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FS II92-405Energiepolitik in Polen unter Umweltaspekten

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Forschungsprofessur Umweltpolitik Wissenschaftszentrum Berlin

FS I I 92-405

Energiepolitik in Polen unter Umweltaspekten

von Corinna Gerber*

* Dipl.-Politologin; ehern. Wissenschaftliche Hilfskraft an der Forschungsprofessur Umweltpolitik

WZB - Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH Reichpietschufer 50,1000 Berlin 30

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Inhaltsverzeichnis

Seite

1. Einleitung 5

2. Ökologischer Problemdruck in Polen:

Strukturelle Umweltbelastungen durch den Energiesektor 8

2.1 Die Struktur des Energieflusses 10

2.1.1 Energieproduktion 10

2.1.2 Primärenergieverbrauch 12

2.1.3 Endenergieverbrauch 15

2.1.4 Bedeutung der Kohle im Energiefluß 17

2.2 Umweltbeeinträchtigungen durch Primärenergiegewinnung:

Das Beispiel des Kohleabbaus 19

2.2.1 Beeinträchtigungen der Landschaftsstruktur 19

2.2.2 Abfallaufkommen 20

2.2.3 Emission von Luftschadstoffen 21

2.2.4 Beeinträchtigungen der Gewässer 22

2.3 Umweltbeeinträchtigungen durch Sekundärenergiegewinnung 23

2.3.1 Emission von Luftschadstoffen 24

2.3.2 Beeinträchtigungen der Gewässer 25

2.3.3 Abfallaufkommen 28

2.4 Energieverbrauch und Wirtschaftsleistung 29

3. Kapazitätsanalyse 33

3.1 Sozio-kulturelle Kapazität 33

3.2 Wirtschaftliche Kapazität 36

3.3 Institutionelle Kapazität 40

3.3.1 Innovationsfähigkeit 40

3.3.2 Strategiefähigkeit 46

3.4 Ausmaß der Modernisierungskapazität: Eine Voreinschätzung 47

(3)

Seite 4. Entwicklungen in den Jahren 1989 bis 1991 49

4.1 Energiepolitische Outputs 50

4.1.1 Richtlinien der Regierung zur Energiepolitik 50

4.1.2 Ökokonversion 56

4.1.3 Joint-Ventures, Kooperationen und Hilfen 58 4.2 Energiepolitisches Outcome: Die Umstrukturierung des

Energiesektors 60

4.3 Energiepolitische Impacts für die Bereiche Kohleförderung

und Sekundärenergiegewinnung 5 67

4.3.1 Reduzierung von Schadstoffemissionen 68

4.3.2 Schließung umweltschädlicher Betriebe 71 Exkurs: Baustopp der Atomkraftwerke - Beispiel für den

Eintritt neuer Akteure in die Politikarena? 73 Exkurs: Dezentralisierung der Organisationsstruktur 74 5. Bewertung: Vollzieht sich in Polen eine Wende in der

Energiepolitik? 77

6. Zusammenfassung 82

7. Literaturverzeichnis 84

Anhang 89

4

(4)

1. Einleitung

Die politische Wende in Polen im Jahr 1989 setzte zwei Kapazitäten frei, die Voraussetzung für jede freiheitliche Demokratie sind, nämlich die In­

formations- und Meinungsfreiheit sowie die Möglichkeit der Bevölkerung, sich am politischen Willensbildungsprozeß zu beteiligen. Dieser »außerge­

wöhnliche Umstand« (Kitschelt 1983, S. 68), wie diese Wende bezeichnet werden kann, ist geeignet, »die etablierte politisch-ökonomische Macht­

verteilung in den seit Jahrzehnten erstarrten Energiearenen fundamental zu erschüttern und neue energiepolitische Prioritäten zu setzen« (eben­

da). Handelt es sich also auch in der Energiepolitik um die Durchbre­

chung des »circulus vitiosus« (Wagner 1990, S. 129), oder veränderten sich seitdem nicht mehr als »Oberflächenerscheinungen, die am bestehenden (Energie-)System im Grunde nichts ändern, sondern bestenfalls eine neue Variante des alten hervorbringen?« (ebenda, S. 147).

Die Recherchen zur vorliegenden Arbeit begannen im Herbst 1989 und endeten im November 1991 kurz nach den Wahlen in Polen. In dieser Zeit fand ein gleitender Übergang von der alten, kommunistisch gepräg­

ten Verfassung hin zu einer neuen demokratischen Verfassung statt. Mit der ersten freien Wahl des Sejms am 27. Oktober 1991 endete die »Zwi­

schenphase« (Strobel 1991). »Zwischenphase« meint hier nicht nur eine Zeit, die durch einen Übergangsstatus der Verfassung geprägt war, son­

dern auch eine Zeit, in der große wirtschaftliche (Balcerowicz-Plan) und institutionelle Reformen durchgeführt wurden. Während dieser Phase fand ein Regierungswechsel statt und die Handelsbeziehungen mit der ehemaligen Sowjetunion, Polens wichtigstes Importland, kamen praktisch zum Erliegen.

Aufgabe der vorliegenden Arbeit ist es, die Energiepolitik Polens un­

ter Umweltaspekten zu untersuchen. Das bedeutet, Aspekte der Umwelt in die Analyse von Energiepolitik einzubeziehen. Obwohl dies eigentliche eine Selbstverständlichkeit sein sollte, da Energieumwandlung und Um­

weltverschmutzung »zwei Seiten einer Medaille sind« (United Nations 1991, S. 104), wird diesem Tatbestand erst in jüngster Zeit Aufmerksam­

keit geschenkt. Deshalb ist auch heute noch der Zusatz »unter Umwelt­

aspekten« unerläßlich.

(5)

Erst nach der Energiekrise von 1973 setzte weltweit ein Umdenken ein, hin zu einem umfassenderen Verständnis von Energiepolitik, das die

»zweite Seite der Medaille«, die Umwelt, mit einbezieht. Umwelt als Ein­

flußfaktor auf und Umwelt als Wirkungsraum von Energiepolitik sind so­

mit ein Bezugssystem von Energiepolitik. Ein anderes ist der polnische Staat, ein nationaler Territorialstaat. Easton warnt davor, ihn gleichzuset­

zen mit dem politischen System. Die Landesgrenzen eines Staates würden mehr über die Geographie eines Staates und das einzelstaatliche Rechts­

systems etwas aussagen als über das politische System (vgl. Easton 1965, S. 67). Vorsicht gegenüber dem Begriff Staat ist bei einer Fallstudie über Polen um so mehr geboten, als daß sich die polnische Gesellschaft auf­

grund historischer Gegebenheiten nie mit dem Staat sonderlich identifi­

ziert hat (vgl. Hahn 1985, S. 13). Der »Staat« ist besonders in Polen ein

»abstraktes Gebilde« (Jänicke 1986, S. 193). Ob er wie ein handelndes Subjekt betrachtet werden kann, ist eine offene Frage.

Methodologisch folge ich in dieser Arbeit dem Konzept der »Politik­

feldanalyse«, die in der Hauptsache den inhaltlichen und materiellen Aspekt von Politik thematisiert (Schubert 1991, S. 26). Im Unterschied zur

»klassischen« und »politischen« Fragestellung wird

»in der Politikfeldanalyse die Frage gestellt, welches Resultat (policy) sich er­

gibt, wenn in einem gegebenen politischen System (polity) eine bestimmte - aber prinzipiell veränderbare - Problemlösungsstrategie (politics) eingeschla­

gen wurde oder - antizipierend - eingeschlagen werden soll« (Jann, zit. in Schubert 1991, S. 27).

Dabei unterscheidet man zwischen dem, was zu einer bestimmten Politik führt (Input), und dem, was dabei herauskommt (Output, Outcome, Im­

pact).1 Diese Unterscheidung erleichtert die Analyse der Einflußfaktoren auf eine bestimmte Politik und deren Ergebnis erheblich.

Die beiden Hauptkapitel der vorliegenden Arbeit (2. und 3. Kapitel), die Analyse des ökologischen Problemdrucks in Polen und die Analyse der vorhandenen Kapazitäten zur Problembewältigung, können als »In­

put«, als Voraussetzungen polnischer Energiepolitik betrachtet werden.

