3.1 Die Transformationsformel
Zur Motivation: Aus der Integralrechnung in einer Ver¨ anderlichen kennt man die Substitutionsregel: Ist ϕ : [α, β] → R stetig differenzierbar, ϕ([α, β]) ⊂ I und f : I → R stetig, so ist
Z
ϕ(β) ϕ(α)f(x) dx = Z
βα
f (ϕ(t)) · ϕ
0(t) dt.
Dabei muss man beachten, dass auf der linken Seite der Substitutionsformel die nat¨ urliche Integrationsrichtung je nach Vorzeichen von ϕ
0beibehalten oder umge- kehrt wird, dass aber R
ab
f (x) dx = − R
ba
f (x) dx ist. Ist J = [α, β], so muss man also schreiben:
Z
ϕ(J)
f dµ
1= Z
J
(f ◦ ϕ)|ϕ
0| dµ
1.
Diese Formel soll auf Funktionen von mehreren Ver¨ anderlichen verallgemeinert wer- den.
Als erstes wollen wir sicherstellen, dass Nullmengen bei einer stetig differenzierba- ren Transformation keine Rolle spielen.
11.1. Bilder von Nullmengen
Sei B ⊂ R
noffen, A ⊂ B eine (Lebesgue-)Nullmenge und f : B → R
nstetig differenzierbar. Dann ist auch f (A) eine Nullmenge.
Beweis: Es reicht, f¨ ur jeden abgeschlossenen Quader Q ⊂ B zu zeigen, dass f (A ∩ Q) eine Nullmenge ist (denn man kann B durch abz¨ ahlbar viele solcher Quader ¨ uberdecken). Da f stetig differenzierbar ist, gibt es zu jedem kompakten Quader Q ⊂ B eine Konstante C > 0, so dass
kDf (x)k
op:= sup{kDf (x)(v)k : kvk ≤ 1} ≤ C
f¨ ur alle x ∈ Q ist. Wir halten einen Quader Q und die zugeh¨ orige Konstante C fest. Da Q konvex ist, geh¨ ort zu je zwei Punkten x, y ∈ Q auch die ganze Verbindungsstrecke zu Q (und damit zu B). Aus dem Mittelwertsatz folgt, dass es einen Punkt z auf der Verbindungsstrecke mit
f (y) − f (x) = Df (z)(y − x) gibt. Dann ist aber
1Dieser Satz wurde nicht in der Vorlesung bewiesen!
kf (x) − f (y)k ≤ C · kx − yk.
Sei nun ε > 0 vorgegeben. Es gibt eine Folge (W
k) von W¨ urfeln mit A ⊂
∞
[
k=1
W
kund
∞
X
k=1
µ
n(W
k) < ε.
Sei a
kder Mittelpunkt von W
k= {x : |x − a
k| < d
k/2}, also d
kseine Kantenl¨ ange.
Dann ist µ
n(W
k) = d
nkund P
∞k=1
d
nk< ε.
Sei |. . .| die Maximumsnorm und k. . .k die euklidische Norm. F¨ ur x ∈ W
kist
|f (x) − f (a
k)| ≤ kf (x) − f (a
k)k ≤ C · kx − a
kk
≤ C · √
n · |x − a
k| < C · √ n · d
k2 .
Also liegt f (W
k) in einem W¨ urfel W
k0mit Mittelpunkt f (a
k) und Seitenl¨ ange ≤ C · √
n · d
k. Das bedeutet, dass µ
n(W
k0) ≤ (C · √
n · d
k)
nist.
Dann liegt f (A) in S
k
W
k0und es ist µ
n(f (A)) ≤ (C √
n)
n· ε. Weil ε beliebig klein gew¨ ahlt werden kann, muss f (A) eine Nullmenge sein.
Unser Ziel ist der Beweis des folgenden Satzes:
1.2. Die Transformationsformel
Sei U ⊂ R
noffen, ϕ : U → V ein C
1-Diffeomorphismus auf eine offene Menge V ⊂ R
n.
1. Eine Funktion f : V → R ist genau dann integrierbar, wenn (f ◦ ϕ) · |det Dϕ| : U → R
integrierbar ist.
2. Ist f : V → R integrierbar, so ist Z
V
f(y) dµ
n= Z
U
f ◦ ϕ(x)|det Dϕ(x)| dµ
n.
Zun¨ achst betrachten wir die folgende
1.3. Spezielle Transformationsformel
Wie oben sei ϕ : U → V ein C
1-Diffeomorphismus. Ist Q ⊂ V ein abgeschlosse- ner Quader, so ist ϕ
−1(Q) endlich messbar und
µ
n(Q) = Z
ϕ−1(Q)
|det Dϕ(x)| dµ
n.
Bemerkung: Da ϕ ein Hom¨ oomorphismus ist, ist ϕ
−1(Q) kompakt und damit endlich messbar. Die stetige Funktion |det Dϕ(x)| ist nat¨ urlich ¨ uber ϕ
−1(Q) inte- grierbar. Es bleibt also nur die Formel zu zeigen.
1.4. ¨ Aquivalenz von allgemeiner und spezieller Formel
Sei ϕ ein fester C
1-Diffeomorphismus. Die Transformationsformel gilt genau dann f¨ ur jede integrierbare Funktion f : V → R , wenn die spezielle Transfor- mationsformel f¨ ur jeden Quader Q ⊂ V gilt.
Beweis:
2Gilt die allgemeine Transformationsformel, so ergibt sich die spezielle, indem man f = χ
Qsetzt.
Sei umgekehrt die spezielle Transformationsformel f¨ ur jeden abgeschlossenen Qua- der Q ⊂ V (und damit die allgemeine Formel f¨ ur f = χ
Q) bewiesen. Da in der allgemeinen Formel beide Seiten linear in f sind, folgt sie sofort f¨ ur Treppenfunk- tionen τ, die außerhalb von V verschwinden.
Ist g ∈ L
+, g ≥ 0 und g = 0 außerhalb von V , so gibt es eine Folge (τ
ν) von Treppenfunktionen, die fast ¨ uberall monoton wachsend gegen g konvergiert, so dass
Z
g dµ
n= lim
ν→∞
Z
τ
νdµ
nist. Wir k¨ onnen annehmen, dass 0 ≤ τ
ν≤ g f¨ ur alle ν gilt. Dann verschwinden auch alle τ
νaußerhalb von V .
