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Archiv "Psychosen bei Drogenabhängigen" (15.07.1991)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Psychosen

bei Drogenabhängigen

Bernhard Bron

n den letzten zwanzig Jahren zeigen vor allem junge Men- schen, die Drogen konsumie- ren, in zunehmendem Maße psychotische Symptome. Es lassen sich unterschiedliche Ent- wicklungen der Drogenabhängigkeit und vielfältige Erscheinungsformen psychotischer Zustandsbilder beob- achten, die zu besonderen Schwierig- keiten der Behandlung geführt ha- ben. Über die Häufigkeit drogenin- duzierter Psychosen gibt es bis heute keine genauen Daten. Das gilt so- wohl für die Epidemiologie drogen- induzierter paranoid-halluzinatori- scher Psychosen wie auch für speziel- le atypische Rauschverläufe wie Flash-back-Phänomene (5).

Drogeninduzierte Psychosen zeigen oft einen ungünstigen Ver- lauf. Vieles spricht dafür, daß für diese Patientengruppe, die sowohl drogenabhängig wie psychotisch er- krankt ist, eine Versorgungslücke besteht. Psychiatrische Kliniken ha- ben mit diesen Patienten wegen ih- rer Drogenprobleme Schwierigkei- ten, während sich therapeutische Einrichtungen für Drogenabhängige überfordert fühlen, wenn psychoti- sche Symptome auftreten.

Die Versorgungslücke zeigt sich im ambulanten und stationären Be- reich wie auch in der Nachsorge.

Hinzu kommt die oft mangelnde konstruktive Zusammenarbeit zwi- schen psychiatrischen Kliniken und Therapieeinrichtungen für Drogen- abhängige sowie niedergelassenen Ärzten und Drogenberatungsstellen.

Es besteht die Gefahr, diese Patientengruppe auszugrenzen. Es fehlt die Integration von psychotisch erkrankten Drogenpatienten in am- bulante psychiatrisch-psychosoziale

Drogenkonsumenten mit psycho- tischen Symptomen zeigen unter- schiedliche Grade der Abhängig- keit und vielfältige Erscheinungs- formen psychotischer Zustands- bilder. Neben Horror- oder Bad- trips, Flash-back-Phänomenen, Posthalluzinogenen neurotischen Syndromen und verworrenen Psy- chosen treten eigengesetzlich ab- laufende Psychosen mit vorwie- gend schizophrener Symptomatik auf. Es wird auf das mehrdimen- sionale Entstehungsmodell schi- zophrener und drogeninduzierter Psychosen und Schwierigkeiten ihrer psychopathologischen Un- terscheidung und Trennung ein- gegangen.

Behandlungskonzepte. Bei stationä- rer Therapie werden sie oft von an- deren Patienten und auch vom Per- sonal wenig akzeptiert. Die Frustra- tionstoleranz ist ihnen gegenüber ge- ring, so daß man sich oft schnell von ihnen distanziert und sie zurück- weist. Das hängt mit Schwierigkeiten des Kontaktes zu diesen Patienten und ihrer mangelnden Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Stations- ordnung einzufügen und in die ange- botenen therapeutischen Aktivitäten integrieren zu lassen, zusammen.

Therapeuten finden oft schwer Zugang zu jungen Menschen mit

Abteilung für Psychiatrie (Vorsteher: Prof.

Dr. med. Eckhard Rüther) der Georg- August-Universität Göttingen

drogeninduzierten psychotischen Zustandsbildern. Es werden hohe Ansprüche an Geduld und Durch- haltevermögen gestellt. In der Regel ist viel Zeit notwendig, damit die Pa- tienten ihr oft tiefes Mißtrauen ab- bauen und ihre vielfältigen Ängste und psychotischen Erlebnisse über- winden können.

1.

Psychotische

Zustandsbilder

auslösende Drogen

Neben Cannabis (Haschisch, Marihuana) und Halluzinogenen (LSD, Psilocybin, Meskalin, DOM) ist in den letzten Jahren auf der Dro- genszene auch Phencyclidin (PCP, peace pills, angel dust, Elephanten- Killer) anzutreffen. Es handelt sich um eine besonders gefährliche Sub- stanz, da sie psychotische Erlebnisse mit Verlust der Selbstkontrolle aus- lösen und im Zustand der Schmerz- unempfindlichkeit und Unverletz- lichkeit zu Selbstverstümmelungen und aggressiven Handlungen führen kann (3).

