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Vergeltung und Erinnerung

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Academic year: 2022

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VERGELTUNG UND ERINNERUNG

JAN ASSMANN

D e r ä g y p t i s c h e B e g r i f f Maat v e r d a n k t W O L F H A R T W E S T E N D O R F v i e l f ä l t i g e A u f h e l l u n g .1' S o d a r f d i e f o l g e n d e S t u d i e d a s I n t e r e s s e d e s J u b i l a r s e r ­ w a r t e n , a u c h w e n n sie g a n z im G e g e n s a t z z u s e i n e n e i g e n e n A r b e i t e n a u f d i e s e m G e b i e t k e i n e n e u e n E n t d e c k u n g e n z u b i e t e n h a t und sich a u f d e m B o d e n w o h l b e k a n n t e r T e x t s t e l l e n b e w e g t . M e i n e Ü b e r l e g u n g e n zur M a a t s i n d a u s d e m V e r s u c h h e r a u s e r w a c h s e n , a n h a n d e i n e r A n a l y s e d i e s e s B e ­ g r i f f s ­ o d e r b e s s e r : P r i n z i p s ­ d i e u m f a s s e n d e s i n n f u n d i e r e n d e F u n k t i o n d e r R e l i g i o n , n i c h t im, s o n d e r n als R a h m e n d e r a l t ä g y p t i s c h e n K u l t u r

v.j_... 2) edtg ':t?3

d e u t l i c h zu m a c h e n .

D a s z w e i t e d e r v i e r a n a p h o r i s c h e n S t r o p h e n l i e d e r (d.h. L i e d e r , b e i d e n e n j e d e S t r o p h e m i t W i e d e r h o l u n g d e r s e l b e n Z e i l e b e g i n n t ) , m i t d e n e n d e r " L e b e n s m ü d e " d e s pBerlin 3 0 2 4 d e n D i s p u t m i t s e i n e m B a b e s c h l i e ß t , h a t d i e K l a g e ü b e r d e n Z u s a m m e n b r u c h z w i s c h e n m e n s c h l i c h e r V e r s t ä n d i g u n g zum T h e m a , w i e es b e r e i t s d i e R e f r a i n z e i l e d e r 15 K u r z s t r o p h e n k l a r ­ s t e l l t : "Zu w e m k a n n ich h e u t e n o c h r e d e n ? " . D i e m i t t l e r e und d u r c h d i e s e P o s i t i o n h e r a u s g e h o b e n e S t r o p h e l a u t e t ^ ' :

dd.3 n m mjn? Z u w e m k a n n i c h h e u t e n o c h r e d e n ? n shS.t(w) sf M a n e r i n n e r t s i c h n i c h t d e s G e s t e r n ,

1) "Eine auf die Maat anspielende Form des Osirisnamens", in: MIO 2 (1954), 165ff;

"Ursprung und Wesen der Maat, der altägyptischen Göttin des Rechts, der Gerechtig­

keit und der Weltordnung", in: Fs. WALTER WILL (1966), 201ff; "Maat, die Führerin des Sonnenlichtes in der Architektur", in: ZÄS 97 (1971), 143ff.

2) Dasselbe meint letztlich wohl auch R.ANTHES mit seinem berühmt gewordenen Dictum, daß sich eine monographische Behandlung der Maat zu einer Kulturgeschichte Ägyptens auswachsen müsse. An Lit. zu Maat vgl. über ANTHES, Die Maat des Echnaton von Amar­

na (JAOS Suppl.14, 1952), die Diss. von C.J.BLEEKER, De beteekenis van de eggpti­

sche godin Ma­a­t, Leiden 1929 und die in n.l gen. Arbeiten von W.WESTENDORF hinaus noch H.H.SCHMID, Gerechtigkeit als Weltordnung, Tübingen 1968, 46-60; J.BERGMAN, in:

H.BIEZAIS (Hg.), The Mgth of the State, Stockholm 1972, 80-102 (mit Lit. in S.82 n.l) und W.HELCK, in: LÄ III, 1110-1119. Mein eigener Versuch über das Prinzip Maat bildet das einführende Kapitel einer Darstellung der ägyptischen Religion, die als Urban-Taschenbuch bei Kohlhammer (Stuttgart) erscheinen soll.

3) pBerlin 3024, 115f s. W.BARTA, Das Gespräch eines Mannes mit seinem Ba, MÄS 18 (1968), 17 (metrische Umschrift, vgl. dazu die Korrektur von G.FECHT, in: LA' IV, 1139), 26 unten (Übersetzung) und Abb. (Anhang).

Originalveröffentlichung in: F.Junge (Hrsg.), Studien zu Sprache und Religion Ägyptens (Zu Ehren von Wolfhart Westendorf), Göttingen 1984, S. 687-701

(2)

688 Assmann

n jrj.t(w) n jrjw m t3 3t man handelt nicht für den, der gehan­

delt hat heutzutage.

In dieser Strophe wird als ein besonders repräsentatives Symptom des allgemeinen Zerfalls der sozialen Eintracht der Verfall von Gedächtnis

4)

und dankbarer Vergeltung beklagt. Die Aussage über den Gedächtnisver­

fall bedient sich derselben Formulierung, mit der dieses Phänomen als Alterserscheinung und Symptom von "Todesbefallenheit" in der berühmten Altersbeschreibung der Lehre des Ptahhotep erwähnt wird.^' Die Aussage über den Verfall der tätigen Dankbarkeit, der Beantwortung empfangener Wohltat durch entsprechende Gegenleistung, greift eine redensartliche Wendung auf, die vor allem in Grabinschriften verbreitet ist und das Prinzip der Gegenleistung in zahlreichen Varianten zum Ausdruck bringt.

Meist geht es darum, den Grabbesuchern, die man um das Sprechen des Opfergebets bittet, diese Zumutung annehmbar zu machen: es handelt sich ja nur um einen "Hauch des Mundes", und doch ist es eine Wohltat für den Toten (3h n s°h) , die Gegenleistungen nach sich zieht*'' : "weil der, der handelt, einer ist, für den gehandelt werden wird", um nur die ver­

breitetste der zahlreichen "Reziprozitätsformeln" zu zitieren.^' Der entscheidende Punkt an diesem Reziprozitätsprinzip einer Wohl­

8)

tätigkeit bzw. Hilfsbereitschaft auf Gegenleistung ist nun aber, daß das Subjekt der Gegenleistung nicht unbedingt identisch sein muß mit dem Objekt der erbetenen Wohltat. Es handelt sich nicht um ein einfaches

"Do ut des" in Form einer zweiseitigen Interaktion. Zwar gibt es das auch, daß der Tote selbst seine Gegenleistung anbietet:

denn ich werde der Schutz eurer Gesundheit sein 9)

in der Nekropole, wahrhaftig

4) Zu dieser Deutung des Liedes s. meinen Beitrag Königsdogma und Heilserwartung. Poli­

tische und kultische Chaosbeschreibungen in altägyptischen Texten, in: D.HELLHOLM (Hg.), Apocalypticism in the Mediterranean World and the Near East, 1983,

356f.

