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Archiv "Immuntherapie des Nierenzellkarzinoms" (20.10.2000)

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as Nierenzellkarzinom ist mit ei- nem Anteil von ein bis zwei Pro- zent an den soliden Tumoren ein seltenes Malignom. In absoluten Zah- len ausgedrückt bedeutet das aller- dings, dass in der Bundesrepublik Deutschland mit 11 000 Neuerkran- kungen pro Jahr zu rechnen ist. Gesi- cherte Risikofaktoren sind die chro- nische Niereninsuffizienz, die tube- röse Sklerose, eine positive Familien- anamnese und vor allem die hereditäre Form des Nierenzellkarzinoms beim von-Hippel-Lindau-Syndrom. In der Regel liegt aber die normale, sporadi- sche Variante des Tumors als Adeno- karzinom vor, ausgehend vom Tubulus- epithel.

Etwa vier Fünftel der Tumoren las- sen sich zytomorphologisch als klarzel- lige Karzinome klassifizieren. Diese entsprechen zytogenetisch wahrschein- lich den nichtpapillären Tumoren mit einem obligaten 3p-Verlust und häufi- gen Trisomien.

Therapieprinzipien bei lokoregionärem Tumorbefall

Die Therapie des Nierenzellkarzinoms ist in erster Linie chirurgisch und be- steht bei den nichtmetastasierten Fällen in der radikalen Tumornephrektomie mit Entfernung des Nierentumorpa- kets, der Fettkapsel, der Fascia Gerota und einer regionalen Lymphadenek- tomie.

Die früher obligate Adrenalektomie kann zumindest bei kleineren bezie- hungsweise oberpolfernen Tumoren wahrscheinlich unterbleiben. Kleine Tumoren, bis zu einem Durchmesser von 4 cm, können möglicherweise un- ter elektiver Indikation (gesunde kon- tralaterale Niere) auch mit gleichem onkologischen Erfolg organerhaltend operiert werden. Wenngleich die The- rapie des kleinen, auf die Niere be- grenzten Tumors unproblematisch er- scheint, so ergeben sich doch große

Probleme im Management des lokal fortgeschrittenen, lymphknotenpositi- ven beziehungsweise fernmetastasier- ten Karzinoms.

Prognose

Die Prognose des lokoregionären Nie- renzellkarzinoms korreliert eng mit der Größe des Tumors beziehungsweise der Tumorkategorie und dem Tumorstadi- um nach dem TNM-System. Bei syste- mischer Ausbreitung ist die Prognose jedoch ausgesprochen schlecht. Patien- ten mit positiven Lymphknoten haben ein sehr hohes Potenzial zur Fernmeta- stasierung (Tabelle). Liegt diese vor (Metastasierung bevorzugt in Lunge, Knochen, seltener in Leber und Ge- hirn), so besteht kaum eine Über- lebenschance für den Patienten. Relativ günstig für die Prognose erscheint eine metachrone (späte) Metastasierung (ab etwa 12 bis 24 Monate nach Entfernung des Primärtumors). Ungünstig hinge- gen ist die synchrone Metastasierung.

Die Hälfte dieser Patienten verstirbt nach etwa einem Jahr aufgrund der Me- tastasierung. Prognostisch relevant ist die Metastasenlokalisation. Lungenme- tastasen bedingen einen besseren Ver- lauf als Knochenmetastasen, Hirnmeta- stasen sind nicht unbedingt ein signum malum und Patienten mit Lebermeta- stasen haben eine extrem schlechte Überlebenswahrscheinlichkeit. Sind Metastasen in mehr als einem Organsy- stem lokalisiert, verschlechtert sich die Prognose drastisch. In den letzten Jah- ren ist eine Vielzahl von neuen Progno- separametern untersucht worden, bis- her hat keiner in prospektiven, metho- disch einwandfreien Studien seinen Wert beweisen können. Prinzipiell hängt die Prognose von der Ausbrei- tung der Erkrankung ab: Patienten mit Lymphknotenbefall bilden eine Hoch- risikogruppe für die Fernmetastasie- rung; die Fernmetastasierung stellt den limitierenden Prognosefaktor dar. ✁ M E D I Z I N

