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Archiv "Aktivkohle - Sofortmaßnahme bei oralen Vergiftungen" (05.11.1999)

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M E D I Z I N

ro Jahr werden den Vergif- tungszentralen in Deutsch- land mehrere hunderttausend Vergiftungsfälle gemeldet. Davon werden zirka 30 Prozent stationär be- handelt; der Anteil von Kindern liegt bei über 40 Prozent. Vergiftungen sind also kein seltenes Ereignis, wie jeder Notarzt aus Erfahrung weiß.

Eckpfeiler der präklinischen So- fortmaßnahmen sind – neben sympto- matischer Behandlung – Verfahren zur Verhinderung weiterer Gift- resorption. Hierzu gewann die An- wendung von Aktivkohle in den letz- ten Jahren zunehmendes Interesse und wird inzwischen als Dekontami- nationsverfahren der ersten Wahl nach oralen Vergiftungen angesehen.

Auch bei der klinisch-stationären Ver- giftungsbehandlung hat der Aktiv- kohletrunk in den meisten Fällen Aus- lösen von Erbrechen und Magenspü- lung ersetzt (1). Allerdings ist bei wei- ten Teilen der Bevölkerung, aber zum Teil auch bei medizinisch/ärztlichem Fachpersonal die Vorstellung von Ak- tivkohle als Sofortmaßnahme noch nicht verankert. Eine frühzeitige Ver- abreichung auch durch Laienhelfer könnte aber im Wettlauf mit der Zeit wertvolle Minuten einsparen, um dem

Ziel „Giftadsorption vor -resorption“

näher zu kommen. Mit unserem Überblick sollen der derzeitige Stel- lenwert der Aktivkohleanwendung durch Ersthelfer, mögliche Gefahren und die Vor- und Nachteile verschie- dener Zusätze beleuchtet werden.

Eigenschaften der Aktivkohle

Aktivkohle besitzt eine sehr große Oberfläche, an die gelöste Teil- chen unspezifisch adsorbiert werden.

Die innere Oberfläche der schwamm- artigen Aktivkohlepartikel beträgt ein Vielfaches ihrer äußeren Oberfläche und liegt für Medizinalkohle bei über 2 000 m²/g, wobei der mittlere Poren- durchmesser zirka 20 Å aufweist, was den leichten Eintritt von Molekülen

< 800 Dalton ermöglicht. Da die Dif- fusionsgeschwindigkeit von Giftstof-

fen in die Poren von der Größe der Aktivkohlepartikel abhängt, ist Aktiv- kohlepulver gegenüber einer festen, im Notfall erst zu zerkleinernden Komprette zu bevorzugen: bei 40 µm großen Partikeln ist die Adsorptions- geschwindigkeit 400mal größer als bei 800 µm großen Partikeln. Experimen- telle Studien in vitro und in vivo haben diese theoretischen Annahmen be- stätigt (4).

Die Bindekapazität der Aktiv- kohle für einzelne Gifte ist unter- schiedlich. So werden Mineralsäuren und Laugen kaum, Eisen- und Lithi- umsalze sowie Zyanide nur schlecht an Aktivkohle gebunden. Alkohole und Lösungsmittel werden ebenfalls nur unzureichend adsorbiert, so daß die Wirksamkeit der Aktivkohle bei Vergiftungen mit diesen Stoffen unsi- cher ist (19, 29). Die meisten Arznei- mittel sowie pflanzliche und tierische Gifte werden aber hervorragend ge- bunden, solange das Verhältnis Aktiv- kohle zu Gift 10:1 (g/g) übersteigt (4).

Die Adsorption gelöster Teilchen an die Grenzfläche der Aktivkohle ist ein reversibler Vorgang, der dem Massenwirkungsgesetz folgt. Eine Er- höhung der Aktivkohledosis vermin- dert daher den freien Anteil des Gif-

M E D I Z I N

Aktivkohle –

Sofortmaßnahme bei oralen Vergiftungen

Klaus-Gustav Eckert

1

Peter Eyer

1

Thomas Zilker

2

Aktivkohle adsorbiert schnell, universell und mit hoher Kapazität eine Vielzahl von Giften. Deshalb wird der Ak- tivkohletrunk bei wachen Patienten inzwischen als wich- tigstes Dekontaminationsverfahren nach oraler Vergiftung angesehen und hat in den meisten Fällen induziertes Er- brechen und Magenspülung ersetzt. Eine frühzeitige Ver- abreichung auch durch Laienhelfer nach Rücksprache mit dem Giftinformationszentrum könnte im Wettlauf mit der

Zeit wertvolle Minuten einsparen, um dem Ziel „Giftadsorption vor -resorp-

tion“ näher zu kommen. Die Übersicht will den derzeitigen Stellenwert der Aktivkohleanwendung, mögliche Gefah- ren und die Vor- und Nachteile von Aktivkohlezusätzen beleuchten.

Schlüsselwörter: Aktivkohle, orale Vergiftung, Erste Hilfe, Dekontamination, Laxanzien

ZUSAMMENFASSUNG

Activated Charcoal –

First Aid Treatment in Oral Poisoning

Activated charcoal absorbes a variety of poisons rapidly, universally and with high capacity. In conscious patients oral administration of a charcoal suspension has thus become first aid treatment after oral intoxication, replacing emesis and gastric lavage. After seeking advice from the poison

control center even laymen at home can save valuable time by early administration of charcoal.

The review is intended to reappraise the current status of charcoal therapy as well as to discuss the pros and cons of additional laxatives.