Wir haben schon gezeigt, dass R
V
τ
ν(y) dµ
n= R
U
τ
ν◦ ϕ(x)|det Dϕ(x)| dµ
nist.
Die Folge der integrierbaren Funktionen g
ν:= (τ
ν◦ ϕ) · |det Dϕ| konvergiert fast
¨ uberall monoton wachsend gegen (g ◦ϕ)·|det Dϕ|. Da die Folge der Integrale wegen der schon bewiesenen Transformationsformel f¨ ur Treppenfunktionen gegen R
g dµ
nkonvergiert und damit insbesondere beschr¨ ankt bleibt, folgt aus Levi’s Satz von der monotonen Konvergenz, dass (g ◦ ϕ) · |det Dϕ| uber ¨ U integrierbar ist und die Integrale R
U
g
ν(x) dµ
ngegen R
U
g ◦ϕ(x)|det Dϕ(x)| dµ
nkonvergieren. Damit ist die allgemeine Transformationsformel f¨ ur g bewiesen.
Da jede integrierbare Funktion in der Form f = f
+− f
−als Differenz von zwei po- sitiven integrierbaren Funktionen geschrieben werden kann, brauchen wir im allge- meinen Fall nur eine integrierbare Funktion f ≥ 0 zu betrachten, die außerhalb von V verschwindet. Dann gibt es Funktionen g, h ∈ L
+, die ≥ 0 sind und außerhalb von V verschwinden, so dass f = g − h ist. Die allgemeine Transformationsformel folgt nun f¨ ur f aus der Linearit¨ at des Integrals. Und dass aus der Integrierbarkeit der Funktion (f ◦ ϕ) · |det Dϕ| auch die Integrierbarkeit von f folgt, erh¨ alt man aus den obigen Betrachtungen, indem man ϕ durch ϕ
−1ersetzt.
2Auch dieser Beweis wurde in der Vorlesung nicht vorgef¨uhrt!
1.5. G¨ ultigkeit f¨ ur Permutationen der Koordinaten
Ist ϕ eine Permutation der Koordinaten, so gilt die spezielle (und damit auch die allgemeine) Transformationsformel.
Beweis: Sei σ ∈ S
neine Permutation und ϕ(x
1, . . . , x
n) = (x
σ(1), . . . , x
σ(n)).
Dann ist |det Dϕ(x)| ≡ 1. Es ist also nur zu zeigen, dass µ
n(Q) = µ
n(ϕ
−1(Q)) f¨ ur jeden Quader Q gilt. Das ist aber trivial.
1.6. Verkettung von Transformationen
Gilt die spezielle Transformationsformel f¨ ur ϕ : U → V und f¨ ur ψ : V → W , so gilt sie auch f¨ ur ψ ◦ ϕ : U → W .
Beweis: Es wurde schon gezeigt, dass aus der speziellen auch die allgemeine Transformationsformel folgt. Ist Q ⊂ W ein abgeschlossener Quader, so ist A :=
ψ
−1(Q) eine endlich messbare kompakte Teilmenge von V . Die stetige Funktion
|det Dψ(y)| ist ¨ uber A integrierbar, also auch χ
A· |det Dψ| uber ¨ R
n, und es gilt:
µ
n(Q) = Z
ψ−1(Q)
|det Dψ(y)| dµ
n= Z
V
χ
A(y)|det Dψ(y)| dµ
n= Z
U
χ
A◦ ϕ(x)|det Dψ(ϕ(x))| · |det Dϕ(x)| dµ
n= Z
U
χ
Q◦ (ψ ◦ ϕ)(x)|det D(ψ ◦ ϕ)(x)| dµ
n= Z
(ψ◦ϕ)−1(Q)
|det D(ψ ◦ ϕ)(x)| dµ
nDamit ist alles gezeigt.
Schließlich brauchen wir noch die folgende Aussage:
1.7. Vom Lokalen zum Globalen
Jeder Punkt x ∈ U besitze eine offene Umgebung W ⊂ U , so dass die spezi- elle Transformationsformel f¨ ur ϕ|
W: W → ϕ(W ) gilt. Dann gilt die spezielle Transformationsformel auch f¨ ur ϕ : U → V .
Beweis: Das System W aller offenen Kugeln in U mit rationalem Mittelpunkt
und rationalem Radius ist abz¨ ahlbar, und jede offene Teilmenge W ⊂ U ist Ver-
einigung solcher Kugeln. Nun sei W
0= {W
j: j ∈ N } das Teilsystem derjenigen
Kugeln aus W , die in einer offenen Menge W enthalten sind, auf der die speziel-
le (und damit auch die allgemeine) Transformationsformel gilt. Dann ist W
0eine
abz¨ ahlbare offene ¨ Uberdeckung von U , und die Transformationsformel gilt auch
f¨ ur alle Einschr¨ ankungen ϕ|
Wj, j ∈ N . Weil ϕ ein Diffeomorphismus ist, stellen die Mengen V
j:= ϕ(W
j) eine ¨ Uberdeckung von V dar.
Sei Q ⊂ V ein abgeschlossener Quader. Wir setzen A
1:= Q ∩ V
1und A
j+1:=
(Q ∩ V
j+1) \ (A
1∪ . . .∪ A
j). Dann sind alle Mengen A
jmessbar, und Q ist disjunkte Vereinigung der A
j.
Nun gilt:
Z
ϕ−1(Q)
|det Dϕ(x)| dµ
n=
∞
X
j=1
Z
ϕ−1(Aj)
|det Dϕ(x)| dµ
n=
∞
X
j=1
Z
Wj
χ
Aj◦ ϕ(x)|det Dϕ(x)| dµ
n=
∞
X
j=1
Z
ϕ(Wj)
χ
Aj(y) dµ
n=
∞
X
j=1
µ
n(A
j) = µ
n(Q).
Das war zu zeigen.
Beim Beweis der Transformationsformel setzen wir nun alle Bausteine zusam- men:
Sei x
0∈ U . Es gen¨ ugt zu zeigen, dass es eine offene Umgebung U
0von x
0in U gibt, so dass die spezielle Formel f¨ ur ϕ|
U0gilt. Wir f¨ uhren Induktion nach n. Der Induktionsanfang ergibt sich aus der Substitutionsregel (mit U
0= U ).
