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Archiv "Der Pflegefall auf der langen Bank" (13.03.1992)

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AKTUELLE POLITIK

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

D

ie Verhandlungen der Ko- alitionsparteien über die Absicherung des Pflege- fallrisikos ziehen sich hin.

Die von den Parteivorsitzenden von CDU, CSU und FDP eingesetzte Ar- beitsgruppe wird bis Anfang April noch keine Kompromißlösung vorle- gen können. Das war von Anfang an zu erwarten. Die Koalition wird sich nicht ausgerechnet vor den Land- tagswahlen in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein am 5. April einen offenen Schlagabtausch über diese umstrittene Frage leisten kön- nen und wollen. Bundeskanzler Kohl hat dekretiert, vorerst alle brisanten Themen zunächst einmal zurückzu- stellen. Damit aber schwinden die Chancen, bis zur Jahresmitte einen Gesetzentwurf zu präsentieren.

Auch wenn aus den Beratungen der Arbeitsgruppe, in die von den Parteien namhafte Politiker entsandt worden sind, wenig bekannt wird, so gibt es doch Annäherungen in zwei wichtigen Punkten:

• Die Entscheidung über die Verbesserung der Pflegeleistungen kann nicht in die nächste Legislatur- periode verschoben werden.

• Die Unternehmen dürfen möglichst nicht zusätzlich über die Lohnnebenkosten belastet werden.

Eine Vertagung kommt sowohl aus politischen als auch aus sachli- chen Gründen kaum in Frage. Die Koalition hat sich darauf festgelegt, bis Juni einen Gesetzentwurf vorzu- legen. Der Bundeskanzler hat dies mehrfach bekräftigt, dabei aber den Zeithorizont ein wenig verlängert.

Die Entscheidung werde noch in die- sem Jahr getroffen.

Fortbestehende Gegensätze

Es ist aus heutiger Sicht allen- falls damit zu rechnen, daß die Ko- alition bis zur Sommerpause die Eckpunkte eines Konzepts vorlegen wird. Die SPD spricht daher schon von der „Pflegelüge". Doch auf weni- ge Monate kommt es bei einer Wei- chenstellung von so grundsätzlicher Bedeutung sicherlich nicht an.

Mit der Entscheidung wird die Arbeitsgruppe angesichts der fortbe-

stehenden grundsätzlichen Gegen- sätze zwischen FDP, dem Wirt- schaftsflügel sowie dem Mittelstand der Union auf der einen Seite und der Mehrheit von CDU/CSU auf der anderen Seite politisch überfordert.

Spätestens nach der parlamentari- schen Osterpause müssen die Partei- vorsitzenden eine Zwischenbilanz ziehen. Umstritten ist zwischen den Parteien jedoch nicht, daß die Pfle- geleistungen möglichst bald verbes- sert werden müssen. Die Pflegebe- dürftigen und deren Familien brau- chen Klarheit und vor allem Hilfe.

Ein Vertagen der Entscheidung hiel- te die Koalition politisch nicht durch.

Die zentrale Frage ist damit, ob sich

ein Kompromiß zwischen einer pri- vatwirtschaftlichen Versicherungslö- sung und einer Sozialversicherungs- lösung finden läßt. Noch ist dieser nicht in Sicht.

Die Finanzierung der Pflegelei- stungen wird immer enger mit der Diskussion über die Sicherung Deutschlands als industriellem Pro- duktions- und Investitionsstandort verbunden. Tatsächlich wäre es wi- dersprüchlich, die Unternehmen zwar steuerlich zu entlasten, ihnen aber neue lohnbezogene Abgaben aufzubürden. Angesichts steigender Steuern ist aber auch der Spielraum für zusätzliche Belastungen der Ar- beitnehmer geringer geworden. Die Politik ist in der Gefahr, durch neue Sozialabgaben die konjunkturellen Risiken noch weiter zu vergrößern.

Seit einigen Monaten stagniert die wirtschaftliche Entwicklung. Sollte die Wirtschaft nicht in absehbarer Zeit auf einen Wachstumspfad zu- rückfinden, so wären alle Pläne zur Ausweitung von Sozialleistungen zu den Akten zu legen. Auch bessere

Pflegeleistungen wären dann nicht mehr zu finanzieren. Die Politik ist also in ein Dilemma geraten.

