ERSTEN SELDSCHUKISCHEN SULTANE
Von Tilman Nagel, Bonn
Hamilton A. R. Gibb hat in seiner kurzen Abhandlung über , .Govern¬
ment and Islam under the Early Abbasids", der er den Untertitel ,,The
Political Collapse of Islam" gab', dargelegt, daß in der Rehgion, in der
Armee und der Bürokratie die drei Hauptpfeiler des abbasidischen Staats¬
wesens zu sehen seien. Alle drei, so Gibb, entwickelten bis zum Beginn der
Vorherrschaft der Büyiden über das Kalifat so viel Eigengewicht, daß die
schwache und oft unfähige Person des Kalifen die zentrifugalen Kräfte nicht
mehr zu binden, geschweige denn zu einem ausgewogenen Ganzen zu koordi¬
nieren vermochte. Die Institution des Kahfates hatte sich eigentlich über¬
lebt; es wurde zu einem , .leeren Mythos", dem Mäwardi in der Mitte des
eKten Jahrhunderts in seinen Ahkäm as-Sultäniya ein bleibendes Denkmal
setzte.
Das politische Ideal des Islam, nach Gibb eine Einklassengesellschaft, in
der die Wechselbeziehungen von Regierten und Regierenden durch eine
göttlich offenbarte Pflichtenlehre geregelt sind, deren gerechte Anwendung
und peinliche Einhaltung der Kalif garantiert, dieses Idealbild hatte mit der
Wirklichkeit auch gar nichts mehr gemein, hatte das Kalifat doch sämtliche
Machtmittel verloren, die es zur Wahrnehmung dieser ihm vorbehaltenen
Funktionen benötigt hätte.
Dennoch mündete diese Periode der völligen Ohnmacht des Kalifates
nicht in eine Trennung von staatlicher und geistlicher Gewalt aus. Am Ende
der Buyidenzeit zeichnet sich vielmehr ein neuartiger Zusammenklang von
Islam und dynastischer Macht ab, der für die religionspolitische Lage unter
den ersten Seldschuken bestimmend wird.
Der Kahf bleibt unter den Seldschuken nach wie vor Oberhaupt der
islamischen Umma, die tatsächliche Ausübung der Herrschergewalt aber
delegiert er an den Sultan, dessen in der Praxis gegebene Machtfülle hiermit
ihre Legitimation innerhalb der muslimischen Gemeinschaft erfährt. Dieser
Sultan - Togrilbeg war der erste, der dieses Wort in seine offizielle Titulatur
aufnahm* - führt seinerseits alle Gefechte zu Nutz und Frommen der Umma
1 In: L'Elaboration de ITslam, Paris' 196L S. 115-127.
2 Vgl. Makdisi, Ibn 'Aqil et la resurgence de ITslam traditionaliste, Damaskus
1963, S. 83. Die älteste Münze Togrils aus dem Jahre 1046/7 tituliert ihn als
,, Sultän Mu'azzam"; in den Legenden ghaznawidischer Münzen erscheint dieser
17 Or.-Tag 1973
mit dem Kalifen an der Spitze. Die kriegerischen Unternehmungen des
Sultans sollen zum einen auf die Ausweitung der Där al-Isläm abzielen ; zum
anderen sollen sie einer bestimmten Richtung des Islam, die wir in Ermange¬
lung eines besseren Begriffes als die orthodoxe bezeichnen, zum alleinigen
Triumph über alle Rivalinnen verhelfen. Hierbei war damals ganz konkret
an die Gefahren gedacht, die vom fätimidischen Kalifat in Kairo ausgingen.