»Output« ist Thema des dritten Kapitels in den Jahren 1989 bis 1991.

Durch die in der Gliederung vollzogene Trennung der Begriffe »öko­

logischer Problemdruck« und »Kapazität« und deren Zuordnung zum In­

put der Energiepolitik, erscheinen sie auf den ersten Blick in ihrem Be- 1 Dieses von Easton entwickelte Modell (Easton 1965, S. 112) wurde in neuerer Zeit

verfeinert dargestellt als Policy-Cycle. An der Unterteilung Input/Oütput änderte sich jedoch nichts.

6

(6)

deutungsinhalt beschnitten. Da sich ihre Bedeutungsinhalte jedoch auch durch die beiden folgenden Kapitel ziehen, werden sie in ihrer Aussage­

kraft nicht geschmälert.

Das somit eigentlich »nachgeschaltete« Entwicklungskapitel (4. Kapi­

tel) sucht dem Umstand Rechnung zu tragen, daß in Polen als einem ost­

europäischen Land im Umbruch die Dimension Zeit eine große Bedeu­

tung hat. Dies ist in der Politikfeldforschung, die ihren Schwerpunkt in der Analyse westlicher Industrieländer hat, bisher nicht thematisiert worden.

In einer abschließenden Bewertung (5. Kapitel) wird der Frage nach­

gegangen, ob sich eine Wende in der Energiepolitik in der Zeit der Zwi­

schenphase vollzogen hat oder andeutet. Eine abschließende Bewertung des Ausmaßes der »Modernisierungskapazität« (Jänicke) ermöglicht die Einschätzung der Energiepolitik in Polen unter Umweltaspekten.

(7)

2. Ökologischer Problemdruck: Strukturelle Umwelt­

belastungen durch den Energiesektor

Umweltbelastungen durch den Energiesektor fallen nicht sporadisch hin und wieder an, sondern treten ständig auf; sie haben zudem eine bestimm­

te Struktur. Eine »strukturelle Umweltbelastung« ist eine

»regelmäßig anfallende produktions- oder infrastrukturbedingte Umweltbe­

einträchtigung, die mit hohen Umweltschutzerfordemissen verbunden ist, un­

abhängig davon, ob und wie weitgehend diesen Rechnung getragen wird«

(Jänicke/Mönch 1990, S. 2).

Eine solche Umweltbelastung soll im folgenden am Beispiel des polni­

schen Energiesektors untersucht werden.1 Ausgehend von der Auffassung, daß ein solcher Problemdruck relativ unabhängig von der Wahrnehmung durch die Bevölkerung und/oder durch Handlungsträger von Politiken ist, es sich um für jedermann »unübersehbare Schadensfolgen« (Jänicke 1989, S. 10) handelt, wird die Analyse auf diejenigen Schadensfolgen be­

schränkt, die in der Hauptsache durch den Energiesektor verursacht wur­

den.

Unter dem Begriff Energiesektor wird die Energieproduktion, der Ex­

port und Import von Energieträgern, die Umwandlung von Primärener­

gieträgern in Sekundärenergieträger (Energieumwandlungsindustrie) so­

wie der Verbrauch von Primär- und Sekundärenergie verstanden.

Wie kann man die durch den polnischen Energiesektor verursachte strukturelle Umweltbelastung beschreiben? Hierzu werden die charakteri­

stischen Merkmale wie die Struktur des Energieflusses und der Zusam­

menhang zwischen Energieverbrauch und Wirtschaftsleistung herangezo­

gen. Eine genauere Betrachtung erfahren anschließend die Bereiche Koh­

leabbau und Stromerzeugung als herausragende Beispiele für strukturelle Ursachen des ökologischen Problemdrucks durch den Energiesektor.

1 Im Vergleich zu anderen Industrieländern gehörte Polen im Jahr 1980 zu der Grup­

pe der am höchsten strukturell belasteten Länder, verglichen mit Indikatoren des Jahres 1970; vgl. Jänicke/Mönch/Ranneberg 1986, S. 21.

8

(8)

Abbildung 1: Energieflußdiagramm Polens 1990

IMPORT 1 0 5 9 , 4

IN L Ä N D IS C H E PRODUKTION 4 1 2 6 . 2

IN L Ä N D IS C H E S ENERGIEAUFKOMMEN 5 1 8 5 . 6

PRIMÄRENERGIEVERBRAUCH 4 Z 2 2 . 5 1

d a v o n :2

FESTE BRENNSTOFFE 3 2 6 2

EXPORT 9 1 5 , 8

ÄNDERUNG DES VORRAT^

- 4 7 . 2

GESAMTVERBRAUCF

>D. UMWANDLUNGS­

SEKTORS 1 3 9 3 .9 4 davon:

UMWANDLUNGSVERLUSTE 1070.6 EIGENVERBRAUCH

275 VERTEILUNGS- VERLUST 48 ,3-

ÖLPRODUKTE 4 3 5 , 7

ENDENERGIEVERBRAUCH D. SEKTOREN

IN D U S T R IE 11 91

ANOERE3 1 3 6 6 . 3

TRANSPORT I 1 7 0 0

E r l ä u t e r u n g e n :

1 ) m i t s t a t i s t i s c h e n D i f f e r e n z e n von 1 4 . 3 PJ l a u t A n g ab e

2 ) D ie Z a h le n f ü r d i e A u f t e i l u n g i n P r i m ä r e n e r g i e t r ä g e r n stam m en a u s e i n e r v e r g l e i c h b a r e n T a b e l l e von GUS ( G o s p o d a r k a P a l i w o w o - E n e r g e t y c z n a , 1 9 9 1 ) 3 ) D ie Summe d es s e k t o r a l e n V e r b r a u c h s d i f f e r i e r t m i t d e r A n g a b e d e s E n d e n e i_

g i e v e r b r a u c h s um 1 1 4 , 5 P J . Aus d e r Q u e l l e g e h t n i c h t h e r v o r , ob es s i c h d a b e i um w e i t e r e V e r l u s t e d e s Umwand 1u n g s s e k t o r s h a n d e l t .

4 ) D e r W ä r m e v e r b r a u c h w i r d i n d e r G U S - S t a t i s t i k m i t 8 1 2 PJ a n g e g e b e n . 5 ) d a r u n t e r L a n d w i r t s c h a f t . H a n d e l , ö f f e n t l . und p r i v a t e H a u s h a l t e

Quelle: eigene Graphik nach Cofala (1991)

(9)

2.1 Die Struktur des Energieflusses

Einen Überblick über den Energiefluß in Polen gibt das Energieflußdia­

gramm auf S. 9 (Abbildung 1).

2.1.1 Energieproduktion

Eine Besonderheit der polnischen Energiesituation besteht im U nter­

schied zu den anderen kleineren osteuropäischen Staaten darin, daß Po­

len wegen seiner großen Stein- und Braunkohlevorkommen (siehe Abbil­

dung 2) bis jetzt in der Lage war, seinen Primärenergiebedarf hauptsäch­

lich aus eigenen Quellen zu decken, im Jahr 1990 gelang das zu 96,4 %.2 Deswegen trat in Polen, anders als in seinen ehemaligen Bündnisländern, infolge der politischen Veränderungen kein »Energieschock« (vgl. Kramer 1991) ein.3

Während etwa ein Viertel des Erdgasverbrauchs durch eigene Vor­

kommen im Jahr 1990 gedeckt werden konnte4, deckte die inländische Förderung von Erdöl nur zu einem Prozent den Eigenbedarf (siehe Abbil­

dung 3).5 Die installierte Leistung der Wasserkraftwerke betrug im Jahr 1990 2 005 MW, davon war die Kapazität der Pumpspeicherwerke 1 330 MW groß (vgl. ECE 1991a, S. 5.) Windenergie wurde im Jahr 1990 aus nur einer Turbine des Pilotprojektes in Swarzew bei Danzig gewonnen (vgl. MOSZNIL 1991a, S. 48).