Wir nehmen nun an, dass n ≥ 2 und die Behauptung schon f¨ ur n − 1 bewiesen ist. Weil Dϕ(x
0) 6= 0 ist und eine Permutation der Koordinaten nichts ausmacht, k¨ onnen wir annehmen, dass ∂ϕ
1∂x
1(x
0) 6= 0 ist. Wir setzen dann ψ(x
1, . . . , x
n) := (ϕ
1(x
1, . . . , x
n), x
2, . . . , x
n).
Weil det J
ψ(x
0) 6= 0 ist, ist ψ lokal invertierbar. Nach ¨ Ubergang zu geeigneten kleineren Umgebungen (die wir wieder mit U und V bezeichnen) setzen wir
%(y) := ϕ ◦ ψ
−1(y) und erhalten folgendes kommutative Diagramm:
U V
W ϕ
ψ % = ϕ ◦ ψ
−1Dabei ist W eine geeignete offene Menge. Weil einerseits % ◦ ψ(x
1, . . . , x
n) = ϕ(x
1, . . . , x
n) = (ϕ
1(x), . . . , ϕ
n(x)) und andererseits
% ◦ ψ(x
1, . . . , x
n) = %(ϕ
1(x), x
2, . . . , x
n) ist, folgt:
%(y
1, . . . , y
n) = (y
1, %
2(y), . . . , %
n(y)).
ϕ = % ◦ ψ setzt sich also aus Abbildungen zusammen, von denen jede mindestens eine Komponente festl¨ asst. Weil Permutationen der Koordinaten keine Rolle spie- len, k¨ onnen wir o.B.d.A. annehmen, dass ϕ(x
1, . . . , x
n) = (x
1, ϕ
2(x), . . . , ϕ
n(x)) ist. Wir schreiben:
ϕ(t, z) = (t, ϕ
t(z)),
wobei ϕ
teine Abbildung von U
t:= {z : (t, z) ∈ U } nach R
n−1ist. F¨ ur die Funktionalmatrix von ϕ gilt dann:
J
ϕ(t, z) =
1 0 · · · 0
∗
.. . J
ϕt(z)
∗
.
Also ist det J
ϕ(t, z) = det J
ϕt(z). Nun sei Q ⊂ V ein abgeschlossener Quader. F¨ ur A := ϕ
−1(Q) gilt dann:
Q
t= (ϕA)
t= {y : (t, y) ∈ ϕ(A)}
= {y : ∃ z mit (t, z) ∈ A und ϕ(t, z) = (t, y)}
= {y : ∃ z ∈ A
tmit ϕ
t(z) = y} = ϕ
t(A
t).
Nach Induktionsvoraussetzung ist µ
n−1(ϕ
t(A
t)) =
Z
ϕt(At)
1 dµ
n−1= Z
At
|det Dϕ
t(z)| dµ
n−1. Daraus folgt:
µ
n(Q) = Z
R
µ
n−1(Q
t) dt (Cavalieri)
= Z
R
µ
n−1(ϕ
t(A
t)) dt
= Z
R
Z
At
|det Dϕ
t(z)| dµ
n−1(z) dt
= Z
A
|det Dϕ(z, t)| dµ
n(Cavalieri)
= Z
ϕ−1(Q)
|det Dϕ(z, t)| dµ
n.
Damit ist die Transformationsformel bewiesen.
1.8. Beispiele
A. Ebene Polarkoordinaten
Die ebenen Polarkoordinaten sind durch die Abbildung f : R
+× (0, 2π) → R
2mit
(x, y) = f (r, ϕ) := (r cos ϕ, r sin ϕ) gegeben. Bekanntlich ist det J
f(r, ϕ) = r.
Ist nun etwa K := {(r, ϕ) ∈ R
2: a ≤ r ≤ b und α ≤ ϕ ≤ β}, mit 0 < a < b und 0 < α < β < 2π, sowie g stetig auf f (K), so ist
Z
f(K)
g(x, y) dµ
2(x, y) = Z
βα
Z
b ag(r cos ϕ, r sin ϕ)r dr dϕ.
Wir k¨ onnen nat¨ urlich auch ¨ uber Mengen integrieren, die die positive x-Achse treffen, denn diese Achse ist eine Nullmenge.
B. R¨ aumliche Polarkoordinaten
F¨ ur r > 0, 0 < ϕ < 2π und −π/2 < θ < π/2 sind die r¨ aumlichen Polarkoor- dinaten (Kugelkoordinaten, sph¨ arische Koordinaten) gegeben durch
F
sph(r, ϕ, θ) := (r cos ϕ cos θ, r sin ϕ cos θ, r sin θ).
Hier ist ϕ der Winkel gegen¨ uber der positiven x-Achse (in der x-y-Ebene gemessen) und θ der Winkel gegen die x-y-Ebene.
3Als Funktionaldetermi- nante erhalten wir det J
Fsph(r, ϕ, θ) = r
2cos θ. Offensichtlich ist r
2cos θ > 0 im ganzen Definitionsbereich von F
sph.
Ist K = {(r, ϕ, θ) : a ≤ r ≤ b, α ≤ ϕ ≤ β und γ ≤ θ ≤ δ}, so ist Z
Fsph(K)
g(x, y, z) dµ
3(x, y, z) = Z
δγ
Z
β αZ
b ag(r, ϕ, θ)r
2cos θ dr dϕ dθ.
Als Volumen der 3-dimensionalen Einheitskugel erhalten wir z.B.:
µ
3(B
1(0)) = Z
B1(0)
1 dµ
3= Z
10
Z
π/2−π/2
Z
2π 0r
2cos θ dϕ dθ dr
= 2π · Z
10
Z
π/2−π/2
r
2cos θ dθ dr = 4π · Z
10
r
2dr = 4 3 π.
3Es sei auch hier noch einmal daran erinnert, dass die Kugelkoordinaten in der Literatur nicht einheitlich definiert werden!
