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Spekulation mit Lebensmitteln. Die nicht hinnehmbare „Normalität“

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Spekulation mit Lebensmitteln. Die nicht hinnehmbare „Normalität“

Von Ingo Bordon und Ulrich Volz, Deutsches Institut für

Entwicklungspolitik (DIE)

vom 15.04.2013

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Spekulation mit Lebensmitteln. Die nicht hinnehmbare „Normalität“

Bonn, 15.04.2013. In dem Ende März 2013 er- schienenen Food Price Watch-Bericht stellt die Weltbank fest, dass die Preise für Grundnah- rungsmittel trotz eines leichten Rückgangs wei- terhin auf einem sehr hohen Niveau verharren, lediglich neun Prozent unter den historischen Höchstständen vom August 2012. Der vorherige Food Price Watch-Bericht vom November 2012 beschrieb bereits eine „neue Normalität“ an den Lebensmittelmärkten, die durch hohe und gleich- zeitig volatile Preise charakterisiert ist.

Die anhaltend hohen und volatilen Nahrungsmit- telpreise verursachen laut Weltbank nicht nur Hunger und Unterernährung, sondern auch Fett- leibigkeit. Viele Menschen sehen sich angesichts der hohen Preise gezwungen, sich für billigere, weniger nahrhafte Lebensmittel für ihre Familien zu entscheiden. Menschen mit niedrigem Ein- kommen treffen die Preisanstiege besonders hart, denn sie geben einen außerordentlich hohen Anteil ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus.

In Folge der Nahrungsmittelpreiskrise von 2007/2008 – die zu sozialen Unruhen in Ländern wie Ägypten, Bangladesch, Indonesien, Mexiko, Marokko, den Philippinen, dem Senegal und Tu- nesien geführt hat – stieg die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen laut Schätzung der Weltbank um etwa 130 bis 155 Millionen. Damals erreichten die Preise für Grundnahrungsmittel einen 30-jährigen Höchststand. Seitdem sind die Preise weiter gestiegen.

Auch wenn die Nahrungsmittelpreiskrise somit inzwischen zur unschönen „Normalität“ geworden ist, werden die Ursachen nach wie vor kontrovers diskutiert. Zum Teil können die Preisentwicklun- gen durch fundamentale, realwirtschaftliche Fak- toren erklärt werden. Dazu zählen die wachsende Nachfrage nach Lebensmitteln aus den Schwellen- ländern, die Produktion von Biokraftstoffen oder die spezifischen Angebots- und Nachfragebedin- gungen einzelner Agrarrohstoffe. Auch der schwa-

che Wechselkurs des US-Dollars, in dem die meis- ten Rohstoffe einschließlich Lebensmittel gehan- delt werden, ist ein Faktor.

Die hohe Volatilität der Preise kann jedoch allein mit diesen Einflussgrößen nicht erklärt werden.

Auch wenn dies von Vertretern der Finanzindust- rie und einigen Ökonomen, die immer noch der Illusion vollkommen effizienter Märkte unterlie- gen, nach wie vor vehement abgestritten wird: Es ist kein Zufall, dass die Preisanstiege und die Zu- nahme der Preisvolatilität zeitlich zusammenfallen mit den Deregulierungsmaßnahmen an den Roh- stoffmärkten, wie dem in den USA zur Jahrtau- sendwende verabschiedeten Commodities Futures Modernization Act. Die Liberalisierung führte zu einem Anstieg der Finanzvolumina mit spekulati- vem Hintergrund. Die Hinweise darauf, dass die Preisentwicklung in den Lebensmittelmärkten mit der Finanzialisierung der Rohstoffmärkte – also einem Übergewicht finanzieller gegenüber real- wirtschaftlichen Transaktionen – zusammen hängt, verdichten sich zunehmend. Die deutliche Zunahme der Volumina an Warentermingeschäf- ten für Agrarrohstoffe ging in den letzten Jahren sowohl mit dem dramatischen Anstieg der Preise als auch den drastischen Preisschwüngen einher.

