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Archiv "...Johann Peter Frank: Vom Arzt zum Gesundheitspolitiker" (14.07.2003)

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r gehört zu den prominen- testen Ärzten der Auf- klärungszeit, gilt als Weg- bereiter der Sozialmedizin und hat mit seinem Haupt- werk, dem „System einer voll- ständigen medizinischen Poli- zey“ den allgemeinen Ge- sundheitszustand der Bevöl- kerung zum Politikum ge- macht. Seine internationale Karriere führt Johann Peter Frank von Göttingen in die Österreichische Lombardei, nach Wien, Wilna und St. Pe- tersburg. Doch schon kurz nach der Französischen Revo- lution erlahmt in den Staaten des Ancien Regime das Inter- esse an einer Verbesserung der Gesundheitsversorgung.

Johann Peter Frank kam 1745 als Sohn eines Kauf- manns in Rodalben bei Pir- masens zur Welt. Er studierte Medizin in Heidelberg und Straßburg, setzte sich mit den Schriften Rousseaus aus- einander und wurde nach seinem Examen Land- arzt in Lothringen. Es ist die unruhige Zeit vor der Französischen Re- volution. Einige eu- ropäische Fürsten sympathisieren mit den Idealen der Auf- klärung, und es ent- wickelt sich ein neuartiges obrigkeit- liches Interesse an der Bevölkerung.

Mitte des 18. Jahr- hunderts häufen sich die Äußerungen von Staatswissenschaftlern und Ärzten zur „Po- litiae medicae“, aus de- nen dann 1771 der Jenaer Professor Christian Rick- mann als erster die Notwen- digkeit ableitete, dass ein Arzt eine „vollständige medi- cinische Policey“ vorlegen solle. Diese neue Disziplin sollte sich mit allem befassen,

was die öffentliche Gesund- heit beeinflussen konnte und wirksame Konzepte ent- wickeln, wie sie verbessert werden könnte. Damit hatte Rickmann das Programm for- muliert, auf das sich Johann Peter Frank mit Leidenschaft stürzte. Er machte sich daran, den Begriff der medizinischen Polizei wie kein anderer vor ihm mit Inhalt zu füllen.

Dieses Vorhaben begleitete ihn durch sein weiteres Leben und ließ ihn sechs Bände ver- fassen, die in epischer Breite alle Aspekte des Menschenle- bens, buchstäblich von der Wiege bis zur Bahre, behandeln und jeweils aus-

führen, was Ärzte mit ihrem Sachverstand überwachen und kontrollieren sollten. Die Ob- rigkeiten benötigen danach zwingend das Know-how von Ärzten. Nur mit deren Hil- fe können sie in ihren Terri- torien eine nicht mehr nur bei Seuchen hastig zusam- mengerufene, sondern perma- nente und staatliche Gesund- heitsverwaltung installieren.

Eine Behörde, die nicht nur jedem Menschen bei Bedarf Zugang zu ärztlicher Behand- lung garantiert, sondern den Arzt als Kontrollinstanz bis hinein in intimste Vorgänge in den Familien einsetzt, um so zum Beispiel ge- heime Abtrei- bungen

und

Kindstötungen zu verhindern.

Frank engagiert sich auch für einschneidende Verände- rungen des Medizinstudiums und fordert eine praxisorien- tierte Ausbildung, zu der früh auch die Übernahme von Aufgaben am Krankenbett gehörte. Bereits der 1779 er- schienene erste Band des

„Systems einer vollständi- gen medizinischen Polizey“

machte Frank berühmt und wurde zur Initialzündung sei- ner internationalen Karriere.

Der autoritäre Anspruch in Franks Konzept dürfte die Obrigkeiten im Zeitalter des Absolutismus wenig gestört haben. Überdies, so verteidigt sich Frank gegen Kritik, ent- halte die Medizinische Poli- zey „nichts, was vernünftige Bürger als Sklaven der ge- setzgebenden Ordnung könn- te ansehen machen, welche blos Sorge heget und ihren Kindern das Messer entzieht, womit sie sich gefährlich ver-

letzen könnten“.