Dieses keineswegs uneigennützige Zusammenspiel von abbasidischem Ka¬
lifat und seldschukischem Sultanat, für das zahllose Spannungen und Inter¬
essenkonflikte charakteristisch sind, endete in den 60er Jahren des 12. Jahr¬
hunderts unter dem Kalifen Mustangid. Er konnte es sich leisten, eine
Gesandtschaft des Sultans Sulaimänsäh mit der Bitte, die Nennung des
eigenen Namens in der Hutba zu gestatten, einfach zu ignorieren*. Schon
Mustangids Vorgänger Muqtafi hatte es verstanden, verschiedene seldschu-
kische Prätendenten gegeneinander auszuspielen*. Beide schufen so die
Grundlagen für ein relativ unabhängiges Staatswesen, welches etwa die
Grenzen des heutigen Iraq umfaßte, wenn man so will : für einen kalifischen
Regionalstaat innerhalb der Umma, der seine Blüte unter Näsir erleben und
bis zum Mongolensturm Bestand haben sollte.
Die Folgen der Zusammenarbeit des Kalifen mit den seldschukisehen
Sultanen waren aber darüberhinaus sehr weitreichend. Auch andere Dyna¬
stien, die sich dem orthodoxen Islam verbunden fühlten, ersuchten um
Verleihung des Sultanstitels, was zweifellos das Ansehen des Kahfates ver¬
stärkte, so daß später die Mamelucken noch bestrebt waren, die Fiktion einer
Legitimierung durch einen abbasidischen Kalifen aufrechtzuerhalten. Das
wesentlichste Ergebnis dieser Zusammenarbeit scheint mir aber darin zu
bestehen, daß ein weiteres Vordringen des ismailitischen Islams verhindert
und seine politische Stellung entscheidend geschwächt werden konnte.
Doch kehren wir zu den Anfängen des religiös-politischen Verhältnisses
KaHf-Sultan zurück und versuchen wir, seine Vorgeschichte zu ergründen.
Der Verfall der Zentralgewalt hatte im Osten des islamischen Gebietes das
Entstehen relativ unabhängiger Staatswesen begünstigt. Im zehnten Jahr¬
hundert waren es vor allem die Samaniden, die, dem Namen nach Statthalter
Titel orst später (Busse, Kalif vmd Großkönig, BTS VI, Beirut 1969, S. 184).
Mahmüd von Ghazna hat also noch nicht, wie häufig angenommen, den Titel
,, Sultän" getragen. 'Utbi benutzt das Wort ,, Sultän" als Terminus für einen
hohen weltlichon Herrscher sowohl für die Samaniden als auch für Mahmüd,
nachdem dieser die samanidische Oberhoheit abgeschüttelt hatte. - Übor Ent¬
stehung und Geschichte dos Sultanats bis zum Ende der Großsoldschuken ge¬
denke ich eino Studio vorzulegen, in der diese Fragen im einzelnen erörtert
werden.
3 BuNDÄal, Zubdat an-nusra, ed. Houtsma, Leiden 1889, S. 294 f.
* BuNDÄBi, a.a.O., S. 240 ff.
des Kalifen*, von Buhärä aus ein eigenes Reich beherrschten, ohne sich viel
um die Angelegenheiten des fernen Bagdad zu kümmern. Um das Jahr 1000
wurde üir Gebiet von bürgorkriegsähnlichen Wirren heimgesucht, in deren
Verlauf sich der Militärführer von Ghazna Mahmüd gegen eine Koalition
samanidischer Generale durchsetzen konnte. Ein im Jahre 999 erfochtener
Sieg Mahmüds wird von seinem Biographen 'Utbi als der Beginn eines
selbständigen Ghaznawidenstaates gefeiert, denn Mahmüd erkannte von nun
an eine auch nur nominelle Oberherrschaft des letzten Samaniden Abu '1-
Fawäris 'Abd al-Malik b. Nüh nicht mehr an*.
Unterdessen hatten auch in Bagdad Veränderungen stattgefunden: Der
Kalif Tä'i' war entthront und durch seinen Vetter Qädir ersetzt worden.
Diesen Kalifenwechsel hatten die Samaniden nicht zur Kenntnis genommen.
