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Archiv "Die Lungenheilkunde in der Bundesrepublik Deutschland: Rückblick und Ausblick" (29.01.1976)

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Die Lungenheilkunde in der Bundesrepublik Deutschland:

Rückblick und Ausblick

THEMEN DER ZEIT:

Die Lungenheilkunde in der Bundesrepublik Deutschland:

Rückblick und Ausblick Motivierung

zur Gesundheit

FORUM:

Gliederung der geburtshilflichen Versorgung in den Krankenhäusern

BRIEFE

AN DIE REDAKTION

BEKANNTMACHUNGEN:

Einführungslehrgänge für die Kassenarztpraxis im Jahre 1976

Kassenarztsitze

PERSONALIA

Herbert Blaha und Klaus Hellmann*)

1. Zur Abgrenzung des Fachs Mit dem Kunstwort „Pneumologie", das keinen Anspruch auf philologi- sche Richtigkeit erhebt, das aber seine Wurzel doch im griechischen

„pneuma" — Atem, Hauch, Geist

— hat, deuten wir das Funktionel- le, das Flexible, das Wandelbare un- seres Fachs in gewisser Weise an.

Die anatomischen Grenzen sind ungenau: Wo hört der Hals auf, wo fängt der Brustkorb an, wieviel Brustwand gehört dazu, wieviel Zwerchfell, wieviel Herz? — Und damit werden schon die Funktions- einheiten deutlich: Das geht von der Umweltmedizin, der Präventiv- medizin in die Immunologie, in die Mykologie, Bakteriologie, in die Physiologie.

Heute ist die ganze Breite des me- dizinischen Wissens und Könnens aufgerufen. Wenn wir das Fach gar etwa „Pneumophthiseologie" nen- nen wollen, dann geht das von der Tuberkulose der Großzehe bis zur Meningitis, vom Urogenitalsystem zu den Augen: Längs- und Quer- schnitte durch die gesamte Medi- zin fordernd.

Es handelt sich um ein großes, me- dizinisch anspruchsvolles zentrales Fach. Erstaunlicherweise ist es durch den Wegfall des Übergewich- tes Phthiseologie nicht kleiner, son- dern vielseitiger, größer, noch aktu- eller geworden.

2. Rückblick

Wandel, Flexibilität als Basis der Kontinuität und des Bestandes werden am Substrat, am „Objekt"

des Faches Lungenheilkunde be- sonders deutlich. Aus der Darstel- lung 1 geht hervor: Die Sterblich- keit an Tuberkulose ist jetzt kein brauchbarer epidemiologischer Maßstab mehr. Aber er war und ist hervorragend geeignet, die Ent- wicklungslinien zu verdeutlichen.

In manchen Städten betrug die Mortalität 500 bis 600 auf 100 000 Einwohner, etwa am Ende des vori- gen Jahrhunderts in den europäi- schen Großstädten; jetzt liegt in München die Mortalität für 1975 etwa bei drei bis vier auf 100 000 Einwohner. Die Zahl genau zu nen-

*) Professor Dr. med. Hans Joachim Sewering in freundlicher Verbun- denheit zum 60. Geburtstag.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 5 vom 29. Januar 1976 273

(2)

300

Tuberkulose, alle Formen

••..

••

Alle Infektionskrankheiten 600

Sterblichkeit an Tuberkulose in Bayern seit 1890

Gestorbene auf 100000 der Bevölkerung 400

200

Tuberkulose %"%

der Atmungsorgane Tuberkulose anderer Organe 500

400

300

200

100 100

0 1900 1910 1920 1930 19 40 19 50 1960 1970

Beeredes Sikeekee s Landesamt

1890 7oir9

Darstellung 1: Sterblichkeit an Tuberkulose in Bayern seit 1890 Spektrum der Woche

Aufsätze - Notizen Lungenheilkunde

nen ist unsinnig: Wieviel war am Tode die Tuberkulose schuld, wie- viel der begleitende Diabetes, der Alkoholismus? Das ist eine Frage, die subjektiven Entscheidungen zu- gänglich ist. „Der Wandel im Ob- jekt" wird durch folgende statisti- sche Übersicht die die „offene Tu- berkulose" seit 1960, jeweils auf 100 000 Einwohner bezogen, belegt:

