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Archiv "Zwei Nobelpreise für Elektronen" (26.02.1987)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

DAS EDITORIAL

Zwei

Nobelpreise für Elektronen

Bernhard Mühlschlegel

Elektronenmikroskopie ist heute nicht nur unerläßlich für den Fortschritt der Medizin auf molekularbiologischer Ebene, sondern wird auch zur Differenzierung schwieriger Organprä- parate (aus Biopsie, Operationspräparaten, Sek- tionen) in der praktischen Medizin bereits ange- wandt. Im vergangenen Jahr galten die Nobel- preise bekanntlich dem Pionier der Elektronen- mikroskopie Ruska sowie den Erfindern der Tunnelmikroskopie Binnig und Rohrer, die eine ganz neue Dimension eröffnet haben. Der be- kannte Physiker Professor Bernhard Mühlschle- gel aus Köln hat uns dafür einen Beitrag zur Ver- fügung gestellt, der in unserer Sicht das Wesent- liche auch dem Nichtphysiker anschaulich macht. R. Gross, Köln

Motivation

Auszeichnungen werden üblicherweise an Menschen vergeben, und so ist es auch bei den Nobelpreisen. Daß wir hier trotzdem den hohen Preis an die Elektronen verleihen, soll die inter- essante und verschiedenartige Bedeutung her- ausstreichen, die diese materiellen Teilchen ha- ben - in allgemeiner Hinsicht, aber natürlich auch speziell im Zusammenhang mit den letzten Nobelpreisen für Physik.

Der 85er Preis würdigte die Entdeckung des Quanten-Hall-Effektes durch Klaus von Klit- zing. 1986 erhielten die Auszeichnung Ernst Ruska einerseits und Gerd Binnig und Heinrich Rohrer andererseits für zwei verschiedenartige Versionen der Elektronenmikroskopie.

1901 wurde zum ersten Mal ein Nobelpreis vergeben - in der Physik an Röntgen für seine Strahlen (die im Ausland übrigens jenen Namen tragen, den Röntgen selbst ihnen ursprünglich gegeben hatte: X-Strahlen). Das waren zwar keine Elektronen, doch die kamen gleich 1902 dran, als die Niederländer Lorentz und Zeeman

ausgezeichnet wurden. Von 1901 bis heute gab es etwa 80 Nobelpreise für Physik (ein paar Mal wurde der Preis nicht verliehen). Von diesen 80 beziehen sich immerhin 25 auf Eigenschaften, bei denen Elektronen unmittelbar involviert sind. Wir haben also Grund genug, uns mit die- sen Elementarteilchen etwas zu befassen.

Entdeckung vor 90 Jahren

Röntgen hatte seine Entdeckung 1895 in Würzburg gemacht; das Elektron kam um 1897 ans „Tageslicht" , besonders durch die For- schungen von Thomson in Cambridge an Katho- denstrahlen. Es dauerte aber noch einige Jahre, bis man sich ein genaueres Bild von den neuen Teilchen und ihrer fundamentalen Rolle bei der atomistischen Struktur der Materie machen konnte; fast 30 Jahre mußten gar verstreichen, bis die Quantentheorie formuliert war und mit ihr die radikal neuen Gesetze, welche bei ato- maren Dimensionen an die Stelle der klassi- schen Physik zu treten hatten. Da dies Wort spä- ter noch vorkommt, sei hier gleich gesagt, daß wir unter klassischer Physik im wesentlichen ei- ne Naturbeschreibung verstehen, die sich auf die Newtonsche Mechanik und die Elektrodynamik von Maxwell gründet.

Ein Atom besteht bekanntlich aus dem Kern, gebildet aus Protonen und elektrisch un- geladenen Neutronen, und einer Wolke von Elektronen um diesen Atomkern. Elektron und Proton tragen genau entgegengesetzt gleiche elektrische Ladung e (die Elementarladung), aber das Proton (und Neutron) hat 2000mal mehr Masse als das Elektron. Die rund 100 ver- schiedenen chemischen Elemente unterscheiden sich durch ihre Elektronenanzahl. Atome haben eine durch die Elektronenwolke bedingte Aus- dehnung von 10 -9 cm. Das ist nicht vorstellbar.