In ihrem Herrschaftsbereich wurde weiter Tä'i' in der Freitagspredigt als
Fürst der Gläubigen genannt'. Was lag nun für Mahmüd näher, als sich an
Qädir zu wenden, um sich von diesem seine jüngst errungene Selbständigkeit
legitimieren zu lassen ? In einem Schreiben an Qädir, welches uns Hiläl as-
Säbi' überliefert*, behauptet Mahmüd denn auch, er habe schon seit Jahren
die Samanidenmachthaber aufgefordert, Qädir, den einzigen rechtmäßigen
Kalifen, anzuerkennen. Erst als alle diese Mahnungen, den Weg des Irrtumes
und Unrechts zu verlassen, nichts genützt hätten, habe er sich entschlossen,
mit militärischen Mitteln gegen die Samaniden vorzugehen. - Der Bürger¬
krieg, der für die Samaniden den Untergang bedeutete, stellt sich hier als ein
Ringen Mahmüds dar, in welchem er dem rechtmäßigen Kalifen auch in
Huräsän habe Anerkennung verschaffen wollen. Nach einer weitschweifigen
Schilderung des entscheidenden Kampfes, in dem Mahmüd mit der Losung
,, Gehorsam gegenüber unserem Herrn, dem Fürsten der Gläubigen !" gefoch¬
ten haben will, läßt er durchblicken, daß er für sein Verhalten nun vom
Kalifen den Lohn fordert: ,, Desweiteren erneuere ich keine (aus der Sama-
nidenzeit stammende) Verfügung (des Kahfen) betreffs Binden und Lösen,
Bestätigung und Aufhebung, bis daß an mich eine solche hohe Anordnung
^ Frye, Bukhara - the medieval Achievement, Oklahoma 1965, passim. Wenn
die Beziehungesn der Samaniden zum Kalifat auch reoht gut waren, so mischten
sich jene jedoch kaum in dessen religiöse oder politische Problome ein, wie dies für
die Ghaznawiden und besonders die Seldschuken nachgewiesen werden kaim. Sie
waren dazu - nicht zuletzt auch kulturell (Blütezeit Buhäräs) - zu sehr in ihrem Herrschaftsgebiet verwurzelt. Ghaznawidon und Seldschuken, die Militärführer
nomadischer Herkunft waren, besaßen keine festen Bindungen an eigene kvdtu-
relle oder politische Zentren, ein Umstand, der vielleicht ihre stärkere Hinwon¬
dung nach Bagdad begünstigte.
" 'Utbi, at-Ta'rih al-Yamini (nebst Sarh des Manini), Bd. I, S. 311.
Ibn al-Atib, Kämil, ed. Tornberg, Bd. IX, S. 103.
* Hilal as-Säbi', Ta'rih (Fragment, ed. Amedroz in Dail tagärib al-umam,)
Naclidruck, Bagdad o.J., S. 341.
und Verfügung (des Kalifen) ergeht, gemäß der ich meine Herrschaft errich¬
ten und an die ich mich halten kann nach dem Willen Gottes, des Erhabe¬
nen". Mit anderen Worten, Mahmüd verlangt für sein Eintreten für die
Interessen Qädirs, daß der Kalif seinerseits die neu entstandene Lage legali¬
siert und Mahmüds unumschränkte Herrschaft über Huräsän und andere
noch zu erobernde Gebiete bestätigt. Die Fiktion einer Statthalterschaft wird nicht mehr aufrechterhalten.
