A2664 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 49⏐⏐5. Dezember 2008
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ie so oft verdanken Histori- ker das Auffinden ihres Ma- terials vielen Zufällen. So auch ge- schehen im Fall des neuesten Werks von Brigitte Hamann über den Lin- zer Allgemeinarzt Eduard Bloch, wofür ihr Originalmanuskripte und Zeugenaussagen fast 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges in den USA zugänglich werden. Wer genau war dieser Armenarzt, der Hitlers Mutter Klara in ihren letzten Lebensjahren bis zu ihrem frühen Tod aufopferungsvoll behandelte und ihr in den letzten Stunden ihres Lebens beim Sterben beistand? Wie kam es, dass derselbe damals 17- jährige Adolf Hitler, der in diesen Jahren des Krebsleidens der Mutter Dr. Bloch bewundert und sehr ver- ehrt hat, später die schlimmsten Ver- brechen an den Juden, Behinderten und Kranken in Europa vornimmt?Als 30 Jahre später den Rechten die Macht in Österreich zufällt und am 30. September 1938 nach dem
„Anschluss“ das Berufsverbot für nicht arische Ärzte ausgesprochen wird, stellt Bloch fest, dass die na- tionalsozialistischen Schergen seine große Familie und ihn unbehelligt von Hausdurchsuchungen und De- mütigungen lassen. Er erfährt, dass Hitler ihn mehrfach lobend als den
„Edeljuden Dr. Bloch“ erwähnt hat.
Was der Historiker Hugo Gold spä- ter lakonisch einen „Treppenwitz in der Weltgeschichte“ nennt, rettet viele in der jüdischen Gemeinde in
Linz vor extremer Verfolgung und dem Tod in den Lagern, erleichtert zahlreichen Juden unter dem direk- ten und indirekten Schutz des Arztes die Flucht ins Ausland, so auch der Großfamilie Bloch und der Schwie- gerfamilie Kafka.
Das sehr reich bebilderte und zu jeder Zeit spannend abgefasste Buch zeigt die ganze Brutalität und Nie- derträchtigkeit des Naziregimes an- hand von einem nahegehenden Ein- zelschicksal auf und folgt schließlich dem Arzt in die Emigration in die Bronx. Ausgehend vom Schicksal der Juden in Linz wird der histori- sche Bogen geschlagen auf die Ge- schichte Österreichs zwischen 1900 und 1945. Besonders unter die Haut geht das Kapitel über die Kinder- transporte nach England. Warum das Schicksal Dr. Blochs schließlich in den USA nach deren Kriegseintritt 1941 hohe Wellen schlägt, als das Medieninteresse an dem Psychopa- then Hitler stark zunimmt, wird im letzten Kapitel lebendig und so ge- schildert, dass der Leser ein gewisses Mitleid mit dem alternden Arzt nicht verhehlen kann. Johann I. Gips Brigitte Hamann:
Hitlers Edeljude.
Das Leben des Armenarztes Eduard
Bloch. Piper, Mün- chen, Zürich 2008, 511 Seiten, gebunden, mit Schutzumschlag, 24,90 Euro Helmut Krausser:
Die kleinen Gärten des Maestro Puccini.
Roman. DuMont Buchverlag, Köln 2008, 382 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 19,90 Euro
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bwohl man so viel von ihm kennt, weiß das breite Publi- kum nicht eben viel über den Men- schen Giacomo Puccini (1858–1924).Krausser, bekannt als Dichter und Romanautor, nimmt die Herausfor- derung an und versucht, in seinem
Dokumentarroman bislang verbor- gene Lebensumstände des Kompo- nisten zu erhellen. Dabei beschränkt er sich auf die zehn Jahre zwischen 1902 und 1912. Drei (neben seiner Frau Elvira) für Puccini wichtige Frauen geben den drei Hauptkapi- teln ihren Namen. Mit Sybil (Selig- mann), der klugen Freundin, und Doria (Manfredi), der unglücklichen Hausangestellten, arbeitet Krausser vor allem historisch Bekanntes er- zählend auf. Mit Cori betritt er indes Neuland in der Puccini-Forschung.
Cori oder Corinna steht für eine der heftigsten und rätselhaftesten Amouren im Leben des Maestro.
Lange hat man vergeblich versucht, ihre Identität aufzudecken. Krausser und der Puccini-Biograf Dieter Schickling glauben nun, anhand neuer Recherchen die reale Corinna gefunden zu haben. Das ist spannend
und vermutlich nah an der Wahrheit, gleichzeitig aber auch Stoff, den der Romanautor Krausser benutzt.
Denn von den zahlreichen Briefen, die Puccini und seine Geliebte sich geschrieben haben, ist kein einziger erhalten. Krausser füllt die Lücken bravourös.
So entsteht das Porträt eines außergewöhnlichen Komponisten und eines gewöhnlichen Mannes.
Mit viel Sinn für Situationskomik beschreibt Krausser etwa, wie Puccinis hohe Ansprüche seine Li- brettisten zur Verzweiflung bringen, und die gewaltige Mühe bei der Ent- stehung der „Madame Butterfly“.
Der Mann Puccini unterhält zeitle- bens außereheliche Affären und kann doch von seiner Gattin nicht lassen. Das ist neben aller Tragik manchmal schlicht komisch. Doch Krausser denunziert seinen Helden nie, und so wächst einem der Mensch Puccini mit all seinen Schwächen ein bisschen ans Herz.
Christof Goddemeier GIACOMO PUCCINI
Viel Sinn für Situationskomik
GESCHICHTE