• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Die Kassenärzte warnen Bonn vor verhängnisvollen Fehlentwicklungen" (31.03.1988)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Die Kassenärzte warnen Bonn vor verhängnisvollen Fehlentwicklungen" (31.03.1988)"

Copied!
6
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

AKTUELLE POLITIK

Die Kassenärzte warnen Bonn

vor verhängnisvollen

Umfassende Kritik

Fehlentwicklungen

Die grundlegenden Einwände gegen das Gesundheits- Reformge- setz aus dem Hause Blüm hat die Vertreterversammlung der KBV in einer einstimmig angenommenen Resolution zusammengefaßt. Die Vertreterversammlung war eigens zur Beratung des Referentenent- wurfs am 19. März zusammenge- kommen. In der Resolution bestä- tigte sie in den Grundzügen die KBV -Stellungnahme gegenüber dem Bundesarbeitsministerium. Zu- gleich unterstützte sie insgesamt die vom KBV-Vorstand vertretene Li- nie, durch Verhandlungen Ände- rung des Gesetzesvorhabens zu er- reichen.

Umfassend wurden die Dele- gierten und Gäste - insgesamt hat- ten sich im Kölner Crest-Hotel rund 300 Teilnehmer versammelt - durch Referate eingestimmt:

Professor Dr. Siegtried Häußler gab einen Überblick auf das Gesetzesvorhaben.

Dr. Ulrich Oesingmann sprach über "Beitragssatzstabilität als Ziel der Strukturreform''.

Dr. Klaus Voelker setzte sich mit , , Überbürokratisierung des Ge- sundheitswesens und übermäßiger Reglementierung kassenärztlicher Tätigkeit'' auseinander.

Professor Dr. Ernst-Eber- hard Weinhold behandelte das The-

ma" Gefährdung des Sicherstellungs-

auftrages der KVen für die ambu- lante kassenärztliche Versorgung''.

Dr. Otfrid P. Schaefer sprach über die "Gefährdung der Persön- lichkeitsrechte der Versicherten durch ein Übermaß an Datenerfas- sung, Übermittlung und unkontrol- lierbare Zugriffsmöglichkeiten auf personengebundende Daten."

In der engagiert geführten Dis- kussion wurden auch die unter- schiedlichen taktischen Konzept.~

ausgiebig erörtert. DA

Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zeigt gravierende Mängel und Schwächen des Referentenentwurfs

zu einem ,,Gesundheits-Reformgesetz'' auf

D

ie Vorlage eines Referen- tenentwurfes des Bundes- arbeitsministeriums für ein Gesetz zur Reform des Gesundheitswesens (GRG) hat eine Protestwelle ausgelöst, die der Bundesarbeitsminister in dieser Härte nicht erwartet haben dürfte.

"Die Reaktion der Betroffenen ist insoweit durchaus verständlich, als der Entwurf sich weitgehend auf ei- ne Kostenverlagerung beschränkt, Opfer von allen fordert, das eigent- liche Ziel, Beitragssatzstabilität, aber nicht erreichen kann, zumal die Gesetzliche Krankenversicherung mit neuen Leistungen belastet wer- den soll. Gleichzeitig wird durch zahlreiche Gesetzesänderungen . . . die Selbstverwaltung geschwächt und die Macht der Staatsbürokratie gestärkt."

In diese beiden Sätze faßte der Erste Vorsitzende der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung, Professor Dr. Siegfried Häußler, auf der au- ßerordentlichen Vertreterversamm- lung der KBV die Meinung der Kas- senärzte zusammen, daß mit einem Gesetz auf der Grundlage dieses Entwurfes die an eine Strukturre- form geknüpften Erwartungen nicht erfüllt würden, daß nicht einmal das von der Koalition selbst gesteckte Ziel einer Beitragssatzstabilität er- reicht werden könne.

Professor Häußler bedauerte, daß die Diskussion des Entwurfes sehr rasch "von der Ebene sachli- cher Argumentation in die Tiefe ge- genseitiger ... Beschimpfungen ab- glitt". Man könne allerdings dem

Minister den Vorwurf nicht erspa- ren, , ,daß er durch seine Schwäche für starke Sprüche das Feuer ge- schürt hat'', sagte Häußler unter dem Beifall der Delegierten. "Man kann über Plakataktionen in ärzt- lichen Wartezimmern geteilter Mei- nung sein ... Wenn Herr Blüm sie aber verurteilt und sich dann selber beim Ankleben von Plakaten photo- graphieren läßt, stimmt dies bedenk- lich, zumal seine Plakataktion vom Steuerzahler finanziert wird."

