drugs for 26 per cent, and lipid-lowering agents for 14 per cent of the reported ADRs. One third of all reports incriminating psychotropic drugs referred to SSRIs and trazodone. Much more attention should be given to the detection and treatment of SD (also in women!) since drug- induced SDs occur preferentially in indications where SD itself can be a symptom of the dis- ease.

Key words: adverse drug reactions, sponta- neous reporting system, sexual dysfunction, antihypertensive drugs, psychotropic drugs

1Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (Vor- sitzender: Prof. Dr. med. Bruno Müller-Oerlinghausen), Köln

2Klinik und Poliklinik für Neurologie (Direktor: Prof. Dr.

med. Christof Kessler) der Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald

Bruno Müller-Oerlinghausen

1

Isabel Ringel

2

(2)

Serotonin wirkt eher inhibitorisch und beeinflusst vorwiegend die Ejaku- lation. Dabei scheinen unterschiedliche Serotoninrezeptoren unterschiedliche Wirkungen zu haben. So führt eine Ak- tivierung des 5-HT1A-Rezeptors zu ei- ner Beschleunigung der Ejakulation, ei- ne Aktivierung des 5-HT2C-Rezeptors jedoch zu einer Verzögerung derselben (39). Aufgrund dieser unterschiedlichen Wirkprofile der Rezeptoren sind die Effekte einer vermehrten oder vermin- derten Verfügbarkeit von Serotonin dif- ferent und im Einzelfall als Nettoeffekt schwer voraussagbar. Unter Serotonin- wiederaufnahmehemmern (SSRI) oder Clomipramin kommt es sehr häufig zur Anorgasmie (23).

Die peripheren Sexualfunktionen werden durch parasympathische (cholin- erge) Nervenfasern aus dem Bereich S2 bis S4 (Erektion) und sympathische (adrenerge) Fasern aus dem thorako- lumbalen Abschnitt Th10 bis L4 (Er- schlaffung) reguliert (37). Dabei kommt es während der Füllungsphase durch Erschlaffung der Schwellkörper- und Gefäßmuskulatur zu einer Steige- rung des Blutflusses in den Penisarteri- en und Füllung der Corpora cavernosa.

Während der Tumeszenzphase steigt der intrakavernöse Druck weiter an bis er in der Erektionsphase den systoli- schen Blutdruck übersteigt und es zu einem Verebben des Blutflusses in den Penisarterien kommt. Während der Erschlaffungsphase bewirkt die Toni- sierung der glatten Muskulatur die Wiederherstellung der ursprünglichen Durchblutungsverhältnisse (8). Da die Erektion überwiegend durch cholinerge Innervation entsteht, ist anzunehmen, dass Medikamente mit anticholinergem Potenzial ungünstigen Einfluss auf die Erektion haben. In der Tat wurde viel- fach über die negativen Auswirkungen von Neuroleptika, trizyklischen Antide- pressiva oder Parkinsonmedikamenten berichtet (1, 2, 8, 11, 41). Im Gegensatz dazu sind für die Erschlaffung des Penis sympathische Nervenfasern verant- wortlich. Dies könnte die Berichte über Priapismus erklären, der wahrscheinlich durch eine Blockade der für die Detu- meszenz bedeutsamen ␣1-adrenergen Nervenfasern hervorgerufen wird (5, 24) und besonders unter Medikamenten mit blockierender Wirkung (zum Bei-

spiel Thiotixen) auftritt. Die Ejakulation wird, unabhängig von der Erektion, durch sympathische Nervenfasern ge- steuert. Schmerzen während des Orgas- mus des Mannes werden wahrscheinlich durch eine Blockade peripherer Nor- adrenalin-Rezeptoren hervorgerufen.

Dies könnte die koordinierte Kontrakti- on der glatten Muskulatur während des Spermatransportes stören und so zu schmerzhaften Spasmen führen (3, 23).

Beschrieben wird dies in erster Linie für trizyklische Antidepressiva.

Bei der Frau sind diese physiologi- schen Abläufe weit weniger erforscht. In Analogie zu den Vorgängen beim Mann bewirkt die Erweiterung der genitalen Blutgefäße eine Schwellung der Klitoris und Blutfüllung der Labia minora, die sich dadurch um das zwei- bis dreifache vergrößern. Außerdem kommt es zur Transsudation einer mukoiden Flüssig- keit, der Lubrikation. Diese Transsudati- on entsteht auf dem Boden einer allge- meinen venösen Stauung in der Vaginal- wand. Bei zunehmender venöser Stau-

ung bildet sich die orgastische Manschet- te aus.Während des Orgasmus kommt es zu Kontraktionen dieser Manschette so- wie der Muskulatur des Uterus (16).