Auch Weckamine (Amphetami- ne) werden weiterhin eingenommen.

Ein deutlicher Anstieg läßt sich bei Kokain beobachten. Die Kokain-In- toxikation zeigt oft einen charakte- ristischen Verlauf. Auf ein eupho- risches Initialstadium folgt ein Rauschzustand mit ängstlich-gereiz- ter Stimmung, paranoiden Sympto- men und halluzinatorischen Phäno- menen optischer, akustischer und taktiler Art. Es schließt sich ein de- pressives Stadium an. Nicht selten kommt es zu deliranten Symptomen, Dämmer- und Erregungszuständen.

Das Inhalieren von Schnüffelstoffen, A-2480 (48) Dt. Ärztebl. 88, Heft 28/29, 15. Juli 1991

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also Dämpfen organischer Lösungs- und Verdünnungsmittel, führt zu Bewußtseinsstörung und deliranter Verwirrtheit. Illusionäre Verken- nungen, halluzinatorische Phänome- ne und Wahnerlebnisse können auf- treten.

Die Einnahme von Anticholin- ergica, atropinhaltigen Substanzen, zum Beispiel Nachtschattengewäch- sen, wird oft nicht ausreichend be- achtet. Es kann zu maniformen oder deliranten Unruhezuständen mit optisch-szenischen Halluzinationen und Wahnphänomenen kommen.

Zusätzlicher Alkohol- und Opioid- abusus sowie die Einnahme von Ben- zodiazepinen, Barbituraten, Analge- tika etc. spielt bei vielen Rauschdro- genkonsumenten eine wesentliche Rolle und ist wegen zusätzlicher Komplikationen immer zu beachten.

2. Erscheinungsbilder drogeninduzierter Psychosen

2.1 Im akuten Haschisch- und Halluzinogenrausch kommt es zur Veränderung des Bewußtseins, der Affekte und der Wahrnehmung.

Auch der Antrieb und die Psycho- motorik, das Denken, Zeit-, Raum- und Körpererleben, die intellektuel- len Funktionen und die Ich-Funktio- nen sind in der Regel verändert. Der Gedankengang ist nicht mehr zielge- richtet, sondern von gelockerten As- soziationen bestimmt, so daß inte- grative Zusammenhänge oft nicht mehr erkannt werden. Im Zustand der Selbstentgrenzung kann es zur Auflösung der raumzeitlichen Struk- turierung der Wahrnehmung und der Kategorien der Logik kommen.

Optische Halluzinationen und ein verändertes Bedeutungserleben kön- nen einen besonderen Stellenwert einnehmen.

2.2 Bei protrahierten Rauschzu- ständen (psychedelic afterglow) per- sistieren diese Symptome, die in der Regel nach wenigen Tagen folgenlos abklingen, wenn nicht ein erneuter Drogenabusus erfolgt.

2.3 Eine wichtige Bedeutung haben Horror- oder Badtrips. Sie entstehen bei zu hohen Dosierungen und werden häufig durch äußere

Störfaktoren (setting) und vor allem intrapsychische Konflikte (set) aus- gelöst. Es handelt sich um stark angstbesetzte Erlebnisse mit parano- iden und optisch-halluzinatorischen Phänomenen, deren Inhalte einem Gruselkabinett gleichen können. Die freie Verfügbarkeit über sich selbst geht verloren, und die Ich-Umwelt- grenzen lösen sich auf. An die Stelle anfänglich euphorischer Heiterkeit treten ausgeprägte depressive Ver- stimmungen mit Sterbens- und To- desängsten, Vernichtungsgefühlen und Suizidgedanken. Nicht selten gehen Omnipotenzphantasien und ekstatische Erlebnisse dem Absturz in die angstbesetzte psychotische Er- lebniswelt des Horror-Trips voraus.

Oft persistiert die Befürchtung, wie- der „auf den Horror" kommen zu können, „auszuklinken" und „auszu- flippen" (2, 3).