Wirtschaftspolitik, aber keine

Gesundheitspolitik

Auf Äußerungen des Arbeitsmi- nisters eingehend, der sich als Opfer einer , , Gesundheitslobby'' betrach- te und jede Kritik an dem Referen- tenentwurf als Lobbyismus irgendei- ner Interessengruppe abweist, griff der KBV-Vorsitzende die Lobbyis- mus-Definition der Encyclopaedia Britannica auf, daß nämlich der Lobbyist vielbeschäftigten Parla- mentariern die Meinung von Sach- verständigen zu höchst komplexen Angelegenheiten verdeutliche und so Index einer gesunden demokrati- schen Gesellschaft sei.

Professor Häußler: , ,Mit solcher autoritativen Rückendeckung darf ich sagen: Ich spreche hier als Lob- byist, als gewählter Vertreter der Kassenärzte . . . Ich werde hier . . . in einer höchst komplexen Angele- genheit . . . die Meinung von Sach- verständigen, nämlich von uns Kas- Dt. Ärztebl. 85, Heft 13, 31. März 1988 (17) A-833

(2)

senärzten, vortragen. Und ich bin si- cher, es würde der Sache nutzen, wenn der Minister sich von dem be- eindrucken ließe, was wir hier erör- tern und in Entschließungen zusam- menfassen." Ein Gesetzentwurf sei nicht einfach deshalb gut, weil alle dagegen sind. „Viel Feind, viel Ehr!

mag als Landsknechtsparole brauch- bar sein, in der Politik ist ihr Nutzen zweifelhaft!"

Professor Häußler erinnerte den Minister an dessen eigene Warnung vor „Baukastenspielen mit einem historisch gewachsenen System", als dessen Grundsäulen er das Solidar- prinzip , das Sachleistungssystem und die Freiberuflichkeit des Arztes genannt hat.

„Was bringt denn eigentlich das System der Gesetzlichen Kranken- versicherung in Gefahr? Was unser System . . . in finanzielle Schwierig- keiten bringt, sind weniger system- bedingte Mängel, als Einwirkungen von außen. Das Reformkonzept geht von falschen Prämissen aus."

Insofern sind die Ärzte enttäuscht, daß die Koalition die Senkung der Lohnnebenkosten als wesentliches Ziel der Strukturreform bezeichnet habe. Das sei eine wirtschaftspoliti- sche, aber keine gesundheitspoliti- sche Zielsetzung. Professor Häußler erklärte dazu:

„Die Medizin und mit ihr das Gesundheitswesen eines modernen Industriestaates entwickeln sich ständig und immer schneller. Es ist ganz ausgeschlossen, den medizini- schen Fortschritt den GKV-Versi- cherten zugänglich zu machen und die steigenden Kosten durch Verän- derung der Prioritäten aufzufangen.

Hinzu kommt, daß die Beitragsein- nahmen von mehreren Komponen- ten abhängen, zum Beispiel von der Zahl der Arbeitslosen . . . oder der Tarifpolitik der Gewerkschaften, die mehr und mehr dazu neigen, einer Arbeitszeitverkürzung, die den Krankenkassen kein Geld bringt, Vorrang vor Lohnerhöhungen ein- zuräumen. Das sind Tatsachen, die . . . durch Schlagworte wie ‚Bei- tragssatzstabilität' nicht weggezau- bert werden können."

Der Vorsitzende faßte noch ein- mal die aus kassenärztlicher Sicht für die Schwierigkeiten der GKV

entscheidenden Faktoren zusam- men:

> die wachsende Belastung der Solidargemeinschaft durch ihren Beitrag zur Krankenversicherung der Rentner,

I> die Belastung der GKV durch eine Unzahl junger Ärzte, die sich, unvertraut mit den Anforde- rungen einer allgemeinärztlichen Kassenpraxis, alljährlich zu Tausen- den niederlassen, und

I> die trotz verringerter Betten- zahl und kürzerer Verweildauer stei-

Siegfried Häußler: „Es würde der Sache nutzen, wenn der Minister sich von dem beeindrucken ließe, was wir heute hier er- örtern . ."

genden Kosten des Krankenhaus- sektors.

I> Als letzten Faktor nannte Professor Häußler die sozialpoliti- sche Caritas des Parlaments.

Hier also müßte eine Struktur- reform ansetzen . . . „Erfüllt der Referentenentwurf diese Erwartun- gen? Die Antwort läßt sich mit ei- nem einzigen Wort geben: NEIN!"

