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Archiv "Konventionelles oder alternatives Sitzen? Eine aktuelle Streitfrage" (17.01.1991)

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DEUTSCHES ARZTEBLATT

Konventionelles oder alternatives Sitzen?

Eine aktuelle Streitfrage

Karl-Hans Berquet

m Stehen kann der Mensch drei Haltungen einnehmen. Je nachdem, ob das Körperge- wicht vor die quere Hüftge- lenksachse fällt, sprechen wir von der vorderen oder militärischen Haltung, wobei eine maximale Mus- kelanspannung notwendig ist, wenn das Körpergewicht über die mittlere Hüftgelenksachse fällt, von der mitt- leren Stehhaltung und wenn das Körpergewicht hinter die quere Hüftgelenksachse fällt, von der hin- teren Stehhaltung. Die mittlere Hal- tung ist eine labile Haltung. Bei der hinteren Haltung wird das Becken zurückgedreht, der Mensch hängt in seinen Bändern. Diese Bänder aber sind nicht zur Haltearbeit geeignet, sie werden überdehnt, damit wird aber auch die Muskulatur und deren Trainierbarkeit gemindert, so daß durch die mangelhafte Leistungsfä- higkeit pseudoradikuläre Syndrome auftreten.

Auch im Sitzen kann der Mensch eine vordere, eine mittlere und eine hintere Haltung einneh- men. Im Gegensatz zum Stehen aber ist sowohl eine vordere straffe Hal- tung wie eine schlaffe, eine mittlere straffe wie schlaffe und eine hintere schlaffe und straffe Haltung möglich.

Bei der straffen Haltung wird jeweils das Becken nach vorne gedreht.

Hierbei ist eine maximale Arbeitslei- stung der Muskulatur notwendig. Ei- ne solche maximale Arbeitsleistung ist jedoch auf die Dauer ohne ent- sprechende Unterstützung nicht zu erzielen.

Bei der Gestaltung eines Sitzmö- bels sind daher bestimmte Kriterien zu beachten. So ist die Sitzhöhe bei

Falsch konstruierte und falsch an- gepaßte Sitzmöbel vermögen Hal- tungsschäden zu verschlimmern und Skoliosen und krankhafte Ky- phosen zu verstärken. Sie können muskuläre Beschwerden, die oft pseudoradikulären Charakter an- nehmen, verursachen. Sogenann- te alternative Sitzmöbel sind hier- zu in der Lage. Sie sind Trainings- geräte und keine „Dauersitze".

einem Kleinkind anders als bei ei- nem Erwachsenen, da die Proportio- nen zwischen Stammlänge und Bein- länge in den einzelnen Lebensaltern sehr verschieden sind.

Es gibt

keinen Allzweckstuhl

Je nachdem, welche Aufgabe ein Stuhl hat, muß er anders geformt sein. Ein Mensch sitzt zwar in erster Linie auf den Sitzbeinhöckern, einer Fläche von 10 , x 20 Zentimetern bis 15 x 27 Zentimetern, belastet wird aber nicht nur diese Fläche. Man set- ze den Menschen auf eine Glasplat- te. Wenn man sich dann das Gesäß von unten ansieht, sieht man die Be- lastungszonen der einzelnen Gesäß- partien (Abbildung 1).

Ein Sitz muß also eine entspre- chende Tiefe und Breite haben. Die-

Arbeitskreis Sitzmöbel (Leiter:

Professor Dr. med. Karl-Hans Berquet) der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie, Schweinfurt

se Sitzfläche wird nicht nur durch die Körpermaße, sondern auch vom Ge- brauch bestimmt. Ein Polsterstuhl muß eine andere Bequemlichkeit bieten und hat deshalb andere Tie- fen- und Breitenausmaße als ein Bü- rostuhl. Auch im Auto sind der Aus- dehnung des Sitzes Grenzen gesetzt (Abbildung 2). Wegen der verschie- denen Druckverteilungen beim Sit- zen sollte der Sitz eine Muldung ha- ben, die sowohl von vorne nach hin- ten als auch in der Breite vorhanden sein muß. Beim Schreiben sollte der Sitz nach vorne geneigt sein.

