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Archiv "Medikamentöser Schwangerschaftsabbruch: Frauen sollten die Wahl haben" (13.12.2013)

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A 2422 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 50

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13. Dezember 2013

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U 486 ist die Laborbezeich- nung für die Abtreibungspille Mifepriston oder Mifegyne. Seit 25 Jahren ist das Medikament auf dem Markt. Es bietet Frauen, die sich für einen Schwanger- schaftsabbruch entscheiden, die Wahl zwischen einem me- dikamentösen oder einem operativen Schwangerschafts- abbruch. RU 486 ist nicht die „Pille danach“, mit der sie häufig verwechselt wird.

Sehr ähnlich im Wirkstoff funktioniert die „Pille danach“

bis zu 72 Stunden lang als eine Art nachträgliche Verhütung.

RU 486 hingegen bewirkt einen Schwangerschaftsabbruch. Zahlrei- che Studien belegen, dass das Me- dikament zusammen mit einem Prostaglandin sehr sicher und wirk- sam ist. Zugleich empfinden die meisten Frauen die Methode als schonender. In vielen Ländern wer- den Schwangerschaftsabbrüche heu- te zu 50–80 Prozent medikamentös durchgeführt. In Deutschland sind es nur etwa 15 Prozent.

Drohung mit Boykott

Die Zahl der Schwangerschaftsab- brüche ist in Europa eher rückläufig, mit der Ausnahme Osteuropa. Ins- gesamt zeigen sich deutlich die Fortschritte in der Prävention uner- wünschter Schwangerschaften und der Förderung wirksamer Verhütung und Familienplanung. Weltweit aber finden laut der WHO jedes Jahr et- wa 22 Millionen unsichere Abbrü- che statt, an denen fast 50 000 Frau- en sterben. Etwa fünf Millionen Frauen sind nach dem Abbruch kurzfristig oder lebenslang gesund- heitlich schwer beeinträchtigt.

„Es ist die Illegalität, das Verbot von Verhütung und Schwanger- schaftsabbruch, das diesen Frauen

zum Verhängnis wird“, sagt der Wiener Arzt und Gründer des Muse- ums für „Verhütung und Schwan- gerschaftsabbruch“ Dr. med. Chris- tian Fiala. Er hat selbst einige Zeit in Afrika gearbeitet. Medizinisch könne den Frauen leicht geholfen werden – zum Beispiel mit dem me- dikamentösen Abbruch.

Mit RU 486 sollte ursprünglich keine Abtreibungspille entwickelt werden. Aber als es erstmals syn- thetisiert wurde, traf es zusammen mit internationalen Überlegungen zur Notwendigkeit einer Geburten- regelung. Der rapide Anstieg der Geburtenzahlen in den Entwick- lungs- und Schwellenländern ließ erstmals Szenarien einer drohenden Überbevölkerung entstehen. Als 1980 die französische Forscher- gruppe um Etienne-Emile Baulieu auf einem Kongress in Jerusalem das neue Molekül vorstellte, interes- sierte nur seine „Nebenwirkung“.

Eigentlich sollte RU 486 in den Ne-

bennieren seine Wirkung entfalten und cortisonbedingte Erkrankungen blockieren. Doch die Forscher stell- ten fest, dass das Molekül noch stär- ker Progesteron hemmt – das Hor- mon, das eine Schwangerschaft überhaupt am Leben hält. Die Wir- kungsweise ist einfach: Das fast bau- gleiche künstliche Molekül wandert schneller durch den Körper als das natürliche Hormon und setzt sich an die Zellen, an die sonst das Progeste- ron andockt. Die Entwicklung des

Embryos wird so gestoppt, die Ge- bärmutterschleimhaut löst sich

und wird mit einer Blutung ab- gestoßen, ähnlich wie bei ei-

nem Spontanabort.

