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Was bedeutet als philosophischer Terminus?
Eine Studie zur Geschichte der islamischen Philosophie.
Voo M. Horten.
^Ä.F..f» bezeichnet als philosophischer Terminus meistens nicht
etwa einen subjektiven Gedanken, sondern eine unkörpertiche
Beali tut, die in der objektiven Außenwelt den Dingen wie ein
Accidens inhäriert. Vielfach wird auch nur betont, daß es sich
um eine besondere, selbständige Realität handele, die in den Dingen 5
besteht und von dem Denkenden durch einen Begriff — l^**^ —
gedacht wird. Soll unser Denken ein wahres sein , so müssen
ihm in der Außenwelt Korrelate entsprechen. Unseren logischen
Begriffen — ^Lxil — müssen in den Dingen Realitäten und
Wesenheiten gegenüberstehen , die die Inhalte jener Begriü'e dar- lo
stellen , also verobjektivierte Begriffe sind , die man zweckmäßig ebenfalls als ^_j-jLxII bezeichnete. Da uusere Begriffe aber geistige
sind, so müssen ihnen in den Dingen unkörperliche Bestimmungen
entsprechen. Daher bezeichnet ^Äx* die qualitative Bestimmung,
die immer als unkörperlich d. h. unausgedehnt gedacht wird , im Li
Gegensatz zu der Quantität, die das eigentlich Körperliche, Massige
wiedergibt. In dem Terminus ^^^^^a liegt also eine realistische
Erkenntnistheorie ausgedrückt, die behauptet, unseren reinen Be¬
griffen entsprechen in den Dingen unkörperliche Realitäten, unseren
sinnlichen .4.nschauungsbildern das Körperliehe, die Ausdehnung. 20
Dadurch wird , was für die Geschichte der Philosophie von
Bedeutung ist , die sogen.mnte Ideenlehredes Mu'ammar auf¬
geklärt. Der fragliche Text Sahr.istänl's (S. 46) ist zu übersetzen :
,Die Accidenzien sind in jeder Art (also die Farben, Gerüche usw.)
unendlich an Zahl. Er lehrte nämlich : .Jedes Accidens inhäriert 25
einem Substrate nur auf Grund einer unkörperlichen Realität (^^^jju.J)j 1) Vgl. meinen Aufsatz: Die sogenannte Ideenleliro des Mu'ammar (um 850) iu: Archiv für systematische Philosophie lid. XV, 1909, S. 469—84.
392 Horten, Was bedeutet ij**a als philosophischer Terminus t
die das Inhärieren verursacht. Dieses fährt zu der Lehre von der
(genannten) unendlichen Kette ^). Daher wurden die Anhänger des
Mu'ammar die Verteidiger der Lehre von den unkörperlichen Reali¬
täten (^Lxll) genannt. Zu dieser Lehre fügte Mu'ammar noch
5 hinzu : Die Bewegung unterscheidet sich von der Ruhe nicht etwa
durch ihr Wesen, sondem durch eine unkörperliche Realität, die
die Unterscheidung vemrsacht. Ebenso verhält sich die individuelle Verschiedenheit zweier wesensverwandten Dinge und ihre wesentliche
Verwandtschaft, femer die Kontrarietät der Kontraria. Alles dies
10 beraht nach seiner Lehre auf einer unkörperlichen Realität". Die
Dinge besitzen in sich nur ihr Wesen; daß sie zu anderen in
Beziehung treten, mit ihnen verglichen werden, sich von ihnen
unterscheiden oder ihnen ähnlich sind, ist an und für sich in ihrem
Wesen noch nicht ausgedrückt. Diese Beziehungen sind also
15 besondere Realitäten , die zum Wesen hinzutreten. Es sind aber
keine körperlichen Größen, sondem unkörperliche Accidenzien
d. h. ^U/,.^
Prof. Goldziher veröffentlichte in den Abhandlungen d. k. Ges. d.W.
z. Göttingen 1907 das (j-äJ! ujLäJ'. Treffend übersetzte
M er diesen Titel mit : Buch vom Wesen der Seele ; denn i^^Latti sind
die Qualitäten, die dem unkörperlichen Wesen der Seele unmittelbar
inhärieren und von ihm hervorgebracht werden. Von den inneren
Accidenzien einer Substanz kann man aber direkt auf das Wesen
der Substanz, das deren Ursache ist, schließen, daher also auch
S5 von den Qualitäten, den unkörperlichen Accidenzien, auf das Wesen
der Seele.
