9 0 5 9 0 6 Bezeichnung w e i s e n d e Funktion erhält das t.B. bei E. HUSSERL: ES
w i r d als «phänomenologisches Residuum» verstanden, a l s immanente Sphäre der sinnstiftenden Subjektivität, d i e , allem innerweltlich Seienden grundsätzlich vorge
o r d n e t , der transzendentalphänomenologischen Reduk
t i o n entzogen bleibt [4].
Anmerkungen. [I] KANT, K r V A 1 1 7 / 1 8 . - [2]. V g l . AMRHEIN ( L i t . 1909) 94ff. - [3] H. RICKERT: Der Gegenstand der Erkenntnis ( ' 1 9 2 1 ) 45. - [4] Vgl. z. B. E. HUSSERL: Ideen zu einer reinen P hä n o m e n o l . und phänomenol. Philos. 1. Buch §§ 33. 501T. 76.
Literaturhinweise. H. AMRHEIN: Kants Lehre vom «Bewußtsein ü b e r h a u p t » und ihre Weiterbildung bis auf die Gegenwart. Kant
s t u d i e n . Ergh. 10 (1909). C. RADULESCUMOTRU: La conscience transcendentale. Rev. Met. Morale 21 (1913) 752786. A. DE MURALT: La conscience transcendentale dansle criticisme kantien ( P a r i s 1958). A. GURWITSCH: La coneeption de la conscience c h e z Kant et chez Husserl. Bull. Soc. franc. Philos. 54 (1960) 6 5 9 6 . PH. MERLAN: Monopsychism, mysticism, metaconscious
n e s s (Den Haag 1963) 114ff. A. DIEMER: Edmund Husserl
(21 9 6 5 ) . W . HALBFASS
B e w u ß t s e i n , unglückliches. Der Ausdruck <u.B.> ist eine HEGELSche Begriffsbildung, deren Bedeutung die neuere, entwicklungsgeschichtliche Hegelrezeption hervorgeho
b e n hat. Der Terminus selbst k o m m t indes nur in der
< P h ä n o m e n o l o g i e des Geistes) vor [1]. Er bezeichnet d o r t eine Gestalt des freien Selbstbewußtseins, die auf d e n antiken Skeptizismus folgt: das «in sich entzweite B e w u ß t s e i n » . Dieses ist sich des Widerspruchs bewußt, d e s s e n Seiten der Skeptizismus dadurch auseinanderhält, d a ß er etwas anderes sagt als tut. Es weiß sich nämlich e i n e r s e i t s als sich befreiend, unwandelbar und sichselbst
g l e i c h , andererseits als sich verwirrend und verkehrend.
E s ist «das Bewußtsein seiner als des gedoppelten, nur w i d e r s p r e c h e n d e n Wesens» [2]. Selber Eines, ist ihm a u c h die Einheit beider Seiten wesentlich; aber da es für s i c h nicht diese Einheit ist, ist sie ihm noch ein Fremdes.
I n seiner Unwesentlichkeit hat es sich von sich selbst zu b e f r e i e n , obwohl es bereits darin frei ist, daß es sich zu s e i n e m gegenständlichen Wesen verhält als zu einem, in d e m es bei sich selbst bleibt. Anstatt in der Erhebung z u diesem Wesen die Einheit herzustellen, reproduziert e s j e d o c h nur die Gespaltenheit auf verschiedenen Stu
f e n . Die Dialektik, die es dabei erleidet, bezieht sich am E n d e deutlich auf die Erlösungspraktik der christlichen K i r c h e . Ihr Ausgangspunkt und ihre Hauptschritte wer
d e n jedoch erst verständlich, wenn man als historische B a s i s ihrer ersten Stufen die vorchristliche und christ
l i c h e Gnosis erkennt [3]. Aus der Gnosis stammen die w i c h t i g s t e n Begriffe, mit Hilfe deren Hegel das u.B. be
s c h r e i b t , z. B. <Unwandelbares) [4], <Fremdes, Jenseits, K a m p f , Schmerz, Sehnsucht, Natur, Geschehen > [5]. In d i e s e m Zusammenhang ergibt sich auch, wie der Aus
d r u c k < unglücklich > zum Synonym fü r < in sich entzweit >
w e r d e n und anstatt von Bewußtseinszuständen, Sachen o d e r Ereignissen [6] vom Bewußtsein selbst gebraucht w e r d e n konnte. Er stellt die Übersetzung von KaicoSaiuwv ( u n g l ü c k l i c h , von einem bösen D ä m o n besessen [7]) dar u n d bezeichnet so, der Intention des deutschen Idealis
m u s entsprechend, zugleich die Getrenntheit des Selbst
b e w u ß t s e i n s von seinem Wesen und darin sein Unglück.