Eine wichtige Rolle spielt auch das endokrine System. So kann beim Mann ein verminderter Testosteronspiegel von einer Abnahme der Erregbarkeit und des sexuellen Verlangens begleitet sein (27). Bei der Frau wirken Östroge- ne im zentralen Nervensystem ähnlich den neurotropen und psychotropen Faktoren. Hierbei kommt dem Zusam- menspiel zwischen Östrogenen und dem dopaminergen System eine wichti- ge Rolle zu (41).

Fragestellung und Methodik

Die Autoren waren daran interessiert, anhand von Daten des deutschen Spon- tanerfassungssystems über unerwünsch- te Arzneimittelwirkungen (UAW) zu klären, welche Rolle verschiedene Me- dikamentengruppen, insbesondere auch Psychopharmaka, bei Spontanberichten zu Sexualstörungen in der Bundesrepu- blik spielen und welcher Art diese Dys- funktionen sind. Erscheinen die durch das Spontanerfassungssystem gewonne- nen Signale auf dem Boden der oben dargestellten theoretischen Erwartun- gen plausibel?

Die vorliegende Recherche wurde anhand der in der gemeinsamen Daten- bank des Bundesinstitutes für Arznei- mittel und Medizinprodukte (BfArM) und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) bis 1997 dokumentierten UAW durchgeführt.

Es wurde das von der AkdÄ entwickel- te Auswertesystem „Phoenix“ verwen- det. Dabei handelt es sich um ein be-

nutzerfreundliches Anwendungspro- gramm, das Recherchen auf der Grund- lage der vom BfArM zur Verfügung gestellten Daten sowie der direkt bei der AkdÄ eingegangenen Berichte er- laubt (25).

Die Basis der gemeinsamen Daten- bank ist die Drug Reference List.

UAW werden entsprechend der WHO Adverse Reaction Terminology mit 5 095 Begriffen von UAW-Beschrei- bungen verwaltet. Der daraus hervor- gegangene UAW-Katalog gestattet ei- ne Abfrage nach Organklassen und nach UAW-Begriffen. Für die vorlie- gende Auswertung wurden folgende

´ Tabelle 1C´

Zahl gemeldeter sexueller Dysfunktionen

Substanzgruppe Anzahl der Fälle Anteil an allen SD (%)

Antihypertensiva 186 34,5

Psychopharmaka 138 25,6

Lipidsenker 77 14,3

H2-Blocker 47 8,7

Antiarrhythmika 13 2,4

Parkinsonmedikamente 13 2,4

Sonstige 65 12,0

(3)

UAW-Begriffe als Kriterien für sexu- elle Dysfunktion herangezogen: Impo- tenz, Priapismus, Libidoverminde- rung, Libidosteigerung, Ejakulations- versagen, Ejakulationsstörung, vorzei- tige Ejakulation, Hyperprolaktinämie, abnorme Sexualfunktion und Anor- gasmie.

Ergebnisse

Stoffklassen mit UAW-Meldungen

Von insgesamt 98 978 Berichten über UAWs bezogen sich 539 (0,54 Prozent) auf SD. Tabelle 1 zeigt die Verteilung der einzelnen Stoffklassen, für die Ver- dachtsmeldungen zu sexuellen Dys- funktionen vorlagen.

Auf Psychopharmaka entfielen demnach ein Viertel aller Meldungen.

Eine detaillierte Aufgliederung der als UAW-auslösendes Agenzien ange- schuldigten Psychopharmaka findet sich in Tabelle 2.

Medikamente, die Nebenwirkungen verursachen

Die verwendeten Suchkriterien bei den Recherchen waren die bereits er- wähnten UAW-Begriffe. Für die Such- begriffe ergaben sich die in Tabelle 3 dargestellten Meldungshäufigkeiten.

Dabei wurden für Priapismus, Ejakula- tions- und Orgasmusstörungen über- proportional häufig Psychopharmaka,

insbesondere SSRI angeschuldigt, wäh- rend sich die meisten Meldungen zu SD unter Antihypertensiva, Lipidsen- kern oder H2-Blockern vorzugsweise auf Impotenz bezogen. Für Libidostei- gerung wurde viermal ein Monoami- nooxidase- (MAO-)Hemmer verant- wortlich gemacht, während Priapismus sich nicht, wie erwartet, besonders häufig unter Trazodon fand (zwei Fäl- le), sondern häufiger unter Clozapin (neun Fälle) auftrat.

Häufigkeit sexueller

Nebenwirkungen im Vergleich mit der Verordnungshäufigkeit

Daten des Spontanerfassungssystem können nicht für quantitative Aussa- gen bezüglich der relativen Häufigkeit einzelner UAW genutzt werden. Um eine Vergleichbarkeit der Häufigkeit gemeldeter sexueller Dysfunktionen als UAW einzelner Arzneimittel zu er- reichen und somit eine Bewertung des Risikos bezüglich „sexueller Neben- wirkungen“ annähernd zu ermögli- chen, haben wir versucht, die jeweilige Verordnungshäufigkeit der Pharmaka einzubeziehen.

