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Ivo Andrić

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Slavistische Beiträge ∙ Band 8

(eBook - Digi20-Retro)

Verlag Otto Sagner München ∙ Berlin ∙ Washington D.C.

Digitalisiert im Rahmen der Kooperation mit dem DFG-Projekt „Digi20“

der Bayerischen Staatsbibliothek, München. OCR-Bearbeitung und Erstellung des eBooks durch den Verlag Otto Sagner:

http://verlag.kubon-sagner.de

© bei Verlag Otto Sagner. Eine Verwertung oder Weitergabe der Texte und Abbildungen, insbesondere durch Vervielfältigung, ist ohne vorherige schriftliche

Regina Minde

Ivo Andrić

Studien über seine Erzählkunst

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Slavistische Beiträge

U nter M itw irk u n g von M . Braun • Göttingen, P. Diels • München, J. Holthusen • W ürzburg, E. Koschmieder • München, W . Lettenbauer • Erlangen, J. M atl ־

Graz, F. W . Neumann • M ainz, L. S adnik-A itzetm üller ״ Saarbrücken H E R A U S G E G E B E N V O N A . S C H M A U S • M Ü N C H E N

Band 8

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REGI NA MINDE

I v o A n d r i ć

Studien über seine Erzählkunst

V E R L A G O T T O S A G N E R ״ M Ü N C H E N 1 9 6 2

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00046802

BűY&risch8

Stwfcbib’t ö V *

(с)

1962 by Verlag O tto Sagner/München Abteilung der Fa. Kubon & Sagner, München

Herstellung: Buch- u. Offsetdruckerei K a rl Schmidle, Ebersberg

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I n h a l t

Seite

E i n l e i t u n g ... 7 B i b l i o g r a p h i e ... 11

I. K apitel: E rzählhaltung und Erzählperspektive 15 II. K apitel: Raum * Geschichte ־ G esellschaft. . 36 III. K apitel: Z e itg e s ta ltu n g ...57 IV. K apitel: R e d e g e s ta ltu n g ... 84

V. K apitel: Personendarstellung . . . . 142 N a c h w o r t ...197

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E I N L E IT U N G

Iv o A ndrić, d e r besonders in den letzten Jahren w eit über die G renzen Jugoslaviens hinaus b e k an n t und 1961 m it dem Nobelpreis fü r L itera tu r ausgezeichnet w orden ist, gehört als E rzäh ler zu den interessantesten Erscheinungen d er zeitgenössischen L iteratur.

E r begann seine literarische L aufbahn als Lyriker, erw arb sich bald nach dem ersten W eltkrieg m it seinen tagebuchartigen Prosagedichten

״ Ex P o n to ״ un d ״ N e m iri“ einen gewissen N am en, w an d te sich dann aber ganz d er epischen D ichtung zu. Bereits seine erste Erzählung, das T rip ty k o n ״ Reise des A lija D jerzelez״ , fand starke Beachtung un d begründete seinen R u h m als Meister des Stils und der psycho- logisdien Analyse. D ieser ersten folgte eine lange Reihe w eiterer E r- Zahlungen. D en vorläufig letzten H ö h e p u n k t des erzählenden Werkes bildet die im J a h re 1954 veröffentlichte große E rzählung ״ D er Ver- däm m te H o f “ . U n m itte lb a r nach dem zweiten W eltkrieg ist Andrić audi als R om ancier in Erscheinung getreten. Von seinen drei R om a- nen ״ D ie Brücke über die D r in a “, ״ D ie C h ro n ik von T ra v n ik ״ und

״ Das F räu le in “ ist vorzüglich d er erste als bedeutendes Beispiel seiner E rz ä h lk u n st b e k a n n t geworden.

Schon heute rechnen die Jugoslaven Iv o A ndrić zu den großen Klassikern ihrer L ite ra tu r.1)

Angesichts dieser Tatsache ist es erstaunlich, wie wenig eingehend sich ihre L ite ra tu rk ritik bisher m it ihm beschäftigt hat. Es ist zw ar sehr viel über A ndrić geschrieben w orden, doch h an d elt es sich, selbst bei umfangreicheren A rbeiten, im wesentlichen um Betrachtungen allgemeiner N a tu r , inhaltlich-gehaltliche Probleme, psychologische Fragen, v o r allem aber Versuche, die besondere Weitsicht des Dichters zu definieren. M it ausführlicheren Untersuchungen sind in den letzten Jah re n n u r die Ö sterreicherin Rosa M ayer und der Jugoslave P etar J) Z u r Biographie Iv o Andrićs sei hingewiesen auf den entsprechenden A r-

tike l in : Enciklopēdija Jugoslavie Bd. I (1955).

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D z a d z ić hervorgetreten. Sie sind durchaus charakteristisch fü r die allgem eine R ichtung d e r bisherigen A ndrić-Forschung, falls m an von einer solchen ü b e rh a u p t schon reden d arf.

R osa M a y e r geht in ih rer D issertation ״ Iv o A ndrić, G e h a lt und G esta lt seines dichterischen W erkes“ d a v o n aus, d a ß jede U n tersu - chung, u nabhängig d av o n , ob sie dem Stoff, dem Ideengehalt oder dem Stil gilt, vo n d e r ״ offenbarten seelischen B ereitschaft“ des D id i- ters auszugehen habe, die sich als ״ Stoffsichter“ zu erkennen gibt.2) D z a d z ić hingegen betrachtet in seiner S tudie ü b er A n d rić das W erk als logischen Ausdruck seiner besonderen Persönlichkeit, die vo n den schweren Erlebnissen seiner Ju g en d gep räg t sei. Beiden A rbeiten ist also gemeinsam, d a ß sie nicht das W erk, sondern den A u to r an den A n fan g stellen, d a ß als wesentlich das betrachtet w ird , was z u r D a r- Stellung gelangt, nicht aber, wie es d argeboten w ird . V o n d a h e r ge- sehen erscheinen L y rik , E rz ä h lu n g u n d R o m an n u r als verschieden- a rtig e r Ausdruck einer bestim m ten H a ltu n g un d k ö n n en deshalb auch u n te r gleichen G esichtspunkten b eh an d e lt w erden. D a ß die L y rik anderen Gesetzen fo lg t als die E p ik u n d die K u rz fo rm der E rz ä h - lung nicht ohne weiteres d e r G ro ß fo rm des R om ans entspricht, ist bisher in keinem Fall berücksichtigt w o rd en . G ew iß lä ß t sich über die Berechtigung eines solchen V orgehens streiten, es steh t ab er au ß er Z w eifel, d a ß es einseitig bleiben m uß, d a hier das D ich tw erk nicht als geschlossene E inheit, sondern als P ro je k tio n einer angenom m enen H a ltu n g , als zum D ichter hin offen, begriffen w ird .

In dieser A rb e it w ird d er Versuch u n ternom m en, dem besonderen W eltv erstän d n is des D ichters a u f analytischem W ege nahezukom m en, vo n d e r V oraussetzung ausgehend, d a ß jedes K u n s tw e rk eine eigen- gesetzliche G a n z h e it d arstellt. U m d er Ü bersichtlichkeit w illen be- schränkt sich unsere U ntersuchung a u f A ndrićs E rzä h lu n g en , w obei gleich eine w eitere E inschränkung gemacht w erd en m u ß . Es sind ihrer zu viele, als d a ß a u f jede einzelne eingegangen w erd en könnte. A u ß e r den in d er zw eibändigen Ausgabe vo n 1954 en th alten en w erden nur die E rzäh lu n g en ״ D e r V erd am m te H o f “, ״ G espräch m it G o y a “, 2) R. M a y e r , Iv o A n d rić , Gehalt und Gestalt seines dichtcrischen W er-

kcs. Diss. G raz 1951 (Masch.), S. 1.

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״ Lagerleben“ und ״ Rausch und Leiden des T o m a G a lu s״ herangezo- gen. Im ganzen h a n d elt es sich also um etw a fü n fzig E rzählungen aus d er Zeit von 1920 bis 1954, eine A usw ahl, die g roß genug ist, um als rep räsen tativ gelten zu können, gleichzeitig ab er zu groß, als d a ß eine erschöpfende B ehandlung möglich w äre. W o es v e rtre t- b a r schien, haben w ir uns m it A ndeutungen begnügt, v o r allem sind die besonderen sprachlichen Eigentüm lichkeiten kaum berücksichtigt w orden. W ir verweisen hier au f die sehr interessante Stilanalyse, die D ragiša Ž ivkovic an d er E rzä h lu n g ״ D e r V erd am m te H o f ״ vor- nim m t, bisher das einzige Beispiel eines Versuches, eine der E rz ä h - lungen aus ihren eigenen G egebenheiten zu in terp retieren .3)

Bei der Ü bersetzung d e r Z itate kam es uns w eniger a u f Schönheit als a u f G enauigkeit an. D ie in K la m m ern beigefügten Z ahlen be- ziehen sich a u f die in d er B ibliographie u n ter A. angeführten Aus- gaben.

