Von Marco Schöller, Köln
Einleitung
Bei der westlichen Erforschung und Darstellung der islamischen Kultur hat
man immer wieder auf mehr oder weniger vertraute Begriffe aus der eige¬
nen, abendländischen Tradition zurückgegriffen. Die Übernahme solcher
Begriffe - etwa: Scholastik, Mittelalter, Klassizismus, Renaissance, Refor¬
mation, Aufklärung, Rationalismus, Humanismus - mag in vielen Fällen
hilfreich und sinnvoll sein; sie ist aber ebenso oft fragwürdig, weil diese Be¬
griffe zur Benennung spezifischer Konstellationen in der abendländischen
Kultur geprägt wurden und in Absehung von diesen nicht oder nur bedingt
aussagekräftig sind. Selbst im Rahmen der europäischen Kultur(en) bleiben
viele dieser Begriffe nicht eindeutig faßbar, und ihre Bedeutung schwankt
je nach Kontext oder Zeitgeist. Im folgenden soll am Beispiel des „Humanis¬
mus" gezeigt werden, wie sich die Implikationen derartiger Begriffe auf die
islamwissenschaftliche Darstellung auswirken.'
Im islamwissenschaftlichen Schrifttum, besonders in den Werken franzö¬
sischer oder frankophoner Orientalisten, fand und findet der Begriff „Hu¬
manismus" Verwendung, um bestimmte Phänomene der islamischen Kul¬
tur zu benennen oder zu bewerten. Sein Gebrauch erfolgt jedoch oft weder
konsequent noch entspricht er stets dem Bedeutungsspektrum, wie es sich
anhand der abendländischen Kultur- und Geistesgeschichte, trotz aller
konzeptuell und kontextuell bedingten Unbestimmtheit,^ in Grundzügen
■■■■Für hilfreiche Anmerkungen und Korrekturen danke ich Thomas Bauer, Werner
Diem und Friedrich Kaltz, die eine erste Fassung dieses Artikels gelesen haben.
' Dabei beziehe ich mich ausdrücklich auch auf die erste Untersuchung dieser Art,
und zwar J.L. Kraemer: „Humanism in the Renaissance of Islam: A Preliminary Study."
In: JAOS 104 (1984), S. 135-64 (insb. 140-47). Seine Darstellung orientiert sich aber einer¬
seits an einem zu engen (weil am griechischen Erbe und der Antike orientierten) Humanis¬
musbegriff, andererseits geht sie beträchtlich über die Problematik dieses Begriffs hinaus,
indem Kraemer in diesem Zusammenhang sehr allgemeine Fragen nach der Relevanz
und Bedeutung des griechischen Denkens im Islam behandelt.
^ Vgl. G. Toffanin: Geschichte des Humanismus. Amsterdam 1941, S. VI: „Mit dem
Wort , Humanismus' ist es so, daß, wer zu einem ganz feststehenden und allgemein
herausarbeiten läßt. Trotzdem bemühte man sich in der Islamwissenschaft
nur selten um eine brauchbare Definition des jeweils verwendeten Humanis-
musbegriffs und unterließ es, seine vielfältigen Konnotationen offenzulegen
und zu analysieren.
Im abendländischen Gebrauch des Begriffs lassen sich im wesentlichen
vier Bedeutungen differenzieren: „Humanismus" als geistesgeschichtlicher
Begriff, Epochenbegriff, Wertebegriff und Bildungsbegriff. Der Begriff
selbst, als Ableitung von humanitas bzw. studia humanitatis, ist eine Wort¬
schöpfung des frühen 19. Jahrhunderts;' die entsprechende Bezeichnung
„Humanist" (umanista, humaniste) dagegen findet sich bereits in italieni¬
schen Texten des IS.Jahrhunderts"* sowie in den Essais von Montaigne.'
(1) Als geistesgeschichtlicher Begriff (also als „historisch verstandener
Humanismus")^ bezeichnet „Humanismus" zunächst die „literarische und
philologische Neuentdeckung und Wiedererweckung der antiken Kultur,
ihrer Sprachen, Kunst und Geisteshaltung vom 13. bis 16. Jh."'' Die Ab¬
grenzung gegenüber den Phänomenen, die gemeinhin mit dem Begriff der
„Renaissance" gefaßt werden, erweist sich dabei oft als schwierig oder un¬
möglich.* Wichtig ist dabei, besonders für die Abgrenzung gegenüber dem
Wertebegriff von „Humanismus" (s. unten Punkt 3), daß für diese humani¬
stische Tätigkeit gilt: „it was originally an activity and not a concept".^
(2) Als Epochenbegriff liefert „Humanismus" die Bezeichnung für eine
bestimmte Periode der abendländischen Geschichte, grob gesprochen die
Zeit zwischen dem ausgehenden Mittelalter und der Gegenreformation, in
akzeptierten Sinn desselben gelangen möchte, sich irgendwann in der Wüste der Bibliogra¬
phie verirren muß."
^ J. Ritter (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. III. Darmstadt 1974, S. 1215-8 und 1231f.
N. Mann: „The origins of humanism." In: J. Kraye (Hrsg.): The Cambridge Com¬
panion to Renaissance Humanism. Cambridge 1996, S. 1-19 (hier: S. 1).
' M. DE Montaigne: Essais. Hrsg. von R Michel. Bd. I. Paris 1965, S. 444 (I, 56). Dazu vgl. T. Todorov: Le jardin imparfait. Lapensee humaniste en France. Paris 1998, S. 14.
' Dazu vgl. M. Heidegger: Platons Lehre von der Wahrheit. Mit einem Brief üher
den „Humanismus". Bern/München ^1975, S. 62f.
' Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache. Hrsg. von G. Drosdowski
u.a. Bd. III. Mannheim 1977, S. 1294.
* Vgl. P.O. Kristeller: Renaissance Thought. The Classic, Scholastic, and Humanist Strains. New York 1961, S. 8; P. Edwards (Hrsg.): The Encyclopedia of Philosophy. Bd. IV.
New York/London 1967, S. 70. Man begegnet daher auch dem BegrifT des „Renaissance- Humanismus", siehe Historisches Wörterbuch der Philosophie (Anm. 3), S. 1218 und oben
Anm. 4.
' Mann (Anm. 4), S. 2.
Südeuropa das 14. und 15. Jahrhundert, nördhch der Alpen das 15. und
16. Jahrhundert. Konnotativ bedeutsam ist, daß „Humanismus" als Epochen¬
begriff im allgemeinen nicht nur positiv definiert ist, sondern auch exklusi-
vierend - insofern er das „Ende des Mittelalters" oder die „Überwindung
der Scholastik" bezeichnet'" -, obwohl bereits seit langem klar ist, daß die
Kontinuität scholastischer Gelehrsamkeit während des Humanismus (bzw.
der Renaissance) beachtlich war." Ahnlich dem Begriff der „Renaissance",
der seit Charles Haskins' einflußreicher Studie The Renaissance of the
Twelfth Century (1927) auch für das Hochmittelalter (speziell das zwölfte
Jahrhundert) in Anspruch genommen wurde und später zu weiteren Be¬
griffsbildungen führte, etwa der „karolingischen Renaissance", haben Ernst
Curtius und Richard Southern den Begriff des „Humanismus" adap¬
tiert, indem sie von einem „twelfth-century Humanism" bzw. einem „scho-
lastic humanism" sprechen;'^ in anderen Fällen gebrauchte man die Begriffe
„christlicher Humanismus"" oder „biblischer Humanismus".'''
(3) Als Wertebegriff bezeichnet „Humanismus" „any system which puts
human interests and the mind of man paramount"" bzw. eine „position phi¬
losophique qui met l'homme et les valeurs humaines au-dessus des autres
valeurs".'^ Mit anderen Worten, „une doetrine qui accorde ä I'etre humain
'° Vgl. J. Le Goff: Gli intellettuali nel Medioevo. Mailand 1979 (= Les intellectuels au Moyen Äge, Paris 1957), S. 158ff.
" Dazu siehe E. Garin: La cultura filosofica del rinascimento italiano. Mailand 1994 ('1961); J. Huizinga: Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden. Stuttgart '1965, Kap. 22;
Kristeller (Anm. 8), S. 92-119; Ders.: „Humanism and Scholasticism in the Italian Re¬
naissance." In: Renaissance Thought and its Sourees. Hrsg. von M. Mooney. New York 1979, S. 85-105; Ders.: Handschriftenforschung und Geistesgeschichte der italienischen Renaissance. Mainz 1982; Ders.: Medieval Aspeets of Renaissance Learning. Three Essays.
Hrsg. von E.P. Mahoney. New York 1992; D. Luscombe: A History of Western Philo¬
sophy II: Medieval Thought. Oxford/New York 1997, S. 181 ff.
E.R. Curtius: European Literature and the Latin Middle Ages. Prineeton '1990,
S. III und öfters; R.W. Southern: Scholastic Humanism and the Unification of Europe
I: Foundations. Oxford 1995. Kristeller (Anm. 8), S. 121, schreibt vom „so-called medi¬
eval humanism, that is, the study of classical Latin poetry and literature, which had flour¬
ished in the schools of the twelfth century, especially in France".
J. Chydenius: Humanism in Medieval Concepts of Man and Society. Helsinki 1985.
Dazu vgl. auch (kritisch) Kristeller (Anm. 8), S. lOf.
'" Huizinga (Anm. 11), S.471.
The Chambers English Dietionary. Cambridge/Edinburgh 1988, S. 692.