Die in Tabelle 4 gemachten Anga- ben beziehen sich auf die vertragsärzt- lichen Verordnungszahlen der Jahre 1991 bis 1997 (30, 31).

Anhand der Verordnungszahlen von 1991 bis 1997 und der für diesen Zeitraum vorliegenden Spontanmel- dungen über SD wurde die relative

Häufigkeit solcher Meldungen für die Einzelsubstanzen errechnet (Neben- wirkungsmeldungen pro Verordnun- gen in Millionen). Die auf diese Weise entstandene Ziffer ermöglicht einen Vergleich zwischen den Gruppen, gibt aber keinen Hinweis auf die absoluten Inzidenzen. Die so gewonnenen Zah- len wurden der Größe nach geordnet und damit wurde eine Rangfolge er- stellt. Die zehn Einzelsubstanzen mit den meisten Nebenwirkungsmeldun- gen pro Verordnungen in Millionen sind in Tabelle 4 aufgeführt (zum Bei- spiel Trandolapril, Clofibrat). Es wur- de außerdem aus den Rängen der Ein- zelsubstanzen der durchschnittliche Rang für bestimmte Indikationsgrup- pen errechnet, das heißt der durch- schnittliche Rang pro Vertreter pro Gruppe (Rangsumme der Gruppe durch Anzahl der Gruppenvertreter).

Daraus ergab sich eine Rangfolge der Meldehäufigkeit pro Verordnung für die jeweiligen Medikamentengruppen:

Kombinationspräparate bei Antihyper- tensiva, Lipidsenker, H2-Blocker, Al- phablocker, Antidepressiva, Betablok- ker, Antihypertensiva, ACE-Hemmer, Psychopharmaka, Neuroleptika, Kalzi- umkanalblocker,Tranquillanzien.

Betrachtet man nur die Indikations- gruppen, fällt auf, dass es vorwiegend die internistischen Präparate sind, die sexuelle Störungen als Nebenwirkung hervorrufen. Aus der Gruppe der Psy- chopharmaka treten lediglich die Antidepressiva hervor, was auf die re- lative Häufigkeit der Meldungen zu SSRI-induzierten SD zurückzuführen ist.

Diskussion

Bei Markteinführung jedes neuen Me- dikamentes sind seltene UAW oder solche, die nur bei bestimmten Risiko- gruppen auftreten, häufig nicht be- kannt, da diese in den Studien der Pha- se I bis III nicht erfasst werden (7, 25).

Um bei der breiten „naturalistischen“

Anwendung diese seltenen (< 1:1 000) und sehr seltenen (< 1:10 000) UAW zu entdecken, sind Spontanerfassungs- systeme das geeignete „Frühwarn- system“ (20). In den vorliegenden Un- tersuchung wurde erstmalig anhand

´ Tabelle 2C´

Sexuelle Dysfunktion unter Psychopharmaka mit den am häufigsten angeschuldigten Einzelsubstanzen

Substanzgruppe/Substanz Anzahl der Fälle Anteil innerhalb der

Psychopharmaka (%)

Antidepressiva 60 43,5

>Trizyklische Antidepressiva 7 5,1

>MAO-Hemmer 8 5,7

>SSRI und Trazodon 45 32,6

Paroxetin 29 21,0

Fluoxetin 11 7,9

Fluvoxamin 3 2,1

Neuroleptika 53 38,4

Antikonvulsiva 19 13,8

Tranquillanzien 5 3,6

Lithium 1 0,7

(4)

des Datenmaterials von AkdÄ und BfArM analysiert, welche Rolle arz- neimittelbedingte SD innerhalb des deutschen Spontanerfassungssystems spielen. Insgesamt machten SD 0,54 Prozent aller zwischen 1991 und 1997 gemeldeten UAW aus, wobei sich er- hebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Indikationsgebieten und Substanzklassen zeigten. Innerhalb der analysierten Berichte zu SD wur- den Psychopharmaka als zweithäufig- ste Gruppe nach den Antihypertensiva (34,5 Prozent aller Meldungen) in ei- nem Viertel der Fälle als Ursache an- geschuldigt. Dabei fällt auf, dass die große Gruppe der Neuroleptika, die in der Literatur als Ursache von SD sehr häufig genannt wird (12), unter den deutschen Spontanmeldungen (mit Ausnahme von Risperidon) eher die hinteren Ränge besetzte. Gleiches traf auch für die trizyklischen Antidepres- siva zu. Im Gegensatz hierzu finden sich in der Literatur vergleichsweise wenig Berichte zu H2-Blockern und Li- pidsenkern, obwohl zu diesen Stoff- klassen in Deutschland relativ viele Spontanmeldungen vorlagen.