Key words: Activated charcoal, oral intoxication, first aid, decontamination, laxatives

SUMMARY

P

1 Walther-Straub-Institut für Pharmakologie und Toxikologie (Vorstand: Prof. Dr. med. Wolfgang Forth), Ludwig-Maximilians-Universität, Mün- chen

2 Toxikologische Abteilung der II. Medizini- schen Klinik (Direktor: Prof. Dr. med. Meinhard Classen), Technische Universität, München

(2)

tes, während durch Resorption des freien Giftes im Gastrointestinaltrakt das Gleichgewicht verschoben wird und weiteres Gift von der Aktivkohle desorbiert wird. Wenn der Aktiv- kohlebolus im Darm verbliebe, könn- te alles Gift allmählich desorbiert und schließlich resorbiert werden. In die- sem Fall hätte Aktivkohle nur einen resorptionsverzögernden Effekt. Es wurde daher schon früh vorgeschla- gen, Aktivkohle mit einem Laxans zu kombinieren (2, 4, 7, 22, 23, 26).

Probleme bei der

praktischen Anwendung

Eine Aufschlämmung von Aktiv- kohle in Wasser läßt sich nicht leicht trinken (24): sie neigt dazu, sich an die Schleimhäute anzulagern und zu ver- backen. Die sandige Textur der Sus- pension verstärkt den Abscheu. Wenn auch die Aktivkohle im wesentlichen

ohne Geschmack ist, so empfindet doch jeder einen gewissen Widerwil- len, weil Kohle nicht „schmeckt“. Ein weiteres Problem ist die Sedimentati- on und Verbackung („caking“) einer Aktivkohlesuspension nach Lage- rung, wodurch die sofortige Anwen- dung erschwert wird.

Durch Verdickungsmittel wie Natrium-Carboxymethylcellulose, Na- trium-Alginat und Bentonit versuch- te man, die Sedimentation zu verhin- dern und die Gleitfähigkeit zu ver- bessern (8). Allerdings verminderten die Additive die Bindekapazität der Aktivkohle für einige Substanzen in vivo (14, 15). In den USA wurde zeitweilig auch praktiziert, Aktiv- kohlepulver zum Beispiel in (Soft-) Eiscreme, Joghurt oder Fruchtmus einzurühren, wodurch eine gleitfähige und akzeptabel schmeckende Suspen- sion entsteht. Da solche Rezepturen die Bindekapazität der Aktivkohle teilweise jedoch um mehr als 30 Pro-

zent verminderten (13), sind diese Verfahren nicht empfehlenswert (12).

Schließlich beeinflußt auch der Ma- geninhalt die Geschwindigkeit der Adsorption an die Aktivkohle (21).

Zur Verbesserung der Akzeptanz der Aktivkohleeinnahme insbesonde- re durch Kinder wurden Süßungsmit- tel wie Saccharin, Saccharose oder Sorbitol zugesetzt. Sorbitol (70 Pro- zent) vermindert zwar die Bindekapa- zität der Aktivkohle geringfügig, führt jedoch zu geringerer Sedimentation und hat den Vorteil der laxierenden Wirkung (16, 25).

Aktivkohle und Laxanzienzusatz

Anfang der achtziger Jahre über- wog die Auffassung, daß der Zusatz eines Laxans zur Aktivkohle sinnvoll sei und die Giftelimination beschleu- nige. Geeignet erschien die Anwen- dung von dünndarmwirksamen osmo- tischen Laxanzien wie Natrium- und Magnesium-Sulfat sowie insbesonde- re von Sorbitol, das die Vorteile der höheren Compliance, der erleichter- ten Anwendung und der beschleunig- ten Passage in sich vereinte. Studien zeigten, daß nach Trinken einer Aktiv- kohle-Sorbitol-Lösung die „Kohlezeit“

nur zirka 90 bis 120 Minuten beträgt (5, 17). Außerdem sollte das Laxans die Verbackung größerer Aktivkohlemen- gen im Darm verhindern.

Mitte der achtziger Jahre wurde erstmals über Folgen einer Sorbitol- Überdosierung im Rahmen der De- kontamination mit Aktivkohle be- richtet: So erhielt ein drei Monate al- tes Kind mit 8 kg Körpergewicht auf- grund einer iatrogenen Theophyllin- überdosierung zirka 30 g Aktivkohle mit 150 ml Sorbitol (70 Prozent) in ei- nem Zeitraum von drei bis vier Stun- den. Nach zirka drei Stunden wies das Kind Zeichen einer Exsikkose, Hypo- tension und Hypernatriämie auf; in diesem Fall hatte das Kind eine Sorbi- toldosis von fast 14 (!) g/kg KG erhal- ten (6). Dosierempfehlungen liegen dagegen bei 1,5 g Sorbitol (35 Pro- zent)/kg KG zusammen mit 1 g Aktiv- kohle/kg KG (18). Aber auch dann sind Flüssigkeits- und Elektrolytba- lance zu kontrollieren (17). Da Sorbi- tol von Darmbakterien unter Freiset-