Le petit Larousse. Paris 1995, S. 523. Vgl. damit auch die Definition von P. Mesnard:
„Humanismus" als „toute conception theorique, tout attitude pratique, qui affirment la valeur exceptionelle de l'homme", zitiert in L. Gardet: La cite musulmane. Paris 1954 (fitudes musulmanes. 1.), S. 274.
un röle particulier. (...) Ii consiste d'abord ä se trouver ä I'origine de ses actes
(ou d'une partie d'entre eux), ä etre libre de les accomplir ou non, done ä pou¬
voir agir ä partir de sa volonte. Le trait distinctif de la modernite est consti¬
tutif de l'humanisme: L'homme aussi (et non seulement la nature ou Dieu)
decide de son destin."''' Diesem „starken", philosophischen Begriff, der eine
anthropozentrische Weltsicht impliziert, entspricht in der Gegenwart auch
eine „schwache", weil diffuse Bedeutung, und zwar in einem „sens pure¬
ment affectif: sont .humanistes' ceux qui se comportent avec humanite ä
l'egard des autres ou qui nous disent qu'il faut traiter les hommes avec bien¬
veillance; ce sont, en somme, des philanthropes".'* Diese allgemeinste Bedeu¬
tung von „Humanismus", die tendenziell mit dem BegrifT der „Humanität"
zusammenfließt - „a rather elusive label of praise" und für den Historiker
begrifflich eine „twentieth-century confusion"'^ -, hat vor allem im Zusam¬
menhang mit der Menschenrechtsdebatte sowie der neuzeitlichen, weltan¬
schaulichen Globalisierung^" Verbreitung gefunden.
(4) Als Bildungsbegriff oder Bildungsideal schließlich bezeichnet „Hu¬
manismus" ein „(auf das Bildungsideal der griechisch-römischen Antike ge¬
gründetes) Denken u. Handeln im Bewußtsein der Würde des Menschen".-^'
Die humanistische Bildung (wie sie nicht zuletzt für weite Teile der deut¬
schen Gymnasialbildung typisch war) sollte also zu einer „humanistischen
Geisteshaltung" führen, d.h. zu einem „atteggiamento spirituale e culturale
caratterizzato dal culto del mondo classico".^^ Als solcher ist „Humanismus"
als Bildungsbegriff nicht einfach ein Synonym des allgemeineren Wertebe-
grifTs, der gleichwohl seine Wurzeln in einer „humanistischen", an der An¬
tike orientierten Geisteshaltung hat, dessen gegenwärtige Bedeutung diese
Herkunft aber kaum noch erkennen läßt: bereits Renan sprach kategorisch
von „le pur humanisme, c'est-ä-dire le culte de tout ce qui est de l'homme".^'
Das humanistische Bildungsideal wahrt dagegen den Bezug zur Antike,
denn es vollzieht sich „in der Begegnung des Menschen, der gebildet werden
soll, mit den großen sprachlichen Kunstwerken des griechisch-römischen
Altertums, der Antike".-^''
'' Todorov (Anm. 5), S. 48.
Ebd., S.48.
Kristeller (Anm. 8), S. 8; vgl. auch ebd., S. 120f.
2° Dazu siehe auch unten Seite 298.
2' Duden (Anm. 7), S. 1293. Vgl. auch Kristeller: Renaissance Thought (Anm. 11),
S. 169-181.
22 G. Devoto/G.C. Oli: II dizionario della lingua italiana. Florenz 1990, S. 2054.
2' Zitiert in Le nouveau Petit Robert. Dictionnaire alphabetique et analogique de la langue frangaise. Paris 1996, S. 1108.
Zusammenfassend können wir festhalten, daß die verschiedenen Bedeu¬
tungen des Humanismusbegriffs durch die Präsenz distinktiver Elemente
charakterisiert ist, die sich zunächst mit den Schlüsselbegriffen „Mensch",
„Selbstbestimmung", „Antike", „Sprache" und „Menschlichkeit" benennen
lassen.-^' Wie anhand der Verwendung des Begriffs „Humanismus" im islam¬
wissenschaftlichen Schrifttum zu zeigen bleibt, sind jedoch die Konnotatio¬
nen der einzelnen Bedeutungen des Begriffs und, was wichtiger ist, ihre ge¬
genseitige Kontamination noch weitaus vielschichtiger und komplexer.
Der HumanismusbegrifT im islamwissenschaftlichen Schrifttum
Meines Wissens tragen, neben einer Reihe von Aufsätzen, ein Sammelband
und fünf Monographien aus den letzten Jahrzehnten den Begriff „Humanis¬
mus" im Titel.Die eigentliche Bedeutung des Humanismusbegriffs, wie
ihn diese Studien verwenden, läßt sich allein aufgrund seines Gebrauchs im
Titel nicht ohne weiteres bestimmen; seine Aussagekraft bleibt jeweils diffus
und zwingt die Leser, diesem Begriff ihre eigenen Vorstellungen hinsicht¬
lich seiner Bedeutung zu supponieren. Auf jeden Fall ist deutlich, daß die
genannten Schriften den Begriff „Humanismus" nicht in ein und derselben
Bedeutung verwenden.
Das Gleiche gilt, um ein weiteres Beispiel zu geben, für die Arabische
Literaturgeschichte von Gibb und Landau.^^ Hier wird der Begriff
2'' H. Oppermann (Hrsg.): Humanismus. Darmstadt 1970 (WdF. 17.), S. IX. Zum
humanistischen Bildungsbegriff ist auch grundlegend H.G. Gadamer: Wahrheit und
Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen 1990 (Gesammelte
Werke. l.),S. 15ff.
25 Nicht berücksichtigt wurde hier der moderne Humanismus-Begriff des Marxismus
und der neueren französischen Philosophie, dazu s. Historisches Wörterbuch der Philoso¬
phie (Anm. 3), S. 1219ff.; auf diesen Begriff bezieht sich auch A. Badawi: „L'Humanisme dans la pensee arabe." In: SI 6 (1956), S. 67-100. Für weitere moderne Humanismusbe¬
griffe (idealistischer H., liberaldemokratischer H., integraler H., etc.), siehe W. Ruegg:
„Die Humanismusdiskussion." In: Oppermann (Anm. 24), S. 310-21.
2' M. Arkoun: Contribution ä l'etude de l'Humanisme arabe au IV/X' siecle. Miska¬
wayh (320/325-421) = (932/936-1030), philosophe et historien. Paris 1970 (fitudes musul¬
manes. XII.); M.A. Boisard: L'humanisme de l'Islam. Paris ^1979 (deutsch als Der Hu¬
manismus des Islam. Kaltbrunn 1982); M. Berge: Pour un humanisme vecu. Abü Hayyän
al-Tawhidi. Damaskus 1979; A.H. Green (Hrsg.): In Quest of an Islamic Humanism.
Arabic and Islamic Studies in Memory of Mohamed al-Nowaihi. Kairo 1984; Joel L.
Kraemer: Humanism in the Renaissance of Islam. The Cultural Revival during the Buyid
Age. Leiden/Köln 21992; G. Makdisi: The Rise of Humanism in Classical Islam and the
Christian West. With Special Referenee to Scholasticism. Edinburgh 1990.
2' H.A.R. Gibb/J.M. Landau: Arabische Literaturgeschichte. Zürich/Stuttgart 1968.
„Humanismus" innerhalb eines Texts nicht nur in verschiedenen Bedeutun¬
gen verwendet, sondern es ist an den einzelnen Stellen nicht ersichtlich, was
der Begriff jeweils genau bedeutet. So schreibt Gibb über das sogenannte
„goldene Zeitalter" der islamischen Kultur, in seinem Verständnis die Epo¬
che zwischen 750 und 1055:
„Durch die Einigung des Reiches unter einer Regierung und einer Sprache
und die darauffolgende Ausbreitung des Islams als neuer Religion unter ihren
Untertanen hatten die Umajjaden die materiellen Voraussetzungen geschaffen,
aus denen ihre Nachfolger den Gewinn zogen. Das Material, dessen die huma¬
nistische Erneuerung bedurfte, war schon fast in ein System gebracht, die neue
Kultur trieb schon Knospen (...)"^*
Einige Seiten weiter lesen wir über den Korangelehrten, Jurisprudenten und
Historiographen Ibn öarlr at-Tabarl (gest. 310/923), er verkörpere „die hu¬
manistische Bildung seiner Zeit im besten Sinne", und desgleichen werden
der Dichter al-Ma'arri (gest. 449/1057) als „großer Humanist"^' und der
Theologe Fahr ad-Dln ar-RäzT (gest. 606/1210) als „einer der größten Hu¬
manisten seiner Zeit" bezeichnet.-"^ Schreitet man weiter in die Moderne,
genauer gesagt in das 20. Jahrhundert (und damit in den von Landau ver¬
faßten Abschnitt), so begegnet uns dort der ägyptische Schriftsteller Tähä
Husayn (gest. 1973), „ein durch und durch von humanistischen Ideen beseel¬
ter Schriftsteller", ein „Humanist/>Är excellence"
Offenbar liegt hier, gewollt oder ungewollt, ein verwirrendes Spiel mit
den verschiedenen Bedeutungen von „Humanismus" vor, ohne daß uns die
Verfasser Hinweise darauf geben, welchen Spielregeln sie folgen. Die „huma¬
nistische Erneuerung", von der Gibb spricht, scheint mir eine Vermengung
des Epochenbegriffs von „Humanismus" mit dem entsprechenden Bildungs¬
oder Wertebegriff zu sein; die „humanistische Bildung" der Zeit at-Tabarls
zielt dagegen wohl eher auf die geistesgeschichtlichen Konnotationen des
Begriffs. Deutlicher dem Wertebegriff („l'homme decide de son destin") ver¬
pflichtet scheint schließlich der Gebrauch von „Humanismus" im Fall von
al-Ma'arrl und Tähä Husayn. Beide'^ waren für ihre „Freigeisterei" und
2* Ebd., S. 63. In diesem, wie in allen folgenden Zitaten, sind die Hervorhebungen, in¬
soweit sie den jeweiligen Humanismusbegriff betreffen, von mir und werden nicht mehr
gesondert angezeigt.