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 42½½½½20. Oktober 2000 AA2781

Immuntherapie des Nierenzellkarzinoms

Claus G. Fischer1 Ralph Oberneder2 Jens Altwein3 Manfred Wirth4 Kurt Miller5

Zusammenfassung

Zur Immuntherapie des metastasierten Nie- renzellkarzinoms mit Interleukin-2 und Inter- feron-aaaa-2a liegen viele widersprüchliche Er- gebnisse vor. Ursache ist die uneinheitliche Studienlandschaft mit einem bisher beste- henden Defizit an korrekt konzipierten Proto- kollen. Dies trifft auch für die Vakzinierung des lokal fortgeschrittenen Tumors zu. Dar- aus ergibt sich die Notwendigkeit einer kon- zertierten multizentrischen Studienstrategie unter Einschluss aller Fälle mit fortgeschritte- nem Nierenzellkarzinom.

Schlüsselwörter: Nierenzellkarzinom, Vakzi- nierung, Immuntherapie

Summary

Immunotherapy of Renal Cell Carcinoma Immunotherapy with interleukin-2 and inter- feron-aaaa-2a has provided a new way in the therapy of advanced renal cell carcinoma.

Therapeutic efficiency is documented in some studies but most trials are uncontrolled and subject to selection bias. This also applies to tumor vaccination for patients with locally advanced stage. It is thus important to in- clude all patients with advanced renal cell carcinoma in prospective controlled clinical studies.

Key words: carcinoma, renal cell, vaccination, immunotherapy

1Urologische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med. Wolfgang Weidner), Justus-Liebig Universität, Gießen

2Urologische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med. Alfons Hof- stetter), Klinikum Großhadern der Ludwig-Maximillians- Universität, München

3 Urologische Klinik (Chefarzt: Prof. Dr. med. Jens Alt- wein), Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, München

4Urologische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med. Manfred Wirth), Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden

5Urologische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med. Kurt Miller), Universitätsklinikum Benjamin Franklin, Berlin

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Therapieoptionen bei systemischem Tumorbefall

Die Radiotherapie hat beim metastasier- ten Nierenzellkarzinom eine palliative Funktion. Der Stellenwert chirurgischer Maßnahmen (Metastasektomie) ist bis- her nicht ausreichend geklärt. Mögli- cherweise ist die Chirurgie von Lungen- metastasen den systemischen Behand- lungskonzepten zumindest ebenbürtig.

Die reine Chemotherapie (Vinblastin, 5- Fluorouracil [5-FU]) erreicht nur margi- nale Ansprechraten und ist als wirkungs- los aufgegeben worden. Prinzipiell erge- ben sich zwei Indikationen für eine wei- tergehende, nicht chirurgische Therapie:

die adjuvante Situation, vor allem bei po- sitivem Lymphknotenbefall und die pal- liative Situation bei Fernmetastasierung.

Immunkompetenz des Nierenzellkarzinoms

Experimentelle Untersuchungen, aber auch die Beobachtung der Spontanre- gression von Lungenmetastasen bei un- ter einem Prozent der Fälle (37) spre- chen für die Immunkompetenz dieses Tumors. Die Induzierbarkeit von ob- jektiven Remissionen durch Inter- leukin-2 (IL-2) oder Interferon (IFN) beziehungsweise durch tumorinfiltrie- rende Lymphozyten scheint diese An- nahme zu bestätigen. Inzwischen sind verschiedene Genprodukte (zum Bei- spiel MAGE, BAGE, GAGE, RAGE, gp75) charakterisiert, die als Antigene auf Melanomen, aber auch teilweise auf Nierenzellkarzinomen tumorspezifisch exprimiert und durch zytotoxische T- Lymphozyten erkannt werden können.