Das modifizierte Arbeitgeber-Modell

Sowohl die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) als auch der Deutsche Gewerkschafts- bund (DGB) haben versucht, auf den Fortgang der Beratungen in der Koalition Einfluß zu nehmen. Die Arbeitgeber haben ihr bisheriges

„Zwei-Komponenten-Modell" modi- fiziert und präzisiert. Danach sollen nunmehr alle Personen, die 25 bis 60

Jahre alt und noch keine Pflegefälle sind, verpflichtet werden, eine priva- te Pflegeversicherung abzuschließen.

Die monatlichen Prämien dafür lä- gen zwischen 22 und 87,20 Mark.

Durch eine Umverteilung zugunsten der älteren Versicherten ließe sich diese Prämienspanne auf 30 bis 60 Mark verringern. Das Prämienauf- kommen wird auf 23,4 Milliarden Mark geschätzt.

Die Arbeitgeber wollen aber auch alle noch nicht pflegebedürfti- gen Personen, die älter als 60 Jahre sind, in die Beitragspflicht einbezie- hen; der Beitrag soll der Versiche- rungsprämie für 60jährige entspre- chen. Diese Beitragseinnahmen, die mit fast 15 Milliarden Mark beziffert werden, sollen an einen Fonds ent- richtet werden, der die Leistungen an die bereits Pflegebedürftigen fi- nanziert. Die pflegenahen Jahrgänge und die akuten Pflegefälle werden also in eine Umlagenfinanzierung einbezogen; für die jüngeren Bürger gilt das Kapitaldeckungsverfahren.

Den Fehlbetrag des Fonds wollen

Der Pflegefall

auf der langen Bank

Der politische Kompromiß wird durch

konjunkturelle Risiken und finanzielle Engpässe weiter erschwert

Dt. Ärztebl. 89, Heft 11, 13. März 1992 (21) A1-881

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die Arbeitgeber decken. Die BDA erwartet auch Beiträge der Kranken- kassen und der Sozialhilfe, die durch die Pflegeversicherung entlastet wür- den. Dem Bund käme wohl die Auf- gabe zu, bedürftigen Personen mit Zuschüssen zu helfen.

Der schwache Punkt im Arbeit- geber-Konzept bleibt vor allem die Fondslösung. Diese ist kaum zu ver- wirklichen. Dagegen tragen die Ar- beitgeber mit ihrem Vorschlag, die Leistungen nur schrittweise einzu- führen und auf allenfalls 1500 Mark im Monat zu begrenzen, den ökono- mischen Bedenken gegen ein neues soziales Leistungs-Paket von annä- hernd 30 Milliarden Mark Rech- nung. Durch den Vorschlag, die pfle- genahen Jahrgänge in die Umlagen- finanzierung einzubeziehen, wird ei- ne relativ lange Übergangszeit vorge- geben, was als Kompromißangebot an die Befürworter des Blüm-Mo- dells zu werten ist.

Das Krankenkassen- Modell des DGB

Die stellvertretende DGB-Vor- sitzende, Ursula Engelen-Kefer, stellte dagegen ein reines Kranken- kassen-Modell für die Finanzierung der Pflegeleistungen vor. Der DGB distanziert sich damit auch von Blüm und der SPD, die zwar die gesetzli- che Krankenversicherung mit der Abwicklung der Pflegeversicherung beauftragen wollen, doch auf einer getrennten Abrechnung und Finan- zierung dieser beiden Sozialbereiche bestehen. Der Vorteil der DGB-Lö- sung läge wohl vor allem darin, daß es keinen Anreiz gäbe, Leistungen und Beitragsmittel zwischen Kran- kenkassen und Pflegeversicherung hin- und herzuschieben. Von 1993 an sollen zunächst die Leistungen in der ambulanten Pflege und von 1994 an auch in der stationären Pflege ver- bessert werden. Der DGB nähert sich also der Vorstellung einer schrittweisen Verbesserung der Lei- stungen; die genannten Termine sind jedoch nicht einzuhalten.

Völlig unrealistisch ist das Fi- nanzierungskonzept. Danach sollen nämlich nicht nur die aktuellen Aus- gaben-Überhänge, sondern auch die

Mehrbelastungen aus den verbesser- ten Pflegeleistungen durch eine radi- kale Kostendämpfungspolitik aus- geglichen werden. Das beträfe also ein Volumen von annähernd 35 Mil- liarden Mark. Ein Teil davon soll auch durch die Erhöhung der Bei- tragsbemessungs- und Pflichtgren- zen in der gesetzlichen Krankenver- sicherung aufgebracht werden. Diese sollen den entsprechenden Grenzen in der Renten- und der Arbeitslosen- versicherung angeglichen werden.