Wenn dieses Schreiben letztlich auch nur Zeugnis für den schlauen Oppor¬
tunismus des Ghaznawiden ablegt, der die damalige Situation für sich zu
nutzen verstand, so zeitigte seine hier sicher nur vorgegebene enge Anleh¬
nung an den Kalifen Qädir bald dennoch konkrete Folgen. Das Kalifat
Qädirs ist mit einem raschen Erstarken des orthodoxen Islam verbunden,
welches sich z. B. in der von Huräsän bis Damaskus nachweisbaren Tätigkeit
der sogenannten Karämiya widerspiegelt*. Zudem neigte sich die Vorherr¬
schaft der Büyiden ihrem Ende zu, der Kalif gewann allmähhch einen
größeren Handlungsspielraum'*. Etwa zur gleichen Zeit, als in Huräsän
Mahmüd die Oberherrschaft der Samaniden abschüttelte, begannen sich in
Bagdad die Spannungen zwischen dem sunnitischen und dem sehiitischen
Teil der Bevölkerung zu verschärfen. Im Jahre 998 organisierten die Sunni¬
ten zum ersten Mal Parallelveranstaltungen zu den hohen sehiitischen Fest¬
tagen; dies gab in den folgenden Jahren Anlaß zu ständigen Reibereien
zwisclien den Anhängern der beiden Konfessionen''. Der Bürgerkrieg von
1017/8 gilt als die große Heimsuchung, von der die sunnitische Restauration
ihren Ausgang nahm. Schon vorher, so scheint es, war Qädir bemüht, sich
der buyidischen Bevormundung zu entziehen. Er weigerte sich z. B., einen
von den Büyiden vorgeschlagenen sehiitischen Oberrichter in sein Amt
einzusetzen, und war bestrebt, alle sehiitischen Moscheeprediger durch Sun¬
niten zu ersetzen. - Nach den großen Auseinandersetzungen des Jahres 1017/
8 ließ er eine Art Glaubensbekenntnis verkünden, das unter dem Namen
Qädiriya bekannt geworden ist und unter anderem die Lehren der Schiiten
verurteilte und die Doktrinen des sunnitischen Islams definierte. Die Lesung
dieser Qädiriya fand in regelmäßigen Abständen in Bagdad statt, so daß ,,die
Pilger" die in ihr niedergelegten Sätze ,,bis ans Ende der Welt trugen". Eine
Wiederholung der Verkündung dieses Bekenntnisses durch Qädirs Nachfol¬
ger Qä'im ist für das Jahr 1041 belegt'*.
Wie gestaltete sich nun das Verhältnis Mahmüds zum Kahfen Qädir seit
» Laoust, La profession de foi d'Ibn Batta, Damaskus 1958, S. XLIX ff, S.
XCII, Anm. 214; Boswobth, The Rise of the Karämiyyah in Khurasan, Muslim
World L/1960, S. 5-14.
'» Busse, Kalif und Großkönig, S. 136 und S. 154. '
" Busse, a.a.O., S. 426 f.
'* Laoust, a.a.O., S. XCIII ff.; Busse, a.a.O., S. 139.
jenem zitierten Schreiben ? Qädir hatte nur zu gut verstanden, daß sich die
Machtverhältnisse im Osten des islamischen Gebietes von Grund auf verän¬
dert hatten und beeilte sich, Mahmüd die zwischen den Zeilen geforderten
Ehrenbezeigungen zukommen zu lassen und ihn als Machthaber des Ostens
zu bestätigen. Der Zeitgenosse 'Utbi berichtet nun, Mahmüd habe sich zum
Dank für die Anerkennung durch den Kalifen verpflichtet, alljährlich einen
Kriegszug nach Indien zu unternehmen, um dort den Islam auszubreiten'*.
Er gibt damit einem unter seinem Vater Subuktegin aufgekommenen
Brauch eine Legitimation aus dem Islam. Qädir seinerseits wandte sich mit
der Bitte an Mahmüd, etwas gegen nichtsunnitische Gruppen in seinem
Gebiet zu unternehmen". Mahmüd richtete demgemäß sein Augenmerk auf
die Umtriebe der Geheimpropaganda des fätimidischen Kalifates in Kairo,
das damals auf dem Höhepunkt seiner Macht stand. Im einzelnen können die
Maßnahmen Mahmüds hier nicht aufgeführt werden; doch verbannte er
beispielsweise nach der Eroberung von Ray alle Anhänger der Schia aus der
Stadt, nachdem er sich im Jahre 1027 noch emmal zum Beschützer des
abbasidischen Kalifates erklärt hatte'*. Desgleichen bemühte er sich um die
Sicherung der Pilgerwege und ver.suchte, die heiligen Stätten des Islam dem
Einfluß der Fatimiden zu entziehen'*. Sein eigener Wesir Hasanak wurde im
Rahmen dieser Geschehnisse durch Gesandte des Bagdader Hofes der verrä¬
terischen Kollaboration mit den Fatimiden verdächtigt und unter Mahmüds
Sohn und Nachfolger Mas'üd hingerichtet".
