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Archiv "Arzneimittelindustrie: Selbstkontrolle als Feigenblatt" (29.08.2005)

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autstarke Proteste hagelte es aus den Reihen der Ärzteschaft, als Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) im Zuge der letzten Ge- sundheitsreform einen „Korruptionsbe- auftragten im Gesundheitswesen“ beru- fen wollte. Der Vorwurf, ausschließlich für Ärzte ein solches Amt einzurichten, sorgte zwar dafür, dass ein entsprechen- der Passus nicht ins GKV-Modernisie- rungsgesetz aufgenommen wurde. Ganz ließ Schmidt jedoch nicht von ihrer Idee ab: Sie verpflichtete die Kassenärztli- chen Vereinigungen (KVen) und die Kas- senärztliche Bundesvereinigung (KBV) per Gesetz dazu, „Stellen zur Bekämp- fung von Fehlverhalten im Gesundheits- wesen“ einzurichten (§ 81 a SGB V).

Ende des Jahres müssen die Vorstände der KVen erstmals ihrer zuständigen Aufsichtsbehörde berichten, in wie vie- len Fällen außenstehende Personen sich wegen Unregelmäßigkeiten oder Miss- brauchsvorwürfen im Zusammenhang mit KV-Aufgaben an die Korruptions- stellen gewandt haben.

Bislang liegt die Zahl der geäußer- ten Verdachtsfälle bei einigen Kas- senärztlichen Vereinigungen zwar im zweistelligen Bereich, so bei der KV Sachsen oder der KV Bayerns. Aller- dings handelt es sich nach Meinung ihrer Korruptionsbeauftragten bei den mei- sten Meldungen nur um Formalitäten, die schnell geklärt werden könnten. Der klassische Fall: „Patienten wenden sich an mich, die eine Rechnung von ihrem Arzt bekommen haben, aber nicht wis- sen, für welche Leistung“, erläutert der Korruptionsbeauftragte bei der KV Sachsen, Falk Kluge. Häufig gingen auch Hinweise auf angeblich falsche Arznei- mittelabrechnungen ein, oder Patienten waren skeptisch, weil ihr Arzt auffallend häufig privat abgerechnet hatte.

In anderen KVen wie der Schleswig- Holsteins (KVSH) oder der Westfalen-

Lippes blieb das Amt bislang ungenutzt.

„Es ist zwar richtig, sich gegen Korrup- tion zu engagieren“, sagt KVSH-Spre- cher Robert Quentin. Dass die Stellen jedoch über die Plausbilitätsprüfungen der KVen einen zusätzlichen Nutzwert haben, kann Quentin nicht bestätigen.

Auch der ehemalige KBV-Vorsitzende, Dr. med. Manfred Richter-Reichhelm,

sah nur einen begrenzten Nutzen in den Einrichtungen. Zumindest eine Neue- rung brächten die „81er-Stellen“ mit sich: die Berichtspflicht.

In wenigen Fällen kommen die je- weiligen Korruptionsbeauftragten – meist sind es Mitglieder des Vorstands oder Justiziare – zu dem Ergebnis, dass ein Anfangsverdacht auf strafbare Hand- lungen sich tatsächlich bestätigt. So wurden bei der KV Sachsen etwa 50 Fälle gemeldet, in denen Ärzte angeb- lich Leistungen bei bereits Verstorbe- nen abgerechnet hätten. „Bewahrheitet haben sich 20 Prozent“, sagt Kluge. Bei solchen Vorgängen – also Fällen „mit nicht nur geringfügiger Bedeutung für die Gesetzliche Krankenversicherung“

(§ 81 a Absatz 4 SGB V) haben die Kor- ruptionsbeauftragten umgehend die P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 34–35⏐⏐29. August 2005 AA2279

Korruptionsbekämpfung

Beauftragte in jeder KV

Ob die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen Sinn machen, bleibt umstritten.

Um den Vorwurf der unlaute- ren Beeinflussung von Ärzten durch die Pharmaindustrie zu entkräften, hatte der Verband Forschender Arzneimittelher- steller (VFA) im Februar 2004 den Verein „Freiwillige Selbst- kontrolle für die Arzneimittel- industrie“ gegründet. In Fäl- len, in denen die Grenzen legi- timer Formen der Zusammen- arbeit von Ärzten und der In- dustrie überschritten werden, soll der Verein seitdem aktiv werden und Verstöße gegen den „Benimmkodex“ ahn- den. Die Wirkung dieser Ein- richtung tendiert nach den Er- fahrungen von Oberstaatsan- wältin Regina Sieh, München, jedoch gegen null. „Für mich ist die freiwillige Selbstkon- trolle des VFA nicht mehr als ein Feigenblatt, um ein ausge- klügeltes System der Beein- flussung von Ärzten zu ver- decken“, sagte Sieh beim 6.