Im Ergebnis läuft dies auf eine Ausweitung der Einkommensumver- teilung über die Krankenversiche- rung hinaus.

Der DGB, der das "Gesund- heits-Reformgesetz" bekämpft hat, setzt sich nun dafür ein, dessen In- strumente voll einzusetzen. Frau En- gelen-Kefer nannte folgende Stich- worte: Festbeträge Stufen zwei und drei, Transparenz, Richtgrößen, er- weiterte Wirtschaftlichkeitsprüfung, Negativlisten. Das ergänzte FrauEn- gelen-Kefer durch eine "mittelfristi- ge Strategie" nach folgenden Grund- sätzen: Steuerung der Arztzahlen, Überprüfung der Freiberuflichkeit der Arzte, Zulassung von angestell- ten Ärzten in Gruppen- und Einzel- praxen, Aufhebung des kollektiven Kontrahierungszwanges in der ge- setzlichen Krankenversicherung, Zu- lassung von Verträgen mit einzelnen Ärzten und Zahnärzten, Verzicht auf das Verbot von Eigeneinrichtun- gen der Krankenkassen. Die Kassen sollen mit der Pharma-Industrie die Arzneimittelpreise aushandeln; für die Kassenärzte wird eine verbindli- che Positivliste vorgegeben.

Im Verhalten gegenüber den Leistungsanbietern, so Frau Enge- len-Kefer, sollten endlich die "Samt- handschuhe" abgestreift werden.

Selbst Sozialpolitiker der SPD haben dieses Programm als illusorisch be- zeichnet. Doch in der Koalition gibt es noch immer Anhänger der Vor- stellung, die Mehrbelastungen aus der Verbesserung der Pflegeleistun- gen ließen sich durch Kostendämp- fungspolitik in vertretbaren Grenzen halten. Die jüngsten Daten über den Ausgabenanstieg bei den Kranken- kassen von rund zehn Prozent im letzten Jahr weisen dies als Wunsch-

denken aus. wst

A,-882 (22) Dt. Ärztebl. 89, Heft 11, 13. März 1992

Werbekampagne für Arzthelfelinnen

Den offiziellen Startschuß zur Werbekampagne für den Fachberuf Arzthelferin · haben Bundesärzte- kammer und Kassenärztliche Bun- desvereinigung in der vergangeneo Woche im Rahmen einer Pressekon- ferenz in Bonn gegeben. In diesen Tagen werden an die Landesärzte- kammern und Kassenärztlichen Ver- einigungen Faltblätter und Broschü- ren verschickt, mit deren Hilfe das Interesse an einer entsprechenden Ausbildung oder auch einer Rück- kehr in den Beruf gesteigert werden soll. Die Faltblätter sollen beispiels- weise in Schulen und Arztpraxen ausgelegt werden - als "Appetizer". So erläuterte scherzhaft Dr. med.

Karsten Vilmar, Präsident der Bun- desärztekammer, ihre Funktion. Vil- mar stellte die Aktion vor der Presse im Detail vor. In den Faltblättern wird auf die ausführlichere Broschü- re hingewiesen, die über Kammern und KVen zu bekommen ist.

Die Werbekampagne geht zu- rück auf einen Beschluß des 94.

Deutschen Ärztetages 1991 in Harn- burg. Dort wurden die Ärztekam- mern aufgefordert, Initiativen gegen den drohenden Arzthelferinnen- mangel zu entwickeln. Dr. med. Kar- sten Vilmar wies in Bonn darauf hin, daß sich die Zahl der abgeschlosse- nen Ausbildungsverträge bei Arzt- helferinnen zwar von 1990 auf 1991 erhöht habe. Dennoch könne man tatsächlich von "einer gewissen Man- gelsituation" sprechen:

..,.. .Pie Anzahl der niedergelas- senen Arzte steigt - und damit der Bedarf an Arzthelferinnen. Zum 30.

Juni 1991 waren rund 77 000 nieder- gelassene Ärzte gemeldet. Im Schnitt sind in einer'Praxis zwischen 3,5 und 4,5 Mitarbeiterinnen beschäftigt, meist Arzthelferinnen. Folglich ar- beiten in der alten Bundesrepublik Deutschland rund 300 000 von ihnen in ihrem Beruf. Nach Schätzungen des Berufsverbandes der Arzt-, Zahnarzt- und Tierarzthelferinnen fehlt aber im Schnitt eine Teilzeit- kraft pro Praxis.

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