Palliativmedizin
Finanzmittel reichen aus
Stiftung: Hospizarbeit soll Teil der Regelversorgung werden.
R
und 60 Prozent der jähr- lichen Gesundheitsausga- ben von 218 Milliarden Euro würden für Schwerstkranke und Sterbende ausgegeben.„Warum“, fragte der Ge- schäftsführende Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, vor Journali- sten in Düsseldorf, „gibt es bei diesen Zahlen keine ad- äquaten Angebote?“ Brysch machte die Politik der rot- grünen Bundesregierung da- für verantwortlich, dass der Anteil der Hospiz- und Pal- liativ-Care-Angebote nur bei 4,3 beziehungsweise 2,1 Pro- zent liegt, obwohl inzwischen rund 40 Prozent der Bevölke- rung eine umfassende pflege- rische, psychosoziale und me- dizinische Betreuung am Le- bensende in Anspruch neh-
men. Die Politik sei eher plan- wirtschaftlich als marktwirt- schaftlich ausgerichtet.
Die Deutsche Hospiz Stif- tung forderte, die Gesund- heitsausgaben umzustruktu- rieren. Hospizarbeit und pal- liative Pflege müssten Be- standteil der Regelversorgung werden und bestehende Netz- werke in Krankenhäusern,Al- ten- und Pflegeheimen oder zu Hause ausgebaut werden. Die vorhandenen finanziellen Mit- tel reichten dafür aus, jedem Patienten eine angemessene Versorgung zu ermöglichen.
Zurzeit kostet Brysch zufolge die Behandlung von Sterben-
den 420 Euro täglich. Dabei komme oftmals eine Maxi- maltherapie, nicht aber gute Sterbebegleitung heraus. Ta- gesbudgets für Schwerstkran- ke von 250 Euro in den letzten zwölf Monaten ihres Lebens reichten hingegen aus, um eine selbstbestimmte Wahl der Leistungen zu er- möglichen.
Die Gesundheitspolitik komme außerdem langfristig nicht umhin, Palliativ-Care mindestens für vier Monate in die diagnosebezogenen Fall- pauschalen der Krankenhäu- ser zu integrieren. „Anson- sten steht bei schwerstkran-
ken Patienten ein regelmäßi- ger Wechsel zwischen zu früh- zeitigen Entlassungen und er- neuten Einweisungen bevor, Höhercodierungen werden die Regel, und die Patienten werden zwischen Kranken- haus und ambulanter Versor- gung hin- und hergescho- ben“, sagte Brysch.
Um Reformen voranzu- treiben, sei es zudem notwen- dig, das Thema Sterben zu enttabuisieren. Auch bei den Ärzten sei eine Änderung im Denken notwendig, forderte Monika Schweihoff, Ärztin in der Deutschen Hospiz Stif- tung. „Ärzte können es wegen des medizinischen Fortschritts schwer annehmen, wenn über- haupt jemand stirbt“, sagte sie. Schweihoff forderte von der Politik, Palliativ-Care als prüfungsrelevantes Fach in die Ausbildung von Medi- zinstudierenden und Pflege- personal aufzunehmen. Au- ßerdem müsse die Weiterbil- dung zum Facharzt für Pal- liative Medizin eingeführt werden. Dadurch werde es ermöglicht, schwer kranke Pa- tienten auch in eigener Pra- xis zu beraten und dies ab- zurechnen.
A K T U E L L
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 34–3525. August 2003 AA2189
Chemo- und Strahlentherapie
Steroidhormone kontraproduktiv
H
aarausfall, Übelkeit und Erbrechen sind unerwünschte Nebenwirkun- gen einer Chemo- oder Strahlenthera- pie, die sich durch Glucocorticoide mil- dern lassen. Ihre adjuvante Gabe gilt als unverzichtbar in der Krebsbehand- lung. Doch dieses Therapiekonzept muss möglicherweise bei bestimmten Krebsarten überdacht werden. Dies lässt sich aus den Forschungsergebnis- sen schließen, die Dr. Ingrid Herr, Prof. Klaus-Michael Debatin und Prof.Magnus von Knebel Doeberitz vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg in Cancer Research (2003;
63: 3112–3120) veröffentlicht haben.
Die Wissenschaftler stellten fest, dass Glucocorticoide Tumorzellen von Cer-
vix-und Bronchialkarzinomen gegen die Krebsbehandlung resistent ma- chen.
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lucocorticoide wirken sich positiv auf das Allgemeinbefinden der Pa- tienten während einer Therapie aus.Zudem lösen diese Steroidhormone bei Leukämiezellen den programmier- ten Zelltod (Apoptose) aus und unter- stützen somit den Therapieerfolg. Dies ist jedoch nicht bei soliden Tumoren ganz der Fall – im Gegenteil: Ge- bärmutterhals- und Lungenkarzinome wachsen unter Glucocorticoidhormo- nen sogar schneller. An Zellkulturen und bei Tierversuchen mit Mäusen untersuchte Herr, wie der Wirkstoff Dexamethason auf molekularer Ebene in die Signalkaskade des programmier- ten Zelltods eingreift. Sie fand heraus, dass das Glucocorticoid direkt und indirekt die Aktivität vieler Signal- moleküle beeinflusst und auch zwei entscheidende Komponenten – die
Caspase-8 und Caspase-9 – hemmt. Die Blockade dieser Enzyme ist offensicht- lich der Hauptgrund dafür, dass die Zellen solider Tumoren nicht mehr auf die Therapie ansprechen. Diese An- nahme hat Herr mit einer weiteren Un- tersuchung bestätigt: Bringt man die Gene der Caspasen oder ihre funkti- onsfähigen Produkte in die Tumorzel- len ein, so werden diese wieder emp- fänglich für das Apoptosesignal und sterben ab.
B
islang sind die molekularen Abläufe dieser Vorgänge nicht im Einzelnen geklärt, und klinische Untersuchungen müssen sich anschließen; dennoch könnten die Ergebnisse weitreichende Auswirkungen auf den Einsatz von Glucocorticoiden in der Krebsbehand- lung haben. Herr und Kollegen über- prüfen jetzt die Wirkung von Glucocor- ticoiden bei jeder einzelnen Krebsart, um eine differenzierte Aussage ma-chen zu können. EB
Akut
Hospizarbeit – eine umfassende pflegerische, psychosozia- le und medizinische Betreuung am Lebensende Foto: KNA