3.2 Glatte Hyperfl¨ achen
Unter einem Parametergebiet verstehen wir ein beschr¨ anktes Gebiet P ⊂ R
k, bei dem jeder Randpunkt von P auch ein Randpunkt von P ist. Durch die Rand- bedingung werden gewisse pathologische F¨ alle ausgeschlossen:
Parametergebiet kein Parametergebiet
s
Hier geht es schief!
P
Definition
Sei n ≥ 2 und P ⊂ R
n−1ein Parametergebiet. Unter einem (glatten) parame- trisierten Hyperfl¨ achenst¨ uck uber ¨ P verstehen wir eine stetig differenzier- bare Abbildung ϕ : P → R
n, f¨ ur die gilt:
1. ϕ ist injektiv.
2. rg J
ϕ(u) = n − 1 f¨ ur alle u ∈ P .
3. Ist u
0∈ P und u
ν∈ P eine Folge mit lim
ν→∞
ϕ(u
ν) = ϕ(u
0), so ist auch
ν→∞
lim u
ν= u
0.
Bemerkungen:
1. Die Menge S := ϕ(P ) heißt die Spur des Fl¨ achenst¨ ucks. Manchmal be- geht man aus Bequemlichkeit etwas Notationsmissbrauch und nennt S ein Fl¨ achenst¨ uck. Damit verzichtet man nat¨ urlich auf Information.
2. Ist n = 2, so ist P = I ein offenes Intervall und es liegt ein stetig differen- zierbarer, ebener Weg ϕ : I → R
2vor. Es ist ϕ injektiv, ϕ(t) 6= 0 f¨ ur alle t ∈ I. Man spricht dann von einem glatten Weg. Durch die dritte Bedingung werden Situationen wie die folgende ausgeschlossen:
Sei ϕ : (−π/2, +π/4) → R
2definiert durch
ϕ(t) := (cos(2t) cos t, cos(2t) sin t).
Im Parameterintervall ist ϕ injektiv, der Nullpunkt ist das Bild von t = −π/4.
Außerdem kann man leicht nachrechnen, dass ϕ
0(t) nirgends verschwindet.
Setzen wir aber t
0:= −π/4 und t
ν:= π/4 − 1/ν, so konvergiert ϕ(t
ν) gegen
(0, 0) = ϕ(t
0), nicht aber (t
ν) gegen t
0.
Definition
Eine Menge H ⊂ R
nheißt eine glatte Hyperfl¨ ache, falls es zu jedem Punkt x
0∈ H eine Umgebung U = U (x
0) ⊂ R
n, ein Parametergebiet P ⊂ R
n−1, ein glattes parametrisiertes Hyperfl¨ achenst¨ uck ϕ : P → R
nmit ϕ(P ) = H ∩ U und einen Parameter u
0∈ P mit ϕ(u
0) = x
0gibt.
Ist H eine glatte Hyperfl¨ ache und ϕ : P → H∩U eine lokale Parametrisierung, so ist S := ϕ(P ) = H ∩ U eine offene Teilmenge von H in der vom R
nauf H induzierten Relativtopologie, und ϕ
−1: S → P stetig, also ϕ ein Hom¨ oomorphismus: Ist n¨ amlich (x
ν) eine Folge in S, die gegen einen Punkt x
0∈ S konvergiert, so gibt es Parameter u
ν, u
0∈ P mit ϕ(u
ν) = x
νund ϕ(u
0) = x
0. Die Bedingung (3) f¨ ur parametrisierte Fl¨ achenst¨ ucke hat zur Folge, dass ϕ
−1(x
ν) = u
νgegen ϕ
−1(x
0) = u
0konvergiert.
Die Stetigkeit von ϕ
−1bedeutet, dass ϕ offene Teilmengen von P auf offene Teil- mengen von S abbildet.
2.1. Satz (Niveaumengen sind glatte Hyperfl¨ achen)
Sei B ⊂ R
noffen, f : B → R eine stetig differenzierbare Funktion und M = {x ∈ B : f (x) = 0}. Ist ∇f (x) 6= 0 in jedem Punkt x ∈ M, so ist M eine glatte Hyperfl¨ ache.
Beweis: Sei x
0= (x
(0)1, . . . , x
(0)n) ∈ M . O.B.d.A. sei f
xn(x
0) 6= 0. Dann gibt es nach dem Satz ¨ uber implizite Funktionen Umgebungen U = U (x
(0)1, . . . , x
(0)n−1) ⊂ R
n−1und V = V (x
(0)n) ⊂ R und eine stetig differenzierbare Funktion g : U → V , so dass (U × V ) ∩ M = {(x
1, . . . , x
n−1, x
n) ∈ U × V : x
n= g(x
1, . . . , x
n−1)} ist.
Dann wird durch
ϕ(u
1, . . . , u
n−1) := (u
1, . . . , u
n−1, g(u
1, . . . , u
n−1))
eine lokale Parametrisierung ϕ : U → (U × V ) ∩ M definiert. Es ist offensichtlich, dass ϕ die Eigenschaften eines parametrisierten Fl¨ achenst¨ ucks erf¨ ullt.
Es gilt in gewisser Weise auch die Umkehrung:
2.2. Jede glatte Hyperfl¨ ache ist lokal eine Niveaufl¨ ache
Sei H ⊂ R
neine glatte Hyperfl¨ ache. Dann gibt es zu jedem Punkt x
0∈ H eine offene Umgebung U = U (x
0) ⊂ R
nund eine stetig differenzierbare Funktion f : U → R , so dass gilt:
1. U ∩ H = f
−1(0).
2. ∇f(x) 6= 0 f¨ ur x ∈ U ∩ H.
Beweis: Sei U = U (x
0) ⊂ R
neine offene Umgebung und ϕ : P → S = U ∩ H eine Parametrisierung mit ϕ(u
0) = x
0. Weil rg J
ϕ(u
0) = n − 1 ist, k¨ onnen wir o.B.d.A. annehmen, dass die ersten n − 1 Zeilen der n × (n − 1)-Matrix J
ϕ(u
0) linear unabh¨ angig sind.
Wir benutzen nun die Projektionen π
1: R
n→ R
n−1und π
2: R
n→ R mit π
1(x
1, . . . , x
n) := (x
1, . . . , x
n−1) und π
2(x
1, . . . , x
n) := x
n.