Der Entwurf biete bestenfalls Behelfslösungen. Das gelte für die Krankenversicherung der Rentner, wie für das Tauziehen um den Arzt im Praktikum und die Vorberei- tungszeit. „Es ist mir unverständ- lich, daß die Chance, die sich durch die Umsetzung der EG-Richtlinie

Allgemeinmedizin ergibt, eine quali- fizierte allgemeinärztliche Weiterbil- dung als Zulassungsvoraussetzung für die kassenärztliche Tätigkeit ein- zuführen, nicht genutzt wird ... "

Grundlegende Änderungen im Recht der Krankenhausfinanzie- rung seien im Bundesarbeitsmini- sterium als „verfrüht" abgelehnt worden. Hier stoße der Minister, der in der Konzertierten Aktion mehrfach die Notwendigkeit des Handelns betont hat, an die Kom- petenzgrenzen der Länder. Profes- sor Häußler fuhr fort:

„Jeder nüchtern Denkende war sich darüber klar — ich habe dies in Karlsruhe (bei der Vertreterver- sammlung im Mai 1987) betont —, daß die Strukturreform ,Zeichen po- litischer Kompromisse und ökono- mischer Zwänge' tragen werde.

Wenn aber der kleinste gemeinsame Nenner, der sich für die unterschied- lichen Wege und Ziele finden läßt, gegen Null tendiert, stellt sich die Frage, wie das in der Regierungser- klärung von 1987 bekräftigte Re- formziel ,erhöhte Wirtschaftlichkeit bei sozial vertretbaren Beitragssät- zen' mit diesem Entwurf erreicht werden soll."

Der Vorsitzende ging dann auf das „vierte Übel" ein, die unablässi- gen Leistungsausweitungen durch den Gesetzgeber. Obwohl das Ein- spar-Soll von 14,6 Milliarden, das die Reform erbringen soll, offenbar nach dem Hexen-Einmaleins aus dem „Faust" errechnet worden sei, wolle man den Krankenkassen eine Absicherung des Pflegefallrisikos aufbürden, die doch als gesamtge- sellschaftliche Leistung gesehen wer- den müsse. Wie das die GKV bei stabilen Beitragssätzen finanzieren solle, sei für ihn nicht erkennbar, sagte Professor Häußler.

„Der Referentenentwurf sieht zwar nur eine häusliche Pflegehilfe vor, sie wird aber von vielen als Ein- gangsstufe für eine umfassende Ab- sicherung angesehen, die nach Be- rechnung von Experten die Kran- kenkassen zwingen würde, ihre Bei- tragssätze um drei Prozentpunkte zu erhöhen." Damit würde man die Gesetzliche Krankenversicherung

• Fortsetzung übernächste Seite A-834 (18) Dt. Ärztebl. 85, Heft 13, 31. März 1988

(3)

Grundsätze für eine sinnvolle Reform

Entschließung der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

„Die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung erkennt das Ziel der Bundesregierung und der Koalitionsparteien zu einer umfassenden Strukturreform der ge- setzlichen Krankenversicherung an.

Nur eine langfristige Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung ge- währleistet eine bedarfsgerechte Ver- sorgung der Bevölkerung.

Der vom Bundesminister für Ar- beit und Sozialordnung bisher vorge- legte Referentenentwurf wird dieser Zielsetzung und dem Anspruch einer umfassenden Strukturreform nicht ge- recht. Die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vermißt insbesondere eine Lösung der die gesetzliche Krankenversicherung finanziell belastenden Probleme (versi- cherungsfremde Leistungen, Kranken- versicherung der Rentner, weiterhin steigende Zahlen bei Ärzten, Zahnärz- ten, Apothekern und den nichtärzt- lichen Heilberufen, weiterhin steigende Kosten der stationären Versorgung).

Die Vertreterversammlung fordert die Gesetzgebungsorgane des Bundes auf, in den weiteren Beratungen des Entwurfs folgende Grundsätze zu be- achten:

I.

Eine bedarfsgerechte und den me- dizinischen Fortschritt einbeziehende Versorgung der Bevölkerung darf nicht im Korsett einer überzogenen Forde- rung nach Beitragssatzstabilität erstik- ken.

Insbesondere folgende Vorschlä- ge stellen die Forderung nach Beitrags- satzstabilität in einen unlösbaren Wi- derspruch zu dem gleichzeitigen Erfor- dernis einer bedarfsgerechten medizi- nischen Versorgung:

—neue und unabsehbare Kosten- belastung der gesetzlichen Kranken- versicherung durch die Einbeziehung der Absicherung des Pflegerisikos

—die vorauszusehende demogra- phische Entwicklung mit dem damit verbundenen Erfordernis nach intensi- verer medizinischer Behandlung

—der zu erwartende Anstieg der

Aufwendungen für den stationären Sektor

— der nicht kalkulierte Kostenauf- wand für einen neuen überbürokrati- sierten medizinischen Dienst und die finanziellen Folgen des Ausbaus der EDV und der Datenübermittlung im Rahmen der vorgesehenen Vorschläge für Versicherten-, Leistungskonten und Datenträgeraustausch.