2' Vgl. auch L. Gardet: Les hommes de l'Islam. Approche des mentalites. Paris 1977,
S. 134: „Celui que nous pourrions appeler ,1'humaniste inquiet', voire angoisse. Le grand poete Abü l-'Alä' al-Ma'arri (XP siecle) nous en offrirait un exemple de choix."
30 Gibb/Landau (Anm. 28), S. 99, 113 und 147.
3' Ebd., S. 200 und 205. Vgl. dazu F. Gabrieli: „Taha Husein critico." In: Oers.: Cul¬
tura araha del Novecento. Bari/Rom 1983, S. 87-101.
Kritik an islamischen Glaubensvorstellungen bekannt, was sie zu beliebten
Beispielen für eine antiislamische (oder vielmehr antireligiöse) Haltung bei
denjenigen Islamwissenschaftlern machte, die dem Islam und seiner Kultur
- oder überhaupt der Religion als solcher - wenig Sympathie entgegenbrach¬
ten (vgl. unten S. 301).
Allen Verwendungen des Begriffs „Humanismus" durch Gibb und Lan¬
dau ist gemeinsam, daß sie zum einen sehr positiv konnotiert sind und zum
anderen eine unterschwellige, aber doch deutlich wahrnehmbare Tendenz
haben, die als „humanistisch" apostrophierte Geisteshaltung in einen Ge¬
gensatz zum herkömmlichen Islam zu stellen. Die „Überwindung des Mit¬
telalters" oder der Scholastik, die sich auch im Begriff des „Humanismus"
verbirgt, wird implizit generalisiert zu einer „Überwindung religiöser Denk¬
muster" oder „einer Befreiung des Menschen" aus einer als restriktiv und
geistig lähmend empfundenen Religion; es handelt sich also, in den pathe¬
tischen Worten Grunebaums, um einen Humanismus, der „sich den Ket¬
ten mittelalterlicher Kirchlichkeit entwand".'' Als solcher steht dieser Hu¬
manismusbegriff anderen Begriffen nahe, die ähnliches ausdrücken sollen,
etwa „Rationalität" oder „rationales Denken".'*
Es ist deshalb kein Zufall, daß auch und gerade die Islamwissenschaftler,
die sich der Erforschung - und, in einigen Fällen, der Erfindung - des ratio¬
nalen Denkens im Islam verschrieben haben, den Begriff des „Humanismus"
bevorzugt gebrauchen, etwa Abdarrahmän Badawi, der als ein Grund¬
element des Humanismus „l'exaltation de la Raison et la reduction de la
connaissance ä cette faculte" hervorhebt." Die Undeutlichkeit des Huma¬
nismusbegriffs macht es umso leichter, ihn mittels eines Verfahrens, das als
„ideologische Rhetorik" nicht falsch charakterisiert wäre, seine volle Wir¬
kung entfalten zu lassen. So zum Beispiel bei Mohammed Arkoun, der
über den Literaten und Dichter Lisän ad-Dln Ibn al-Hatlb (gest. 776/1374)
schreibt, er sei „une des dernieres figures attachantes de l'humanisme anda¬
lou"}^ In anderen Kontexten wird der Begriff dagegen völlig unbestimmt
" Es ist daher kein Zufall, daß sich Tähä Husayn sehr zu al-Ma'arrl hingezogen fühlte und ihm zwei Bücher {Dikrä Ahil-Älä', '1915, und Maa Ahl l-'Alä' fi signihi, 1939) wid¬
mete; vgl. auch Gabrieli (Anm. 31), S. 90f.
" G.E. von Grunebaum: Studien zum Kulturhild und Selbstverständnis des Islams.
Zürich/Stuttgart 1969, S. 185; vgl. auch Ders.: „Le eoncept de classicisme culturel." In:
Ders./R. Brunschvig (Hrsg.): Classicisme et declin culturel dans I'histoire de l'Islam.
Paris 1957, S. 1-22 (hier: S. 5).
Dazu vgl. M. Schöller: Methode und Wahrheit in der Islamwissenschaft. Prolego¬
mena. Wiesbaden 2000, Kapitel 1.
" Badawi (Anm. 25), S. 71. Vgl. auch unten Seite 300f.
3' M. Arkoun: Lapensee arabe. Paris ^1996 ('1975), S. 86.
oder auch eigentümhch verwendet, etwa von Jacques Waardenburg, der
die Aufgabe der ägyptischen Akademie für die arabische Sprache dahin¬
gehend beschreibt „that classical Arah humanism, as transmitted hy the pure
Arabic language, should be conserved".''' Was aber, fragt man sich, ist unter
einem „humanisme andalou" zu verstehen, und was unter „classical Arab
humanism as transmitted by the pure Arabic language"?
Bevor wir jedoch den komplexen Humanismusbegriff und seinen Ge¬
brauch im islamwissenschaftlichen Schrifttum genauer analysieren, müssen
wir, als bequemen Ausgangspunkt für die folgenden Seiten, den wichtigen
Passus wiedergeben, den Jörg Kraemer dem Problem des „islamischen Hu¬
manismus" in seiner Abhandlung Das Problem der islamischen Kulturge¬
schichte widmete:
„Mag das Ergebnis so mancher Neuerung [in der modernen islamischen Kul¬
tur] bisher noch als unassimilierter, ja vielleicht unassimilierbarer Fremdkör¬
per wirken: es sind nun einmal Erscheinungen dieser Art, die das heutige Bil¬
dungs- und Geistesleben der islamischen Völker bestimmen. (...) Die stolzen
Bezeichnungen, die man dafür gebraucht, lauten (...) .Renaissance'; sie lauten
hin und wieder auch .Humanismus'. Damit wird bereits deutlich, wie die bei¬
den (...) im Grunde ganz verschiedenen Humanismusbegriffe einander durch¬
dringen. Denn einerseits soll mit einer solchen Bezeichnung doch wohl die
Wesensverwandtschaft auch mit jenem Europa dargetan werden, das sein gro¬
ßes, unterscheidendes Bildungserlebnis eben in der (wirklich) humanistischen
Neubegegnung mit der Antike gefunden hat. Andrerseits aber, und mehr noch,
spielt dabei jener allgemeinere und gleichzeitig unbestimmte Humanismusbe¬
griff eine Rolle, für den schlechthin alle bedeutenden Manifestationen mensch¬
lichen Geistes einen trotz der Verschiedenheit der Kulturen letztlich identi¬
schen, eben .humanistischen' Sinn gehabt haben und noch haben. In diesem
Sinne haben gelegentlich auch schon abendländische Forscher humanistische
Züge, ja einen .umanesimo arabo' in der kulturellen Vergangenheit des vorde¬
ren Orients zu erkennen geglaubt;'* erst jüngst hat der Begriff eines .huma¬
nisme musulman' erneut Eingang in das europäische islamwissenschaftliche
Schrifttum gefunden. Ahnlich, wenn auch mit unverkennbaren Abweichun¬
gen in der Zielsetzung, hat auf orientalischer Seite unlängst einer der begabte¬
sten und zugleich leidenschaftlichsten Verfechter der islamischen Renaissance
von heute, (...) 'Abdarrahmän BadawI, das .humanistische Anliegen im ara¬
bischen Denken' behandelt. Dem Modernismus der Gegenwart ebenso wie
'' J. Waardenburg: s.v. „Madjma' 'ilmi". In: Encyclopedia of Islam (EP). Leiden 1954ff. Bd. V, S. 1092.
Kraemer bezieht sich hier auf die Schriften von M. Guidi, insb. dessen Storia e
cultura degli arabi fino alla morte di Maometto. Florenz 1951 (dazu vgl. auch A. Dietrich in: ZDMG 107. 1957, S. 646f.).
dem klassischen arabischen Kulturerbe verpflichtet, hat er unter anderem den
Humanismusbegriff mit Ungeduld aus seiner .faustisch'-westlichen Eingren¬
zung zurückgefordert (...).''' Damit aber, wenn auch nicht damit allein, ist nun
auch für uns das Problem der islamischen Kulturgeschichte und ihrer Erfor¬
schung von neuem gestellt."''"
(a) „Humanismus" als geistesgeschichtlicher Begriff
Neben den bereits genannten Aspekten der Hinwendung zum kulturellen
Erbe der griechisch-römischen Antike und der damit verbundenen Wich¬
tigkeit der klassischen Philologie umfaßt das Konzept des Humanismus in
seiner geistesgeschichtlichen (und d.h. zunächst: abendländischen) Bedeu¬
tung zahlreiche weitere Elemente, die fast allesamt auch bei der islamwis¬
senschaftlichen Adaption des Humanismusbegriffs eine Rolle spielen. Ein
detaillierter Überblick über diese verschiedenen Elemente - die „humani-
stic attitudes" in den Worten Berthold Ullmanns'" - kann hier, verständ¬
licherweise, nicht gegeben werden; die folgende kurze Aufzählung muß ge¬
nügen:
Wichtigkeit der Sprachreflexion und philologischer Methoden;
Erweiterung (oder Erneuerung) der Kenntnis der antiken Sprachen;
- Suche nach antiken Texten, Editionstätigkeit und Sammeln von Manu¬
skripten, damit verbunden eine ausgeprägte Bibliophilie;
- Wichtigkeit der historischen, besonders auf die Antike bezogenen For¬
schung, die Jacob Burckhardt „das antiquarische Treiben" genannt
hat;''^ Beginn archäologischer und anderer, auf materielle Überreste zie¬
lenden Studien (Numismatik, Epigraphik);
- Orientierung des Stilideals an der antiken Literatur (imitatio), dabei
die bewußte Verbindung von Ausdruck und Inhalt bzw. von Philologie
und Sprachkunst (Dichtung, belles-lettres);'"
" Vgl. unten Seite 298.
'*" Jörg Kraemer: Das Problem der islamischen Kulturgeschichte. Tübingen 1959, S. 5 f.
B. Ullmann: The Humanism of Coluccio Salutati. Padua 1963 (Medioevo e Umane¬
simo. 4.), S.46 ff.