Die Zytotoxizität dieser T-Lympho- zyten konnte für das Nierenzellkarzinom in vitro bestätigt werden (30). Bei diesen spezifischen T-Lymphozyten handelt es sich meistens um CD8+-zytotoxische T- Lymphozyten mit MHC-Klasse-I-re- stringierter Tumorzellerkennung; MHC- Klasse-II-erkennende CD4+-T-Lympho- zyten scheinen jedoch ebenfalls eine Rol- le zu spielen (14, 24, 25, 26). Durch adop- tiven Transfer von zytotoxischen T-Lym- phozyten lassen sich Remissionen mani- fester Tumoren erreichen (5, 10). Der größere Teil der Tumoren kann sich je- doch der Erkennung durch T-Lympho-

zyten entziehen, zum Beispiel durch Downregulation von MHC- oder Adhä- sionsmolekülen. Eine effektive Immun- antwort kann auch durch immunsup- pressive Zytokine wie IL-10 oder TGF-ß und durch die Expression Apoptose-in- duzierender Liganden wie FAS verhin- dert werden (9, 28, 31, 34, 36).

Vakzinierung

Mittels Vakzinierung soll eine Immu- nität gegen Tumorzellen induziert wer- den. Für das Nierenzellkarzinom sind verschiedene Vakzinierungsstrategien beschrieben. Prinzipiell muss zwischen autologen beziehungsweise allogenen und tumorzellfreien Vakzinen unter- schieden werden.

Bei der autologen Vakzine wird Tu- mormaterial des Patienten zu einer tu- morantigenhaltigen Vakzine verarbei- tet, die dem Patienten subkutan reinji- ziert wird. Verwendet werden inakti- vierte autologe Tumorzellen oder Zell- fraktionen, die unspezifisch zum Bei- spiel mit Zytokinen, BCG oder New- castle Disease Virus moduliert werden.

Bei der allogenen Vakzine werden Tumorzellen mit Antigenen verwen- det, die auf Tumoren anderer Patienten nachgewiesen wurden. Bei diesem An- satz kommt allerdings nur ein bestimm- ter Anteil HLA-identischer Patienten für die Therapie in Betracht (Hybrid- vakzine).

Zukünftig könnte auch der Einsatz tumorspezifischer oder tumorassoziier- ter Peptide in einer zellfreien Vakzine Bedeutung erlangen, wenn es gelingt, solche Peptide ähnlich wie beim mali- gnen Melanom zu charakterisieren (mo- lekulare Vakzine).

Bei der Vakzinierung des metastasier- ten Nierenzellkarzinoms konnten in älte-

ren Studien (19, 23, 29, 35) Ansprechra- ten erzielt werden, die eben in der Größenordnung der Spontanremission (ein bis zwei Prozent) lagen. In diesen nicht kontrollierten Untersuchungen konnte kein Überlebensvorteil demon- striert werden. Ob neue Formen der Vakzinierung (17) an metastasierten Nie- renzellkarzinomen diese Ergebnisse ver- bessern können, muss durch prospektiv vergleichende Studien geklärt werden.

Für die adjuvante Vakzinetherapie des lokal fortgeschrittenen Nierenzell- karzinoms ist aufgrund der Vielfalt der Vakzinepräparationen und Kombinatio- nen mit unspezifischen Modulatoren derzeit noch keine Bewertung möglich.

In prospektiv randomisierten Studien konnte bisher kein Überlebensvorteil für vakzinierte Patienten gezeigt werden (1, 8), obwohl einige Ergebnisse prinzi- piell für den adjuvanten Einsatz von Tu- morzellvakzinen sprechen (15, 27).