M E D I Z I N ZUR FORTBILDUNG

Tabelle

Nachgewiesene Adsorption an Aktivkohle in vitro*

Gute Adsorption Mäßige Adsorption Ungenügende Adsorption

Aflatoxine Benzin Eisensalze

Amphetamine Benzol Ethanol

Antidepressiva DDT Ethylenglycol

Antiepileptika Dichlorethan Lithiumsalze

Antihistaminika Disopyramid Methanol

Atropin Ipecac-Sirup Mineralsäuren und Laugen

Barbiturate Malathion Zyanide

Benzodiazepine Mexiletin

b-Blocker Paracetamol

Chinidin, Chinin Polychlorierte Biphenyle Chloroquin, Primaquin Salicylate

Cimetidin Tolbutamid, Carbutamid Dextropropoxyphen,

Opioide

Digitalisglykoside Furosemid

Glibenclamid, Glipizid Glutethimid

Indomethacin Meprobamat Mutterkornalkaloide Nefopam

Phenothiazine Phenylbutazon Phenylpropanolamin Piroxicam

Strychnin Tetrazykline Theophyllin

* nach Neuvonen und Olkkola, 1988 (20)

(3)

zung gasförmiger Produkte gespalten wird, treten zum Teil unangenehme Blähungen auf, die ein bis zwei Tage anhalten können (5). In einem Vergif- tungsfall führte diese Wirkung zu ei- ner massiven Überdehnung des Darms mit Pseudoobstruktion und tödlicher Sepsis; hierbei begünstigte die zusätzliche Gabe eines Opioids diese Entwicklung.

Als häufigste unerwünschte Wir- kung verursacht Sorbitol (70 Prozent) gelegentlich Übelkeit und Brechreiz, was die weitere Einnahme von Aktiv- kohle und Flüssigkeit verzögert bezie- hungsweise verhindert. Schließlich wird die Gefahr einer Aspiration der Aktivkohle-Sorbitol-Lösung durch Erbrechen erhöht. So erscheint aus heutiger Sicht die fixe Kombination der Aktivkohle mit einem Laxans nicht mehr gerechtfertigt (28).

Aktivkohlefertigprodukt

Aktivkohle bindet die meisten Gifte schnell und mit hoher Kapazität.

Sie erscheint daher zur frühzeitigen Behandlung oraler Vergiftungen be- sonders geeignet. Ergebnisse von 115 kontrollierten klinischen Studien an Freiwilligen mit 43 verschiedenen Arzneistoffen ergaben eine mittlere Verminderung der Bioverfügbarkeit auf ein Drittel beziehungsweise zwei Drittel, wenn die Aktivkohle 30 be- ziehungsweise 60 Minuten nach Ein- nahme des Arzneimittels verabreicht wurde. Diese Zahlen unterstreichen die Bedeutung des Zeitfaktors für ei- ne effiziente Dekontamination (28).

Insbesondere bei Kleinkindern sind orale, akzidentelle Vergiftungen häu- fig; die Einnahme von potentiellen Giften wird zumeist auch frühzeitig entdeckt, so daß diese Personengrup- pe von der Therapie mit Aktivkohle besonders profitieren könnte (25).

Sind die Kinder bei vollem Bewußt- sein, ist eine orale Einnahme von Ak- tivkohle möglich. Anderenfalls käme die Instillation über eine Magensonde in Betracht.

Diese Überlegungen sind nicht neu. Schon 1963 starteten die Pädiater Holt und Holz die erste Kampagne in den USA. In ihrem Artikel „The black bottle“ empfehlen sie: „A bottle of charcoal on every medicine shelf

would go a long way to combat serious poisonings in the home. It should also have a marked prophylactic effect, for it would catch the mother’s eye when- ever the medicine chest was opened and remind her of the potential dan- ger there. The charcoal should be in a bottle – not a can or carton – a black bottle to catch the eye“ (9).

Über die therapeutische Wirk- samkeit frühzeitiger Aktivkohlegabe bei Vergiftungen durch Arzneimittel und verschiedene Schwermetalle be- stehen inzwischen keine Zweifel (10, 11), auch wenn für einzelne Gifte kli- nisch brauchbare Fallkontrollstudien fehlen (30). Die Anwendung von Ak- tivkohle scheint bei den meisten Gif- ten wirksam und mit weniger Kompli- kationen behaftet zu sein als aggressi- vere Verfahren wie Erbrechenlassen, Magenspülung oder auch die Darmla- vage (Übersicht über In-vitro- und In- vivo-Untersuchungen an Probanden sowie Erfahrungen bei Patienten in der Tabelle und in den Textkästen).

Mit einer in jedem Haushalt vorrätig gehaltenen Aktivkohle-Fertigzube- reitung als sogenannter „black bottle“

könnte so bereits am Unfallort – nach telefonischer Rücksprache mit dem Informationszentrum für Vergiftungs- fälle – mit der primären Dekontami- nation begonnen werden.

In den USA hat die Aktivkohle- anwendung seit den neunziger Jahren das häufig durch Laien mittels Ipecac- Sirup induzierte Erbrechen weitge- hend verdrängt. Insbesondere bei erst kurz zurückliegender Giftaufnahme ist die rasch verfügbare, wenig perso- nalintensive Anwendung fertig zube- reiteter Aktivkohle ein weiterer Vor- teil, so daß ein derartiges Fertigpräpa- rat Eingang in alle Haushalte mit Kleinkindern, aber auch in Notarzt- wagen, Arztpraxen, Ambulatorien und Krankenhäuser finden sollte.

