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Archiv "Selbsteinschätzung von Warnsymptomen bei oberer gastrointestinaler Blutung" (01.02.2008)

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ORIGINALARBEIT

Selbsteinschätzung von Warnsymptomen bei oberer gastrointestinaler Blutung

Felix Gundling, Rinna Thulile Harms, Ingolf Schiefke, Wolfgang Schepp, Joachim Mössner, Niels Teich

ZUSAMMENFASSUNG

Einleitung: Alkoholkranke Menschen haben ein deutlich er- höhtes Risiko einer akuten oberen gastrointestinalen Blu- tung. Die Dauer bis zur Notfallendoskopie hängt vor allem von der Einschätzung durch den Patienten selbst ab.

Methode: 417 Patienten aus Leipzig (n = 277) und Mün- chen (n = 140) mit einem durchschnittlichen Alkoholkon- sum von 660 g/Woche wurden nach ihrem theoretischen Verhalten bei Symptomen einer akuten oberen gastroin- testinalen Blutung befragt.

Ergebnisse: Bei Erbrechen von Blut oder schwarzer Flüssigkeit würden 71 % beziehungsweise 51 % den Not- arzt rufen. Bei plötzlichem Auftreten von tiefschwarzem Stuhl würden 32 % den Notarzt alarmieren. Nur 25 % der Befragten hielten in jeder der 3 Situationen sofortige ärztli- che Hilfe für notwendig. Patienten mit häufigen Arztkon- takten und Frauen schätzten die Symptome eher als Notfall ein. Hinsichtlich Alter, Berufsausbildung, Familien- stand und konsumierter Alkoholmenge bestanden keine Unterschiede.

Diskussion: Die Befragten hatten schlechte Kenntnisse über die Bedeutung von Symptomen gastrointestinaler Blutungen. Insbesondere alkoholkranke Patienten mit sel- tenen Arztkontakten sollten auf die Warnsymptome Meläna und Hämatemesis hingewiesen werden, weil jeder Zeitver- zug die Prognose und den Ressourcenverbrauch wesent- lich beeinflusst.

Dtsch Arztebl 2008; 105(5): 73–7 DOI: 10.3238/arztebl.2008.0073 Schlüsselwörter: obere gastrointestinale Blutung, Hämate- mesis, Meläna, Selbsteinschätzung, Alkoholkrankheit

Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Gastroenterologische Onkologie, Städtisches Klinikum München GmbH, Klinikum Bogenhausen: Dr. med. Gund- ling, Prof. Dr. med. Schepp

Abteilung Gastroenterologie und Hepatologie, Medizinische Klinik und Poliklinik II, Universität Leipzig: Harms, Prof. Dr. med. Schiefke, Prof. Dr. med. Mössner, PD Dr. med. Teich

A

lkohol kann den oberen Gastrointestinaltrakt auf verschiedene Weise und in unterschiedli- chen Bereichen schädigen. So senkt Alkohol den To- nus des unteren Ösophagussphinkters. Die Folge ist eine verminderte gastroösophageale Clearance und ein gesteigerter gastroösophagealer Reflux. Alkohol schädigt zudem konzentrationsabhängig die Mukosa- barriere der Ösophagusschleimhaut. Rücklaufende Magensäure kann dadurch bis in die Regenerations- schicht der Epithelzellen vordringen und diese zer- stören (1). Im Magen bewirkt Alkohol eine invertiert konzentrationsabhängige Zunahme der Magensäure- produktion (2). Über komplexe Mechanismen wird dadurch eine Schleimhautschädigung bis hin zur hämorrhagischen Gastritis induziert. Während die In- zidenz des Ulcus duodeni bei alkoholkranken Patien- ten erhöht ist, fand man in mehreren Studien keinen Einfluss auf die Inzidenz des Ulcus ventriculi (3).

Neben diesen rein chemisch erklärbaren Phänome- nen ist Alkohol ein wichtiges Kanzerogen für Karzi- nome der Mundhöhle, des Pharynx, Hypopharynx und der Speiseröhre. Am verheerendsten ist dabei die Wir- kung auf den Rachen: bei einer täglichen Alkoholzu- fuhr von 100 g steigt das Risiko für Rachenkrebs auf das 125-fache. Alkoholkonsumenten, die Tabak rau- chen, erhöhen ihr Risiko sogar auf das 210-fache ge- genüber der Normalbevölkerung (3).

