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Archiv "Vier Jahre Weiterbildung: Eine kritische Zwischenbilanz" (27.09.1996)

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Academic year: 2022

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D

ie Novelle der (Muster-)Wei- terbildungsordnung aus dem Jahre 1992 ist besonders ge- kennzeichnet durch die Ein- führung zusätzlicher Möglichkeiten, eine spezialärztliche Qualifikation zu erwerben. Zu den klassischen Instru- menten wie Facharztbezeichnungen, Teilgebietsbezeichnungen und Zu- satzbezeichnungen sind nicht füh- rungsfähige Qualifikations-Zertifika- te wie die fakultativen Weiterbildun- gen in Fächern und Fachkunden hin- zugekommen. Die Zahl der Fachge- biete ist von bis dahin 29 auf 41 erwei- tert worden, wobei allerdings die Zahl der echten Neueinführungen wesent- lich geringer ist, da existierende Ge- biete aufgeteilt wurden, Zusatzbe- zeichnungen in Gebietsbezeichnun- gen umgewandelt oder Gebietsbe- zeichnungen aus der früheren DDR- Facharztordnung in die nunmehr gemeinsame Weiterbildungsordnung der alten und der neuen Länder über- nommen wurden.

Hierzu sei in Erinnerung geru- fen, daß die Ärztekammern der Bundesrepublik Deutschland auf- grund der Gesetzeslage verpflichtet sind, Arztbezeichnungen einzufüh- ren, wenn dies im Hinblick auf die wissenschaftliche Entwicklung und eine angemessene Versorgung der Bevölkerung erforderlich ist. Der 95.

Deutsche Ärztetag 1992 hat gründlich diskutiert, ob man dieser gesetzlichen Vorgabe sehr restriktiv oder voraus- schauend und damit ausdifferenzie- rend folgen soll. Er hat dabei auch die Konsequenzen für die „Anwender“

der Weiterbildungsordnung, also die zur Weiterbildung Befugten, die Wei- terbildungswilligen und die Admini- strationen der Ärztekammern, mitbe-

dacht. Nach nunmehr vier Jahren be- urteilen manche die Beschlüsse von 1992 als zu kompliziert, weil überre- guliert. Es handelt sich hier nicht um eine allgemeine Einschätzung aller an der Entwicklung der zweiundneunzi- ger Novelle Beteiligten, aber um durchaus gewichtige Stimmen aus dem Kreise der Weiterbildungswilli- gen und der Verwaltungen der Ärzte- kammern.

Folgende Faktoren dürften die gegenwärtige Lage kennzeichnen:

l Gesetzliche Restriktionen bei der Niederlassung – Im Mai 1992 hat niemand vorausgesehen, daß schon wenige Monate später nur noch Fachärzte in die vertragsärztliche Ver- sorgung aufgenommen werden dürf- ten und nach einer kurzen Übergangs- zeit eine Bedarfsplanung im ambulan- ten vertragsärztlichen Sektor gelten würde, die die Niederlassung in der vertragsärztlichen Praxis drastisch re- duzieren würde.

l Überhang an ausgebildeten Ärzten – Dadurch und durch die nur unwesentlich rückläufige Zahl von Studienabsolventen hat sich die Ar- beitsmarktsituation für den ärztlichen Nachwuchs seit 1993 erheblich ver- schlechtert.

l Fehlinterpretation der Inten- tionen der Weiterbildungs-Novelle – Der Sinn der Einführung von fakulta- tiven Weiterbildungen und Fachkun- den, nämlich die Weiterbildung zum Erwerb der eigentlichen Gebietsbe- zeichnungen von Hürden und Eng- pässen zu befreien und in gesonderte, nicht von jedem Weiterbildungswilli- gen zu absolvierende zusätzliche Wei- terbildungsgänge zu verlagern, wurde ins Gegenteil verkehrt. Es hat sich die Meinung verbreitet, jede gebietsasso-

ziierte fakultative Weiterbildung und Fachkunde gehöre zur „Komplettie- rung“ der Facharztweiterbildung.

l Mißbrauch der Weiterbildung als innerorganisatorisches Machtin- strument – Manche Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildung verstehen die Vorschriften der zweiundneunzi- ger Novelle als eine Verstärkung der Macht der zur Weiterbildung Befug- ten, also in der Regel der Leitenden Ärztinnen und Ärzte, welche diese in vielen Fällen in Herrschaftsmanier mißbrauchten.

l Wirkungen auf andere Rechtsbereiche – Durch die Bedeu- tung des ärztlichen Berufsrechts, auch für das Sozialrecht, spielt die Weiter- bildungsordnung eine immer größere Rolle bei Auslegungsfragen der Ver- gütungsordnungen für Ärzte, was die Gestaltung und die Administration nicht gerade erleichtert.