Ist der Stuhl gepolstert, beste- hen wieder besondere Verhältnisse.

Wie Abbildung 1 zeigt, ist der Druck in den einzelnen Gesäßpartien ver- schieden. Eine solch verschiedene Druckwirkung war früher durch ei- nen Roßhaarsitz mit Federkern leicht auszugleichen. Bei den heute maschinell gefertigten Druckpol- stern kann so etwas nicht erreicht werden. Die Federkerne sind nur noch gewölbt. Eine solche ideale Druckverteilung ist zum Beispiel bei einem Rollstuhl unbedingt erforder- lich.

Auch die Sitzhöhe spielt eine große Rolle. Polsterstühle sind prak- tisch nicht zu normen. Sie unterlie- gen einmal dem Design, zum ande- ren dem Geschmack. Häufig sind ge- rade Polstermöbel zu tief. Wenn man aber aus einem Stuhl aufstehen will, muß man das Körpergewicht über die Füße verlagern. Dazu ist ei- ne ventrale Flexion der Lendenwir- belsäule notwendig und eine Ände- rung der Beugung der Hüftgelenke.

Beide sind bei älteren Leuten einge- schränkt Zu tiefe Sitzmöbel werden deshalb von älteren Leuten abge- lehnt, und ältere Herren kaufen da- A-112 (48) Dt. Ärztebl. 88, Heft 3, 17. Januar 1991

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Kniegelenksbeugung

Unterschenkellänge Lehnenneigung Fußneigung

Sitzhöhe Sitzneigung 2r

Pedalhöhe

Sitzpedalabstand

Abbildung 2: Dia- gramm der Sitz- resultanten eines Autositzes her — wie die Verkaufszahlen der

Autoindustrie zeigen — keine zu tief liegenden Sportwagen.

Beim Bürostuhl muß eine Kom- bination zwischen vorderer und hin- terer Sitzhaltung möglich sein. Daß solche Kombinationen erzielt wer- den können, zeigt der Mauser Ergo- mat nach Prof. Müller-Limroth, der zur Zeit leider nicht gebaut wird, da er zu futuristisch und zu teuer ist; wir selbst und unser gesamtes Personal benutzen ihn. Hier werden Becken und Brustwirbel in jeder Haltung aufgefangen, und auch in der Schreibhaltung hat man eine volle Rückenunterstützung. Eine gleiche Abstützung kann variabel auch

durch die Verwendung einer Schuk- ra-Lehne erzielt werden. Für den Autositz ist es mir gelungen, eine sol- che Konstruktion schon vor zwanzig Jahren zu entwickeln.

Die Hauptfrage beim Sitzen ist neben der Bequemlichkeit aber die Möglichkeit der Schädigung. Durch eine ständige schlaffe Sitzhaltung wird die Muskulatur überdehnt, da- mit kommt es zur Überdehnung der Muskelspindel und einer Störung im Alpha-Gamma-Neuron-System, wo- durch ein mangelhafter Trainingszu- stand verursacht wird. Mit gut trai- nierter Muskulatur kann man stun- denlang sitzen, eine Erkenntnis, die im Erlaß des Preußischen Kultusmi- nisters von 1910 bereits niedergelegt wird: „An den turnfreien Tagen ist in der großen Pause das Zehn-Minu- ten-Turnen durchzuführen, um die Muskulatur zu entmüden und damit die geistige Leistung wieder zu stei- gern". Am meisten schädigend sind die Rückdrehung des Beckens und die damit entstehende Totalkyphose

Abbildung 1: Isobaren des belasteten Gesä- ßes

Abbildung 3: Balans-Stuhl der Firma Haek (Norwegen)

der Lendenwirbelsäule und Verstär- kung der Brustkyphose. Dabei wird der Schultergürtel auseinanderge- drückt und sowohl die Rhomboideen wie auch die Trapezii überdehnt.

Es hat nicht an Konstruktionen gefehlt, um das zu verhindern. So entschlossen sich Spitzy und Lorenz zu einem Lendenbausch, der aber da-

zu führt, daß der Mensch nach vorne rutscht; denn ein ständiger Druck auf die Dornfortsätze ist nicht zu er- tragen. Man liegt dann auf den Schulterblättern.