3) D. Z iv k o v ic , N e k o lik o stilskih o d lik a proze Ive A n d rića — povodom

״Proklete a v lije “ . Godisnjak F ilo zo f skog fa ku lte ta и N o vo m Sadu I.

1956, S. 251— 270.

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B i b l i o g r a p h i e

Verwendete Abkürzungen:

SKG = Srpski književni glasnik LM S = Letopis M aticc srpske

Odabrane pripovetke I — I I . Beograd, Srpska književna zadruga, 1954

Prokleta a vlija. N o v i Sad, M atica srpska, 1954 Zanos i stradanje Tome Gaiusa. SKG N.S. 33,

1931, 1— 8

Razgovor sa Gojom. SKG N.S. 34, 1935, 1— 15 Za logorovanja. SKG N.S. 4, 1922, 321— 331

A. Benuhte Ausgaben

A n d r ii, Iv o :

F ra tri и A ndrićevim pripovetkama. Svijet 19.

1937/38, 3/4, 63— 65

Sa strana zamagljenih. M lada Bosna 1. 1928, 6, 166— 169

U vo d и TravniČku hroniku Iv a Andrisa. LMS 1956, 377, 4, 317— 327

О novim pripovetkam a Iv a Andrića. Polet I.

1950, 6, 46— 53

Razgovori s dušom. Predgovor Ex Ponto. Za- greb 1918

Iv o A ndrić, ״Put A lije Djerzeleza“ . SKG 1.

1920, 1, 124— 130

Pripovetke Iv a Andrića. SKG 34. 1931, 1, 58— 64

Iv o A n d rić, ״N a D rin i ćupri j a״, ״Tr avni čka h ro n ika ״ . In : Stari i novi IV , Beograd 1952, 74— 88

Iv o A n d rić. Savremenik 1. 1955, 2, 183— 191 Jedna zbirka novih pripovedaka. LMS 1949, 363, 2, 107— 119

Iv o A n d rić : Ex Ponto. K n jiže vn i jug I I . 1919, 8, 361— 367

В. Literatur zu

I d o

Andrić (Ausmahl)

Agatié, Oskar:

Alfircvic, Frano:

Aveline, Claude:

Bandié, M ilo b Bartulovié, N .:

Bogdanoviéy M ila n :

B oikov, Z iv o jin : C m janski, MiloŠ:

(12)

Iv o A ndrić. Esej. Beograd 1957

K ro z savremenu pripovetku. Misao I I I . 1920, 3— 4, 1199— 1204

Pripovetke Iv a Andrića. Južni pregled И . 1937, 38— 41

Sa strana zamagljenih. Venae X I V , 1928/29, 3, 226— 229

Iv o A ndrić, Pripovetke. LMS 1936, 346, 211 — 212

Iv o A ndrić, Pripovetke. Raskrsnica 1924, 21 — 22, 75— 77

Iv o A ndrić. In : K ritiķ e . Beograd 1945, 14— 17 Iv o A ndrić. Savremenik 1955, 11, 494— 514;

1955, 12, 622— 641; 1956, 1, 40— 51

Prokleta a v lija ili nesigurne granice. Republika X I , 1955, 9, 723— 726

Izm edju ״Ex Ponta״ i ״T ra v n ič k e h ro n ike ״ . Književnost i je zik u ?koli 1955, 3, 171— 181 P riv id n i realizam Iv a A ndrića. In : Studije i k ritik e . Beograd 1949, 187— 190

Iv o A ndrić, ״ Rzavski bregovi״ . M Iadost IV . 1950, 1, 35— 42

D no i obalę jedne literature. A n d riće va ״Pro- kleta a v lija ״ . Iz ra z I. 1957, 1, 26— 29

Iv o A ndrić. Stvaranje 1952, 10, 565— 567 M o tiv mosta u Andricevoj hronici ״ N a D rin i ću prija ״ . Stvaranje V I I I . 1953, 10, 642— 645 H ro n ike Ive A ndrića. Republika I. 1945, 131 — 135

A n d rić u svom djelu. H rv a ts k o kolo, 1952, 7/8, 447— 453

Iv o A ndrić. In : Svetlo i tamno. Pregled kn jiže v- nosti Bosne i Hercegovine 1918— 1956. Sarajevo 1957, 25— 54

K n jigc Iv a A n d rića (Ex Ponto, N e m iri, Put A lije Djerzcleza). N ova E vropa I I . 1921, 3, 114— 116

Istorijska m in ijatura (prikaz ״Put A lije D je r- zeleza״ ). H rvatska prosvjeta V I I . 1920, 218—

219

Prve k ritik e o Iv u A ndriću. Susreti V I, 1958, 3, 302— 311

D zadzlíy Petar:

D im ìtrijevié, Iva n R.:

Dimitrijevié, Radm ilo:

Georgijevié, K rešim ir:

Gligorié, V e libo r:

G otovac, V lado:

Ili}aseviét V oja:

Jovanovié, D jordje:

К isié, Cedo:

Kulenovié, Skender:

Kostie, Dušan:

Ladika, Iv o : Lasta, Petar:

Leovac, Slavko:

Livadié, B.:

M arakovié, L j.:

Miletié, G ojko:

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Iv o A ndrić, studija. Beograd 1938

Tumačenja Andricevog dela. Deio I. 1955, 1, 112— 113

Iv o A ndrić. Pripovetke. Venae X . 1924/25, 6, 447— 450

Iv o A ndrić. Pripovetke. LMS 1936, 346, 212—

213

Z iv o t i apsurd kod Iv a Andrića. Iz ra z I. 1957, 4, 317— 327

D ržava u delu Iv a Andrića. Izraz I. 1957, 6, 541— 549

Usam ljenićki nemir Iv a Andrića. K njiževnost X I I . 1957, 3, 254— 256

Iv o A n d rić : N em iri. Misao V . 1921, 8, 632—

635

Iv o A n d rić. In : Savremeni pisci I, Beograd 1940, 23— 24

A n d rić pripovedač. Odlom ak. Susreti V . 1957, 1, 3— 11

Iv o A n d rić, Prokleta avlija. Književnost X X . 1955, 4, 348— 349

O sadržaju i psiholoskoj osnovi jedne knjige A ndricevih pripoveaaka. Stvaranje X I . 1956, 1, 59— 66

Igra za živo t. In : LiĆnosti i delà. Cetinje 1955 Jezik i stil Ive Andrića и pripoveci ״Prića о kmetu Simanu“ . Pitanja savremenog književnog jezika 1950. I, 2, 171— 181

Istok и pripovetkam a Iv a Andrića. SKG 10.

1923, 7, 502— 511

I. A n d rić : PriĆa о kmetu Simanu. In : Metodske upute za obradjivanje domaćeg štiva. D obra knjiga, K o lo I I I . Zagreb 1957, 109— 133

Savremena književnost Bosne i Hercegovine.

K n již e v n i sever IV . 1928, 3/4, 126— 143

N e k o lik o stilskih odlika proze Iv a A ndrića.

Povodom ״Proklete a vlije “ . Godišnjak F ilo - zofskog fakulteta N o v i Sad 1956, 251— 270 Pripovedačko delo Ive Andrića. In : ״ M edju savremenicima“ . Beograd 1932, 59— 76

Iv o A n d rić, Gehalt und Gestalt seines dichte- rischen Werkes. Dissertation, G raz 1951 (Masch.) M irkovič, N ik o la :

Nikolié, S.:

N o v a k o vic, Boško:

Ostojié, K a rlo :

Palavestra, Predrag:

Parezanin, R.:

Pesič, M . M .:

Petrovic, M iodrag:

Protic, M iodrag:

Prujat, Branko:

Radoviê, D juza : Samic, Midhat:

Sekulić, Isidora:

Šicel, Miroslav:

Veljkovič, M o m ir:

Z ivko vié, DragiŠa:

Živojinovic, V e lim ir:

Mayer, Rosa:

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Das dichterische K unstw erk. Leipzig— Berlin 1939

Die L og ik der Dichtung. S tu ttg a rt 1957 Das literarische K unstw erk. Halle/Saale 1931 Das sprachliche K unstw erk. Bern 1956

Theorie des Romans. H e lsin ki 1935 Bauformen des Erzählens. S tu ttg a rt 1955 Feeling and Form. London 1953

The C ra ft o f Fiction. N ew Y o rk 1957

Zum Problem der epischen Integration. T riv iu m V I I , 1950, 4, 299— 318

Die Bedeutung der Z e it in der Erzählkunst, Bonn 1947

Über das Zeitgerüst des Erzählens. Deutsche Vierteljahrsschrift fü r Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte X X I V , 1950, 1— 31

The Structure o f the N o ve l. London 1929 Wesen und Formen der Erzählkunst. Halle/Saale 1942

D ie typischen Erzählsituationen im Roman.