Eine weitere alkoholbedingte Gefahr durch Schädi- gung des oberen Gastrointestinaltrakts sind Folge- krankheiten der Leberzirrhose, wie die portale Hyper- tension (portal-hypertensive Gastropathie, Ösopha- gus- und Fundusvarizenblutung) oder Störungen der plasmatischen Gerinnung beziehungsweise der Thrombozytenzahl und -funktion.

Obere gastrointestinale Blutungen treten mit einer Inzidenz von etwa 150/100 000 pro Jahr auf; die Leta- lität liegt zwischen 8 und 14 % (4–6). Patienten mit hohem Alkoholkonsum sind besonders gefährdet, Blutungen im oberen Gastrointestinaltrakt zu erleiden und daran zu sterben (7). Eine Untersuchung von mehr als 220 000 natürlichen Todesfällen in Schwe- den ergab, dass alkoholbedingte Erkrankungen 17 % der Gesamtmortalität verursachen. An einer Varizen- blutung oder einer nicht varikösen oberen gastroin- testinalen Blutung verstorbene Patienten waren je- doch in 29 % beziehungsweise 47 % der Fälle alko- holkranke Patienten (8).

(2)

Die Standardtherapie der oberen gastrointestinalen Blutung ist die sofortige therapeutische Ösophago- gastroduodenoskopie, wenngleich der optimale Zeitrah- men für diese Untersuchung in den Leitlinien unter- schiedlich bewertet wird (9). Eine Metaanalyse von 23 Studien zur nicht varikösen oberen gastrointestinalen Blutung ergab, dass eine zeitnahe Endoskopie den Transfusionsbedarf und die Krankenhausverweildauer, nicht aber Komplikationen und Letalität günstig beein- flusst (10). Eine weitere Untersuchung belegte zudem eine deutliche Kostenreduktion bei Notfallendoskopie im Vergleich zur elektiven Endoskopie (11).

Aufgrund des breiten Einsatzes moderner hämosta- tischer Techniken konnte in den letzten Jahrzehnten die Letalität infolge oberer gastrointestinaler Blutun- gen – insbesondere bei Patienten mit Leberzirrhose – reduziert werden: In einer französischen Langzeit- studie kam es beispielsweise mit dem breiteren Ein- satz der endoskopischen Gummibandligatur binnen 4 Jahren zu einer Verringerung der Mortalität bei einer akuten oberen Gastrointestinalblutung von 11,7 auf 7,2 % (p = 0,03) (5). Daher ist es in Deutschland Kon- sens, dass die Endoskopie umgehend nach Kranken- hausaufnahme und der gegebenenfalls notwendigen Kreislaufstabilisierung erfolgen sollte. Diese Vorge- hensweise schlägt sich auch in einer eindeutig formu- lierten Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen (DGVS) nieder (12).

Die häufigsten Symptome einer oberen Gastro- intestinalblutung sind das Erbrechen von (hämatini- siertem) Blut und das Auftreten von schwarzem Stuhl (Teerstuhl). Zwar fehlen systematische Untersuchun- gen, doch zeigt die Erfahrung, dass sich Patienten mit hohem Alkoholkonsum bei diesen Symptomen oft erst mit erheblicher Verzögerung in der Notaufnahme vor- stellen beziehungsweise erst spät den Notarzt alarmie- ren. Dadurch kommt es zu einem stärkeren Blutver- lust, und es entstehen häufig die Notwendigkeit der intensivmedizinischen Überwachung und ein erhöhter Transfusionsbedarf.

Ziel der Untersuchung der Autoren war, das Wissen alkoholkranker Patienten über Symptome gastroin- testinaler Blutungen zu erfassen und Gruppen mit be- sonderen Defiziten zu erkennen.

Methode

Die Autoren befragten zwischen Juni 2006 und März 2007 Patienten mit hohem Alkoholkonsum nach ihrem theoretischen Verhalten bei Symptomen einer akuten oberen gastrointestinalen Blutung. Die Pro- banden wurden mündlich interviewt, gegebenenfalls erst nach Abklingen einer klinisch fassbaren Alkohol- entzugssymptomatik. Die Antworten der Patienten wurden auf einem standardisierten Fragebogen erfasst.