2.4 Flash-back-Phänomene oder Echo-Psychosen sind nach dro- genfreiem Intervall wieder auftre- tende psychotische Erlebnisse, die einmal durch Drogen unmittelbar ausgelöst worden sind (6). Ihre In- halte können angenehm oder aber als aktualisierte frühere Horror- Trip-Erlebnisse sehr angstbesetzt sein. Sie können durch unterschiedli- che Faktoren provoziert werden.

Meistens klingen sie spontan wieder ab. Persistierende Flash-back-Phä- nomene sind manchmal schwer ge- genüber schizophrenen Psychosen abzugrenzen.

2.5 Beim neurotischen Rausch- verlauf oder den posthalluzinogenen neurotischen Syndromen werden durch den regressionsfördernden Drogeneinfluß emotional bedeutsa- me Erlebnisse der Kindheit und neu- rotische Konflikte aktualisiert. Es läßt sich ein breites Spektrum von angstneurotischen und phobischen Syndromen, depressiven Verstim- mungen mit Suizidgefahr, Zwangs- symptomen, körperlich-hypochon- drischen Beschwerden und passager auftretenden psychosenahen oder psychotischen Erlebnissen beobach- ten. Der Realitätssinn und die Kri- tikfähigkeit sind erhalten. Immer be- steht jedoch die Gefahr der psycho- tischen Entgleisung, da die Schwelle für psychotische Reaktionen ernied- rigt ist (2).

2.6 Bei der verworrenen Psy- chose oder Verwirrtheitspsychose lassen sich manchmal mehrere Sta- dien beobachten. Anfänglich besteht ein Zustand ängstlicher Unruhe mit Abbrechen der Kontakte und Inad- äquanz des Verhaltens. Es kommt zu leichter Eintrübung des Bewußt- seins. Desorientierung, panische Ängste und Impulsivhandlungen tre- ten auf. Im Zustand einer traumhaf- ten Verworrenheit werden wahnhaf- te und halluzinatorische Ängste ma- nifest. Nach Abklingen dieses Zu- standes besteht eine teilweise Amne- sie. Meistens kommt es zur Spontan- heilung, jedoch besteht die Gefahr eines Rezidivs (7).

2.7 Von rezidivierenden oder chronifizierenden psychotischen Symptomen, die im Sinne einer exo- genen Psychose durch erneuten Dro- genabusus ausgelöst oder verstärkt werden, sind eigengesetzlich ablau- fende Psychosen abzugrenzen. Im Unterschied zu Intoxikationspsycho- sen oder atypischen Rauschverläu- fen handelt es sich um psychotische Zustandsbilder, die ohne erneuten Drogenabusus persistieren und das breite Spektrum psychotischer, vor- wiegend schizophrener Symptome zeigen.

2.8 Eine zunehmende Bedeu- tung haben chronische Persönlich- keitsveränderungen und Residual- syndrome bei Drogenkonsumenten gewonnen. Sie lassen sich sowohl bei chronischem Drogenabusus wie bei drogeninduzierten Psychosen beob- achten (2).

3. Zur Genese drogen- induzierter Psychosen

Bei der Entstehung drogenindu- zierter Psychosen fließen immer dis- positionelle Faktoren, Umweltein- flüsse und Drogeneffekte zusam- men. Erbgenetische und konstitutio- nelle Faktoren, biologische Verän- derungen und krisenhafte Entwick- lungen junger Menschen, situativ-re- aktive Belastungen, epochaltypische Einflüsse und die Wirkung der Dro- gen sind in gleicher Weise zu berück- sichtigen.

Vieles spricht dafür, daß schi- zophrene Psychosen durch Rausch- Dt. Ärztebl. 88, Heft 28/29, 15. Juli 1991 (51) A-2483

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drogen ausgelöst werden, doch es ist nach dem heutigen Kenntnisstand von einem mehrdimensionalen Ent- stehungsmodell der Schizophrenie auszugehen (5). Die Ätiologie und der Verlauf sind unterschiedlich. Es kann eine hereditäre Belastung be- stehen, ferner können zerebra- le Funktionsstörungen vorliegen.

Schließlich können psychosoziale Faktoren eine wichtige Rolle spie- len. Alle drei Faktoren können iso- liert oder zusammen zu einer schi- zophrenen Psychose prädisponieren, das heißt zu einer erhöhten Vulnera- bilität im Sinne einer Gefährdung der Ich-Strukturen führen. Halluzi- nogene beeinflussen biochemische Funktionen, insbesondere das sero- tonerge, dopaminerge und noradren- erge System (4).

