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Archiv "Auf den Spuren eines Klassikers der Moderne: Feininger für Reisende" (04.07.2008)

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 274. Juli 2008 A1509

K U LT U R

D

ie kleine Kirche von Zirchow auf Usedom verschwindet fast hinter riesigen Fliederbüschen.

Nur der verdrehte Turm ragt heraus.

Der hatte es schon dem Maler Ly- onel Feininger (1871 bis 1956) angetan. Er malte die Kirche block- haft gegliedert, in geheimnisvollem Licht, in tiefen Farben als Gottes- burg. Steht man vor dem Bau, glaubt man sich zunächst vor dem falschen Objekt.

Das Innere ist kahl und kühl, trotz des warmen Abends. Vorne im Chor ein idealisiertes Bild des leidenden Christus. An der Rückseite die klei- ne Orgel. Ein gutes Dutzend Feinin- ger-Freunde hat sich versammelt, um Bach und eben Feininger zu hören. Denn der Maler, der aus ei- ner Musikerfamilie stammte und selbst mehrere Instrumente spielte, hat auch komponiert. Das Örgel- chen ist ein wenig verstimmt, und Feininger zudem nicht einfach zu spielen. Der Organist erklärt später, Feininger habe vom Klavier aus ge- dacht und es sei nicht einfach, seine

Kompositionen auf die Orgel zu übertragen.

Feininger fühlte sich mit Bachs Musik eng verbunden. So schreibt er 1914 an seine Frau: „Ich habe in diesen Tagen wieder Fühlung ge- wonnen draußen, mit dem Weltall der großen Formen, der großen Rhythmen, die allein mich (wie sonst nur Bach es tut) ganz auszu- füllen vermögen.“ Ein Freund schenkte ihm 1921 eine Ausgabe der „Kunst der Fuge“ von J. S. Bach, und in den Folgejahren komponierte der Maler 13 Fugen, drei für Kla- vier, zehn für Orgel. Etwa zur selben Zeit, Feininger war auf der Höhe seines malerischen Könnens, ent- standen viele seiner großen „Fugen- gemälde“, vielfach Bilder mit archi- tektonischen Motiven: Kirchen, Brücken, Türme. Selbst aus Schif- fen wird Architektur. Dabei über- trug Feininger Charakteristika der Fuge auf die Malerei: Strenge For- men, versetzte Motive, transparent übereinandergelegte Farben, im Ergebnis Harmonie.

Als er die „Fugengemälde“ schuf, war Feininger schon um die fünfzig Jahre alt. Er war ohnehin spät zur Malerei gekommen. Erst mit 36 Jah- ren entstanden die ersten Gemälde.

Zuvor verdiente er seinen Lebensun- terhalt als Karikaturist; auch war er ein Pionier des Comicstrips. Seitdem er mit dem Malen begonnen hatte, suchte er seine Motive auf ausge- dehnten Touren mit seinem Renn- rad. In Skizzen hielt er Kirchen und immer wieder Mühlen, Brücken, Dorfstraßen, Segelboote fest. So ent- standen Tausende von „Natur-Noti- zen“. Die wurden sauber in Ordnern abgeheftet und später, oft erst nach Jahren, ausgearbeitet. So malte er noch im Alter, als er schon längst wieder in den USA lebte, Thüringer Dörfer und Segelboote auf der Ost- see. In Amerika gelangen ihm keine

„Natur-Notizen“ mehr wie früher an der Ostsee oder im Weimarer Land.

„Irgendwie geben mir die hiesigen Motive keine Genugtuung“, erklärte er einmal (1953) seinem Sohn Theo- dore Lux, „sie haben zu wenig Anteil an meiner inneren Vorliebe, und führen zu nichts als naturalistischen Übungen.“

Dank dieser auf den Radtouren skizzierten „Natur-Notizen“ und ei- nes üppigen Briefwechsels mit sei- ner Frau und Freunden lässt sich heute zurückverfolgen, wo welche Feininger-Motive zu finden sind.

Auf Feiningers Spuren kann der rei- sende Kunstfreund so, auf dem Fahrrad oder zu Fuß, zum Beispiel das Weimarer Umland oder die Insel Usedom erkunden und – vergleicht er die Motive mit den Werken – mit des Malers Augen sehen.

Vor der Villa Oppenheim in He- ringsdorf, Feiningers „Villa am Strande“ (Holzschnitt aus dem Jahr 1918), hat sich eine Gruppe von Radfahrern versammelt. Sie starten zur ersten Feininger-Radtour auf Usedom. Einige Heimatforscher um den früheren Pastor von Benz (des- sen Kirche zu den bevorzugten Fei- ninger-Motiven gehört) und zwei Lokalpolitiker haben an die 40 Orte ausfindig gemacht, wo Feininger ge- malt hat. Heute, an einem leicht die- sigen Tag – Feiniger hätte ihn wegen der Lichteffekte geliebt – werden ei- nige Malorte in Augenschein ge- AUF DEN SPUREN EINES KLASSIKERS DER MODERNE

Feininger für Reisende

Der Maler Lyonel Feininger erkundete seine Malorte auf langen Radtouren, hielt sie in Tausenden von „Natur-Notizen“

fest und komponierte Gemälde nach Art einer Fuge.

Hinweise: Der Feininger-Rundkurs auf Usedom ist im Entstehen. An- hand eines Folders können aber schon jetzt erste Touren gemacht werden (mit Rad oder Auto). Die In- sel ist mit PKW, aber auch Bahn gut zu erreichen, das letzte Stück mit der gemächlichen Usedomer Bäder- bahn versetzt in Ferienstimmung.