1960 41 1970 27

1965 33 1974 24

Auch hier wird deutlich, daß der Rückgang, über größere Zeiträume gesehen, unverkennbar ist. Beden- ken wir dabei auch, daß Mehrlei- stungen an diagnostischen Maß- nahmen ein Mehr an Krankheitser- kennung bedeuten, beispielsweise höhere Arztdichte, höherer Filmver- brauch, besseres Gesundheitsbe- wußtsein, „Mehrleistungen pro Fall". (Man muß diese volkswirt- schaftlichen und betriebswirt- schaftlichen Dinge am Individual- fall, beispielsweise auch an der Tu- berkulose, nachprüfen.) Die Tuber- kulose ist scheinbar nicht mehr wichtig: Das sagt der Epidemiolo- ge, der entrückte Planer. Man muß

sich vergegenwärtigen, was die Zeitungen schreiben, wenn drei Kinder in einer Schule krank wer- den. Das ist die andere Seite. Be- triebswirtschaftliche, auch volks- wirtschaftliche Analysen funktionie- ren im ärztlichen Bereich nicht:

Viel zu viel Qualitatives, nicht Ge- wichtbares spielt mit. Eine Fach- studie „Entwicklung von Lungen- und Bronchialerkrankungen als Voraussetzung für die Planung des Bedarfs an Lungenfachärzten"

geht am gehobenen Bedarf, am ge- hobenen Anspruch mit Wahr- scheinlichkeit vorbei, wenn nur die

„harten Daten" gemessen werden.

Ein anderes Kapitel zum Thema

„veränderter Markt" wird aus der Übersicht „Sterblichkeit an Karzi- nomen der Luftwege, der Bronchi- en und der Lunge in Bayern" (auf 100 000 Einwohner) in den ver- schiedenen Jahren deutlich:

Jahr männl. weibl. zus.

1955 31,1 6,5 17,9

1960 42,5 6,9 23,4

1965 47,7 8,3 26,9

1970 51,6 7,6 28,5

1974 53,2 8,1 29,7

Die Zunahme in den letzten zwan- zig Jahren ist deutlich. Etwas an- deres wird ebenfalls evident: Daß sich nämlich die Krebshäufigkeit doch in noch höhere Altersgruppen verschiebt, daß hier ein Auslaufen, ein Flacherwerden der Kurve, in Zukunft anzunehmen ist. Die Steil- heit des Anstiegs ist gebrochen.

Die Frage: „realer Anstieg" der Zahl der Bronchialkarzinome oder

„verbesserte Diagnostik" kann nicht entschieden werden, muß nicht entschieden werden. Dem Fachmann ist klar, daß beides eine Rolle spielt. Vor zwanzig Jahren waren es ein paar Leute, die eini- germaßen bronchoskopieren konn- ten. Heute sind es sehr vie- le. Ein objektiver Maßstab wären die Ergebnisse von Reihenuntersu- chungen: Wenn die Kranken und die Alten voll erfaßt wären. Der Sachverhalt kann wohl mit dem Satz „Das Bronchialkarzinom nimmt wahrscheinlich für einige Zeit noch langsam weiter zu" als Arbeitshypothese umschrieben werden. Reichen aber 30 Fälle von Bronchialkarzinom aus, um bei Rückgehen der Tuberkulose den Eigenbestand eines Faches zu rechtfertigen? Natürlich nicht, al- lein betrachtet. Aber die deutsche Pneumophthiseologie hat eine Tra- dition zu wahren, nicht im Sinne ei- ner Vereinsfahne, sondern als Trä- ger sehr großer Erfahrungen, als ein zusammenfassendes Fach, das sowohl Kenntnisse abstrakter Art wie Fertigkeiten, von der Pleura- punktion bis zur Bronchoskopie und Thorakoskopie, mitbringt und bewahrt.

Nehmen wir ein anderes großes Gebiet: die Arbeitsmedizin. Die Zahl der Beschäftigten im Bergbau ist zurückgegangen; die Lebenser- wartung der an Silikose Erkrankten hat sich an die allgemeine Lebens- erwartung angeglichen.