2 Diese Prozentzahl ergibt sich aus der Einfuhrmenge von 1 004 PJ abzüglich der Ex­

portmenge von 849 PJ im Verhältnis zur Gesamtprimärenergieverbrauchsmenge von 4 342,3 PJ im Jahr 1990. Die Daten sind dem statistischen Material des DIW, Stand 11. November 1991, entnommen.

3 Kramer beachtet in seinem Artikel diesen Unterschied nicht (vgl. Kramer 1991, S. 85-96).

4 Von 417,8 PJ Erdgasverbrauch im Jahr 1990 kamen 124,5 PJ aus eigenen Quellen (Daten des DIW, Stand 11. November 1991).

5 Von 578 PJ Ölverbrauch wurden 5,8 PJ in Polen gefördert (Daten des DIW, Stand 11. November 1991). Die Daten des DIW stimmen nicht mit den im Energieflußdia­

gramm dargestellten Daten überein. Dies resultiert hauptsächlich in den differie­

renden Umrechnungsfaktoren.

10

(10)

Abbildung 2: Kohleproduktion Polens 1979 -1991*

Steinkohle und Braunkohle (in Millionen Tonnen)

--- I

M io.t.

B raunkohle H B l S te in ko h le

Abbildung 3: Erdöl-, Wasserkraft- und Erdgasproduktion in Polen 1979 -1991* (in PJ)

pj

Erdöl K M W a s s e rk ra ft I I Erdgas

Quelle für Abbildung 2 und 3: eigene Graphik nach Datenbank des DIW, 1991; eige­

ne Berechnungen aufgrund von Datenmaterial bis September 1991

(11)

2.1.2 Primärenergieverbrauch

Feste Brennstoffe, nämlich Stein- und Braunkohle, machten einen Anteil von 77 % des gesamten polnischen Primärenergieverbrauchs im Jahr 1990 aus, das sind 3 262 PJ von insgesamt 4 222,5 PJ.6 Ihr Anteil ist seit 1982 nur minimal gesunken, zwischen den Jahren 1989 und 1990 jedoch erstma­

lig um fast 1 Prozentpunkt.7 So blieb die Kohle bis jetzt Primärenergie­

träger Nummer eins (siehe Abbildung 4).

Abbildung 4: Primärenergieverbrauchsstruktur nach Energieträgern in Polen 1970 -1988 (in %)

1970 1976 1982 1988

1973 1979 1985

Quelle: Ministry of Industry (1990b)

Im Jahr 1990 betrug der Steinkohleanteil am Primärenergieverbrauch 64 %, der Braunkohleanteil 13 %, der Gasanteil 9 %, der Ölanteil 13 % und der Anteil sonstiger Primärenergieträger 1 %. Gegenüber der Zeit vor der Wende hat sich demnach die Struktur der Primärenergieträger nur geringfügig verändert: D er Anteil der Steinkohle sank im Vergleich 6 Schwankungen bezüglich der Prozentzahl resultieren aus unterschiedlichen Daten­

reihen: Verglichen mit der mir vorliegenden GUS-Statistik kommt man mit 77,2 % auf ein ähnliches Ergebnis. Die Zahlenreihen des DIW geben dagegen einen Anteü von 75,5 % an.

7 Von 76,5 % auf 75,1 % nach der DIW-Datenreihe.

12

(12)

zum Jahr 1988 um 4 %, dafür stieg der Anteil der Braunkohle und des Gases um jeweils 2 %, der des Öls um 1 % (siehe Abbildung 5).

Dies ist insofern ein bemerkenswerter Befund, als daß zwischen den Jahren 1989 und 1990 ein Primärenergieverbrauchsrückgang um 17 % (von 5 097 PJ im Jahr 1989 auf 4 229 PJ im Jahr 1990) zu verzeichnen ist.

Der Steinkohleverbrauch sank in dieser Zeit von 3 404 PJ auf 2 695 PJ, das sind 21 % (siehe Abbildung 6). Kernenergie wurde nicht eingesetzt (siehe Energieflußdiagramm, Abbildung 1).

Abbildung 5: Primärenergieverbrauch Polens 1988 und 1990 nach Energie­

trägern (in %)

Quelle: eigene Graphik nach GUS (1989,1991)

Abbildung 6: Primärenergieverbrauch Polens 1988 und 1990 nach Energie­

trägern (in PJ)

pj

1990 H l 1989 CZj 1988

Quelle: eigene Graphik nach GUS (1989, 1991)

(13)

Berücksichtigt man, daß die Wärmeproduktion im Jahr 1990 zu 84 % auf dem Primärenergieträger Kohle basierte (siehe Abbildung 7) und die Elektrizität zu 57 % aus Steinkohle und zu 42 % aus Braunkohle gewon­

nen wurde (siehe Abbildung 8), so ist die Kohle auch für den Bereich der Sekundärenergieproduktion wichtigster Energieträger.

Abbildung 7: Der Einsatz von Energieträgern zur Wärmeproduktion 1990 (inP Jund %)

Quelle: eigene Graphik nach GUS (1991)

Abbildung 8: Der Einsatz von Energieträgern zur Elektrizitätsgewinnung 1990 (in PJ und %)

Sonst. 23 2%

Braunk. 546 42%

Quelle: eigene Graphik nach GUS (1991)

14

(14)

2.1.3 Endenergieverbrauch

Ein Drittel der im Inland aufgebrachten Energiemenge (das ist die Ener­

gieproduktion abzüglich der Export-, und zuzüglich der Importmenge so­

wie der Veränderung der Reserven) von 4 222,5 PJ8 ging im Jahr 1990 durch Umwandlungs- (1 070,6 PJ) und Verteilungsverluste (48,3 PJ) sowie durch den Eigenverbrauch der Energieindustrie (275 PJ) verloren. Der Energieverbrauch zur Produktion und Verteilung von Sekundärenergie belief sich auf 1 393,9 PJ (siehe Energieflußdiagramm, Abbildung 1).

Die hohen Umwandlungsverluste resultieren aus dem Einsatz veralte­

ter Techniken: Etwa ein Drittel der 1989 eingesetzten Kessel war älter als 20 Jahre (siehe Tabelle 1) (vgl. Beldowski 1990a, S. 2).

Tabelle 1: Age o f boilers and turbosets in Polish public power stations

Ordinary

number Wiek (Age)

Boilers Turbosets

number capacity t/h

percentage o f capacity

%

number

installed capacity MW

percentage of total installed

capacity %

1. below 10 years 48 31014 31,7 50 9787 36,5

2. 10 - 20 years 75 35179 35,9 72 10010 373

3. 20 - 30 years 79 20505 21,0 76 5646 21,0

4. above 30 years 113 11160 11,4 59 1383 5 3

total 315 973 58 100.0 257 26826 100,0

Quelle: Beldowski (1990a)

Dies ist der Grund für eine hohe Energieintensität der Produktion: Setzt man die Menge des Primärenergieverbrauchs in Beziehung zu 1 000 US- Dollar pro Bruttoinlandsprodukt (BIP) bzw. Bruttosozialprodukt (BSP), kann die Energieintensität der polnischen Wirtschaft in Beziehung gesetzt werden zu der Energieintensität anderer Staaten. Im Jahr 1988 hatte Po­

len eine vierfach so hohe Energieintensität als die Bundesrepublik (vgl.

Salay 1989, S. 25) - oder anders ausgedrückt: Die Energieintensität Polens war 1988 mit 1,15 Tonnen/1 000 US-Dollar des BSP um 83 % höher als der Durchschnittswert von 30 OECD-Ländern zuzüglich der osteuropä­

ischen Länder mit 0,63 Tonnen/1 000 US-Dollar des BSP.9

8 Statistische Differenzen bestehen zu 14,3 PJ des Primärenergieaufkommens.

9 Vgl. ECE (1990a, S. 2). Nicht angegeben wird bei diesen Zahlen, wie das BSP Po­

lens errechnet worden ist. In Polen wird die wirtschaftliche Gesamtrechnung noch im Netto-Material-Produkt angegeben.