Es wurde, mit allen interpretatori- schen Vorbehalten, die Zahl der Mel- dungen in Bezug zur Gesamtzahl der vertragsärztlichen Verordnungen im Erfassungszeitraum gesetzt. Dabei zeigten sich interessante Unterschie- de: während der berechnete Quotient für Antihypertensiva und Psychophar- maka etwa vergleichbar ist, liegt er für Lipidsenker und H2-Blocker deutlich höher. Auch Antidepressiva als Indi- kationsgruppe spielten eine wichtige Rolle, wobei hierfür allein die relative Häufigkeit der Meldungen zu SSRI verantwortlich war. Hierzu kontra- stierten stark die entsprechenden Quotienten für trizyklische Antide- pressiva und Tranquillanzien/Hypno- tika, für die nur sehr wenige Meldun- gen vorlagen.

Zahlen aus Spontanberichtssyste- men sind Signale. Sie können zur Fra- ge der tatsächlichen absoluten Inzi- denzen kaum etwas beitragen. Die Zahl nicht gemeldeter UAW bewegt sich in Deutschland auf europäischem Niveau; die Erfassungsquote liegt selbst für schwere UAW nur bei 5 bis 10 Prozent (15). Dabei dürften gerade

SD eine Klasse von UAW darstellen, die aus verschiedenen Gründen be- sonders selten erfragt und selten be- richtet werden. Auch wird bei neu zugelassenen Medikamenten die ge- steigerte Aufmerksamkeit der Ärzte- schaft, aber auch die gesetzliche Ver- pflichtung der Hersteller das Melde- verhalten eher stimulieren, während UAW unter älteren Präparaten eher seltener gemeldet werden. So fällt bei Betrachtung der Psychopharmaka auf, dass Paroxetin (die meisten UAW- Meldungen zwischen 1991 und 1997) erst 1996 unter den 2000 in der GKV am häufigsten verordneten Präpara- ten (30) auftaucht und dabei das am wenigsten verordnete Medikament unter den Psychopharmaka ist. Dem- gegenüber gibt es zu Doxepin, dem

nach Bromazepam am häufigsten ver- ordneten Psychopharmakon, lediglich eine Fallmeldung. Gleiches gilt für Amitriptylin. Dazu kontrastiert das Er- gebnis einer placebokontrollierten Doppelblindstudie, wonach sich in 7,7 Prozent (versus 1,4 Prozent unter Pla- cebo) der ambulant mit Amitryptilin behandelten Patienten SD fanden (28).

Problematisch erscheint hinsicht- lich einer objektiven Erfassung der tatsächlichen Häufigkeit von SD der Mangel an qualifizierten kontrollier- ten Studien, die sowohl die SD stan- dardisiert erfassen als auch bestehen- de Erkrankungen, Begleitmedikation

oder Suchtmittelmissbrauch berück- sichtigen. Vergleicht man die Ergeb- nisse verschiedener placebokontrol- lierter Doppelblindstudien finden sich zum Beispiel für das Antidepressivum Clomipramin Häufigkeitsangaben zu SD von 33 Prozent (11) und 96 Prozent (23) oder für den SSRI Sertralin 21,4 Prozent (28) beziehungsweise 67 Pro- zent (10). Die wahrscheinlichste Ursa- che für diese Diskrepanzen sind unter- schiedliche Erhebungsmethoden und Patientenkollektive. Eine Validierung der Methoden zur Erfassung von SD ist deshalb notwendig.

Eine Vielzahl von Erkrankungen, die mit den angeführten Medikamen- ten behandelt werden, führen unbe- handelt ebenfalls zu einer erhöhten Prävalenz von SD. Bei einigen psych-

iatrischen Erkrankungen, wie zum Beispiel der Depression, sind SD Be- standteil des Krankheitsbildes nach ICD-10. Doppelblindstudien könnten bei Depression zu einer Datenverzer- rung führen, indem zum Beispiel die Remission der Depression in der Ver- umgruppe mit einer subjektiv schär- feren Wahrnehmung der SD verbun- den ist. Relativ gut untersucht ist auch der negative Einfluss internistischer Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes und Hyperlipidämie auf die Sexualfunktion. Dabei zeigt sich, dass komplexe Zusammenhänge zwischen Hochdruck, Diabetes, Hyperlipid-

´ Tabelle 3C´

Zu einzelnen Klassen von Sexueller Dysfunktion gemeldete Beobachtungen

Suchkriterien Alle Psycho- Antihyper- Anti- H2-Blocker Lipidsenker Substanzen pharmaka tensiva arrhythmika