Dann ist offensichtlich det J
π1◦ϕ(u
0) 6= 0. Nach dem Satz von der Umkehrabbildung gibt es also offene Umgebungen U
1(u
0) ⊂ P ⊂ R
n−1und U
2(π
1◦ ϕ(u
0)) ⊂ R
n−1, so dass π
1◦ ϕ : U
1→ U
2ein Diffeomorphismus ist.
Sei ψ := (π
1◦ ϕ)
−1: U
2→ U
1die Umkehrabbildung. Wir k¨ onnen nun g : U
2→ R definieren durch g(y
0) := π
2◦ ϕ ◦ ψ(y
0), f¨ ur y
0= (y
1, . . . , y
n−1) ∈ U
2.
Weil ϕ : P → S ein Hom¨ oomorphismus ist, gibt es eine offene Menge B ⊂ R
n, so dass ϕ(U
1) = B ∩ S ist. F¨ ur y = (y
0, y
n) ∈ B gilt dann:
y ∈ S ⇐⇒ y ∈ ϕ(U
1)
⇐⇒ ∃ u ∈ U
1mit y
0= π
1◦ ϕ(u) und y
n= π
2◦ ϕ(u)
⇐⇒ ∃ u ∈ U
1mit y
0= ψ
−1(u) und y
n= g (ψ
−1(u))
⇐⇒ y
0∈ U
2und y
n= g(y
0).
U e := (U
2× R ) ∩ B ist eine offene Umgebung von x
0= (π
1◦ ϕ(u
0), π
2(x
0)), und f : U e → R mit f (y
0, y
n) := y
n− g(y
0) ist eine stetig differenzierbare Funktion mit
∇f (y
0, y
n) = −∇g(y
0), 1
6= (0, 0). Außerdem ist
f
−1(0) = {(y
0, y
n) ∈ U e : y
n= g(y
0)} = U e ∩ S.
2.3. Beispiele
A. Sei h > 0, r > 0, B := {(x, y, z) ∈ R
3: |z| < h}, f : B → R definiert durch
f(x, y, z) := x
2+ y
2− r
2und S := f
−1(0). Weil ∇f (x, y, z) = (2x, 2y, 0) 6=
(0, 0, 0) f¨ ur (x, y, z) ∈ S ist, ist S eine glatte (Hyper-)Fl¨ ache, ein Zylinder- mantel der H¨ ohe 2h mit Radius r.
Ist c ∈ R , so ist P
c:= (c, c + 2π) × (−h, h) ein Parametergebiet und ϕ : P
c→ R
3mit
ϕ(u, v) := (r cos u, r sin u, v) eine glatte Parametrisierung, denn die Spalten von
J
ϕ(u, v) =
−r sin u 0 r cos u 0 0 1
.
sind offensichtlich immer linear unabh¨ angig. Dass ϕ die Bedingungen (1) und (3) der Definition eines parametrisierten Fl¨ achenst¨ ucks erf¨ ullt, kann man sich leicht ¨ uberlegen. Ist etwa ϕ(u
1, v
1) = ϕ(u
2, v
2), so muss v
1= v
2und (cos u
1, sin u
1) = (cos u
2, sin u
2) sein. Letzteres ist auf (0, 2π) nur m¨ oglich, wenn u
1= u
2ist.
Leider deckt eine einzelne derartige Parametrisierung nicht die ganze Fl¨ ache S ab, es fehlt immer ein Streckenst¨ uck, das man als
” Klebekante“ interpretieren kann.
x
y z
c
Im Falle c = 0 wird der Zylinder entlang der Linie {(r, 0, z) : |z| ≤ h}
zusammengeklebt. Zwar kann man ϕ auf P stetig differenzierbar fortsetzen, aber dort ist ϕ nicht mehr injektiv. Benutzt man eine zweite Parametrisierung mit dem Definitionsbereich P
c, c 6= 0, so wird S durch ϕ(P
0) und ϕ(P
c)
¨ uberdeckt.
B. Sei f : R
n\ {0} → R definiert durch f (x
1, . . . , x
n) := x
21+ · · · + x
2n− 1. Dann ist S
n−1= f
−1(0) = {x ∈ R
n: kxk = 1} die (n −1)-dimensionale Sph¨ are. Sie ist eine glatte Hyperfl¨ ache, weil ∇f (x) = 2x 6= 0 in jedem Punkt x ∈ S
n−1gilt. Im Falle n = 2 erh¨ alt man den Einheitskreis.
Im Falle n = 3 sei P := (0, 2π) × (−π/2, π/2) und
ϕ(u, v) := (cos u cos v, sin u cos v, sin v).
Dann ist
ϕ(u, v) = cos v e
u+ sin v e
3, mit e
u:= (cos u, sin u, 0) und e
3= (0, 0, 1).
Dabei ist ke
uk = ke
3k = 1 und e
u•e
3= 0.
r
s r
Dies ist die von den r¨ aumlichen Polar- koordinaten herr¨ uhrende Parametrisie- rung.
Die linke und die rechte Seite von P werden zu einem L¨ angenkreis zusam- mengeklebt, die untere und die obere Seite von P ergeben den S¨ udpol und den Nordpol.
Ist ϕ(u
1, v
1) = ϕ(u
2, v
2), so bilde man zun¨ achst auf beiden Seiten das Skalar- produkt mit e
3. Dann erh¨ alt man sin v
1= sin v
2. Subtrahiert man sin v
1e
3= sin v
2e
3auf beiden Seiten der Ausgangsgleichung, so erh¨ alt man die Gleichung cos v
1e
u1= cos v
2e
u2. ¨ Ubergang zur Norm liefert cos v
1= cos v
2(weil der Co- sinus auf (−π/2, +π/2) positiv ist). Wie beim Zylinder folgt nun v
1= v
2. Also muss auch e
u1= e
u2und deshalb u
1= u
2sein. Das Folgenkriterium verifiziert man ¨ ahnlich.
C. Sei α : (a, b) → R
2eine stetig differenzierbare Abbildung, α(t) = (f (t), g(t)), f(t) > 0 auf (a, b). Außerdem sei α eine glatte Parametrisierung (im Sinne eines glatt parametrisierten Kurvenst¨ ucks). Dann wird durch
ϕ(u, v) := (f(u) cos v, f (u) sin v, g(u))
ein glattes Fl¨ achenst¨ uck parametrisiert, die durch α bestimmte Rotations- fl¨ ache. Die ¨ Uberpr¨ ufung der Details sei dem Leser ¨ uberlassen.