Die Darstellung 1: „Sterblichkeit an Tuberkulose" zeigt auch die gleichgerichteten Wirkkräfte für alle Infektionskrankheiten, die in derselben Weise wie die Tuberku- lose über die Jahrzehnte zurückge-

274 Heft 5 vom 29.Januar 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(3)

aki

Mastdarms

rifiK

Niä

der Bauchspeicheldrüse

'WM

sonstiger Verdauungsorgane

der Atmungsorgane der Luftröhre,

Bronchien, Zunge Dickdarms

des Magens

Dickdarms Mastdarms der Bauch- speicheldrüse sonstiger Verdauungso.

der Luftröhre, Bronchien, Lunge sonstige Atmungsorgane der Verdauungsorgane

des Magens

sonstiger Atmungsorgane

der Harn- u. Geschlechtsorgane der Prostata Gebärmutter

sonstiger Brustdrüse

Harn- u. Geschlechtsorgane

sonstiger —

Harn - u.

Geschlechtsorgan.

sonstiger Organe --

1950 1970 24

(

203

Darstellung 2: Krebssterblichkeit in Bayern von 1960 bis 1970 hen: Als Ausdruck dafür, daß die

Infektionskrankheiten im Bereich der Lunge weniger werden.

Man könnte fast glauben, daß das leicht Behebbare im wesentlichen behoben ist, daß die Anwendungs- technologien unserer Kunst gut funktionieren. Was bleibt, ist der nicht erledigbare oder der schwer erledigbare Rest. Der eine von uns hat in einem ganz anderen Zusam- menhang von einer „Zone des sin- kenden Ertragszuwachses in der Medizin" gesprochen: Sehr viel hö- here Investitionen bringen keinen adäquaten, im gleichen Verhältnis stehenden Gewinn mehr.

3. Gegenwart

Wir haben sozusagen einen „histo- rischen Schnitt" durch unser Fach gelegt und uns dabei einige „große Krankheiten" angesehen. Wenn wir nun in die „Fläche der Gegenwart"

gehen und sehen, was vor uns für das Fach Lungenkrankheiten und Tuberkulose liegt, dann werden die Dinge außerordentlich schwierig.

Bei der Tuberkulose wissen wir, daß Bestand und Zugänge etwa gleich groß sein müssen, den Heil- erfolgen entsprechend. Aktive Tu- berkulosen werden wir etwa 70 auf 100 000 Einwohner finden, davon 25 bis 30 offene Tuberkulosen, um die 10 bis 15 extrapulmonale Tuberku- losen, die ja wohl langsamer zu- rückgehen. In einem Sprengel von 200 000 oder 300 000 Einwohnern sind dann freilich diejenigen Fälle zu berücksichtigen, die überwacht werden sollten: Die Rezidivquote nach durchgemachter und gut be- handelter Tuberkuloseerkrankung mag gegenwärtig gering sein. In den ersten Jahren lohnt sich die Untersuchung aber doch noch si- cherlich. Hier überschneiden sich epidemiologische und individual- medizinische Ansatzpunkte, wie so oft in „unserem" Fach. Wir wissen auf jeden Fall, daß es in der Tuber- kulose, der Beobachtung der Epi- demiefolgen, aber auch bei der Verfolgung der Endemie sehr viel zu tun gibt, wenn auch die Ausbeu- te gering sein mag.

Für das Bronchialkarzinom wäre nicht sehr viel zu sagen über das hinaus, was bereits berichtet wur- de. Wir sollten freilich die Alters- verteilung vor Augen haben und wissen, daß die Häufigkeit des Bronchialkarzinoms beim älteren Mann um die 300 auf 100 000 Ein- wohner liegt: 0,3 Prozent der älte- ren Männer erkranken bezie- hungsweise sterben innerhalb ei- nes Jahres an einem Bronchialkar- zinom. Die Verteilung der Karzino- me geht im übrigen aus der Dar- stellung 2 hervor.

Verlassen wir jedoch diesen An- satz der „großen Lungenkrankhei- ten", wenn wir die Frequenz inner- halb eines Fachgebietes betrach- ten wollen. Die „Statistische Um- schau Gesundheitswesen" bringt das Ergebnis einer Mikrozensus- Zusatzbefragung vom Oktober 1973. Es wird dort ausgeführt: „Die Krankheiten der Atmungsorgane stehen zahlenmäßig an der Spitze aller Krankheitsarten; ihre Bedeu-

tung hat sich gegenüber vorherge- henden Befragungen stark erhöht.