Schneider und Lippert versuch- ten, durch einen Sitzkeil eine Bek- kenvordrehung zu erreichen; aber auch das ist nur für kurze Zeit mög- lich, dann rutscht der Proband an die Stuhlkante, und die Lehne wird gar nicht mehr oder nur noch im Bereich der Schulterblätter benutzt.

Eine wirkliche Abstützung der Wirbelsäule kann nach unserer An- sicht nur über eine Beckenrandab- stützung erfolgen. Eingehende elek- tromyographische, thermographi- sche, elektromechanische Messun- gen und Röntgenbildschnittmessun- gen durch verschiedene Institute ha- ben diese Angaben untermauert.

Aktives Sitzen schädigt also die Muskulatur am wenigsten. Kann man aber stundenlang aktiv sitzen?

Kein Mensch ist in der Lage, ohne ständigen bewußten Befehl an seine Muskulatur eine ständige Becken- vordrehung aufrechtzuerhalten.

In den letzten Jahren wurde sehr viel vom alternativen Sitzen ge- redet. Ursprünglich kam diese Idee

Abbildung 4: Balans variable

von der Entwicklung eines Sitzmö- bels der Firma Haek (Abbildung 3) in Norwegen, die einen Balans-Stuhl herausbrachte, wobei durch eine Sitzneigung das Becken nach vorne gedreht werden sollte und eine Ab- rutschtendenz durch Kniestützen verhindert wird. Dieser Stuhl war ur- sprünglich ein Trainingsgerät. Deut- sche Firmen machten daraus eine Glaubenslehre.

Um eine ständige aktive Muskel- arbeit zu erzeugen, wurde der Stuhl mit Kufen ausgestattet, die durch

(3)

Abbildung 5a: Erzwungene aufrechte Hal tung auf dem Balans variable; das Becken ist nach vorne gedreht

fortlaufende Bewegungen immer wieder eine erneute Muskelanspan- nung auslösen sollten (Abbildung 4).

Daß ein ständiges Vordrehen des Beckens nicht möglich ist, sondern der Mensch nach einigen Minuten in eine schlaffe hintere Sitzhaltung sinkt, zeigt Abbildung 5.

Eine Umfrage bei den mir be- kannten deutschen Wissenschaft- lern, die sich mit diesem Thema be- schäftigen, Prof. Dr. Dr. Jürgens, Anthropologisches Institut der Uni- versität Kiel, Prof. Dr. Dr. Dieb- schlag, Arbeitsmedizinisches Institut der Universität München, Prof. Dr.

Schoberth, Prof. Dr. Rüther, Ortho- pädie, kam zu dem gleichen Ergeb- nis. Auch sie halten dieses Gerät für ein Trainingsgerät und kein Dauer- sitzmöbel.

Wie Abbildung 5 zeigt, kommt es zu einer Totalkyphose des Rückens, aber auch zu einer erheblichen Knie- beugung, die zu einer Beeinträchti- gung im Nervenverlauf und damit zu

„Einschlafstörungen" führen kön- nen. Der Druck auf das Kniegelenk wirkt sich vor allen Dingen bei Pa- tienten mit einer Chondropathia pa- tellae ungünstig aus.

Abbildung 5b: Dieselbe Versuchsperson nach zwei Minuten; das Becken ist nach hin- ten gedreht; es entsteht eine Totalkyphose Mandal in Dänemark hat ein Schulgestühl entwickelt, mit dem ein ähnlicher Weg beschritten wurde. Es wird in Deutschland unter dem Na- men Backtip vertrieben (Abbildung 6a). Die Tischplatte kann bis 10 Grad geneigt werden. Höfling und ich konnten aber schon 1967 nach- weisen, daß eine Schrägstellung der Tischplatte unter 16 Grad keinen Er- folg bringt. Um eine bessere Haltung zu erzielen, änderte Herr Mandal die von der ISO-Norm angegebene Sitzhöhe (Abbildung 6b) erheblich, um damit eine weitere Aufrichtung des Körpers zu erreichen. Er kehrte zum alten Stehpult zurück, ohne bei diesem Sitz die Sicherheit des Steh- pultes, das wir selbst benutzen, zu er- möglichen. Mandal benutzt eine nach vorne abgeschrägte Sitzplatte im vorderen Teil, um den Effekt der Balans-Stühle zu erreichen und eine Beckenvordrehung zu erzwingen.