5) pPrisse 5,1: jb tmw n sh3.f sf "das Herz hört auf, es erinnert sich nicht des Ges­

tern" .

6) Vgl. hierzu P.VERNUS, La formule 'le Souffle de la bouche' au Moyen Empire, in:

RdE 28 (1976), 139­145.

7) Hierzu v.a. H.de MEULENAERE, Une formule des inscriptions tardives, in: BIFAO 63 (1965), 33­36. Für das MR s. doc.(13) bei VERNUS, aaO, sowie etwa Bauer B 1, 109f und Enseignement Loyaliste ed. POSENER, § 14.11.

8) Zum Reziprozitätsprinzip vgl. allg. B.MALINOWSKI, The reciprocal nature of all social co­operation, in: Crime and Custom in Savage Society (1932), 22ff. A.DIHLE, Die goldene Regel, 1962.

9) DUNAHM u. JANSSEN, Semna, Kumna, 61 Tf.91d = VERNUS, doc. (12) , aaO 141 cf. 144 (e) .

(3)

Vergeltung und Erinnerung 689 ich werde der Schutz seiner Gesundheit sein

10) und der Behüter seiner Kinder

Aber der klassische Fall, an den bei diesen Formeln gedacht ist, besteht darin, daß derjenige, der jetzt eine Wohltat erweisen soll, später von seinen Nachkommen und den Besuchern seines Grabes die gleiche Wohltat erwarten darf:

man wird euren Personen Gleiches tun

nachdem eure Ka's sich am Leben befriedigt haben und ihr zur Ehrwürdigkeit eingegangen seid für immer 11)

Eine ähnliche Vorstellung ist schon in der 5.Dynastie greifbar:

Was ihr aber gegen dieses (Grab) tun werdet, so wird Gleiches getan werden gegen euren Besitz von Seiten eurer Nachkommen

Hier handelt es sich nicht um eine Bitte, sondern um eine Drohung.

Abstrakter formuliert später der Autor der Lehre für Merikare, den man vielleicht, wie wir noch sehen werden, als den bedeutendsten ägyptischen Theoretiker des Vergeltungsprinzips bezeichnen darf:

Der Eine erweist dem anderen Wohltaten;

ein Mann handelt für den, der vor ihm gelebt hat,

auf daß wirksam erhalten werde das, was er geschaffen hat, durch einen anderen, der nach ihm kommt. 13)

Es handelt sich also nicht nur um Reziprozität, sondern um eine ge­

sellschaftliche Solidarität, die die Generationen überspannt und in die Tiefe der Zeit hinein wirksam bleibt. An diese Solidarität appellieren die zitierten Formeln. Das Gedächtnis, das sich einer Wohltat erinnern wird, ist nicht nur das individuelle Gedächtnis dessen, der sie empfan­

14)

gen hat, sondern auch und vor allem die memoire collective" . der Ge­

meinschaft, in der sie kraft dieser Solidarität auch mit den Toten auf Dauer gestellt und solange erhalten bleibt, wie man sich "des Gestern erinnert".

10) SPIEGELBERG U. PÖRTNER, Äg. Grabsteine I, 3 Tf.2.4, VERNUS doc.(14), aaO 141f cf.

145; vgl. auch doc.(ll) und Enseignement Loyaliste ed. POSENER § 14, S.47­50 sowie VERNUS doc.(10) mit seiner allgemeineren Formulierung jnk (...) db3w nfr n jrjw sw

"Ich bin einer, der (...) eine gute Tat vergilt dem, der sie tut". Sehr klar auch Mundöffnungsritual ed. OTTO, Sz.71 hh (OTTO I, 194, II, 159) mkj.f ifw n stjw n.f mw "Er (der Tote) schützt den Leib dessen, der ihm Wasser spendet".

11) Stele Leningrad, VERNUS doc.(3), aaO 140, 144 (c).

12) Urk.I 46, 11­12 u.ö., s. E.EDEL, Untersuchungen zur Phraseologie des AR, MDAIK 13 (1944), 18f.

13) Merikare P 117­118, ed. VOLTEN, 63f; HELCK (KÄT) , 73.

14) MAURICE HALBWACHS, La memoire collective (1950).

(4)

690 Assmann

Auf ein so allgemeines Prinzip wie die Solidarität der Nachwelt be­

ruft man sich aber nicht nur, wo es um die Bitte um ein Opfergebet oder Warnungen vor Grabschändung geht. Vielmehr­ bildet diese Kategorie, je­

denfalls von der I.Zwischenzeit an, den Bezugsrahmen, von dem her jedes Handeln überhaupt als sinnvoll gemeint und interpretiert wird. Greifbar wird diese Konzeption in der Fülle jener Sentenzen, offenbar Sprichwör­

1 5)

tern, die mit dem Wort mnw "Denkmal" gebildet sind und die "Denkmal­

haftigkeit", d.h. ünvergänglichkeit der guten Tat oder allgemeiner der Tugend, des guten Charakters und auch der Tapferkeit zum Ausdruck brin­

gen:

Das Denkmal eines Mannes ist seine Tugend (nfrw.f), 16)

der Gesinnungslose wird vergessen.

Sehr oft findet sich die "Denkmalformel" auch in unmittelbarer Kol­

lokation mit der "Reziprozitätsformel", wodurch der Zusammenhang von Vergeltung und kollektivem Gedächtnis auf der Basis der generationen­

überspannenden sozialen Solidarität besonders deutlich wird:

Denn der (jetzt) Handelnde ist einer, für den (einst) gehandelt werden wird:

ein Denkmal ist es, gut (3 kr) zu handeln. 17)

Hierher gehört auch die Topik von der "ünvergänglichkeit des Namens", die S.SCHOTT 18)

;

behandelt hat:

Der Name eines Tapferen beruht auf dem, was er getan hat,

.?< 19)

ohne zu vergehen in diesem Lande ewiglich.

Sein Name bleibt als Denkmal ohne zu vergehen, durch das, was er getan hat auf Erden.^

SCHOTT konnte zeigen, daß diese Topik sich nicht nur auf militäri­

sche Heldentaten bezieht, sondern "auf den Lebenswandel eines Mannes, 21)

der vor dem Totengericht besteht". Auch hier findet sich in der Lehre

15) Einiges bei de MEÜLENAERE, BXFAO 63, 32ff; POSENER, AnnCF 72, 437; Ders. , L'En- seignement Loyaliste, 46 zu § 13.3; VERNUS, RdE 28, 141 doc.(13), 145 (f); BARNS, Five Ramesseum Papyri, 6 1.21.

