Curriculum des hausärztlichen Fortbil- dungsinstituts eine gesonderte Qualifika- tion erhalten. „Anders als im Ausland wollen wir das bewusst selbst in die Hand nehmen, damit keine Parallelstrukturen zur ärztlichen Versorgung aufgebaut werden“, sagt Nick.
Auch auf anderen Gebieten ist ein Um- denken dringend notwendig. „Wir brau- chen einen Wechsel unserer Vorsorgephi- losophie“, fordert Prof. Dr. Gerald Kolb.
Die steigende Lebenserwartung wird nach seiner Darstellung zu einer Zunah- me der Inzidenz bösartiger Erkrankungen führen. Doch alte Tumorpatienten seien schlecht versorgt. Senioren würden zu- dem nicht ausreichend in Präventionsstra- tegien einbezogen. Als Beispiel nennt Kolb das Mammographie-Screening.
Immer noch bestünden zudem Vorur- teile, dass sie nicht von einer Tumorbe- handlung profitierten. Nach Kolbs Dar- stellung ist dies aber falsch, sofern man auf altersspezifische Reaktionen achtet, zum Beispiel auf eine andere Ausschei- dungskapazität der Medikamente oder
auf eine erhöhte Myelotoxitität bei über 70-Jährigen. Das Alter sei „der größte Risikofaktor, keine adäquate Therapie zu bekommen“, kritisiert Kolb. Aller- dings weist er auch darauf hin, dass eine optimale Tumortherapie bei alten Men- schen teuer ist.
Alternde Gesellschaft lässt Ausgaben kaum steigen
Ob und wie Pflege-WGs, die umfassende Versorgung chronisch Kranker und sehr viel längere Rentenzahlungen für alte Menschen zu finanzieren sind, wird seit Jahren diskutiert (siehe „Nachgefragt“).
Nicht ohne Grund sind die Unterhändler der angestrebten großen Koalition immer noch nicht zu einem Reformkonzept für die sozialen Sicherungssysteme gekom- men. IGES-Direktor Prof. Dr. Bertram Häussler hebt hervor, dass über die Fol- gen des demographischen Wandels fürs Gesundheitswesen sehr viel unklare und falsche Vorstellungen bestünden. Nach
seiner Darstellung lassen sich nur 1,5 Pro- zent des jährlichen Ausgabenzuwachses im Gesundheitswesen auf die alternde Gesellschaft zurückführen. „Die Ratio- nierungsdiskussionen mit Blick auf Älte- re sind aus diesem Grund völlig unange- messen“, betont Häussler. Ein viel größe- rer Kostenfaktor ist hingegen der medizi- nische Fortschritt. Dass davon vor allem die Älteren profitieren, ist nach Ansicht von Häussler nicht belegt. Das Problem der Gesetzlichen Krankenversicherung seien nicht „die Alten“, sondern die Ein- nahmeschwäche durch die wirtschaftliche Flaute, findet Häussler. Gesundheitspoli- tik solle deshalb nicht bei Kürzungen zu- lasten alter Menschen ansetzen, sondern bei einer Stärkung der Einnahmen.
Für welches Modell auch immer sich eine neue Bundesregierung entscheidet:
In Zukunft wird ein hohes Lebensalter bei relativ guter Gesundheit wohl nur zu erreichen sein, wenn jeder nach seinen Möglichkeiten in kollektive Sicherungs- systeme oder Steuertöpfe einzahlt und zugleich privat vorsorgt. Gleichzeitig wird die Lebenswirklichkeit alter Men- schen von Gegensätzen geprägt sein:
Überzeugende Präventionsprojekte und neuartige Versorgungskonzepte einer- seits, Rationierung, Altersarmut und Al- terssuizide****andererseits.
Vor einer Dramatisierung der Vorher- sagen warnt allerdings Gerd Bosbach, Professor für Statistik, Mathematik und Empirik an der Fachhochschule Ko- blenz. Selbst wenn die Modellrechnun- gen der Statistiker Wirklichkeit würden, müsse es nicht zwangsläufig zu Wohl- standsverlusten in Deutschland kom- men. So seien „Strukturbrüche“ nicht vorhersagbar. Zwangsläufig hätte man 1950 bei einer Schätzung für das Jahr 2000 etwa die Entwicklung der Anti-Ba- by-Pille oder die Anwerbung von auslän- dischen Arbeitskräften und schließlich die Öffnung der Grenzen im Osten nicht miteinbeziehen können. „Noch deutli- cher wird die Problematik, wenn wir an- nehmen, im Jahre 1900 sei eine 50-Jahres- Prognose gewagt worden“, sagt Bosbach.
„Es wären schlicht zwei Weltkriege über- sehen worden.“ Samir Rabbata, Sabine Rieser P O L I T I K
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A3072 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 45⏐⏐11. November 2005
DÄ:Die absehbaren Ver- änderungen im Altersaufbau der Bevölkerung wirken sich auf die sozialen Sicherungs- systeme aus. Die ärztlichen Versorgungswerke gelten als vorbildlich aufgestellt. Ist das so?
Jung:Es ist noch so. Alle berufsständischen Versor- gungswerke verwenden ein kapitalbildendes Finanzie- rungssystem, das es erlaubt, Schwankungen im demogra- phischen Aufbau durch Ka- pitalbildung auszugleichen.
Allerdings müssen auch die Versorgungswerke die Län- gerlebigkeit ihrer Mitglieder finanzieren. Untersuchun- gen haben zuletzt zu dem Ergebnis geführt, dass die Lebenserwartung von Ärz- tinnen und Ärzten, aber auch von Angehörigen an- derer Freier Berufe im Schnitt um drei Jahre höher liegt als bei der Allgemein- bevölkerung. Man muss des-
halb davon ausgehen, dass die Dynamik der Rentenan- wartschaften und Renten in Zukunft geringer ausfallen wird als früher.
DÄ: Die Renten werden also geringer steigen, aber sie werden nicht gekürzt?
Jung:Kürzungen würde ich gegenwärtig ausschließen, aber es kann durchaus Null- runden geben. Es kommt darauf an, wie die jüngst er-
hobenen Sterblichkeitser- gebnisse ausfallen und wie sich die Zinsen entwickeln.
Wenn die Aktienmärkte gut laufen oder sich höhere Zin- sen einstellen, ist eine erhöh- te Lebenserwartung natür- lich leichter zu finanzieren.
DÄ:Die ärztlichen Versor- gungswerke sind ja nicht nur vom demographischen Wan- del betroffen, sondern auch von unregelmäßigeren Er- werbsbiografien und auch von schwankenden Einzah- lungen . . .
Jung: Wenn in Zukunft Ärztinnen und Ärzte geringe- re Beiträge leisten, weil sie nur unregelmäßig arbeiten oder teilzeitbeschäftigt sind, wirkt sich das auf ihre Ren- tenhöhe aus. Denn die Rente vollstreckt die gezahlten Beiträge. Wenn keine Beiträ- ge gezahlt werden, werden auch keine Leistungsan- sprüche generiert. ) Diplom-Kaufmann Michael
Jung (54 Jahre) ist Hauptge- schäftsführer der Arbeits- gemeinschaft berufsständi- scher Versorgungswerke
Foto:privat
Nachgefragt
****Die Broschüre „Wenn das Altwerden zur Last wird.
Suizidprävention im Alter“ kann im Internet unentgelt- lich angefordert werden unter: publikationen@bundes regierung.de