D i e BegrilTsbildung <u.B.> besitzt eine auffällig un
s c h e i n b a r e Wirkungsgeschichte. Von der Hegelschule im 1 9 . J h . wurde sie, selbst anläßlich eigener Behandlung d e r Phänomenologie des Geistes, nicht aufgenommen [ 8 ] . Gnosisdarstellungen Hcgelscher Observanz [9] legten s o g r o ß e n Wert auf die Übereinstimmung zwischen spe
k u l a t i v e r Religionslehre und christlicher Gnosis, daß ein k r i t i s c h e r Begriff wie derjenige des u.B. in ihnen keinen
Platz fand. Eine stillschweigende Anwendung desselben auf das Wesen des Christentums, ja der Religion über
haupt deren Wahrheit HEGEL von ihrer Erscheinungs
weise im u.B. unterschied [10] war dagegen der Sache nach FEUERBACHS Religionskritik, solange sie vom Standpunkt des menschlichen Selbstbewußtseins aus ar
gumentierte [11]. Bereits entferntere Reminiszenzen ent
halten KIERKEGAARDS Ansprache <Der Unglücklichste) [12] und E. v. HARTMANNS Ausführungen über die ab
solute Tragik der Gotteserlösung [13]. Es ist das Ver
dienst von J. WAHL, den Gehalt der Idee des u.B. und ihre Bedeutung wieder erschlossen zu haben [14]. Wahl versteht das u.B. als «Leitmotiv» der Hegeischen Ent
wicklung, deutet es jedoch so umfassend, daß es mit jeglichem Bewußtsein unaufgehobener Entzweiung zu
sammenfällt [15].
Anmerkungen. [1] G. W. F. HEGEL: Phänomenol. des Geistes (1807), hg. J. HOFFMEISTER (1952) 158ff. [2] a. a. O. 158. [3] Vgl. HEGEL, Vöries, über die Philos. der Weltgesch. Werke, hg. G. LASSON (1920) 3, 727ff. [4] Vgl. PHILO: Quod deus sit i m m u t a b i l i s . O p e r a , h g . L. COHN u n d P. WENDLAND ( 1 8 9 7 ) 2, 56ff. [5] Vgl. H. JONAS: Gnosis und spätantiker Geist 1. Teil (M964) 92ff. [6] Vgl. J. und W. GRJMM: Dtsch. Wb. (1936) 101 l f . [7] V g l . H . G . LIDELL/R. SCOTT: A G r e e k E n g l i s h L e x . (Oxford »1940); W. PAPE: Handwb. der griech. Sprache (1842).
[8] Vgl. G. A. GABLER: Lehrbuch der philos. Propädeutik, 1. Abt.: Kritik des Bewußtseins (1827). (9] F. CHR. BAUR:
Die christliche Gnosis oder die christliche ReligionsPhilos. in ihrer gesch. Entwicklung (1835); W. VATKE: Die menschliche Freiheit in ihrem Verhältnis zur Sünde und zur göttlichen Gnade ( 1 8 4 1 ) . [10] HEGEL, a. a. O . [1] 162. [11] Vgl. L. FEUERBACH:
Das Wesen des Christentums (1841). Sämtl. Werke 7 (1883). [12] S. KIERKEGAARD: Entweder/Oder 1 (1843). Dtsch. Werke, hg.
E. HIRSCH 1. Abt. (1956) 231ff. [13] E. v. HARTMANN: Religions
philos. 2., systematischer Teil: Die Relig. des Geistes (1881/82).
Ausgewählte Werke (1907) 266ff. [14] J. WAHL: Le malheur de la conscience dans la Philosophie de Hegel (Paris 1929). [15]
a. a. O. 31.36. 152f.
Literaturhinweise. J. WAHL S. A n m . [14]. J. HYPPOLITE:
Genese et strueture de la Phänomenologie de l'Esprit de Hegel (Paris 1946). S. CONTRI: La coscienza infelice nella filosofia hegeliana, in: Theorein (Palermo 1961/62) 42ff. J. LOEWENBERG:
Hegels Phenomenology: Dialogues on the life of mind (La Salle,
III. 1 9 6 5 ) 97ff. F . FULDA
Bewußtsein, utopisches. Der Ausdruck <u.B.> bezeichnet eine geschichtsdeutende Haltung, die sich eines künfti
gen Idealzustands der Menschheit und der eigenen Teil
habe am Prozeß der Verwirklichung dieses Ziels gewiß ist. K. MANNHEIM charakterisiert das u.B. als eines, «das sich mit dem es umgebenden <Sein> nicht in Deckung befindet»; dies impliziert, daß es «in das Handeln über
gehend, die jeweils bestehende Seinsordnung zugleich teilweise oder ganz sprengt» [1]. Eine Enzyklopädie des u.B. unter dem Titel eines «antizipierenden B.» stellt E. BLOCH auf, orientiert an einer «Ontologie des Noch
NichtSeins»: In der «Vorstellung eines Besseren findet Wünschen statt, gegebenenfalls ungeduldiges, fordern
des» [2].
Anmerkungen. [1] K. MANNHEIM: Ideologie und Utopie (M951) 169. [2] E. BLOCH: Das Prinzip Hoffnung 1 (1959) 51.
Literaturhinweis. A. NEUSüSS: Utopie. Begriff und Phänomen
des Utopischen (1968). W. BIESTERFELD
Bezeichnung. F ü r Wörter einer Sprache, die außersprach
liche Gegenstände erfassen, wird häufig, besonders in sprachwissenschaftlichen Untersuchungen, der Ausdruck
<B.> gebraucht. Schon dessen eigentlicher Wortsinn:
«miteinemZeichenversehen» bzw. «ausgestattetsein»
läßt dabei den Gegenstand als den festen Bezugspunkt erscheinen, dem die B. zugeordnet wird. Dadurch rückt 3 0 Hist. Wb. Philos. 1
Originalveröffentlichung in: Ritter, Joachim (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, Basel, 1971, S. 905-906