I I.

Die kassenärztliche Tätigkeit, ins- besondere die Therapiefreiheit des Kassenarztes, muß vor einer versor- gungsfeindlichen Reglementierung ge- schützt werden:

Strangulierende Richtwerte bei der Arzneimittelversorgung und Preis- vergleichslisten für Krankenhausein- weisungen mit Begründungszwang sind untaugliche Instrumente zur Si- cherung des Grundsatzes der Wirt- schaftlichkeit.

I I I.

Das Gesundheitswesen muß vor einer Überbürokratisierung geschützt werden. Sie ist leistungs- und patien- tenfeindlich und erschwert die notwen- digen medizinischen Entscheidungsab- läufe.

Solche Gefahren beinhalten die Vorschläge nach einem umfassenden medizinischen Dienst der Krankenkas- sen.

Vorschläge, welche die Entschei- dung in Selbstverwaltung durch die Er- mächtigung zu Rechtsverordnungen ablösen, bringen das Mißtrauen gegen die Kraft der Selbstverwaltung unge- rechtfertigt zum Ausdruck. Dies ist kei- ne Stärkung, sondern eine Mißachtung der bewährten Selbstverwaltung, ins- besondere in der kassenärztlichen Ver- sorgung.

IV.

Der Sicherstellungsauftrag der Kassenärzteschaft für die ambulante Versorgung muß voll erhalten bleiben.

Er hat sich in diesem Umfang bewährt.

Er ist auch den modernen Anforderun- gen der Zusammenarbeit zwischen

ambulantem und stationärem Sektor gewachsen.

Vorschläge, die psychiatrischen Institutsambulanzen, sozialpädiatri- schen Zentren, vorstationäre Diagno- stik und nachstationäre Behandlung, die Verantwortung für die Aufstellung medizinisch-technischer Großgeräte, die ambulante Notfallbehandlung und die Teilnahme von Krankenhausärzten an der ambulanten Versorgung aus dem Verantwortungsbereich der Kas- senärztlichen Vereinigungen zu entzie- hen, sind ungeeignet, um die mit der Zusammenarbeit zwischen ambulan- tem und stationärem Sektor notwendi- gen Aufgaben sachgerecht zu lösen.

Die Kassenärzteschaft lehnt insbe- sondere die Vorschläge zur vorstatio- nären Diagnostik und nachstationären Behandlung im Krankenhaus ab; die damit verbundenen Fragen sind am be- sten in dreiseitigen Verträgen lösbar.

V.

Das Vertrauensverhältnis zwi- schen Arzt und Patient darf nicht durch den zu erwartenden Zugriff auf die Ge- sundheitsdaten des Patienten in Versi- cherten- und Leistungskonten und ei- nen zu erwartenden Datenträgeraus- tausch im System der gesetzlichen Krankenversicherung gestört werden.

Die Kassenärzteschaft verschließt sich nicht vernünftigen Forderungen nach Leistungs- und Kostentranspa- renz und Plausibilitätskontrollen. Sie hält vertragliche Lösungen dafür für ausreichend. Sie lehnt die Einführung der Verwendung von Rentenversiche- rungsnummern oder vergleichbaren Versichertenkennzeichen, die perso- nenbezogene Speicherung von Ge- sundheitsdaten in Leistungskonten und die Weitergabe von Gesundheits- daten zu anderen Zwecken als der Lei- stungsabrechnung als nicht notwendi- gen Eingriff in die Persönlichkeitsrech- te des Patienten und in die Integrität des Datenschutzes ab. Insbesondere für Zwecke der Wirtschaftlichkeitsprü- fung ist eine solche umfassende Rege- lung des Datenaustausches nicht not- wendig." (19. März 1988) ❑

Leu 414 _ 7,1

Dt. Ärztebl. 85, Heft 13, 31. März 1988 (19) A-835

(4)

nicht sanieren, sondern strangulie- ren.

