A2716 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 50⏐⏐12. Dezember 2008
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ass Puccinis Leben weit ins 20. Jahrhundert reichte, ver- setzt auch Musikfreunde immer wieder in Erstaunen – verortet man den Komponisten doch eher in der Nähe des fast 50 Jahre älteren Verdi als an der Schwelle zur Moderne.Dabei gehört er mit Mozart und Ver- di seit Jahrzehnten zu den Meistge- spielten der internationalen Opernli- teratur. Sein Werk ist schmal: zwölf Opern, darunter eine unvollendete („Turandot“), und vier Einakter. In- teressiert und distanziert zugleich verfolgte Puccini, wie Schönberg, Webern und Berg aus dem klassi- schen System ausbrachen. Er selbst blieb der Tonalität bis an ihre Gren- zen treu.
Am 22. Dezember 1858 wird Giacomo Puccini in Lucca geboren.
Seine Vorfahren bestimmen seit mehr als hundert Jahren das musika- lische Leben der Stadt. Der Vater ist
Domorganist und Musikdirektor, auch die Mutter entstammt einer musikalischen Familie. Am Istituto musicale Pacini erfährt Puccini eine gründliche Ausbildung und erwirbt den Titel eines „maestro composito- re“. Er träumt von Reichtum und Ruhm und verdingt sich als Orga- nist in den Kirchen der Stadt. Paral- lel beginnt er zu komponieren.
Seine ersten beiden Opern sind Durchschnittsware („Le Villi“ 1884,
„Edgar“ 1889). Den „Edgar“ wird Puccini sich nie verzeihen. Als er der Londoner Freundin Sybil Seligman Jahre später einen Klavierauszug schickt, paraphrasiert er den Titel als
„E Dio ti GuARdi da quest’opera – Und Gott schütze dich vor dieser Oper“. Doch von der dritten („Ma- non Lescaut“ 1893) an wird jedes Stück ein Welterfolg. Puccini ge- langt allein durch Aufführungstan-
tiemen und Notenverkauf zu aber- witzigem Reichtum. 1919 gibt er mit 11 508 Lire rund drei Prozent seiner Tantiemen beim Finanzamt an – laut Biograf Dieter Schickling gehört der
„exzessive Steuerbetrug“ zum „his- torischen Inventar Italiens“.
Mitte der 1880er-Jahre beginnt Puccini eine Liebesbeziehung mit der verheirateten Elvira Bonturi – im katholischen Italien ein unerhörter Skandal. 1886 wird der gemeinsame Sohn Antonio geboren. Bald darauf verlässt Elvira ihren Mann und lebt fortan mit Puccini zusammen. Heira- ten können die beiden erst nach dem Tod ihres Mannes knapp 20 Jahre später. Die Beziehung ist von Krisen geschüttelt. In einer ununterscheidba- ren Mischung aus Zuneigung, Angst, Überdruss, Sehnsucht, Fluchtwün- schen und Verlangen hängt Puccini an Elvira, deren Geduld er durch
zahlreiche Affären aufs Äußerste strapaziert. Ausgerechnet die un- glückliche Hausangestellte Doria Manfredi ist schließlich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Als sie sich gegen Elviras Beleidi- gungen und Verleumdungen nicht mehr anders zu helfen weiß, nimmt die junge Frau sich 1909 das Leben.
Warum die Uraufführung der
„Madame Butterfly“ am 17. Februar 1904 in der Mailänder Scala ein der- artiges Fiasko war, ist nicht leicht zu sagen. Giulio Ricordis Verlagszeit- schrift berichtet von „Gemecker, Getöse, Gebrüll, Gelächter, Ge- schrei, Hohnlachen“. Die Auf- führung in Brescia drei Monate spä- ter ist dagegen ein überwältigender Erfolg, und „Madame Butterfly“
tritt ihren bis heute anhaltenden Sie- geszug um die Welt an. Zeitlebens beneidet Puccini Richard Wagner, der seine Libretti selbst schrieb. Sei- ne Librettisten treibt er zur Ver- zweiflung, weil er immer wieder verwirft und Änderungen zu erzwin- gen sucht. In Krisenzeiten schläft er nur mit dem Barbiturat Veronal. Er komponiert vor allem nachts, trinkt dabei Kaffee und raucht eine Ziga- rette nach der anderen. Sybil Selig- man bittet er um „Medizin, die die Seele stärkt“ – Kokain, dessen Kon- sum damals weitverbreitet ist und nicht bestraft wird.
Am 29. November 1924 stirbt Giacomo Puccini im Brüsseler In- stitut Chirurgical an einem bösarti-
gen Kehlkopftumor. n
Christof Goddemeier
LITERATUR
1. Schickling D: Giacomo Puccini. Stuttgart 2007.
2. Krausser H: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini. Roman, Köln 2008.
GIACOMO PUCCINI
Der Traum von Ruhm und Reichtum
Vor 150 Jahren, am 22. Dezember 1858, wurde der italienische Komponist in Lucca geboren.
Zeitlebens beneidet Puccini Richard Wagner, der seine Libretti selbst schrieb.
Interessiert und distanziert beobachtete Puccini, wie Schönberg, Webern und Berg aus dem klassischen System ausbrachen. Er selbst blieb der Tonalität treu.
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