■•^ J. Burckhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Hrsg. von W.
Goetz. Stuttgart '"1928, S. 194.
Bereits Burckhardt sprach deshalb von den Humanisten als „Poetenphilologen"
(ebd., S. 141 und 189). Vgl. zum Begriff der humanistischen imitatio: Gadamer (Anm. 24), S. 198 und 343; N. Gardini: Le umane parole. L'imitazione nella lirica europea del Rina¬
scimento da Bembo a Ben fonson. Mailand 1997.
- Vernachlässigung der volkssprachlichen Dichtung und Prosa, demgegen¬
über Wiederaufnahme antiker oder antikisierender Formen (neulateini¬
sche Dichtung);
- Wichtigkeit der Rhetorik, besonders im Gegensatz zur (als „unantik"
empfundenen) Logik; Bevorzugung der Uberzeugung (persuasio) vor
dem (logischen Kriterien folgenden) Beweis;
- Umwertung der Historiographie und Ubergang vom annalistischen
Denken zur moralisierenden Geschichtsbetrachtung;
- Neue Bedeutung der Ethik und Moralphilosophie;
- Pflege der Epistolographie und Stilistik, beides eng verbunden mit der
Entstehung des Kanzleiwesens;
- Wichtigkeit der Politik und des politischen Pragmatismus; wachsende
Bedeutung des Mäzenatentums;
- Vielseitigkeit der Humanisten; Enzyklopädismus und Ideal des uomo
universale.'*'*
Diese und weitere, für den geistesgeschichtlichen Begriff des „Humanismus"
grundlegenden Elemente (vgl. auch unten S. 316f.) sind in den einschlägigen
Werken zur Geistes- und Kulturgeschichte des Humanismus (bzw. der Re¬
naissance) leicht nachzuweisen, besonders in den Darstellungen von Burck¬
hardt, Toffanin, Garin, Curtius, Kristeller, Burke und Todorov."*^
Besonders George Makdisi hat einige dieser Studien zur Grundlage sei¬
ner (in weiten Teilen, was ihre Ergebnisse betrifft, ideosynkratischen) Dar¬
stellung des „islamischen Humanismus" genommen: „There is little in the
work of Kristeller that could not be said of humanism in classical Islam; the
same may be said for the work of Jacob Burckhardt","*^ und andernorts:
„There were two categories of humanists: amateurs, such as jurists, physicians,
philosophers, theologians, astronomers, astrologers, mathematicians; and pro¬
fessionals, such as chancellors, secretaries (...), tutors, boon companions. No¬
taries belonged to both categories (...). All the essential elements of humanism, as this movement has come to be known, are to be found in both cultures.'"*^
Dazu sind sehr illustrativ die Beiträge in: J. Rykwert/A. Engel (Hrsg.): Leon Batti¬
sta Alberti. Mailand 1994 (Katalog zur Ausstellung Mantua 1994).
Burckhardt (Anm. 42); Toffanin (Anm. 2); E. Garin: L'umanesimo italiano.
Bari 1994 ('1952); Curtius (Anm. 12); Kristeller (Anm. 8), insb. S. 3-23 und 120-126;
P. Burke: Die Renaissance in Italien. Sozialgesehichte einer Kultur zwischen Tradition
und Erfindung. Berlin 1992 (= Tradition and Innovation in Renaissance Italy. London
1974); Todorov (Anm. 5).
"'^ MAKDisi(Anm. 26), S.302.
G. Makdisi: „Inquiry into the Origins of Humanism." In: A. Afsaruddin/A.H.M.
Zahniser (Hrsg.): Humanism, Culture, and Language in the Near East (FS Georg
Ist dies aber ein ausreichendes Argument, um von einem „islamischen Hu¬
manismus" sprechen zu können? Ja und nein, möchte man antworten, denn
dieses Argument der Präsenz von „essential elements of humanism in both
cultures" übergeht, wie mir scheint, zumindest eine wichtige Unterschei¬
dung, und zwar die Unterscheidung zwischen allgemeinen, mehr oder weni¬
ger formalen bzw. kategorialen Begriffen und Begriffen, die spezifische, an
die Inhalte einer bestimmten Kultur gebundene Phänomene oder Konstella¬
tionen bezeichnen. Ein Beispiel: Mit einigem Recht könnte man behaupten,
daß die meisten Elemente der christlichen Ethik auch im Islam vorliegen;
und vice versa. Aber würde dies bedeuten, daß der Islam dem Christentum
entspricht, oder würde man deshalb, im Ernst, die islamische Ethik als
„christliche Ethik" bezeichnen dürfen, und umgekehrt?
Dasselbe gilt für den „Humanismus": Ist dieser Begriff allgemein faßbar,
abgelöst von bestimmten, innerkulturell definierten Werten und Inhalten?
Nur in diesem Fall könnte man sinnvoll von „Humanismus" in der islami¬
schen Kultur sprechen. Er wäre, um das Beispiel weiterzuführen, parallel
zu sehen zu allgemeinen (kategorialen) Begriffen wie „Ethik" (d.h. die Be¬
schäftigung mit den Fragen der Lebensführung als solche), keinesfalls aber
als Parallele zu einer in einer bestimmten Art und Weise ausgeprägten Ethik,
also zum Beispiel der „christlichen Ethik" (also die Beschäftigung mit Fra¬
gen der Lebensführung ans christlicher Sicht). Tatsächlich enthält der Be¬
griff des „Humanismus", auch in der Konzeption Makdisis, viele Elemente,
die als allgemeine Begriffe dem Konzept der „Ethik" gleichzustellen sind.''*
Da uns hier besonders die geistes- und kulturgeschichtliche Bedeutung
von „Humanismus" beschäftigt, kommen dabei zunächst die Philologie, die
Rhetorik, das Interesse für die Vergangenheit sowie Dichtung und belles-
lettres in Frage, also die gemeinhin für typisch gehaltenen Elemente der „stu¬
dia humanitatis, ineluding grammar, poetry, rhetoric (as applied to letter-
writing and speech-writing), history, and moral philosophy (mainly moral
tracts)".*^
Krotkoff). Winona Lake 1997, S. 15-26 (hier: S. 19). Vgl. auch seine erste Studie „Schola- sticism and Humanism in Classical Islam and the Christian West." In: JAOS 109 (1954), S. 175-182 (wiederabgedruckt in: Ders.: Religion, Law and Learning in Classical Islam.
London 1991, Kapitel XIII), die den Nukleus für die kommenden Schriften Makdisis bil¬
det und seine Thesen (vgl. unten Anm. 50) skizzenhaft vorwegnimmt.
Der nicht-kategorialen Begriffen verhaftete Wertebegriff von „Humanismus" spielt
aber in den Werken Makdisis durchaus auch eine wichtige Rolle, siehe M. Arkouns Re¬
zension von G. Makdisi: Ibn 'Aqil. Religion and Culture in Classical Islam (Edinburgh 1997). In: Arabica 47 (2000), S. 291-4.
Makdisi (Anm. 26), S. 15.
Das Bemühen um die Sprache und die Sprachpflege ist sowohl im
abendländischen Humanismus als auch in der islamischen Kultur (mag sie
nun „humanistisch" heißen oder nicht) eines der herausragenden Phäno¬
mene, und man ist in der Tat versucht, dieses Interesse im Islam als die trei¬
bende Kraft hinter vielen weiteren Facetten dieser Kultur zu sehen: „Such
was the philological beginning of humanism in classical Islam and the mo¬
tivation behind it."^° Und gewiß meint Louis Gardet dasselbe, wenn er
schreibt: „Ii semble bien en effet, que l'humanisme musulman historique
(...) fut, ä l'origine, un humanisme mis au service de valeurs esthetiques",^^
und zwar ein „humanisme esthetique des lettres"^^ oder ein „humanisme ar¬
tistique arabo-musulman, irano-musulman, indo-musulman, turco-musul-
man".^' Wirklich eine originelle Zusammenstellung zweier Begriffe, deren
Verbindung nicht gerade vertraut wirkt, denn gerade die Bedeutung der Ge¬
stalt und äußerer Formen - vom eigentlichen Ästhetizismus ganz zu schwei¬
gen - wurde oft als unvereinbar mit dem Humanismuskonzept gesehen,^'*
eben als „eine längst zum virtuosen Spiel entartete, bis zur Formlosigkeit [!]
raffinierte und dekadente ästhetische Bildung, kein Humanismus"}^ Oder in
den Worten von Regis Blachere: „un jeu litteraire, une curiosite d'erudits
et d'anthologues, une affirmation de la virtuosite verbale".'^
Noch schwieriger wird es jedoch, wenn man in diesem Zusammenhang
kulturell bestimmte Inhalte des abendländischen HumanismusbegrifTs auf
die islamische Kultur überträgt, wenn man also nicht allein die Tatsache der
Sprachpflege, sondern konkret die Kenntnis und Pflege der antiken Spra¬
chen (und das damit verbundene Interesse für die antike bzw. hellenistische
'° Ebd., S. 22. Die Widerlegung von Makdisis in meinen Augen völlig abwegigen
Hauptthesen, nämlich „that classical Islam appears to have provided the model for Ita¬
han Renaissance humanism" bzw. „the impetus for [Italian] humanism was given by the Arabs who also supplied the model. (...) The case of scholasticism is similar" (Makdisi, wie Anm. 47, S. 15 und 25) und, an anderer Stelle, „the Islamic scholastic movement, with its guilds, its colleges, its scholastic method, and its licence, found its way to the Christian West" (Ders.: „Baghdäd, Bologna, and Scholasticism." In: J.W. Drijvers/A. A. Mac¬
Donald [Hrsg.]: Centres of Learning. Learning and Location in Pre-Modern Europe and
the Near East. Leiden 1995, S. 141-57, hier: S. 150) erspare ich mir.
5' Gardet (Anm. 16), S. 305.
" Ebd., S. 308, und Ders. (Anm. 29), S. 123.