16) Stele des Mentuhotep, London UC 14333, GOEDICKE, in: JEA 48, 26 1.16; vgl. SCHEN­

KEL, in: JEA 50, llf.

17) VERNUS, doc.(13), aaO; weiteres bei de MEÜLENAERE, aaO, vgl. bes. Kairo CG 565:

Einer der handelt wird einer sein, für den gehandelt wird;

tut für mich, was ich getan habe.

Ein Denkmal ist es, das Gute zu tun:

man findet den Ertrag für die ZuEunft der Jahre bis in die Länge der Ewigkeit.

18) In: MDAIK 25 (1969), 131­135.

19) Urk.IV, lf. Auf die Parallelen Urk.IV 684.7; 780.10­15; 1336.1­5 verwies bereits SPIEGELBERG, in: RT 26 (1904), 41f.

20) Urk.IV 518, SCHOTT, aaO 133.

21) AaO 133.

(5)

Vergeltung und Erinnerung 691 für Merikare eine sehr bündige Formulierung:

Nicht klein ist der Name eines Mannes 22) durch das, was er getan hat.

Allerdings erscheint der Begriff des Totengerichts in diesem Zu­

sammenhang noch entbehrlich. Zweifellos stand diese Idee bei vielen der angeführten Texte mit im Blick, aber das Prinzip, um das es hier geht,

"funktioniert" auch rein immanent auf der Basis der Solidarität, die zunächst keine religiöse, sondern eine soziale Kategorie ist, auch wenn sie (wie alle Kategorien der ägyptischen Wirklichkeitskonstruktion) religiös fundiert ist, so daß sich je nach dem Skopus des betreffenden Textes, die Linien der Argumentation in jenseitige Bereiche ausziehen lassen. Man kann aber diesen Zusammenhang von Wohltätigkeit und Un­

sterblichkeit auch ohne Rekurs auf göttliche Beurteilung und die Verant­

wortung vor einem jenseitigen Gerichtshof zum Ausdruck bringen, und diese sozusagen weltliche Argumentationsweise schlägt sich in den sprichwortartigen Sentenzen nieder, wie sie im MR, in der 18.Dyn. und dann ganz besonders in der Spätzeit beliebt sind. Das Bezeichnende an dieser Konzeption ist gerade, daß nicht ein Gott, sondern die Mit­ und Nachwelt umfassende Gemeinschaft für den Lohn der guten (und die Strafe der bösen) Tat sorgt; denn genau darin liegt der Unterschied zur späte­

ren Konzeption des Zusammenhangs von Tun und Ergehen, wie er in den 23) Texten etwa ab der Ramessidenzeit in den Vordergrund tritt.

Die auf Solidarität mit den Toten verpflichtete Gemeinschaft ver­

heißt Unsterblichkeit dem, der sich seinerseits solidarisch verhält.

Solidarisches Handeln gliedert den Einzelnen so unverbrüchlich in den Sozialkörper ein, daß auch der Tod diese Bindung nicht aufzulösen ver­

24)

mag. Die würdigen Toten werden von den nachfolgenden Generationen als Glieder der Gemeinschaft mitgetragen und durch das "Scharfhalten"

ihrer Namen am Leben erhalten. Andererseits stehen auf unsolidarischem Verhalten die Sanktionen der Vergeltung und des Vergessens, die die To­

ten an ihrer Existenzbasis, ihrer Grabanlage treffen. Das Grab ist ein soziales Phänomen: es liegt nicht nur in gleichsam städtebaulichem Ver­

25)

bund mit anderen Gräbern in besserer oder schlechterer Lage , es ist

22) Merikare P 107/8, SCHOTT, aaO 133 Anm.9.

23) S. dazu unten, S. 697 sowie ausführlicher raeinen Beitrag Weisheit, Logalismus und Frömmigkeit, in: HORNUNG u. KEEL (Hg.), Studien zu altägyptischen Lebenslehren

(1979), 12ff und Re und Amun. Die Krise des polytheistischen Weltbilds im Ägypten der 18.-20.Dynastie (OBO 51 (1983)), 264-286.

24) Zum Begriff der Solidarität s. E.DÜRKHEIM, De la division du travail social (1894, dt. 1977).

25) Vgl. W.HELCK, Soziale Stellung und Grabanlage, in: JESHO 5 (1962), 225ff.

(6)

6 9 2

Assmann

auch dem Schutz der Gesellschaft anheimgestellt. Vergeltung, die dem mächtigen Grabherrn zu Lebzeiten nichts anhaben konnte, würde die Grab­

anlage treffen; daher suchen sich die Grabherrn., seit es überhaupt längere Texte in Gräbern gibt, vor Vergeltung zu schützen, indem sie zu­

nächst das einwandfreie Zustandekommen des Grabes ­ ohne Verletzung älterer Gräber, und unter zufriedenstellender Entlohnung der Handwer­

ker ­ später dann allgemein den einwandfreien Charakter ihres Lebens­

wandels (in Form der sog. Idealbiographie) hervorheben. ERIKA SCHOTT hat zu Recht bemerkt, daß derartige Inschriften mehr der Fortdauer des

2 6)

Grabes als der Person dienen. Der Fortdauer der Person dienen aber jene Inschriften, die den Grabherrn vor dem Vergessenwerden schützen

;

sollen: die aus den Namen und Titeln sich entwickelnde "Laufbahnbio­

graphie" des Toten, die seine Laufbahn im Königsdienst beschreibt und damit jene Bedeutsamkeit herausstellt, die nach der Anschauung des Alten Reichs offenbar ausschließlich einen unvergänglichen Namen verschaffte.

Später, nach dem Zusammenbruch des Königtums, erkannte man dann in den beiden bis dahin auseinandergehaltenen Sinnkategorien der Normgemäßheit und der Bedeutsamkeit zwei Seiten ein und derselben Sache. Solidarisches Verhalten, ägyptisch gesprochen: "die Maat zu sagen und zu tun", ist als solches bereits bedeutsam. Nicht eine Karriere im Königsdienst, son­

dern ein Leben im Sinne der Maat macht einen Mann unvergeßlich, bedeut­

sam und unsterblich. Das ist die eigentliche Pointe jener Sprichwörter, die nicht von ungefähr auf die 1.Zwischenzeit zurückgehen.