Dieses Verfahren wird in den USA (29) und in Finnland (12) propagiert;

dennoch war Aktivkohle nur in zirka 40 Prozent aller Haushalte mit Kin- dern unter fünf Jahren verfügbar. Die Einnahme der Aktivkohle zu Hause bereitete in 80 Prozent der Fälle keine Schwierigkeiten, nur in fünf Prozent gelang den Eltern die Verabreichung nicht. War Aktivkohle zu Hause ver- fügbar, verstrichen dennoch zwischen dem Telefonanruf beim Giftinforma-

M E D I Z I N ZUR FORTBILDUNG

Nachgewiesene Resorptionsverminderung von

Pharmaka durch mehrmalige Gabe von Aktivkohle bei Probanden und Patienten

Amitriptylin (a, b) Carbamazepin (a, b)

Chinin (a, b) Ciclosporin (a)

Dapson (a, b) Dextropropoxyphen (b)

Diazepam (a) Digitoxin (a, b)

Digoxin (a, b) Meprobamat (a) Methotrexat (b)

Nadolol (b) Nortriptylin (b) Phenobarbital (a, b)

Phenylbutazon (b) Phenytoin (a, b)

Piroxicam (b) Sotalol (b) Theophyllin (a, b) Theophyllin retard (a, b)

(a) Patienten mit Überdosis;

(b) Probanden (3, 30)

Nachgewiesene Resorptionsverminderung von Pharmaka durch Aktivkohle bei

Probanden Acetylsalicylsäure

Aminophyllin Ampicillin Carbamazepin

Codein Digoxin Diphenhydramin

Doxepin Mefenaminsäure

Paracetamol Phenobarbital

Phenytoin Tetracycline Theophyllin Tolfenaminsäure Einnahme nicht toxischer Dosen auf nüchternen Magen, 30 bis 50 g

Aktivkohle (5, 30)

(4)

tionszentrum und der Einnahme etwa 25 Minuten (12). Diese unnötig lange Resorptionszeit könnte mit einem Fertigpräparat deutlich verkürzt wer- den.

Zur Dekontamination stehen in Deutschland Kohle-Pulvis und neuer- dings zum Beispiel Ultracarbon-Gra- nulat zur Verfügung. Beide Zuberei- tungen sind aus oben genannten Gründen den Kohlekompretten über- legen und haben den Vorteil der leich- teren und schnelleren Zubereitung ei- ner gebrauchsfähigen Suspension.

Die empfohlene Dosis liegt bei 1 g Aktivkohle/kg Körpergewicht. Soll die Aktivkohledosis mehrfach verab- reicht werden, zum Beispiel zum Zweck einer Darmlavage, ist der Zu- satz eines geeigneten Gleitmittels (Polyethylenglycol) beziehungsweise Laxans zu erwägen (27).

Unverzichtbar ist aus unserer Sicht die Aufforderung an den Sofort-

helfer, unmittelbar vor der Aktiv- kohleanwendung eine Erkundigung über die Notwendigkeit und Wirksam- keit der Aktivkohle-Gabe einzuholen.

Diese Aufforderung sollte auf dem Etikett der Aktivkohle-Zubereitung mit Angabe der Telefonnummer des zuständigen Giftinformationszen- trums vermerkt sein. Hierbei wird auch eine Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen: Aktivkohle ist kontraindi- ziert bei oralen Vergiftungen mit ät- zenden Stoffen (zum Beispiel Säuren, Laugen, Eisensalze); bei erhöhtem Ri- siko einer Aspirationspneumonie (Lö- sungsmittel, Tenside) muß vor der An- wendung ein Schutz der Atemwege gewährleistet sein. Der Beipackzettel sollte auch den Hinweis enthalten, den vergifteten Patienten nach der Aktiv- kohle-Anwendung unverzüglich einer ärztlichen (Weiter-)Behandlung zuzu- führen. Schließlich sei noch erwähnt, daß unmittelbar nach Aktivkohleein-

nahme die orale Anwendung mögli- cher Antidote unzweckmäßig ist.

Hierfür steht in der Regel aber die pa- renterale Therapie im Vordergrund.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-2826–2830 [Heft 44]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser Priv.-Doz. Dr. med.

Klaus-Gustav Eckert Walther-Staub-Institut

für Pharmakologie und Toxikologie Medizinische Fakultät der Ludwig- Maximilians-Universität München Nußbaumstraße 26

80336 München

M E D I Z I N ZUR FORTBILDUNG/DISKUSSION

Ich freue mich außerordentlich über den mit wissenschaftlicher Sorg- falt abgefaßten Übersichtsbeitrag von Herrn Bernhardt, der zugleich von hoher Sachkenntnis des Autors zeugt.

Die Kernaussagen dieses Beitrags zu den gesundheitlichen Auswirkungen von elektrischen Feldern kann ich al- len Kollegen nur wärmstens zur Wei- tergabe an ihre Patienten empfehlen, die unter Umweltangst durch den so- genannten „Elektrosmog“ leiden.

Ich bezeuge Herrn Bernhardt auch dafür Respekt, daß in seinem Beitrag das wissenschaftliche Unwort

„Elektrosmog“ unerwähnt bleibt, das zur globalen Propagierung der Gefah- ren elektrischer Felder für den Men- schen von den Massenmedien erfun- den wurde und eilfertig von vermeint- lichen Umweltexperten schamlos ver- marktet wird.

Somit hat Herr Bernhardt mit seiner klaren Darstellung der thermi- schen und nichtthermischen Wirkun- gen elektrischer Felder in Abhängig- keit von der Frequenz und der Feld- stärke dankenswerterweise auch zur Entsorgung dieses Unworts sowie sei- ner angsterregenden Wirkung beige- tragen.

Prof. Dr. med. habil.