Wien 1955

Theory of Literature. London 1953 T eorija književnosti. Sarajevo 1958

G ram atika hrvatskoga ili srpskog jezika. Zagreb 1952

C. Sonstige benukte Literatur

Ermatinger, E m il:

Hamburger, K äte:

Ingarden, Roman:

K ay ser, W olfgang:

Koskimies, R.:

Lämmert, Eberhard:

Langer, Susanne K .:

Lubbock, Percy:

Meyer, H erm an:

Müller, G ünther:

Muir, E dw in:

Petsch, Robert:

Stanzel, Franz:

W ellek, René־

Warren, A ustin:

Z ivkovic, Dragiša:

Brabec-Hraste-Zivkovié.

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StaatòibU 3!»3k

ERSTES K A P IT E L

Erzählhaltung und Erzählperspektive

Es ist zunächst notw endig, einen allgemeinen Überblick über die E rzäh lu n g en Iv o A ndrićs zu geben, d er zugleich die A ufgabe erfül- len soll, eine den folgenden Untersuchungen dienliche Ausgangsbasis zu schaffen. D a es uns in erster Linie nicht um die Feststellung inhalt- lich-thematischer Beziehungen geht, erweist sich ein chronologisches V orgehen als wenig geeignet. D za d zić gelangt in seiner Studie zu d er E rkenntnis, d a ß Andrićs dichterische Persönlichkeit drei Aspekte in sich vereinigt, den mythischen T räum er, den historischen Pedanten u n d den A n ato m d e r Psyche, un d macht diese D reiteilu n g z u r G ru n d - läge einer G liederung der E rzählungen. ״ D er U nterschied liegt nicht in d er M ethode u n d nicht in d e r P rozedur, er bezieht sich auf das Wesen . . . Diese ,D reiheit‘ ist in einem Wesen vereint, manchmal in einer idealen synthetischen V erbindung, manchmal ab er auch so, d aß jeder Teil seine siegreichen Augenblicke hat, w o er sich v o rd rä n g t und zum beherrschenden Elem ent w ird .“4)

So sieht er e tw a den ״ mythischen T rä u m e r“ in vier verschiedenen Phasen verw irklicht: die erste e n th ä lt noch gewisse ironische Elemente

— hierher gehören u. a. ״ Reise des A lija D jerzelez“ u n d ״ Ć orkan un d die T ä n z e rin “, die zweite ist die d er ״ k rv o lo c i“ ( “Blutgierige“)

— z. B. ״ M ustafa M a d z a r“, die d ritte ist die P eriode der Meister- w erke — z. B. ״ D ie Brücke über die Z epa“, ״ A nikas Zeiten“, die vierte schließlich die d er Allegorien — ״ R zavberge“, ״ Geschichte vom E lefanten des V e z ir“, ״ D er V erdam m te H o f “, ״ A ska und der W olf“.

So interessant dieser G edanke ist, so wenig verm ag eine solche Einteilung nach d er jeweiligen Synthese bzw . wechselseitigen V or- rangstellung d e r genannten A spekte den E rzählungen gerecht zu w er­

4) P. D ž a d ž i c, Iv o A n d rić. Beograd 1957, S. 139.

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den. Eine G liederung in unserem Sinne ist n u r gerechtfertigt, w enn sie von dem besonderen ״ ontologischen situs“5) des literarischen W er- kes ausgeht, d. h. wenn sie Gesichtspunkten folgt, die ״ in den D in- gen selber“ liegen.®) H ie r bietet sich der Strukturbegriff v o n W ellek- W arren an.7) Das spezifische Leben des Werkes erscheint als eine F unktion der E rzählhaltung, w o ru n ter nicht ein A spekt eines per- sönlichen A utors zu verstehen ist, sondern die tragende Schicht der E rzählung, deren W irkung sich in allen anderen Schichten nachweisen läßt. E rst w enn dies an einer genügend großen A nzahl von Beispielen untersucht w orden ist, lä ß t sich vielleicht die allgemeine H a ltu n g rekonstruieren, in der die verschiedenen möglichen E rzäh lh altu n g en ihren U rsprung haben. D ie E rzäh lh altu n g bestim m t sich zunächst als Perspektive un d setzt dam it alle anderen K om ponenten d er E rzä h - lung zu sich in Beziehung. Die jeweiligen K onstellationen sind also in den folgenden Untersuchungen unbedingt zu berücksichtigen. Die beste Ausgangsbasis scheint uns daher eine Übersicht zu bieten, die die Erzählungen von ihrer besonderen perspektivischen S tr u k tu r her erfaßt. Sie lassen sich von daher in drei große G ruppen einteilen, die der E r-E rzählungen, die der Ich-Erzählungen und schließlich, als A bw andlung dieser beiden, die G ru p p e der R ahm enerzählungen.

I

Die E r - E r z ä h l u n g , als ״ ,n a tu ra l‘ mode of n a r r a tio n “8) der perspektivisch begrenzten Ich-Erzählung ungleich überlegen, nim m t den größten R aum in A ndrićs W erk ein.

D en Eindruck stärkster ״ O b je k tiv itä t“ erwecken die E rzählungen, die aus einer neutralen Sicht gegeben w erden, w o die P ersp ek tiv e sich 5) René W e 11 e k-A ustin W a r r e n , Theory o f Literature. London 1953,

S. 141.

e) W olfgang К a y s e r , Das sprachliche Kunstw erk. Bern 1956, S. 352.

Kaysers Anregung einer typologischen Einteilung an H and der S tru k tu r- elemente Figur, Raum und Geschehen erweist sich leider als zu allge- mein, obwohl die Feststellung der H äufigkeit des einen bzw. des Fehlens eines anderen Elementes zu bedeutsamen Erkenntnissen führen würde.

7) W e l l e k - W a r r e n , a.a.O., S. 141.

8) W e l l e k - W a r r e n , a.a.O., S. 231.

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nicht zu einem ,centre ot vision* in einer d er dargestellten Personen verdichtet.®) D ie Abwesenheit eines O rientierungszentrum s lä ß t das D argestellte unreflektiert fü r sich selbst sprechen. Es kom m entiert sich gewissermaßen selbst. H ie r handelt es sich v o r allem um Erzählungen, die ein besonderes Geschehen im K o n te x t einer allgemeinen Situation entwickeln, etw a ״ Liebe in d er K le in stad t“, ״ Hochzei t״, ״Lager- l eben״, ״Ha i d u k e n״, ״Wu n d e r in O lo v o “, ״ O lujaci״ .

In dem Geschehen um R ifka und Ledenik in der E rzählung ״ Liebe in d er K le in sta d t“ erweist sich die K asaba als in sich geschlossene W elt. Ledenik, ein österreichischer Forstbeam ter, der sich in die schöne R ifk a verliebt, könnte als V ertreter der A ußenw elt sehr wohl die R olle eines beteiligten Beobachters übernehmen, bleibt aber aus- druckslos. Die N e u tra litä t der Perspektive w ird gerade dadurch un- terstrichen, d a ß seine persönlichen Eindrücke in Briefe an einen Freund in W ien v erb an n t werden, die zudem die Situation weniger in ein neues Licht rücken, als sie um einige Einzelheiten bereichern.

״ H ochzeit״ stellt das Leben d er K leinstadt w äh ren d d er Kriegs- jahre von zw ei Seiten dar, die sich gegenseitig beleuchten. Elend und Überfluß w erden unverm ittelt nebeneinandergestellt. Eine A rt K om - m entar, der diese Verhältnisse relativiert, verm itteln die hier als

״ C h o r״ fungierenden verarm ten K aufleute, die keiner der beiden Seiten angehören und dam it außerhalb des Geschehens bleiben.

D ie E rzäh lu n g ״ Lagerleben״ h a t m ehr fragmentarischen C h arak - ter. D e r Z ustand des ״ Lagerns“ erweist sich als zu unbestimmt, um das Fehlen einer zusam m enhängenden H an d lu n g ausgleichen zu können.