" L. Gardet: L'Islam. Religion et communaute. Roermond 1970, S. 152.
Vgl. Todorov (Anm. 5), S. 248ff. Jedenfalls konzipiert auch Gadamer - wenn auch
ohne den Begriff genauer zu bestimmen - einen „ästhetischen Humanismus", siehe Ders.:
Wahrheit und Methode. Ergänzungen. Tübingen ^1993 (Gesammelte Werke. 2.), S. 433.
Zitiert von Hans H. Schaeder in F. Klein-Franke: Die klassische Antike in der
Tradition des Islam. Darmstadt 1980 (EdF. 136.), S. 3. Zu den Ansichten Schaeders vgl.
auch ebd., S. 131f., und Kraemer (Anm. 1), S. 141f.
Pfiilosophie) als typische Kennzeichen des „islamischen Humanismus" ver¬
steht.'^ So geht es zum Beispiel aus einer Passage hervor, in der Grunebaum
über den „Humanismus von Bagdad" handelt:
„Abgeschnitten von natürlich-ungezwungenem Rückgriff auf die Griechen
und in seiner Belletristik an eine Klassik gebunden (...), war der gerade begin¬
nende und wagemutige, jedoch niemals als solcher formulierte ,Humanismus'
von Bagdad schon wieder verschwunden, als Psellos hypatos ton philosophon
wurde (...). Es war offensichtlich nicht möglich, die humanistische [= griechi¬
sche!] Philosophie als eine Vorverkündigung (praefiguratio) des Islams zu re¬
habilitieren und die griechischen Denker als Muslime avant la lettre (...) hinzu¬
stellen."^*
Und an anderer Stelle fährt er fort: „Das Fehlen eines humanistischen Be¬
griffs von Wesen und Aufgabe des Menschen und die Hinnahme von Nütz¬
lichkeit als eines entscheidenden Wertmessers tragen weitgehend die Schuld
dafür, daß [im Islam] das griechische Erbe verhältnismäßig unwirksam
blieb."''Wenn man aber die Verbindung mit der spezifischen Geisteskultur
der antiken (besonders der griechisch-hellenistischen) Welt als unabding¬
bares Element des Humanismuskonzepts ansieht, wird dessen Adaption in
der Islamwissenschaft tatsächlich fragwürdig: „Jene umfassende, wesenser¬
höhende und auch wesensverwandelnde Lebensbeziehung zum klassischen
Altertum, die allein die Anwendung der stolzen und so häufig mißbrauchten
Begriffe , Renaissance' oder gar .Humanismus' rechtfertigen könnte, hat für
den gesamten mittelalterlichen Islam nicht bestanden."*°
R. Blachere: „.Moments' tournants dans Ia litterature arabe." In: Ders.: Analecta.
Damaskus 1975, S. 145-57 (hier: S. 150).
5' Diese Verzahnung des geistesgeschichtlichen Humanismusbegriffs mit der Antike
ist natürlich eine Nachwirkung des abendländischen humanistischen Bildungsbegriffs,
siehe die Beiträge von W. Jaeger, K. Kerenyi, B. Snell und H. Dahlmann in: Opper¬
mann (Anm. 24).
Grunebaum (Anm. 33), S. 80.
" G.E. von Grunebaum: Der Islam im Mittelalter. Zürich/Stuttgart 1963 (Bibliothek
des Morgenlandes), S. 297. Vgl. auch Grunebaum (Anm. 33), S. 162, wo er vom Umstand
handelt, „daß trotz ihrer starken Anziehungskraft der Fremdcharakter der spezifisch hu¬
manistischen Inhalte der alten Kulturen, mit denen der Islam in Berührung kam, nie in
Vergessenheit geriet".
''° Kraemer (Anm. 40), S. 37. Vgl. auch B. Spuler: „Hellenistisches Denken im Islam."
In: Gesammelte Aufsätze. Leiden 1980, S. 13-27, hier S. 22: „Der Sieg der Orthodoxie (...) bedeutete aber ein allmähliches, freilich nicht völliges Ausscheiden des hellenistischen
Gedankengutes aus dem Islam und damit das Betreten eines von der abendländischen Ent¬
wicklung grundsätzlich unterschiedenen Weges (der also ... in dieser vom Hellenismus zeitweise befruchteten, aber nicht geformten Kultur nicht zur Herausbildung einer neuen menschlichen Haltung wie etwa der Humanitas bei den Römern geführt hat)."
Joel Kraemer hat diesen Ansatz der Verbindung des Humanismuskon¬
zepts mit dem antiken Geisteserbe aufgenommen, unterscheidet sich aller¬
dings gerade darin von Grunebaum und anderen, daß er in einer bestimm¬
ten Periode der islamischen Kultur - nämlich dem 4./10. Jahrhundert^' - die
Voraussetzungen gegeben sieht, diese Kultur, oder doch eine ihrer wesentli¬
chen Strömungen, als „Humanismus" bezeichnen zu können:
„The humanism that flourished in the Renaissance of Islam was an offspring
of the humanism ideal that germinated in the period of Hellenism and Graeco-
Roman antiquity. Its primary features are: (1) adoption of the ancient philo¬
sophic classics as an educational and cultural ideal in the formation of mind
and character; (2) a conception of the common kinship and unity of mankind;
and (3) humaneness, or love of mankind.""
Ganz ähnlich äußerte sich bereits S. D. Goitein, der die Anwendbarkeit des
geistesgeschichtlichen HumanismusbegrifTs weniger aufgrund inhaltlicher
Gegebenheiten für gerechtfertigt hielt, sondern aufgrund zeitlicher Parallelen,
wobei er jedoch den Humanismusbegriff weder im Sinn eines eigentlichen
Epochenbegriffs (siehe unten S. 294f.) verwendet noch es unterläßt, auf die -
in seiner Sicht - grundlegenden Unterschiede hinzuweisen:
„As to the duration of the Hellenistic period of Islam, which we have described
as having lasted for about 400 years, it may be compared to the Humanistic
period in Europe, that is to say, the prevalence of classical studies, which was
in force approximately between 1500 and 1900. Of course, I am fully aware
of the difference. While the Greek heritage has become an integral (...) part of
contemporary Western culture, the same cannot be said of later Islam. The rea¬
son for that difference is that modern culture grew out of the humanism of the
renaissance, while the medieval civilization of the Middle East was not, as has
been defined by C.H. Becker,*' asiatisized Hellenism, but Hellenized Islam,
since Islam was already a fully developed religious system when it experienced
the impact of Hellenism. When this impact became weak and weaker, finally
only Islam remained."*''
Dieses an die Antike gebundene, eng mit dem „griechisch-hellenistischen
Erbe" - dem Schibboleth vieler abendländischer Islamwissenschaftler*' -
" Vgl. unten Seite 295f.
" Kraemer (Anm. 26), S. 10. Hier werden also der geistesgeschichtliche (a) und der
„weite" Wertebegrifl „Humanismus" (c) miteinander parallehsiert.
Vgl. C.H. Becker: „Der Islam als Problem." In: Ders.: Islamstudien I. Vom Wesen und Werden des islamischen Welt. Hildesheim 1967, S. 1-23, insb. S. 16ff.
S.D. Goitein: „The Intermediate Civihzation. The HeUenic Heritage in Islam." In:
Ders.: Studies in Islamic History and Institutions. Leiden 1966, S. 54-70 (hier: S. 69).
verknüpfte Verständnis von „Humanismus" versuchte Hellmut Ritter,
in einem berühmten Aufsatz, zu modifizieren, indem er nicht auf das helle¬
nistische Denken im Islam Bezug nahm, sondern vielmehr ein der griechi¬
schen Antike analoges „Altertum" in der islamischen Kultur aufzuspüren
trachtete, um dadurch die Verwendung der Begriffe „Humanismus" und
„Renaissance" rechtfertigen zu können:
„Auch die Araber hatten eine heidnische Vergangenheit, auf die sie zurückgrei¬
fen konnten: die Gähiliya. Was enthielt diese Vergangenheit an kulturellen Ele¬
menten? Die Poesie. Sie ist das einzige Kulturelement Arabiens, das weiter ge¬
wirkt hat. Man sieht auch im Zeitalter der großen Grammatiker, wie sich eine
Art humanistisches Interesse an der altarabischen Poesie entwickelt, und die Be¬
schäftigung mit ihr hat sicherlich dazu beigetragen, das sprachliche Gewissen
zu schärfen und den Verfall der Schriftsprache zu verhindern. Ahnlich hat ja
im Zeitalter des Humanismus die Beschäftigung mit den Klassikern den Verfall
des Lateins aufgehalten. (...) Die Berührung mit der Gähiliyapoesie war also
eine Berührung mit einer heidnischen Welt, deren Götter tot waren. Sie läßt
sich deshalb in gewisser Hinsicht mit der Renaissance und dem Humanismus
vergleichen."^^
Dennoch lehnt es Ritter, zusammenfassend, ab, von einem „islamischen
Humanismus" zu sprechen; dabei ist es interessant zu beobachten, wie er
vom geistesgeschichtlichen Humanismusbegriff zum Werte- bzw. Bildungs¬
begriff von „Humanismus" übergeht und zwischen beiden unterscheidet:
„Aber hat die Beschäftigung mit der Poesie der Heidenzeit etwas wie ein hu¬
manistisches Bildungsideal hervorgebracht? Hat sie zur Säkularisierung [!]
der Lebensauffassung, zum Vertrauen auf die eigene Kraft, zur Überwindung
des Kreaturgefühls geführt? Sicherlich nicht. Die Einwirkung blieb rein aufs
*5 Dazu die wichtige Bemerkung von P. Bachmann in seiner Rezension von Klein-
Franke: „Die klassische Antike in der Tradition des Islam." (Anm. 55), in: Der Islam 59 (1982), S. 322-6, hier S. 324: „Oft ist, glaube ich, bei christlichen Forschern, wenn sie die
Kultur des Islam an der Antike messen, noch etwas anderes wirksam, selbst dann, wenn
sie sich von den Dogmen der christlichen Kirche weit entfernt haben: für sie ist, ob be¬
wußt oder unbewußt, die von der Religion des Islam durch und durch bestimmte Kultur
ein Ärgernis gerade dort, wo sie glanzvoll erscheint, wie in ihrer Aufnahme und Aneig¬
nung antiker Wissenschaften, insofern nämlich diese Blüte des Islam aus christlicher Sicht heilsgeschichtlich kaum verständlich ist."