Das Konzept der Tumorvakzinie- rung ist wissenschaftlich begründet, auch für den Patienten nachvollziehbar und weiterhin aktuell. Neue Vakzine- strategien, etwa mit dendritischen Zel- len, sind theoretisch-experimentell be-

stechend. Zurzeit ist es aber kaum mög- lich, über die beste Form einer solchen Therapie zu entscheiden (2). Diese Ent- scheidung kann nur über das Instru- ment der klinischen Studie getroffen werden. Das Design solcher Studien ist schwierig, insbesondere bei der Erstel- lung der Einschlusskriterien. Werden auch niedrige Tumorkategorien einge- schlossen, so benötigt man unverhält- nismäßig viele Patienten, um zu einer Aussage zu gelangen (20). Sollte es aber gelingen, ein solches Studienprojekt multizentrisch durchzuführen, so kann für den Fall des Wirksamkeitsnachwei- ses eine relativ sichere Therapieemp- fehlung ausgesprochen werden.

M E D I Z I N

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A2782 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 42½½½½20. Oktober 2000

´ TabelleC´

Prognose des Nierenzellkarzinoms

Stadium der Erkrankung Prognose

Primärtumor < 3 cm Metastasierung < 5 %

Primärtumor begrenzt auf die Niere Metastasierung < 20 % Positive regionäre Lymphknoten Metastasierung bei 90 %

Metastasierung Mittlere Überlebenszeit 12 Monate

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Chemo-Immuntherapie

Wenn die Domäne der Vakzinetherapie aufgrund der geringen Tumorlast im ad- juvanten Therapieansatz angesiedelt ist, so erscheint ihr Einsatz bei hoher Tumor- last (palliativer Ansatz bei Fernmetasta- sierung) wenig effizient. In dieser Situati- on existiert als einzig erfolgversprechen- de Therapieoption nur die systemische Immuntherapie mit IL-2 und IFN-a. Ur- sprünglich wurde IL-2 in der Monothera- pie intravenös eingesetzt und führte zu Ansprechraten um 20 Prozent. Bessere Ergebnisse ergaben sich in der adoptiven Immuntherapie durch die zusätzliche Gabe von Tumor-infiltrierenden oder Lymphokinin-aktivierten Lymphozyten.

Aufgrund des ausgeprägten Nebenwir- kungsspektrums von IL-2 war diese The- rapie nur unter intensivmedizinischen Bedingungen durchführbar. Heute do- miniert die subkutane Applikationswei- se. Bei Lungen- beziehungsweise Media- stinalmetastasen kann IL-2 auch per in- halationem verabreicht werden (13).

Auch mit IFN-a(s.c.) wurden monothe- rapeutische Behandlungsversuche unter- nommen, die Ergebnisse waren jedoch enttäuschend (21). Die Entwicklung führte über die Kombination von IFN-a- 2a/b und Vinblastin (16) oder 5-FU (32), mit Ansprechraten von bis zu 25 Prozent, zur Immun- (Chemo-)therapie mit IL-2 s.c. und IFN-a-2a s.c. beziehungsweise plus 5-Fluorouracil i.v. mit vereinzelt nochmals gesteigerten Ansprechraten (11, 12). Die Rationale für die Kombina- tion von IFN-a-2a mit 5-FU ergab sich aus dem experimentell beobachteten Synergismus dieser Substanzen, der je- doch klinisch nicht bewiesen ist (hypo- thetische Verstärkung des antiproliferati- ven Effekts von IFN-a-2a durch 5-FU).

IFN-a-2a und IL-2 sind für die Thera- pie des metastasierten Nierenzellkarzi- noms zugelassen; IL-2 jedoch nur für die intravenöse Applikation. 5-FU ist für diese Indikation nicht zugelassen. Zu dieser Kombinationstherapie liegen heu- te umfangreiche Studienergebnisse vor, die ihren Wert aber noch nicht vollstän- dig beantworten können.