Zur Veranschaulichung denke man sich ein Atom als Erbse, dann hätte bei gleicher Vergrö- ßerung ein menschliches Haar einen Durchmes- ser von mehreren 100 Metern. Die Elektronen machen nach oben Gesagtem nur rund ein Vier- tausendstel der Masse eines typischen Atoms aus. Der Mensch besteht aus Atomen; bei einer Masse von 80 kg hat er also etwa 20 Gramm Elektronen in sich.

Elektronenstrahlen ersetzen Lichtstrahlen

Strahlung kann ein Elektron aus dem Atom herausschlagen. Dies geschieht auf natürliche A-500 (56) Dt. Ärztebl. 84, Heft 9, 26. Februar 1987

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Weise in der oberen Erdatmosphäre. Wir haben dort ein Gas aus freien Elektronen und positiv geladenen Atomen (Ionen), das Ionosphäre ge- nannt wird. Einen solchen Prozeß kann man im Labor nachmachen, noch besser geht es aber durch Glühen eines geeigneten Metalldrahtes zum Beispiel aus Wolfram. Im Metall sind die äußeren Elektronen der Wolken der Atome ziemlich beweglich und werden mittels Erwär- mung aus dem Kristall herausgetrieben. Einmal draußen (natürlich nicht an der Luft, sondern in einem Hochvakuum) werden die Elektronen durch angelegte Spannung (elektrisches Feld) richtig auf Schwung gebracht, das heißt, es ent- steht ein schön gerichteter Elektronenstrahl. In der Fernsehröhre ist ein solcher Elektronen- strahl bekanntlich emsig an der Arbeit und er- zeugt optische Information auf dem Bildschirm.

Die Beeinflussung des Elektronenstrahls durch elektrische und magnetische Felder wird einzig und allein möglich gemacht durch die La- dung e dieser leichten Teilchen. Die Berech- nung des Laufweges, das sei hier betont, ge- schieht durchaus nach den Gesetzen der klassi- schen Physik, wobei das elektrische Feld den Elektronen mehr Energie verleiht und das Ma- gnetfeld sie auf gekrümmte Bahnen bringen möchte. Hans Busch erkannte in den zwanziger Jahren, daß rotationssymmetrische elektrische und magnetische Felder auf achsennahe Elek- tronenstrahlen eine sammelnde Wirkung aus- üben und somit Abbildungen ermöglichen. Rus- ka (heute 80 Jahre) hatte dann als ganz junger Mann die Idee des Mikroskops für materielle Elektronenstrahlen, bei dem die magnetischen Linsen an die Stelle von Glaslinsen für masselo- se Lichtstrahlen traten. Bereits in den dreißiger Jahren überflügelte das von Ruska und anderen angewandten Physikern gebaute Elektronen- mikroskop das Lichtmikroskop hinsichtlich sei- nes Auflösungsvermögens. Die weitere Ent- wicklung bis zur Gegenwart — nach den Pionier- arbeiten in Deutschland kommen später bedeu- tende Beiträge aus England und Australien — bringt eine enorme Steigerung der Kontrastfä- higkeit und der Auflösung bis zu atomaren Di- mensionen. Es ist allgemein bekannt, daß unser heutiges Wissen über die Struktur toter wie le- bender Materie (zum Beispiel Viren) auf der Leistungsfähigkeit moderner Elektronenmikro- skope beruht.

Wo liegen die Grenzen des Elektronenmi- kroskops? Je höher die Energie des Elektronen- strahls ist, um so dicker können die Proben sein, die er durchdringen soll, um so stärker müssen allerdings auch die Magnetfelder sein, welche die Linsen bilden. Mit supraleitenden Magneten

sind solche starken Felder sehr stabil zu halten.

Große Elektronenmikroskope arbeiten mit Be- schleunigungsspannungen von 1000 Kilo-Volt.