Professor Häußler betonte, daß die Kassenärzteschaft nach wie vor eine Strukturreform unseres Ge- sundheitswesens wolle, daß der Ent- wurf aber nicht mehr bringe als eine Fortsetzung der alten Kostendämp- fungspolitik mit härteren .. Mitteln und eine Erweiterung der Uberwa- chungs- und Regelungsbefugnisse durch einen kostspieligen Verwal- tungsapparat. Einige dieser in Vor- entwürfen enthaltenen Bestimmun- gen seien als Ergebnis zahlloser Ge- spräche inzwischen gestrichen wor- den. Er erwähnte u. a. das Einver- nehmen mit den Krankenkassen bei der Festlegung von Honorarvertei- lungsmaßstäben, die volle Einbezie- hung der Ersatzkassen in das Kas- senarztrecht, die "unsinnige Be- handlungsanzeige'', die Auskunfts- pflicht der Versicherten gegenüber dem "Medizinischen Dienst" und die Verpflichtung zur Weitergabe sämtlicher Abrechnungsdaten, auf den einzelnen Versicherten bezogen und maschinell auswertbar.

Diese Aufzählung dürfe aber nicht über die Tatsache hinwegtäu- schen, daß noch viele "Störpunkte"

in dem Referentenentwurf enthalten seien. "Ich spreche die folgenden Punkte deshalb hier noch einmal nachdrücklich an und hoffe, daß die im April zu erwartende Kabinetts- vorlage unseren Forderungen Rech- nung tragen wird."

..,. Als ersten Punkt nannte Pro- fessor Häußler , ,die allmähliche Aushöhlung unseres Sicherstellungs- auftrages". So soll den Kassenärzt- lichen Vereinigungen jeder Einfluß auf die psychiatrischen Institutsam- bulanzen und die sozialpädiatrischen Zentren an den Krankenhäusern ge- nommen werden, was die Kranken- kassen zusätzlich finanziell belasten würde.

..,. Der zweite Punkt ist die Ein- führung einer prästationären Dia- gnostik und poststationären Be- handlung am Krankenhaus. "Ihre Regelung im Referentenentwurf ist für uns unannehmbar!"

Der KB V-Vorsitzende erinnerte an die.Entschließung der Vertreter- versammlung am 5. Dezember 1987 in Köln, in der es hieß: "Eine medi-

Nach fünfstündigen Erörterungen des Re- ferentenentwurfes aus dem Hause Blüm:

Einstimmige Verabschiedung einer (auf der vorstehenden Seite wiedergegebe- nen) Resolution, die die Bedenken und Gegenargumente der Kassenärzteschaft zusammenfaßt Nicht zuletzt war die Ab- stimmung auch ein Vertrauensbeweis für den Vorstand der KBV (auf dem Bild rechts oben v. l. n. r.): Karl Hans Metzner, Klaus Voelker, Ulrich Oesingmann, Sieg- fried Häußler, Rainer Hess, Siegfried Bo- relli, Ernst-Eberhard Weinhold, Otfrid P.

Schaefer, Guido Piepgras

zinische Notwendigkeit ist nicht ge- geben, ein Nutzen für den Patienten nicht erkennbar.''

, ,Herr Kollege Sewering hat in diesem Zusammenhang von einem ,Anschlag auf die Existenz der nie- dergelassenen Gebietsärzte' und ei- ner ,Kriegserklä.~ung des Arbeitsmi- nisters an die Arzteschaft' gespro- chen. Ohne Rücksicht auf unsere Vorbehalte hat das Bundesarbeits- ministerium aber seine ,Prä-Post'- Pläne weiter verfolgt."

[> Er und Professor Sewering

hätten dem Bundesarbeitsminister eine "den medizinischen Erforder- nissen Rechnung tragende Selbst- verwaltungslösung" angeboten, und er hoffe auf wachsende Einsicht beim Minister. "Wir jedenfalls hät- ten kein Verständnis dafür, daß der Gesetzgeber das Tor zum teuersten Versorgungsbereich weiter aufstößt und dabei der Selbstverwaltung wie- A-836 (20) Dt. Ärztebl. 85, Heft 13, 31. März 1988

der einmal ein Stück ihrer Kompe- tenz nimmt.''

Andere Bestimmungen des Re- ferentenentwurfes bestätigten die Meinung, daß das Bekenntnis zur ärztlichen Freiberuflichkeit in Parteiprogrammen nur noch orna- mentalen Charakter habe. Es habe , ,den Gesetzgeber noch niemals da- von abgehalten, möglichst gerrau zu bestimmen, wie frei der freie Arzt sein darf."