1970 entfielen auf diese Krank- heitsart nur 17 Prozent aller Kran- ken, 1972 waren es bereits 28 Pro- zent und 1973 knapp 32 Prozent...

Unter den Krankheiten der At- mungsorgane dominieren die aku- ten Infekte mit 45 Prozent, gefolgt von der Grippe (im Sinne des all- gemeinen Sprachgebrauchs) mit 41 Prozent; auf Bronchitis, Emphysem und Asthma entfallen 11 Prozent."

Graphisch sieht das noch ein- drucksvoller aus (Darstellung 3).

Daraus wird auch ersichtlich, daß sehr viel Akutmedizin dabei ist, sehr viel Allgemeinmedizin. Eine ganz andere Perspektive: Aus dem Zensus, der Krankenzählung, in das Gewebe hinein, was finden wir, wenn wir 300 oder 400 Stückchen Lunge in einer sehr frequentierten Lungenklinik untersuchen lassen?

Hier liegt dann das vor, was „gefil- tert" über Hausarzt und Facharzt in die Krankenanstalt kommt. Dabei DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 5 vom 29. Januar 1976 275

(4)

6 4 2 0 6

KRANKE PERSONEN ].) UND ANTEIL DER CHRONISCH KRANKEN NACH ART DER KRANKHEIT

Ergebnis einer Mikrozensus—Zusatzbefragung Oktober 1973

Je 100 Einwohner Männlich

dar, chronisch Kranke

Krankheiten der Atmungsorgane Krankheiten des Kreislaufsystems Krankheiten der Verdauungsorgane

Weiblich

dar. chronisch Kranke

Sonst. Krankheiten d. Knochen, Muskeln u,d. Bindegewebes Diabetes mellitus

Krankheiten des Nervensystems Arthritis und

Spondylitis Krankheiten der

Harnorgane

Statistisches Bundesamt 75 0452 1) Ohne Soldaten.

Darstellung 3: Kranke Personen und Anteil der chronisch Kranken nach Art der Krankheiten (Ergebnis einer Mikrozensus-Zusatzbefragung Oktober 1973)

Spektrum der Woche Aufsätze Notizen Lungenheilkunde

zeigt sich, daß die Tuberkulosedia- gnostik eben doch eine Domäne der Bakteriologie ist. Hier leistet die Bakteriologie zur Klärung der Ätiologie das Entscheidende. Aber die hohe Zahl der Sarkoidosen, der Lungenfibrosen zeigt, in welche Richtung wir uns in der gesamten Medizin bewegen: in Richtung auf Reaktionen, auf besondere Be- dingtheiten des Wirtes, und damit wiederum in Richtung allgemeine Medizin (Tabelle 1).

Es wird auch hier ganz deutlich, daß die Arbeitsmedizin aus der Pneumologie nicht wegzudenken ist und daß verhältnismäßig neue Felder wie die Reaktionen vom Typ der Farmerlunge, doch deut- lich auch als „Menge" und nicht nur als interessante Schnörkel ei- nes Faches, Bedeutung haben. Wir glauben ja auch, daß die „Pneumo- immunologie", ebenso wie die

„Pneumomykologie", in Bewegung

befindliche Fronten unseres Fa- ches sind. Die Gesamttendenz läßt sich vielleicht so umreißen, daß die großen Infektionen im wesentli- chen beherrscht sind, daß die klini- sche Pharmakologie gegenüber der „Pneumomechanik" mit Pneu- mothorax und Lungenresektion weit im Vordergrund steht; daß die Infektionsbeherrschung das Pro- blem der Reaktionsweisen des Or- ganismus in den Vordergrund rückt. Ganz ähnlich sieht es ja auch in der Lungenfachpraxis aus:

Vielleicht 15 Prozent Tuberkulose, mit allem, was dazugehört.

Enorm belastend die Suche nach dem Karzinom, der Ausschluß von Karzinomen. Das Gros machen die unspezifischen Lungenkrankheiten aus, wie wir ja auch aus dem „Mi- krozensus" gesehen haben. Das Krankenhaus sieht nur einen klei- nen Ausschnitt. Die ganz großen Probleme, die chronische obstrukti-

ve Bronchitis, das Asthma, das Em- physem, die respiratorische Insuffi- zienz, bleiben in der Praxis in Be- treuung: bis zum bitteren Ende.