Diese objektive Bedeutung von ^^i** geht wie die Gleich¬
stellung von Begriff und Wesenheit oder wesentlichen Bestimmungen auf Aristoteles zurück , der Xöyog gleichsetzt der ovaitt , zb zl rjv so dvai, eldog, iviqyeia, ivztUxtia, fMQtpri und tritt in dieser Bedeutung
der Materie entgegen (vgl. Metaph. Vll, 10. 1035a, 26; VI, 1.
1025b, 29; III, 1. 996a, 1; Psychol. II, 2. 414a, 27 et passim).
Bei Thomas von Aquin bedeutet infolgedessen ratio dasselbe.
1) Jede dieser Realitäten , die das Inhärenzverhältnis des Accidens zur Substanz bewirken, ist nämlich selbst wiederum ein Accidens, erfordert also fiir sich eine Realität zweiter Ordnung, um inhärieren zu können, diese wiederum eine Realität dritter Ordnung et sic in infinitum. Hiermit ist zugleich ein indischer Einfluß anf die Gedankenwelt des Islam nachgewiesen — es liegt die bekannte Lehre dsr Vaisesika von der Inhärenz vor —, der um so weniger verwundert, als die von den Arabem als SumanIJa bezeichneten indischen Philosophen mit denen des Islam in persönlichem Verkehre standen und in den Städten Persiens ihre Vertreter hatten. Vgl. Arnold, AI Mu'tazilah, being an extract from the kitäbu-l-milal wa-n-nihal by b. al Murtada; Leipzig 1902; ft und Bagdädi, kitlbu-l-fark baina-l-firak fol. 49 a (Ms. Berlin, Ahlwardt No. 2800).
Horten, Was bedeutet ols philosophischer Terminus t 393
Sie hat den Sinn von Anlage, Bestimmungen des Wesens (S. th. 1, 90, 4 c die causales rationes in den Dingen), ürsache und dementsprechend
Grund , Beziehung , Rücksicht , Verhalten (ib. 32, 4a, principium
activum in generatione dicitur ratio semipalis usw.).
Es ist ein Leichtes, aus der philosophischen Literatur der 5
Araber Hunderte von Belegen für solche Gebrauchsweisen des
Wortes anzuführen. Past auf jeder Seite findet sich ein
solches. Doch mögen die folgenden genügen, die aus:
a) ibn al Murtada, Cod. Glaser 230, Berlin,
b) abü RaSid, Cod. Glaser 12, Berlin 10
entnommen sind.
ibn al Murtada fol. 41a unten:
M O *j - « ü J
LÄs» sJ^y »LaÄä« 'iJuo jU^jlXI! i^jS^ u^i^Jbllj f^Ji^
d. h. „Nach der Schule des abü HäSim 933 * ist das sinnliche
Wahrnehmen keine unkörperliche Realität. Ein Wahr- 15
nehmender zu sein ist vielmehr eine Eigenschaft, die notwendig
aus der Bestimmung des Subjektes resultiert, lebend zu sein'.
Dem steht die Ansicht der meisten liberalen Theologen (Mu'taziliten) gegenüber, die besagt: j_yÄ«^ uS^t^o!^!: „die sinnliche Wahrnehmung
ist eine unkörperliche Realität'. Diese wird weiter ausgeführt 20
(41b oben):
slXju J.**} »Jus J>j095 iiäiXÜ. g>Äs iXÄc ^^j^iJtl! tXs-jjj
d. h. „Diese unkörperliche Realität (der Wahrnehmung) tritt nach
den einen bei dem Öfinen des Auges auf, nach andern vorher nach
wieder andern nachher'. (.JüiJI Jj^ä, (j«!^ «i^j „Ihr Substrat 25
sind nach einigen die äußeren Sinne. Nach anderen ist es das Herz',
ibid. :
x*?^!, sJSoM^S 'i~tßy^ ^j^^^^ u^ljO!
„Die Wahrnehmimg^) der einfachen und zusammengesetzten, indi¬
viduellen Sinnesqualitäten*. j^^LxIt bezeichnen auf diesem Gebiete 30
die qualitativen Verhältnisse im Gegensatze zu den quantitativen
(iüjlLXiU!), denn das Qualitative wird, wenn es im Gegensatz zum
1) Ks handelt sich in diesem Falle um das Sehen. Eilhard Wiedemann (Erlangen) wird diesen Text des ibn al Haitam demnächst in den Sitzungs¬
berichten der medizinischen Sozietät zu Erlangen veröffentlichen (fol. 3 b 4 a).