Definition
Sei H ⊂ R
neine glatte Hyperfl¨ ache, x
0∈ H. Ein Vektor v ∈ R
nheißt Tangenti- alvektor an H im Punkte x
0, falls es ein ε > 0 und einen stetig differenzierbaren Weg α : (−ε, ε) → R
ngibt, so dass gilt:
1. Die Spur von α liegt ganz in H.
2. Es ist α(0) = x
0und α
0(0) = v.
2.4. Charakterisierung von Tangentialvektoren
Sei H ⊂ R
neine glatte Hyperfl¨ ache, x
0∈ H. Es sei U = U (x
0) ⊂ R
neine offene Umgebung, so dass gilt:
a) Es gibt eine stetig differenzierbare Funktion f : U → R mit f
−1(0) = U ∩ H und ∇f(x) 6= 0 f¨ ur alle x ∈ U ∩ H.
b) Es gibt ein Parametergebiet P ⊂ R
n−1und eine stetig differenzierbare Pa- rametrisierung ϕ : P → R
nmit ϕ(u
0) = x
0und ϕ(P ) = U ∩ H.
Dann sind die folgenden Aussagen ¨ uber einen Vektor v ∈ R
n¨ aquivalent:
1. v ist ein Tangentialvektor an H im Punkte x
0. 2. v
•∇f (x
0) = 0.
3. Es gibt einen Vektor w ∈ R
n−1mit v = w · J
ϕ(u
0)
>.
Beweis: (1) = ⇒ (2): Sei v ein Tangentialvektor an H in x
0, also α(0) = x
0und α
0(0) = v. Dann ist f ◦ α(t) ≡ 0, also 0 = ∇f(x
0)
•α
0(0) = ∇f (x
0)
•v.
(2) = ⇒ (3): Weil ∇f (x
0) 6= 0 ist, hat der Raum der zu ∇f(x
0) orthogonalen Vektoren die Dimension n − 1. Und der Raum Im Dϕ(x
0) besitzt ebenfalls die Dimension n − 1 (= rg J
ϕ(u
0)).
Weil f ◦ ϕ(u) ≡ 0 ist, ist 0 = ∇(f ◦ ϕ)(u
0) = ∇f(x
0) · J
ϕ(u
0) (Kettenregel). Ist also ein Element v = w · J
ϕ(u
0)
>von Im Dϕ(u
0) gegeben, so ist
∇f(x
0)
•v = ∇f(x
0) · v
>= ∇f (x
0) · J
ϕ(u
0) · w
>= 0.
Daher sind die beiden betrachteten Vektorr¨ aume gleich und aus (2) folgt (3).
(3) = ⇒ (1): Es gebe einen Vektor w ∈ R
n−1mit v = w · J
ϕ(u
0)
>= Dϕ(u
0)(v).
Dann definiere man α : (−ε, ε) → R
ndurch α(t) := ϕ(u
0+ tw). Offensichtlich liegt die Spur von α in H, es ist α(0) = x
0und α
0(0) = Dϕ(u
0)(w) = v. Also ist v ein Tangentialvektor an H in x
0.
Aus dem Satz ergibt sich, dass die Menge der Tangentialvektoren an eine glatte Hy- perfl¨ ache H ⊂ R
nin einem Punkt x
0∈ H einen (n − 1)-dimensionalen Vektorraum bildet.
Definition
Sei H eine glatte Hyperfl¨ ache im R
n. Den Vektorraum T
x(H) der Tangentialvek- toren an H in x nennt man den Tangentialraum von H in x.
Bemerkung: Die anschauliche
” Tangentialebene“ in einem Punkt x
0∈ H ist der
affine Raum x
0+ T
x0(H).
2.5. Beispiel
Die Sph¨ are S
n−1= {x : kxk = 1} ist die Nullstellenmenge von f(x) := kxk
2− 1 = x
•x − 1.
F¨ ur x
0∈ S
n−1ist
T
x0(S
n−1) = Ker Df (x
0) = {v ∈ R
n: ∇f (x
0)
•v = 0} = {v : x
0•v = 0}.
Definition
Unter einem glatt berandeten Gebiet verstehen wir ein Parametergebiet Ω ⊂ R
n, dessen Rand eine glatte Hyperfl¨ ache ist.
2.6. Theorem
Sei Ω ⊂ R
nein glatt berandetes Gebiet. Dann gibt es zu jedem Punkt x
0∈ ∂Ω eine zusammenh¨ angende offene Umgebung U = U (x
0) ⊂ R
nund eine differen- zierbare Funktion h : U → R , so dass gilt:
1. U ∩ Ω = {x ∈ U : h(x) < 0}.
2. ∇h(x) 6= 0 f¨ ur x ∈ U .
3. U ∩ ∂Ω = {x ∈ U : h(x) = 0}.
Beweis: Sei x
0∈ ∂Ω. Als glatte Hyperfl¨ ache sieht ∂Ω in der N¨ ahe von x
0wie ein Graph aus. O.B.d.A. kann man eine offene Umgebung U = U (x
0) ⊂ R
n, ein Gebiet V ⊂ R
n−1, ein offenes Intervall I und eine differenzierbare Funktion g : V → I finden, so dass gilt:
U ∩ ∂Ω = {(y
0, y
n) ∈ V × I : y
n= g(y
0)}.
Sei h : U → R definiert durch h(y
0, y
n) := y
n− g (y
0). Dann setzen wir U
−:= {y ∈ U : h(y) < 0},
U
+:= {y ∈ U : h(y) > 0}
und U
0:= {y ∈ U : h(y) = 0} = U ∩ ∂Ω.
∂ Ω U
−U
+Man kann annehmen, dass I = (a, b) ist und dass es ein ε > 0 gibt, so dass a + ε ≤ g(y
0) ≤ b − ε f¨ ur y
0∈ V gilt. Dann sind U
−und U
+Gebiete, und wir haben eine disjunkte Zerlegung
U = U
−∪ U
+∪ (U ∩ ∂Ω).