(15)

Die 1990 verbrauchte Endenergie bestand zu 26 % aus dem Energie­

träger Wärme, zu 24,7 % aus festen Brennstoffen, zu 15,3 % aus Ölpro­

dukten, zu 12,4 % aus Elektrizität, zu 13,4 % aus Gas und zu 8,1 % aus sonstigen Energieträgern. (Die Struktur des Endenergieverbrauchs nach Energieträgern für einzelne Sektoren kann dem Anhang entnommen wer­

den.)

Dies unterscheidet osteuropäische Energiesysteme von westeuropäi­

schen, die nicht in dem gleichen Maße auf feste Brennstoffe angewiesen sind. Polen übertrifft darüber hinaus jedoch alle anderen osteuropäische Länder in der Verwendung von Kohle im Endenergieverbrauch (vgl.

Hughes 1991, S. 82).

Die Struktur des Endenergieverbrauchs nach Sektoren hat sich im Vergleich mit dem Jahr vor der Wende im Jahr 1990 geringfügig geändert:

D er Anteil der Industrie, einschließlich der Energiegewinnungsindustrien, wuchs um drei Prozentpunkte auf 49 %. Der Anteil des Sektors »Andere«, inklusive Landwirtschaft, Handel, private und öffentliche Haushalte, fiel um drei Prozentpunkte auf 45 % (siehe Abbildung 9). Der Anteil des Transportsektors blieb konstant bei 6 %.10

Abbildung 9: Struktur des Endenergieverbrauchs nach Sektoren 1988 und 1990 (in PJund in %)'

* einschließlich Landwirtschaft, Handel, Haushalte

Quelle: eigene Graphik nach Cofala (1991)

10 Die Daten des Endenergieverbrauchs nach Sektoren und Energieträgern in PJ und % sind im Anhang beigefügt. Im Jahr 1989 kamen auf 38 Millionen Einwoh­

ner 4,85 Millionen PKW. Diese Zahl von: Ministerstwo Transportu i Gospodarki Morskiej (1989a, S. 1).

16

(16)

In absoluten Zahlen fiel der Endenergiebedarf (einschließlich Energiege­

winnungsindustrien) von 3 894,2 PJ im Jahr 1988 auf 3 117,8 PJ im Jahr 1990, das sind 20 %. Der Stromverbrauch (einschließlich der Energiege- winnungsindustrien) fiel dagegen in dem Vergleichszeitraum nur um 7 % auf 439,6 PJ im Jahr 1990. Hier verschob sich der Anteil der Industrie um 4 % zugunsten des Sektors »Andere«.11 Dies ist auf den Anstieg des Stromverbrauchs der privaten Haushalte zurückzuführen. Eine weitere Erhöhung des Stromverbrauchs in diesem Bereich gilt wegen der Zunah­

me der elektrischen Haushaltsgeräte, insbesondere der Fernseher, als wahrscheinlich (siehe Abbildung 10).11 12

Abbildung 10: Stromverbrauch nach Sektoren 1988 und 1990 (in PJ und in %)

En.-Ind. 92,7 20%

Transport 24, 5%

1988

6

Industrie 190,9 0%

Transport 23,9 5%

Andere' 166 35%

En.-Ind, 85 20%

1990

Industrie 158,7 36%

Andere' 171,2 39%

* einschließlich Landwirtschaft, Handel, Haushalte

Quelle: eigene Graphik nach Cofala (1991)

2.1.4 Bedeutung der Kohle im Energiefluß

Insgesamt kann man sagen, daß die Kohle in Polen unverändert Energie­

träger Nummer eins ist: die Energiegewinnung, die Energieumwandlung und der Endenergieverbrauch beruhen hauptsächlich auf dem Brennstoff Kohle.

Die Produktion und der Verbrauch von Kohle sowie ihre Umwand­

lung zu Sekundärenergieträgern birgt für Mensch und Umwelt verschiede- 11 Daten von Cofala (1991).

12 Laut Auskunft von Mitarbeitern des Industrieministeriums im August 1991.

(17)

ne Gefahren. Schädigungen der Luft entstehen bei Gruben durch den Ausstoß von (ungenutztem) Methangas und anderer Schadstoffe. Durch die Verbrennung von Kohle werden Kohlendioxid (CO2), Schwefeloxide (SOX), Stickoxide (NOX) und Staub in die Luft abgegeben. Große Men­

gen Mutterboden wird durch den Braunkohleabbau abgetragen. Außer­

dem entstehen beim Kohleabbau riesige Abfallmengen in Form von Ab­

raum, sowie Schlacke und Asche durch die Verbrennung von Kohle. Was­

ser wird sowohl durch den Kohleabbau als auch durch die Verwendung im Kühlungskreislauf der Kraftwerke verschmutzt (siehe Abbildung 11) (vgl.

Hall et al. 1986, S. 366).

Abbildung 11: Environmental impacts o f the coal-fuel cycle

Quelle: Hall et al. (1986, S. 366)

18

(18)

Die Arbeit unter und über Tage ist mit hohen gesundheitlichen Risiken verbunden, z. B. durch Explosionsgefahr, Krebs, Gehörschädigungen, U n­

fallgefahren (ebenda, S. 417).

Die Schädigungen der Umwelt, nicht nur durch den Energiesektor, haben dazu beigetragen, daß die Lebenserwartung der Polen gegenüber westeuropäischen Ländern erheblich niedriger ist: für Männer liegt sie bei 67 Jahren, für Frauen bei 75 Jahren (vgl. MOSZNIL 1991a, S. 36).

2.2 Umweltbeeinträchtigungen durch Primärenergiegewinnung:

Das Beispiel des Kohleabbaus

Umweltbeeinträchtigungen durch den Kohleabbau geschehen auf vielfälti­

ge Weise. In der Hauptsache handelt es sich hierbei um Beeinträchtigun­

gen des Grund- und Oberflächenwassers, das Abraumproblem (Entsor­

gung von ungenutzten Stoffen, Zerstörung der Landschaft) und das (unge­

nutzte) Abfackeln von Methangas.

2.2.1 Beeinträchtigungen der Landschaftsstruktur

Bei der Braunkohleförderung wird großflächig Mutterboden abgetragen, wodurch ganze Landschaftsstrukturen verändert werden. Davon betroffen sind weite Teile Polens: vom Sudetenrand im Westen bis zum Heilig- Kreuz-Gebirge im Osten und bis zur Ostsee im Norden. Das Größte Ab­

baugebiet befindet sich bei Belchatöw, südlich von Lodz (siehe Karte 1).

Die Steinkohlevorkommen sind auf drei Hauptabbaugebiete (Kato­

wice, Lublin und Dolnoslaskie) konzentriert. Das größte Steinkohlerevier in Polen ist das Oberschlesische Steinkohlebecken. Es gehört mit einer Gesamtfläche von ca. 5 400 Quadratkilometern zu den größten Europas, wovon 82 % auf polnischem Gebiet liegen (4 450 Quadratkilometer). Von 192 Millionen Tonnen geförderter Steinkohle kamen im Jahr 1984 98 % aus Oberschlesien (vgl. Kapala 1988, S. 117).

Im Jahr 1989 gab es 70 Steinkohleminen, davon 65 im oberschlesi­

schen Steinkohlebecken (vgl. IEA 1991, S. 132).

Insgesamt ist von der Kohleförderung ein Gebiet von ca. 100 000 Hek­

tar betroffen. Im Jahr 1988 konnten lediglich 3 514 Hektar rekultiviert werden. Weitere 5 Millionen Hektar Land sind insbesondere durch die

(19)

Absenkung des Grundwasserspiegels durch den Braunkohletagebau von der Versteppung bedroht (vgl. Schreiber/Faust 1991, S. 28).

Karte 1: Location o f hard and brown coal deposits

Quelle: IEA (1991, S. 131)

2.2.2 Abfallaufkommen

Das Abfallaufkommen durch den Kohleabbau betrug im Jahr 1990 660,5 Millionen Tonnen, das sind 40,3 % des gesamten polnischen Industrieab­

falls. Im Vergleich mit dem Jahr 1988 ist das Abfallaufkommen in diesem Bereich um 21,7 Millionen Tonnen gestiegen (vgl. GUS 1991, S. 204; GUS 1989, S. 127).