In ״ H a id u k e n ״ steht ein zusammenhängendes Geschehen im V or- dergrund. Stojan und ein anderer H a id u k e haben sich in einem T urm verschanzt und verteidigen sich gegen die Angriffe der Türken, die den Befehl haben, dem H aid u k en tu m in Bosnien endgültig den G araus zu machen. H ier w ird deutlich, d aß eine objektive D arstellung n u r bedingt verw irklicht werden kann. D er M ißklang eines einzigen Satzes — ״ S tojan . . . bekreuzigte sich über dem Jungen (seinem Ge­

•) Franz S t a n z e 1, Die typischen Erzählsituationen im Roman. Wien 1955, S. 23.

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fährten), d er sein Leben ausgehaudit h a tte “ (I. 195) — zeigt, d a ß der Schw erpunkt des Geschehens sich unm erklich a u f die Seite der Belagerer verschoben hat, w o er im w eiteren V e rla u f auch verbleibt.

D er K am p f konzentriert sich au f die gegenseitigen Täuschungsm anö- ver zwischen den T ü rk en und č i č a M iloje, w ä h re n d v o n S to jan n u r noch einmal zwei Schüsse zu hören sind u n d seine schließliche Flucht nicht gezeigt, sondern vom M ulazim zuerst g eah n t u n d d a n n ent- deckt w ird.

D ie Erzählungen ״ W under in O lo v o “ u n d ״ O lu ja c i“ nehm en inso- fern eine Sonderstellung ein, als das Geschehen h ier aus dem Span- nungsverhältnis zw eier W elten resultiert, die v o n v o rn h erein so gegeneinander abgewogen sind, d aß die Ü berlegenheit d e r einen n u r eine Frage der Z eit sein k a n n .10)

A llen diesen Erzählungen ist gemeinsam, d a ß die C h a ra k te re n u r so w eit von Bedeutung sind, als sie einem besonderen Geschehen bzw . einem bestimmten Z ustand z u r W irkung verhelfen.

D en um gekehrten Fall stellen die E rzä h lu n g en d a r, die a u f einen besonderen fest umrissenen C h a ra k te r h in angelegt sind, d e r den V erlauf des Geschehens bestimmt un d dadurch illu striert w ird . O b - jektive Szenen wechseln m it Abschnitten, in denen er ,centre o f vi- sionc ist, ganz selten sehen w ir ihn jedoch durch die A ugen einer zweiten Person der Erzählung. H ie rh e r gehören die F ra M a rk o - Erzählungen ״ Im G ästehaus“, ״ Beichte“, ״ A m Kessel“, ״ Im K e r k e r“, w eiterhin die Erzählungen ״ M ustafa M a d z a r “, ״ Geschichte vom K m eten Sim an“, ״ Ć o rk an und die T ä n z e rin “, ״ U n ru h ig e J a h r e “ und, m it gewissen Einschränkungen, ״ Z e k o “ . F ra M a rk o w ird in verschiedenen Situationen gezeigt, in denen sein im pulsiver C h a r a k - ter un d seine Fröm m igkeit zum Ausdruck kom m en, M u sta fa M a d z a r w ird in seinem A m oklauf, Siman in seinem hartnäckigen K a m p f um sein Recht verfolgt; Ć orkans große Liebe w ird d argestellt u n d G a z d a Jevrems heimliche Freuden u n d Leiden w ä h re n d einiger un- ruhiger Jah re geschildert. Zekos innere E ntw icklung w ird durch sein V erhalten w ährend des Krieges bestätigt.

10) Siehe die K apitel ״Zeitgestaltung״ und ״Personendarstellung״ .

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A uf zwei C h a ra k te re h in sind die Erzählungen ״ M i ß h a n d l u n g , ( 11״

״ Buffet T ita n ic “ 12) un d die Fabel ״ Aska und der W olf“ angelegt.

In einigen E rzäh lu n g en w ird das Geschehen dadurch kom m en־

tiert, d a ß es vorw iegend aus der Sicht einer der auftretenden Per- sonen dargestellt w ird. In ״ D u rs t“ ist es die Frau des Kommandeurs, die die V orgänge um den gefangenen H aid u k en Živan verfolgt. N u r zweim al w ird ihre Beobachtungsgrenze kurz überschritten. O bw ohl 2 iv a n im H a u p tte il d er E rzäh lu n g im übrigen nur akustisch in Er- scheinung tr it t — sozusagen n u r als Stimme, die verzw eifelt um Wasser fleht — , heißt es einm al, d aß er sich in den Schatten zurück- zieht (II. 57), un d etw as später, d aß sein M und vom Fieber ausge- trocknet ist (58). In ״ Schlange“ erleben die beiden Schwestern als Außenstehende die ohnm ächtigen Bemühungen der bosnischen Frauen um das vergiftete K in d . D a eine verbale Beziehung nicht möglich ist

— der zweisprachige K utscher m uß ihnen den V orfall erklären — , erinnert diese zen trale Szene an ein bewegtes Bild, zu dem die F ah rt der Schwestern den R ahm en bildet. In der kleinen E rzählung ״ Sense“

liegt der A k ze n t im wesentlichen au f der inneren Einstellung des Bauern V itom ir zu d er an sich bedeutungslosen Tatsache, d aß eine Sense im Laden etwas anderes ist als eine Sense bei der Arbeit. Ein- mal w ird in K lam m ern eingeschaltet, wie der mißtrauische V itom ir sich in d er Sicht des H ä n d le rs ausnim m t (II. 102/3).

Konsequent personal gestaltet sind nur die Erzählungen ״ Spazier- gang“ und ״ Rausch u n d Leiden des T om a G alus“, w o die jeweiligen zentralen C h arak te re, Professor V. un d Galus, alleiniges O rientie- rungszentrum sind.13)

D aneben gibt es einige E rzählungen, die in ihrer perspektivischen S tru k tu r insofern uneinheitlich sind, als sie in ihrem H andlungs- ablauf durch eine bzw . m ehrere eingefügte, in sich geschlossene N e- benhandlungen unterbrochen w erden. In die dem T y p d er F ra M arko- Erzählungen entsprechende dreiteilige E rzählung ״ Reise des Alija D jerzelez“ ist die D arstellu n g des Lebens und Sterbens der Brüder

״ ) Siehe das K a p ite l ״Personendarstellung.״

״ ) Siehe die Ausführungen über den D ialog in Kap. IV . 1S) Siehe das K a p ite l ״Personendarstellung״ .

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M oric eingeschoben. Die E rzählung ״ M a ra M iłośnica“ 14), in der neutrale und personale D arstellung wechseln, w ird durch das szenisch behandelte Erlebnis der Enkelin Baba Anušas u n d die Geschichte der N evenka Pam uković erw eitert. A uffallend w idersprüchlich ist die K onzeption von ״ M ila und P relac“. D ie einzelnen Geschehcnsteile w erden allein durch den als personales M edium fungierenden Jungen zusammengehalten, erscheinen also distanziert. N u r die Episode von Ć orkans Sterben w ird seiner Beobachtung entzogen, u n v erm ittelt dargestellt und fällt somit ganz aus dem R ahm en d e r übrigen E rz ä h - lung heraus.

Aus zwei selbständigen Teilen, die sowohl zeitlich w ie personal voneinander getrennt bleiben, besteht die E rz ä h lu n g ״ A nikas Z eiten".

W ährend der erste Teil vorw iegend personal das Schicksal des Popen V ujadin behandelt, entspricht der zw eite Teil, d er die eigentliche Ge- schichte der Zeiten der A nika enthält, m ehr dem T y p d er Situations- erzählung.15)

I I

Einfache I c h - E r z ä h l u n g e n sind bei A n d rić au ffallen d sei- ten. D ie Perspektive der Ich-Erzählung k o n stitu ie rt sich einerseits aus dem Subjekt-O bjekt-V erhältnis der W irklichkeitsaussage, anderer- seits aus der Doppelerscheinung des Ich als erlebendes und erzäh- lendes.1®)

N u r in ״ Fenster“ ist ein Ich H eld d er E rzäh lu n g . Es h a n d elt sich um die D arstellung eines Kindheitserlebnisses in b e to n t retrospektiver Sicht. D e r zeitliche A bstand w ird z w a r n u r ungenau bezeichnet —

״ In meiner frühen K indheit h a tte ich einen F r e u n d “ (II. 147), ״ Ich weiß heute nicht mehr, wie ich das dam als gesagt h a b e “ (148), ״ Noch heute w eiß ich nicht w a ru m “ (149) — doch ist er so bestim m end, d aß w ir das erzählende Ich unschwer als eigentliches O rien tieru n g szen tru m erkennen. Wie wörtlich die E rkenntnis K ä te H am b u rg ers, d a ß ״ das u ) Miłośnica — zu deutsch: Geliebte, w ö rtlich also ״ M ara, die Geliebte“ ;

sie ist die Geliebte des Veli-paSa, der Einfachheit halber soll der ser- bische T ite l hier beibehalten werden.