Impotenz*1 379 43 165 11 31 69

Libidoverminderung 79 22 20 – 14 14

Priapismus 38 30 5 2 – –

Hyperprolaktinämie 27 21 – – 3 –

Libidosteigerung 20 9 3 – – –

Ejakulationsversagen 7 5 – – – –

Ejakulationsstörung 6 6 – – – –

Abnorme Sexualfunktion 6 4 – – – –

Anorgasmie (Frauen) 3 3 – – – –

Vorzeitige Ejakulation 2 1 – – – 1

*1entspricht dem seit 1993 üblichen Suchbegriff „erektile Dysfunktion“

(5)

ämie, Depression und erektiler Dys- funktion bestehen (14, 22). Dadurch wird es noch schwieriger, die Wirkun- gen von gerade in diesen Indikations- gebieten verordneten Pharmaka auf die Sexualfunktion qualitativ und quantitativ zu beurteilen, da entspre- chend große, kontrollierte, qualitativ hochwertige Studien kaum vorliegen.

Welche Bedeutung kann vor die- sem Hintergrund den Ergebnissen des Spontanerfassungssystems zugemes- sen werden? Unter Vernachlässigung quantitativer Aspekte ist zunächst festzustellen, dass die in der Litera- tur beschriebenen pharmakologischen Zusammenhänge sich auch in den

deutschen UAW-Berichten widerspie- geln. Die Validität der analysierten Signale zeigt sich auch beispielsweise darin, dass unter Antihypertensiva, Li- pidsenkern und H2-Blockern, wie er- wartet, vor allem erektile Dysfunktio- nen (unter dem allgemeinen Begriff Impotenz) gemeldet wurden, während bei SSRI der Anteil von Orgasmus- störungen wesentlich höher war, was pharmakologisch und nach bisher vor- liegenden klinischen Daten auch plau- sibel ist. Libidosteigerungen wurden dagegen unter dopaminergen Sub- stanzen (Antiparkinsonmittel) und MAO-Hemmstoffen beobachtet; auch dies ist theoretisch zu begründen. Un-

ter Lithiumsalzen und Tranquillanzien scheinen dagegen SD nicht in nen- nenswertem Umfang vorzukommen.

Sehr bemerkenswert ist auch das kon- träre Verhältnis von Verordnungshäu- figkeit und Häufigkeit der UAW-Mel- dungen bei den NSMRI („trizyklische Antidepressiva“) gegenüber den SSRI. Obwohl auch unter NSMRI mit SD gerechnet werden muss, scheint das Auftreten von SD beziehungswei- se deren Intensität bei mit SSRI be- handelten Männern für Patienten und Behandler doch als sehr viel gravie- render und berichtenswerter zu impo- nieren. Die sehr unterschiedliche Mel- defrequenz bezogen auf die einzelnen Vertreter der SSRI mit Paroxetin als der am häufigsten angeschuldigten Substanz entspricht den Ergebnissen einer der wenigen prospektiven ver- gleichenden Studien (24), während sich in retrospektiven Studien keine Unterschiede zwischen den einzelnen SSRIs fanden (5, 29). Nach einer neue- ren Untersuchung traten SD bei 30 bis 70 Prozent aller Patienten auf, die mit Paroxetin oder Sertralin behan- delt wurden (17). Dementsprechend wurde inzwischen Paroxetin zur Be- handlung der Ejaculatio praecox er- folgreich eingesetzt (38). Diese Or- gasmusstörungen unter SSRI treten vermutlich bei Frauen in der glei- chen Frequenz wie bei Männern auf (17). Unter den Spontanberichten aus Deutschland ist jedoch lediglich ein Fall von Anorgasmie bei einer Frau dokumentiert. Dies dürfte als starker Hinweis zu deuten sein, dass gera- de bei Frauen, die mit potenziell SD- auslösenden Medikamenten behan- delt werden, sorgfältiger nach entspre- chenden UAW geforscht werden soll- te.

Hingegen ist Priapismus ein Ereig- nis, das auch bei stationären Patienten gegebenenfalls dokumentiert würde.

Überraschenderweise fand sich diese Störung in dem analysierten Daten- bestand nicht, wie erwartet, vorzugs- weise bei dem Antidepressivum Tra- zodon, sondern es wurden 15 Fälle von Priapismus unter dem atypischen Neuroleptikum Clozapin gemeldet.

Die neuere Fachinformation zu Clo- zapin berücksichtigt jetzt dieses Risi- ko. Zusammenfassend ist festzustel-