Der hintere Teil des Sitzes ist nach hinten abfallend, um eine Zuhörhal- tung zu ermöglichen. Dabei soll die überhöhte Sitzhaltung durch Fußste- ge, die unter dem Stuhl angebracht sind, ausgeglichen werden (siehe Skizze in Abbildung 6a).

Abbildung Sc: Nach fünf Minuten ist das Becken völlig nach hinten gedreht; die Pro- bandin hängt in den Bändern

In Deutschland wird dieses Ge- stühl mit der Behauptung vertrieben, deutsche Kinder seien zu groß für die ISO-Norm-Tische und -Stühle (siehe Abbildung 6c). Dabei beträgt die Tischhöhe beim größten Tisch bei uns 76 Zentimeter, ein Büro- schreibtisch hat nur 74 Zentimeter, nach der EURO-Norm sogar nur 72 Zentimeter. Höchstens fünf Prozent unserer Kinder aber sind über 190 Zentimeter groß, und sie finden an den jetzigen Schultischhöhen besse- re Arbeitsbedingungen als später im Bürobetrieb.

Wir haben uns Mandals Schul- möbel besorgt und ausprobiert. Das Ergebnis sieht anders aus als in sei- nem Film. Praktisch kehrt er damit zur Anpassung der alten Rettig- Bank zurück. Eine Beckensicherung aber ist nicht gegeben. Das Becken wird bei Benutzung des vorderen Teils des Sitzes trotz der Vorneigung zurückgedreht, so daß eine Totalky- phose entsteht (siehe Abbildung 7a).

Auch bei Benutzung des hinteren Teils des Stuhls beim Schreiben ent- steht eine Totalkyphose, die den Bandapparat überdehnt (Abbildung 7b).

A-116 (52) Dt. Ärztebl. 88, Heft 3, 17. Januar 1991

(4)

Richthöhe Richthöhe Richthöhe Richthöhe Körpergröße BackUp BackUp traditionelle traditionelle

Stühle Tische Stühle Tische

Grün über 185 cm 70 cm 10C cm 48 cm 76 cm

Schwarz 175-185 cm 63 cm 90 cm 45,5 cm 72 cm

Gelb 160 -175 cm 54 cm 80 cm 43 cm 68 cm

Blau 145-160 cm 48 cm 72 cm 40 cm 64 cm

Rot 130-145 cm 42 cm 62 cm 38 cm 60 cm

Weiss 120 -130 cm 42 cm 62 cm 35 cm 56 cm

Grün 100-120 cm auf Anfrage auf Anfrage 32 cm 52 cm

Die ergonomischen BackUp Tische sind in zwei höhenverstellbaren Modellen lieferbar:

a) höhenverstellbar von 62 cm bis 82 cm.

b) höhenverstellbar von 80 cm bis 100 cm.

und in drei verschiedenen Größen:

a) 60 cm x 70 cm.

b) 60 cm x 90 cm und

c) als Doppeltisch 60 cm x 120 cm.

BackUp Lehrertisch:

70 cm x 120 cm, wobei ein Teil von

70 cm x 70 cm schräggestellt werden kann.

Höhe 90 cm.

Abbildung 6a: Richthöhen für ergonomische BackUp-Schulmöbel und traditionelle Schulmöbel bei verschiedenen Körpergrößen

(5)

Falls doch eine Buchablage angebracht wird. so muß zwischen Oberschenkel und Buchbrett ausreichender Spielraum bleiben.

Die Ellenbogenspitze soll sich in Höhe der Tischplatte oder etwas darunter befinden.

Zwischen Unterseite des Oberschenkels und dem Sitz an seiner Vorderkante darf keine Berührung bestehen damit kein Druck auftritt.

3

.../

Beide Füße müssen voll den Boden berühren.

ii

Mindest- beinfreiheit

Die Lehne soll den Rücken in Hörhaltung unterhalb der Schulterblätter. in Schreib- haltung am Beckenrand ab- stützen. Die Beckenrandab- stützung darf nicht federn.