IÄ) Die perspektivischen Besonderheiten dieser Erzählung werden in dem K apitel über die Zeitgestaltung eingehender untersucht.

u ) F. S t a n z e 1, a.a.O., S. 61.

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objektivierte Ich d er früheren Stadien . . . nicht immer in gleicher S tärk e als identisch m it dem Icherzähler . . sonder n gewissermaßen als selbständige P erso n ״ erlebt w ird 17), verstanden w erden kann, zeigt sich hier an einer Stelle, w o d er E rzä h ler von sich, d. h. dem kleinen Jungen, d e r er einm al w ar, in der d ritten Person spricht: ״ irgendwo in diesem R aum existierte nodi der unruhige kleine K örper, der den Schlägen auszuweichen suchte, ihnen jedoch bei jeder Bewegung be- gegnete, aber er existierte n u r als das Bewußtsein des schrecklichen Schmerzes . . . U nfähig, das Jam m ern des K naben zu ertragen . . .״

In ״ A u to b io g rap h ie״, ״Br i ef aus dem Jah re 1920״ und ״ Gespräch m it G o y a ״ steht d e r Ich-E rzähler m ehr am R ande des Geschehens.

D as erlebende Ich w ird h ier weniger stark objektiviert, da es das eigentliche O b je k t n u r verm ittelt.

״ A u to b io g rap h ie״ ist die einzige u n ter den direkten Ich-Erzählun- gen, w o d e r E rz ä h le r sich ausdrücklich als solcher ausweist, indem er sich an einen bzw . m ehrere Leser oder H ö re r w endet: ״ Auch Sie haben wahrscheinlich bem erkt, d aß es bei uns solche Leute gibt . . . “ (II. 510). Doch tr it t er im m er m ehr in den H in terg ru n d , w ährend N ikolić, d e r V erfasser d er A utobiographie, in seinem langen M ono- log vom O b je k t zum Subjekt einer neuen Subjekt-O bjekt-K orrelation w ird , denn ״ in d er direkten R ede tr it t jede G estalt in ihrem Für-sich- Sein, ih rer vo n jedem Aussagezusam m enhang unabhängigen W irk- lichkeit he r v o r 18.״ )

S tärk er noch w ird d er E rz ä h le r in ״Brief aus dem Jah re 1920״ auf die Rolle des V erm ittlers reduziert. Zunächst aus persönlicher An- schauung, d a n n aus im m er größerer persönlicher E ntfernung — ״ ich erfu h r . . .״ — berichtet er über das Leben Löwenfelds, das durch des- sen Brief, in dem eine C harak terisieru n g Bosniens versucht w ird, be- sonders beleuchtet w ird , im übrigen aber n u r als K ontext und A nlaß fü r diesen vo n B edeutung ist.

Noch d ü rftig er ist die H a n d lu n g um das ״ Gespräch m it G o y a ״ . D er E rz ä h le r befindet sich a u f einer Reise, begegnet in einer Schenke in B ordeaux dem toten M aler un d lauscht seinen Monologen. Dieses

״G espräch״ w ird im allgem einen nicht als E rzählung betrachtet; da 17ו K . H a m b u r g e r , D ie Logik der Dichtung. Stuttgart 1957, S. 230.

1(f) K . H a m b и r g e r, a.a.O., S. 228.

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es sidi jedoch nicht grundsätzlich von d er S tru k tu r von ״Brief aus dem Jah re 1920a unterscheidet, dieses W erk aber in die gesammelten E rzählungen aufgenommen ist, sind beide entw eder als Erzählungen o d er als etwas exzentrische Essavs zu verstehen.

Diesen drei Erzählungen ist gemeinsam, d aß der E rzähler in der entscheidenden Phase als solcher ausgeschaltet ist, d er jeweilige zen- tra le C h a ra k te r ihm entgleitet un d das ursprüngliche Subjekt-O bjekt- V erhältnis zeitweise durch die Monologaussage d er O bjekt-Person überlagert w ird. D ie E inheit d er Perspektive bleibt n u r dadurch ge- w a h rt, d aß m an den E rzäh ler als H ö re r bzw . Leser anwesend zu denken hat.

I I I

Als d ritte große G ru p p e folgt die der R a h m e n e r z ä h l u n - g e n . In der R ahm enhandlung bzw . R ahm ensituation gew innt die D istanz eine eigene, festbegrenzte G estalt insofern, als durch sie die besondere Ebene der zentralen E rzählung genau definiert w ird. N ach dem jeweiligen A bhängigkeitsverhältnis zwischen Rahm en un d In- nenerzählung lassen sich bei A ndrić e c h t e und u n e c h t e Form en unterscheiden. Eine Bedingung fü r die Echtheit ist, d aß der ״ E rzä h ler ersten G rades“1•), der als Person des R ahm ens erscheint, ״ einen an- deren E rzäh ler vorschickt, dem er die E rzählung in den M und le g t“.10)

V ollständig ist diese Bedingung n u r in ״ Zeichen“ erfüllt. Es han- d e lt sich hier um eine ״ gedoppelte Icherzählung“.21) D ie R ahm en- situation erinnert an den Eingang von ״ A utobiographie“ . Auch hier w endet sich d er E rzäh ler einige Male an die Leser, um dadurch, daß er sich gewissermaßen ihrer Übereinstim m ung m it seinen Ansichten versichert, seine eigene G laubw ürdigkeit u n ter Beweis zu stellen (II. 275/6). In einem P rovinzhotel lernt er Professor V. kennen un d lä ß t sich von ihm dessen Schicksal erzählen, ein Schicksal, das sich als Ausdruck einer eingebildeten W irklichkeit enthüllt. D e r erste E rzä h ler en th ält sich jeden Kom m entars. Seine eigene W irklichkeit,

1e) Robert P e t s c h , Wesen und Formen der Erzählkunst. H a lle 1942, S. 117.

t0) W . К a y s e r, a.a.O., S. 201.

21) K . H a m b u r g e r, a.a.O., S. 241.

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d e r er durch die Leseranreden den Anschein von Allgem eingültigkeit gegeben hat, bestim m t den R ahm en v o r allem als K ontrast.

In ״ K in d e r“ besagt der kleine offene R ahm en nur, d aß das Fol- gende erzählt w ird ( ״ U nser Freund, d er ergraute Ingenieur, erzählte uns eines Abends folgende E rin n eru n g aus seiner K in d h e it“, I I . 141).

D e r als H ö re r im plizierte R ahm enerzähler und der ergraute Inge- nieur treten nicht w eiter in Erscheinung. Dieser R ahm en bedeutet eigentlich nicht m ehr als eine geringfügige M odifizierung d er Einlei- tungsw orte zu ״ Fenster“ — ״ I n m einer frühen K i n d h e i t . . .״ — , d. h.

d e r zeitliche A bstand ist der gleiche. Im übrigen herrschen h ier die gleichen Verhältnisse wie d o rt.2*)

L

Als gedoppelte Ich-Erzählungen konzipiert, aber nicht konsequent durchgeführt sind ״ G las“, ״ In d er M ühle“ und ״ Scherz in Samsars H a n “ . Die Rahm ensituationen unterscheiden sich kaum voneinander.

F ra P e ta r ist ans Bett gefesselt, d er R ahm enerzähler leistet ihm Ge- sellschaft. Das Augenm erk ist ausschließlich a u f den Mönch gerichtet, das Ich vorw iegend als n u r grammatische Person definiert. ״ W enn unser Gespräch fü r einen Augenblick verstum m te . . . “ (I. 148) — fü h rt er sich in ״ G las“ ein, ohne einen H inw eis au f die A rt des Ge- sprächs zu geben. D an n : ״ F ra P e ta r lächelte leicht und a n tw o rtete au f meinen G edanken . . . 1 4 9 ) ״) — der G edanke selbst findet keinen Ausdruck. Auch jede direkte Bezugnahm e au f eine Bewegung w ird verm ieden — ״ . . . der G lanz zog meinen Blick auf sich . . . “, ״ F ra P e ta r b a t mich, ihm das Glas . . . herunterzulangen“ (155).

F ra Petars Geschichte von F ra N ik o la, dem früheren Eigentüm er des Glases, ist eine Mischung von E r- und Ich-Erzählung. D e r g rö ß te Teil berichtet über Leben und Eigenheiten des Mönchs N ik o la , auch M um in genannt, nicht wie er ihn erlebt, sondern wie er gelebt h at.