20

(20)

2.2.3 Emission von Luftschadstoffen

Durch die Verbrennung fossiler Energieträger - und in besonderem Maße durch die Verbrennung von Kohle - entstehen schädliche Einwirkungen für die Luft, vor allem durch die Oxide des Kohlenstoffs (CO2 und CO), des Stickstoffs (NOX) und des Schwefels (SO2). Schwefeldioxide und Stickoxide verbinden sich mit Wasser zum »sauren Regen«, der als Haupt­

verursacher des Waldsterbens gilt (Hall et al. 1986, S. 389 ff.). So sind in Polen 49,4 % der gesamten Waldfläche von 8 654 Hektar geschädigt (Stand: 1989; vgl. ECE 1990b, S. 27).

Die Emission von Luftschadstoffen durch den Kohleabbau sind im Vergleich der Energieumwandlungsindustrien gering: In der zweitgrößten Steinkohlezeche Piast mit einer Jahresförderung von 7,4 Millionen Ton­

nen betrug die SO2-Emission im Jahr 1989 1 100 Tonnen, in einer mittel­

großen Steinkohlezeche, Czeszott (Jahresförderung 2 Millionen Tonnen;

vgl. IEA 1991, S. 132), betrug sie 533 Tonnen (siehe Tabelle 2).

Tabelle 2: Luftschadstoffausstoß der Kohlegruben - Aus der Liste der 80 umweltschädiichsten Betriebe im Jahr 1989

Gas*

t/Jahr

davon: Staub

t/Jahr

s o 2

%

NOX

%

CO

%

SKB Czeszott 533 49,7 26,5 21,6 94

SKB Piast 1 100 43,3 13,8 39,1 113

K Boleslaw 7 500 70,4 k. A. 24,0 332

* ohne CO2

BKG = Braunkohlegrube

K = Kombinat; Boleslaw: Hütte SKB = Steinkohlebergbau

Quelle: GUS (1990b, S. 35 f.)

Eine weitere Emissionsquelle ist das Abfackeln von Methangas. Im Jahr 1988 betrug die Höhe des Ausstoßes 1 035 Millionen Kubikmeter. Die Gruben »XXX-Lecie PRL« und »Brzeszcze« waren mit 350 m3/m in bzw.

240 m3/m in die größten Emittenten.13

13 Hard Coal Committees/Brown Coal and Power Committee (1989, S. 17).

(21)

2.2.4 Beeinträchtigungen der Gewässer

Für die Kohleförderung verbrauchte man im Jahr 1989 täglich 612 Millio­

nen Kubikmeter Wasser. Nach Gebrauch dieses Wassers war ein Anteil von 57,8 % nicht mehr wirtschaftlich nutzbar. Die verwendete Wasser­

menge wurde mit 540 Tonnen/Tag Sulfaten und mit 4 618 Tonnen/Tag Chloriden belastet (siehe Tabelle 3).

Tabelle 3: Verschmutzung der Grubengewässer im Jahr 1989 Insge­

samt Mio. m3

nicht mehr wirtschaftl.

nutzbar

Sulfate

t/Tag

Chloride

t/Tag

Mio. m3 %

Insgesamt 612 354 57,8 540 4 618

BKG Konin 95 74 78,0 10 6

K Boleslaw* 138 62 44,6 56 5

K Siarkopol 44 44 100,0 175 311

K Sulejöw 29 29 100,0

BKG Adamöw 99 23 22,7 4 2

BKG Turöw 25 18 73,6 9 2

SKB Komuna Paryska* 30 14 47,4 7 6

SKB Ziemovit* 22 13 58,5 67 1240

SKB Jaworzno* 36 12 34,0 30 130

SKB Piast* 12 11 92,4 123 2 668

SKB Siersza* 19 10 50,2 6 0,3

SKB Wesola* 10 9 90,5 10 87

SKB Gen. Zawadzki* 11 8 72,8 6 6

SKB Niwka-Modrzejöw* 8 7 88,5 11 100

SKB Czeczott 6 6 99,3 0,4 0,2

SKB Siemianowice* 14 6 43,0 6 2

SKB Katowice* 5 4 79,9 10 17

SKB Pstrowski* 9 4 45,7 10 36

BKG = Braunkohlegrube K = Kombinat

Boleslaw: Hütte

Siarkopol: Schwefelproduktion Sulejöw: Kalkproduktion SKB = Steinkohlebergbau

* = Anlage befindet sich in der Region Katowice/ Oberschlesien Quelle: GUS (1990b, S. 96 f.)

22

(22)

Sind somit große Mengen Wassers durch Versalzung nicht mehr ökono­

misch verwendbar (liegen also unter der Wasserqualität Stufe IV)14, so wird die Menge von ungenutztem Wasser noch um diejenige Wassermen­

ge mit der Qualität I und II vergrößert, die mangels technischer Tren­

nungsvorrichtungen von versalzten Wassermassen oder mangels Rohrlei­

tungen nicht genutzt werden. 1989 verlor man im Braunkohleabbaugebie­

tes Belchatöw in der Region Piotrköw ca. 168 Millionen m3 Wasser der Qualität I und II. Das gleiche geschah mit 38 Millionen m3 unverschmutz­

ten Wassers in der Region Konin (vgl. Japan Consulting Institute 1991, S. 6-15).

Darüber hinaus ergaben Messungen im Jahr 1991, daß in den schlesi­

schen Grubengewässern eine erhöhte Radiumkonzentration vorliegt. Im Chwalowicki-Graben, durch den früher Wasser aus der Grube Jankowice floß, ist eine Radium-226-Konzentration von 157 kBq/kg gemessen wor­

den (vgl. Spotkania vom 31. Juli 1991).

2 J Umweltbeeinträchtigungen durch Sekundärenergiegewinnung

Da die Sekundärenergiegewinnung in Polen hauptsächlich auf dem Ener­

gieträger Kohle basiert, sollen hier die Belastungen der Umwelt durch die Gewinnung von Wärme und Elektrizität durch die Kraftwerke untersucht werden.

Die Stromproduktion betrug im Jahr 1990 136 TWh (1989: 145 TWh), die installierte Leistung 32 GW (vgl. Computer Centre of Power System 1991). Die installierte Wärmekraftleistung betrug im Jahr 1989 8 GW (vgl.

Ministry of Industry 1990b, S. 8).

14 Die Einstufung der Wasserqualitäten:

I CI' + SO42" < 600 mg/1 (trinkbares Wasser)

II CI' + SO42' = 600 - 1 800 mg/1 (industriell nutzbares Wasser) III Cl' + SO42' = 1 800 - 42 000 mg/1 (beschränkt reinigungsfähig)

IV CI" + SO42' > 42 000 mg/1 (unter Umständen nur von chemischer Industrie zu reinigen)

Unterscheidung nach: Bibler/Glickert/Machesky (1991, S. 30).

(23)

2.3.1 Emission von Luftschadstoffen

Hauptemittenten von Luftschadstoffen sind die Kraftwerke. Viele von ih­

nen liegen neben den Kohlegruben, die sich zum großen Teil im ober­

schlesischen Industriegebiet befinden. Dort kam es wegen der zusätzlichen Ansiedlung von Industrie und der damit verbundenen Dichte der Einwoh­

nerzahl, die durch den Hausbrand ihrerseits zur Luftbelastung beiträgt, zu einer regional verstärkten Umweltbelastung (vgl. dazu Schreiber 1984, S. 31).

Die Ansiedlung anderer Industrien in der Nähe der Energiegewin­

nungsindustrien bzw. der Einbeziehung der Energiegewinnungsindustrien in verarbeitende Industriezweige durch Kombinate erschwert die Messung der Schadstoffbelastung der Luft, die allein durch die Energiegewinnungs- bzw. Energieumwandlungsindustrie verursacht wird.

Da die nationale Umweltstatistik (Ochrona Srodowiska), herausgege­

ben des staatlichen Statistikamtes GUS, auf die Angabe einzelner Emit­

tenten verzichtet und die Schadstoffbelastungen nur nach Woiwodschaf­

ten untergliedert, bestehen bis heute lediglich Schätzungen über die Höhe der Schadstoffbelastung der Luft durch den Energiesektor.