Der Zusammenhang von Vergeltung und Erinnerung, den der Lebensmüde in seiner Klage über den Zerfall der gesellschaftlichen Solidarität be­

schwört, läßt sich nun präzisieren. Er reicht einerseits über den Tod, andererseits aber nicht über das Diesseits hinaus. Im Gegenteil geht es ganz ausgesprochen um die Fortdauer "auf Erden", im Munde der Lebenden, im Andenken der Menschen, im Schoß der menschlichen Gemeinschaft. Dabei spielen nun der Tod und die Maat eine ausgezeichnete Rolle. Der Tod ist die Krise, bei der Vergeltung spätestens eintritt. Wen sie bei Lebzei­

ten nicht ereilt hat, den trifft sie jetzt: an seinem Grabe und an sei­

nen Kindern. Beide Formen postmortaler Vergeltung finden sich vereint

26) ERIKA SCHOTT, in: Gs OTTO ( 1 9 7 7 ) , 4 5 4 f . Zur Beziehung zwischen Grab und Personbe­

griff s. meinen Artikel Persönlichkeitsbegriff und -Bewußtsein, in: LÄ IV ( 1 9 8 2 ) . 27) Zu den Formen der Grabbiographie im AR s. E.SCHOTT, aaO sowie ausführlicher meinen

Beitrag Schrift, Tod und Identität. Das Grab als Vorschule der Literatur im alten Ägypten, in: A. u. J.ASSMANN, CHR­HARDMEIER (Hg.), Schrift und Gedächtnis (im Druck).

(7)

Vergeltung und Erinnerung 693

28) in der 19.Maxime des Ptahhotep :

Es dauert aber der Mann, der der Maat entspricht, indem er voranschreitet gemäß seinem Gange.

Er allein ist imstande, eine Vermögensverfügung darüber zu erlassen, der Habgierige aber hat kein Grab.

Der Habgierige hat kein Grab, weil ihm dessen Vorbedingung, die Solidarität der Gemeinschaft fehlt.3 0' Weil er sich nicht an die Maat gehalten hat als das Prinzip, im Einklang mit der Gesellschaft zu leben, hat er sich der Vergänglichkeit preisgegeben. Ein Steingrab hilft da nicht: wenn es von der Nachwelt nicht respektiert wird als das Grab eines Würdigen, der ohnedies im Gedächtnis lebendig ist, ist es bald verschwunden, zumindest entweiht. Auch hier ist es bekanntlich die Lehre für Merikare, die für diesen Gedanken, daß ein Grab nicht aus Stein er­

baut wird, sondern dadurch, daß man die Maat tut, die gültigste Formu­

lierung gefunden hat.3^' Der Habgierige kann aber nicht einmal sein un­

rechtmäßig erworbenes Vermögen seinen Kindern vererben. Denn da, wie 32y :-'.-;--;%!7:.*ä*fc.'>t­js wir aus der Dienstanweisung des Wesirs wissen, jede Vermögensver­

33)

fügung vom Wesir persönlich gesiegelt werden muß , kommt die Vererbung, einem Offenbarungseid gleich. Unrecht Gut vererbt sich nicht. Derselbe, soviel ich sehe bisher nicht konkret genug verstandene Grundsatz kommt auch in der Loyalistischen Lehre recht deutlich zur Sprache:

Setze die Abgaben fest in Entsprechung zur oberägyptischen Gerste 34)

denn das hält Gott für [Maat] ;

die Schätze des Rechtsbrechers {gsftjw) vermögen nicht zu überdauern, seine Kinder finden keinen Vorrat.

28) Z.ZABA, Les maximes de Ptah-hotep (1956), 39f (298)­(315), 85f, 141f; G.FECHT, Der Habgierige und die Maat in der Lehre des Ptahhotep (5. und 19.Maxime), ADIK 1

(1958), 34­47; P.SEIBERT, Die Charakteristik, Äg.Abh. 17 (1967), 72­77.

29) Zu dem problematischen Ausdruck nmtt vgl. BARNS, Five Ramesseum Papyri 6 zu 1.16.

30) Und nicht etwa deshalb, weil er mit Grabentzug und "Wasserbestattung" bestraft worden wäre, woran offenbar in der, diese Ptahhotepstelle zitierenden, Loyalisti­

schen Lehre gedacht ist, s. POSENER, L'Enseignement Loyaliste, § 6.4­5 und S.31.

Zu dieser Strafe s. auch FECHT, in: Fs SCHOTT (1971) , 57­60. Zum ägyptischen Straf­

recht s. zuletzt D.LORTON, The Treatment of Criminals in Ancient Egypt, in: JESHO 20 (1977).

31) Merikare 127/28, vgl. hierzu WESTENDORF, MIO 2, 168; FECHT/ Habgierige, 42; SPIE­

GEL, Idee vom Totengericht, 31; POSENER, AnnCF 66 (1966/67) 343.

32) Neuerdings vertritt G.P.F. van den B0ORN, in: Orientalia 51 (1982), 369­381 mit guten Gründen eine Datierung des gewöhnlich für das MR in Anspruch genommenen Textes in die 18.Dyn.

33) Urk.VJ 1111.6­7; HELCK, Verwaltung, 35 § 11. Zum Testament in Ägypten s. A.THEO­

DORIDES, in: RIDA 3 ser. XVII (1970), 117­216; SCH.ALLAM, in: OrAnt 16 (1977), 89­97.

34) Zu dieser Ergänzung vgl. die Inschrift des Neferhotep, unten S.696 Anm.48.

(8)

694 Assmann

Wer unrechtm

äßig vorgeht, am Ende seines Lebens

werden keine Kinder von ihm da sein mit 'Herzensbindung' (tkn jb) Wer sich zu beherrschen versteht (sw3 hr.f) besitzt Angehörige, aber der Haltlose (tff hZtj 'dessen Herz herausgerissen ist') hat keine Erben. 35)

Ähnlich heißt es in den Klagen des Bauern von einer anderen Form kardinalen Verstoßes gegen die Maat:

Wenn die Lüge fortgeht, so verirrt sie sich und vermag nicht mit der Fähre überzusetzen.

Nicht (...)

Wer an ihr reich ist, der hat keine Kinder, der hat keine Erben auf Erden.

Wer mit ihr im Schiff fährt, der erreicht nicht das Land, 36)

dessen Barke landet nicht an ihrem Hafen.

Sicher gehört in diesen Zusammenhang auch die erste erhaltene Maxime auf dem Verso des pChester Beatty IV:

Schädige nicht einen anderen an seiner Grenze, sondern mache (...)

auf daß du dein Vermögen deinen Kindern vermachen {swd) kannst, wenn du (das Lebensende) erreichst. 37)

Denn Amenemope, in dessen Bekämpfung der Habgier das allgemeine Prinzip "Unrecht Gut gedeiht nicht gut" ja eine beherrschende Rolle

38) 39)

spielt , bringt gerade in Bezug auf Grenzfrevel das Argument der Unvererbbarkeit solchen Besitzes ins Spiel:

Sein Haus ist ein Feind der Stadt, seine Scheunen sind zerstört,

seine Habe wird seinen Kindern weggenommen um seine Sachen einem Anderen zu geben. 40)

35) Enseignement Loyaliste ed. POSENER, § 12.

36) Bauer B 2, 98-103 ed. VOGELSANG, 221.

37) A.H.GARDINER, Hieratic Papyri in the British Museum, 3rd. ser. (1935), I Tf.18 vso.

1,1-2; II, 37.