Die Regierenden waren jedoch nur begrenzt bereit, die weitreichenden und teuren Vorschläge in die Tat umzusetzen. Das er- fuhr Frank, nachdem er von Joseph II. den Lehr- stuhl für Praktische Me- dizin an der Universi- tät Pavia in der damals habsburgischen Lom- bardei erhalten hatte und damit ein „Experi- mentierfeld“, auf dem er sein im „System“ darge- legtes Reformprogramm erproben konnte.

Zehn Jahre blieb Frank in Pavia und erhielt neben der Professur bald auch die Leitung des Medizinischen Direktorats. Diese Kontroll- behörde hatte in anderer Form bereits bestanden, wur- de von Frank aber entschei- dend umstrukturiert: Der V A R I A

Johann Peter Frank

Vom Arzt zum Gesundheitspolitiker

Eine europäische Karriere zwischen Aufklärung, Revolution und Reaktion

Überdies, so verteidigt sich Frank gegen Kritik, ent- halte die Medizinische Polizey „nichts, was vernünfti-

ge Bürger als Sklaven der gesetzgebenden Ordnung könnte ansehen machen, welche blos Sorge heget und ihren Kindern das Messer entzieht, womit sie sich ge-

fährlich verletzen könnten.“

Medizingeschichte

Foto:Christian Brandstätter-Verlag,Wien

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 28–2914. Juli 2003 AA1951

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„ärztliche Direktor“ wurde gewissermaßen zum absoluti- stischen Herrscher über Ärz- te, Chirurgen, Apotheker und Hebammen. Das Direktori- um wandelte sich von einer auf Konsens bedachten Be- rufsständeversammlung zum hierarchischen Kontrollappa- rat, der außer der öffentlichen Gesundheit auch die in den Heilberufen Tätigen ständig beobachten sollte – jedenfalls theoretisch.

Nach mehreren Reisen durch die Lombardei erar- beitete Frank Pläne zur sy- stematischen, flächendecken- den Einrichtung von Land- arztstellen und -kranken- häusern in der Lombardei.

Außerdem sollte eine neue Hebammenschule die hohe Mütter- und Säuglingssterb- lichkeit verringern helfen. Er konnte sich bei diesen Pro- jekten auf Vorarbeiten seines italienischen Vorgängers Giu- seppe Cicognini stützen, wie er überhaupt in der Lombar- dei keine gesundheitspoliti- sche „Wüste“, sondern eine im europäischen Vergleich weit entwickelte Seuchen- überwachung sowie Ansätze zu ländlicher Gesundheits- versorgung antrifft. Das wa- ren gute Voraussetzungen, um aus der norditalienischen Region ein gesundheitspoliti- sches Vorzeigeterritorium zu entwickeln. Doch es kam an- ders.

Die bis ins Detail ausgear- beiteten Reformpläne wur- den allesamt nicht realisiert und ihr Scheitern von der kai- serlichen Regierung in Wien mit den zu hohen Kosten er- klärt. Maßgeblich waren aber vermutlich politische Grün- de: 1790 starb Joseph II. Sei- ne Nachfolger auf dem öster- reichischen Thron, Leopold und Franz II, teilten die aufklärerischen und philan- thropischen Ambitionen Jo- sephs nicht. Außerdem hatte sich die politische Lage mit der Französischen Revolu- tion dramatisch geändert, Krieg drohte, und die italieni- schen Besitzungen der Habs- burger unweit der französi- schen Grenze waren beson- ders gefährdet.

Von Rousseaus Abhand- lung „Discours sur l’inéga- lité“ inspiriert, hielt Frank 1790 in Pavia seine Rede

„Vom Volkselend als der Mutter der Krankheiten“.