Zw eim al nur beruft er sich a u f eigene Erinnerungen. Einm al k u rz v o r dessen Tod, als M umin ihn zum Erben des poculum scandali be- stim m t — ״ ich erinnere mich g u t“ (154) — , das andere M al, als jener ihn durch seine W orte davon abhält, aus dem K loster zu fliehen. Es ist lange her, und F ra P e tar entsinnt sich nicht mehr, was e r ihm alles gesagt hat. H ie r geschieht das M erkw ürdige, d aß sein E rin n e- n ) Siehe das K apitel ״Personendarstellung״ .

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rungsbericht sich au f einmal verselbständigt. Zunächst w ird die Si- tuation unverm ittelt so weit vergegenw ärtigt, d a ß nu n doch eine lange direkte Rede N ikolas reproduziert w ird , d a n n a b er setzt Fra Petars E rinnerung einen Absatz lang ganz aus, u n d w ir erleben ihn u n m ittelb ar als den jungen Mönch, dem diese R ede gilt — ״ Bei die- sen W orten, die F ra N ik o la rief wie ein K o m m an d o , hob d er Junge den Blick und sah einen verw andelten, ganz neuen M um in vor sich . . . So stand er noch einen Augenblick v o r dem v e rw irrte n Schü- 1er . . (I. 153). Ebenso unverm ittelt w ird die Ich-P erspektive wie- der aufgenommen — ״ Ich habe ihn niemals w ieder so gesehen“ usw.

W as hier noch ein technisches Versehen zu sein scheint, w ird in den beiden anderen Erzählungen z u r betonten Technik, m it deutlicher Bezeichnung der Stellen, w o der Perspektivenwechsel stattfindet. N u r w ird jeweils etwas anderes dam it erreicht.

In der E rzählung ״ In der M ühle“ spricht F ra P e ta r zunächst von d ritten Personen: er erzählt eine kleine Legende, k o m m t a u f seinen alten Lehrer F ra Filip, gibt eine C harakterschilderung un d entschul- digt sich dann, d aß er von seiner eigentlichen Geschichte, seinem E r- lebnis m it dem M üller und dem Teufel, abgekom m en sei. ״ H ie r ging F ra P e ta r über au f seine Geschichte vom Teufel, d e r ihm einst in der M ühle erschienen w a r . . . “ (I. 159). Sein erlebendes Ich w ird objek- tiviert, das Geschehen als hic et nunc sich abspielend verfolgt. D an n folgt w ieder eine N ahtstelle durch E inblendung d e r E rzählgegenw art

— ״ H ie r unterbrach F ra P e ta r sein E rzäh len , hielt einen Augenblick inne“ (161) — ; die zeitliche D istanz w ird w ieder aufgenom m en, das Erlebnis in die V ergangenheit des Mönchs zu rü ck v ersetzt und von ihm selbst in kurzen W orten zu E nde g e fü h rt u n d m it einem sentenz- haften K om m entar abgeschlossen. D ie U n m itte lb a rk e it des Gesche- hens k ann n u r dadurch erreicht w erden, d a ß es dem Bereich des weise gewordenen erzählenden Ich entzogen wird.*8)

In ״ Scherz in Samsars H a n ״ wechselt die P ersp ek tiv e mehrmals,

**) Daß die Kindheitserlebnisse in ״K in d e r“ und ״ Fenster“ in ihrer D ar- Stellung einem erzählenden, nunmehr erwachsenen Ich stark verpflichtet bleiben, ist wohl der G rund dafür, daß diese Erzählungen so wenig überzeugend wirken.

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wie in d er E rzä h lu n g ״ I n d er M ühle“ immer von der Rahm ensitua- tion ausgehend, gleichsam um d a ra n zu erinnern, d a ß es tro tz allem doch F ra P etars Geschichte ist. D a dieser im ganzen n u r am R ande des Geschehens steht, er eigentlich n u r den Zugang zu der spukhaften W irklichkeit des H a n (H erberge) bildet, sind die Übergänge niemals so schroff wie oben. D urch den Wechsel von neutraler Darstellung, die z. T., w ie in d er C harak terisieru n g des A nführers Džemo, das Erlebnisfeld F ra P etars überschreitet, und den leicht ironischen Ich- Abschnitten, die sich s tä rk e r als in den anderen Erzählungen F ra Pe- tars durch subjektiven Sprechstil auszeichnen, werden v o r allem Be- leuchtungseffekte erzielt. D ie verschiedenen Ebenen sind hier so in- einandergeblendet, d a ß ein plastisches Gebilde entsteht. D er Rahm en- erzäh ler h a t hier also eine dreifache Funktion. E r ist abwechselnd E rz ä h le r ersten G rades, Z u h ö re r des zweiten und, w o sich die Innen- erzählung verselbständigt, w eder das eine noch das andere, sondern gewissermaßen die F u n k tio n eines ,Autors*. Welche Beweglichkeit durch diese unkonventionelle Technik erreicht w ird, w ird deutlich, w enn m an die erste d er F ra P etar-E rzählungcn, ״ Ćelebi H afiz “, da- gegenhält.

I n dieser e rz ä h lt F ra P e ta r m it seinen eigenen W orten, was er er- lebt u n d gesehen h at, schildert den K rüppel H afiz aus eigener An- schauung. D a, w o sein Wissen aufhört, setzt die E rzählung des Skia- ven ein, die Lebensgeschichte des Unseligen, die z w a r D etails enthält, die über das hinausgehen, w as m an über d ritte Personen wissen kann (I. 135), fü r die aber F ra P e ta r nicht verantw ortlich ist. Zudem bleibt dieser S klave ebenso rä tselh a ft wie seine W orte; F ra P e tar h ä lt es fü r möglich, d a ß er nicht ganz zurechnungsfähig ist. D er schmale R ahm en, d er diese ineinandergeschachtelten Erzählungen umgibt, en th ält au ß er dem Mönch n u r ganz allgemein irgendwelche ״ Zu- hörer, die ihm gefielen“ (127). Die drei Ebenen bleiben streng von- einander getrennt. D e r R ahm en erzäh ler verbirgt sich h in ter den ״ Zu- h ö re rn “ un d charakterisiert v o n d ah er Petars unnachahmliche A rt zu erzählen (127). D e r zw eite E rz ä h le r gibt Erinnerungen und Beob- achtungen wieder. Eigentliches Geschehen erscheint erst in dreifacher E n tfernung, in d er Geschichte des d ritten Erzählers, und w ird auch

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d o rt nicht gezeigt, sondern berichtet. Zeitliche, persönliche und räum - liehe D istan z bleiben gewahrt.

I n ״ N a c h b a rn “ gibt es n u r einen E rzäh ler. R ah m en un d Innen- h a n d lu n g laufen zeitlich nebeneinander her, in d e r einen ist er M itte l״

p u n k t, in d er anderen H ö rer. D e r R ahm en berichtet vage über sein D asein als Student un d U nterm ieter. W ä h re n d seiner M ittagsruhe v e rfo lg t er die im N ebenzim m er geführten Gespräche, die einer völlig anderen W elt angehören, einer W elt, die a u f H ö rb a rk e it reduziert, nichtsdestoweniger aber in sich gesdilossen ist.24) D a ß er die Ge- sprächspartner auch zu Gesicht bekom m t, erh ellt w ed er die zentrale S itu atio n noch w ird dadurch eine relevante V erb in d u n g z u r R ahm en- situ atio n hergestellt.

Als u n e c h t e R a h m e n e r z ä h l u n g e n möchten w ir dieje- nigen bezeichnen, in denen die jeweilige z e n tra le E rz ä h lu n g nicht in einem direkten A bhängigkeitsverhältnis zu ihrem R ah m en steht, sie also d e r Form der Wirklichkeitsaussage nicht entspricht. Diese unechte R ahm enerzählung, die immer als ,gedoppelte Erzählung* erscheint, findet sich bei A ndrić relativ häufig.

D ie E rzählung ״ Versuchung“ steht d e r echten insofern noch am nächsten, als die Innenerzählung wenigstens als e rz ä h lt eingeführt w ird . D ie R ahm ensituation setzt ein m it einem k u rz e n Lebenslauf F ra Stjepans, um d ann bei seiner berühm ten Geschichte, einem Erleb- nis aus seiner Jugend, stehenzubleiben, die er a u f D rä n g en der übri- gen Mönche, fü r die sie ein nie versiegender Q u ell d e r H eiterk e it ist, im m er w ieder erzählt. Das heißt, er e rz ä h lt sie nicht, sondern sie e rz ä h lt sich selbst, w ohl von seinem S ta n d p u n k t aus, also personal, jedoch als selbständige E r-E rzählung.

Wenn sie wenigstens von den gröbsten Zwischenrufen befreit und an den Stellen, wo sie von Gelächter unterbrochen w ird , wieder zu- sammengesetzt w ird , dann sieht Fra Stjepans Geschichte vom Teufel ungefähr so aus (I. 164).