38) Z.B.Amenemope 8,6-8; 8,19-9,4; 9,14-10,7, zit. bei POSENER, Enseignement Loya­

liste, 44.

39) Auch in der Dienstanweisung des Wesirs erscheint die Vorschrift vom Siegeln der jmjt-pr-Dokumente in Verbindung mit der Vorschrift der Zuweisung (s3h) von ädt­

Grundstücken.

40) Amenemope 8,5-8.

(9)

Vergeltung und Erinnerung 695 Alle diese Stellen appellieren an die Sehnsucht nach einer Fort­

dauer, die ganz offensichtlich vom Fortbestand diesseitiger sozialer Einbindung abhängig gemacht wird: als geachtetes Mitglied der Gemein­

schaft und als Vater von Kindern, denen man das Vermögen hat vererben und sie so hat in den Stand setzen können, sich "mit liebendem Herzen"

41)

um den Totenkult zu kümmern. Auf dem dunklen Hintergrund dieses Aus­

geliefertseins an die Nachwelt, die den Unwürdigen an seinem Grab,

seinem Andenken ("Namen") und seinen Kindern zu strafen vermag, erscheint nun umso strahlender das Bild jenes Prinzips, das allein diesem Sog der Vergänglichkeit zu widerstehen, den Tod zu überwinden und menschliches Dasein auf Dauer zu stellen verheißt:

Maat aber ist für die Ewigkeit bestimmt;

sie steigt mit dem, der sie tat, zur Nekropole hinab.

Wenn er begraben wird "und sich der Erde vereint,

dann wird sein Name nicht ausgelöscht werden auf Erden, sondern man gedenkt seiner wegen des Guten.

42) Das ist die Regel der Gottesworte.

Daher:

Sage die Maat, tue die Maat, denn sie ist groß und gewaltig, sie dauert, ihre Macht ist bewährt:

43) sie (allein) geleitet zur Jenseitsversorgtheit.

Auch die 5.Maxime der Lehre des Ptahhotep stellt der spätestens an der Todesschwelle zum Scheitern verurteilten Habgier das Prinzip Maat als einzige Chance zur Fortdauer gegenüber:

Groß ist die Maat, dauernd und wirksam,

sie wurde nicht gestört seit der Zeit ihres Schöpfers.

Man bestraft den, der ihre Gesetze mißachtet,

aber dem Habgierigen erscheint das als etwas Fernes.

Die Gemeinheit rafft zwar Schätze zusammen,

41) Auf die enge Beziehung zwischen Vererbung des Vermögens und Verpflichtung zu Be­

stattung und Totenkult fällt Licht z.B. durch die hochinteressanten Inschriften des Simut­Kiki, Inhaber des Grabes 409 in Theben aus der Zeit Ramses' II., der sein Vermögen der Göttin Mut überschrieben hat mit der Bestimmung, daß die Göttin für sein Begräbnis zu sorgen habe, vgl. dazu P.VERNUS, in: RdE 30 (1978), 115­146.

Zur Rolle des Herzens beim Totenkult vgl. die Wendung tkn jb in der zit. Stelle Ens. loy. § 12.6 und meinen Beitrag in H.TELLENBACH (Hg.), Das Vaterbild in Mythos und Geschichte (1976), 33­38.

42) Bauer B 1, 307­311, vgl. W.WESTENDORF, MIO 2, 170.

43) Bauer B 1, 320­22.

(10)

696 As smann

aber nie ist das Unrecht 'gelandet' und hat überdauert.

Ist das Ende da, dauert (allein) die Maat,

44) so daß ein Mann sagen kann: "Das ist die Habe meines Vaters".

Auch hier ist nur von Vererbung, nicht vom Totengericht die Rede.

Es geht um das Verbleiben in der Gemeinschaft, die Fortdauer im Dies­

seits. "Tue die Maat, auf daß du dauerst auf Erden", wie es in der Lehre 45)

für Merikare heißt. Auch hier ist nicht nur langes Leben, sondern vor allem das überstehen der Todesschwelle gemeint. Maat bezeichnet nichts anderes als jene Solidarität, durch die sich der Einzelne so in die Gemeinschaft einzubinden vermag, daß diese ihn über den Tod hinaus als Glied bewahrt und seine Gemeinschaftstreue mit Treue vergilt: mit Er­

46)

innerung. "Einer lebt, wenn sein Name genannt wird." Solidarität ist die Bedingung der Möglichkeit einer gerechten Vergeltung, die über den Tod hinaus wirksam ist, so daß das Leben nach dem Tode, nicht der ver­

gängliche Reichtum und Erfolg, zum "Bezugsrahmen aller Handlungsfol­

gen"^' werden kann. Daher wird in der m.W. einzigen ägyptischen "Defi­

nition", die wir von dem Begriff Maat besitzen, Maat als Vergeltung be­

stimmt :

Der Lohn eines Handelnden liegt darin, daß für ihn gehandelt wird:

48) das hält Gott für Maat.

Mit diesen Sätzen schließt die große Neferhotep­Inschrift, das vor­

stehend geschilderte Handeln des Königs abschließend begründend. Die mit großen Anstrengungen und Aufwendungen verbundenen Handlungen des Königs sind sinnvoll, weil sie im fundierenden Sinnhorizont der Maat auf Vergeltung bezogen sind; und da hier für Gott gehandelt wird, also für ein unendliches Gedächtnis, reicht die kommunikative Sinndimension dieses Handelns in die unendliche Zeitfülle der ägyptischen "Ewigkeit"

hinein. 49) Auch für diese spezifisch königliche Konzeption des Handelns,

44) Ptahhotep 84-98, FECHT, aaO 11-34. Mit Vers 98 konnten die bisherigen Bearbeiter nichts anfangen und haben ihn als Eindringling aus der folgenden Maxime behandelt, wo er aber auch keinen sinnvollen Kontext findet. Im Licht des Zusammenhangs von Fortdauer und Vermögensvererbung könnte die Lösung dieses Problems liegen.

45) Merikare P 46-47, POSENER, AnnCF 63, 304.

46) E.OTTO, Die biographischen Inschriften der ägyptischen Spätzeit, PÄ 2 (1954), 62 m.n.l. Zur "irdischen Unsterblichkeit" als Fortdauer im Andenken der Gesellschaft s. ibid., 57-65.

47) Vgl. B.GLADIGOW, Unsterblichkeit und Moral. Riten der Regeneration als Modelle einer Heilsthematik, in: Ders. (Hg.), Religion und Moral (1976), 112.

48) Neferhotep ed. W.HELCK, Hist.-Biogr. Texte der 2.ZwZt und neue Texte der 18.Dyn., KÄT (1975), 29, vgl. Ens. Log. § 12.2, s. S.693 Anm.34.