Nachsorge, Rehabilitation, Gesund- heitserziehung sind ein zeitaufwen- diges, verantwortungsvolles Feld.

Die Entlastung der anderen Fä- cher, die Beratung der Spezialärz- te, des Gynäkologen beispielswei- se oder des Urologen oder des Orthopäden, bei der Behandlung von Tuberkulosen, oder aber die Ausschlußdiagnostik von spezifi- schen oder unspezifischen Lun- genkrankheiten präoperativ bilden einen wesentlichen Anteil des „Ge- bens und Nehmens". Die Aufglie- derung der „Tätigkeitsobjekte" aus einer großen Praxis ergibt sich aus Tabelle 2.

Die meisten „Lungenpatienten"

werden die längste Zeit ambulant behandelt. Der Wechsel zwischen stationärer und ambulanter Betreu- ung ist fließend und nahtlos. In kaum einem anderen Fachgebiet muß die Zusammenarbeit Klinik—

Praxis so kontinuierlich und über Jahre laufen wie bei der Betreuung chronisch Lungenkranker.

4. Ausblick

Welche Konsequenzen lassen sich aus dieser Situation, der epidemio- logischen und der „versorgungs- technischen" Situation, ziehen?

Ganz außer Zweifel steht, daß mit der Verringerung des Elementes

„Tuberkulose" ein neues „Berufs- bild" für den niedergelassenen Arzt entstanden ist. Die Radiologie stellt nach wie vor eine ganz ent- scheidende Basis für den Aus- schluß und für die Bestätigung von Krankheiten dar. Der Zusammen- hang zwischen klinischer Erfah- rung, Beobachtung des Patienten über lange Zeiträume, erlaubt viel mehr — auch in der Röntgenmor- phologie — zu erkennen, als es aus dem „Augenblicksbild" mög- lich ist, das der Radiologe sieht.

Die Bedeutung ist ungemindert.

Kein Fachmann auf dem Gebiete des Pneumologie wird sich auf ei- nen geschriebenen Befund verlas-

276 Heft 5 vom 29. Januar 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(5)

Allergische Erkrankungen des Respirationstraktes Chronische Bronchitis

11 Prozent 38 Prozent sen wollen. Jede geschriebene

Aussage ist gegenüber dem „Bild"

informationstechnisch weit unterle- gen. Die Radiologie ist ein selbst- verständlicher Teil des Faches. Die Bakteriologie mit ihren subtilen Techniken, mit dem hohem Maße an Erfahrung, muß weitgehend dem Fachmann überlassen bleiben, wenn auch färberische Methoden, so zum Ausschluß einer Tuberkulo-

Tabelle 1:

Perbronchiale Lungenbiopsie Untersuchungsergebnisse im Zentralkrankenhaus Gau- ting (April 1975)

Diagnose Fälle

Maligne Lungen-

adenomatose 5

Adeno-/Plattenepithel-

karzinome 10

Sarkoidose 43

Miliartuberkulose 7 Bronchiolitis tuberculosa 3 Lungenfibrosen 24 Chr. interstit. Pneumonie 9 Unspez. Pneumonie 20 Pneumokoniose 11

Asbestose 4

Farmerlungen 10

Eosinoph. Granulom 2

andere 49

keine 143

= keine Lunge 56

= Lunge ohne Befund 87 347

Komplikationen:

lpl. Pnth 17

Blutung 4

se oder zum Nachweis eines Tu- mors, zytologisch, durchaus in der Praxis durchführbar sind. Die Phar- makologie spielt eine immer größe- re Rolle. Hier sind von jedem ein- zelnen Pneumologen stets neue Kenntnisse hinzuzuerwerben.

Die Epidemiologie bildet eine Art

„Marktforschung": Die epidemiolo- gische Mitverantwortung des nie- dergelassenen Arztes bei Tuberku- lose — aber auch bei allen ande- ren Infektionskrankheiten — ist von großer Bedeutung. Daneben ist die Betreuung und Führung des

„Chronikers" die Domäne des nie- dergelassenen Pneumologen; eine, wie wir wissen, schwere und ver- antwortungsvolle Aufgabe, die zu- friedenstellend nur in freier Part- nerschaft Arzt—Praxis und nicht in- stitutionell gelöst werden kann.