Unabhängig vom Grund der Krankenhausaufnahme befragten die Autoren alle alkoholkranken Patienten, die im genannten Zeitraum auf einer Normalstation aufgenommen wurden.

Eine Alkoholkrankheit wurde angenommen, wenn die Patienten aktuell oder anamnestisch mehr als 140 g (Frauen) beziehungsweise 420 g (Männer) Al- kohol pro Woche konsumierten. Der wöchentliche Al- koholkonsum wurde durch detaillierte Befragung er- mittelt. Dazu wurden die Volumina aller alkoholhalti- gen Getränke erfasst, die Probanden in den letzten 3 Monaten pro Woche konsumiert hatten, und mit der durchschnittlichen Konzentration in Vol% (Bier 5 Vol%, Wein 12 Vol%, Spirituosen 40 Vol%) multi- pliziert. Die errechnete Milliliterzahl wurde mit dem spezifischen Gewicht (0,7913 g/mL) des Ethanols multipliziert, um die Menge in Gramm zu erhalten.

Ausschlusskriterien waren eine klinisch fassbare Al- koholentzugssymtomatik, die Unfähigkeit zur Kom- munikation oder die Ablehnung der Befragung durch den Patienten.

Die Fragen lauteten: „Wie würden Sie sich verhal- ten, wenn Sie heute Abend plötzlich Folgendes fest- stellen:

schwarzes Erbrechen blutiges Erbrechen tiefschwarzen Stuhlgang?“

*1p < 0,05; *2p < 0,01; *3p < 0,001 TABELLE

Signifikant verschiedene Subgruppen alkoholkranker Patienten für die jeweils richtige Reaktion (Notarzt rufen) auf klinische Zeichen der oberen Gastrointestinalblutung

n blutiges Erbrechen schwarzes Erbrechen tiefschwarzer Stuhl

Frauen 98 *1 78 (80 %) *1 59 (60 %) 28 (29 %)

Männer 318 *1 219 (69 %) *1 152 (48 %) 105 (33 %)

Leipzig 276 *2 185 (67 %) 147 (53 %) *2 103 (37 %)

München 140 *2 112 (80 %) 64 (46 %) *2 30 (21 %)

0–1 Arztbesuche (1. Quartil) 105 *2 67 (64 %) *3 41 (39 %) *3 27 (26 %)

2–4 Arztbesuche (2. Quartil) 103 47 (45 %) 65 (63 %) 24 (23 %)

5–12 Arztbesuche (3. Quartil) 147 83 (56 %) 112 (76 %) 49 (33 %)

> 12 Arztbesuche (4. Quartil) 61 *2 53 (87 %) *3 40 (66 %) *3 33 (54 %)

(3)

Die Befragten sollten direkt im Anschluss an die Befragung die aus ihrer Sicht zutreffende Antwort wählen: „abwarten“, „morgen Hausarzt“ oder „heute Notarzt“. Als richtige Antwort wurde jeweils die so- fortige Alarmierung des Notarztes gewertet.

Zusätzlich wurden Daten zu Alter, Geschlecht, dem genauen wöchentlichen Alkoholkonsum, der Zahl der Arztkontakte innerhalb des letzten Jahres sowie zum Familienstand erfragt. Des Weiteren fragten die Auto- ren, ob eine Berufsausbildung abgeschlossen wurde.

Die Studie hat einen rein explorativen Charakter.

Zur Beurteilung des Einflusses der verschiedenen Prädiktoren auf die Reaktion der Patienten wurde uni- variat der Chi-Quadrat-Test beziehungsweise der Mann-Whitney-U-Test angewendet. Die multivariate Auswertung der Prädiktoren erfolgte mithilfe einer lo- gistischen Regressionsanalyse. Als abhängige Variable wurde die Reaktion des Patienten (Notarzt ja oder nein) angenommen. Unabhängige Variablen waren die Stadt, das Alter, das Geschlecht, der Familienstand, der Bil- dungsstand sowie die Menge des konsumierten Alko- hols. Eine statistische Signifikanz wurde bei p < 0,05 angenommen.

