• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Sterben und Tod in literarischen Texten: Die Trauer in Worte fassen" (11.04.2014)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Sterben und Tod in literarischen Texten: Die Trauer in Worte fassen" (11.04.2014)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A 650 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 111

|

Heft 15

|

11. April 2014

S

terben, Tod und Trauer er- freuen sich in letzter Zeit großer Beliebtheit in der Literatur.

Immer mehr Schriftsteller beschäf- tigen sich mit dieser schwierigen Thematik, und sie finden offenbar damit auch Anklang bei den Lesern.

Doch welche Bücher sind wirklich lesenswert? Die Kölner Literatur - wissenschaftlerin Dr. Gabriele von Siegroth-Nellessen hat eine Aus- wahl aktueller und erhältlicher Bü- cher zusammengestellt, die sie vor kurzem auf dem Hospiz- und Pal- liativtag in Köln vorstellte.

Philip Roth: Jedermann (1) – Philip Roth erzählt die Geschich- te eines namenlosen Mannes, der an zahlreichen Krankheiten leidet und mehrfach operiert wird. „Jeder- mann“ beginnt mit der Beerdigung des Protagonisten und endet mit sei- nem Tod während einer Vollnarko- se auf einem OP-Tisch. Dazwischen erinnert er sich an verschiedene Lebensstationen.

Roth analysiert Siegroth-Nelles- sen zufolge „gnadenlos die ameri- kanische Gesellschaft, aber zuneh- mend auch die eigene Hinfällig- keit“. In diesem modernen Jeder- mann gehe es ebenso wie bei dem von Hugo von Hofmannsthal um

das Leben und Sterben eines rei- chen Mannes, der das Leben ge- liebt habe, aber frühzeitig auch schon die Zeichen des Todes er- kannte. Letztendlich gebe es für ihn kein Jenseits und keine Sinnstif- tung. Während bei Hofmannsthal zum Schluss zur Reue gerufen wer- de und der Glaube das letzte Wort behalte, analysiere Roth Sterben und Tod mit dem Satz: „Ich ging ins Nichts, ohne es zu merken.“

Ulla Lenze: Der kleine Rest des Todes (2) – Die Protagonistin in Ul- la Lenzes Roman hatte schon vor dem Unfalltod des Vaters Probleme, den Alltag zu bewältigen. Schließ- lich führt die Fassungslosigkeit an- gesichts des Verlustes sie bis zur Verwahrlosung. Erst durch die Kon- frontation mit dem Ort des Flug- zeugabsturzes, bei dem der Vater ums Leben gekommen ist, fängt sie sich wieder. „Der kleine Rest des Todes ist ja ein großer Rest, den es eigentlich nicht geben darf. Es geht dabei um ein Herunterspielen dieser Zumutung. Es geht um eine Gegen- bewegung, um den ganzen Skandal dieses Unfalltodes des Vaters. Und es geht auch darum, die Zumutung an sich heranzulassen. Genau das widerfährt Ariane, der Protagonistin

des Romans, die sich ganz dem Schmerz des Verlassenseins auslie- fert“, berichtete Lenze selbst über ihren autobiografischen Roman. (3)

Michael Köhlmeier: Idylle mit ertrinkendem Hund (4) – Seit mehr als zehn Jahren ist „Ein Buch für die Stadt“ ein ausgewähltes Buch, das im Rahmen einer Aktion jährlich zur Förderung der Literatur und des Literaturverständnisses in Köln und der Region zwischen Eifel und Bergischem Land in den Mittel- punkt gerückt wird. Die Initiatoren sind das Literaturhaus Köln und der

„Kölner Stadt-Anzeiger“. Im letzten Jahr war Michael Köhlmeiers „Idylle mit ertrinkendem Hund“ ausgewählt worden. „Köhlmeiers Geschichte be- ginnt mit dem Besuch des Lektors Dr. Beer bei jenem Schriftsteller, der unser Ich-Erzähler ist. Der Lektor, der am Ende die Zusammenarbeit aufkündigen wird, betont, ,Literatur, die auf irgendetwas oder irgendje- manden Rücksicht nehme, sei nichts wert’“, heißt es in einer Rezension im Kölner Stadt-Anzeiger (5).