Selbst die so um geform te Geschichte w ird einige M ale durch Ein- Schaltung der R ahm ensituation unterbrochen, w odurch einen A ugen­

u ) Siehe die Ausführungen über den D ialog in K a p . IV .

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blick lang die Illusion erweckt w ird, d aß Fra Stjepan wirklich der E rzä h ler ist. Es h e iß t d a n n auch — ״ . . . F ra Stjepan aber fu h r f o r t , ״

״ er m ußte fo rtfa h re n un d zu E nde erzählen״ usw. (166, 168, 170) — , aber das macht n u r noch deutlicher, d a ß es sich hier um zw ei von•

einander völlig unabhängige E rzählsituationen handelt. D ie H e ite r- keit der Mönche gilt einer im aginären E rzählung, die unterbrochen w erden k an n , d a d e r E rz ä h le r anwesend ist, die jedoch in d e r Form , in d er sie hier erscheint, unangetastet bleibt, da sie von einem per- sönlichen E rz ä h le r frei ist.25)

In den E rzählungen ״ T o d im Si nankl ost er״, ״Unt e r der B u c h e , ״

״ Ho l z b ü n d e l״, ״Teppi ch“ u n d ״ Am U fe r״ sind E rzähler w ie H ö re r auch dem N am en nach verschwunden. D ie drei ersten E rzählungen verbleiben ganz innerhalb des Erlebnisbereiches d er C h arak tere, a u f die hin sie angelegt sind. D ie G egenw artssituation ist jeweils zugleich A usgangspunkt u n d E ndstadium , das durch die V ergangenheit nach- träglich fu n d ie rt w ird. D e r sterbende Alidede erinnert sich zw eier Begebenheiten aus seiner Jugend, V itom ir kehrt heim in sein D o rf un d lä ß t sich dabei noch einm al durch den K opf gehen, w as ihm in d er K asaba (K leinstadt) zugestoßen ist, Ibro denkt über sein Leben nach, w äh ren d er seinen H o lz k a rre n durch die Straßen Sarajevos schiebt. Jedesm al w erden diese persönlichen Erinnerungen aus ih rer zeitlichen B indung an das Bew ußtsein gelöst und personal rep ro d u - ziert. Die E rzählungen ״ T eppich״ un d ״ Am U fe r“ folgen z w a r dem gleichen P rin zip , doch w erden hier die W ahrnehm ungsgrenzen w eit überschritten.

Baba K a ta versinkt angesichts eines bunten türkischen Teppichs in K indheitserinnerungen; es w ird ausdrücklich gesagt, d aß es E rinne- rungen sind, nicht T räu m e (II. 39). W as z u r D arstellung gelangt, ist aber eine selbständige E rzäh lu n g , deren Geschehen zum größten Teil vom S ta n d p u n k t d er G ro ß m u tte r aus begriffen w ird, w ä h ren d von der E rinnernden nichts übrig bleibt als eine W endung, durch die sie nachträglich zum Zeugen d er Schlußszene im elterlichen Schlafzimmer gemacht w ird —

Niem and beachtete d i j kleine K ata, die alles m it v o r Furcht und Neugierde weitgeöffneten Augen verfolgte . . . D ie Erinnerung an

*5) Siehe das K a p ite l ״Zeitgestaltung״ .

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jene Nacht und an jenen Teppich w ar in ihrem Inneren verschüttet gewesen . . . ( I I . 49).

Noch weniger einheitlich gestaltet ist die E rz ä h lu n g ״ Am U fe r“ . M ark o sitzt am U fer des Flusses und folgt seinen G ed a n k en und E r- innerungen, die sich unversehens verlieren u n d s ta tt derer nun die Familienverhältnisse des Mädchens Rosa K a lin a bis in die v o r allen geheimgehaltene E hetragödie ihrer E ltern hinein beleuchtet werden.

Schließlich w ird alles unter den Begriffen ״ m aü tan ja“ (Phantasien) und ״ slike“ (Bilder) zusam m engefaßt —

Ein schwacher, aber unerwarteter Schlag ließ M a rk o zusammen- schrecken und vertrieb auf einmal alle Phantasien und B ilder ( I I . 196).

Die letzte große Erzählung, ״ D e r V erd am m te H o f “, ist ihrer Ge- stalt nach eine Synthese der verschiedenen M öglichkeiten der echten und unechten Rahm enerzählung, der m ehrfachen D istanzierung und der V ergegenw ärtigung durch Fiktionalisierung. D ie mehrfache D i- stanzierung erfolgt zunächst durch zwei R ah m ensituationen, die aber beide in der dritten Person gegeben w erden. D e r junge M ann, der im äußeren ersten R ahm en am Fenster steht, a u f F ra P eta rs G rab hin- ausblickt und an dessen unvergeßliche E rzä h lu n g en d en k t, verbindet durch sein Bewußtsein eine entgrenzte äußere U m w e lt, das ״ allge- meine W eiß (des Schnees), das sich u n ab seh b ar ausdehnte und un- merklich in die graue Ö d e des H im m els überging, d e r noch immer voller Schnee h in g “, m it der menschlichen Enge, die als kleinlicher Streit d er Mönche um die Liste der hinterlassenen W erkzeuge des Verstorbenen aus der benachbarten K losterzelle an sein O h r dringt (5/6, 92/3). E r ist H ö re r im zweiten inneren R ahm en, in dem vor allem die Besonderheiten des Erzählers F ra P e ta r dargelegt w erden, die zugleich die Besonderheiten der zen tra le n E rz ä h lu n g sind. E r er- z ä h lt von den M onaten, die er im U ntersuchungsgefängnis von Istan- bui verbracht hat, nicht nur ״ häufiger u n d schöner, als von allem übrigen“, sondern auch anders —

E r erzählte m it Unterbrechungen, bruchstückhaft . . . Diese Bruch- stücke folgten einander nicht immer richtig und regelmäßig. O ft . . . wiederholte er etwas, was er schon einmal gesagt hatte, o ft ging er auch weiter und übersprang dabei einen großen T e il der Zeit . ..

Seine Erzählung konnte unterbrochen werden, weitergehen, sich w ie­

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derholen, konnte Ereignisse vorwegnehmen, auf Früheres zurückgrei- fen, sie konnte sich nachträglich ergänzen, erklären und ausweiten, ohne Rücksicht auf O rt und Z eit und auf den tatsächlichen, w irklich und fü r immer festgelegten Gang der Ereignisse (7/8).

H ie r w ird d er fragm entarische C h a ra k te r der folgenden eigent- liehen E rz ä h lu n g begründet, die aber wiederum nicht als Ichbericht erscheint, sondern als E r-E rzäh lu n g , in der F ra P e ta r als Beobachter und H ö re r fungiert. N u r in d er D arstellung des D irektors des ״ Ver- däm m ten H o fe s“ w erden seine W ahrnehm ungsgrenzen verletzt, im übrigen schließen sich d o rt, w o sein Wissenkönnen versagt, die Be- richte w eiterer E rz ä h le r an, ebenfalls teilweise in der E r-Form .26) D a- m it m ünden au f legitime Weise G edanken, Ereignisse un d Schicksale in F ra P etars Gesichtsfeld ein, die ihn das Leben des ״ V erdam m ten H ofes“ erw eitert, v ertieft u n d hintergründig erfahren lassen. Erst gegen E nde w ird er zum Ich-E rzähler und schildert als soldier die W irkung, die diese W elt a u f ihn selbst ausübt27), un d schließlich seine letzte B erührung m it ihr, als er w ährend seiner V erbannung in A kra einem Menschen begegnet, d er um sie weiß. D e r zweite Rahmen bleibt offen, die S itu atio n des äußeren w ird u n v erän d ert wieder aufgenom- men, d. h. d er junge M an n steht immer noch am Fenster. Durch die ungewöhnliche R ahm engestaltung gewinnt die E rzählung eine A rt Rückgrat, das ihre fragm entarische V ielfalt von außen zusammenhält.

Die E rzählungen ״ D ie Brücke über die Z epa“, ״ R zavberge“,

״ Buch“ un d ״ F am ilien b ild “ stehen form al gesehen genau zwischen E r- und R ahm enerzählung. Sie unterscheiden sich von der ersten durch ein rahm enähnliches V o r- bzw . N achw ort, in dem ein fingierter E rzähler sich als A u to r o d er C hronist zu erkennen gibt, der jedoch, unähnlich dem trad itio n ellen R ahm enerzähler, keine Person der Er- zählung ist.