Ergebnisse

Die Autoren befragten 417 Patienten mit hohem Alko- holkonsum (98 Frauen, 319 Männer; Altersmedian 51, Spannweite: 18 bis 82 Jahre) aus Leipzig (n = 276, 51 Frauen, 225 Männer) und München (n = 140, 47 Frau- en, 93 Männer) mit einem durchschnittlichen Alko- holkonsum von 660 g/Woche (Interquartilenabstand 276 g bis 1 023 g). Die erste Quartile enthielt auch 30 Patienten mit hohem Alkoholkonsum (7 %), die zum Zeitpunkt der Befragung abstinent waren. 109 Befrag- te (26 %) hatten mindestens einmal an einem Alko- holentzugsprogramm teilgenommen. 12 weitere Pati- enten verweigerten die Teilnahme an der Befragung (3 %). Aufgrund der anamnestisch angegebenen Al- koholquantitäten gehen die Autoren davon aus, dass es sich bei den Befragten vorwiegend um alkohol- kranke Patienten handelte; eine exakte Diagnostik orientiert an den Symptomen in ICD10 oder DSM4 wurde jedoch nicht durchgeführt. Ebenso wurde die Krankenhaushauptdiagnose nicht erfasst. Bei der Er- hebung der Anamnese gaben jedoch 219 (52,5 %) be- ziehungsweise 104 (24,9 %) Patienten an, dass bei ih- nen eine Leberzirrhose beziehungsweise eine chroni- sche Pankreatitis vordiagnostiziert wurde. Bei 10 Pa- tienten (2,4 %) lagen laut eigenen Angaben beide Er- krankungen vor. 15 Patienten (3,6 %) hatten schon einmal einen epileptischen Anfall. Bei 43 Patienten (10,3 %) lies sich anamnestisch keine alkoholbeding- te Erkrankung eruieren. Die übrigen 26 Patienten (6,2 %) konnten sich nur unzureichend an ihre Eigen- anamnese erinnern.

Blutiges Erbrechen wurde als das am Besorgnis er- regendste Symptom aufgefasst: 71 % der Befragten würden bei diesem Symptom sofort den Notarzt rufen (Grafik). Sowohl in der univariaten als auch in der multivariaten Analyse waren das Geschlecht (Frauen

antworteten häufiger richtig), der Wohnort und die Zahl der Arztbesuche signifikante Einflussfaktoren (Tabelle, eTabelle). Wesentlich schlechter war das Ge- fahrenbewusstsein bei schwarzem Erbrechen und bei Teerstuhl; hier würden nur noch die Hälfte bezie- hungsweise ein Drittel der Befragten sofortige ärztli- che Hilfe in Anspruch nehmen (Grafik). Signifikanter Einflussfaktor in den multivariaten Analysen war bei beiden Zielkriterien die Zahl der Arztkontakte pro Jahr. Nur 106 Patienten (25 %) beantworteten alle 3 Fragen richtig.

In der Tabelle sind weitere signifikante Unterschie- de von Subgruppenanalysen dargestellt: Frauen wären sowohl bei schwarzem als auch bei blutigem Erbre- chen eher geneigt, den Notarzt zu rufen als Männer (p < 0,05). Der Vorteil der Leipziger Patienten in ihrer richtigen Reaktion auf blutiges Erbrechen wurde durch ihre Unterbewertung des Symptoms „Teer- stuhl“ aufgehoben; insgesamt scheinen damit keine wesentlichen Unterschiede zwischen ost- und west- deutschen alkoholkranken Patienten zu bestehen. Am deutlichsten waren die Wissensunterschiede, wenn man sie mit den erfolgten Arztkontakten innerhalb des letzten Jahres in Zusammenhang brachte: Insbesonde- re bei den weniger augenfälligen Blutungssymptomen Meläna und Erbrechen von Hämatin bestanden deutli- che Unterschiede in den Antworten zugunsten von Pa- tienten mit häufigen Arztkontakten. Die Faktoren Al- ter, Familienstand, wöchentlicher Alkoholkonsum und abgeschlossene Berufsausbildung wirkten sich nicht unterschiedlich aus (Kasten, eGrafiken 1–3).