In einem autobiografischen Ein- schub hat der Autor außerdem ver- sucht, den Tod seiner eigenen Toch- ter Paula zu verarbeiten. „Ich habe die Hoffnung, dass sie näher bei mir STERBEN UND TOD IN LITERARISCHEN TEXTEN

Die Trauer in Worte fassen

Immer mehr Schriftsteller beschäftigen sich mit der schwierigen Thematik des Lebensendes. Buchempfehlungen einer Kölner Literaturwissenschaftlerin

K U L T U R

(2)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 111

|

Heft 15

|

11. April 2014 A 651 ist, wenn ich über sie schreibe“,

sagt Köhlmeier. Siegroth-Nellessen glaubt, dass die Rettung des im Eis eingebrochenen Hundes für den Au- tor die Überwindung der Lebens- angst bedeutet habe.

Hansjörg Schneider: Nacht- buch für Astrid (6) – Nach dem Tod seiner Frau, die mit 57 Jahren an Krebs starb, begann Hansjörg Schneider ein Tagebuch über seinen Schmerz und seine Verzweiflung sowie über ihr gemeinsames Leben zu schreiben. „Von der Liebe, vom Sterben, vom Tod und von der Trauer darüber, einen geliebten Menschen verloren zu haben“ heißt es in diesem im Jahr 2000 zuerst veröffentlichten Tagebuch des Bas- ler Schriftstellers. Ein Jahr lang hat er an wechselnden Orten schrei- bend versucht, seine Trauer in Wor- te zu fassen, zu begreifen, was seine Frau Astrid für ihn war und wie er nun weiterleben kann.

Gerhard Meier: Ob die Gra- natbäume blühen (7) – Nach dem Tod seiner Frau, die ihn und sein Schaffen über sechs Jahrzehnte be- gleitet hat, findet Meier im Schrei- ben einen Weg aus der Einsam- keit: Er vergegenwärtigt sich und dem Leser die Zeit mit Dorli, die intensiven Lektüreerlebnisse, Wan- derungen und Reisen. Er führt den Dialog mit seiner Frau über ih- ren Tod hinaus fort. Dabei wer- den Siegroth-Nellessen zufolge die Grenzen zwischen Fiktion und Realität durchlässig. Das Buch en- det mit der „Gewissheit auf ein Wiedersehen“.

Connie Palmen: I. M. Ischa Meijer – In Margine – In Memo- riam (8); Logbuch eines unbarm- herzigen Jahres (9) – Gleich zwei- mal musste die niederländische Schriftstellerin sich mit dem Tod eines Lebenspartners auseinander- setzen. In dem ersten Buch be-

schäftigt sie sich Jahre später mit dem Tod ihres Partners, des Jour- nalisten, Moderators und Schrift- stellers Ischa Meijer. Bei diesem Prozess beginnt dann auch wieder die Rückbesinnung auf die eigene Person: „Ich bin mehr als das, was nicht da ist.“

Ganz anders geschrieben ist Sie- groth-Nellessen zufolge das „Log- buch eines unbarmherzigen Jah- res“. Mit dem Schreiben an diesem Buch beginnt Palmen bereits 48 Tage nach dem Tod ihres Man- nes, des Politikers Hans von Mier- lo. Darin geht es auch um das Sterben weiterer Menschen, die ihr nahestanden, wie dem Tod ih- rer Stieftochter. Mit diesem Buch wollte Palmen „gegen das Verges- sen anschreiben“. Siegroth-Nelles- sen bezeichnet es als „nicht ein- fach zu lesen, aber ungeheuer ein- dringlich“.