..,. Musterbeispiel dafür sei die geplante Einführung von "Richt- werten" für den Umfang der Ver- ordnung von J\~znei-, Heil- und Hilfsmitteln. , , Uberschreiten die Aufwendungen eines Arztes den Richtwert seiner Gruppe, verwan- delt sich der Richtwert in ein Richt- schwert: der Arzt gerät automatisch in die Wirtschaftlichkeitsprüfung. '' Unter der Drohung wirtschaftlicher Strafmaßnahmen werde der Arzt schließlich nicht mehr wirtschaftlich verordnen, wie es die RVO vor- schreibt, sondern "beitragssatzsta- bil".

..,. "Das darf nicht geschehen.

Ich habe versucht, dem Bundesar- beitsminister deutlich zu machen, daß Richtwerte allenfalls Orientierungsfunktion haben kön- nen.'' Auch für diese Forderung ha- be er bei dem Minister Verständnis gefunden, , ,zu mal die Krankenkas- sen befürchten, daß Richtwerte mit

(5)

KBY

~ssenärztliche Bun desve(eioig4~9

V ertreterversammlung

Zwangscharakter die ganze medizi- nische Versorgung der Versicherten in eine , Billigmedizin' abgleiten las- sen könnten.''

Professor Häußler bedauerte, daß die Beitragssatzstabilität nicht nur Leitgedanke dieses Referenten- entwurfes sei, sondern ein eiserner Rahmen, in den die ganze kassen- ärztliche Versorgung gepreßt wer- den solle, gleichsam eine "Budgetie- rung" durch die Hintertür.

, ,Ich habe in meinen Bespre- chungen daran erinnert, daß wir Kassenärzte den allgemeinen Grund- satz der Beitragssatzstabilität aner- kannt haben, wonach ,die inhalt- lichen Vorgaben so zu gestalten' sind, daß Beitragssatzerhöhungen vermieden werden, es sei denn, daß die notwendige medizinische Ver- sorgung auch unter Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven oh- ne Beitragssatzerhöhungen nicht zu gewährleisten ist'. Diesen Grund- satz können wir mittragen, wenn er für alle Leistungsbereiche gleicher- maßen gilt."

...,.. Häußler: "Was wir auf kei- nen Fall hinnehmen würden, wäre eine darüber hinausgehende isolier- te Einschränkung unserer kassen- ärztlichen Gesamtvergütung. ''

Da Einzelfragen des Referen- tenentwurfes noch in Kurzreferaten von vier Vorstandsmitgliedern ver- tieft werden sollten, sprach Profes-

sor Häußler abschließend nur noch das Transparenz-Problem an.

...,.. Das Grundrecht des Bürgers auf , ,informationelle Selbstbestim- mung" - so der Terminus des Bun- desverfassungsgerichtes - solle für die Sozialversicherten eingeschränkt werden. Die , , patientenbezogenen Leistungsdaten", die für Modellver- suche einer Beitragsrückgewähr zu- sammengestellt werden, sollen nicht nur die Gewährung von Leistungen ermöglichen oder die Abrechnungs- prüfung bei Kassenärzten, sondern auch den Arbeitsämtern oder den Finanzämtern zum , ,Zugriff'' offen sein, wenn dies , ,zur Durchführung anderer gesetzlicher Aufgaben er- forderlich ist".

Ein System neuer bürokratischer

Kontrollmechanismen

Die Ärzte wehrten sich nicht ge- gen eine "Transparenz" ihrer Ab- rechnungen. Sie hätten dem Bun- desarbeitsminister schon vor Wo- chen den Vorschlag einer Vereinba- rung zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Spitzen- verbänden der Krankenkassen über eine Verbesserung der Kostentrans- parenz vorgelegt. "Das alles ist machbar ohne den Aufbau einer Su- perverwaltung für Eingabe, Speiche-

rung und Verarbeitung von hunder- ten Millionen Daten."

Professor Häußler bedauerte, daß der Bundesbeauftragte für den Datenschutz aus formalrechtlichen Gründen keinen Anlaß sehe, die im Referentenentwurf vorgesehene Re- gelung zu beanstanden. Das Bun- desverfassungsgericht hatte es schon 1969 für unvermeidbar mit der Men- schenwürde erklärt, den Bürger zwangsweise, auch in der Anonymi- tät einer statistischen Erhebung, in seiner ganzen Persönlichkeit zu regi- strieren. "Das Wort der Bundes- richter ist leider nicht Fleisch gewor- den, und es entbehrt nicht einer traurigen Ironie, daß ausgerechnet eine Koalition, die das Banner Der Mensch im Mittelpunkt vor sich her trägt, die Auslieferung des Men- schen an die Informationsmacht des Staates betreibt.''