Wir fanden bei einem Drittel unserer Patienten mit eigengesetz- lich ablaufenden Psychosen eine he- reditäre Belastung mit endogenen Psychosen (2). Bei den anderen Pa- tienten ließen sich keine eindeutigen Unterschiede der prämorbiden Per- sönlichkeitsentwicklung, der Häufig- keit und des Schweregrades von Be- lastungs- und Krisensituationen so- wie der Dauer und Intensität des Drogenabusus nachweisen. Bei ei- nem Teil kam es zu einer schweren Suchtentwicklung, bei den anderen Patienten zu einer eigengesetzlich ablaufenden Psychose.

4. Schwierigkeiten der Abgrenzung endogener schizophrener von drogeninduzierten Psychosen

Es ist zu unterscheiden zwischen Drogenpsychosen im Sinne von orga- nischen Psychosen und endogenen sowie drogeninduzierten schizophre- nen Psychosen. Die Psychopatholo- gie drogeninduzierter und endoge- ner schizophrener Psychosen zeigt eine auffallende Konvergenz und läßt sich auf der Ebene des Erlebens und des deskriptiven Erfassens der Symptome nicht eindeutig abgren- zen. Bei blinder Auswertung der psy- chopathologischen Befunde beider Gruppen ist eine Differenzierung nicht möglich (5).

Manchmal werden akute oder chronische Zustandsbilder schizo- phrener Psychosen durch Rausch- drogeneffekte modifiziert, oder es kommt zur drogeninduzierten Exa- zerbation remittierter schizophrener Psychosen. Zeichen der Verwirrtheit und Umdämmerung, Störungen der Orientierung, die Prävalenz opti- scher Halluzinationen und der häufi- ge und schnelle Wechsel des aktuel- len psychischen Zustandsbildes kön- nen auf die Drogeninduktion der Psychose hinweisen (6). Sie stellen jedoch kein sicheres Kriterium der Differenzierung dar. Es kann sich trotzdem um eine eigengesetzlich ab- laufende Psychose vom schizophre- nen Typ handeln. Entscheidend ist die weitere Verlaufsbeobachtung.

Bei schon bekannten schizo- phrenen Psychosen lassen sich dro- geninduzierte paranoid-halluzinato- rische Erlebnisse oft gut von der ge- nuinen schizophrenen Symptomato-

5. Zur Therapie

5.1 Bei drogenbedingten Intoxi- kationspsychosen oder atypischen Rauschverläufen, zum Beispiel Hor- ror-Trip-Erlebnissen und angstbe- setzten Flash-Back-Phänomenen, ist eine beruhigende Umgebung zu schaffen. Der Therapeut hat sich em- pathisch in die Erlebnisse des Patien- ten einzufühlen und ihn im Sinnen ei- nes „talk down" vorsichtig mit der Realität zu konfrontieren und zu ei- ner Distanzierung von den psycho- tischen Erlebnissen zu führen. Bei ausgeprägter Symptomatik sollten kurzzeitig Benzodiazepine oder Neu- roleptika verabreicht werden. Da in der Regel neurotische Konflikte ak- tualisiert worden und die drogenin- duzierten Rauschzustände und atypi- schen Rauschverläufe mit tiefgrei- fenden Unsicherheits- und Angstge- fühlen verbunden sind, ist immer eine psychotherapeutische Stützung not- wendig, manchmal mit begleitender Psychopharmakotherapie (zum Bei- spiel sedierenden Neuroleptika). Er- hält der Drogenpatient keine ausrei- chende Hilfe, besteht die Gefahr, daß er mit Hilfe anderer Drogen, zum Beispiel Opioiden, die quälenden

logie abgrenzen. Schwieriger ist die Differenzierung bei beginnenden schizophrenen Psychosen, die eine auffallende Ähnlichkeit mit toxisch bedingten psychotischen Phänome- nen erkennen lassen (2).