Es ist ferner aus prinzipiellen Gründen günstig, den Elektronenstrahl möglichst schnell zu ma- chen. Denn nach der Quantentheorie (und un- faßbar in der klassischen Physik) haben die Elektronen auch Welleneigenschaften mit einer Wellenlänge: Planckkonstante h geteilt durch Masse mal Geschwindigkeit. Die Wellenlänge begrenzt das Auflösungsvermögen. Je schneller die Elektronen, um so kleiner ihre Wellenlänge und um so besser das Auflösungsvermögen. — Natürlich kann man auch beim Licht zu kürze- ren Wellenlängen gehen, also vom Sichtbaren über das Ultraviolette in den Röntgenbereich.

Die Brechkraft nimmt dabei rapide ab (wir erin- nern uns, daß ein Prisma schon das blaue Licht weniger ablenkt als das rote). Es gibt daher kei- ne Linsen für Röntgenstrahlen und somit kein Röntgenmikroskop im herkömmlichen Sinn.

Tunnelmikroskopie

Ein besonders interessantes, der Quanten- natur der Materie innewohnendes Phänomen ist der Tunneleffekt. Betrachten wir zum Beispiel eine kleine Metallplatte, so werden die darin be- findlichen Elektronenwolken aufgrund eben dieser Quantennatur ganz geringfügig aus der Oberfläche in das Vakuum hinausragen. Brin- gen wir nun eine zweite Platte, für die das glei- che gilt, extrem nah, aber ohne Berührung pa- rallel vor die erste, so werden die beiden Elek- tronenwolken überlappen. Diese quantenme- chanische Überlappung erlaubt es, daß bei An- legen einer kleinen elektrischen Spannung Elek- tronen von einer zur anderen Platte strömen.

Das nennt man quantenmechanisches Tunneln, denn nach der klassischen Physik verhindert der

„Potentialberg" des Vakuums zwischen den Platten den Übergang, wogegen die Quanten- theorie den Elektronen einen Tunnel durch die- sen Berg eröffnet.

Während der Tunneleffekt seit langem in verschiedenen Bereichen der modernen Physik wohletabliert und nützlich ist, geschah eine be- deutende Anwendung erst kürzlich. Binnig und Rohrer ersetzten in obiger Anordnung die zwei- te Platte durch eine feinste Metallnadel. Mittels eines genialen Mechanismus tastet diese Nadel die Oberfläche der ursprünglichen Platte bei konstant gehaltenem elektrischem Tunnelstrom ab. So entsteht ein Bild der Oberfläche mit einer Auflösung, die sogar noch feiner als die Größe der Atome ist. Das Abtast-Tunnelmikroskop war geboren.

Dt. Ärztebl. 84, Heft 9, 26. Februar 1987 (59) A-501

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Es ist klar, daß die Tunnelmikroskopie Oberflä- chenuntersuchungen ermöglicht und dadurch das vorher besprochene Hochspannungs-Elek- tronenmikroskop wesentlich ergänzt, dessen schnelle Elektronen ins Innere der Materie ein- dringen. Wir stehen heute am Beginn einer ganz neuen Entwicklung, denn Eigenschaften von Oberflächen spielen in Physik, Chemie und Mi- krobiologie eine überragende Rolle.

Unerwartete Quantensprünge von Elektronen

Wir kehren von Elektronen, die als Strahlen durchs Vakuum fliegen oder die an Oberflächen sitzen, zurück zu solchen, die innerhalb der Ma- terie agieren. Wohl jeder weiß, daß sie es sind, die als Ladungsträger in Metallen die elektrische Energie transportieren. Mißt man an zwei Stel- len längs eines stromdurchflossenen Drahtes den Spannungsabfall, so legt dieser den elektri- schen Widerstand mittels des Ohm`schen Geset- zes fest. Wenn wir jetzt den Draht in ein Ma- gnetfeld bringen, so können wir auch einen Spannungsabfall quer zum Draht messen. Diese sogenannte Hall-Spannung bzw. der dazu gehö- rige Hall-Widerstand erklärt sich aus der (schon oben erwähnten) Eigenart des Magnetfeldes, das Elektron aus seiner Laufrichtung abzulen- ken. Je stärker das Magnetfeld, um so merk- licher dieser schon 100 Jahre bekannte Hall-Ef- fekt.