Indem man notfalls h durch −h ersetzt, kann man annehmen, dass es einen Punkt x
1∈ U
−∩ Ω gibt. Wir zeigen, dass dann U
−⊂ Ω ist.
Sei x
2∈ U
−ein weiterer Punkt. Der kann nicht in ∂Ω liegen. Wir nehmen an, dass x
2in R
n\ Ω liegt. Es gibt einen stetigen Weg α : [0, 1] → U
−, der x
1mit x
2innerhalb von U
−verbindet.
Sei
t
0:= sup{t ∈ [0, 1] : α(t) ∈ Ω}.
Dann ist 0 < t
0< 1, und α(t
0) muss in Ω liegen. Weil der Weg in U
−verl¨ auft, kann er ∂Ω nicht treffen, aber α(t
0) ∈ Ω kann auch nicht gelten. Das ist ein Widerspruch.
Analog zeigt man, dass U
+⊂ R
n\ Ω ist. Aber dann ist U
−= U ∩ Ω.
Man nennt h eine lokale Randfunktion. Diese Randfunktion ist nicht eindeutig bestimmt.
2.7. Satz
Sei Ω ein glatt berandetes Gebiet. Sind h
1, h
2zwei lokale Randfunktionen auf ei- ner Umgebung U eines Punktes x
0∈ ∂ Ω, so gibt es eine differenzierbare Funktion λ auf U , so dass gilt:
1. λ > 0 auf U . 2. h
1= λ · h
2auf U .
3. ∇h
1(x) = λ(x) · ∇h
2(x) auf U ∩ ∂Ω.
Beweis: Durch eine Koordinatentransformation kann man erreichen, dass x
0= 0 und h
2= x
nist. F¨ ur festes x = (x
1, . . . , x
n) ∈ U ist
g(t) := h
1(x
1, . . . , x
n−1, t)
eine differenzierbare Funktion, die bei t = 0 verschwindet. Dann folgt:
h
1(x
1, . . . , x
n−1, x
n) = g(x
n) − g(0) = Z
xn0
g
0(s) ds
= x
nZ
10
g
0(tx
n) dt (mit Substitution ϕ(t) = tx
n)
= h
2(x
1, . . . , x
n) · λ(x
1, . . . , x
n), wobei λ(x
1, . . . , x
n) :=
Z
1 0∂h
1∂x
n(x
1, . . . , x
n−1, tx
n) dt eine differenzierbare Funktion ist (Satz ¨ uber Parameterintegrale).
Offensichtlich ist λ = h
1/h
2> 0 auf U \ ∂Ω. Weil h
2auf ∂Ω verschwindet und
∇h
1(x) = λ(x) · ∇h
2(x) + h
2(x) · ∇λ(x)
ist, ist sogar ∇h
1(x) = λ(x) · ∇h
2(x) auf U ∩ ∂Ω. Das zeigt aber, dass λ auf ∂ Ω nicht verschwinden kann. Aus Stetigkeitsgr¨ unden muss λ ≥ 0 auf ganz U gelten.
Also ist λ > 0 auch auf U ∩ ∂Ω.
2.8. Existenz (und Eindeutigkeit) der ¨ außeren Normale
Sei Ω ⊂ R
nein glatt berandetes Gebiet und x
0∈ ∂ Ω. Dann gibt es einen eindeutig bestimmten normierten Vektor N = N(x
0) und ein ε > 0, so dass gilt:
1. N
•v = 0 f¨ ur alle v ∈ T
x0(∂ Ω).
2. x
0+ t · N liegt f¨ ur −ε < t < 0 in Ω und f¨ ur 0 < t < ε in R
n\ Ω.
Beweis: Es gibt eine Umgebung U = U (x
0) ⊂ R
nund eine lokale Randfunktion auf U , also eine stetig differenzierbare Funktion h : U → R , so dass gilt:
U ∩ ∂Ω = {x ∈ U : h(x) = 0} und U ∩ Ω = {x ∈ U : h(x) < 0}.
Außerdem kann man annehmen, dass ∇h(x) 6= 0 auf U ist.
Ist v ∈ T
x0(∂ Ω) tangential zu ∂Ω, so gibt es einen stetig differenzierbaren Weg α : (−ε, ε) → ∂ Ω mit α(0) = x
0und α
0(0) = v. Dann ist h ◦ α(t) ≡ 0, also
0 = (h ◦ α)
0(0) = ∇h(α(0))
•α
0(0) = ∇h(x
0)
•v.
Das bedeutet, dass ∇h(x
0) auf dem Tangentialraum senkrecht steht. Wir setzen N(x
0) := ∇h(x
0)
k∇h(x
0)k ,
sowie %(t) := h(x
0+ t · N(x
0)). Dann ist %(0) = h(x
0) = 0 und %
0(0) =
∇h(x
0)
•N(x
0) = k∇h(x
0)k > 0. Also w¨ achst % in der N¨ ahe von t = 0 streng monoton. Daraus folgt: Es gibt ein ε > 0, so dass %(t) < 0 f¨ ur −ε < t < 0 und
%(t) > 0 f¨ ur 0 < t < ε ist. Das bedeutet:
x
0+ t · N(x
0) ∈ Ω f¨ ur −ε < t < 0 und x
0+ t · N(x
0) ∈ R
n\ Ω f¨ ur 0 < t < ε.
Der Raum aller Vektoren v ∈ R
n, die in x
0auf ∂Ω senkrecht stehen, ist 1- dimensional. Weil der Vektor N(x
0) normiert sein und nach außen zeigen soll, ist er eindeutig bestimmt.
Wir nennen N(x
0) den ¨ außeren (Einheits-)Normalenvektor von ∂ Ω in x
0. Er legt eine
” transversale Orientierung“ des Randes fest.
Die ” innere Orientierung“ des Randes im Punkte x
0wird durch die Anordnung der Elemente a
1, . . . , a
n−1einer Basis von T
x0(∂Ω) festgelegt. Sie ist so zu w¨ ahlen, dass det N(x
0), a
1, . . . , a
n−1> 0 ist.
Eine Basis von T
x0(∂Ω), also eine innere Orientierung des Randes, gewinnt man durch eine lokale Parametrisierung des Randes. Ist ϕ : P → S ⊂ ∂Ω eine solche Parametrisierung und ϕ(u
0) = x
0, so ist {ϕ
u1(u
0), . . . , ϕ
un−1(u
0)} eine Basis von T
x0(∂Ω).