´ Tabelle 4C´

Relative Häufigkeiten der Meldungen in Bezug auf Verordnungshäufigkeiten

Substanz Verordnungen in Meldungen Meldungen pro Ver- Rang*1

Millionen*5 ordnungen in Millionen

Antihypertensiva*2 445,4 186 – 36,9

>Calciumkanalblocker 163,0 49 – 42,2

>ACE-Hemmer 76,9 47 – 39,1

– Trandolapril 0,7 6 8,6 10

>Betablocker 81,8 46 – 34,4

– Celiprolol 2,2 9 9,1 9

>Alphablocker 9,1 9 – 31,5

– Terazosin 0,1 1 10 7*3

>Kombinationspräparate 7,7 32 – 18,0

– Nifedipin + Atenolol 2,3 10 5

– Verapamil + 0,6 6 10 6

Triamteren + HCT*4

Psychopharmaka 294,7 119 – 39,2

>Neuroleptika 58,1 53 – 41,5

– Risperidon 0,6 9 15 4

– Zotepin 0,7 7 10 8

>Antidepressiva 65,4 60 – 32,7

– Paroxetin 0,4 29 72,5 2

>Tranquillanzien/ 69,9 5 – 50,7

Hypnotika

– Zopiclon 0,05 2 40 3*3

Lipidsenker 49,4 77 – 26,3

– Clofibrat 0,1 16 160 1

H2-Blocker 31,3 47 – 9,2

*1Rang bezogen auf Meldungen pro Verordnungen in Millionen. Die Ränge der Indikationsgruppen sind Mittelwerte aus den Rängen der Einzelsubstanzen; niedrige Ränge bedeuten häufige Meldungen bezogen auf Verordnungshäufigkeit

*2Antihypertensiva: Betablocker, ACE-Hemmer, Calciumkanalblocker, Alphablocker, Kombinationspräparate

*3keine validen Zahlen wegen zu geringer Verordnungshäufigkeiten

*4HCT = Hydrochlorothiazid

*51991–1997 innerhalb GKV/seitdem Medikamente im Arzneiverordnungsreport unter den 2000 am häufigsten verordneten erschienen sind

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len, dass SD auch im Rahmen des deutschen Spontanerfassungssystems als ein wichtiges, Lebensqualität und Compliance der Patienten potenziell beeinträchtigendes Arzneimittelrisiko erscheinen. Aus verschiedenen oben dargestellten Gründen ist die Dunkel- ziffer der tatsächlichen Ereignishäu- figkeit hier als besonders hoch anzu- nehmen. Ganz besonders dürfte dies wohl für Patientinnen zutreffen. Da arzneimittelbedingte Sexualstörungen gerade in Indikationsbereichen auf- treten, wo die Krankheit selbst schon die Sexualfunktion beeinträchtigt, ist die vorausschauende Berücksichti- gung dieser UAW besonders wichtig.

In vielen Fällen existieren durchaus differenzialtherapeutische medikamen- töse Alternativen oder die Störung an- tagonisierende Kombinationsstrategi- en, mit denen dem Patienten jedoch nur geholfen werden kann, wenn das Problem überhaupt erkannt und zur Sprache gebracht wird.

Manuskript eingereicht: 18. 2. 2002, revidierte Fassung angenommen: 28. 8. 2002

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 3108–3114 [Heft 46]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Bruno Müller-Oerlinghausen Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft

Jebensstraße 3 10623 Berlin

E-Mail: bmoe@zedat.fu-berlin.de Dr. med. Isabel Ringel Klinik und Poliklinik für Neurologie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Ellernholzstraße1/2

17489 Greifswald E-Mail: iringel@debitel.net Weitere Informationen im Internet:

www.akdae.de www.impotenz-

selbsthilfe.de/ursachen/nebenwirkung.html

Beeinflussung der Melatoninproduktion

Anmerken möchte ich, dass es seit dem 1. Juni 2001 eine Unfallverhütungs- vorschrift Elektromagnetische Felder BGV B11 von der Berufsgenossen- schaft der Feinmechanik und Elektro- technik gibt. Diese setzt die Vorgaben der Empfehlung der Europäischen Kommission (1999/512/EG) für Expo- sitionen von elektromagnetischen Fel- dern um.

Leider hat sich der Autor im Ab- schnitt über die Vorsorgegesichtspunk- te meines Erachtens bei der magneti- schen Induktion mit den Einheiten ver- sehen. Korrekter müsste es 100 µT heißen, womit dann zu vermuten ist, dass die Dauerbelastung auch 10 µT nicht überschreiten würde. Interessan- terweise wird in einem Vortrag von Dr.

Eder, Bayerisches Landesamt für Ar- beitsschutz, Arbeitsmedizin und Si- cherheitstechnik (www.lfas.bayern.de), eine Beeinflussung der Melatoninpro- duktion und Tumorbildung bei Ratten ab 1 bis 2 mA/m2 angeführt, was ei- ner äußeren Induktion von 10 µT ent- spräche. Eine Zusammenfassung zum Thema Melatoninproduktion ist von Jochen Kuhn (1) erstellt worden.

Abgesehen davon ist der Abschnitt über Herzschrittmacher sehr informa- tiv und zeigt mir die Problematik in Bezug auf die vorhandenen Grenz- werte. Soweit mir bekannt ist, ist eine entsprechende geänderte DIN zurzeit in Vorbereitung.