Als Ausweg wird unter anderem vorgeschlagen, die Weiterbildung zu deregulieren und ihre heutigen Funk- tionen in andere Regelungskreise zu verlagern oder auf diese oder jene gar zu verzichten. Wie sollten wir mit die- sen Forderungen umgehen?

Die frühere – erstmals 1924 ein- geführte – Facharztordnung und heu- tige Weiterbildungsordnung hat bis heute folgende Funktionen:

1. Eine Bildungsordnung 2. Eine Schilder-(= Werbe-)Ord- nung

3. Eine mittelbare Honorarver- teilungswirkung

4. Eine Beeinflussung der Struk- turen des ärztlichen Dienstes an den Weiterbildungsstätten, überwiegend also an den Krankenhäusern

5. Dadurch eine Beeinflussung des ärztlichen Arbeitsmarktes

6. Eine Dokumentation ärztli- cher Dienstleistungsangebote ge- genüber der Öffentlichkeit.

Die hieraus abzuleitende fakti- sche Funktion einer „Arbeitsteilungs- oder Berufsausübungsregelungsord- nung“ wird angesichts der Tatsache, daß zukünftig in unserem sozialen Si- cherungssystem nur noch Fachärztin- nen und Fachärzte tätig werden kön- nen, immer bedeutungsvoller.

Da der ordnungspolitische Rege- lungsbedarf unbestritten ist, kann die gegenwärtige Weiterbildungsordnung aufgrund ihrer Regelungsleistung we- A-2446 (26) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 39, 27. September 1996

P O L I T I K KOMMENTAR

Vier Jahre Weiterbildung

Eine kritische Zwischenbilanz

In Europa wird die Novelle der Weiterbildungsordnung des 95. Deutschen Ärztetages von 1992 als die fortschrittlichste und modernste angesehen und von einigen Ländern sogar als Vorbild genommen. In Deutschland ist das Urteil nach vier Jahren und nach Umsetzung in geltendes Recht in den meisten Landesärztekammern allerdings durchaus zwiespältig.

Jörg-Dietrich Hoppe

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der vollständig zurückgefahren noch ersatzlos aufgegeben werden, ohne daß andere sich dieser Aufgabe annähmen. Denn jede Substitution würde entweder überhaupt nicht mehr oder nicht mehr allein in der ärztlichen Selbstverwaltung gestaltet werden, sondern durch andere am politischen und rechtlichen Gesche- hen im Gesundheitswesen Beteilig- te vorgenommen. Daß mit dem Ge- sundheitsstrukturgesetz von 1993 erstmalig ärztliche berufliche Qualifi- zierungen in das

Sozialrecht einge- führt wurden, muß für die ärztliche Selbstverwaltung ein Alarmzeichen sein.

Wenn bei der Umsetzung und Anwendung der Weiterbildungs- ordnung heute Probleme entste- hen, müssen die Ordnung selber und die Rahmen- bedingungen un- tersucht werden, unter denen Wei- terbildung statt- findet beziehungs- weise admini- striert wird. In beiden Bereichen muß nach mögli-

chen Anpassungen gesucht werden, um für die Betroffenen die Situation zu erleichtern.

Die größten Probleme schafft das sich stetig vermindernde Arbeits- platzangebot in den Weiterbildungs- stätten als Folge des in Krankenhaus und Praxis vorzuhaltenden sogenann- ten Facharztstandards bei der Patien- tenbetreuung und der faktischen suk- zessiven Rückführung finanzieller Ressourcen vor allem im Personalbe- reich.

Traditionell ist ärztliche Weiter- bildung learning by doing, und zwar im Rahmen der Erbringung ärztlicher Leistungen auf einem planmäßigen Arbeitsplatz. 1977 haben wir auf dem 80. Deutschen Ärztetag in Saar- brücken darauf hingewiesen, daß sich ab der zweiten Jahreshälfte 1983 der Arbeitsmarkt für Ärzte wandeln

wird: von einem Überangebot an Ar- beitsplätzen zu einer Übernachfrage.