Kumulative Häufigkeiten der Antworten auf die Frage „Wie würden Sie sich verhalten, wenn Sie heute Abend plötzlich folgendes fest- stellen: schwarzes Erbrechen, blutiges Erbrechen beziehungsweise tiefschwarzer Stuhlgang.“. Der Unterschied zwischen den richtigen Antworten auf die 3 Fragen war jeweils signifikant (p < 0,001).

GRAFIK

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Diskussion

Die Untersuchung gibt Hinweise darauf, dass bei al- koholkranken Patienten unzureichende Kenntnisse über die Bedeutung von möglichen Symptomen obe- rer gastrointestinaler Blutungen bestehen. Das be- trifft sowohl offensichtliche Symptome wie Bluter- brechen als auch weniger augenfällige Symptome wie Erbrechen von Hämatin oder Teerstuhl. Nur ein Vier- tel der Befragten leitete aus allen 3 Symptomen einen akuten Handlungsbedarf ab. Wie erwartet wurde dem blutigen Erbrechen die höchste Bedeutung beigemes- sen.

Besonders mangelhaft war das Wissen über die Be- deutung der Meläna als ernstzunehmendem Symptom einer gastrointestinalen Blutung: Selbst in der bestin- formierten Gruppe der Patienten mit mindestens 12 Arztkontakten im letzten Jahr würde nur jeder zweite Befragte sofort den Notarzt rufen. Diese Assoziation könnte darauf hinweisen, dass enge Arzt-Patienten- Beziehungen mit wiederholter Aufklärung über Warn- symptome verbunden sein könnten. Nicht geprüft wurde, ob die Patienten dieser Gruppe aufgrund ihrer anzunehmenden erhöhten Morbidität bereits häufiger eine gastrointestinale Blutung erlitten hatten als Pati- enten mit seltenen Arztkontakten. Ein solcher Unter- schied könnte einen Einfluss auf die häufigere richti- ge Einschätzung der Blutungssymptomatik in dieser Gruppe haben.

Ob sich die erhobenen Daten in der praktischen Konfrontation mit dem theoretisch skizzierten Not- fall positiver darstellen, lässt sich mit der Methodik nicht beweisen. Hier muss auf den Nachteil der Studie – ihren theoretischen Charakter – hingewiesen wer- den. Das Szenario wurde offen gestaltet und ist letzt- lich für eine lebensbedrohliche gastrointestinale Blu- tung nicht völlig spezifisch. Symptome wie Erbrechen von zuvor getrunkenem Kaffee oder aber der häufig tiefschwarze Stuhlgang nach Heidelbeergenuss wer- den durch die Schilderung miterfasst. Genauere De- tails in der Beschreibung hätten jedoch die Beantwor- tung zu stark vereinfacht. Ebenso wurde keine alters- und geschlechtsidentische Vergleichsgruppe von Menschen ohne Alkoholkonsum befragt; möglicher- weise ist das Wissen in der Gesamtbevölkerung nicht besser. Die erhobenen Daten sind aufgrund der Patientenselektion als nicht repräsentativ anzusehen:

Es wurden nur auf Normalstationen hospitalisierte Pa- tienten mit hohem Alkoholkonsum in 2 deutschen Städten untersucht.

Während die Selbsteinschätzung kurzfristig konsu- mierter Alkoholmengen – beispielsweise direkt vor einem Verkehrsunfall – gut mit den gemessenen Blutalkoholmengen korreliert (13), liegen die Ergeb- nisse von zahlreichen populationsbezogenen Befra- gungen zum chronischen Alkoholkonsum deutlich un- ter den verkauften Alkoholmengen in derselben Regi- on. In einer der größten Untersuchungen zu diesem Thema – der „Finnish Drinking Habit Survey“ von 1992 – unterschätzten die Bewohner einer Region ihren tatsächlichen Alkoholkonsum um 43 % (14–15).

Frauen scheinen eher zur Untertreibung zu neigen als Männer, ebenso wird der Konsum von Spirituosen wesentlich deutlicher unterschätzt als derjenige von Bier und Wein (16). Wenngleich die Autoren sich bei der Strukturierung des Interviews an international empfohlene Maßstäbe hielten (17), können die von den Betroffenen angegebenen Alkoholmengen nur als Anhaltspunkt der individuellen Größenordnung des Alkoholkonsums angesehen werden. Interessanter- weise fanden sich aber zwischen den Befragten mit dem niedrigsten und denjenigen mit dem höchsten wöchentlichen Alkoholkonsum keine Unterschiede hinsichtlich ihrer Reaktion auf klinische Zeichen ei- ner oberen Gastrointestinalblutung.