Literatur

1. Kuhn J: Elektrosmog – ein Alarmsignal eines nur schwer überschaubaren Risikos, Landau: Knechtverlag 1998.

Dipl.-Ing. Volker Schwanitz Wildemannstraße 10, 38122 Braunschweig E-Mail: v.schwanitz@tu-bs.de

DNA-Doppelstrangbrüche bei intermittierender Exposition

Den umfassenden und ausgewogenen Beitrag möchten wir durch einige Be- funde ergänzen, die in dem von der EU im 5. Rahmenprogramm geförder- ten Forschungsvorhaben (1) erhalten wurden.

Im REFLEX-Projekt untersuchen zwölf Arbeitsgruppen aus sieben eu- ropäischen Ländern unter Verwen- dung moderner molekular- und zell- biologischer Methoden die Wirkungen elektromagnetischer Felder (EMF) auf verschiedene Zellsysteme. Es zeig- te sich, dass elektromagnetische Fel- der mit einer Frequenz von 50 Hz in der Lage sind, in exponierten mensch- lichen Fibroblasten DNA-Einzel- und DNA-Doppelstrangbrüche zu erzeu- gen.

Ein signifikanter Anstieg der Strang- bruchrate wird bereits bei einer Fluss- dichte von 35 µT, also weit unterhalb des gegenwärtig geltenden Grenz- wertes, gefunden. Diese gentoxische Wirkung ist allerdings nur dann nach- weisbar, wenn die Exposition der Zel- len intermittierend erfolgt. Werden die Zellen bei gleicher Flussdichte kontinuierlich exponiert, ist ein An- stieg der Strangbruchrate nicht nach- weisbar, vermutlich weil die DNA-Re- paraturkapazität mit der Dauer der Exposition zunimmt (2).

Des Weiteren zeigte sich, dass EMF der Frequenz von 50 Hz in neuronalen Vorläuferzellen – entwickelt aus em- bryonalen Stammzellen von Mäusen – die Expression von regulatorischen Genen – allerdings wiederum nur bei intermittierender Exposition – beein- flussen können. Dazu ist jedoch eine Flussdichte von 2 000 µT erforderlich, die deutlich über den geltenden Grenz- werten liegt.

Veränderungen der Transkriptions- rate wurden über einen längeren Ent- wicklungszeitraum nachgewiesen; kei- zu dem Beitrag

Gesundheitliche Aspekte niederfrequenter Felder der Stromversorgung

von

Prof. Dr. rer. nat. Dr. med.

habil. Dipl.-Phys.

Jürgen Helmut Bernhardt in Heft 27/2002

DISKUSSION

(7)

ne Veränderungen wurden festge- stellt, wenn EMF auf bereits differen- zierte Nervenzellen einwirkte (3). Ob- wohl wir gegenwärtig weder den Mechanismus der Entstehung dieser zellulären Veränderungen noch de- ren biologische – oder vielleicht so- gar pathophysiologische – Bedeutung kennen, mahnen diese Befunde zur Vorsicht. Wenn sie auch das Festle- gen von so genannten Vorsorgegrenz- werten bis jetzt nicht rechtfertigen, sollte ihr Gewicht ausreichen, um den an die Industrie und die Verbrau- cher gerichteten allgemeinen Empfeh- lungen der Strahlenschutzkommis- sion zur Vorsorge Nachdruck zu ver- leihen.

Literatur

1. Adlkofer F, Tauber T, Rüdiger HW, Wobus AM, Trillo A, Leszczynski D, Kolb HA, Lagroye I, Bersani F, Kuster N, Clementi F, Maercker C: Risk evaluation of potential environmental hazards from low energy electroma- gnetic field exposure using sensitive in vitro me- thods (REFLEX). Forschungsprojekt Februar 2000 bis August 2003.

2. Ivancsits S, Diem W, Pilger A, Rüdiger HW, Jahn O: In- duction of DNA strand breaks by Intermittent expo- sure to extremely-low-frequency electromagnetic fields in human diploid fibroblasts. Mutat Res 2002;

Vol 519 (Issue 1–2): 1–33

3. Czyz J, Wobus AM: persönliche Mitteilung Prof. Dr. med. Franz Adlkofer Stiftung VERUM

Pettenkoferstraße 33 80336 München

Prof. Dr. med. Hugo Rüdiger Klinische Abteilung Arbeitsmedizin der Universität Wien

Währinger Gürtel 18–20 A-1090 Wien

Priv. Doz. Dr. rer. nat. Anna M. Wobus Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung Correnstraße 3 06446 Gatersleben

Schlusswort

Die Befunde über gentoxische Wir- kungen bei der Exposition von Zellen mit niederfrequenten Magnetfeldern, auf die Prof. Adlkofer et al. hinweisen, müssen weiter abgeklärt werden. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass Be- funde auf In-vitro-Ebene sich häufig nicht mehr auf tierexperimenteller Ebene zeigen. Dies erschwert die Be-

wertung der Bedeutung von In-vitro- Befunden für die Gesundheit des Menschen. Wichtig sind daher nicht nur die Aufklärung der Mechanismen, sondern auch geeignete weiterführen- de Versuche auf tierexperimenteller Ebene.