Das relativ nebenwirkungsarme orale Capecitabine (enzymatische Konvertie- rung zu 5-FU) stellt möglicherweise eine Weiterentwicklung dar (4). Erste klini- sche Studien an anderen Tumoren liegen

vor (3). Inwieweit die additive orale The- rapie mit Isotretinoin die Ergebnisse der Immuntherapie verbessern kann, er- scheint noch unklar (33).

Therapieregime

Inzwischen ist es aufgrund umfangrei- cher Studien zu einer gewissen Standar- disierung des Therapieregimes in multi- zentrischen Protokollen gekommen (11).

Dabei konnte die Praktikabilität einer ambulanten Therapie demonstriert wer- den, was in der palliativen Situation des Nierenzellkarzinoms eine wichtige Vor- aussetzung ist. Ein Behandlungszyklus erstreckt sich in der Regel über acht Wo- chen und beginnt mit der s.c. Gabe von IFN-a-2a (5 Mio IU/m²), gefolgt von s.c.

IL-2 (10 Mio IU/m² zweimal täglich an drei Tagen einer Woche) und i.v. 5-FU

(1 000 mg/m² einmal pro Woche in der zweiten Hälfte des Zyklus). Nach einem Behandlungszyklus wird reevaluiert, bei Progress wird die Therapie beendet. Die- se Angaben gelten für Patienten in klini- schen Protokollen (Therapieoptimie- rungsvergleiche). Es darf nicht überse- hen werden, dass insbesondere IL-2 ein ausgeprägtes Nebenwirkungsprofil hat und spezielle Erfahrungen im Umgang mit dieser Substanz notwendig sind.

Indikationen für die Immuntherapie Geeignet sind Patienten mit messbaren, progredienten Metastasen, bei denen kein Zweitmalignom vorliegt und die ei-

nen ausreichend guten körperlichen Zu- stand aufweisen (ECOG ✜2). Prinzipiell sind alle denkbaren Metastasenlokalisa- tionen einschließbar. Eine Ausnahme bilden Metastasen des ZNS (in der Re- gel Hirnmetastasen). Hier besteht eine Kontraindikation für IL-2. Metastasen des ZNS müssen vor einer Immunthera- pie komplett entfernt werden. Patienten mit mehr als zwei Organmanifestationen (zum Beispiel Lunge, Knochen und Le- ber) werden in der Regel nicht mehr von der Therapie profitieren.

Nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Urologie soll der Pri- märtumor in der metastasierten Situati- on nur bei konservativ nicht beherrsch- baren Symptomen unter palliativer In- tention entfernt werden (6). Eine Aus- nahme bildet die Immuntherapie im Rahmen klinischer Studien. Hier wird die Tumornephrektomie meist obligat vorausgesetzt, um durch die Verringe- rung der Tumorlast eine immunologisch günstigere Ausgangsposition zu schaf- fen. Dieses Konzept ist zwar eingängig, aber nicht endgültig bewiesen. Verschie- dene Studienansätze sind den umgekehr- ten Weg gegangen und haben die Tumor- nephrektomie erst sekundär nach dem Nachweis des Ansprechens einer primä- ren Immuntherapie durchgeführt.

Stellenwert der Immuntherapie

Die Immuntherapie mit IL-2 und IFN-a- 2a kann auch heute noch nicht als Stan- dardtherapie angesehen werden und sollte daher nur unter kontrollierten Bedingungen im Rahmen eines Thera- pieoptimierungsvergleichs durchgeführt werden. Individuelle Therapieversuche sind abzulehnen. Trotzdem hat sich diese Therapieform in den letzten Jahren zu ei- nem De-facto-Standard entwickelt. Der überwiegende Teil der Patienten mit me- tastasiertem Nierenzellkarzinom wird heute mit einem IL-2-haltigen Schema behandelt. Die Forderung nach einer prospektiv gegen einen Nullarm verglei- chenden, randomisierten Studie ist rich- tig, geht jedoch inzwischen an der Rea- lität vorbei. Es erscheint heute kaum noch möglich, einen Patienten in einen Nullarm zu randomisieren (22), nicht we- gen ethischer Überlegungen, sondern aufgrund der Informationsdichte und Er- wartungshaltung der Patienten. ✁ M E D I Z I N

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 42½½½½20. Oktober 2000 AA2783

Beurteilungskriterien für Publikationen zur Immuntherapie des metastasierten Nieren- zellkarzinoms

Formale Kriterien:

Prospektive/retrospektive Studie?