Soweit einige wenige Hinweise zur Breite des Fachs, zu den qualita- tiven Anforderungen, die „von der Sache her" an den überwiegend mit Lungenkrankheiten beschäftig- ten Arzt herantreten. Wie sieht es mit dem quantitativen Angebot aus? Hier liegt das große Problem in den Ausbildungsstätten. Wir werden darauf zu sprechen kom- men.

Interessant ist es vielleicht, zu die- ser Frage eine Aufstellung für das Land Bayern zu betrachten, die die Zahl der Lungenspezialisten wie- dergibt (Tabelle 3).

Für die Bundesrepublik Deutsch- land sehen die Zahlen (nach den Ermittlungen der Bayerischen Lan- desärztekammer) wie folgt aus:

1956 1458 1958 1395 1964 1223 1966 1541 1967 1506 1968 1475 1969 1457

Die Zahlen der in Berlin tätigen Lungenfachärzte sind dabei nicht enthalten.

Wir kommen damit zum Problem der Weiterbildung und damit gleichzeitig zum Problem der sta- tionären Behandlung. Die „Deut- sche Gesellschaft für Lungen- krankheiten und Tuberkulose" hat sich in einer Kommission unter der Leitung von Ministerialdirigent Professor Göttsching, Stuttgart, eingehend mit den Sachverhalten befaßt.

Sie hat in einer Verlautbarung vom 5. Februar 1975 darauf hingewie- sen, daß etwa 10 Prozent aller Sterbefälle in der Bundesrepublik Deutschland (72 670 von 731 072) sich auf Erkrankungen der Atem- wege beziehen. Wir haben auf- merksam gemacht, daß 15 Prozent aller Patienten, die zur stationären Behandlung eingewiesen werden, an Erkrankungen der Atmungsor- gane leiden. Im Jahre 1972 waren 24 Prozent aller Arbeitsunfähigen wegen Lungenkrankheiten in Be- handlung; der Verlust an Arbeitsta- gen belief sich auf 30 Millionen Tage.

Dem wird die Bettenplanung nicht gerecht. Es unterliegt keinem Zweifel, daß eine Anzahl von Erkrankten mit Lungenkrankheiten nicht in dem mit den gegenwärti- gen, auch finanziellen Mitteln mög- lichen Standard versorgt wird. Es gehört zu den vordringlichen so- zialpolitischen Aufgaben, Voraus- setzungen zu schaffen, daß die be- stehenden Einrichtungen zur sta- tionären Behandlung von Lungen- krankheiten erhalten werden und daß die Zugänglichkeit dieser Insti- tutionen nicht durch historische Relikte der Reichsversicherungs- ordnung erschwert wird. Im Lun- genfach werden im Augenblick in der Bundesrepublik Deutschland weniger als ein Prozent aller Ärzte weitergebildet.

f>

1970 1496 1971 1333 1972 1312 1973 1157 1974 1198 1975 1148

El

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 5 vom 29. Januar 1976 277

(6)

Spektrum der Woche Aufsätze Notizen Lungenheilkunde

Es muß hier etwas getan werden.

Wichtige Punkte sind dabei:

> Die gleichmäßige regionale Ver- sorgung auf dem Gebiete der Lun- genkrankheiten. Das geht nur über die Schaffung regional gut zugäng- licher „Abteilungen für Lungen- krankheiten" im Rahmen der allge- meinen Krankenanstalten, unter Einbindung vorzugsweise in das Fachgebiet innere Medizin. Das ist keine Utopie, sondern eine sozial- politische Notwendigkeit. Erst eine ausreichende Zahl von Weiterbil- dungsstätten gibt Gewähr für eine ausreichende Zahl von Pneumolo- gen in der Praxis.

D Das setzt eine Ausbildung zum Spezialisten auf diesem Gebiet vor- aus, die jedem anderen Speziali- sten gleichwertig ist: Also die volle Weiterbildung, wie sie auch der all- gemeine Internist hat. Eine kürzere Ausbildungszeit würde ihn im Rah- men seiner Fachkollegen, etwa der Kardiologen oder Gastroenterolo- gen, diskriminieren, ihn abwerten.

D Der „kleine Lungenfacharzt" hat wohl nur unter besonderen mate- riellen oder sozialen Bedingungen seine Berechtigung. Auf dem gro- ßen Markt der klinischen Bedürf- nisse für die Pneumologie und als Leiter einer Abteilung in einer Krankenanstalt ist er auf weite Sicht nicht konkurrenzfähig und

nicht entwicklungsfähig. Das Ende dieser Konstruktion ist abzusehen.