...,.. In das System neuer büro- kratischer Kontrollmechanismen ge- hört auch der unter der Bezeichnung medizinischer Dienst der Kranken- kassen als eigene Körperschaft öf- fentlichen Rechts auszubauende bis- herige Vertrauensärztliche Dienst, dessen Aufgaben und Befugnisse zu Lasten der ärztlichen Selbstverwal- tung stark erweitert werden sollen.

, ,Er soll die Prüfungsausschüsse be- raten, soll zuständig sein für Maß- nahmen der Gesundheitsförderung sowie der Verhütung und Früher- kennung von Krankheiten, er muß vor Einführung neuer Untersu- chungs- und Behandlungsmethoden als Kassenleistung gehört werden, und er sitzt bei Verhandlungen zwi- schen Ärzten und Krankenkassen mit am Tisch.''

...,.. Bei einem solchen Aufga- benspektrum , ,sehe ich die große Gefahr, daß sich hier eine Superbe- hörde entwickeln wird, die nicht nur die kassenärztliche Tätigkeit zu re- glementieren droht, sondern auch Kosten produziert, die dem Ziel der Beitragssatzstabilität konträr entge- genstehen. Ziel unserer Intervention muß es sein, die Aufgaben dieses medizinischen Dienstes vernünftig zu begrenzen und zugleich eine Rechtsform zu finden, die unter Wahrung der notwendigen ärzt- lichen Unabhängigkeit eine -Ver- selbständigung verhindert.'' I>

Dt. Ärztebl. 85, Heft 13, 31. März 1988 (21) A-837

(6)

Solche kritischen Hinweise be- deuteten indes nicht, daß die Kas- senärzte den Gesetzentwurf in sei- ner Geamtheit ablehnten. Das von den Sozial- und Gesundheitsmi- nistern der SPO-regierten Länder entworfene Regionalisierungspro- gramm enthalte noch stringentere Regelungen und laufe auf eine Zer- schlagung der ärztlichen Selbstver- waltung hinaus. Das dürfe aber nicht dazu führen, "daß wir nach dem jämmerlichen Grundsatz von der Wahl des kleineren Übels zu diesem Referentenentwurf Ja und Amen sa- gen.'' Dazu seien die Mängel des Entwurfes zu schwerwiegend.

Professor Häußler bestätigte nochmals, daß er bei seinem letzten Gespräch mit Blüm die Zuversicht gewonnen habe, "daß in den für uns wichtigen Punkten im Referenten- entwurf noch entscheidende Ände- rungen am Kabinettsentwurf vorge- nommen werden." Und auf zwei- felnde Zurufe aus dem Auditorium begründete er diese Zuversicht nicht mit "blinder Gutgläubigkeit", die ihm zuweilen unterstellt werde, son- dern mit den im Laufe eines langen Lebens gemachten Erfahrungen.

..,.. Diese Vertreterversamm- lung solle weder als Protestaktion, noch als Loyalitätskundgebung miß- verstanden werden. Ihr Zweck sei es, "an einem wichtigen Abschnitt der Arbeit an der Strukturreform . .. die geschlossene Auffassung der Kassenärzteschaft (zu) demonstrie- ren.''

"Ich weiß, daß es viele unter uns gibt, die der Meinung sind, die Kassenärzte wären mit ihren Zuge- ständnissen schon bis an den Rand des Zurnutbaren gegangen; nun sei es an der Zeit, das Kriegsbeil auszu- graben. Es ist Kennzeichen der Menschen, daß der Ruf: Auf in den Kampf! mehr Begeisterung auslöst als die Mahnung zur Besonnenheit.

Darum ist es auch sehr vielleichter, gegeneinander zu reden als miteinan- der. Ich will den letzteren Weg ge- hen, weil er politisch wirksamer ist.

Dazu allerdings brauche ich die Ge- wißheit, daß auch Sie nach wie vor diesen Weg für den richtigen halten.

Diese Bestätigung erhoffe und er- warte ich als Ergebnis unserer Dis-

kussion." sfr

Dr. illrich Oesingmann

Einsparrechnung mit allzu vielen Fragezeichen

Stabile Beitragssätze als ein zen- trales Ziel der Strukturreform sind für Dr. Ulrich Oesingmann nach dem vorliegenden Referentenent- wurf pure Fiktion. Der Zweite Vor- sitzende der KBV ließ keinen Zwei- fel daran: Die Rechnung des Bun-

Ulrich Oesingmann

desarbeitsministers geht nicht auf, sein Konzept hat zu viele offenkun- dige Schwächen und Mängel.