H. Ritter: „Hat die religiöse Orthodoxie einen Einfluß auf die Dekadenz des
Islams ausgeübt?" In: G.E. von Grunebaum/W. Hartner (Hrsg.): Klassizismus und
Kulturverfall. Vorträge. Frankfurt/M. 1960, S. 120-43 (hier: S.130f.); zuerst französisch erschienen als „L'orthodoxie a-t-elle une part dans la decadence?" In: Brunschvig/
Grunebaum (Anm. 33), S. 167-83 (das Zitat auf S. 173). Zu Ritters Aufsatz vgl. auch
Klein-Franke (Anm. 55), S. 132f.
Literarische beschränkt. Es gibt ein enzyklopädisches Bildungsideal bei den Arabern (...) Aber das Ziel dieses Bildungsideals war ein rein literarisches."*'
Jüngst hat auch Michael Carter betont, daß es keinesfalls die antiken
Sprachen (speziell Griechisch und, wenigstens in der Theorie, Lateinisch)
oder überhaupt das antike Geisteserbe seien, die für das Konzept des „is¬
lamischen Humanismus" definitorischen Wert haben dürften: „The eclec¬
ticism of adah is perhaps a quality that distinguishes it from European
humanism: insofar as the Arabs were open to Greek, Syriac, Persian, and
Indian sources, their adah has a much broader base than the litterae (hu-
maniores) of Europe, which drew only on classical antiquity (and also, iron¬
ically, on Arabic)."** In die gleiche Richtung weist Oliver Leaman, der
zwar einerseits die Bedeutung der „alten Wissenschaften" für das Konzept
des „islamischen Humanismus" betont, andererseits aber auch deren Vielfalt
und kulturelle Ungebundenheit: „The leading point of agreement was that
the , ancient sciences' (al-'ulüm al-awail) are the property of all humanity,
and no particular religious or cultural group can claim exclusive ownership
of them. Hence the description of this group of thinkers as .humanists',
and of those of them who were Muslims as , Islamic hum artists'." ^'^ Unklar
bleibt schließlich, ob sich bereits Robert Brunschvig auf diese „islami¬
sche Humanisten" bezog, wenn er das Ergebnis der westlichen Islamwissen¬
schaft wie folgt beschreibt: „C'est ä partir de travaux occidentaux que le
mu tazilisme, la mystique ancienne, l'humanisme des premiers siecles ont ete
liberes du dedain, de l'hostilite ou de l'oubli."''"
Die enge Verbindung von Philologie und Sprachkunst (also der Dich¬
tung und schönen Literatur) hatte im abendländischen Humanismus die
relative Vernachlässigung der volkssprachlichen Literatur zur Folge, wäh¬
rend antike Sprachen und antikisierende Formen gepflegt wurden, z.B. in
der neulateinischen Dichtung. Hier besteht gewiß eine Parallele zwischen
der Rolle des Lateinischen (und der lateinischen Literatur) in Europa und
des (Hoch)Arabischen in den islamischen Ländern.''' Doch auch die we¬
niger kreativen, eher „technisch" zu nennenden Seiten dieser literarisch-
Ebd., S. 132 (im französischen Text S. 174).
** M. Carter: „Humanism and the Language Sciences in Medieval Islam." In:
Afsaruddin/Zahniser (Anm. 47), S. 27-38 (hier: S. 30f.).
*' O. Leaman: „Islamic humanism in the fourth/tenth century." In: Ders./S. H. Nasr (Hrsg.): History of Islamic Philosophy. Bd. 1. London/New York 1996, S. 155-161 (hier:
S. 156).
'° R. Brunschvig: „Situation de l'Islamologie." In: Ders.: Etudes d'islamologie. Bd. I.
Paris 1976, S. 39-47 (hier: S. 42).
" Vgl. Makdisi (Anm. 26), S. 327f., und Carter (Anm. 68), S. 38.
philologischen Sprachpflege - Editionstätigkeit, Sammeln von Manuskrip¬
ten, etc. - können zurecht als ein Element des Humanismus sowohl in
Europa als im Islam gelten: Uber das Kitäb al-Agäni schreibt deshalb Rey¬
nold Nicholson, es sei „an invaluable compilation based on the researches
of the great Humanists as they have been well named by Sir Charles Lyall,
of the second and third centuries after the Hijra".^^
Eng verwandt mit der Sprachpflege ist die Uberzeugung von der Macht
der Sprache, wie sie sich in der Rhetorik ausdrückt^': „What is most typical
of humanism and most essential is the concept of eloquence, the integrating
element in humanism. Another concept of fundamental importance is the
dignity of man", und auch im Islam war beides von großer Bedeutung, denn
„the humanist of classical Islam was imbued with the notions of eloquence
and the dignity of man, from his tender years, through his memorization
and recitation of the Qur'an".""* Dennoch scheint eine Vergleichbarkeit zwi¬
sehen der humanistischen Rhetorik und dem entsprechenden Phänomen in
der islamischen Kultur nur bedingt gegeben. Die Humanisten hielten näm¬
lich, in gut antiker Tradition, den Aspekt der politischen Wirksamkeit der
Rhetorik für besonders wichtig, während im Islam die Eloquenz vor allem
als Mittel betrachtet wurde, ethische Uberzeugungen und religiöse Glau¬
benswahrheiten zu vermitteln.''' Ob man berühmte islamische Prediger des¬
halb als „Humanisten" bezeichnen sollte, ist fragwürdig; Merlin Swartz
verwendet den Begriff in diesem Sinn für den hanbalitischen Gelehrten und
Prediger Ibn al-öawzl (gest. 597/1200) und präzisiert: „I use .humanist' (...)
in its historical sense as a designation for a particular cultural movement
which, in its European form, had its beginning in twelfth-century Italy."''*
'2 R.A. Nicholson: A Literary History of the Arabs. ND Delhi 1996 ('1907), S. 32. Die entsprechende Passage von Lyall (bei Nicholson ohne Quellenangabe) findet sich in des¬
sen The Mufaddaliyät. An Anthology of Ancient Arabian Odes. Volume IL Translation
and Notes (Oxford 1918) und nennt, soweit ich sehe, nur „the early humanists" (S. xxvi).
" Dazu vgl. auch P. Jodogne: „Les ,Rhetoriqueurs' et l'humanisme. Probleme d'his¬
toire litteraire." In: A. H.T. Levi (Hrsg.): Humanism in France at the end of the Middle ages and in the early Renaissance. Manchester/New York 1970, S. 150-75; P. Mack: „Humanist
rhetoric and dialectic." In: Cambridge Companion to Renaissance Humanism (Anm. 4),
S. 82-99; Kristeller (Anm. 8), S. 11: „Renaissance humanism must be understood as a
characteristic phase in what may be called the rhetorical tradition in Western culture."
'" Makdisi (Anm. 26), S. 20f.
'5 In diesem Sinn bemerkt Grunebaum zurecht: „The athlete and the rhetor, idolized in antiquity, are unknown in Islam", siehe G. E. von Grunebaum: „Islam in a Humanistic Education." In: The Journal of General Education 4 (1949), S. 12-31 (hier: S. 28).
'* M. SwARTZ: „Arabic rhetoric and the art of the homily in medieval Islam." In: R.G.
Hovannisian/G. Sabagh (Hrsg.): Religion and Culture in Medieval Islam. Cambridge
1999 (XIV. Giorgio Levi Delia Vida Conference), S. 36-65 (hier: S. 57, Anm. 29).
AUerdings sieht Swartz den Begriff „Humanist" im Fah Ibn al-GawzTs
nicht allein aufgrund des Interesses für die Rhetorik und die homiletische
Predigttätigkeit für berechtigt, sondern weil sich hier ein Wissens- und Bil¬
dungskonzept zeige, wie es typisch sei für den „Humanismus", sei es im
Abendland oder in der islamischen Kultur:
„In his discussion of the qualifications of preachers and homilists, Ibn al-JawzT insisted repeatedly that preachers be well grounded in all of the major contem¬
porary religious and literary disciplines. (...) It is this multidisciplinary per¬
spective that Ibn al-JawzT makes a central emphasis in his theory of the homily
that justifies the application of the term humanist to him and to those of his
persuasion. (...) It is not merely the fact that Ibn al-jawzl insisted on a multi-
disciplinary orientation for the homilist that qualifies him to be regarded as
a humanist of the medieval variety; it is also a question of the character and
content of the disciplines he included within this cluster. It is significant that the disciplines whose importance he emphasized fall into five broad categories:
religion, literature, grammar, moral philosophy, and history. Beyond the ques¬
tion of the multiplicity of disciplines, it is the content of the disciplines on
which the Jawzian homily was based that qualifies that homily to be regarded
as humanist in its inspiration."''''
In der Tat ist die gelehrte Vielseitigkeit der europäischen Humanisten, ihr
Enzyklopädismus und das damit zusammenhängende Ideal des uomo uni¬
versale ein Element des geistesgeschichtlichen Humanismusbegriffs, das die¬
sen besonders attraktiv für die Beschreibung entsprechender Phänomene in
der islamischen Kultur macht.''* Andre Miquel wertet diesen in der islami¬
schen Kultur heimischen Enzyklopädismus als einen „etat d'esprit",''^ nach¬
dem er ihn, wie zuvor bereits Blachere, *° mit dem Begriff des „Humanis¬
mus" in Verbindung gebracht hat:
„Traditions et histoire, philologie et poesie, cosmographie et geographie, scien¬
ces naturelles, astronomie et astrologie composent, avec d'autres disciplines, la panoplie de ce savoir rassemble qui se presente, dans I'histoire de I'humanite,
'' Ebd.,S.39f.
