Deutsches Ärzteblatt
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19. August 2011 A 1741STUDIEN IM FOKUS
Entzündliche Zustände können über verschiedene Mechanismen ei- ne Insulinresistenz und einen Dia- betes mellitus induzieren. So schei- nen der Tumornekrosefaktor alpha (TNF alpha) und Interleukin-6 (IL-6) die Funktionen von Insulin an seinem Rezeptor zu blockieren.
In einer retrospektiven Studie wur- de untersucht, ob durch krank - heitsmodifizierende Antirheumatika (DMARDs) oder TNF-alpha-Blo- cker die Häufigkeit eines Diabetes mellitus bei Patienten mit rheuma- toider Arthritis oder Psoriasis ver- ändert wird.
Im Rahmen zweier großer Ver - sicherungsprogramme wurden zu- nächst die Daten von 121 280 Pa- tienten, die an neu diagnostizierter rheumatoider Arthritis oder Psoria- sis litten, analysiert. Hiervon wur- den 13 905 Patienten mit 22 493 neuen Behandlungen in die Kohor- tenstudie übernommen. Sie waren im Mittel 5,8 Monate nachbeobach- tet worden. Entsprechend der The- rapie gab es vier Gruppen:
●
TNF-alpha-Blocker mit oder ohne andere DMARDs●
Methotrexat ohne TNF-alpha- Blocker oder Hydroxychloroquin●
Hydroxychloroquin ohne TNF- alpha-Blocker oder Methotrexat●
andere DMARDs ohne TNF- alpha-Blocker, Methotrexat oder Hydroxychloroquin.Es wurden 267 neue Fälle von Diabetes mellitus beobachtet, die sich auf die vier Gruppen verteilten (Tabelle). Die Inzidenzrate für ei- nen Diabetes war in der Gruppe, die nichtbiologische DMARDs einnah- men, am höchsten und in der TNF- alpha-Blocker-Gruppe am niedrigs- ten. TNF-alpha-Blocker und Hy- droxychloroquin verringerten im Vergleich zu anderen nichtbiologi- schen DMARDs bei Patienten mit rheumatoider Arthritis oder Psoria- sis das Risiko für die Entstehung ei- nes Diabetes mellitus um 38 be -
ziehungsweise 46 %. Methotrexat zeigte mit einer Risikosenkung um 23 % keinen signifikanten Effekt.
Fazit: Nach den Ergebnissen dieser retrospektiven Kohortenstudie ver- ringern Hydroxychloroquin und TNF-alpha-Blocker bei Patienten mit rheumatoider Arthritis oder
Psoriasis das Risiko für die Entste- hung eines Diabetes mellitus. Sie haben also einen pleiotropen Effekt.
Den Autoren zufolge sollte dieser Hypothesen generierende Befund nun prospektiv in randomisierten Studien untersucht werden.
Dr. rer. nat. Susanne Heinzl
Solomon DH et al.: Association between disease-modifying antirheumatic drugs and diabetes risk in patients with rheumatoid arthritis and psoriasis. JAMA 2011; 305:
2525–31.
ENTZÜNDUNGSHEMMUNG BEI RHEUMA UND PSORIASIS
Verhindert sie die Entstehung eines Diabetes mellitus?
TABELLE
Häufigkeit eines Diabetes mellitus bei Patienten, die wegen rheumatoider Arthritis oder Psoriasis mit verschiedenen entzündungshemmenden Therapien behandelt wurden
modifiziert nach JAMA 2011; 305: 2525–31
Diabetes mellitus, neue Fälle Gesamtpersonenjahre Inzidenzrate/1 000 Personen - jahre (95-%-Konfidenzintervall)
Andere DMARDs
55 1 097 50,2 (47,3–53,2)
Hydroxy- chloroquin
50 2 254 22,2 (21,3–23,1)
Methotrexat
82 3 453 23,8 (23,0–24,6)
TNF-alpha- Blocker
80 4 062 19,7 (19,1–20,3)
Vorhofflimmern ist bei kardiovas- kulären Vorerkrankungen mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert.
Ob eine solche Assoziation auch bei initial gesunden Frauen besteht, war Fragestellung einer Auswer- tung von Teilnehmerinnen der Womens ’ Health Initiative Study (WHS), die prospektiv beobachtet wurden (1993 bis 2010).