394 Horten, Was bedeutet ^j*** philosophischer Terminus?
Quantitativen tritt, als unkörperliche Realität aufgefaßt, die sich
direkt aus dem Wesen der Sache, das an sich ebenfalls etwas
Unkörperliches ^) ist, ergibt.
ibid. :
A . w f
5 o''**** ji^^'^^S ^4.*>J!j ^jLaJül* y^axJtj ^ÄkJt iLjyi.£;^t _,Die Asch'ariten lehren: Hören und Sehen sind zwei unkörperliche
Realitäten (accidenteller Natur); hörend und sehend zu sein sind
aber zwei Eigenschaften."
ibid. fol. 42 a Mitte :
10 3J3 sJ f,l ,yJiA (u^y^!) JS ji
„Wäre die sinnliche Wahrnehmung (bes. das Sehen) eine besondere
unkörperliche Realität, so könnte ihr kein Kontrarium (gleichzeitig an demselben Substrate) gegenüberstehen."
ibid. fol. 44 b:
- ^
18 iS^^ U^S^ (j^.y^^ iJuajV) 'xjjijtX\
„Die unkörperliche (nur begrifflich, nicht sinnlich erfaßbare) Qualität ist jede Eigenschaft, die eine unkörperliche Realität (als Accidens in der Substanz) hervorbringt."
Sahahrastäni 67, 5:
* * . I X •
so ÄJ iUjLi ^_jjL** oUjiflJt cj^i ii5üö j-«5 oLo^l ^^^Ic *jt^ jj^i
„Bäkilänl fixierte seine Ansicht (nach längerem Schwanken) schließlich
dahin, daß er die Modustheorie des abü Häschim annahm. Trotz¬
dem behauptete er , die Eigenschaften Gottes seien unkörperliche
8;-! Realitäten , die in Gott inhärierten , nicht etwa Modi (wie abu
Häschim es lehrte und Bäkilän! es konsequenterweise auch hätte
lehren müssen)."
abü Rasid fol. 66 a, 3 unten :
JJüJI jt.j yS> Uiij (j**^
80 „Die Trunkenheit ist keine unkörperliche Realität, sondern nur
1) Erst dadureli, daß das Wesen, die Wesensfonn, sich mit der ersten Materie umgibt, tritt sie in den Bereich des Materiellen ein. An sich ist sie eiue unkörperliche Koalität, wie auch die ihr inhirierenden Qualitäten.
2) i^jjjjLA iJus bedeutet eine eigentliche Qualität, d. h. eine Bestimmung, die zum Wesen hinzutritt und unkörperlicher Natur ist. Im Gegensatz dazu stehen die quantitativen Bestimmungen (ibn al Murtada 44 a unten).
Horten, Wm bedeutet "ls philosophischer Terminus? 395
(etwas Privatives) das Aufhören der Verstandestätigkeit.'
bezeichnet also im Gegensatze zu einer Privation etwas Positives,
Reales, das einem Substrate inhäriert.
abü RaSid, Cod. Glaser 12, fol. 45 b, 8:
S. s - J '
i^Ji ^UäC^! y^*, ^y*^ '^^-^y* k^^^}^ CioLi" Ütj 5
£ * P wC
j^X*^ jiß^ ^5^^ J«*n.<\j ju-»*Ä L^l
Abü RaSid, t 1068 (vgl. Brockelmann, Gesch. d. ar. Litt., I, 196 f),
will die Lehre des Aristoteles widerlegen, daß die Bewegung nach
unten aus dem Streben des Körpers nach dem Mittelpunkte des
Weltalls hervorgehe. Dem gegenüber behauptet a. R., die Bewegung lo
werde von dem im Körper (z. B. der Erde) vorhandenen Impuls
(. \\ « yr!) der Schwerkraft nach unten getrieben: „Wenn nun aber
die Bewegung der Erde durch eine in ihr vorhandene unkörperliche
Realität, nämlich den Impuls, notwendig verursacht wird, dann
muß sie doch sicherlich auf Gmnd und nach Maßgabe dieses 15
Impulses Zustandekommen. Welchen Einfluß hat aber dann noch
der Mittelpunkt (des Weltalls) auf das Zustandekommen dieses
Vorgangs ?'
abü RaSid fol. 58 b:
»oLuÄ/i.jAC tJdxJ^ e)'** ot^'UJt iiÄ5> 20
9
„Diese Einwirkungen (die nach Lehre der Schule von Bagdäd die
Naturkräfte ausüben) sind unkörperliche Realitäten (z. B. der Druck,
den ein schwerer Körper auf unseren Tastsinn ausübt — ibid.
foL 57 b f.), die zwar wesentlich voneinander verschieden *), nicht
aber konträr sind." 25
Beide Bedeutungen von ^yJ^i subjektive und die objektive,
fließen in origineller Weise zusammen in folgender häufigen Aus¬
drucksweise :
abfi RaSid fol. 155b unten:
•»,Lac j ^ 1.5**^' ^ J*^ so
„Die Meinungsverschiedenheit erstreckt sich auf einen sachlichen
Inhalt (auf eine geistig erfaßbare Realität in der Außenwelt, die
in uns in Form einer Idee erkannt wird), nicht auf eine reine
Wortfrage (Worterklärung)."