In ״ D ie Brücke über die 2 e p a “ um gibt dieser E rzähler sich mit einer eigenen kleinen H a n d lu n g —

D er dieses erzählt, kam als erster auf den Gedanken, der Entstehung der Brücke nachzugehen. Das w ar eines Abends, als er aus dem te) A ls eigentümliche Veision des ,omniszienten Autors* ist besonders H aim

interessant, siehe darüber im K a p ite l ״Personendarstellung״ . t7) Siehe das K a p ite l ״ Personendarstellung״ .

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Gebirge heimkehrte . . . Damals beschloß er, ihre Geschichte aufzu- zeichnen ( I. 40).

Die eigentliche E rzählung verbindet die objektive F o rm der C h ro - nik, in d er Geschichte des Brückenbaus, m it d e r personalen D arstel- lung d er W andlung des Jusuf.28)

In ״ R zavberge״ beschränkt sich der E rz ä h le r a u f einen einleitenden Satz, in dem er sich als Chronisten, das Folgende als C h ro n ik defi- niert —

W ir wollen kurz, aber wahrheitsgetreu berichten, w ie die Zeiten der N o t kamen und gingen und wie die Berge sie ertragen und endlich überwunden haben ( I I . 237).

Die Form der C h ro n ik bleibt streng gew ahrt.

Als H isto rik er ganz anderer A rt f ühr t sich d e r E rz ä h le r in ״ Buch“

ein —

M it einem fast ängstlichen Gefühl beginne ich dam it, die kurze Ge־

schichte einer langen und großen Angst zu schreiben . . .

Seine ausführlichen E rklärungen d arü b er, welche besondere A ngst er darzustellen gedenkt —

. . . es handelt sich um eines jener unsichtbaren, doch verhängnisvol- len Ereignisse, die oft die Seelen der jungen Menschen zerstören, die wir Kinder nennen . . . (II. 154)

zeigen eine A nteilnahm e, die an den Ich -E rzäh ler v o n ״ Fenster“ un d

״ K in d e r״ erinnert2®), n u r d aß sie hier d e r E rz ä h lu n g vorangestellt ist, so d aß nun das Erleben des Jungen ohne w eiteren K o m m en tar u n m ittelbar dargestellt w erden kann.

In den Erzählungen ״ Die Brücke ü b er die Ž e p a ״ u n d ״ Buch“ deu- tet sich die G efah r an, der der ,A u to r‘ sich d a m it aussetzt, d a ß er seine ,persönliche‘ W irklichkeit m itgestaltet. D a er ja z u r fiktiven Wirklichkeitsebene seines Werkes keinen Z ugang h a t, m uß hier ein Bruch entstehen, der um so peinlicher ist, je e rn sth a fte r er sich als Person fingiert. E in interessantes Beispiel fü r die groteske Situation, die sich daraus ergeben kann, ist ״ F am ilien b ild ״ . D ie E rzä h lu n g be- ginnt als Erlebnisbericht eines Ich-Erzählers. E r beschreibt ausführlich, wie er einmal w ährend des Krieges eine N a c h t im M ädchenzim m er

*®) Siehe das K apitel ״Personendarstellung״ .

29) Vgl. z .B . ״Ki nder״: ״Di e kleinen Menschen, die w ir ,K inder‘ nennen, haben ihre großen Schmerzen und langen Leiden“ ( I I . 145).

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eines B elgrader K aufm annshauses verbrachte, wie er d o rt unter an- derem G erüm pel eine sta rk vergrößerte alte P hotographie fand, die ein E h e p aa r zeigte, w ie er sie genau betrachtete un d schließlich auch d a v o n träu m te. A n s ta tt n u n aber diese Form der Wirklichkeitsaus- sage aufrechtzuerhalten, indem er etw a seine T räum e erzählt oder ein B ündel vergilbter Briefe entdeckt, aus denen das Schicksal dieses P aa- res hervorgeht, gibt er ganz überraschend zu verstehen, d aß er hier kein gewöhnlicher Ich-E rzähler, sondern A u to r ist, der aus direkter Einsicht die G estalten ״ zu m Leben zu erwecken verm ag“ —

Ich hatte Gelegenheit, es (das B ild ) eingehend zu betrachten, und glaube, daß ich es gut ,gelesen* habe. Deshalb fä llt es m ir auch jetzt nicht schwer, Ihnen die Personen jenes großen ,Bildes‘ vorzustellen . . . Zum Leben erweckt und ohne ihren Rahmen sehen sie ungefähr fo l- gendermaßen aus ( I I . 493/4).

D a ß die G estalten in d er W irklichkeit des Erzählers als Bild ent- halten sind, aus dem sie herausgegriffen un d eine nach der anderen

״ vorgestellt“ w erd en 30), k a n n nicht verhindern, daß der E rzähler in dem M om ent, w o er die F u n k tio n des A utors übernim m t, ״ entreali- siert“ w ird .31) D as heißt, d a ß das Subjekt-O bjekt-V erhältnis d er Ich- E rzäh lu n g in dem Augenblick aufgehoben w ird, w o die au f dem Bilde D argestellten nicht m e h r G egenstand der Betrachtung sind, sondern aus ihrem R ah m en heraustreten un d sich dam it der Wirklich- keitsaussage entziehen.

In dem V o rw o rt zu d er E rzäh lu n g ״ Geschichte vom Elefanten des V ezir“ dagegen w ird a u f das V orhandensein eines Erzählers n u r in- d ire k t hingewiesen.

D ie bosnischen Städte und Städtchen sind voller Geschichten . . . M an kann monatelang in einer bosnischen Kleinstadt leben, ohne auch nur eine von ihnen richtig und vollständig zu hören . . .

Von dieser A r t ist die Geschichte vom F il, dem Elefanten des V ezir ( I. 272/3).

Diese Geschichte, eine durch einzelne Begebenheiten illustrierte D a r- Stellung des Lebens in d er K lein stad t w äh ren d der unruhigen Zeiten der H errschaft D želaludin-pašas, w ird als bereits fertige und ״ er­

i0) Das Vorstellen ist ganz w ö rtlich zu verstehen: ״ F r a u . Beginnen w ir m in d e r Frau . . . “ (494); ״D er M a n n N ik o la D im itri jevič . . . “ (501).

״ ) K . H a m b u r g e r , a.a.O., S. 84.

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dachte״ eingeführt. Sie lebt ein ״ eigenartiges, verstecktes L eben“, das sich n u r dem ״ K undigen“ entdeckt (272). M an k a n n sie sowohl er- zählen wie ih r lauschen, doch bedarf es des ״ K u n d ig e n “, um ihrer h a b h aft zu werden. Dieser ״ K undige“ ist also zugleich H ö re r und E rzähler, ein Betrachter, der die E rzäh lu n g an sich vorüberziehen läßt.

G erade dadurch, d aß der A u to r sich in diesen E rzäh lu n g en aus- drücklich zu seinem W erk in Beziehung setzt, bezeichnet er seine essentielle D istanz. E r schließt sich aus u n d b e to n t so die Eigenstän- digkeit seiner Schöpfung. Es handelt sich hier um einen G renzfall

״ a u k to ria le r“ Erzählweise32), um die D esin teg ratio n des Autors.

¥ * *

D av o n zu unterscheiden sind die A u t o r e i n m i s c h u n g e n innerhalb der Fiktion, als ein von d er jeweiligen S tr u k tu r unabh än- giger A spekt der E rzählhaltung. Als solche ist jede B ekundung eines S tandpunktes zu betrachten, der nicht im Bezugssystem d er E rzäh - lung v eran k ert ist.

Einschaltungen, die das Erzählen betreffen, sind besonders in den späteren Erzählungen relativ häufig —

Dies w ar Alidedes Leben, von dem w ir anfangs gesprochen haben (I. 52).

W ir haben schon früher gesagt, daß . . . ( I I . 480).

Das Haus, von dem hier die Rede ist, stand zu der Z e it, von der w ir sprechen, . . . ( I I . 330).M)

D ie auktoriale Überlegenheit, die sich h ier ausspricht, zeigt sich am deutlichsten dort, wo die E rzählung eines sekundären E rzählers ganz oder teilweise übernom m en und um geform t w ird . Z u m Teil geschieht das w ortlos, z. B. bei den Perspektivenwechseln in den F ra P e ta r- E rzählungen; einige M ale w ird von einer solchen E rz ä h lu n g auch aus- drücklich gesagt, d aß sie nicht in ihrer ,ursprünglichen‘ F orm erscheint, sondern bearbeitet ist. A ußer bei F ra Stjepans Geschichte in ״ Versu- chung“ ist das auch in H aim s und D jam ils Berichten in ״ D er Ver- däm m te H o f “ der Fall.

3t) F. S t a n z e 1, a.a.O., S. 42.

w) D ie Beispiele ließen sich beliebig vermehren.

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