Oesingmann maß die , ,offizielle Rechnung des Referentenentwurfs"

an den Thesen der Karlsruher KBV- Vertreterversammlung zur Struktur- reform. Sein Fazit: Der Entwurf ge- be keine befriedigende Antworten auf die zentralen Fragen der Finan- zierung der Rentner-Krankenversi- cherung, der Kostenexpansion im Krankenhaus und der Überkapazitä- ten im Gesundheitswesen schlecht- hin. Im Gegenteil: Er bringe noch eine Vielzahl kostentreibender bü- rokratischer und reglementierender A-838 (22) Dt. Ärztebl. 85, Heft 13, 31. März 1988

Auflagen -vor allem für die Kassen- ärzte.

Alleine schon von daher müsse das Ziel Beitragssatzstabilität ver- fehlt werden. Doch Minister Blüm verspreche ja noch mehr: die Fi- nanzierung des Pflegerisikos! Er hoffe durch Leistungsabbau, Fest- beträge und Mobilisierung von Wirt- schaftlichkeitsreserven 14,5 Milliar- den Mark einzusparen. Ein Binspar- potential freilich, das Oesingmann mit einem dicken Fragezeichen ver- sieht.

..,.. So wisse niemand, wie der so- genannte Solidarbeitrag der Phar- maindustrie von 1,7 Milliarden und die globalen Einsparungen im Kran- kenhaus von 1,5 Milliarden über- haupt hereingeholt werden sollen.

Und weiter: Wie teuer wird die Bei- tragsrückgewähr, wie teuer der Me- dizinische Dienst? Was kostet die geforderte Datenübermittlung per EDV?

Oesingmann unterstrich zwar die Notwendigkeit der Absicherung von Pflegebedürftigen. Er verwies aber auf die sozialpolitische Dimen- sion dieser Aufgabe, die einer brei- teren und stabileren Finanzierungs- basis bedürfe. Oesingmann dazu:

"Die bereits überstrapazierte GKV kann das auf Dauer unmöglich schaffen, auch nicht in der vorgese- henen Beschränkung auf die häus- liche Pflege. Selbst wenn mit den aus Leistungskürzungen erzielten Ein- sparungen Pflegefälle heute zum Teil finanziert werden könnten, so kämen schon kurzfristig - vor allem aufgrundder demographischen Ent- wicklung - neue beitragssatztreiben- de Belastungen auf die GKV zu. Al- so ein wesentlicher Punkt, der die Rechnung nicht aufgehen läßt."

Die Kassenärzte haben ihre be- gründete Kritik am Referentenent- wurf wiederholt vorgebracht, sagte der Zweite Vorsitzende der KBV.

Ihnen dürfe man daher später nicht die Schuld zuweisen, wenn das Ziel der Reform nicht erreicht werde.

..,.. Mit einer staatlich verordne- ten Beitragsstabilität ließen sich die tiefgreifenden Probleme unseres Gesundheitswesens auf Dauer nicht lösen. Politisch kurzsichtiger Inter- ventionismussei endgültig am Ende.

Statt dessen sei eine auf lange Sicht

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Teilnahmegebühr von 25,- DM kann durch Beifügung eines Verrechnungs- schecks erfolgen oder ist nach Erhalt der Teilnahmebestätigung auf das Konto der Deutschen Apotheker-

84 unter Angabe von Vor- und Zunamen, Geburtsdatum und -ort, genauer Anschrift, derzeitiger Dienststellung sowie Staatsangehörig- keit an die KV Nord-Württemberg (obige

~ Einem der zugelassenen Bewerber wird gemäߧ 5 I der Richtli nien der Kas- senärztlichen Vereinigung Niedersach- sen für Maßnahmen zur Sicherstellung der

Die Kassen- ärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe ist bei der Beschaffung von Vertretern in Urlaubs- oder Krankheitsfällen gern be- hilflich; Vertreterkosten können

(3) Diese Vereinbarung gilt auch für Un- tersuchungen/Begutachtungen und Be- handlungen von Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz bis Besoldungs- gruppe A 7 im Rahmen

Dabei wird auch eine Antwort erwartet, ob das Screening auf bestimmte, noch näher zu definie- rende Risikogruppen beschränkt wer- den kann und auf welche Weise Daten für

Die Firma Lipha Arzneimittel GmbH, Es- sen, teiltmit, daß in den letzten Monaten versehentlich Musterpackungen des Präparates Card-Dusodril 1/4 abgegeben wurden, auf denen

Colchicum autumnale (Herbstzeitlose), Coriandri fructus (Koriander); Equiseti herba (Schachtelhalmkraut), Eucalypti aetheroleum (Eucalyptusöl), Eucalypti folium