Gert Schreinicke

Institut für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin (IfAS)

der Universität Leipzig Riemannstraße 32 04107 Leipzig

Der Artikel beeindruckt mit Sicherheit durch seine wissenschaftli- che Ausstrahlung. Es ist aber abso- lut unmedizinisch beziehungsweise unärztlich, sich allein auf inkomplet- te wissenschaftliche Untersuchungen zu stützen, wenn die praktischen Er- fahrungen und Beobachtungen von informierten Ärzten und Patienten diese einseitig verharmlosenden wis- senschaftlichen Erkenntnisse längst eingeholt und zum Teil widerlegt ha- ben.

Es ist unwissenschaftlich, neue Erkenntnisse, die vielleicht nicht zur eigenen Meinung passen, nur als vage Vermutungen abzutun oder völlig zu unterschlagen.

Die heute gültigen Grenzwerte beruhen auf der Annahme, daß (nicht radioaktive) Strahlung nur durch Gewebserwärmung schädlich sein kann.

Gesundheitliche

Aspekte des Mobilfunks

Kein angsterregender Beitrag

Zu dem Beitrag von

Prof. Dr. med. habil. Dr. rer. nat.

Jürgen H. Bernhardt in Heft 13/1999

Tendenziöser Beitrag

(5)

Spätestens seit Oktober 1998 gilt aber als wissenschaftlich gesichert, daß es sogenannte athermische Wir- kungen beziehungsweise „biologische Effekte im Niedrigdosisbereich“ gibt (Wiener EMF – Resolution Oktober 1998).

Das heißt im Klartext, Sendelei- stungen, wie sie noch mehrere Kilo- meter entfernt von einem Mobil- funksender oder in der Nähe eines DECT-Schnurlos-Telefons erreicht werden, sind sehr wohl imstande, Ge- sundheitsstörungen auszulösen, an- gefangen von Schlafstörungen, de- pressiven Verstimmungen, Kopf- schmerzen, Migräne, Tinnitus, Kon- zentrationsstörungen, Lernstörun- gen bei Kindern bis hin zu beschleu- nigtem Krebswachstum, pathogenem Energiedefizit, Allergien und Im- munschwäche.

Weitere Informationen können Sie auch im Internet abrufen unter http://www.buergerwelle.de

Liebe im Beruf stehende Kolle- gen, seien Sie aufmerksam, wenn alt- bekannte Patienten zu Ihnen kom- men mit neuen oder verstärkten Be- schwerden, die in zeitlichem Zusam- menhang stehen mit der Inbetrieb- nahme eines Mobilfunksenders in der Nähe oder mit der Anschaffung eines Handys oder DECT-Schnurlos-Tele- fons! Ihre unvoreingenommenen Be- obachtungen werden Sie vielleicht mehr überzeugen als jeder wissen- oder nichtwissenschaftliche Artikel, dem man klar anmerkt, auf welcher Seite sich der Verfasser befindet.

Dr. med. Barbara Müllner Gartenweg 2

82269 Geltendorf

Mit dem Bericht haben Sie denje- nigen Kollegen, die sich mit den durch die dort genannten Feldimmissionen ausgelösten Krankheitsbildern aus- einandersetzen müssen, einen Bären- dienst erwiesen. Folgendes muß klar- gestellt werden. Die ICNIRP ist eine Kommission, die Empfehlungen erar- beitet und herausgibt, und mehr nicht.

Die ICNIRP kann also nichts „festle-

gen“. Weiterhin ist Tatsache, daß es Mitmenschen, vor allem Kinder gibt, die äußerst empfindlich auf die GSM- Felder reagieren. Noch häufiger trifft dieses für das hauseigene schnurlose DECT-Telefon zu, dessen System mit dem des GSM-Standards vergleichbar ist. Hier kommt es bei der technisch bedingten zwangsläufigen Dauerex- position in einem mit 100 Hz getakte- ten Feld zu massiven gesundheitli- chen Beeinträchtigungen, die jeder praktizierende Kinderarzt, der einmal diese Korrelation festgestellt hat, be- stätigen wird.

Beide Systeme zeigen gleiche biologische Effekte. Gepulste elek- tromagnetische Felder haben auch bei sehr schwachen Intensitäten ein be- sonderes biologisches Wirkungspo- tential. Zahlreiche Ergebnisse experi- menteller Untersuchungen, nachzule- sen in internationalen wissenschaftli- chen Publikationen, unterstützen die Erfahrungen in der Praxis. All dieses will die ICNIRP aufgrund des feh- lenden Wirkungsmodells nicht zur Kenntnis nehmen.

Die praktizierte Übertragbarkeit der thermodynamischen Erkenntnis- se an Leichen ist hier nicht zulässig, da die gesamten Regelsysteme der Bio- funktion eines lebenden Systems nicht berücksichtigt werden können.

Eine Störung in der interzellulären Kommunikation ist physikalisch-tech- nisch nicht mit den angewandten Al- gorithmen zu erklären. Die besondere Charakteristik der periodischen Tak- tung zusammen mit der Langzeit- exposition, vor allem in der Nähe von GSM-Basisstationen und DECT- Anlagen stellt das Problem dar. Die klassischen Algorithmen der Energie- berechnungen und Dosis-Wirkungs- Beziehungen gelten hier nicht. Auch wenn das Wirkungsmodell trotz zahl- reicher Forschungsaktivitäten bisher nicht erkannt ist, darf dieses nicht zu den leichtfertigen Äußerungen füh- ren, die immer wieder von Herrn Prof.