Lüneburger Sicherheitsforum, das der Korruptionsbekämp- fung in der Pharmaindustrie gewidmet war.

Prof. Dr.Wolf-Dieter Ludwig von der Arzneimittelkommis- sion der deutschen Ärzte- schaft, Berlin, mahnte die Ärz- te zur Vorsicht im Umgang mit der Industrie. Ohne Zweifel verfolge die pharmazeutische Industrie Eigeninteressen, die nicht den Interessen der Pa- tienten, sondern in erster Li- nie der Gewinnmaximierung dienten. Ludwig: „Sich dieser Tatsache bewusst zu sein, ist ein erster Schritt zu einer ak- zeptablen Interaktion mit ei- nem industriellen Sponsor.“

Ob ein Geschenk oder eine fi- nanzielle Zuwendung ethisch vertretbar sei, könne der Arzt an einer Reihe von Fragen prüfen: Was würden meine Patienten von dieser Verein- barung denken? Wie würde ich mit einer Veröffentli- chung der Geschäftsbezie- hung durch die Medien um- gehen? Was ist der Sinn der Zuwendung oder des Ge- schenks? Was würden meine Kollegen von dieser Vereinba- rung denken? Was würde ich

denken, wenn mein Arzt ein solches Angebot annähme?

Nach Schätzungen von Transparency International (TI) liegt der jährliche Schaden, der dem deutschen Gesund- heitswesen durch Bestechung entsteht, zwischen sechs und 20 Milliarden Euro. Die Zahl ist allerdings umstritten – han- delt es sich doch nur um die Hochrechnung einer interna- tionalen Schätzung. Um die Korruption einzudämmen, for- derte Dr. Anke Martiny, stell- vertretende Vorsitzende von TI Deutschland, mehr Transpa- renz. Martiny: „Verhaltensre- geln und funktionierende Sanktionen müssen dadurch greifen, dass weitestgehende Öffentlichkeit das Risiko ver- stärkt, durch Fehlverhalten aufzufallen.“ Die freiwillige Selbstkontrolle der Arzneimit- telindustrie zeige diesbezüg- lich deutliche Mängel, betonte Martiny. So werde die Rüge für ein Pharmaunternehmen erst in dritter Instanz öffentlich ge- macht. Jens Flintrop

Arzneimittelindustrie

Selbstkontrolle als Feigenblatt

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Staatsanwaltschaft zu unterrichten. Die- se nimmt die Ermittlungen auf und er- stattet Anzeige.

Um in begründeten Verdachtsfällen schneller mit Ärzten, Krankenkassen oder der zuständigen Staatsanwalt- schaft beratschlagen zu können, richtete die KV Saarland einen „Runden Tisch“

ein. „Jetzt kennen wir untereinander die jeweiligen Ansprechpartner mit Namen und können bei Bedarf besser reagie- ren“, betont Dr. med. Gunter Haupt- mann. Der Vorstandsvorsitzende der KV Saarland verweist auf die Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Rezeptbe- trug mehrerer saarländischer Ärzte und Apotheker Anfang des Jahres. Das sei ausschlaggebend für das weitergehende Engagement der KV gewesen.

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) setzte nicht nur bei den KVen Betrugsbekämpfung auf den Plan:

Auch Krankenkassen – sowohl die Lan- desverbände als auch die Spitzenver- bände – verpflichtete die Ministerin mit In-Kraft-Treten der Gesundheitreform in § 197 a SGB V dazu, „organisatorische Einheiten“ einzurichten, die „Fällen und Sachverhalten nachzugehen haben, die auf Unregelmäßigkeiten oder rechtswid- rige oder zweckwidrige Nutzung von Finanzmitteln“ hindeuten.

Die Kassen betrachten die gesetz- liche Verpflichtung als sinnvoll: „Die Korruptionsbekämpfung wird bei der AOK durch die neue Verankerung noch ernster genommen“, ist sich der Koordi- nator für Fehlverhaltensbekämpfung in- nerhalb der AOK, Dr. Michael Jeschke, sicher. Jeschke, der sich seit mehreren Jahren mit Betrug im Gesundheitswe- sen beschäftigt, gehört auch der Arbeits- gemeinschaft Abrechnungsmanipulati- on der Spitzenverbände der Kranken- kassen an – einer Einrichtung, die sich seit 1998 um Betrugsfälle in allen Lei- stungsbereichen kümmert.Als Reaktion auf die geänderte Gesetzeslage stockte die AOK sowohl innerhalb ihrer 17 re- gionalen Kassen als auch beim Bundes- verband personell auf. Auch in der Zen- trale der Deutschen Angestellten-Kran- kenkasse wurde ein Team eingerichtet, das ausschließlich Verdachtsmomenten nachgeht. Darüber hinaus berief die Kasse in jedem ihrer 15 Vertragsberei- che einen Ansprechpartner für Korrup- tionsfälle. Martina Merten