Krankheiten sind darin nicht göttliches Schicksal, sondern in der Mehrheit durch die nicht naturgemäße Lebens- weise der Menschen verur- sacht. Besonders eindringlich beschreibt Frank aus eigener Anschauung die Zusammen- hänge zwischen Mangeler- nährung, ungesunden Wohn- verhältnissen und vielen Krankheiten. Die zu frühe und allgemein zu hohe Ar- beitsbelastung unter den Armen verhindere die volle Entwicklung ihrer Körper,

zusammen mit Mangelernäh- rung und prekären hygieni- schen Zuständen führten sie zu häufigen Krankheiten und frühem Tod. Diese Krank- heiten werden in seiner Beschreibung zum Ausdruck eines sozialen Ungleichge- wichts, einer verhängnisvol- len Entfernung vom gesell- schaftlichen Urzustand Rous- seauscher Denkungsart.

Nach dem Tod Joseph II.

häuften sich für Frank bittere Erfahrungen. Sobald er die Rückendeckung von höchster Stelle verloren hatte, fielen die Kritiker und Rivalen an der Universität über ihn her.

Schließlich verließ er 1795 sei- nen Lehrstuhl in Pavia und er- hielt in Wien die Leitung des

Allgemeinen Krankenhauses anvertraut. Diese an sich pre- stigeträchtige Position war für ihn zugleich der entscheiden- de Karriereknick. Dass Frank plötzlich vom Initiator zum Getriebenen wurde, hatte po- litische Ursachen. Weil die Nachfolger Josephs eher re- pressiv-reaktionär ausgerich- tet waren, interessierten sie sich kaum mehr für Franks Reformvorschläge. Die Koali- tionskriege lähmten überdies allen innenpolitischen Gestal- tungswillen.

Bald wurden neue Intrigen gesponnen, und Frank zog sich auch aus Wien zurück.

Einem Angebot der Zarin Katharina folgend, ging er als ihr Leibarzt nach St. Peters- burg, wechselte jedoch bald darauf nach Wilnius. Vom weiteren Verlauf seiner Kar- riere enttäuscht, zog sich Frank 1808 nach Wien ins Pri- vatleben zurück. Allerdings noch nicht ganz: Erst vollen- dete er noch das „System ei- ner vollständigen medizini- schen Polizey“.

In diesen Jahren treffen Frank auch private Schicksal- schläge: Nachdem seine erste Frau schon in jungen Jahren im Kindbett gestorben war und der erste Sohn kurz dar- auf ebenfalls, sterben nun auch seine zweite Frau Mari- anne und bald darauf seine Tochter Karoline.

Frank, der übrigens auch ganz selbstbewusst eine Auto- biografie verfasst hat, stand Christoph W. Hufeland nahe, wurde von Alexander von Humboldt sehr geschätzt und diente Honoré de Balzac als Inspiration für den Roman

„Der Landarzt“. Im Rück- blick versucht Frank die Bit- ternis seiner Niederlagen zu vergessen und freut sich an seinen langfristigen Erfolgen:

„Das schmachtende Pflänz- chen, welches ich als Verfasser der medizinischen Polizei in jenen Boden versetzt habe, ist in einem nicht sehr langen Zeitraume zu einem Bau- me emporgewachsen, welcher seine Äste bereits über den größten Teil Europas ausge- dehnt und überall Früchte ge- tragen hat.“ Anke Pieper V A R I A

A

A1952 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 28–2914. Juli 2003

„Das schmachtende Pflänzchen, welches ich als Verfasser der medizinischen Polizei in je- nen Boden versetzt habe, ist in einem nicht sehr langen Zeitraume zu einem Baume em- porgewachsen, welcher seine Äste bereits über den größten Teil Europas ausgedehnt

und überall Früchte getragen hat.“

Foto:Johann-Peter-Frank-Gesellschaft

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