Spekulation ist nicht grundsätzlich schlecht. Ein weniger risikofreudiger Marktteilnehmer, bei- spielsweise ein Bauer, dessen Ernte näher rückt und der sich gegen die nicht vorhersehbare Preis- entwicklung seiner Weizenernte absichern möch- te, trifft eine Vereinbarung am Terminmarkt über den zukünftigen Verkauf seiner Ernte zu einem festgelegten Preis. Der Lebensmittelproduzent, der auf die Ernte des Bauern als Rohstoff angewie- sen ist und die Preisentwicklung ebenso wenig abschätzen kann, wird am Terminmarkt eine Ver- einbarung über den Kauf des Weizens und dessen Lieferung zu einem bereits heute vereinbarten Preis festlegen. Beide benötigen jedoch einen Vertragspartner, einen Spekulanten, der das Preis-

© Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne, 15.04.2013 www.die-gdi.de | www.facebook.com/DIE.Bonn | https://plus.google.com/

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risiko auf sich nimmt. Spekulanten bieten also all jenen, die sich absichern wollen, einen Markt.

Diese Form der Spekulation basiert auf fundamen- talen Angebots- und Nachfragebedingungen und trägt zur Vermeidung der Intensität und Häufig- keit von Preisausschlägen bei.

Die Strategie der Index-Fonds im Bereich der Nah- rungsmittel- und Rohstoffmärkte ist aber eine gänzlich andere. Hierbei geht es nicht um den physischen Erwerb des Basiswertes, wie z. B. den Kauf einer Tonne Weizen vom Bauern, sondern um die Abbildung von Preisentwicklungen. Dazu werden u. a. Warenterminkontrakte an den Ter- minbörsen gekauft, deren Anhäufung zu einem Preisdruck an den sogenannten Kassamärkten führt. An diesen findet die Abwicklung eines Ge- schäfts im Gegensatz zu den Terminmärkten un- mittelbar nach dessen Abschluss statt. Nun kann mit Recht argumentiert werden, dass diese Vor- gehensweise des Nachzeichnens von Preisent- wicklung einen wichtigen Anteil der notwendigen Liquidität der Märkte liefert. Führt aber eine exzes- sive Nachfrage zu einem permanent steigenden Preis am Terminmarkt, der darüber hinaus den Kassapreis systematisch übersteigt, so neigen diese Märkte zur Überhitzung und senden errati- sche Preissignale aus. Spekulation, bei der die Handelsvolumina an den Terminmärkten die tat- sächlich geerntete und nachgefragte Menge um ein Vielfaches übersteigen, wirkt folglich hinsicht- lich der Preisbewegungen verstärkend, in die eine oder in die andere Richtung. Die Preisanstiege von virtuell in den Finanzmärkten gehandelten Le- bensmitteln können somit die Preise real gehan- delter Lebensmittel beeinflussen. Die resultierende

hohe Volatilität sendet schwer zu deutende Preis- signale an Bauern und kann in der einen Phase zu Unter- und in der anderen zu Überproduktion führen sowie mögliche Fehlanreize für Hortung und Lagerhaltung setzen, die ihrerseits zusätzlich preisverzerrend wirken können.

Das Problem ist nicht der Terminhandel an sich, sondern vielmehr die Volumina und die Marktkon- zentration in diesem Segment. Je mehr der Grundnahrungsmittelmarkt zu einem Feld für Finanzspekulationen wird, desto mehr entfernt sich die Preisbildung von ihren fundamentalen Bestimmungsgrößen – und desto größer sind die Auswirkungen auf die Preise für Lebensmittel, die letztlich uns alle betreffen. Selbst wenn spekulati- ve Geschäfte nicht als ausschließliche Ursache für die Preisspitzen in den Lebensmittelmärkten iden- tifiziert werden können, liegt es auf der Hand, dass sie die Preisschwünge verstärken und die Unsi- cherheit erhöhen. Eine angebliche Markteffizienz und Renditeversprechen dürfen den Schutz der Lebensgrundlage nicht unterlaufen. Die neue

„Normalität“ ist nicht hinnehmbar. Zügellose Nahrungsmittelspekulation gehört verboten.

Ingo Bordon, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in Ab- teilung „Weltwirtschaft und Entwicklungsfinan- zierung“, Deutsches Institut für Entwicklungspoli- tik (DIE);

Dr. Ulrich Volz, Senior Lecturer an der School of Oriental and African Studies (SOAS), University of London und Wissenschaftlicher Mitarbeiter in Ab- teilung „Weltwirtschaft und Entwicklungsfinan- zierung“, Deutsches Institut für Entwicklungs- politik (DIE).

© Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne, 15.04.2013 www.die-gdi.de | www.facebook.com/DIE.Bonn | https://plus.google.com/

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