Einschlusskriterien/konsekutive Fälle?

Multizenterstudie?

Randomisierte Studie beziehungsweise Beob- achtungsarm?

Inhaltliche Kriterien:

Übergewicht bestimmter Risikofaktoren (vorbe- handelte Fälle, schlechter Performance-Status, hoher Anteil nichtpulmonaler Metastasen?

Erfassung der Lebensqualität?

Angabe der Überlebenszeit im Gesamtkollektiv und getrennt nach Ansprechverhalten?

Textkasten

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Ergebnisse der Immuntherapie

Die Ansprechraten auf eine Immunthe- rapie mit IL-2 und IFN-a-2a variieren in der Literatur von 0 bis knapp 40 Pro- zent. Dies hat verschiedene Gründe (Textkasten): Die Patientenkollektive sind nicht vergleichbar beziehungsweise nur unzureichend beschrieben; in einem Kollektiv mit einem hohen Anteil von Lungenmetastasen und Patienten mit exzellentem körperlichen Ausgangssta- tus wird die Ansprechrate höher sein als in einem prognostisch schlechten Kol- lektiv. Angaben zu einer möglichen Pati- entenselektion fehlen in der Regel. Die verwendeten Therapieregime sind oft bezüglich der Substanzkombination und Applikationsart nicht ver-

gleichbar. Die meisten Unter- suchungen sind retrospektiv durchgeführt; die wenigen ran- domisiert-vergleichenden Stu- dien haben oft eine zu geringe Probandenzahl. Angaben zur krankheitsbezogenen Überle- benszeit für die Kollektive feh- len fast immer oder liegen bei etwa zwölf Monaten und ent- sprechen damit dem sponta- nen Krankheitsverlauf ohne Therapie. Eine Reihe von Stu- dien, auch an randomisierten Serien, liegen nur als Abstract vor und sollten daher nicht in die endgültige Analyse aufge- nommen werden.

In einer nicht randomisier- ten Studie mit 120 Patienten konnte für die Kombination von IL-2, IFN-a-2a und 5-FU bei einer Ansprechrate von 39 Prozent eine mittlere Überle- benszeit von 20 Monaten er-

reicht werden, bei fünf Prozent lang an- haltenden Remissionen (11). In einer weiteren Analyse von 203 konsekutiven Fällen mit verschiedenen IL-2-basierten Therapieregimen konnte bei einer An- sprechrate von 24 Prozent eine mittlere Überlebenszeit von 18 Monaten demon- striert werden; dabei zeigte sich die Ten- denz zu langanhaltenden Verläufen bis zu drei Jahren von 31 bis 37 Prozent bei den Patienten mit kompletter bezie- hungsweise partieller Rückbildung (7).

In der bisher größten Serie mit 425 Pati- enten konnte gezeigt werden, dass der

durch die Kombination aus IL-2 und IFN-a-2a erzielbare Effekt höher ist als der durch die Einzelsubstanzen (22).

Dem stehen allerdings viele Phase-II- und Phase-III-Studien mit enttäuschen- den Ergebnissen gegenüber. Hinzu kommt, dass in der palliativen Situation die Lebensqualität einen Zielparameter darstellen muss. Dieser wird bisher kaum berücksichtigt (18).