Überhaupt setzte Mas'üd die Politik seines Vaters fort. Der Kalif, inzwi¬
schen Qä'im, bestätigte Mas'üd als Herrscher über alle ererbten, eroberten
und noch zu erobernden Länder. Dies war, wie aus den Berichten des
Zeitgenossen Baihaqi hervorgeht, unter der Voraussetzung geschehen, daß
alle Ketzer und Freunde der Fatimiden ausgerottet würden'*. In seiner
Geschichte der Regierungszeit Mas'üds bezeugt uns Baihaqi ferner an ver¬
schiedenen Stellen, daß der Ghaznawde sich mit Plänen trug, einen Kriegs¬
zug nach Westen zu unternehmen, um das Bagdader Kalifat fest seinem
Schutz zu unterstellen und endgültig den Zugang zu den Heiligen Stätten zu
sichern. Baihaqi kopiert ein Schreiben Mas'üds, in dem dieser davon spricht,
er habe beabsichtigt, von Ray aus alle ,,jene Länder bis Konstantinopel und
auf der anderen Seite bis Ägypten" zu erobern, und zwar im Auftrage des
" 'Utbi, a.a.O., Bd. I, S. 318.
'* Laoust, a. a. O., S. XCV. Erst seit Qädir ist eine Aktivität des abbasidischen Kalifates gegen die Ismailiya nachweisbar, Busse, a.a.O., S. 137.
'5 Ibn al-Atib, KamU, Bd. IX, S. 262.
'6 Ibn al-Atib, a.a.O., S. 229.
" Abu 'l-Fadl Baihaqi, Tärih-i Mas'üdi, ed. Sa'id Nafisi, Teheran 1319, Bd.
I, S. 203 ff.
'* Baihaqi, a.a.O., S. 447.
Kalifen, woran ihn bislang lediglich der Nachfolgestreit mit seinem Bruder gehindert habe'". Über die Ernsthaftigkeit dieser phantastischen Pläne kann
man freilich geteilter Meinung sein; denn die politische Lage hatte sich
mittlerweile sehr geändert. Unruhen in den neuen indischen Provinzen hat¬
ten Mas'üd gezwungen, einen Heereszug nach Westiran und in den Iraq im
Jahre 1033 vorzeitig abzubrechen*". In steigendem Maße wurden die ghazna¬
widischen Kräfte in Indien gebunden, was sich umso verhängnisvoller auszu¬
wirken begann, als die Einkünfte aus den Raubzügen nicht mehr so reichlich
flössen wie zur Glanzzeit der Ghaznawiden unter Mahmüd. Man sah sich
gezwungen, die kostspieUge Aufgabe der Verteidigung Huräsäns gegen an¬
drängende turkmenische Völkerschaften zu vernachlässigen. Die Folge da¬
von war, daß gegen Ende der 30er Jahre des elften Jahrhunderts die Seld¬
schuken unter ihrem Anführer Togril Einzug in Nisäpür hielten. Baihaqi, der
diesen Niedergang ghaznawidischer Größe erlebte, sagt dennoch einmal aus¬
drückhch, Gott habe Subuktegin, den Vater Mahmüds, zum Islam gebracht,
damit durch ihn und seine Nachkommen dieser Islam und das Bagdader
Kalifat unterstützt würden, das Kalifat, dessen Gedeihen Gott von der
Stärke der Ghaznawiden abhängig gemacht habe*'.