Schnelle Flugverbindungen aus München, Düsseldorf und Köln nach

Heringsdorf. Erträgliche Preise, wenn Flug und Hotel im Paket gebucht werden. Näheres unter www.use dom.de. Infos zu einer Feininger-Themenwoche mit Vortrag, Exkursion und Orgelkonzert vom 9.–13.9.

2008 unter www.strandhotel-heringsdorf.de.

Der Galerist und Feininger-Fan mit dem Cleveland-Rennrad ist in Benz zu Hause und zu

erreichen unter www.kunstkabi nett.de.

Der Kölner Maler ist Klaus Steudtner, erreichbar über die Kunsthandlung Osper in Köln (www.osper.net).

Der Feininger-Radweg durch das Weimarer Land existiert be- reits. Die Beschreibung findet man unter www.im-weimarer- land.de. – An der Autobahnaus- fahrt Weimar liegt auch Possendorf, gleichfalls ein bekanntes Feininger-Motiv.

Auskünfte zur Lichtskulptur in Gelmeroda unter www.mittmann.de.

Der Text-Bildband „Lyonel Feininger“ von Ulrich Luckhardt (München 1998, bei Prestel) gibt eine nach wie vor vorbildliche Einführung in Leben und Werk.

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nommen: Strand, Seebrücke, Bahn- hof. Entlang der aufgefrischten Bä- derarchitektur geht es über Ahlbeck und die sandige Grenze nach Swi- nemünde, das heute in Polen liegt.

Ein Galerist, der den Maler schon von Berufs wegen schätzt, hat gar ein Rennrad der von Feininger be- vorzugten Marke „Cleveland“ auf- getrieben. Ein Maler aus Köln radelt gleichfalls mit. Auch er macht Na- tur-Notizen, zeitgemäß mit der Digi- talkamera. Computer und Drucker hat er im Auto mitgebracht, sodass er abends die ersten Digitalnotizen ausdrucken kann. Zu Hause arbeitet er sie vielleicht aus, ähnlich wie Fei- ninger (der auch die Natur nutzte, aber nicht abmalte), doch nicht in dessen Stil. Der Kölner fühlt sich eher Edward Hopper und David Hockney malverwandt.

Mit Weimar verbanden Lyonel Feininger die Liebe (zu Julia, seiner zweiten Frau) und das Bauhaus (in das Walter Gropius ihn 1919 berief).

An der Ostsee, 1906 auf Rügen, kam der Durchbruch zur „ernsthaften“

Malerei. Ab 1908 zeichnete er auf den Inseln Usedom und Wollin seine Natur-Notizen. 1924 schließlich ent- deckte er Deep (heute Mrzezyno) an der Regamündung. Dort schloss sich

1935 für Feininger auch der deutsche Kreis: Nur noch wenige Bilder ent- standen, sie zeugen, wie der Kunst- historiker Ulrich Luckhardt ver- merkt, von Isolierung und Vereinsa- mung des Malers. Feininger gilt den Nazis als „Kulturbolschewist“.

Zirchow VI wird 1937 im Münche- ner Haus der Kunst als „entartet“

vorgeführt. Aus den Museen werden 468 Feininger-Werke entfernt. 1937 kehrt Feininger mit Frau und Kin- dern nach New York zurück, von wo er 1887, 50 Jahre zuvor, aufgebro- chen war. Ein Deutsch-Amerikaner, der sich trotz allem ein „märchenhaf- tes“ Deutschlandbild bewahrte.

Im Winkel von B 85 und A 4, Aus- fahrt Weimar, liegt Gelmeroda. Das alte Kirchlein mit seinem überspit- zen Turm, aus vielen Feininger- Gemälden bekannt, ist heute „Auto- bahnkirche“ und deswegen tags- über stets offen. Auch hier ist die Realität unscheinbarer als Feinin- gers mystisch überhöhten, kristalli- nen Bilder vermuten lassen. Im In- nern eine anrührende Feininger- Ausstellung. Viele Briefzeugnisse.

In einem erinnert sich der alte Fei- ninger 1952 an seine Radausflüge zu den Dörfern in „märchenhaftem Licht“. „Daß die Dörfer verstaubt,

grau und verkümmert waren, habe ich niemals gesehen, sondern nach Jahren hat mir das jemand gesagt.

Für mich, bis auf den heutigen Tag, waren die Ausflüge so schön, daß ich es gar nicht beschreiben kann.“

(an Hermann Klumpp). Des Nachts wird Gelmerodas Kirche heute zu einer „Lichtskulptur“. Scheinwer- fer werfen Lichtbahnen in den Him- mel. Der Schöpfer, ein örtlicher Ar- chitekt, hat sich an Feiningers Far- ben orientiert: tiefes Blau, schwarz- dunkles Grün, rotbraune Schatten, changierend je nach Luftdichte. Der Fahrer vom Stadtbus Nr. 6, ein Rumäne, sagt, es sei märchenhaft.

Bis in die letzten Jahre hat Lyonel Feininger Thüringer Motive gemalt.

Eins seiner letzten Gemälde gilt in- des dem Meer. Das Bild („Sonnen- untergang“, 1955) zeigt einen Strei- fen tiefblauenWassers mit einem an- gedeuteten Segelboot, darüber ein weiter lichtgelber Himmel, der von Strahlen in hellem Rot durchkreuzt wird, ein Sonnenuntergang, der auch ein Aufgang sein könnte. Statt einer strengen Fuge komponierte Feinin- ger ein heiteres Präludium, verklärte Erinnerung an die Ostseejahre, als er mit der Malerei begann. I Norbert Jachertz Zirchow VII, 1918

Schon 1912 wählte Feininger die Kirche von Zirchow zum Thema eines Gemäldes. In den folgenden Jahren entstanden sieben Fassun- gen, von denen nur noch vier erhalten sind.

Fotos:Norbert Jachertz

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