Christoph Ranzmayr: Atlas ei- nes ängstlichen Mannes (10) – Siegroth-Nellessens letztes Litera- turbeispiel spielt in einer kleinen tschechischen Stadt. Die Hauptfi- gur hat dort die Arbeit der Engel über nommen und nimmt sich ei- nes verfal lenen jüdischen Friedhofs an. „Wo waren die Engel auf dem Weg nach Theresienstadt?“ fragt der Protagonist und kommt zu dem Schluss: „Vielleicht war es den Sterblichen aufgegeben, die Arbeit der Engel zu tun.“

Gisela Klinkhammer

LITERATUR

1. Roth P: Jedermann, München, Wien 2006 2. Lenze U: Der kleine Rest des Todes,

Frankfurt/M 2012

3. www.zeit.de/kultur/literatur/2012–04/

interview-ulla-lenze/seite-2 4. Köhlmeier M: Idylle mit ertrinkendem

Hund, Wien 2008

5. www.ksta.de/kultur/michael-koehlmeier- das-neue-buch-fuer-die-stadt-, 15189520,22558950.htm

6.Schneider H: Nachtbuch für Astrid, Zürich 2000

7. Meier G: Ob die Granatbäume blühen, Frankfurt/M 2005

8. Palmen C: I.M. Ischa Meijer – In Margine – In Memoria, Zürich 1999

9. Palmen C: Logbuch eines unbarmherzigen Jahres, Zürich 2013

10. Ranzmayr: Atlas eines ängstlichen Mannes, Frankfurt am Main, 2012

Im christlichen Mittelalter ist der Tod allgegenwär- tig präsent, und er verweist auf die Erlösung im Jenseits, was zur Profanisierung des Lebens führt. Im Spätmittelalter erscheint der Tod in der Gestalt des Knochenmannes, dem die Menschen hilflos ausgeliefert sind und der ihnen die physi- sche Vernichtung bringt.

In der Aufklärung wird dieses Bild des Sen- senmannes als unästhetisch empfunden. Der Tod wird vielmehr als Bruder des Schlafes oder wie in der Antike als Genius mit verlöschender Fackel symbolisiert. Gleichzeitig entwickelt sich

mit der Aufklärung zunehmend eine antimysti- sche und antireligiöse Haltung zu Tod und Ster- ben. Die christliche Sicht des Todes als Hoffnung auf die Auferstehung verschwindet zusehends.

Im technikbegeisterten 19. Jahrhundert wird die Thematik vollends tabuisiert. Eine intensivere Auseinandersetzung mit ihr findet erst wieder im 20. Jahrhundert mit der Entwicklung von Palliativmedizin und Hospizbewegung statt. „In der Literatur war der Tod aber immer da“, meint die Kölner Literaturwissenschaftlerin Dr. Gabriele Siegroth-Nellessen.

DIE HALTUNG ZU TOD UND STERBEN

K U L T U R

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Weitere sozialrechtliche Informationen sowie Ratgeber zum kostenlosen Download finden Sie stetig aktualisiert unter www.betanet.de.. © 2022 beta Institut gemeinnützige GmbH |

• Mit Hilfe der Bilderfolge ( M 4.3 ) können die Schüler ein kleines Leporello basteln, das in eine Streichholzschachtel passt. Die Geschichte wird anhand der Bilder mit den

Von Trauer ist in den meisten Fällen mehr als eine Per- son betroffen; diese vom Verlust betroffenen Personen stehen nicht nur in einer je einzigartigen Beziehung zur

Zu beachten ist aber, dass die gestalterischen Orientie- rungshilfen nicht alle umgesetzt werden können und dass eine Auswahl für das jeweilige Ereignis getroffen werden sollte,

Diese Ereignisse haben vielleicht noch mehr Menschen bewusst gemacht, dass Angehörige, die nicht im Kollektiv betroffen sind, nach dem Tod eines naheste- henden Menschen

Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Er hat mich von Anfang an ermutigt, das für eine junge Juristin untypische Thema „Tod und Trauer am Arbeitsplatz“ umzusetzen.

Fortbildung Informationen, hilfreiche Tipps und Gestaltungs- möglichkeiten anbieten, die Kindern und OGS-Mitarbeiter*innen Orientierung und Sicherheit im Umgang mit Tod

Eine Exkursion in die Schattenzone des Wissens, in: Thorsten Benkel / Matthias Meitzler (Hg.): Zwischen Leben und Tod.. Sozialwissenschaftliche Grenzgänge, Wiesbaden