1) i_3^^Lx^! bezeichnet die generische (z. B. Mensch und Stein) oder die spezifische (z. B. Mensch und Tier) also kurz die wesentliche Verschiedenheit, wäbrend ^"^^ individuelle (z. B. Mensch und Mensch , Zaid und 'Amr) wiedergibt.
396 Horten, Waa bedeutet philosophischer Terminus?
Den für die Geschichte der Philosophie im Islam so überaus
wichtigen Begriff des tUü mögen folgende Belege definitiv klar¬
stellen :
tiXcLas ^^Läsj >J)^?^' j S L* ^uol
6 »Die treffendste Lehre über das kontinuierlich Bestehende ist, daß
es dasjenige bedeutet, dera zwei oder mehr Zeiteinheiten in der
Existenz beschiedp»! sind" (ibn al Murtada 1. c).
^yLiJ) ^ äxJ*^ u>cs?. iuLs tlÄjJt xjle. j>??bS JS J^
„Wenn dieses Ding keine kontinuierliche Existenz besitzen kann,
10 muß es im zweiten Augenblicke ins Nichts versinken* (abü RaSld
fol. 180 a, 6).
Dera Begriffe der kontinuierlichen Existenz, steht die diskon¬
tinuierliche gegenüber, das jL>- iXjij b!L»- ^^>^, ein Begriff der
uus wiederura nach Indien weist. Er besagt nicht den herakli-
18 täischen Gedanken des beständig sich Veränderns bei real fort¬
bestehendem Wesen, sondem die in jedem Augenblicke in Nichts
versinkende und im folgenden wieder aus ihm entstehende Existenz
des Dinges, also die bekannte Lehre von der Momentaneltät des
Seins der Sauträutika. Im Islam wurde dieselbe von den speku-
80 lativen Theologen zu der Idee von der Momentanettät der Accidenzien weitergebildet.
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Studien über die indische Erzählungshteratur.
Von Jarl Charpentier.
4. Devendra's tikä zu Uttarajjhayana XXII.
Ein jainistischer Beitrag zur Krsna-Sage.
Schon während meines Aufenthaltes in Bonn im Sommer 1907
überließ mir Herr Geheimrat Jacobi seine Kollation von Devendra's
tikä zu Utt. XXII, die er aus seinen beiden Handschriften A und
B (vgl. Erz. p. VII) hergestellt hatte. Diese Kollation habe ich
mit dem Texte einer dritten Handschrift, die mir Vijaya Dharma
Suri in Benares freundlichst zur Verfügung gestellt hat^), verglichen
und gebe nun den so gewonnenen Text hier zusammen mit einer
Übersetzung und einigen Bemerkungen unter dem obigen Titel
heraus. Für briefliche Hilfe bei der Übersetzung bin ich Herrn
Geheimrat Jacobi reichlich Dank schuldig.
A. Text.
[A 228'', B 191», C 217''] egammi samnivese gämähivasuo-
äsi Dhananämo kulaputto^. mäuladuhiyä Dhanawi^ tassa bhä-
[A 229''']riyä. annayä^ täim gimhayäle majjhanhe'^ gay aim
paoyanavasenam'^ arannam^. dittho tattha panihaparibbhattho
tanhächuhäparisamäirogena^ nimlHyaloyano hicchappäno bhümi-
talam aigao^'^ kisasariro^^ ego muni. tarn ca dattküna aho
mahätavasst esa koi imam avattham [B 191''] ^?a<to^-. samjä-
ya^^bhattikarunehim sitto jalena vh'o^* celamcalena^^ samvähi-
yäni ya Dhanenam amgäim^^. jäo^' samäsattho nio^^ saggä-
inam^^. padiyario ya pacchühäräihim. muninä vi dinno ucio-
1) Ich hatte diese Handschrift schon lange C genannt, ehe ich sah, daß Dr. Meyer in seinen trefflichen „Hindu Tales' dieselbe Bezeichnung fiir eine andere Handschrift erwählt hatte.
2) C °suto. 3) C °puttato. 4) A °vat'i. 5) B annayä. 6) B °anne.
7) A pauyanavä°, B päuya°. 8) A °nn°. 9) A B tanhächuddä° . . .
"regena. 10) B atigato, C aigato. 11) B kimsa". 12) C add. tti.
13) B samjayä°. 14) C viito. 15) B cevarrC. 16) AB Dhanena amgäni.
17) A C jäto. 18) C nito. 19) B add. »attho mio.
Zeitschrift Aer D. M. G. Bd. LXIV. 26