'* Vgl. auch Ch. Pellat: „Les encyclopedies dans le monde arabe." In: Etudes sur I'histoire socio-culturelle de l'Islam. London 1976, Kap. XVIII; Pellat vermeidet in die¬
sem Zusammenhang allerdings den Begriff „Humanismus". Siehe auch C. Baffioni: Sto¬
ria della filosofia islamica. Mailand 1991, Kap. IV, insb. S. 178f.
'' A. Miquel: La litterature arahe. Paris "1993 ('1969), S. 87.
*° R. Blachere: „Quelques reflexions sur les formes de l'encyclopedisme en figypte et en Syrie du VIIP/XIV^ siecle ä la fin du IXVXV^ siecle." In: Analecta (Anm. 56), S. 521-40, insb. S. 522: „Pour apprehender dans toute sa complexite le developpement de cet encyclo- pedisme, il eonvient tout d'abord de ne pas l'isoler de l'ensemble du mouvement humanis- tique oü il s'integre", und S. 534: „l'humaniste ou, si l'on prefere, l'encyclopediste".
comme une des tentatives les plus grandioses pour constituer une connaissance
aussi vaste que possible en meme temps qu'accordee aux ideaux de la civilisa¬
tion qui le secrete: un humanisme ou, comme on tend ä le dire aujourd'hui, une
humanistique a quoi se reconnaissent les membres d'un corps social."^^
Und während sich Miquel damit noch auf die formativen Jahrhunderte der
islamischen Kultur bezieht, nimmt Arkoun diesen Gedanken auf und über¬
trägt ihn - wie vor ihm ebenfalls Blachere*^ - auf den späteren Enzyklopä¬
dismus des 8./14. und 9./15.Jahrhunderts: „Ii est ainsi possible de fixer ä l'aide
de ces encyclopedies, le contenu d'un humanisme arabo-musulman tel qu'il
pouvait fonctionner dans le milieux citadins cultives apres le XIIP siecle."*'
Unter den soziologischen und politischen Faktoren, die für das gei¬
stesgeschichtliche Konzept des „islamischen Humanismus" von Belang sind,
müssen besonders das Kanzleiwesen, das ausgeprägte Mäzenatentum und
die Aufsplitterung in kleine, relativ unabhängige Kleinstaaten - in ihrer Wir¬
kung, nicht in ihrem Wesen, den Stadtstaaten der italienischen Renaissance
nicht unähnlich - genannt werden: „De fait, le mecenat des prinees fut l'une
des notes les plus apparentes des cours musulmanes. Ii en resultera une valo¬
risation des travaux d'esprit, et l'un des plus riches epanouissements humanis¬
tes que connut I'histoire culturelle d'humanite."*'* Auf eben diese Faktoren
verweist auch Carter, wenn er schreibt: „The highly developed urbanism
of Islam, its elaborate bureaucracy, wealthy courts and associated patronage,
and a universal respect for learning all combined to provide a fertile envi¬
ronment for the emergence of a kind of humanism analogous to that which
arose in the West",^^ oder mit anderen Worten, sowohl in Europa als auch
in der islamischen Kultur „[the] humanist milieu likewise comprised the
court, statecraft, and diplomacy".** Andererseits tendierten schon die abend¬
ländischen Humanisten, nicht zuletzt infolge ihrer Anbindung an höfische
Kreise und ihrer materiellen Abhängigkeit von diesen, zu Elitisierung und
Kastenbildung. In der islamischen Kultur läßt sich Ähnliches beobachten,
und Gardet hat deshalb den „islamischen Humanismus" als eine Art „hu¬
manisme aristocratique"*'^ sowie als „palace-humanism" („humanisme de
8' Miquel (Anm. 79), S. 69.
*2 Blachere (Anm. iO), passim.
" Arkoun (Anm. 26), S. 82.
Gardet (Anm. 29), S. 116 und ebd. 130: „Voici maintenant le milieu proprement dit des humanistes. Ii gravite autour des hommes au pouvoir, califes, emirs, vizirs, et s'appuie Sur leut mecenat."
*5 Carter (Anm. 68), S. 27.
«* Ebd., S.31.
*' Gardet (Anm. 16), S. 298.
cour"**) beschrieben: „A palace-humanism, a humanism of the court, royal
or princely, or perhaps, of the urban elite, in which the people of the towns
and villages, often little refined if not illiterate, did not participate."*'
(b) „Humanismus" als Epochenbegriff
In seinem Kern liefert der BegrifT „Humanismus" (wie er im Abendland ge¬
braucht wurde und wird) nicht nur die Bezeichnung für eine bestimmte Pe¬
riode der europäischen Geistesgeschichte, sondern er hat damit auch eine
abgrenzende, und das heißt zugleich: eine wertende Bedeutung, und zwar
indem die „humanistische" Periode als das „Ende des Mittelalters" oder die
„Uberwindung der Scholastik" verstanden wird. Weil in diesem Zusammen¬
hang die Begriffe „Mittelalter" und „Scholastik" traditionell durchweg ne¬
gativ konnotiert sind - etwa als die geistige Unmündigkeit des Menschen
angesichts einer religiös fundierten Autorität bzw. Schriftgläubigkeit, etc. -,
gewinnt der BegrifT „Humanismus" auf diese Weise die Konnotation eines
„geistigen Fortschritts" und wandelt sich so in einen WertebegrifT (der aller¬
dings nicht mit dem eigentlichen WertebegrifT von „Humanismus" identisch
ist, s. unten Punkt c).
Dieses Konzept wurde von Badawi, auch mit Blick auf die islamische
Kultur, wie folgt ausgedrückt: „La raison qu'exalte l'humanisme n'est pas
cette raison seche, abstraite, qui ressemblerait ä une machine ä fabriquer des
concepts figes depourvus de vie, comme la raison scolastique perdue dans
un desert de vide dialectique et sterile syllogistique, mais eile est cette cons¬
cience totale de l'äme humaine vis-ä-vis des objets exterieurs",'° und was
hier als explizite Polemik gegen das scholastische Denken gefaßt ist, findet
sich bei Gibb ähnlich, wenngleich rhetorisch weniger spektakulär formu¬
liert: „Die Grammatiker dieser frühen Periode {sc. des 2./8. und 3./9.Jahr-
hunderts] waren keine trockenen Schulmänner, sondern die Humanisten des
Islams."'''
Im allgemeinen wurde vor allem die formative Periode der islamischen
Kultur, das sogenannte „klassische" oder „goldene Zeitalter" der frühen
und mittleren Abbäsidenzeit, mit diesem „epochalen" Humanismus-Begriff
88 Gardet (Anm. 53), S. 133.
8' L. Gardet: „Towards a Renewal of Islamic Humanism." In: Islamic Studies 1 (1962), S. 25-39 (hier: S. 27). Vgl. demgegenüber aber die Ausführungen zu einem „humanisme de ville" bzw. „humanisme populaire" oder „semi-populaire" in Gardet (Anm. 16), S. 310ff. und Ders. (Anm. 53), S. 153.
'° Badawi (Anm. 25), S. 73.
" Gibb/Landau (Anm. 27), S. 72.
belegt. Hierbei zeigt sich allerdings, daß die eigentliche Epochisierung, die
der abendländische Begriff des „Humanismus" liefert, im Islam keine An¬
wendung finden konnte, denn dort gab es keinen Humanismus, der ein
„Mittelalter" oder eine „Scholastik" zu überwinden hatte, vielmehr wurde,
wie oft zu lesen ist, im Islam der Humanismus seinerseits vom „Mittelalter"
und dem scholastischen Denken „überwunden". Um also den „Humanis¬
mus" in der Islamwissenschaft überhaupt als Epochenbegriff gebrauchen
zu können, war man gezwungen, seine abgrenzende Bedeutung ins Gegen¬
teil ZH verkehren. Anders gesagt, die Konnotation der „aktiven" Uberwin¬
dung einer vorhergehenden Epoche (oder Geisteshaltung) wurde in das
„passive" Uberwundenwerden durch eine nachfolgende Geisteshaltung ver¬
dreht, wobei jedoch das Wesen eben dieser Haltung mittels des Festhaltens
am Begriff der „Scholastik" bewahrt blieb:
„A partir de 900-950, l'attitude classique evolue dans le sens d'un privilege de
plus en plus net accorde aux classiques arabo-islamiques. (...) Des oeuvres vont etre regulierement etudiees dans des institutions scolaires qui se multiplient:
ce qui entraine progressivement le passage d'une pensee vivante ä une pensee
scolastique. C'est ainsi qu'entre le X"^ et le XIIP siecle, se constituent les huma¬
nites arabes qui ne cesseront ensuite d'exercer leur fascination et leur emprise jusqu'ä nos jours."'^
Die Umkehrung der temporal-liminalen Bedingungen des Epochenbegriffs
„Humanismus" stand dabei in trefflicher Übereinstimmung mit der eben¬
falls weitverbreiteten Ansicht, wonach in der islamischen Kultur- und Gei¬
stesgeschiehte, nach einem „vielversprechenden Anfang", eine zunehmende
Verarmung, Stagnation, Lähmung oder, allgemein gesprochen, Dekadenz
wahrgenommen werden könne.'' Und obwohl Makdisi diesen „Dekadenz¬
gedanken" nicht ausführt noch sich ihm explizit anschließt, übernimmt
auch er die konzeptuell ins Gegenteil verkehrte Bedeutung des Epochen¬
begriffs „Humanismus" und leistet damit unterschwellig - aufgrund der
wertenden Konnotationen des Begriffs - dem Dekadenzgedanken weiter¬
hin Vorschub: „Classical Islam produced two intellectual movements, hu¬
manism and scholasticism, in that chronological order. (...) Humanism was
'2 Arkoun (Anm. 26), S. 48.