Bernhardt und der Betreiberindustrie artikuliert werden.

Dr. Lebrecht von Klitzing

Medizinische Universität in Lübeck Klinisch-Experimentelle Forschungs- einrichtung

Ratzeburger Allee 160 23538 Lübeck

Prof. Dr. Bernhardt stellt in sehr anschaulicher und übersichtli- cher Form den derzeitigen Kenntnis- stand zu gesundheitsschädigenden Wirkungen des Mobilfunks dar. Der Hinweis, daß die sehr wenigen epide- miologischen Studien bisher keine Basis für eine Risikobewertung im Hinblick auf die Nutzung von Mobil- telefonen und das Wohnen in der Nähe von Basisstationen bilden, ist korrekt, läßt aber nicht die Schluß- folgerung zu, daß weder für Handy- benutzer noch Anrainer von Basis- stationen ein Gesundheitsrisiko be- steht.

Bei den zur Zeit überwiegend genutzten Handys handelt es sich um eine relativ neue Technologie, so daß Kenntnisse über Folgen einer langfristigen Nutzung nicht vorlie- gen. Deshalb empfiehlt unter ande- rem die Weltgesundheitsorganisati- on, daß möglichst bald epidemiologi- sche Studien begonnen werden, die eine frühzeitige Entdeckung von nach dem derzeitigen Wissensstand nicht vollständig auszuschließenden Risiken ermöglichen.

Derzeit werden deshalb in einer Machbarkeitsstudie am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidel- berg, dem Institut für Epidemiologie und Medizinische Statistik der Fakul- tät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld und dem Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation der Universität Mainz unter anderem die Bedingun- gen untersucht, unter denen eine deutsche Beteiligung an einer von der International Agency for Re- search on Cancer (IARC) geplanten internationalen Fallkontrollstudie zu Tumoren des Kopf- und Halsberei- ches sinnvoll ist.

Durch die internationale Koope- ration wird es möglich sein, eine Stu- die mit großem Stichprobenumfang dieser seltenen Tumoren durchzu- führen. Dadurch wird die Vorausset- zung geschaffen, auch ein kleines Krebsrisiko, wenn es existieren wür- de, zu identifizieren. Die geplante in- ternationale Studie hat deshalb eine hohe gesundheitspolitische Bedeu- tung, weil die Anzahl der Handybe-

M E D I Z I N DISKUSSION

Gesundheitliche

Beeinträchtigung besteht

Fallkontrollstudie geplant

(6)

nutzer auch in der Bundesrepublik Deutschland rasch ansteigt und aller Erwartung nach weiterhin stark zu- nehmen wird.

Im Namen der Studiengruppe Prof. Dr. rer. nat. Maria Blettner (Institut für Epidemiologie und Medizinische Statistik, Universität Bielefeld)

Prof. Dr. med. Jörg Michaelis (Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation, Universität Mainz)

Prof. Dr. rer. nat. Jürgen Wahrendorf (Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg)

Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Jörg Michaelis

Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation

Johannes-Gutenberg-Universität Langenbeckstraße 1

55131 Mainz

Man hat den Eindruck, daß der Autor mit diesem Artikel die biolo- gische Bedenklichkeit bei der Benut- zung von Handys ungerecht ver- harmlosen will. Er verschweigt näm- lich, daß der heute in Deutschland gültige Grenzwert für elektromagne- tische Strahlung nur auf sechs- minütiger Wärmeentstehung im Körper des Menschen postuliert ist.

Obwohl bekannt ist, daß es nicht nur kurzzeitige Wärmewirkung, sondern auch Langzeitwirkungen gibt sowie zwei weitere Wirkungskategorien, wie beispielsweise Reiz und Infor- mation.

Hochfrequente Strahlen (wie bei Handys) sind keine konstanten Gebilde, sondern sie sind niederfre- quent moduliert und impulsartig (217 Hz) abgestrahlt. Also, sie erzeu- gen „Reizwirkung“ – auch bei niedri- gerer Eindringtiefe (Hautrezepto- ren!).

Jeder elektromagnetische Zu- stand in der Umwelt hat eine Wech- selwirkung mit unseren inneren elektromagnetischen Zuständen.

M E D I Z I N DISKUSSION

Wenn dieser Einfluß intensiv ist und längere Zeit wirkt, wird die innere biologische Information verändert, und kann im Körper eine Disharmo- nie verursachen, deren Folgen von nervösen Zuständen bis zur Krebs- promotion reichen. So hat zum Bei- spiel M. Repacholi nachgewiesen, daß durch täglich 30minütige Be- strahlung von Mäusen mit Handys doppelt so viele Tiere an Lymph- knotenkrebs erkrankten als bei der Kontrollgruppe (Rad Research 1997;

147: 631–640,).

Die Behauptung des Autors, daß die Strahlung von Mobiltelefo-

nen sich im Grenzbereich hält – stimmt nicht! Es ist nachweisbar, daß ein (CB-) Telefon von 2 W eine Feld- stärke um 1 000 V/m erzeugen kann.

Der Grenzwert beträgt aber nur 27 V/m.

Aus den oben genannten Grün- den kann der Autor des erwähnten Artikels nicht behaupten, daß für den Benutzer (und nicht nur für ihn) von Handys keine (gesundheitlichen) Ge- fahren entstehen können.