Oft zeigen eigengesetzlich ab- laufende Psychosen nach Drogen- abusus noch Reminiszenzen an frü- here drogeninduzierte Erlebnisse, zum Beispiel optische Halluzinatio- nen und paranoide Gedanken bei früheren Horror-Trips und Flash- back-Phänomen. Sie sind eingebettet in komplexe psychotische Zustands- bilder mit formalen und inhaltlichen Denkstörungen, Veränderungen der Wahrnehmung und des Affektes, der Psychomotorik und des Ich-Erle- bens. Die früheren drogeninduzier- ten Symptome erscheinen dann in modifizierter Gestalt in der eigenge- setzlich ablaufenden Psychose mit im Vordergrund stehender schizophre- ner Symptomatik.

angstbesetzten Erlebnisse zu über- winden versucht. Bei drohender schwerer Suchtentwicklung und Chronifizierung der Symptome ist im- mer eine weitere Beobachtung erfor- derlich. Die Suizidgefahr, der Schwe- regrad der Abhängigkeit und die Chronizität der psychotischen Sym- ptomatik bestimmen die Notwendig- keit einer stationären Aufnahme.

5.2 Bei drogeninduzierten, ei- gengesetzlich ablaufenden, insbeson- dere schizophrenen Psychosen ist ei- ne den üblichen Regeln der Behand- lung endogener Psychosen entspre- chende neuroleptische, seltener auch thymoleptische Behandlung durchzuführen (1). Sie ist immer durch psychotherapeutische, resozia- lisierende und rehabilitative Maß- nahmen zu ergänzen.

5.3 Der Drogenabusus junger Menschen ist immer Hinweis auf ei- ne Krise ihrer Entwicklung. Die dro- geninduzierte psychotische Sympto- matik wächst in der Regel aus sich summierenden Konflikt- und Krisen- situationen heraus. In den therapeu- tischen Gesprächen treten deshalb die vielfältigen Drogenerfahrungen bald hinter den Schwierigkeiten der Lebenssituation und den Motivatio- nen des Drogenabusus zurück. Hier A-2484 (52) Dt. Ärztebl. 88, Heft 28/29, 15. Juli 1991

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tauchen alle Themen und Bereiche krisenhafter Entwicklungen junger Menschen auf, Konflikte im Eltern- haus, in Schule, Beruf und Studium, Statusunsicherheit, die Suche nach tragfähigen Kontakten und sinn- erfüllten Lebensinhalten, Partner- schaftskonflikte und sexuelle Proble- me, Gefühle des Alleinseins und das Fehlen hilfreicher Orientierungen, die Suche nach personaler Indentität und Selbstverwirklichung.

Nur wer bereit ist, an den oft erschütternden Drogenerfahrungen junger Menschen teilzunehmen, sich mit dem Scheitern ihres oft verzwei- felten Bemühens, mit Hilfe der Dro- gen ihre Konflikte und Lebens- schwierigkeiten zu überwinden, aus- einanderzusetzen, und sie nach Ab- klingen der akuten psychotischen Symptomatik längere Zeit zu beglei- ten, ohne aufgrund der fast immer zu erwartenden Belastungen und Ent- täuschungen die Beziehung abzubre- chen, wird effektive therapeutische Hilfe leisten können.

5.4 Therapeuten, die Patienten mit drogeninduzierten psychotischen

Zustandsbildern behandeln, müssen eine klare Position zum Drogenge- brauch beziehen, Erfahrungen im Umgang mit Psychopharmaka haben, eine psychotherapeutische Betreu- ung einzeln und/oder in Gruppen an- bieten und rehabilitative Maßnah- men einleiten und begleiten können.

Die oft befürchtete Förderung der

„Schußgeilheit" von Drogenpatien- ten, die mit Depot-Neuroleptika be- handelt werden, bestätigt sich nicht.

In primär auf Drogenabhängige aus- gerichteten Therapieeinrichtungen sollte eine enge Zusammenarbeit mit psychiatrischen Krankenhäusern an- gestrebt werden, um Kriseninterven- tionen bei psychotischen Dekompen- sationen durchführen zu können. Bei der ambulanten Betreuung vor und nach stationären Behandlungen ha- ben niedergelassene Ärzte und Dro- genberatungsstellen eine wichtige Funktion.