Was ist aber nun der Quanten-Hall-Effekt, für den Klitzing 1985 den Nobelpreis erhalten hat? Um dies unerwartete Phänomen zu mes- sen, muß man in mehrfacher Weise von der ein- fachen Situation des eben betrachteten Drahtes abgehen. Es sind erforderlich: 1. extrem tiefe Temperaturen, 2. extrem hohe Magnetfelder und schließlich 3. an Stelle eines dicken Drahtes eine Anordnung, bei der die Gesamtheit der Elektronen als ein quasi-zweidimensionales Sy- stem in Erscheinung tritt. Solche zwei-dimensio- nalen Elektronensysteme sind dank der moder- nen Halbleitertechnik realisiert in gewissen He- terostrukturen, zum Beispiel an einer Grenzflä- che im sogenannten MOSFET (= Metall-Oxyd- Silizium-Feldeffekt-Transistor).

Klitzings überraschendes Resultat war, daß der Hall-Widerstand unter solchen Bedingungen nur bestimmte Werte annehmen kann, präzis gesagt, der Kehrwert (die Hall-Leitfähigkeit) ist ein ganzzahliges Vielfaches einer fundamentalen und vom Material völlig unabhängigen Größe, gegeben durch e 2/h.

Die 1980 gemachte Entdeckung hat Physi- ker in aller Welt stimuliert und zu Deutungen und weiteren Experimenten veranlaßt. Zwar ist wohlbekannt, daß die Quantentheorie in mar- kanter Weise eingreift, wenn Elektronen sich in der Materie unter dem Einfluß starker Magnet- felder bewegen. Doch kann man gegenwärtig noch nicht behaupten, daß der Quanten-Hall- Effekt theoretisch voll verstanden ist. Verständ- lich also, daß es hier intensive Forschungsarbeit bei den Theoretikern gibt. In der Praxis hat der Quanten-Hall-Effekt schon jetzt erhebliche Be- deutung für die Meßtechnik, da die Einheit des elektrischen Widerstandes (das Ohm) mit größ- ter Genauigkeit fixiert werden kann.

Interessante

Zukunftsaussichten

Wir haben einige Dinge beleuchtet, die in der Physik von Elektronen bewirkt werden. Die Auswahl dieser Dinge geschah unter dem Ein- druck der letzten beiden Nobelpreise für Physik:

Elektronenmikroskop, Tunnelmikroskop und Quanten-Hall-Effekt. Dies ist nur eine ganz kleine Auswahl. Supraleitung und Magnetismus der kondensierten Materie werden zum Beispiel unmittelbar durch Elektronen hervorgerufen.

Und auch die eingangs erwähnten Röntgen- strahlen müssen ja erst produziert werden, was durch starke Abbremsung von Elektronen in der Röntgenröhre passiert.

Mit ziemlicher Sicherheit dürfen wir anneh- men, daß Elektronen auch künftig für manche Überraschung gut sein werden. Verbindungen der Elemente führen zu einer schier unendlichen Zahl neuer Stoffe mit unerwarteten Eigenschaf- ten. Als Beispiel sei nur die ternäre Verbindung CeCu2Si2 zitiert, wo sich die Metallelektronen so verhalten, als ob sie zweihundertmal mehr Mas- se als üblich hätten (Frank Steglich).

Eine Bemerkung zum Schluß: Wir be- schränken uns in den vorstehenden Ausführun- gen auf Phänomene, bei denen Elektronen ent- scheidend involviert sind. Auf einem ganz ande- ren Blatt steht die Frage nach dem Elektron an sich und seiner Einordnung in den Kreis anderer fundamentaler Teilchen. Diese Frage ist Gegen- stand der Elementarteilchenphysik.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. Bernhard Mühlschlegel Institut für theoretische Physik der Universität

Zülpicher Straße 77 5000 Köln 41 A-502 (60) Dt. Ärztebl. 84, Heft 9, 26. Februar 1987

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