Im Abschnitt über Vorsorgege- sichtspunkte ist tatsächlich ein Druck- fehler übersehen worden, auf den Herr Schwanitz dankenswerterweise hingewiesen hat: es muss 10 µT bezie- hungsweise 100 µT und nicht mT heißen.

Im Rahmen des Beitrags wurden Fragen nach der Wirksamkeit der Magnetfeldtherapie, insbesondere bei Anwendung pulsierender Magnetfeld- resonanztherapie oder von statischen Magnetfeldern (Magnetfeldmatten) nicht berücksichtigt.

Biologische Wirkungen statischer Magnetfelder sind gut untersucht. In den letzten Jahren ist die Forschung intensiviert worden, und zwar in Hin- blick auf die diagnostischen Verfahren der magnetischen Resonanz (Kern- spintomographie), bei denen statische Magnetfelder von mehr als 1 Tesla (et- wa das 10- bis 20Fache der Magnetfel- der an der Oberfläche von Magnet- feldmatten) sowie zeitlich veränderli- che Magnetfelder in der Größenord- nung einiger mT (zeitliche Änderung bis 20 T/s) und Hochfrequenzfelder verwendet wurden (1). Von einer the- rapeutischen Wirksamkeit dieser star- ken Felder wurde bisher nicht berich- tet.

Insgesamt muss an der Wirksamkeit statischer Magnetfelder von Magnet- feldmatten gezweifelt werden. Die Wirkungsmechanismen statischer Ma- gnetfelder – Induktion, elektronische Wechselwirkungen und elektrohydro- dynamische Wirkungen – lassen eine Wirksamkeit nicht plausibel erschei- nen. Spezielle Sensoren, wie sie zum Teil im Tierreich zu finden sind, kom- men beim Menschen nicht vor.

Ebenso besteht erheblicher Zweifel an der Wirksamkeit von Geräten, die Magnetfelder nach Biorhythmus an- wenden. Wie zeitlich veränderliche Magnetfelder auf biologische Systeme wirken, ist hinreichend bekannt. Bei Intensitäten unterhalb von etwa 200 µT werden elektrische Felder und

Ströme im Körper erzeugt, die sich den körpereigenen Strömen, wie sie von der elektrischen Tätigkeit der Gehirnzellen oder von Muskelzellen wie die des Herzens erzeugt werden, überlagern. Die Entwickler und Ver- treiber dieser Art von Magnetfeld- feldtherapiegeräten argumentieren da- mit, dass bestimmte Frequenzen, wie sie etwa im EEG vorkommen, beson- ders wirksam sind. Einen Beweis dafür gibt es nicht. Insbesondere sind die ver- wendeten Intensitäten viel zu schwach, um nennenswerte elektrische Felder und Ströme im Körper zu erzeugen, die irgendeine Wirksamkeit zeigen können.

Nebenwirkungen der Felder kön- nen jedoch auftreten, sind aber kein Beweis für die Wirksamkeit. Infrage kommen Störungen der Funktion ak- tiver medizinischer Implantate, wie zum Beispiel Herzschrittmacher oder Nervenstimulatoren. Dies muss im Einzelfall geprüft werden.

Literatur

1. Strahlenschutzkommission (SSK): Vermeidung ge- sundheitlicher Risiken bei Anwendung magnetischer Resonanzverfahren in der medizinischen Diagnostik.

Fachgespräch am 3. Mai 2000. München: Urban & Fi- scher 2001; Berichte der SSK, Heft 28.

Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. habil.

Jürgen Helmut Bernhardt Neureutherstraße 19 80799 München

Diskussionsbeiträge

Zuschriften zu Beiträgen im medizinisch-wissen- schaftlichen Teil – ausgenommen Editorials, Kon- gressberichte und Zeitschriftenreferate – können grundsätzlich in der Rubrik „Diskussion“ zusam- men mit einem dem Autor zustehenden Schluss- wort veröffentlicht werden, wenn sie innerhalb vier Wochen nach Erscheinen der betreffenden Publikation bei der medizinisch-wissenschaftli- chen Redaktion eingehen und bei einem Umfang von höchstens einer Schreibmaschinenseite (30 Zeilen mit je 60 Anschlägen, Literaturverzeichnis mit bis zu vier Zitaten) wissenschaftlich begrün- dete Ergänzungen oder Entgegnungen enthalten.

Für Leserbriefe anderer Ressorts gelten keine be- sonderen Regelungen (siehe regelmäßige Hinwei-

se). DÄ/MWR

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