Anhand einer Studie des Umweltministeriums konnten sich jedoch ei­

nige Hauptemittenten benennen lassen. Größter Emittent in einer »Liste der 80 umweltschädlichsten Betriebe«, die im Jahr 1990 veröffentlicht wurde, ist das Kraftwerk Belchatöw mit einem Gasausstoß von 475 900 Tonnen jährlich (Stand: Januar 1990; siehe Tabelle 4, S. 26).

Diese Zahlen sind nur bedingt verläßlich, denn sie sind nicht frei von den Auswirkungen der sozialistischen Handhabung von Statistiken15, die durch den Gebrauch von Statistiken »als Waffe im Kampf der Agitation gegenüber den kapitalistischen Staaten« (Donda 1961, zit. in Schreiber 1984, S. 32 f.) nicht auszuschließen ist. Schon vor der Wende klafften die mathematischen Berechnungen von Schadstoffemissionen mit den »tat­

sächlich gemessenen« um bis zu 200 % auseinander (ebenda).

Auch für das Jahr 1990 gibt es daher keine verläßlichen Daten über den tatsächlichen Ausstoß von Luftschadstoffen durch den Energiesektor.

Daher kommt es bis heute noch zu erheblichen statistischen Differenzen:

Die Summe der Schwefeldioxidemissionen der hier aufgeführten Kraft­

15 Das Umweltmimsterium besteht seit 1985.

24

(24)

werke ergibt knapp die Hälfte des von Cofala berechneten SO2-Ausstoßes im Jahr 1990 von 1,9 Millionen Tonnen.16

Tabelle 4: Luftschadstoffausstoß der umweltschädlichsten Kraftwerke, Stand: Januar 1990

Gas1 1000 t/Jahr

davon:

SO

%

NOX

%

CO

%

Staub t/Jahr1000

KW Belchatöw 475,9 85,2 13,6 1,2 34,6

KW Turöw 216,4 92,5 6,6 k. A. 85,8

KW Polaniec 172,7 92,8 6,9 k. A 11,6

KWSiersza* 158,1 74,3 23,2 2,1 5,9

KW Laziska* 135,8 61,7 36,6 1,1 17,1

KW Rybnik* 127,6 76 23,3 k. A. 22,7

KWLagiska 52,3 92,7 • k. A k. A 10,0

KW Jaworzno III* 146,2 84,4 k. A k. A. 11,8

KWKonin 50,2 90,8 7,9 1,4 23,7

KW Stalowa Wola 26,0 70,5 k. A k. A. 33,7

KW Nowy Sacz 2,4 10 k. A k. A. k. A

1 = ohne CO2

* = im Süden Polens gelegen

Quelle: GUS (1990b), eigene Zusammenstellung

2.3.2 Beeinträchtigungen der Gewässer

Die Kühlung der Kraftwerkskondensatoren verursacht bei einem offenen Kühlungskreislauf einen hohen Wasserverbrauch. Fließende Gewässer werden dadurch erwärmt und mit Chlor und/oder Schwermetallen bela­

stet. Darüber hinaus sterben große Fische in den Auffangnetzen der Kraftwerke. So kann es zu der Zerstörung ganzer Biotope kommen (siehe Abbildung 12).17

16 Ausführlicher dargestellt in Abschnitt 4.3.

17 Mit Chlor tötet man Kleinstlebewesen, damit sie nicht die Rohrleitungen des Kühlsystems verstopfen. Bei der mechanischen Reinigung der Leitung löst sich Kupfer aus den Leitungen während Schwammkugeln durch sie gedrückt werden (vgl. Hall et al. 1986, S. 411).

(25)

N 0\ Abbildung 12: Schädigungen des Biotops durch Kraftwerke

POWER PLANT

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Quelle: Hallet al. (1986, S. 405)

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(26)

Die Kraftwerksindustrie ist der größte industrielle Wasserverbraucher in Polen. Sie verwendete 1989 von insgesamt 10 352 Millionen m3 von der Industrie verwendeten Wassers 8 169 Millionen m3, das sind 79 %. Dieser Anteil besteht zu 97 % aus dem Gebrauch von Oberflächenwasser (vgl.

GUS 1990b, S. 74).

In Polen hat man den größten Oberflächenwasserverbrauch (> 1 km3) in den Gebieten gemessen, wo die vier größten Kraftwerke sind: Dolna Odra (Szczecin) 1,9 km3, Patnöw und Konin (Konin) 1,9 km3, Kozienice (Radom) 1,7 km3 und Polaniec (Tarnobrzeg) 1,4 km3 (vgl. Japan Consult­

ing Institute 1991, S. 6-13; siehe Tabellen 5 und 6).

Tabelle 5: Most important power plants

P ow er S tatio n MW U n it's IMrs x MW

Lignite ßetchatöw 4320 12x360

combustion Turöw 2000 10x200

Pgtnöw 1600 8x200

Hard coal Kozienice 2600 8x200+2x500

combustion Potaniec 1600 8x200

Dolna Odra 1600 8x200

Rybnik 1600 8*200

Jaworzno III 1600 8x200

Pumped- Zarnowiec 680 4x170

storage Porgbka-Zar 500 4x125

Zydowo 150 3x50

Hydro-electric W toclawek 160 6x26,7

w ith Solina 132 2x48+2x21,2

natural inflow Dychdw 80 3x26,5

Roznöw 50 4x12,5

Co-generation Siekierki 622 2326’

Kraköw-Leg 460 1457*

Zerari 250 1477*

W roclaw 267 1145*

Lodz IV 110 860*

‘ thermal capacity (MW)

Quelle: PSE, Polnische Gemeinschaft für elektr. Übertragungsnetze

(27)

Tabelle 6: Hauptwasserverbraucher der Industrie 1989

Insgesamt Mio. m3

Ober­

flächen­

wasser

%

Grund­

wasser

% Insgesamt

darunter Industrien mit Verbrauch

11115 90,0 5,4

> 100 Mio. m3 7 650 100,4 0,3

KW Kozienice 1651 99,9 0,1

KW Dolna Odra 1567 99,8 0,2

KW Patnöw 1 111 98,9 0,1

KW Polaniec 1025 99,9 0

KWKonin 667 99,9 0,1

KW Skawina 531 99,8 0,1

KW Ostrolenka 484 102,4 0,1

Chemiewerk Police 157 99,7 0,8

KW Stalowa Wola 141 115,8

Chemiewerk Pulawy 107 89,5 11

HKW Zeran 105 113,1

HKW Siekierki 104 105,2

Quelle: GUS (1990b, S. 74 f.)

2.3.3 Abfallaufkommen

Das Abfallaufkommen von Kraftwerken bestellt hauptsächlich aus Schlacke und Asche. Das größte Braunkohlekraftwerk Polens, Belchatöw (4 320 MW), produzierte im Jahr 1989 17,5 Millionen Tonnen Schlacke und Asche, das zweitgrößte Braunkohlekraftwerk, Turöw, mit einer Kraft­

werksleistung von 2 000 MW im selben Jahr 2,8 Millionen Tonnen, das drittgrößte, Patnöw (1 600 MW), 9,8 Millionen Tonnen (vgl. GUS 1990b, S. 318-344).

Polaniec, das zweitgrößte Steinkohlekraftwerk mit einer Kraftwerks­

leistung von 1 600 MW hatte im Jahr 1989 ein Schlacke- und Ascheauf­

kommen von 8,7 Millionen Tonnen (vgl. ebenda).

Insgesamt betrug das Abfallaufkommen der Kraftwerke im Jahr 1989 238,1 Millionen Tonnen, das sind 15 % des gesamten Abfallaufkommens

28

(28)

in Polen. (Der Energiesektor insgesamt produzierte im Jahr 1990 56 % des Industrieabfalls) (vgl. GUS 1991, S. 204).

Im Jahr 1990 stieg das Abfallaufkommen in diesem Bereich um 22,8 Millionen Tonnen auf 260,9 Millionen Tonnen an. Dies ist gegenüber dem Vergleichsjahr vor der Wende, 1988, ein Anstieg um 40,3 Millionen Tonnen.18

2.4 Energieverbrauch und Wirtschaftsleistung

Ein Zusammenhang zwischen Energieverbrauch und Wirtschaftsleistung wird in aller Regel in der Form konstatiert, daß der Anstieg der Wirt­

schaftsleistung notwendig verbunden ist mit einem Anstieg des Energie­

verbrauchs.