Die Rückseite des Unterschenkels darf den Sitz nicht berühren.

Größenordnung Körperlängengruppe Stuhl

120 (lila) 135 (gelb) 128-142

150 (rot) 165 (grün) 180 (blau) über 172

112-127 143-157 158-172

a) Sitzflächenhöhe 1 ) b) Funktionelle Sitztiefe 2)

c) Funktionelle Mindestsitzbreite 3) d) Neigungswinkel des oberen

Lehnenteils

e) Höhe des Lehnenknicks f) Lehnenoberkante g) Lehnenunterkante 4)

h) Maß über dem Lehnenknick für Rückenlehne bei einem Radius von 31-40 cm 5)

30 30 27 100-106°

max. 15 24-29 max. 12

28-31

34 33 29 100-106'

max. 18 27-32 max. 14

30-34

38 36 32 100-106°

max. 19 30-35 max. 15

32-37

42 38 34 100-106'

max. 21 34-39 max. 17

35-41

46 40 36 100-106°

max. 22 36-42 max. 19

36-41 Tisch

i) Tischplattenhöhe

k) Tischplattentiefe (Minimum) 1) Tischplattenlänge (Zweiertisch)

an der Arbeitsseite (Einertisch) m) Neigungswinkel der Tischplatte 6)

n) Mögl. Höhe eines Ablagefaches o) —

p) Maße für Bein- q) - und Fußraum

r) unter dem Tisch s) —

52 50 130 70 16°

6 30 35 25 10 47

58 50 130 70 16°

6 30 40 30 10 47

64 70

50 50 (60) 130 130 (150) 6)

70 70

16° 16°

6 6

35 40

40 45

30 35

10 min. 15

47 47

76 60 150 80 16°

8 40 50 35 min. 15

47

1) Gemessen am höchsten Punkt der Oberfläche des Sitzes.

2) Die funktionelle Sitztiefe ist bestimmt durch eine in der Mitte der Sitzfläche sagittal verlaufende Strecke, die am vorderen Rand der Sitz- fläche beginnt und in den Fußpunkt des Lotes endet, das von dem Scheitel des Lehnenknicks der Rückenlehne auf die Sitzfläche fällt.

3) Die funktionelle Sitzbreite ist die beim Sitzen tatsächlich nutzbare.

4) Die Lehnenunterkante darf das Verrutschen des Gesäßes nach hinten in der Schreibhaltung nicht behindern. Knickwinkel gegen Lehnen- oberteil 10-30'; g) hängt jeweils vom Knickwinkel ab.

5) Das Maß der Rückenlehne ist ein Annäherungswert, der zur Charakterisierung der Maßproportion der Rückenlehne dient. Dieses Maß soll an der Lehnenober- und Lehnenunterkante nicht wesentlich über- oder unterschritten werden.

6) Bei kleineren Klassenstärken sollte die Tischgröße 60/150 cm gewählt werden.

Abbildung 6b: Deutsche Schulmöbelmaße, die zur Internationalen Norm 5970 führten

A-120 (56) Dt. Ärztebl. 88, Heft 3, 17. Januar 1991

(6)

Abbildung 7a: Man- dalsches Schulge- stühl mit zweigeteil- ter Sitzfläche. Trotz nach vorne abschüs- sigem vorderen Teil entsteht eine Totalky- phose

Abbildung 6c: Bei entsprechender Anpas sung kann auch ein Zweimeter-Mann an un serem heutigen Schulgestühl richtig sitzen und arbeiten

Aus Frankreich kommt jetzt ein neues Schulgestühl der Firma He- pheistos, das nicht mehr die Knie als Abstützungspunkt nimmt, sondern die Unterschenkel (Abbildung 8). Bei einem von dieser Firma entwickelten Schulgestühl sind Tisch und Stuhl fest miteinander verbunden. Eine Distanzänderung ist damit nicht mehr möglich. Das Kind kann zum Schreiben nicht in eine Minusdistanz an den Tisch heranrücken oder beim

Abbildung 7b:

Auch bei Benut- zung des hinteren Teils des Stuhles ist keine Beckensi- cherung vorhanden;

auch hier Totalky- phose

Zuhören in eine Plusdistanz auswei- chen. Auch dieser Stuhl ist für einen Dauersitzbetrieb oder als normales Sitzmöbel für längere Zeit nicht geeig- net (Abbildung 9). Wie man in Abbil- dung 9 erkennt, wird auch hier trotz vorgeneigter Sitzfläche und Abstüt- zung an den Unterschenkeln eine To- talkyphose verursacht. Einige Balans- Möbelhersteller scheinen erkannt zu haben, daß man ohne Rückenlehne nicht auskommt (Abbildung 10).

Abbildung 8: Hepheistos-Sitzmöbel (Frank reich). Die Abstützungsfunktion übemeh men die Unterschenkel

Abbildung 9: HepheistoS-Schulmöbel:

Druck auf das obere Drittel des Unterschen- kels, wo eine Dauerbelastung nicht möglich ist. Trotz Sitzvomeigung Totalkyphose

(7)

Alle diese als alternative Sitzmöbel angebotenen Sitzgeräte gehören nach unserer Ansicht als Trainingsgeräte in Freizeiträume, nicht aber in Dauerbe- triebe und besonders nicht an Arbeits- plätze. Eine Normung wurde bisher trotz wiederholtem schwedischen An- trag von der ISO (International Stan- dardisation Organisation) abgelehnt, es handle sich um einen Kniehocker und nicht um ein Sitzmöbel.

Literatur

1. Berquet, K.-H.: Sitzschäden—Haltungsschä- den, Lohman-Düren (1964), hrsg. mit Erlaß des Kultusministers Nordrhein-Westfalen v.

11. 3. 1965, AZ H A 60-15/1 Nr. 537/65 2. Berquet, K.-H.: Schulmöbel, Dümmler,

Bonn (1971)

3. Berquet, K.-H.: Sitz- und Haltungsschäden, Thieme, Stuttgart (1989), hrsg. mit Empfeh- lung des Bayer. Staatsministeriums für Un- terricht und Kultus an die Regierungen, an die Ministerialbeauftragten für die Real- schulen in Bayern, an die Ministerialbeauf- tragten für die Gymnasien in Bayern, an die Ministerialbeauftragten für die Fachober- schulen in Bayern und alle Schulen sowie die kommunalen Spitzenverbände vom 19. 8. 1988, AZ 11/14-8/40 049

4. Berquet, K.-H.: Neue Erkenntnisse über Schulmöbel, MLV-Gesellschaft, Uelzen (1989), hrsg. mit Empfehlung des Baye- rischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus v. 3. 8. 1989, AZ 1/12-04170- 8/

44 795, an die Regierungen, an die Ministe-

Abbildung 10: Wie das aus einem Reklame katalog entnommene Bild zeigt, ist die Be nutzung der Rückenlehne beim Schreiben praktisch unmöglich; die Kniegelenke tra- gen die Last

rialbeauftragten für die Realschulen in Bay- ern, an die Ministerialbeauftragten für die Gymnasien in Bayern, an die Ministerialbe- auftragten für die Fachoberschulen in Bay- ern sowie an die kommunalen Spitzenver- bände und alle Schulen

5. Berquet, K.-H.: Die Balans-Stühle — Sitz- möbel für gesundes Sitzen? Med. orthop.

Technik 3 (1985) 106-108

6. G. Berquet, K.-H.: Sitzkeil, oder Becken- randabstützung, Med. Welt 1967, 44 7. Gutmann, G. u. Wörz, R.: Entstehung und

Vorbeugung von Schul-Kopfschmerz. Fort- schritte der Medizin, 106 (1988) Nr. 24

8. Höfling, G.: Warum schreiben unsere Kin- der in schlechter Haltung? Therapie der Gegenwart 11 (1968) 1-24

9. Berquet, K.-H.; Jürgens, H. W.: Grundmaße von Schulmöbeln. Das öffentliche Gesund- heitswesen 34, Thieme, Stuttgart (1972) 51-56