Studienbedarf

Es besteht weiterhin ein dringender Stu- dienbedarf für die Immuntherapie bei Patienten mit fortgeschrittenem Nieren- zellkarzinom. Dazu gehört die Hochrisi-

kogruppe mit lokal fortgeschrittenem (lymphknotenpositivem) Tumor in der adjuvanten Situation. Hier bietet sich die Vakzinierung als nebenwirkungsarme Behandlungsstrategie an. Es ist aber noch vollkommen unklar, ob moderne Vakzinekonzepte wirklich zu einer Verringerung der Progressionsneigung führen können.

In der Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms hingegen sind IL-2 und IFN-a-2a die Substanzen mit der am besten dokumentierten Wirksam- keit. Der Beweis ihrer lebensverlän-

gernden Wirkung steht aber aus, und ob die Kombination der Immuntherapie mit 5-FU tatsächlich das Ansprechver- halten verbessert, ist unklar, ebenso wie die Wirkung anderer modulierender Substanzen (zum Beispiel Isotretinoin).

Es ist daher zu begrüßen, dass sich in Deutschland das Nationale Tumorpro- jekt – Nierenzellkarzinom (NTP-N) eta- bliert hat, das interdisziplinär mit IL-2, IFN-a-2a und 5-FU die Bedeutung die- ser Kombinationstherapie für die pallia- tive und die adjuvante Situation in einer nicht randomisierten Studie gegen ei- nen Nullarm prüfen soll (Grafik). Diese Studie ist ein aufwendiger, multizentri- scher Therapieoptimierungsvergleich, der nahe legt, jeden Patienten, der nicht in einer Phase-I-/-II-Studie mit neuen innovativen Substanzen behandelt wer- den soll, hier einzubringen (Informatio- nen: über das Internet oder bei Prof. G.

Jakse, RWTH Aachen; Prof. D. Jocham, Universität Kiel; Prof. R. Hautmann, Universität Ulm; Prof. M. Wirth, Uni- versität Dresden; Prof. W. Weidner, Universität Gießen).

Es darf nicht übersehen werden, dass die absolute Zahl metastasierter Nie- renzellkarzinome in Deutschland, ge- messen an anderen soliden Tumoren, relativ gering ist. Individuelle Heil- versuche verbieten sich daher schon aus statistischen Überlegungen heraus, wenn man im Sinn der Prozess- und Er- gebnisqualität zum Erkenntnisgewinn beitragen möchte. Zudem machen es die extrem hohen Kosten und die poten- ziell bedrohlichen Nebenwirkungen dieser Therapie unbedingt notwendig, die Subpopulation von Patienten zu identifizieren, die tatsächlich von einer Immuntherapie ihres Nierenzellkarzi- noms profitieren können.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A 2781–2784 [Heft 42]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser:

Priv.-Doz. Dr. med. Claus G. Fischer Urologische Universitätsklinik Justus-Liebig-Universität Klinikstraße 29, 35385 Gießen

E-Mail: claus.fischer@chiru.med.uni-giessen.de Weitere Informationen im Internet

www.med.uni-giessen.de/ntpn M E D I Z I N

A

A2784 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 42½½½½20. Oktober 2000

Wahl des Therapiearms durch Patient und Arzt (Verzicht auf Randomisierung) in der adjuvanten und palliativen Situation:

Analyse nach 18-monatiger Rekrutierung und Anschluss der 2. Studienphase („beste Therapie") zur internen

Validierung

Hauptzielkriterien: Überlebenszeit und Lebensqualität Arm A:

keine Therapie Beobachtung

Arm B:

s.c. Interleukin-2 s.c. IFN-α-2a (milde Dosis)

Arm C:

s.c. Interleukin-2 s.c. IFN-α-2a (intensive Dosis)

i.v. 5-FU Grafik

Nationales Tumorprojekt – Nierenzellkarzinom (NTP-N). The- rapieoptimierungsvergleich des NTP-N für Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Nierenzellkarzinom (adjuvante und palliative Situation): keine Randomisierung, aber Beobachtungsarm. IFN, Interferon; 5-FU, 5-Fluorouracil

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