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Archiv "Bürgerversicherung: Probleme ohne Ende" (02.08.2004)

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P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 31–322. August 2004 AA2151

D

ie heftig umstrittene Bürgerver- sicherung, die vor allem die So- zialdemokraten und die Bünd- nisgrünen als die Reformoption favo- risieren, ist in dieser Legislaturperiode nicht mehr über die parlamentari- schen Hürden zu bringen, sosehr Par- teigremien an Detailkonzepten auch feilen und vor allem die Parteilinken in der SPD sowie die mit den Gewerk- schaften verbündeten Parlamentarier Druck machen. Dass die Union dieses Projekt zumindest über den Bundes- rat zu verhindern weiß, ist ebenso si- cher wie das Amen in der Kirche.

Ohnedies ist jetzt be- reits absehbar, dass chemisch reine und ordnungspolitisch klar ausgerichtete Radikal- Reformansätze kaum eine politische Reali- sierungschance haben

werden – weder die Bürgerversiche- rung noch das von der CSU und das von der Herzog-Kommission der CDU entwickelte und mehrfach ver- änderte und immer neu berechnete Kopfprämien-Modell. Was im Gesetz- blatt steht, ist immer etwas anderes als die ursprünglichen Modellansätze, zu- meist ein Mix noch jungfräulicher Ge- setzesinitiativen. Beide konkurrieren- den Reformansätze haben zudem so- wohl Vor- als Nachteile und zum Teil Tiefgang mit Verfassungsrang. Alle Reformansätze, die auf eine Refundie- rung aus Steuermitteln (Kopfprämien- Modell) angewiesen sind, werden al- lein wegen der Abhängigkeit vom Staatshaushalt und der Finanzkala- mitäten der öffentlichen Hände schei- tern oder nur begrenzt funktionieren.

Der Reformansatz mit dem wohl- klingenden Titel „Bürgerversiche- rung“ ist nichts anderes als die von den Sozialdemokraten bereits vor 20 und 30 Jahren propagierte umfassen- de Volksversicherung, bei der alle Bürger einschließlich der Selbststän- digen, der Angehörigen der freien Be- rufe und der Beamten zwangsrekru- tiert werden, zumindest in der Gesetz-

lichen Krankenversicherung (GKV).

Die Konsequenz, trotz aller Be- schwichtigungen von Prof. Dr. med.

Dr. sc. Karl W. Lauterbach, viel gefrag- tem Regierungsberater aus Köln: Die private Krankenversicherung (PKV) wird von ihrer bisherigen Rolle als al- ternative und substitutive Vollkosten- versicherung auf eine reine Ergän- zungs- und Zusatzversicherung abge- drängt. Zumindest muss sie sich den gleichen rechtlichen und versiche- rungspolitischen Rahmenbedingun- gen wie die bisherige GKV stellen.

Auch wenn im Zuge einer Umstellung

auf eine Bürgerversicherung die Fi- nanzierungsbasis und die Beitrags- pflicht auf sämtliche Einkunftsarten ausgedehnt werden sollten, würde die Krankenversicherung allenfalls mini- mal – und das nur mittelfristig – entla- stet werden. Die Gesundheits-/Krank- heitskosten würden nach wie vor an die wirtschaftliche Ertragskraft an- gekoppelt und deshalb die Einnah- men der Kassen konjunkturabhängig bleiben. Dies hat ein im Auftrag von Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) entworfenes Positi- onspapier offenbar veranlasst, das Bür- gerversicherungsmodell abzulehnen.

Es sei nicht geeignet, die Krankenversi- cherung langfristig zu sanieren und nachhaltig finanziell sicherzustellen.

Denn „die vordergründige Problemlö- sung dadurch, dass mehr Geld ins System geleitet wird, lenkt von notwen- digen Strukturreformen ab“.

Zudem wäre eine umfassende staatliche Bürgerversicherung verfas- sungswidrig, gutachtete kürzlich der Bonner Verfassungsjurist Prof. Dr.

jur. Josef Isensee. Eine solche Soli- darveranstaltung kollidiere in ver- fassungswidriger Weise mit der Fi-

nanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland. Es fehle auch an den ob- ligatorischen Merkmalen eines Versi- cherungsbeitrags im Zusammenhang zwischen Beitrag und Sozialleistung.

Würde eine Zwangs-Bürgerversiche- rung für alle in ihrer Finanzierungsba- sis auf sämtliche sieben Einkunftsar- ten ausgeweitet, so mutiere der Sozi- alversicherungsbeitrag zu einer neuen Form der Einkommensteuer. Nach der Sozialverfassung dürften aber So- zialabgaben und Sozialversicherungs- beiträge nicht zu einer Quasi-Einkom- mensteuer umfunktioniert werden.

Zudem fehle den Sozi- alversicherungen (zum Beispiel Krankenkassen) die Ertragshoheit, um die Beiträge zwangswei- se einzuziehen.

Prof. Dr. jur. Helge Sodan, Präsident des Verfassungsgerichtshofs Berlin, meint, eine Bürgerversicherung verstoße auch gegen Art. 2 Abs. 1 GG, nämlich das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Zudem wäre eine sol- che Versicherung formal verfassungs- unverträglich, weil der Bund nicht die Gesetzgebungskompetenz für eine alle Einwohner umfassende Zwangs- versicherung besitze. Auch dürfe der Bund die verfassungsrechtlichen Schranken der Verhältnismäßigkeit nicht verletzen und müsse das so ge- nannte Übermaßgebot strikt beachten.

Weil die private Krankenversiche- rung bei einer „Volksbeglückungsver- sicherung“ auf eine reine Ergänzungs- funktion abgedrängt würde, verstoße dies auch gegen das in Artikel 12 Grundgesetz geschützte Recht der freien Berufsausübung und der Wahl- freiheit des Versicherungsträgers – und auch gegen europarechtliche Vor- schriften. Eine Bürgerversicherung führe denn auch zu einem Berufsaus- übungsverbot der privaten Versiche- rungsunternehmen; dies käme einem Eingriff in die Gewerbefreiheit (Art.

14 Abs. 1 GG – Eigentumsgarantie –) gleich . . . Dr. rer. pol. Harald Clade

Bürgerversicherung

Probleme ohne Ende

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