Schauen wir auf die älteste Darstellung des Aufstieges der Seldschuken, das Salgüq-näme, in verkürzter arabischer Fassung bei Ibn al-Atir wiederge¬
geben**, so erkennen wir dort imschwer ein ganz ähnliches Geschichtsbild :
Salgüq ist es, der sich zum Beschützer der Muslime selbst gegen seine
heidnischen Mitbrüder aufschwingt, der mutig und selbstlos für die Belange
des Islam eintritt. -
Togrilbeg, sein Nachkomme, änderte zunächst wenig an den politischen
Verhältnissen, die er in Huräsän vorfand, und er erkannte anfangs noch eine
Oberhoheit der Ghaznawiden an. Selbstverständlich stützte er sich auch
weiterhin auf den ghaznawidischen Beamtenapparat**. Nachdem er 1040
einen entscheidenden Sieg über die Ghaznawiden errimgen hatte, nahm
Togrilbeg offenbar den Titel ,, as-Sultän al-Mu'azzam" an, um seine neuge¬
wonnene Machtfülle zu dokumentieren**. Gesandtschaften des Kalifen al-
Qä'im setzten sich bald darauf mit dem neuen Machthaber in Verbindung ;
Togrilbeg versichert den Kalifen seines Gehorsams**. Die Seldschuken wer-
1» Baihaqi, a.a.O., S. 82 ff., 254, 247.
2» Ibn al-Atib, Bd. IX, S. 291; vgl. Baihaqi, S. 474 ff., 481 ff.
*' Baihaqi, S. 102.
22 Ibn al-Atib, Bd. IX, S. 321 ff.
23 Vgl. etwa die Angaben über die Karriere Nä§ir-i gusraws, Bbbtel's, Nasir-i
Chosrov i Ismaihzm, Moskau 1959, S. 175 f.
2* Busse, a.a.O., S. 184; Ibn al-Atib, Bd. IX, S. 328. Der Sultanstitel wurde nach der Ankunft Togrilbegs in Bagdad durch den Kalifen gleichsam legalisiert, Ibn al-Atie, Bd. IX, S. 359 (hutiba lahü bis-saltana).
23 Ibn al-Atib, a.a.O., S. 357.
den so, obschon ursprünglich Gegenspieler der Ghaznawiden, in religionspoh-
tischer Hinsicht zu ihren Erben: Sie übernehmen die von ihren Vorgängern
begonnene Aufgabe einer tatkräftigen Propagierung der sunnitischen Form
des Islam und fühlen sich, aus welchen Motiven auch immer, dazu berufen,
ein sunnitisch-orthodoxes Kalifat zu schützen, in Sonderheit gegen die da¬
mals akute Gefahr, die diesem von Seiten der Fatüniden drohte.
Dies bewiesen die Seldschuken zunächst mit ihren militärischen Unterneh¬
mungen. Während die Ghaznawiden nur davon geredet hatten, in den Iraq
zu ziehen, um das Kalifat ihrem unmittelbaren Schutz zu unterstellen,
wegen der starken Bindung ihrer Kräfte in Indien jedoch nicht an eine
Verwirkhchung dieses Planes gehen konnten, griff Togrilbeg aktiv in die
Geschicke Bagdads ein**. Es gelang ihm gleichsam im letzten Augenblick,
den Kalifen vor dem Zugriff eines fätimidischen Heeres zu retten. Auch der
buyidische Einfluß im Iraq fand mit dem Einmarsch Togrilbegs in Bagdad
1055 sein Ende. SchUeßlich setzten die Seldschuken die Bekämpfung schiiti¬
scher, vor allem ismailitischer Umtriebe mit unverminderter Schärfe fort.
Die Autobiographie des fätimidischen Dä'i al-Mu'ayyad, der damals in Pars
und im südlichen Iraq wirkte, legt davon ein beredtes Zeugnis ab.
Die fatimidische Gefahr wurde so durch ein im sunitischen Islam begrün¬
detes Zusammenspiel von Kalif und Sultan abgewendet. Wie aber würde sich
der Kalif nun dem übermächtigen Einfluß seiner neuen Beschützer entziehen
können? Was sich unter den Ghaznawiden als Möglichkeit abzuzeichnen
begann, die Ablösung der buyidischen Bevormundung dmch die Kuratel
eines machtvollen sunnitischen Herrschers, war unter 'Togrilbeg WirkUchkeit
geworden, und die Interessen von Kalif und Sultan stimmten keineswegs
immer überein. al-Mu'ayyad bemerkt einmal ironisch, daß es dem Seldschu¬
ken eigentlich nicht um eine Verteidigung des sunnitischen Kalifates, son¬
dern allein um die Absicherung der eigenen Herrschaft gehe*'.