Das kleine Molekül hat- te eine starke gesellschaft- liche Dynamik im Ge- päck, die sich bis heute auswirkt. Ein moralischer Skandal brach über den französischen Pharmakon- zern Roussel-Uclaf herein, als er die Pille 1988 auf den Markt bringen wollte. Welt- weit drohten Abtreibungsgegner mit einem Boykott auch anderer Medikamente der Firma. Der Phar- makonzern fürchtete finanzielle Verluste und nahm das Produkt nach einem Monat wieder vom Markt. Dagegen protestierten die Frauen, und der französische Staat ergriff schließlich ihre Partei. Ende Oktober 1988 verordnete der fran- zösische Gesundheitsminister Clau- de Evin die Wiedereinführung der Abtreibungspille mit den Worten:

„RU 486 gehört moralisch den Frauen dieses Landes“.

Hierzulande wenig bekannt Danach verlangten auch in anderen Ländern Frauen „the french pill“. Es folgen England und Schweden, 1999 wird die Abtreibungspille Mi- fepriston (Mifegyne) europaweit zu- gelassen, 2000 auch in den USA.

Als schonendere Methode von den einen gefeiert, warnten die Gegner vor einem zu leichtgemachten Tö- tungsakt. Der Kölner Kardinal Meisner verglich damals die Abtrei- bungspille sogar mit Zyklon B, dem Vernichtungsgas der Nazis.

Inzwischen haben sich die Wo- gen weitgehend geglättet. Frauen Das Medika-

ment sorgte bei seiner Einführung vor 25 Jahren für kontro- verse Debatten.

MEDIKAMENTÖSER SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH

Frauen sollten die Wahl haben

Vor 25 Jahren wurde die Abtreibungspille Mifepriston (Mifegyne) europaweit zugelassen. Die Kontroversen über ihren Einsatz dauern bis heute an.

Foto: laif

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13. Dezember 2013 A 2423 haben in Westeuropa heute die

Wahl zwischen medikamentösem oder operativem Abbruch. Zahlrei- che Studien belegen einen Wir- kungsgrad von bis zu 98 Prozent, und auch die Akzeptanz und Zufrie- denheit mit der Methode bei den Frauen ist mit 90 Prozent sehr hoch.

2005 nahm die WHO Mifepriston in die Essential Medicine-List auf, was die Bedeutung des Wirkstoffs unterstreicht.

Dennoch ist der medikamentöse Abbruch in Deutschland kaum be- kannt und wird nur selten an - gewandt. In der Schweiz werden 64 Prozent und in

Schweden 80 Prozent aller Schwanger- schaftsabbrüche me- dikamentös durchge- führt. In Deutschland sind es kaum 15 Pro- zent. „Die Frauen wer- den gar nicht darüber

aufgeklärt, dass sie diese Wahl über- haupt haben“, erklärt die Frauenärz- tin und Vorsitzende der Arbeitsge- meinschaft Frauengesundheit, Dr.

med. Maria Beckermann. Viele ihrer Kollegen wüssten selbst nicht darü- ber Bescheid, es gebe kaum Fortbil- dungen zum Thema, und die derzei- tige Handhabung verhindere ganz grundsätzlich eine Ausweitung des Angebots, beklagt die Gynäkologin.

Sehr sicheres Verfahren

Der medikamentöse Abbruch kommt in der Regel nur zu einem frühen Zeitpunkt der Schwanger- schaft infrage. Zunächst durfte die Pille nur bis zur siebten Schwanger- schaftswoche angewandt werden, seit 2007 erlaubt die EU die Zulas- sung bis zum 63. Tag. Anders als beim chirurgischen Eingriff (erst ab der siebten Woche) gibt es keine un- tere Grenze. Die Richtlinien der WHO und Royal College of Obste- tricians and Gynaecologists emp- fehlen den medikamentösen Ab- bruch, sobald der Schwanger- schaftstest positiv ist. „Nach meinen Erfahrungen“, sagt Christian Fiala, der Anfang der 1990er Jahre in Frankreich den Umgang mit den Medikamenten gelernt hat, „kom- men Frauen in den letzten Jahren immer früher in den ersten Wochen

der Schwangerschaft“. Die Frauen seien sehr klar in ihrer Entschei- dung, wenn sie einen Abbruch wün- schen. „Es ist deshalb sicherlich nicht sinnvoll, diese Frauen nach Hause zu schicken und zu warten, bis man die Schwangerschaft im Ul- traschall sehen kann.“ Doch genau das geschehe immer wieder, kriti- siert der Gynäkologe. „Obwohl man weiß, dass frühe Abbrüche sicherer und risikoloser verlaufen.“

Der Verband der Frauenärzte in Deutschland hält den medikamentö- sen Abbruch für keine echte Alterna- tive. Viele Frauen erleb- ten es als „belastend

und traumatisch, wie sie selbst die Frucht unter Wehen und

Schmerzen verlieren“, erklärt der Prä sident

des Berufsverbandes,

Dr. med. Christian Albring. Im Ver- gleich dazu sei die Saugkurettage

„viel weniger traumatisch, für einen längeren Zeitraum zugelassen und sicherer“.