49) Vgl. dieselbe Argumentation durch Sesostris I. in der Berliner Lederrolle lBerlin 3029 s. hierzu G0EDICKE, in: Fs Äg.Mus. Berlin, 87-104.

(11)

Vergeltung und Erinnerung 697 das mit den Göttern kommuniziert und dadurch die letzt­umfassendste, die Götter einbegreifende Solidarität voraussetzt und herstellt, lassen sich zwei Stellen aus der Lehre für Merikare als locus classicus anführen:

Errichte Denkmäler entsprechend deinem Vermögen!

Ein einziger Tag gibt für die Ewigkeit und eine Stunde tut Gutes für die Zukunft, denn Gott kennt den, der für ihn handelt.

50

' Handle für Gott, damit er dir Gleiches tue, mit Opfern, die den Altar gedeihen lassen

und mit Inschriften ­ das ist es, was deinen Namen aufzeigt.

Gott ist eingedenk dessen, der für ihn gehandelt hat.

51

'

Aber das königliche Handeln für Gott ist nur ein Sonderfall der all­

gemeinen ägyptischen Handlungstheorie, die auf Vergeltung und Erinnerung, d.h. auf Solidarität beruht. Das Handeln des Königs für Gott provoziert einerseits dessen Vergeltung (do ut des) und beantwortet andererseits das vorgängige lebenschaffende Handeln Gottes (do quia dedisti), stellt also ­ und darauf kommt es vor allem an ­ das innerweltliche Wirken der Götter in eine kommunikative Sinndimension, nämlich in den Bezugsrahmen einer umfassenden, Menschen­ und Götterwelt umgreifenden Solidarität.

Wenn dieses Handeln nachläßt, dann wenden sich die Götter von Ägypten

- • ' • - • . \ . . . -. ... .... 52)

ab: auch dies kommt in den Klagen des Mittleren Reichs zum Ausdruck.

Die Dinge gehen zwar noch ihren gewohnten Lauf, aber sie haben ihre lebensspendende Kraft, ihre kommunikative Funktion, ihren Sinn verloren.

Wenn das soziale Gedächtnis ausfällt, zerfällt die Kohärenz des Ganzen.

5

^' Diese Konzeption des Vergeltungsprinzips als einer sehr umfassenden, sowohl die Vorstellung vom Leben nach dem Tode als auch die Idee einer kosmischen, Gesellschaft und Natur integrierenden Kohärenz umgreifenden Kategorie hat bekanntlich im Laufe der ägyptischen Geschichte einen sehr tiefgreifenden Wandel durchgemacht. VOLTEN

54

', OTTO

55

', BRUNNER

56

', MORENZ

5

f' und andere haben gezeigt, daß nach späterer Auffassung die

50) Merikare P 66-67, HELCK § XXIV, S.39f.

51) P 129-130, HELCK § XLV, S.82; vgl. LÄ I, 1086 mit Anm.13

52) Neferti 51-52: R w jwd.f sw r rmt "Re wird sich von den Menschen trennen", s.dazu E.BLUMENTHAL, in: ZÄS 109 (1982), 5 und meinen in Anm.4 zit. Beitrag, §2.1 mit Anm.63.

53) S. hierzu ausführlich Königsdogma und Heilserwartung (Anm.4).

54) Ägyptische Nemesis-Gedanken, in: Miscellanea Gregoriana (1941), 371ff.

55) Biographische Inschriften der äg. Spätzeit, 22ff.

56) Der freie Wille Gottes in der ägyptischen Weisheit, in: SPOA (1963), 103-117.

57) Die Heraufkunft des transzendenten Gottes in Ägypten {SSAW 1964).

(12)

698 Assmann

Gottheit als das alleinige Subjekt der Vergeltung auftritt. Vor allem die Lehre des Amenemope ist von dieser neuen Vorstellung geprägt. Da Gott nun die Instanz der Vergeltung ist, kommt es in erster Linie auf den Einklang mit Gott an. Man muß sich Gott ganz und gar anheimstellen,

"sich in die Hand Gottes setzen", denn der Lohn und die Strafe, Erfolg und Mißerfolg, Landen und Scheitern stehen bei ihm. Darüber verblaßt naturgemäß das Prinzip Maat als eine sinnfundierende Kategorie des Han­

60) delns. Früher war es die soziale Solidarität, die das Tun des Guten sinnvoll erscheinen ließ, weil auf diese Weise Unsterblichkeit erlangt wird: als Aufbewahrtsein im sozialen Gedächtnis. Im Sinnhorizont der Persönlichen Frömmigkeit ­ so dürfen wir wohl die von Amenemope vertre­

tene Konzeption nennen und sie auf diese Weise mit dem Zeitgeist der 61)

Ramessidenzeit identifizieren ­ geschieht alles Handeln in unmittel­

barer Verantwortung vor Gott und bezieht seinen Sinn allein aus diesem religiösen Bezug. Nicht die Maat, sondern der freie Wille Gottes ent­

62)

scheidet über den Zusammenhang von Tun und Ergehen. Damit richtet sich der Blick von der Vergangenheit in die Zukunft. Das soziale Ge­

dächtnis ist als Stifter des Tun­Ergehen­Zusammenhangs naturgemäß rück­

wärts gewandt und behält das "Gestern" im Blick, der Wille Gottes dage­

gen richtet sich als Planung von Schicksal und Geschichte in die Zukunft:

63)

"das Morgen liegt in Gottes Hand". Im Zusammenhang dieses Wandels er­

hält auch die ägyptische Idee vom Totengericht eine völlig neue Bedeu­

tung und Strahlkraft und wird zum ausschließlichen Fundament jeder Un­

sterblichkeitshoffnung. War füher das Totengericht eigentlich nichts anderes als die spezifisch religiöse Ausformulierung des soziologisch fundierten Maat­Prinzips ­ die richtende Gottheit als Verkörperung des sozialen Gedächtnisses wie z.B. in der Lehre für Merikare, deren Autor die Linien seiner ansonsten ganz auf dem Prinzip der sozialen Vergeltung beruhenden Argumentation in der berühmten Totengerichtsperikope anschei­

58) Der pInsinger hypostaäiert diese Rolle der Gottheit sogar als Petbe "Vergeltung", s. dazu VOLTEN, aaO.

59) Vgl. bes. Kap.18 und seine Interpretation von I.GRUMACH, Untersuchungen zur Lebens­

lehre des Amenope, MÄS 23 (1972), 124­128.

60) Wobei dieser Begriff (j'rt nfr) zu ergänzen ist um die "Innenseite" der Wohltätig­

keit wie Güte, Freundlichkeit, guter Charakter usw. (gd nfr, qj nfr, bj3t nfrt, j3mt ­ vgl. Ptahhotep 487f mit sh3 statt mnw ­ und w3h­jb, Ens. Loyal.).

61) Vgl. hierzu Weisheit, Loyalismus und Frömmigkeit (Anm.23).