Fazit

Patienten mit hohem Alkoholkonsum stellen ein Risi- kokollektiv für obere gastrointestinale Blutungen dar.

Dennoch bestehen sehr schlechte Kenntnisse über die richtige Reaktion bei Hämatemesis und Meläna. Frau- en und Patienten mit mehr als 12 Arztkontakten im letzten Jahr zählten zu den Bestinformierten. Insbe- sondere Patienten mit hohem Alkoholkonsum und sel- tenen Arztkontakten sollten vom Hausarzt, dem mit- behandelnden Gastroenterologen, aber auch den in die Therapie eingebundenen Kollegen aus dem psychoso- zialen Bereich auf die Warnsymptome Meläna und Hämatemesis hingewiesen werden. Jeder vom Patien- ten verursachte Zeitverzug hat einen wesentlichen Einfluss auf die Prognose und den Ressourcenver- brauch.

Die Autoren danken Herrn Dr. med. Andreas von Aretin, Chefarzt der Abteilung Innere Medizin II des St. Elisabeth-Krankenhauses Leipzig, für die freundliche Unterstützung.

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskriptdaten

eingereicht: 10. 4. 2007, revidierte Fassung angenommen: 6. 11. 2007 KASTEN

Unbedeutende Faktoren für eine adäquate Reaktion

Nicht signifikant verschiedene Subgruppen alkohol- kranker Patienten für die jeweils richtige Reaktion (Not- arzt rufen) auf klinische Zeichen der oberen Gastroin- testinalblutung

erste Altersquartile (< 43 Jahre) versus vierte Alters- quartile (> 61 Jahre)

erstes Quartil (< 277 g) versus viertes Quartil (> 1 023 g) des wöchentlichen Alkoholkonsums keine versus abgeschlossene Berufsausbildung verheiratet versus unverheiratet (ledig, geschieden,

verwitwet)

(5)

LITERATUR

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Anschrift für die Verfasser PD Dr. med. Niels Teich Universität Leipzig

Medizinische Klinik und Poliklinik II – Gastroenterologie und Hepatologie – Philipp-Rosenthal-Straße 27 04103 Leipzig

E-Mail: niels.teich@medizin.uni-leipzig.de

SUMMARY S

Seellff AAsssseessssmmeenntt ooff WWaarrnniinngg SSyymmppttoommss iinn UUppppeerr G

Gaassttrrooiinntteessttiinnaall BBlleeeeddiinngg

Introduction: Alcohol addicted patients are at increased risk of upper gastrointestinal bleeding. Delay to endoscopy is mainly determined by patients´ self assessment. Methods: The authors asked 417 patients with high alcohol consumption from Leipzig (n = 277) and Munich (n = 140) with an average alcohol consumption of 660 g/week about their behaviour when faced with symptoms of acute upper gastroin- testinal bleeding. Results: 71% or 51% said they would call the emergency physician if they were to vomit blood or black liquid. Only 32% would call emergentcy medical aid if they were to pass black stools, and only 25% of those surveyed thought urgent medical atten- tion necessary in any of the 3 scenarios. Patients with regular contact with health care providers, and women, were more likely to consider these 3 scenarios as medical emergencies. The authors found no differences by age, educational level, marital status and alcohol con- sumption. Discussion: Knowledge concerning the impact of symp- toms of gastrointestinal bleeding was poor, in our study. Patients with high alcohol consumption and infrequent contact with health care providers, in particular, should be informed about symptoms such as melena and hematemesis, as delayed presentation significantly affects prognosis and resource consumption.

Dtsch Arztebl 2008; 105(5): 73–7 DOI: 10.3238/arztebl.2008.0073 Key words: upper gastrointestinal tract hemorrhage, hematemesis, melena, self assessment, alcoholic disease

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt-international.de eGrafiken und eTabelle:

www.aerzteblatt.de/artikel08m73

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