" Hierzu vgl. Grunebaum (Anm. 75), S. 31; die Beiträge in Brunschvig/Grunebaum
(Anm. 33); W.M. Watt: Islamic Philosophy and Theology. An Extended Survey. Edin¬
burgh 1985, S. 133ff. Als beste Illustration dieser Ansicht eignen sich aber noch immer
die Vorreden, die C. Brockelmann den einzelnen Abschnitten (bzw. Perioden) in seiner
Geschichte der arabischen Litteratur (Leiden 1937-49, 5 Bände) vorangestellt hat; zur Kor¬
rektur dieser Ansicht, vgl. Arkoun (Anm. 36), S. 81 f.
concerned with philology and literary arts; scholasticism's concern was le¬
gal science."''* Oder an anderer Stelle:
„Humanism was the first to develop in classical Islam, followed more than a
century later by scholasticism. The dawn of humanism may be placed in the lat¬
ter part of Islam's first century (seventh A.D.) and its products recorded as of
the second. The beginning of scholasticism may be placed in the latter part of
the third century (ninth A.D.), its products being recorded in the fourth."''
Zu einer etwas anderen Einschätzung, was die zeitliche Festlegung betrifft,
kam zuvor Badawi, obwohl er mit Makdisi die Umkehrung der epochalen
Abgrenzung des islamischen Humanismus und die darin implizierte Moti¬
vik des „Verlusts", des „Uberwundenwerdens" oder überhaupt „der Wen¬
dung zum Schlechteren" teilt: „Mais alors il [sc. l'humanisme] avaitperdu de
ses caracteristiques, depuis lafin du VIF siecle. Aussi pouvons-nous fixer les
limites chronologiques de l'humanisme arabe entre le debut du VP et la fln
du VIF siecle de l'hegire environ".'* Diese Einschätzung wurde mehr oder
weniger auch von Arkoun geteilt, der „le triomphe de cette tendance" im
4. /lO.Jahrhundert ansetzt,''' und Leaman schreibt: „The latter half of the
fourth/tenth century under the control of the Büyid (Buwayhid) dynasty
was perhaps the high point of what might be called ,humanism', since then
there was an impressive mingling of a large variety of scholars sharing an
interest in the , ancient sciences' and a common language in which to dis-
cuss It. «9S
(c) „Humanismus" als Wertebegriff
Als WertebegrifT bezeichnet Humanismus zunächst, wie oben bereits gesagt,
eine „position philosophique qui met l'homme et les valeurs humaines au-
dessus des autres valeurs". Damit verbunden sind die Uberzeugung von der
Würde (dignitas) sowie der Autonomie des Menschen und nicht zuletzt die
dadurch geleistete Grundlegung der Menschenrechte, wie sie ausgehend von
der abendländischen Tradition bestimmt werden.
Makdisi (Anm. 26), S. 2.
« Makdisi (Anm. 47), S. 17.
'* Badawi (Anm. 25), S. 100. Gardet zieht die zeitliche Grenze viel später, und zwar in „the Sixteenth Century, while classical humanism was petering out" (Gardet, wie Anm. 89, S. 29). Vgl. auch die Ausführungen in Blachere (Anm. 80), insb. S. 525f.
'' M. Arkoun: „L'Humanisme arabe au IWX^ siecle d'apres ie Kitäb al-Hawämil wal-
Sawämil." In: SI 14 (1961), S. 73-108 und 15 (1961), S. 63-87 (hier: S. 74).
'8 LEAMAN(Anm. 69), S. 155.
Gibt man aber dem „Humanismus" diese „weite" Bedeutung, so wird
deutlich, daß die Rede vom „Humanismus" als Wertebegriff zwei verschie¬
dene Aspekte aufweist, die gar nicht oder nur sehr schwer voneinander ge¬
trennt werden können: zum einen gibt dieser Humanismusbegriff, zunächst
beschreibend, ein Werteideal an, zum anderen wird dieses Ideal selbst für
wertvoll und erstrebenswert erachtet. In diesem Fall wird also das behaup¬
tete Vorliegen eines „Humanismus" (als Wertebegriff) in einer Kultur nicht
nur die wertfreie Beschreibung einer kultur- oder geistesgeschichtlichen
Konstellation liefern, sondern diese Konstellation (bzw. Kultur) damit zu¬
gleich (wenn auch möglicherweise nur implizit) für wertvoll erklären. Eo
ipso bedeutet dies auch, daß, dank der oben behandelten Konnotationen
des Epochenbegriffs von „Humanismus", andere Konstellationen - benannt
etwa als „Scholastik", „Mittelalter", etc. - damit (möglicherweise ebenfalls
implizit) für nicht erstrebenswert deklariert werden, ja daß dieser Gegensatz
im Begriff des „Humanismus" immer schon angelegt und mitgedacht ist.
Der Wertebegriff von „Humanismus" hat daher in den meisten Fällen
eine handfeste ideologische Komponente, die manchmal mehr und manch¬
mal weniger deutlich zum Ausdruck kommt. In der Darstellung von Roger
Arnaldez beispielsweise, der sich den Wertebegriff von „Humanimus" zu¬
nutze macht, handelt es sich beim Islam um „an authentie religious culture,
close to a spiritual humanism"^'' und deshalb sei es dort zu „the development
of a general culture, i.e. a genuine humanism" gekommen.Hier scheint
das Adjektiv „genuine" nur sehr zurückhaltend anzudeuten, daß Arnaldez
vom Wert eines derartigen Humanismus überzeugt ist und den Begriff ver¬
wendet, um so der islamischen Kultur - immer mit einem Auge auf die euro¬
päische Geistesgeschichte schielend - ihre rechte Bedeutung und Würde zu
verleihen.
Andere, ähnlich geartete Beispiele dafür, mittels des Begriffs „Humanis¬
mus" - und zwar eines, wie regelmäßig betont wird, „tatsächlichen" oder
„wahrhaftigen" Humanismus - zu einer neuen, positiven Bewertung von
Phänomenen zu gelangen, wären Gardets Definition des „islamischen Hu¬
manismus" als „un style de vie musulman qui respecte et libere un certain
nombre de reelles valeurs humaines"'^' oder Charles Pellats Beschrei¬
bung als „intense mouvement des idees qui caracterise les premiers siecles de
ITslam. Cette culture est dans l'ensemble plus profane que religieuse et tend
" R. Arnaldez: „Religion, religious culture, and culture." In: Hovannisian/Sabagh (Anm. 76), S. 93-102 (hier: S. 97).
Ebd.,S. 101.
'°' Gardet (Anm. 16), S. 282.
ä se developper en un ,humanisme' tout ä fait honorable." Und ganz ähn¬
lich Blachere über den „esprit d'adab": „Par ses origines oü se confondent
iranisme et hellenisme, et qui sur tant de points impliquent des ouvertures
intellectuelles propres ä conduire ä un veritable humanisme." Bemerkens¬
wert ist in diesem Zusammenhang auch W.M. Watts Konzeptuahsierung
schon der vorislamisch-arabischen Stammesgesellschaft als „tribal human¬
ism": „The effective religion of the pre-lslamic Arabs was a tribal human-
ism"'°^, oder genauer gesagt: „Pre-Islamic poetry suggests that for the no¬
madic tribes a quasi-religious dynamic was produced by a belief in the
human excellence of the tribal stock. Regard for honour or reputation (hasah)
was the driving force in much of their activity. In this sense it may be said
that the real religion of the Badw was a tribal humanism."
Der „Humanismus" als Wertebegriff und die Möglichkeit, die islamische
Kultur damit als der europäischen ebenbürtig zu erweisen, werden hingegen
von Badawi nicht en passant, sondern explizit und mit aller Macht eingefor¬
dert: „N'est-il plus admissible, dans le Verstehen historico-existentiel, de re-
server le nom {...) ä l'Humanisme europeen seul; ce serait lä une vue courte
de I'histoire, une fausse perspective, (...) ou bien encore une ignorance de
ses vrais elements constitutifs dans une culture donnee."Nicht anders
auch im Buch von Marcel Boisard,'"'' das der Aufdeckung humanistischer
Grundtendenzen in der islamischen Religion und Kultur gewidmet ist; oder
jüngst bei Minou Reeves, die von „Muhammad's humanism" spricht,'"* in
der (berechtigten) Hoffnung, ihn damit als einen Vertreter avant la lettre
jener „humanistischen" Geisteshaltung darzustellen, die heute zum zentra¬
len Element einer säkularen, vom Rationalitätskonzept und den Menschen¬
rechten geprägten „Welt-" oder „Universalethik" geworden ist, also dem
„suggestiven Gedanken eines universalen, eines ,planetarischen' Humanis¬
mus, dem die großen Schöpfungen des chinesischen, des indischen oder
des islamischen Geistes ebenso angehören sollen wie die im engeren Sinne
Ch. Pellat: „Les etapes de la decadence culturelle dans les pays arabes d'Orient."
In: Brunschvig/Grunebaum (Anm. 33), S. 81-92 (hier: S. 90).
'"3 Blachere (Anm. 56), S. 148. Von „un veritable humanisme islamique" spricht auch G. Lecomte: Ibn Qutayba (mort en 276/889). L'homme, son ceuvre, ses idees. Damaskus 1965, S. 498 (ausführlich zitiert unten auf S. 299).
i"-' W.M. Watt: Islam and the Integration of Society. London 1961, S. 186. Vgl. auch Carter (Anm. 68), S. 38.
W. M. Watt: s. v. „Badw". In: EP, Bd. I, S. 892.
'O"" Badawi (Anm. 25), S. 67f.
BoiSKRU (hnm. 26), passim.
M. Reeves: Muhammad in Europe. A Thousand Years of Western Myth-Making.
Reading 2000, S. 65ff.