Die alten Anstalten für die Behand- lung von Lungenkrankheiten müs- sen den sich verändernden Ent- wicklungslinien angepaßt werden.

Dabei ist besonders darauf zu ach- ten, daß auch an den Universitäten das Fach vertreten ist. Diese Pro- bleme rühren auch daher, daß ein akademischer Nachwuchs nur an ganz wenigen Stellen herangezo- gen werden kann für die Besetzung wesentlicher Positionen. An den deutschen Universitätskliniken wird

„Pneumologie heute nur zu oft noch mit „Lungenfunktionsdiagnostik"

gleichgesetzt. Die Wirklichkeit ist, daß es ein breites klinisches Fach ist. Zur Weiterbildung in diesem Fach gehört auch eine ausreichen- de Zahl von Krankenbetten, damit entsprechende Erfahrungen ge- sammelt werden. Hier sind vielfa- che Möglichkeiten denkbar. Sie müssen nur begangen werden.

Wahrscheinlich ist die administra- tiv beste Erledigung doch die über eine nicht zu große Abteilung mit gleichzeitiger Betreuung weiterer Abteilungen, auf denen Patienten mit Erkrankungen der Atemwege und der Lunge liegen.

Die Forschung auf dem Gebiet der Lungenkrankheiten ist weit ver- streut und wird unkoordiniert be- trieben. Große Summen werden

in die Wiederholung apparativ auf- wendiger Untersuchungen ge- steckt, ohne daß irgendwo ein Koordinationszentrum zu sehen wäre. Das Lungenfach ist organisa- torisch vielfach aufgegliedert. Die

„Deutsche Gesellschaft für Lun- genkrankheiten und Tuberkulose"

sollte sich deshalb bemühen, Koor- dinationsaufgaben wahrzunehmen und aktiv zu gestalten. In die We- ge geleitet sind Arbeitsgruppen für die verschiedensten Bereiche, organisatorisch-technischer und wissenschaftlicher Art.

Das Lungenfach hatte, wie es noch überwiegend Tuberkuloseheilkun- de war, Weltgeltung. Wir drohen in einen fachlichen und organisatori- schen Provinzialismus zu verfallen, wenn wir das Alte ziehen lassen müssen, ohne uns neue Aufgaben uneingeschränkt zu stellen. Für diese geforderte Flexibilität ist aber die breite allgemeine Vorbil- dung des „Pneumologen" mit eine Voraussetzung.

Ein Weg liegt sicher darin, den Arzt für Lungenkrankheiten in die allge- meine Medizin einzubinden, ihm die ganze breite Basis der allge- meinen Medizin zu geben, worum sich Hans Joachim Sewering und andere seit Jahren bemühen: Um durch Anpassungsfähigkeit an den ständigen Wandel den Bestand und die Zukunft der deutschen Pneu- mologie zu sichern und ihr Anse- hen zu erhalten.

Tabelle 3: Zahl der Lungenspezialisten in Bayern (1950 bis 1974) Jahr Gesamtzahl Lungenärzte Prozent

der Ärzte absolut aller Ärzte

1950 11 887 166 1,4

1955 13 096 229 1,7

1960 13 624 248 1,8

1965 14 945 327 3,2

1970 17 408 298 1,7

1974 19 796 283*) 1,4

*) Davon 87 Fachärzte für innere Medizin mit der Teilgebietsbezeichnung „Lun- gen- und Bronchialheilkunde".

(Angaben des Bayerischen Statistischen Landesamtes; Frau Dr. E. Zimmermann sind wir für die Überlassung der Zahlen zu besonderem Dank verpflichtet.)

278 Heft 5 vom 29. Januar 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Anschrift der Verfasser:

Prof. Dr. med. Herbert Blaha 1. Vorsitzender der

Deutschen Gesellschaft für Lungenkrankheiten und Tuberkulose

Zentralkrankenhaus Gauting der Landesversicherungsanstalt Oberbayern

Unterbrunner Straße 85 8035 Gauting

Dr. med. Klaus Hellmann

Vorsitzender des Berufsverbandes der Pneumologen in Bayern Grottenau 2

8900 Augsburg

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