62) Einen Niedergang des Prinzips Maat sieht auch M0RENZ, Gott und Mensch im alten Ägypten (1965), 133ff in der Ramessidenzeit, wenn auch in etwas anderem Sinne.

HELCK, in: LÄ III, 1117f, bringt diesen Niedergang mit dem Scheitern der Amarna­

Religion zusammen, die den Begriff Maat diskreditiert hätte. Obwohl ich diesem Zu­

sammenhang nicht zustimmen möchte, trifft doch HELCKs Formulierung "der unberechen­

bare Wille Gottes tritt an die Stelle der lehr­ und lernbaren Maat" genau den Punkt, auf den es mir hier ankommt.

63) Vgl. dazu ASSMANN, Zeit und Ewigkeit im alten Ägypten (&H&W 1975), 65­67; GRUMACH, aaO, 124­128.

(13)

Vergeltung und Erinnerung 699 nend bruchlos in die Götterwelt auszieht ­ so wird jetzt das Toten­

gericht zum Übergang vom Diesseits in den radikal jenseitigen Bereich, in dem der Tote als "Ba", also in unvergänglicher Gestalt, Osiris und Re von Angesicht zu Angesicht schauen und in ihr Gefolge eintreten darf.

In der Ramessidenzeit bricht diese Anschauung so bestimmend durch, daß die Grabdekoration ganz auf die jenseitige Unsterblichkeitsthematik um­

gestellt und dadurch jeder Appell an das soziale Gedächtnis aufgegeben wird. In der Folgezeit wird mit dem Wiederaufblühen des biographischen Diskurses^', der ja ein Diskurs mit der Nachwelt ist, diese radikale Trennung von Unsterblichkeit und sozialer Einbindung teilweise wieder zurückgenommen. Mit dem Verblassen der Totengerichtsidee gewinnt sogar, wie OTTO gezeigt hat , die alte Vorstellung einer Fortdauer im sozia­

len Gedächtnis wieder stark an Boden. Die alten Sentenzen von der Denk­

malhaftigkeit der guten Tat und von der Fortdauer eines tugendhaften (d.h. auf Maat gegründeten, "solidarischen") Lebens im sozialen Ge­

dächtnis, kommen wieder zum Zuge. Dem griechischen Reisenden Hekataios von Abdera, der zur Zeit des Petosiris Ägypten bereiste und sich darüber wunderte, daß die Ägypter so große Aufwendungen auf die Errichtung steinerner Grabbauten und so geringe auf die Errichtung ihrer Wohnhäu­

ser verwendeten, antwortete man, diese seien ja nur für die kurze Zeit bestimmt, die man im Diesseits verbringt, gleichsam "Absteigequartiere"

(katalyseis), jene aber seien für die unendliche Zeit, die man "auf 67) Grund der Tugend im Gedächtnis bewahrt wird" und daher "ewige Häuser".

Die Anschauung der Lehre für Merikare über den Sinn der Grabanlage war also auch zu der Zeit noch (oder vielleicht: wieder) voll lebendig:

Mache dein Haus im Westen trefflich

und statte reichlich aus deinen Sitz in der Nekropole, als ein Rechtschaffener und als einer, der die Maat tut,

denn das (allein) ist es, worauf das Herz eines Mannes vertrauen v 68)

kann.

Dieselbe Konzeption einer ethischen Fundierung des Grabes kommt auch bei Petosiris zur Sprache, und zwar in einer expliziteren Form, die sowohl das soziale Gedächtnis als Medium der Bewahrung, als auch das Totengericht als Instanz der Prüfung im Blick hat:

64) Merikare P 53-57, s. dazu G.FECHT, Der Vorwurf an Gott in den Mahnworten des Ipu- wer, {AHAW 1972), 147, 222, 228£.

65) S. OTTO, Biogr. Inschriften der äg. Spätzeit.

66) AaO 57-65.

67) Bei DIODOR I 51 s. S.MORENZ, Prestige-Wirtschaft im Alten Ägypten, SBayrAW 169.4, 46f.

68) p 127-128, vgl. oben Aran.31.

(14)

7 0 0 A s s m a n n

Ich b a u t e d i e s e s G r a b (...)

u m d e n N a m e n m e i n e s V a t e r s und m e i n e s ä l t e r e n B r u d e r s zu ' s c h ä r f e n ' (dm)

d e n n e i n e n M a n n a m L e b e n e r h a l t e n b e s t e h t d a r i n , d a ß m a n s e i n e n N a m e n 'scharf h ä l t ' .

D e r W e s t e n i s t d i e H e i m s t a t t d e s s e n , d e r k e i n e n F e h l e r h a t . M a n l o b t G o t t w e g e n e i n e s M a n n e s , d e r i h n e r r e i c h t h a t . K e i n e r g e l a n g t z u i h m w e n n n i c h t s e i n H e r z

a u f r i c h t i g w a r i m T u n d e r M a a t .

E s w i r d d o r t n i c h t d e r G e r i n g e r e v o m H ö h e r e n u n t e r s c h i e d e n a u ß e r w e n n e i n e r f e h l e r l o s b e f u n d e n w i r d .

W a a g e und G e w i c h t s t e h e n v o r d e m H e r r n d e r E w i g k e i t , k e i n e r i s t d a v o n b e f r e i t , R e c h e n s c h a f t a b l e g e n zu m ü s s e n . T h o t h s i t z t a l s P a v i a n a u f i h r e m T r a g b a l k e n ,

u m j e d e r m a n n zu'^berechnen n a c h d e m , w a s e r a u f E r d e n g e t a n h a t . 69)

W o r a u f e s m i r b e i d i e s e m Ü b e r b l i c k a n k a m , i s t d e r s o z i a l e C h a r a k t e r d e s P r i n z i p s M a a t , a u c h und g e r a d e i n d e r u r s p r ü n g l i c h e n K o n z e p t i o n . O T T O , d e r a n h a n d d e r S p ä t z e i t b i o g r a p h i e n d e n W a n d e l so e i n d r u c k s v o l l h e r a u s g e a r b e i t e t h a t , h a t g e r a d e d i e s e n A s p e k t d e r ä l t e r e n F o r m d e s V e r g e l t u n g s p r i n z i p s m i ß v e r s t a n d e n , w e n n e r s c h r e i b t : "Zur g e n a u e n K e n n ­ z e i c h n u n g ... s c h e i n t es m i r w i c h t i g z u b e t o n e n , d a ß w i r e s n i c h t m i t d e r A u f f a s s u n g d e s 'do u t d e s ' z u t u n h a b e n . I n d e r ä l t e r e n Z e i t i s t d e r E r f o l g d i e l o g i s c h e n a t ü r l i c h e F o l g e d e r g u t e n Tat".''0^ D i e s e I n ­ t e r p r e t a t i o n d e s T u n ­ E r g e h e n ­ Z u s a m m e n h a n g s , d i e a n d i e u n g e f ä h r g l e i c h ­ z e i t i g e a l t t e s t a m e n t l i c h e D i s k u s s i o n d e s " V e r g e l t u n g s d o g m a s " e r i n n e r t u n d d e s s e n A b l e h n u n g d u r c h K L A U S K O C H z u g u n s t e n d e r e t w a s i r r a t i o n a l e n