Die Politik Qä'ims und seiner Nachfolger ist von dem Bestreben gekenn¬
zeichnet, sich die turkmenische Soldateska und ihre Anführer möglichst vom
Leibe zu halten, eine Politik, die, wie eingangs angedeutet, auf die Dauer
erfolgreich war, da es gelang, verschiedene Seldschukenprinzen gegeneinan¬
der auszuspielen. Denn einen Trumpf hielt der Kalif in der Hand: Nur er
legitimierte deren Machtausübung, die, was unter den Büyiden noch nicht
der Fall gewesen war, eine Verankerung im orthodoxen Islam erfahren hatte.
So konnte der Kalif nicht selten den Gang der Geschehnisse zu seinen
Gunsten beeinflussen. Die Verleihung der Sultanswürde, die die Verpflich-
*» Durch Vermittlung des Ibn Muslima, des Wesirs al-Qä'ims ? s. EI*, Bd. I,
s.v. al-Basäsiri.
*' al-Mu'ayyad, as-Sira al-Mu'ayyadiya, ed. M. Kämü Husain, Kairo 1949, S.
65.
tung zur Förderung des sunnitischen Islam beinhaltete, war zu einem Macht¬
instrument in der Hand des Kalifen geworden**.
Der Ursprung des religiös-pohtischen Verhältnisses Kalif-Sultan ist, wie
wir sahen, in den besonderen Beziehungen zu suchen, die sich aus mehreren
Gründen zwischen Mahmüd von Ghazna und dem Kalifen Qädir ergaben.
Was zu Beginn des elften Jahrhunderts angelegt und geplant wurde, wird
unter den ersten seldschukisehen ,, Sultanen" konsequent fortentwickelt.
Eine Begebenheit, die uns Muhammad b. Hiläl as-Säbi' erzählt und die etwa
in das Jahr 1072 zu verlegen ist, mag uns dies symbolhaft verdeutlichen : In
jenem Jahr, so heißt es, sei ein Iraner in Mekka eingetroffen. Im Auftrage
Maliksähs und seines Wesirs Nizäm al-Mulk habe er eine Kiswa überbracht,
die den Namen Mahmüds von Ghazna trug. Dieser hatte sie anfertigen
lassen, aber zu seinen Lebzeiten war es nicht mehr möglich gewesen, mit ihr
die Ka'ba zu schmücken ; denn die heiligen Stätten lagen im Einflußbereich
der Fatimiden. Man hatte also die Kiswa in Nisäpür verwahrt, bis unter
Maliksäh die Macht des sunnitischen Kahfen und seines Sultans sich auch
über das Haram-Gebiet erstreckte, um mit ihr nun zum Zeichen des Sieges
der Sunna die Ka'ba zu bekleiden**.
** Makdisi übersieht diese Entwicklung vom Emirat zur Buyidenzeit zum
Sultanat in der Epoche der Seldschuken; für ihn hat sich offenbar nur die
Benennung geändert. M. geht von Mäwardi aus und überträgt dessen für die
Lage unter den Büyiden konstruierte Wechselbeziehung von Kalif und ,,emir
conquörant" unbesehen auf das Verhältnis Kalif-Sultan (Ibn Aqil, S. 75).
*9 Sibt B. al-Gauzi, Mir'ät az-zamän (Pragmente zur Seldschukengeschichte), ed. Ali Sevim, Ankara 1970, S. 174.
Von Lutz Richteb-Bebnbueg, Bovenden
Dieser Vortrag erscheint unter dem Titel „Linguistic Shu'übiya and Early
Neo-Persian Prose" in Journal of the American Oriental Society (JAOS),
1974.