34 722 Frauen mit einem media- nen Alter von 53 Jahren ohne be- kannte kardiovaskuläre Erkrankung und ohne Vorhofflimmern zu Be- ginn der Beobachtung wurden ein- geschlossen. Im ersten Jahr wurde zweimal im Abstand von 6 Mona- ten nach kardiovaskulären Risiken gefragt, danach alle 12 Monate.
Außerdem wurden transitorische ischämische Attacken, Blutdruck, Lipidwerte, das Auftreten von Dia- betes und für kardiovaskuläre Er-
krankungen relevante Faktoren des Lebensstils wie Gewichtszunahme, Nikotin- und Alkoholkonsum be- rücksichtigt. Primäre Endpunkte waren Gesamtsterblichkeit und kar- diovaskulär und nichtkardiovasku- lär bedingte Mortalität, sekundäre Endpunkte Apoplexie, Myokard - infarkt und Herzinsuffizienz. Die durchschnittliche Beobachtungszeit betrug 15,4 Jahre.
In diesem Zeitraum wurde bei 1 011 Frauen Vorhofflimmern dia - gnostiziert. Die Inzidenz für die Gesamtsterblichkeit betrug 10,8 pro 1 000 Personenjahre (PJ) bei Frau- en mit Vorhofflimmern (95-%-Kon- fidenzintervall, 8,1–13,5) und 3,1 pro 1 000 PJ bei Frauen ohne diese Arrhythmie (95-%-KI 2,9–3,2). Für die kardiovaskuläre Mortalität be- trugen die Inzidenzen 4,3 respekti- ve 0,57 pro 1 000 PJ bei Frauen mit NEU AUFTRETENDES VORHOFFLIMMERN
Erste Arrhythmien mit höherer Mortalität assoziiert
M E D I Z I N R E P O R T
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19. August 2011 beziehungsweise ohne Vorhofflim-mern und für die nichtkardiovas - kulär bedingte Mortalität 6,5 res- pektive 2,5 pro 1 000 PJ. In einer multivariaten Analyse ergab sich ei- ne Hazard Ratio (HR) von 2,14 für die Gesamtsterblichkeit bei Auftre- ten von Vorhofflimmern, von 4,18 für die kardiovaskuläre und von 1,66 für die nichtkardiovaskulär bedingte Mortalität, wenn Vorhof- flimmern neu auftrat. Bei Berück- sichtigung nichttödlicher kardio- vaskulärer Ereignisse blieb eine As- soziation zwischen initialem Vor- hofflimmern und erhöhtem Risiko für die Gesamtsterblichkeit beste- hen (HR 1,70), aber auch für kar- diovaskulär und nichtkardiovasku-
lär bedingten Tod (HR 2,57 und 1,42). Für die 656 Frauen, bei de- nen paroxysmales Vorhofflimmern (< 7 Tage, keine Kardioversion) auf- trat, war das Risiko nur für den kar- diovaskulär verursachten Tod er- höht (HR 2,94). Für die sekundären Endpunkte bestand ein erhöhtes Risiko bei allen Formen des Vorhof - flimmerns, auch den paroxysmalen.
Fazit: Ein erstmals diagnostiziertes Vorhofflimmern geht bei Frauen mit einer erhöhten Mortalität ein- her. Nur ein Teil der Risikoerhö- hung lässt sich durch nichttödliche kardiovaskuläre Ereignisse erklä- ren. Prof. Dr. med. Erland Erdmann, Köln, kommentiert: „Es wurde
erstmals an einem großen Kollektiv von initial gesunden Frauen nach- gewiesen, dass Morbidität und Mortalität bei jenen erhöht waren, die Vorhofflimmern bekamen. Da dieses häufiger auftrat, wenn Alter, Körpergewicht, Blutdruck und Blutfette erhöht waren und ein Dia- betes bestand, sollten alle Patienten auch beim ersten Auftreten von Vorhofflimmern genau auf kardio- vaskuläre Risiken untersucht und konsequent therapiert werden.“
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze
Conen D, Chae, CU, Glynn RJ, Tedrow UB, et al.: Risk of death and cardiovascular events in initially healthy women with new- onset atrial fibrillation. JAMA 2011; 305:
2080–7.