2.9. Beispiele
A. Sei Ω ⊂ R
2ein glatt berandetes Gebiet, x
0∈ ∂Ω und α : (−ε, ε) → R
2eine lokale Parametrisierung des Randes in der N¨ ahe von x
0mit α(0) = x
0, sowie N der ¨ außere Normalenvektor in x
0. Die Parametrisierung α liefert die ” richtige“ Orientierung des Randes, wenn det(N, α
0(0)) > 0 ist. Das ist genau dann der Fall, wenn die Basis {N, α
0(0)/kα
0(0)k} durch eine (positive) Drehung aus {e
1, e
2} hervorgeht. Und das ist wiederum genau dann der Fall, wenn das Gebiet Ω
” links“ vom Rand liegt und die ¨ außere Normale N nach
” rechts“ zeigt.
s
N
x
0α
0(0) Ω
B. Im R
3ist es n¨ utzlich, sich des Vektorproduktes zu bedienen.
Sind v, w zwei linear unabh¨ angige Vektoren des R
3, so ist die Zuordnung a 7→ det(a, v, w)
eine Linearform 6= 0. Deshalb gibt es einen eindeutig bestimmten Vektor u, so dass det(a, v, w) = a
•u f¨ ur alle a ∈ R
3gilt. Diesen Vektor u nennt man das Vektorprodukt von v und w und bezeichnet ihn mit v × w. Allgemein ist also
a
•(v × w) = det(a, v, w) f¨ ur alle a ∈ R
n.
Setzt man f¨ ur a nacheinander die Einheitsvektoren e
1, e
2, e
3ein, so erh¨ alt man die drei Komponenten des Vektors v × w und damit die Gleichung
v × w = det(e
1, v, w), det(e
2, v, w), det(e
3, v, w)
= (v
2w
3− v
3w
2, v
3w
1− v
1w
3, v
1w
2− v
2w
1).
Aus den Eigenschaften der Determinante folgt:
Das Vektorprodukt ist bilinear, es ist w × v = −v × w und v
•(v × w) = w
•(v × w) = 0.
Ist {a
1, a
2, a
3} eine positiv orientierte Orthonormalbasis des R
3(also eine
ON-Basis mit det(a
1, a
2, a
3) = 1), so gilt:
a
1× a
2= a
3, a
2× a
3= a
1und a
3× a
1= a
2.
Das folgt daraus, dass v = (a
1•v)a
1+ (a
2•v)a
2+ (a
3•v)a
3f¨ ur jeden Vektor v ∈ R
3gilt.
Ist nun Ω ⊂ R
3ein glatt berandetes Gebiet, x
0∈ ∂ Ω, ϕ : P → R
3eine lokale Parametrisierung des Randes und ϕ(u
0) = x
0, so bilden die Vektoren ϕ
u(u
0) und ϕ
v(u
0) eine Basis von T
x0(∂Ω). Das Vektorprodukt ϕ
u(u
0) × ϕ
v(u
0) steht in x
0auf ∂Ω senkrecht. Kann man die Parametrisierung so w¨ ahlen, dass ϕ
u(u
0) × ϕ
v(u
0) und N(x
0) in die gleiche Richtung zeigen (was der Fall ist, wenn det(N, ϕ
u, ϕ
v) > 0 ist), so ist
N(x
0) = ϕ
u(u
0) × ϕ
v(u
0) kϕ
u(u
0) × ϕ
v(u
0)k .
Andernfalls unterscheiden sich die beiden Vektoren um das Vorzeichen.
3.3 Integration auf Hyperfl¨ achen
Wir brauchen zun¨ achst etwas Lineare Algebra:
Seien a
1, . . . , a
n−1∈ R
nirgendwelche Vektoren (n ≥ 3). Durch λ(w) := det(w, a
1, . . . , a
n−1)
wird eine Linearform λ auf dem R
ndefiniert. Daher gibt es genau einen Vektor z (der mit a
1× . . . × a
n−1bezeichnet wird), so dass λ(w) = w
•z ist. Also gilt:
w
•(a
1× . . . × a
n−1) = det(w, a
1, . . . , a
n−1).
Insbesondere ist dann a
i•(a
1× . . . × a
n−1) = 0 f¨ ur i = 1, . . . , n − 1, und a
1× . . . × a
n−1= 0, falls die Vektoren linear abh¨ angig sind.
Wir benutzen die a
ials Spalten einer Matrix:
A := (a
>1, . . . , a
>n−1).
F¨ ur k = 1, . . . , n sei A
kdie quadratische Matrix, die aus A entsteht, indem man die k-te Zeile streicht. Der Laplace’sche Entwicklungssatz besagt dann:
det(w, a
1, . . . , a
n−1) =
n
X
k=1
(−1)
k+1w
k· det(A
k).
Setzt man f¨ ur w die Basisvektoren e
1, . . . , e
nein, so gewinnt man die Komponenten von a
1× . . . × a
n−1:
(a
1× . . . × a
n−1)
i= e
i•(a
1× . . . × a
n−1)
=
n
X
k=1
(−1)
k+1δ
ik· det(A
k) = (−1)
i+1det(A
i).
Daraus folgt:
ka
1× . . . × a
n−1k
2=
n
X
i=1
(a
1× . . . × a
n−1)
2i=
n
X
i=1
(det A
i)
2.
Im Falle n = 3 gewinnt man wieder das im vorigen Abschnitt eingef¨ uhrte Vektor- produkt.
Definition
Ist A := (a
>1, . . . , a
>n−1) ∈ M
n,n−1( R ), so heißt G
A= G(a
1, . . . , a
n−1) := det(A
>· A) = det
a
i•a
ji, j = 1, . . . , n − 1
die Gram’sche Determinante von A bzw. von a
1, . . . , a
n−1.
3.1. Satz
G
A= ka
1× . . . × a
n−1k
2.
Beweis: Wenn die Vektoren a
1, . . . , a
n−1linear abh¨ angig sind, verschwindet die rechte Seite. Ist etwa a
n−1= P
n−2j=1
λ
ja
j, so ist auch a
i•a
n−1= P
n−2j=1