A-203
M E D I Z I N
Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 4, 29. Januar 1999 (51) Gleichaltrigen. Mehr als die Hälfte der
12- bis 16jährigen Jungen mit Spina bi- fida hatte Angst vor der Zukunft und fürchtete, daß sie wegen ihrer Inkonti- nenz andere belästigen könnten. Die Angst vor der Zukunft war bei Jungen vor allem auf die berufliche Karriere gerichtet, während bei Mädchen keine spezifische Furcht angegeben wurde.
Dies könnte einen spezifischen Rollen- konflikt älterer Jungen widerspiegeln, für die eine selbst gewählte berufliche Karriere einen wichtigen Einfluß auf ihr Selbstwertgefühl haben könnte.
Vielleicht das interessanteste Er- gebnis unserer Studie war der Einfluß der Schulsituation auf die psychoso- ziale Anpassung unserer Patienten.
Die Tatsache, daß einerseits viele Kin- der mit Spina bifida später mit der Schule begannen als gesunde, ande- rerseits aber fast doppelt so viele be- hinderte Kinder mit unterdurch- schnittlichem IQ eine Regelschule be- suchten, zeigt ein inkonstantes Verhal- ten einiger Eltern bezüglich der intel- lektuellen Fähigkeiten ihrer behinder- ten Kinder.
Bei einigen Eltern, die an unserer Studie teilnahmen, fanden wir den un- terschwelligen Wunsch, die körperli-
che Behinderung ihrer Kinder durch hohe Erwartungen an deren Schullei- stungen zu kompensieren. Interessant war, daß Kinder mit Spina bifida in Schulen für Körper- oder Lernbehin- derte häufiger psychosoziale Anpas- sungsprobleme hatten als jene in Re- gelschulen. Der Besuch einer Regel- schule könnte für Kinder mit Spina bi- fida deshalb attraktiv sein, weil sie ihn als Basis für eine zukünftige Anerken- nung in unserer Gesellschaft empfin- den. Er könnte auch den Erwartungen der Eltern der behinderten Kinder entsprechen.
Zurückhaltung bei der Interpre- tation unserer Daten muß deshalb ge- wahrt bleiben, weil Kinder mit Spina bifida, die eine Schule für Behinderte besuchten, überwiegend einen mittle- ren oder schweren Grad der Behinde- rung hatten, während die Regelschul- kinder häufiger einen leichten zeig- ten.
Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, daß Kinder mit Spina bifida, wenn möglich, eine Regelschule besu- chen sollten. Spezielle Integrations- programme sind hierfür erforderlich, um die besonderen Belastungen die- ser Patienten auszugleichen.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1999; 96: A-200–203 [Heft 4]
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Anschrift für die Verfasser
Dr. med. Uwe-Martin Zurmöhle Kinderklinik und Kinderpoliklinik der Johannes Gutenberg-Universität Langenbeckstraße 1 · 55101 Mainz DIE ÜBERSICHT/FÜR SIE REFERIERT
Nicht selten ergibt sich das Pro- blem, daß bei der Einreise ein Drogen- kurier identifiziert wird, der mit Rauschgift gefüllte Kondome ge- schluckt hat, deren Sicherstellung den Ermittlungsbehörden obliegt. Meist erfolgt die Überwachung des Drogen- kuriers unter stationären Bedingun- gen, wobei die betreuenden Ärzte durch Gabe von Abführmitteln be- strebt sind, den Aufenthalt möglichst kurz zu halten. Die Autoren berichten über einen 49jährigen Mann, der 102 Latexpackungen mit je 5 g Kokain transportierte. Im Rahmen der Ab- führmaßnahmen erhielt der im Polizei- gefängnis verwahrte Mann Paraffinöl, das offensichtlich zu einer Ruptur der
Latexverpackungen führte, so daß es zu einer tödlichen Kokainintoxikation kam. Die Autoren warnen, bei den so- genannten „Body-Packern“ flüssiges Paraffin als Abführmittel einzusetzen, weil es dadurch innerhalb von 15 Mi- nuten zu einer deutlichen Abnahme der Latexflexibilität kommt. w
Visser L, Stricker B, Hoogendoorn M, Vinks A: Do not give paraffin to packers.
Lancet 1998; 352: 1352.
The Hague Hospitals Central Pharmacy, PO Box 43100, 2504 AC The Hague, Niederlande.
Paraffin als
Abführmittel bei Drogenkurieren gefährlich
Das Reizdarm-Syndrom ist ein außerordentlich häufiger Befund bei Patienten, die über abdominelle Be- schwerden in Verbindung mit Stuhl-
unregelmäßigkeiten klagen; bei 50 Prozent der Patienten finden sich auch Nahrungsintoleranzen oder ei- ne Kohlenhydratmalabsorption. King und Mitarbeiter vom Addenbrooke’s Hospital in Cambridge, Großbritanni- en, konnten zeigen, daß bei Patien- ten mit Colon irritabile eine vermehr- te Gasproduktion, insbesondere von Wasserstoff, vorhanden ist und daß die Beschwerden unter einer Kost, bei der Milchprodukte durch Sojapro- dukte und Reis ersetzt wurden, deut- lich abnahmen. So nahm die Wasser- stoffproduktion von 332 ml/24 h auf 162 ml/24 h ab, die milch- und getrei- defreie Diät besserte die klinischen Symptome und führte zu einer Ab- nahme der Gasexkretion von 2,5 ml/min auf 0,5 ml/min. w
King TS, Elia M, Hunter JO: Abnormal colonic fermentation in irritable bowel syndrome. Lancet 1998; 352: 1187–1189.
Department of Gastroenterology, Addenbrooke’s Hospital, CB2 2QQ Cambridge, Großbritannien.