Prof. Dr. Dr. András Varga Kurt-Schumacher-Straße 11 69226 Nußloch

Einige kritische Diskussionsbe- merkungen zu meinem Beitrag bemängeln, daß mein Artikel prakti- sche Erfahrungen und Beobachtun- gen nicht beachte, neue Erkennt- nisse, insbesondere über sogenannte athermische Wirkungen, als vage Vermutung abtut, Wirkungskatego- rien wie „Reizwirkung“, „Informati- on“, „Regelsysteme“ nicht berück- sichtigt, die Punkte vor allem auf- grund des fehlenden Wirkungsmo- dells nicht zur Kenntnis nimmt, ver- schweigt, daß Grenzwerte bei Mobil- telefonen nicht eingehalten werden.

Die Diskussionsbemerkungen zeigen, daß die meinem Beitrag zu- grunde liegenden Literaturhinweise (beispielsweise 4, 7, 9, 12, 15, 16, 17) und der darin beschriebene Stand der wissenschaftlichen Forschung nicht zur Kenntnis genommen wer- den. „Kritische“, mit der „Lehrmei- nung“ nicht übereinstimmende Auf- fassungen sollten auf dem Boden der Wissenschaft bleiben und begründ- bar sein. Es ist unseriös und unwis- senschaftlich, vorläufige und vermu- tete oder unbestätigte Forschungser- gebnisse sowie Einzelbefunde als gleichberechtigt neben bestätigte, aus qualitativ hochwertiger Labor- forschung abgeleitete Ergebnisse ne- beneinander zu stellen und daraus gesundheitliche Risiken abzuleiten.

Vermeintliche Gesundheitsstörun- gen, wie sie in den Leserzuschriften von Müllner und von von Klitzing beschrieben sind, konnten bei einer

internationalen Konferenz über bio- logische Wirkungen nicht thermi- scher gepulster und Amplituden- modulierter Hochfrequenzfelder in München (1) und auch von einem von der WHO eingesetzten Exper- tengremium (2) nicht bestätigt wer- den. Letzteres Gremium identifizier- te jedoch einige Themenbereiche, bei denen Forschungsbedarf gese- hen wird und legte eine Prioritäten- liste fest (2).

Die Behauptungen von Varga über Überschreitungen von Grenz- werten bei Handys weisen darauf hin, daß das von der ICNIRP vorge- schlagene Konzept zur Begrenzung der Exposition nicht verstanden wird (das heißt Basisgrenzwerte, die ein- gehalten werden müssen und abge- leitete Grenzwerte, wie beispielswei- se Feldstärken im Nahbereich von Antennen, die überschritten werden können, wenn die Basisgrenzwerte eingehalten werden).

Zur Verdeutlichung für den Le- ser möchte ich den Weg von der Wis- senschaft zu Grenzwerten, wie er derzeit von der WHO und der Inter- nationalen Kommission zum Schutz vor nicht ionisierender Strahlung (ICNIRP) beschritten wird, noch- mals darlegen.

Empfehlungen von gesundheits- bezogenen Richtlinien zum Schutz der menschlichen Gesundheit vor Gefahren elektromagnetischer Fel- der erfordern die Bewertung der bio- logischen Wirkungen auf der Basis des fundierten wissenschaftlichen und medizinischen Wissens. Diese sollte frei von wirtschaftlichen und

Ungerechte Verharmlosung

Schlußwort

(7)

politischen Interessen sein und auf international anerkannten Quali- tätskriterien zur Bewertung der wis- senschaftlichen Literatur basieren.

Die ICNIRP, in der als wissenschaft- lich unabhängiger Organisation die relevanten Fachdisziplinen vertreten sind, ist dafür qualifiziert, die Auf- gabe der Risikobewertung gemein- sam mit der WHO durchzuführen.

Die ICNIRP ist die formal von der WHO, der Internationalen Arbeits- organisation (ILO) und der EU an- erkannte regierungsunabhängige Or- ganisation für den Schutz der mensch- lichen Gesundheit vor nicht ionisie- render Strahlung (siehe auch www.

icnirp.de).

Qualitätskriterien zur Bewer- tung laborexperimenteller Untersu- chungen, epidemiologischer Studien sowie für Untersuchungen an Frei- willigen, wie sie von der WHO und ICNIRP zur kritischen Bewertung des wissenschaftlichen Wertes der relevanten Literatur verwendet wer- den, sind vielfach veröffentlicht (3 und 4). Die objektive und vollständi- ge Beschreibung experimenteller Techniken, Methoden und Bedin- gungen, die umfassende Charakteri- sierung der Dosimetrie, die eine Re- produzierung der Ergebnisse er- laubt, die Quantifizierbarkeit und Nachvollziehbarkeit von Versuchs- ergebnissen, die Interpretierbarkeit aufgrund akzeptierter wissenschaft- licher Prinzipien (und nicht von un- bewiesenen Hypothesen), die Ab- klärung des Einflusses störender Be- gleitfaktoren sind unerläßliche Kri- terien. Der so ermittelte etablierte Wissensstand wird zusammen mit ei- ner Analyse des bestehenden For- schungsbedarfs in der Monogra- phienreihe „Gesundheitskriterien“

der WHO veröffentlicht (5); die Do- kumente werden alle fünf bis zehn Jahre einer Neubewertung unterzo- gen.

Die ICNIRP verwendet diese Ergebnisse sowie neuere Übersich- ten und Ergebnisse qualitativ hoch- wertiger und bestätigter Forschungs- ergebnisse, um daraus Empfehlun- gen zum Schutz des Menschen abzu- leiten. Hervorzuheben ist, daß kürz- lich (am 8. Juni 1999) eine Ratsemp- fehlung der Europäischen Union zur Begrenzung der Exposition der Be-

völkerung verabschiedet wurde, die auf Empfehlungen der ICNIRP ba- siert.