10. Schoberth, H.: Orthopädie des Sitzens, Springer-Velrag 1989, Videofilm: Berquet, K.-H.: Schulmöbel, Auswahl und Anpas- sung, PULS-Videofortbildung, perimed- Verlag, Erlangen, Januar 1990

11. Berquet, K.-H.: Anpassung der Schulmöbel, Haltung und Bewegung 3 (1990) 21-26 Zur Zeit im Druck

Berquet, K.-H.: Schulmöbel, Konservatives oder alternatives Sitzen, TW-Pädiatrie, zur Zeit im Druck 1991

Berquet, K.-H.: Sitzschäden, Zeitschrift für Krankengymnastik, zur Zeit im Druck Berquet, K.-H.: Konventionelles oder alternati- ves Sitzen, Editorial, Zeitschrift für Allgemein- medizin, zur Zeit im Druck 1991

Berquet, K.-H.: Alternative Schulmöbel und al- ternatives Sitzen, werden hierdurch Schäden ausgelöst? Videofilm, Fortbildungsreihe Puls, Perimed-Verlag, zur Zeit in Vorbereitung 1991

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med., Dr. med. habil.

Karl-Hans Berquet Lange Zehntstraße 20 W-8720 Schweinfurt

KEIK-Risikofaktor:

Lipoprotein(a)

Die familiäre Hypercholesterin- ämie ist mit einem erhöhten Risiko verbunden, an koronarer Herzkrank- heit zu erkranken, jedoch besteht bei den einzelnen Patienten hinsichtlich der Empfänglichkeit für die KHK ei- ne große Variationsbreite.

Um die mögliche Rolle des Li- poproteins(a) als Risikofaktor für die KHK zu erfassen, wurde die Ver- bindung zwischen Serum-Lipopro- tein(a)-Spiegel, genetischen Apoli- poprotein(a)-Typen und KHK bei 115 Patienten mit heterozygoter fa- miliärer Hypercholesterinämie un- tersucht. Der mittlere Lipopro- tein(a)-Spiegel lag bei 54 Patienten mit KHK mit 57 mg/dl signifikant hö- her als die korrespondierenden Wer- te von 18 mg/dl bei 61 Patienten oh- ne KHK. Entsprechend der Diskri-

minationsanalyse war der Lipopro- tein(a)-Spiegel der beste Diskrimi- nator zwischen beiden Gruppen (verglichen mit allen anderen Lipid- und Lipoproteinspiegeln, Alter, Ge- schlecht oder Rauchgewohnheiten).

Bei 109 Patienten wurde eine Phä- notypisierung für Apolipoprotein(a) durchgeführt. Hinsichtlich der Häu- figkeit der Apolipoprotein(a)-Phä- notypen unterschieden sich die Pa- tienten mit und ohne KHK signifi- kant. Das Allel Lp S2, das mit hohen Lipoprotein(a)-Spiegel assoziiert ist, wurde häufiger bei Patienten mit KHK gefunden (0.33 vs. 0.12). Im Gegensatz hierzu trat das Lps 4-Allel, das mit niedrigen Lipoprotein(a)- Spiegeln einhergeht, häufiger bei Pa- tienten ohne KHK auf (0.27 vs. 0.15).

Die Autoren kommen zu dem Schluß, daß erhöhte Lipoprotein(a)- Spiegel bei Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie einen starken Risikofaktor für die KHK darstellen

FÜR SIE REFERIERT

und daß diese Risikoerhöhung unab- hängig von Alter, Geschlecht, Rauchgewohnheiten, Serumchole- sterinspiegel, Serumtriglyceridspie- gel und HDL auftritt. Der beobach- tete, erhöhte Lipoprotein(a)-Spiegel bei Patienten mit KHK ist Ergebnis genetischer Einflüsse. nkl

Seed, M., Hoppichler, F. et al: Relation of serum lipoprotein(a)concentration and apolipoprotein(a) phenotype to coronary heart disease in patients with familial hy- percholesterolemia. N. Engl. J. Med. 1990;

322: 1494-9

Dr. M. Seed, Department of Medicine, Charing Cross and Westminster Medical School, Fulham Palace Rd., London W6 8RS, United Kingdom.

A-124 (60) Dt. Ärztebl. 88, Heft 3, 17. Januar 1991

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