So ist es auch eingetroffen. Das hat zu mehr oder weniger vertretbaren Ar- beitsplatzteilungen und sogenannten Gastarzttätigkeiten geführt, mit oder ohne Drittmittelfinanzierungen. Die- se echten oder virtuellen Reserven sind nunmehr aufgebraucht, der Ar- beitsmarkt für weiterbildungswillige Ärztinnen und Ärzte ist weitgehend zusammengebrochen. Andererseits werden wir unverändert zur Versor- gung der Bevöl- kerung Ärztinnen und Ärzte für Allgemeinmedizin und in der spezi- alisierten Medizin brauchen, so daß Weiterbildung im Sinne der Siche- rung der Struktur- qualität ärztlicher Versorgung unver- mindert stattfin- den muß. Die For- derung nach ei- ner weitgehenden Auflösung der Strukturierungs- leistung der Wei- terbildungsord- nung ist identisch mit einer Vermin- derung der Struk- turqualität, so daß nur vorsichtige An- passungen in Frage kommen. Ange- sichts des raschen Fortschrittes der medizinischen Wissenschaft und im Hinblick auf die Versorgungsqualität der Bevölkerung sind weder abrupte Änderungen der bestehenden Weiter- bildungsordnung in Philosophie und Ausprägung noch eine ersatzlose Auf- gabe akzeptabel.

Sehr wohl zu diskutieren ist, ob die tradierte Form der arbeitsplatzbe- zogenen Weiterbildung unverändert beibehalten werden kann. Zu fragen ist, ob

1 Weiterbildungsressourcen nicht durch zusätzliche finanzielle Mittel erschlossen werden müssen, wenn nicht mehr nur die ärztliche Ap- probation, sondern der Erwerb einer Gebietsbezeichnung als Vorausset- zung für eine dauerhafte ärztliche Tätigkeit in unserem sozialen Siche-

rungssystem durchgesetzt worden und Rechtsprechung geworden ist, und

1 nicht-arbeitsplatzgebundene Weiterbildungsmaßnahmen als Sub- stitution herangezogen werden kön- nen, wie zum Beispiel Kursweiterbil- dungen, Angebote der modernen Telemedizin usw., und

1 unter Beachtung der Regeln der Europäischen Union die Qualifi- kationsnachweise für den Erwerb der Erlaubnis zur Führung einer Gebiets- bezeichnung modifiziert werden kön- nen, um Spielräume für zusätzliche Weiterbildungsmaßnahmen zu gewin- nen, also zu einer Flexibilisierung der Weiterbildung zu gelangen, und

1 die Erfolgsüberprüfungen bei der Anerkennung von Qualifikatio- nen zur Führung von Bezeichnungen von den Zeugnissen der Weiter- bildungsbefugten mehr in die Ab- schlußprüfung verlagert werden kön- nen, indem mündliche und gegebe- nenfalls auch praktische Elemente ausgebaut werden.

Unabhängig davon sind entspre- chend dem Auftrag der Heilberufsge- setze der Länder fortlaufende Über- prüfungen notwendig, ob die wissen- schaftliche Entwicklung der Medizin und die angemessene Versorgung der Bevölkerung die Einführung oder auch die Abschaffung von Bezeich- nungen erforderlich machen.

Die Weiterbildungsgremien der Bundesärztekammer sind sich der Probleme bewußt und bestrebt, eine sorgfältige und vorsichtige Fortent- wicklung der Weiterbildungsordnung zu erreichen, die alle angesprochenen Aspekte berücksichtigt. Sie werden aber auch Fehlentwicklungen und

„unbeabsichtigte Folgen“ im Blick halten.

Es führt jedoch kein Weg daran vorbei, daß gerade mit Hilfe der Wei- terbildungsordnung das Gelingen ei- ner erfolgreichen arbeitsteiligen Ko- operation von Ärztinnen und Ärzten bei der Versorgung der Bevölkerung durch die ärztliche Selbstverwaltung gestaltet und geregelt werden muß.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe Vizepräsident der

Bundesärztekammer Tersteegenstraße 31 40474 Düsseldorf A-2448

P O L I T I K KOMMENTAR

(28) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 39, 27. September 1996

„Sehr wohl zu diskutieren ist, ob die tradierte Form der arbeitsplatzbezogenen Weiterbildung unverändert beibehalten werden kann“, bilan- ziert Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, Vize- präsident der Bundesärztekammer. Foto: Eifrig

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