Seit 1996 erfolgt im Rahmen des internationalen Projektes über ge- sundheitliche Wirkungen elektroma- gnetischer Felder (EMF-Projekt, sie- he auch WHO-homepage www.

who.ch/emf/) eine Neubewertung, die nicht nur die Wissenslücken iden- tifiziert, sondern auch zu konzen- trierter Forschung solcher Themen anregt, die die Bewertung gesund- heitlicher Risiken verbessern sollen, und diese Forschung in regelmäßigen Bestandsaufnahmen zu koordinieren versucht. Nach Beendigung dieses Projektes (2004) wird die ICNIRP ih- re Empfehlungen überarbeiten.

Die von Blettner et al. erwähnte internationale Fallkontrollstudie zu Tumoren des Kopf- und Halsberei- ches und eines Zusammenhanges mit der Nutzung von Mobiltelefonen hat zweifellos eine hohe gesundheitspo- litische Bedeutung. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß im Hinblick auf die bisher fehlenden laborexpe- rimentellen Hinweise für solche kan- zerogenen Wirkungen schwacher ge- pulster Hochfrequenzfelder der do- simetrischen Charakterisierung der unterschiedlichen Expositionswege, ihrer Dauer und ihrer räumlichen und zeitlichen Verteilung im Kopf des Handybenutzers besondere Be- deutung zukommt. Die schwierige Problematik der Dosimetrie und die große Zahl dosimetrisch relevanter Parameter gerade bei der Benutzung von Mobiltelefonen, die eine solche Studie fast aussichtslos erscheinen läßt, wurde erst kürzlich auf einem internationalen Workshop ausführ- lich diskutiert (6).

Literatur

1. Bernhardt J H, Matthes R, Repacholi MH (eds): Non-thermal effects of RF electro- magnetic fields. Proceedings of the Interna- tional Symposium on Biological Effects of non-thermal pulsed and amplitude modula- ted RF electromagnetic fields and related health hazards. München-Neuherberg, No- vember 20.–22. 1996. ICNIRP 3/97. Erhält- lich vom wissenschaftlichen ICNIRP-Se- kretariat, International Commission on Non-lonizing Radiation Protection, c/o Bundesamt für Strahlenschutz, Institut für Strahlenhygiene, Ingolstädter Landstraße 1, 85764 Oberschleißheim, Germany, 1997.

2. Repacholi MH: Low-level exposure to radiofrequancy fields: health effects and research needs. Bioelectromagnetics 1998, 19: 1–19.

3. Bernhardt J H, Brix J, Schulz O, Vogel E:

Elektromagnetische Felder: Welche Aussa- gen über ihre Wirkungen dürfen wir glau- ben? Kriterien zur Bewertung wissenschaft- licher Untersuchungen. Strahlenschutzpra- xis 1997; Heft 3: 42–49.

4. Repacholi MH, Cardis E: Criteria for EMF health risk assessment. Radiat Prot Dosim 1997; 72: 305–312.

5. UNEP/WHO/IRPA: Environmental health criteria document No 137. Electromagnetic fields (300 Hz – 300 GHz). Geneva: WHO 1993.

6. McKinlay AF, Repacholi MH (eds): Expo- sure metrics and dosimetry for EMF epide- miology. Proceedings of an international workshop, National Radiological Protec- tion Board, Chilton, UK, Published by Nuclear Technology Publishing. Radiat Prot Dosim 1999; 83: 1–2.

Prof. Dr. med. habil. Dr. rer. nat.

Jürgen H. Bernhardt, ICNIRP, c/o Institut für Strahlenhygiene Ingolstädter Landstraße 1

85764 Oberschleißheim bei München

M E D I Z I N DISKUSSION/FÜR SIE REFERIERT

Die Autoren berichten über eine Vergleichsstudie von 132 Patienten mit Ulkusblutung unter nichtsteroida- len Antirheumatika (NSAR) und 136 NSAR-Patienten ohne gastrointes- tinale Komplikationen. Dabei wurde der Helicobacter-pylori-Status mit dem 13-C-Harnstoff-Atemtest be- stimmt. Es zeigte sich, daß Patienten, die NSAR einnahmen und H.-pylori- positiv waren, ein um den Faktor 2 höheres Risiko einer Ulkusblutung aufwiesen als Helicobacter-pylori-ne- gative NSAR-Konsumenten. Die Er- gebnisse dieser Fallkontrollstudie le- gen nahe, daß bei NSAR-Konsumen- ten das Risiko einer Ulkuskomplikati- on halbiert werden kann, wenn zuvor eine Helicobacter-Therapie bei H.-py- lori positiven Personen durchgeführt wird. Die Autoren vermuten jedoch, daß bei Hochrisikopatienten wahr- scheinlich die prophylaktische Gabe eines Protonenpumpenblockers sinn-

voller ist. w

Aalykke C, Lauritsen JM, Hallas J et al.:

Helicobacter pylori and risk of ulcer blee- ding among users of nonsteroidal anti-in- flammatory drugs: a case-control study.

Gastroenterology 1999; 116: 1305–1309.

Departments of Medical Gastroenterolo- gy and Geriatrics, Odense University Hos- pital, Odense, Dänemark.

Faktoren für eine

Ulkusblutung

Referenzen

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