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A2280 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 34–35⏐⏐29. August 2005

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ie Hoffnung, dass sich die wirt- schaftliche Lage zum Herbst hin deutlich bessern könnte, hat einen Dämpfer erhalten. Das Bruttoinlands- produkt, also die Wertschöpfung im In- land, ist im zweiten Quartal 2005 nicht mehr gewachsen, nachdem es im ersten Quartal noch um 0,8 Prozent gestiegen war. Das signalisiert wirtschaftliche Stagnation, die sich auf der Einnahmen- seite der Sozialversicherungen nieder- schlägt. Dagegen steht, dass sich die Stimmung in der Industrie in den bei- den letzten Monaten deutlich verbes- sert hat, dass in wichtigen Branchen die Aufträge auch aus dem Inland zuge- nommen haben und dass auch der Ex- port weiter steigt. Das trägt zur Stabili- sierung der Konjunktur bei.

Wirtschaftliche Erholung in Amerika und Asien

Die Stagnation im zweiten Quartal be- stätigt die eher skeptischen Erwartungen der Konjunkturexperten, dass im laufen- den Jahr das Wachstum deutlich weniger als ein Prozent erreichen wird. Wenn der Kanzler und sein Wirtschaftsminister Optimismus verbreiten, so hat das mehr mit dem Wahlkampf als mit den harten Fakten zu tun. Richtig ist wohl nur, dass ein wirtschaftlicher Abschwung nicht zu befürchten ist. In Amerika, Asien und ei- nigen Euro-Ländern beschleunigt sich das Wachstum wieder. Die deutschen Ex- porteure profitieren von der Abwertung des Euro. Auch weckt die Zunahme der Aufträge bei Investitionsgütern aus dem Inland die Hoffnung, dass der Stagnation eine konjunkturelle Erholung folgen könnte. Die Binnennachfrage nach Indu- striegütern scheint sich zu beleben. Vom Konsum gehen aber nach wie vor keine Impulse aus.

Viele Unternehmen haben in den letz- ten Jahren ihre Wettbewerbsfähigkeit

und Rentabilität durch Rationalisierung der Produktion, durch neue Produkte und vor allem durch die Entlassung von Arbeitskräften erheblich verbessert.Was aus unternehmerischer Sicht richtig und notwendig war, führte gesamtwirtschaft- lich zu einer abnehmenden Zahl von Vollzeitarbeitskräften und zum Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Dieser Prozess ist offensichtlich noch nicht beendet.

Kurzfristig kann jedenfalls nicht mit ei- ner Abnahme der Arbeitslosigkeit ge- rechnet werden. Diese würde nicht nur Wachstumsraten von mehr als zwei Pro- zent und die Ausweitung der Produkti- onskapazitäten, sondern auch eine wei- tergehende Flexibilisierung des Arbeits- marktes voraussetzen. Dazu zählen Ein- schränkungen beim Kündigungsschutz und Möglichkeiten für die Unterneh- men, sich zumindest im Fall der existenzi- ellen Gefährdung aus den Tarifbindun- gen zu befreien. Ob es zu solchen Refor- men kommt, hängt auch vom Ergebnis der angestrebten Neuwahl ab, über die das Verfassungsgericht in diesen Tagen entscheidet. Nur die Union und die FDP sind, wie die Wahlprogramme zeigen, zu solchen Reformen bereit.

Belastend für die Konjunktur ist der dramatische Anstieg der Ölpreise. Er treibt die Energiekosten hoch und bindet Kaufkraft.Auch der schwächere Euro be- schleunigt den Preisanstieg. Die Regie- rung wünscht noch niedrigere Zinsen, doch die Europäische Zentralbank hält am Diskontsatz von zwei Prozent fest.Die Stabilität der Währungsunion wird jedoch latent durch die übermäßige Ausweitung der Geldmenge im Euro-Raum und die Schuldenpolitik wichtiger Euro-Länder untergraben.

Die Stagnation im zweiten Quartal könnte zu einer Erhöhung der Defizite in allen öffentlichen Kassen führen und den Zwang zur Konsolidierung ver- schärfen. Das gilt für die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen, aber

Konjunktur

Das Wachstum macht Pause

Eine bessere Finanzlage der Sozialversicherung ist nicht in Sicht.

Von der Steuerpolitik kommen kurzfristig keine Impulse.

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