71)

V o r s t e l l u n g e i n e r " s c h i c k s a l w i r k e n d e n T a t s p h ä r e " g e h t g a n z o f f e n ­ s i c h t l i c h z u w e i t i n R i c h t u n g e i n e r K a u s a l i t ä t s v o r s t e l l u n g . D a ß n a c h ä l t e r e r V o r s t e l l u n g n i c h t d e r G o t t d u r c h p e r s ö n l i c h e s E i n g r e i f e n i n S c h i c k s a l u n d G e s c h i c h t e d e n Z u s a m m e n h a n g v o n T u n u n d E r g e h e n h e r s t e l l t , h e i ß t k e i n e s w e g s , d a ß d i e s e r Z u s a m m e n h a n g d a n n a l s e i n e " s o z u s a g e n n a ­

72)

t u r g e s e t z l i c h e E r s c h e i n u n g " s i c h i n d e r F o r m e i n e r k a u s a l e n R e l a t i o n v o n U r s a c h e u n d W i r k u n g v o n s e l b s t h e r s t e l l t . D e r E r f o l g ist n i c h t d i e

" l o g i s c h e n a t ü r l i c h e F o l g e " d e r g u t e n T a t , s o n d e r n e i n e F u n k t i o n d e s k o l l e k t i v e n G e d ä c h t n i s s e s und d e r g e s e l l s c h a f t l i c h e n S o l i d a r i t ä t . D e r 69) Petosiris ed. G.LEFEBVRE, Le tombeau de Petosiris II, Les textes, 54 Nr.81; OTTO,

aaO 181; MORENZ, Ägyptische Religion, 141; ASSMANN, in: RdE 30 (1978), 46f.

70) AaO, 22f, vgl. dazu Weisheit ... (Anm.23), 13f.

71) K.KOCH, Gab es ein Vergeltungsdogma im Alten Testament ?, in: ZThK 52 (1955), 1-42;

kritisch dazu H.H.SCHMID, Gerechtigkeit als Weltordnung (1968), 175-77.

72) OTTO, aaO 22 unten.

(15)

V e r g e l t u n g und E r i n n e r u n g 701

Z u s a m m e n h a n g v o n T u n und E r g e h e n , d e r , um es n o c h e i n m a l zu b e t o n e n , a u c h d a s L e b e n n a c h d e m T o d e a l s B e z u g s r a h m e n a l l e r H a n d l u n g s f o l g e n e i n b e z i e h t , i s t k e i n A u t o m a t i s m u s , s o n d e r n v o l l z i e h t s i c h i n d e r F o r m g e s e l l s c h a f t l i c h e r I n t e r a k t i o n , n i c h t a u f d e r B a s i s v o n " N a t u r g e s e t z e n " , s o n d e r n v o n g e s e l l s c h a f t l i c h e n N o r m e n , d i e a l s gö t t l i c h e s G e b o t i n t e r ­ p r e t i e r t w e r d e n :

E i n e g u t e T a t (bj3) k o m m t z u r ü c k a n i h r e S t e l l e v o n g e s t e r n , d e n n es i s t b e f o h l e n : H a n d l e für d e n , d e r h a n d e l t ,

u m zu v e r a n l a s s e n , d a ß er t ä t i g b l e i b t :

73) d a s h e i ß t , i h m d a n k e n für d a s , w a s er g e t a n h a t .

N u r w e n n m a n d a s V e r g e l t u n g s p r i n z i p a l s e i n e s o z i a l e K a t e g o r i e in­

t e r p r e t i e r t ^ ' , w i r d v e r s t ä n d l i c h , w a r u m es s t ö r u n g s a n f ä l l i g i s t , w a r u m d i e s o z i a l e S o l i d a r i t ä t , a u f d e r es b e r u h t , g e g e n d i e G r a v i t a t i o n d e s Z e r f a l l s i m m e r w i e d e r h e r g e s t e l l t und a u f r e c h t e r h a l t e n w e r d e n m u ß . D a m i t " e i n e g u t e T a t a n i h r e S t e l l e v o n g e s t e r n z u r ü c k k o m m e n " k a n n , m u ß g e w ä h r l e i s t e t s e i n , d a ß " m a n s i c h d e s G e s t e r n e r i n n e r t " ! D a s , w a s d i e L e h r e für M e r i k a r e i n h ö c h s t e r A b s t r a k t i o n "die V e r z a h n u n g a l l e n H a n ­ d e l n s " n e n n t ^ ' , b e r u h t a u f e i n e r O r d n u n g , d i e n i c h t v o r g e g e b e n , s o n d e r n a u f g e g e b e n i s t . W e n n M a a t " W e l t o r d n u n g " h e i ß t , d a n n n i c h t im S i n n e d e s

76)

S e i n s , s o n d e r n d e s S o l l e n s . D a s P r i n z i p M a a t i n t e r p r e t i e r t d i e K o h ä ­ r e n z d e r W i r k l i c h k e i t im L i c h t d e r s o z i a l e n S o l i d a r i t ä t b z w . d e r V e r ­ g e l t u n g . A n d i e S t e l l e d e s g a n z u n d g a r a n a c h r o n i s t i s c h e n K o n z e p t s n a t u r g e s e t z l i c h e r K o h ä r e n z s e t z t s i e d i e V o r s t e l l u n g e i n e s h a r m o n i s c h e n Z u s a m m e n w i r k e n s , d a s g e g e n d i e G r a v i t a t i o n d e s Z e r f a l l s u n d d e r V e r ­ g ä n g l i c h k e i t E i n k l a n g und D a u e r e r z e u g t .

73) Bauer B 1, 109-110.

74) S. hierzu H.KELSEN, Vergeltung und Kausalität. Eine soziologische Untersuchung (1941, ersch. 1946) .

75) E.OTTO schreibt mit Bezug auf diese Stelle (P 123) in: WdO 3 (1964/66), 24: "Das ist, soweit ich sehe, der entschiedenste Schritt, den der Ägypter je aus dem magischen Geschehenszusammenhang und aus dem Dogma von der Geschichte als einer immer wiederkehrenden Verwirklichung des göttliches Willens heraus getan hat."

Ich würde den Ausnahmecharakter dieser Stelle anders beurteilen: als den ent­

schiedensten Schritt, den der Ägypter jemals aus der impliziten Anwendung von Grundsätzen (hier: des Vergeltungsprinzips) heraus zu ihrer Reflexion und abstrak­

ten Formulierung getan hat.

76) H.KELSEN, aaC 279­282.

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