Im Falle Polens scheint diese Annahme zusätzlich von der Tatsache gestützt zu werden, daß ein Haupthindernis der industriellen Entwicklung seit den fünfziger Jahren die unzureichende Energieversorgung ist.19 Auch scheint die Mehrheit der heute in Polen politisch Verantwortlichen anzu­

nehmen, daß ein Wirtschaftswachstum an ein gleich großes Wachstum des Primärenergieverbrauchs gekoppelt sein würde. Ein Beispiel hierfür ist die Prognose des Polnischen Industrieministeriums für die Jahre 1990 bis 2010.

In den drei entwickelten Szenarien geht man von einem jährlichen Wirtschaftswachstum von 3 % (D-Szenarium), 5 % (S-Szenarium) bzw.

8 % zwischen 1991 und 2000 und 5 % zwischen 2000 und 2010 aus.20 Für die Entwicklung der Szenarien bezogen Mitarbeiter des Industrieministe­

riums, ausgehend von Daten für das Jahr 1989, einen Produktionsrück­

gang von 25 % für das Jahr 1990 in ihre Berechnungen mit ein (vgl. Minis­

try of Industry 1991, S. 57). Nach eigenen Angaben im August 1991 betrug der reale Produktionsrückgang jedoch nur 15,8 %.21

18 Vgl. GUS (1989, 1991). Zahlen für das Abfallaufkommen einzelner Kraftwerke sind der Umweltstatistik des GUS nicht zu entnehmen.

19 In diesem Sinne verwenden Wöhlke und Kapala den Begriff »Energiekrise« (vgl.

Kapala 1988, S. 129; Wöhlke 1991b, S. 61). Der wirtschaftliche Aspekt des Ener­

giesektors wird ausführlicher in Abschnitt 3.2 thematisiert.

20 Minstry of Industry (1991, S. 31). Die Daten für den prognostizierten Primärener­

giebedarf können dem Anhang entnommen werden.

21 Interview mit Mitarbeitern des Industrieministeriums, Warschau, am 9. August 1991.

(29)

Abgesehen von der Schwierigkeit, in Zeiten großer politischer und wirtschaftlicher Veränderungen verläßliche Rechengrößen für die Zu­

kunft zu gewinnen, ist die Annahme, daß der Energieverbrauch in glei­

chem Maße ansteige wie das Wirtschaftswachstum nicht bewiesen.22 In vie­

len westlichen wie östlichen Industrieländern hat - im Gegenteil - eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Primärenergieverbrauch statt­

gefunden (vgl. Jänicke/M önch/Ranneberg 1990, S. 67).

Anfang der achtziger Jahre zeichnete sich auch für Polen eine solche Entkopplung ab. Vom Jahr 1984 bis 1987 wuchs der Primärenergiever­

brauch (PEV) nicht so stark wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Zwi­

schen 1987 und 1989 sank der PEV sogar, während das BIP weiterhin an- stieg. Ab 1989 sank der PEV um 5 % stärker als das BIP23 (siehe Tabelle 7 sowie Abbildung 13).

Tabelle 7: Trendvergleich des BIP und des P E V in %

80-84 84-86 86-87 87-89 89-90

BIP -6,9 + 8,5 + 2 +4,6 -12

PEV -1,9 +2,1 + 1 -5,6 -17

Quelle: GUS, verschied. Jahrgänge, Michna (1991); siehe auch Abbüdung 15

Im Bereich der Energiegewinnung, der Energieumwandlung und des Energieverbrauchs entstehen die anteilsmäßig größten Umweltbelastun­

gen der Luft, des Wassers und des Bodens in Polen. Belastungen durch den Verkehr, ein Hauptproblem in den meisten westlichen Industrielän­

dern, spielen in Polen (noch) eine eher untergeordnete Rolle. (Im Jahr 1989 kam auf 10 Einwohner ein PKW; vgl. Ministerstwo Transportu i Gospodarki Morskiej 1989b, S. 1.)

22 In den OECD-Ländern hat in den vergangenen Jahren ein Anstieg des Wirt­

schaftswachstums nicht zu einem Anstieg des Primärenergieverbrauchs geführt (vgl. Pelz 1986, S. S. 51 ff.).

23 Die wirtschaftlichen Gesamtrechnung in kommunistischen Staaten berücksichtigt nicht den Dienstleistungssektor und läßt sich nach westlichem Standard nur durch das BIP ausdrücken. Die Einführung der wirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht­

kommunistischer Staaten, dem »System of National Accounts« (SNA), wird vor­

aussichtlich nicht vor 1992 in Polen stattfinden (vgl. Ministry of Industry 1990a, S. 32).

30

(30)

Abbildung 13: Wirtschaftlicher Strukturwandel in Polen (1970 = 100)

2 2 0

2 0 0

180

160

140

120

100

— ürultoinlandsprodukt

• Prim arenergieverbrauch

■ Uüngamiltelproduktlon O Gülertransportgewlchl + Rohslahlverbrauch

□ Zernentproduktion

80 I I I I--- 1~ ' I - I--- 1---1 — ... I--- I - - - I ---1-.... I l l --- 1.. — I---1-

70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88

(c) FFU

U )

8 9

Quelle: Forschungsstelle für Umweltpolitik (1989)

(31)

Die Bedrohung der Umwelt durch den Energiesektor ist in Polen im Vergleich zu westlichen, aber auch zu östlichen Industrieländern beson­

ders hoch, weil große Gebiete durch die Kohleförderung belastet und weil Strom- und Wärme hauptsächlich aus Kohle gewonnen werden, was dar­

über hinaus in einer (im Vergleich zu westlichen Standards) besonders in­

effektiven Weise geschieht.

Dennoch hält die Regierung Polens, die sich auf die Prognosen des In­

dustrieministeriums stützt24, unbeirrt an der Vorstellung fest, daß Wirt­

schaftswachstum nur einhergehen kann mit einem Wachstum des Primär­

energieverbrauchs.

24 Näheres ist dem Kapitel 4 zu entnehmen.

32

(32)

3. Kapazitätsanalyse

In diesem Kapitel soll der Frage nachgegangen werden, welche Möglich­

keiten politisch Handelnde haben, der im vorliegenden Kapitel beschrie­

benen strukturellen Umweltbelastung entgegenzutreten. Es soll die Fähig­

keit des polnischen politischen Systems untersucht werden, diese Proble­

me wahrzunehmen und sachlich und zeitlich darauf zu reagieren.

Als Maß der zu analysierenden Kapazität gilt die »ökologische M oder­

nisierungskapazität«, die von Jänicke für die Umweltpolitik entwickelt wurde. Sie ist auf das Thema »Energiepolitik unter Umweltaspekten« an­

wendbar, insofern Energiepolitik als Teil einer umfassenden Umweltpoli­

tik verstanden wird. Ökologische Modernisierungskapazität ist also ein Maß für die Fähigkeit, struktureller Umweltbelastung durch strukturpoli­

tischen Umweltschutz zu begegnen (Jänicke/Mönch 1990, S. 1; vgl. Abbil­

dung 14).

Im wesentlichen unterscheidet man dabei drei Kapazitätsaspekte: die sozio-kulturelle, die wirtschaftliche und die institutionelle Kapazität.

3.1 Sozio-kulturelle Kapazität

U nter sozio-kultureller Kapazität versteht man die »Fähigkeit, über einen kooperativen Politikstil zu ausgehandelten Lösungen zu gelangen« (Jänik- ke 1991, S. 3).

Um den Politikstil und die Wertpräferenz der polnischen Gesellschaft zu verstehen, ist es notwendig, zu berücksichtigen, daß die Menschen im real existierenden Sozialismus nur beschränkten Zugang zu Informationen hatten. Damit wurde ihnen die Grundlage zur freien Meinungsbildung für viele Jahre entzogen.