Literatur

1. Benkert, 0.; Hippius, H.: Psychiatrische Pharmakotherapie. 4. Aufl. Springer, Berlin- Heidelberg—New York 1986

2. Bron, B.: Drogenabhängigkeit und Psychose.

Psychotische Zustandsbilder bei jugendlichen Drogenkonsumenten. Springer, Berlin—Hei- delberg—New York 1982

3. Bron, B.: Drogeninduzierte Intoxikationen und Psychosen. Fortschr. Med. 105 (1987) 73-76, 93-96, 111-112

4. Koella, W. P.: Semiologie und neurophysiolo- gische Grundlagen drogenbedingter Halluzi- nationen. In: Karbowski, K. (Hrsg.): Halluzi- nationen bei Epilepsie und ihre Differential- diagnose. Huber, Bern (1982), S. 115-140 5. Scharfetter, C.: Paranoid-halluzinatorische

Zustandsbilder bei drogeninduzierten Psy- chosen. In: Olbrich, H. M. (Hrsg.): Halluzi- nation und Wahn. Springer, Berlin—Heidel- berg—New York 1987, S. 42-51

6. Täschner, K.-L.: Rausch und Psychose. Psy- chopathologische Untersuchungen an Dro- genkonsumenten. Kohlhammer, Stuttgart 1980

7. Waldmann, H.; Hasse, H. E.: Verlaufsform der Nachhall-Psychosen (Flashback) und ihre Bedeutung für die Therapie. In: vom Scheidt, J. (Hrsg.): Die Behandlung Drogenabhängi- ger. Nymphenburger, München 1974, S.

161-211

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Dr. theol.

Bernhard Bron

Psychiatrische Klinik der Universität Göttingen Von-Siebold-Straße 5 W-3400 Göttingen

Verordnungspraxis

an einer allgemeininternistischen Universitäts-Poliklinik

Von März bis Juli 1986 wurden alle an der Medizinischen Universi- täts-Poliklinik Basel ausgestellten Rezepte ausgewertet; die aktuellen Verordnungen wurden mit der Me- dikamentenwerbung in drei Schwei- zer Zeitschriften verglichen. 6300 Patienten erhielten gesamthaft 2112 Rezepte mit 3346 Verordnungen (0,3 Rezepte oder 0,5 Verordnungen pro Patient). In 13,5 Prozent waren gastrointestinal wirksame Medika- mente rezeptiert worden. 471 Ver- ordnungen der gastrointestinal wirk- samen Medikamente verteilten sich auf 288 Patienten: 160 Patienten lit- ten an einem Colon irritable, 23 hat- ten entzündliche Magen-Darm-Er- krankungen, 40 eine Ulkus-Krank-

heit, 18 eine Reflux-Krankheit, 18 anale Affektionen, 11 litten an ande- ren gastrointestinalen Erkrankungen und 15 hatten keine Diagnose.

In 27,5 Prozent handelte es sich um Quellmittel, in 26 Prozent um Antazida, in 15,7 Prozent um spezifi- sche Ulkustherapeutika, in 13,5 Pro- zent um Anticholinergika, in 4,9 Pro- zent um Abführmittel, in 3,4 Prozent um Antidiarrhoika und in neun Pro- zent um andere Pharmaka. Gegen- über 1980 stiegen die Verordnungen pro Konsultation von 0,8 auf 1,5 an.

Ein Einfluß der Medikamentenwer- bung auf die Verordnungsgewohn- heiten konnte nicht festgestellt wer- den. Unter Berücksichtigung der in den Krankengeschichten dokumen-

FÜR SIE REFERIERT

tierten Diagnosen war die eingeleite- te Therapie in 95,5 Prozent der Fälle als korrekt zu betrachten. Die Analy- se zeigt somit, daß die Werbung zwar einen Einfluß auf die Verordnungs- gewohnheiten haben kann, aber kaum den entscheidenden.

Conen, D., S. Humbel: Die Evaluation der Verordnungspraxis in einem allgemeinin- ternistischen Ambulatorium unter beson- derer Berücksichtigung gastrointestinal wirksamer Medikamente. Schweiz. Med.

Wochenschrift 120: 1945-1949, 1990 Medizinische Universitäts-Poliklinik, De- partement Innere Medizin, Kantonsspital Basel

Dt. Ärztebl. 88, Heft 28/29, 15. Juli 1991 (55) A-2487

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