Studien belegen eher das Gegen- teil. Mit 98 Prozent ist der medika- mentöse Abbruch extrem sicher und die hohe Akzeptanz in Ländern, in denen Frauen die Wahlfreiheit haben, spricht für sich. In der Schweiz ent- scheiden sich bis zu 85 Prozent der Frauen für die Abtreibungspille, wenn sie die Wahlmöglichkeit haben.

Negativ erleben Ärzte und Frauen al- lerdings den Zeitfaktor: Die Frau nimmt in der Klinik oder in der Arzt- praxis ein bis drei Tabletten Mifegy- ne. Ein bis zwei Tage später kehrt sie dahin zurück und erhält zwei Prosta- glandintabletten (Cytotec). Diese werden geschluckt oder in die Schei- de eingeführt. Danach bleibt sie min- destens drei bis sechs Stunden zur Beobachtung dort. Etwa 70 Prozent der Frauen stoßen drei bis vier Stun- den nach Einnahme von Cytotec die Frucht aus. Etwa 14 Tagen später müssen die Frauen zur Nachkontrol-

le. Die Kosten der Behandlung sind etwa gleich. Allerdings geht ein chi- rurgischer Eingriff erheblich schnel- ler. Vereinzelt kommt es zu stärkeren Schmerzen als bei der Regelblutung, selten zu einer stärkeren und länger andauernden Nachblutung, häufiger zu Übelkeit. Bei etwa zwei bis drei Prozent der Frauen ist eine Nachkur- retage nötig, weil Mifegyne und Prostaglandin nicht ausreichend ge- wirkt haben.

Frauen entscheiden lassen In Deutschland und den meisten eu- ropäischen Ländern ist der medika- mentöse Abbruch im Rahmen der gesetzlichen Regelungen nur unter ärztlicher Aufsicht und Kontrolle zu- gelassen. Doch seit einigen Jahren setzt sich beispielsweise in England, Frankreich, Schweden, Schweiz oder Österreich in der Praxis ein so- genannter Home-Use durch. Mife- gyne als entscheidender Auslöser wird beim Arzt oder in der Klinik eingenommen, das Prostaglandin (Cytotec) von der Frau selbstständig zu Hause eingenommen. „Das er- leichtert es den Frauen sehr, wenn sie in ihrer gewohnten Umgebung die Ausstoßung erleben“, sagt der Wiener Gynäkologe Christian Fiala.

Seit 2005 entscheiden sich in seiner Praxis 95 Prozent der Frauen dafür.

„Wir haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht und internationale Studien bestätigen das.“

Der medikamentöse Abbruch ist nicht besser oder schlechter als der operative Eingriff. Aber er ist eine Alternative. Und Frauen sollten wohl in einer sowieso psychisch äu- ßerst belasteten Situation selbst ent- scheiden können. Das ist in Deutschland aber oft nicht der Fall.

Es gibt immer noch Kliniken, die einen medikamentösen Abbruch gar nicht durchführen, obwohl es zu ih- rem Versorgungsauftrag gehört. Es darf auch nicht jeder Frauenartz und jede Frauenärztin RU 486 anbieten.

Das dürfen nur Ärzte, die auch ei- nen operativen Eingriff vornehmen.

„Das hat überhaupt keinen medizi- nischen Hintergrund“, kritisiert Ma- ria Beckermann. „Das ist einfach ei- ne Form von Beschränkung, von Kontrolle über die Methode.“

Doris Arp

Die Frauen werden gar nicht darüber aufgeklärt, dass sie diese Wahl überhaupt haben.

Maria Beckermann, Frauenärztin

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