Dennoch war die Umweltzerstörung schon lange im Bewußtsein der Bevölkerung (die Umweltverschmutzung war so stark, daß niemand sie übersehen konnte), so daß das Regime schon im Jahr 1950 ein Gesetz ver­

abschiedete, das besondere »Schutzzonen« kennzeichnete. Nähere Daten wurden jedoch nicht veröffentlicht, sondern als Staatsgeheimnis ver­

schwiegen (vgl. Schreiber 1984, S. 32).

(33)

Abbildung 14: Ökologische Modemisierungskapazität

i Sozio-kultureile Kapazität i Politikstil: Kooperation vs. Konflikt Wertpräf erenz: Lebensqualität v s . Güter

Konsum

= XOWSEHSFÄHIGKSIT

S

Institutionelle KaDazität

Staatliche Ebene

Inputebene Outputebene

Offenheit/Gescnlossenheit - d. politischen Willens-

bildungsstrukturen - des Rechtssystems

- Langzeitorientierung

- integrierte (vs. additive) Institutionalis i erung - personelle und materielle

Ressourcen - Kompetenzen

= STKATEGIEFÄHIGKSI1

4J 35

<0 j j qj

Ji C U 0) o n

> a

- d. Informationssystems - d. Wirtschaftssystems

= INNOVATIONSFÄHIGKEIT

WIRT5CHAETSLSISTÜNG (-lage und -Struktur)

Ökonomische Kapazität

Quelle: Jänicke (1990, Abbildung 5)

An dieser Situation änderte sich nichts bis zur Etablierung des Polnischen Ökologischen Klubs (PKE) im Jahr 19801, dem es gelang, einen verant­

wortlichen Minister in einer weit verbreiteten Fernsehsendung zur R e­

chenschaft zu ziehen. Andere Umweltschutzorganisationen entstanden zu dieser Zeit unter dem Schutz der Solidarnosc (vgl. Schreiber 1984, S. 107, S. 9).

Die Verbreitung von Informationen über das reale Ausmaß der Um­

weltzerstörung in Polen war erklärtes Ziel dieser Gruppen. Die Mitglied­

schaft von Wissenschaftlern im PKE ermöglichte sachgerechte Informatio­

nen.

Der Kriegszustand schwächte all diese Gruppen. Erst mit den Gesprä­

chen des Runden Tisches, an denen Umweltschutzgruppen maßgeblich 1 Seine Vorläufer entwickelten sich unter dem Deckmantel der Kirche.

34

(34)

beteiligt waren, mit der damit verbundenen Einleitung der Informations­

freiheit, ermöglichte es der gesamten Gesellschaft, frei über die Umweltsi­

tuation zu reden. Im Jahr 1991 bestanden in Polen ungefähr 100 Umwelt­

schutzorganisationen und 40 inoffizielle Gruppen (vgl. Bledowski/Kals 1991, S. 107).

Die Informationsfreiheit brachte zutage, daß es über das reale Aus­

maß der Umweltzerstörung keine verläßlichen Daten gibt.2

Abgesehen von den Folgen, die das sozialistische System auf dem In­

formationssektor hinterließ, hat es auch in der Wertpräferenz der Bevöl­

kerung sichtbare Spuren hinterlassen: Das Gros der Bevölkerung steht je ­ der öffentlichen Betätigung eher skeptisch gegenüber, was eine Parteinah­

me für den Umweltschutz eher erschwert.

Des weiteren sind die ökonomischen Probleme in Polen weiterhin so groß, daß sie alle anderen Probleme überlagern: 60 % aller Polen lebten im Jahr 1991 hart am Rand oder unterhalb des Existenzminimums (vgl.

Strobel 1991), Ende September 1991 waren 1,9 Millionen Menschen ar­

beitslos (BddW vom 17. Oktober 1991).

Die Polarisierung zwischen polnischer Gesellschaft und dem Staat, die in Jahrhunderten gewachsen ist3, bestand auch in den Jahren 1989 bis 1991 fort. Die Staatsverdrossenheit drückte sich bei den Lokalwahlen im Mai 1990 sowie bei den Wahlen vom Oktober 1991 durch eine Wahlbetei­

ligung von kaum mehr als 40 % aus.

Von der politischen Wende hatten sich viele eine rasche Verbesserung ihrer ökonomischen Situation erhofft. Ihre Vorstellungen von Marktwirt­

schaft entsprangen einer Zeit, da Informationen darüber kaum zu erhal­

ten waren. Nach der Wende stellten sie sich als Utopien heraus (vgl.

Michnik 1991).

Der Politikstil führender Politiker, der sich als eine Art Kabinettspoli­

tik intellektueller Politiker beschreiben ließe, trug seinerseits zur Bestäti­

gung dieses Wahrnehmungsmusters bei. Die Mehrheit der Bevölkerung sah sich seit 1989 immer weniger politisch vertreten (vgl. Abschnitt 3.3.2).

Markantes Beispiel hierfür ist Walesas »Schattenkabinett«, mit dessen Hilfe es dem Staatspräsidenten in den Jahren 1989-1991 gelungen ist, ein

»Walesa-centered System of power« (Kaminski) zu schaffen. Es ist ein 2 Siehe die Ausführungen im Abschnitt 2.2.3, S. 21.

3 Aus ihrem historischen Verständnis heraus definiert sich die polnische Gesellschaft durch die Abgrenzung zum Staat, bestand dieser doch in vielen Jahren der Besat­

zung aus Vertretern fremder Nationen; vgl. dazu Hahn (1985).

(35)

Stab von ca. 200 Zuarbeitern, der zwei Protokollabteilungen und zwei Ex­

pertengruppen einschließt (vgl. Kaminski/Kurczeswka 1991, S. 21).

Die Wahl im Oktober 1991 kam Walesa nicht ungelegen, da er sich von einem zersplitterten, d. h. geschwächten Sejm einen Machtzuwachs seines Amtes versprach. Seinen Vorschlag, selbst Regierungschef zu wer­

den (vgl. D er Tagesspiegel vom 31. Oktober 1991), konnte er bisher nicht verwirklichen.

An dem Verhalten des Staatspräsidenten wird deutlich, daß der Handlungsspielraum politisch Handelnder mangels geregeltem Willens­

bildungsprozeß im Vergleich zu westlichen Industrieländern enorm hoch ist. Er wird definiert und begrenzt in der Hauptsache durch mangelnde ökonomische Kapazitäten, bzw. dem einzig klaren Auftrag der Gesell­

schaft, nämlich einen Wirtschaftsaufschwung zu bewirken.

Wie dies geschehen kann und mit welchen Mitteln dies erreicht wer­

den soll, darüber herrscht aber keine einhellige Meinung. Weder war die Gesellschaft bisher in der Lage, ihren Willen in geregelten Willensbil­

dungsprozessen zu artikulieren, noch waren die Repräsentanten des polni­

schen Staates in der Lage, ihre Beschlüsse durchzusetzen.

Die starke Polarisierung erschwert die Bildung von »Helferinteressen«

(Prittwitz) im eigenen Land. Diese wurden in der Zeit der Zwischenphase daher von ausländischen Akteuren wahrgenommen (vgl. Abschnitt 4.1.3).

3.2 Wirtschaftliche Kapazität

Seit 1988 ging das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Polens zurück. In den Jah­

ren 1989 und 1990 um 12 % (siehe Abbildung 15), 1991 um weitere 8,5 % (vgl. BddW vom 17. Oktober 1991).

Das Bruttoinlandsprodukt ist in einer vergleichenden Studie von Jä- nicke et al. als Indikator des Wohlstandsniveaus herangezogen worden.

Aus dem Vergleich von 32 Industrieländern ergab sich, daß sich das Wohlstandsniveau widersprüchlich auf den Umgang mit Umweltproble­

men auswirken kann: Ein hohes Wohlstandsniveau verursacht zum einen eine hohe Umweltverschmutzung; zum anderen ermöglicht ein hohes Wohlstandsniveau auch eine bessere Problembewältigung durch technolo­

gische, materielle und institutioneile Ressourcen (»Ambivalenz von öko­

logischer Notwendigkeit und Möglichkeit«) (Jänicke 1990, S. 13).

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