Patienten mit idiopathischer Lun- genfibrose haben eine mittlere Lebenserwartung von nur zwei bis fünf Jahren nach Diagnose. Ob sich der Verlust an Lungenfunktion bei der progressiv verlaufenden Er- krankung durch Pirfenidon, einen antifibrotisch wirksamen TGF-be- ta-Inhibitor, aufhalten lässt, wurde im CAPACITY-Programm geprüft:
zwei doppelblinde Phase-III-Studi- en (004 und 006), in die Patienten
mit mittelschwerer idiopathischer Lungenfibrose (IPF) eingeschlos- sen wurden. In Studie 004 (n = 435) erhielten die Patienten 2 403 oder 1 197 mg Pirfenidon/Tag, in Studie 006 (n = 344) wurde mit 2 403 mg/
Tag behandelt. Primärer Endpunkt war die forcierte Vitalkapazität (FVC) nach 72 Wochen.
In Studie 004 reduzierte Pirfeni- don (2 403 mg/Tag) den FVC-Ab- fall von –12,4 % unter Placebo auf –8,0 %. Der Unterschied von 4,4 % war signifikant (95-%-KI 0,7 bis 9,1, p = 0,001). Nur bei 20 % der Patienten unter Pirfenidon fiel die FVC um mindestens 10 % ab, aber bei 35 % unter Placebo. Der mittle- re FVC-Abfall unter 1 197 mg/Tag lag zwischen dem unter Placebo und der höheren Verumdosis. In Studie 006 kam es bis Woche 72 zu einem FVC-Abfall von –9,0 % un- ter Pirfenidon und –9,6 % unter Placebo, ohne statistische Signifi- kanz (p = 0,501). Allerdings gab es einen signifikanten Unterschied bis zur Woche 48 (p = 0,007).
Im Studienzeitraum traten in den Pirfenidon-Gruppen (2 403 mg/
Tag) mit 6 versus 8 % weniger To- desfälle und mit 3 versus 7 % auch signifikant (p < 0,03) weniger IPF- bedingte Todesfälle auf als unter
Placebo. Die Studie 004 (nicht aber 006) belegt ferner eine signifikante Reduktion der Abnahme der 6-Mi- nuten-Gehstrecke durch Pirfenidon (p < 0,001) als sekundären End- punkt, und in der gepoolten Analy- se verlängerte der Wirkstoff signi - fikant das progressionsfreie Über - leben um 26 % (p < 0,025). Als häufigste Nebenwirkungen traten Übelkeit (36 %), Rash (32 %), Dys- pepsie (19 %), Schwindel (18 %), Erbrechen (14 %), Photosensitivität (12 %) und Anorexie (11 %) auf.
Fazit: Die Studien belegen, dass Pirfenidon die Verschlechterung der Lungenfunktion bei IPF-Patienten bremst. Dies hat Prof. Dr. med. Oli- ver Eickelberg, Leiter des Compre- hensive Pneumology Centers in München, zufolge zusammen mit einer initialen japanischen Studie von Taniguchi et al. zur beschränk- ten Zulassung von Pirfenidon bei milder bis moderater IPF in Europa, bislang nicht aber in den USA geführt. Pirfenidon ist damit die erste zugelassene Substanz bei IPF in der EU. Ob der Wirkstoff auch zur signifikanten Verlänge- rung der Überlebenszeit führt, müssten die kommenden Jahre zeigen. Christine Vetter
Noble PW et al.: Pirfenidone in patients with idiopathic pulmonary fibrosis (CAPACITY):
two randomised trials. Lancet 2011; 377:
1760–9.
IDIOPATHISCHE LUNGENFIBROSE
Pirfenidon bremst den Abfall der Lungenfunktion
GRAFIK
Mittlere Änderung der forcierten Vitalkapazität vom Ausgangswert
Mittlere Änderung der forcierten Vitalkapazität (in %)
Wochen
modifiziert nach: Lancet 2011; 377: 1760–9 0
–2
–4
–6
–8
–10
–12
–14
0 12 24 36 48 60 72