JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich www.jku.at DVR 0093696 Eingereicht von Cosima Kastner, BSc Angefertigt am Institut für Europarecht Beurteiler
Assoz. Univ. Prof. Dr. Franz Leidenmühler
EUGH-
ENTSCHEIDUNG ZUR
RECHTSSACHE C-713/17:
DIE
UNIONSRECHTSWIDRIGKEIT
DER OÖ-
MINDESTSICHERUNGS-
BESTIMMUNG
Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
Magistra der
Rechtswissenschaften
im Diplomstudium der
Rechtswissenschaften
an der rechtswissenschaftlichen Fakultät
der Johannes Kepler Universität Linz
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG
Ich erkläre, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.
Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.
Linz, am 30. September 2019 Cosima Kastner
Inhaltsverzeichnis
1.Einführung ... 6
1.1.
Einleitung ... 6
1.2.
Zielsetzung ... 7
2.
EuGH-Entscheidung vom 21.11.2018 zur Rechtssache C-713/17 ... 8
2.1.
Ausgangslage ... 8
3.
Grundlagen ... 9
3.1.
Flüchtling ... 9
3.1.1.
Die asylrelevanten Verfolgungsgründe ... 9
3.2.
Die Genfer Flüchtlingskonvention und das Protokoll von 1967 ... 10
3.3.
UN-Migrationspakt – Globaler Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration ... 11
3.4.
Subsidiärer Schutz ... 11
3.5.
Staatenloser ... 11
3.6.
Asylwerber/Asylberechtigter ... 12
3.6.1.
Asylberechtigte mit einer befristeten Aufenthaltsberechtigung ... 12
3.6.2.
Befristete Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers ... 12
3.6.3.
Der Weg zum gemeinsamen Europäischen Asylsystem (CEAS) ... 12
3.6.4.
Entwicklung der Asyl- und Migrationssysteme in Österreich ... 13
4.
Das Vorabentscheidungsersuchen des LVwG OÖ in der Rechtssache C-713/17 ... 15
4.1.
Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV) ... 15
4.2.
Praktische Bedeutung ... 16
4.3.
Die Funktionen des Vorabentscheidungsverfahrens ... 16
4.3.1.
Rechtseinheit - Wahrung der einheitlichen Rechtsauslegung ... 16
4.3.2.
Gültigkeitskontrolle ... 16
4.3.3.
Fortbildung des Unionsrechts ... 17
4.3.4.
Individualrechtsschutzfunktion ... 17
4.4.
Vorlagegegenstand und Vorlagefragen ... 17
4.5.
Antrag auf Vorabentscheidung in der Rechtssache C-713/17 ... 17
5.
Die Bedeutung der Richtlinie 2011/95/EU der Europäischen Union und ihre direkte Wirkung in der gegenständlichen Rechtssache C-713/17 ... 19
5.1.
EU-Richtlinie (Art 288 Abs 3 AEUV) ... 19
5.2.
Direkte Wirkung / Anwendungsvorrang des EU-Rechts ... 19
5.3.
Die fehlerhafte Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU in österreichisches Recht ... 19
6.
Bedarfsorientierte Mindestsicherung in Österreich ... 22
6.1.
Die Kompetenzverteilung des Kompetenztatbestands „Armenwesen“ ... 22
6.2.
Das Ende der 15a-Vereinbarung und die Novellierung des § 4 Abs 3 der Oö BMSG .. 23
6.3.
Die Sozialhilfe-Neu ... 24
6.3.1.
Kritik ... 24
7.1.
Maßgebende Bestimmungen des Unionsrechts zur Klärung der
Europarechtskonformität ... 26
7.1.1.
Art 7 Abs 1 der Genfer Flüchtlingskonvention ... 26
7.1.2.
Art 23 der Genfer Flüchtlingskonvention ... 26
7.1.3.
Das Verhältnis der GFK zum Unionsrecht, insbesondere zur Richtlinie 2011/95/EU ... 26
7.1.4.
Art 29 der Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU ... 26
7.1.5.
Art 21 GRC ... 27
7.1.6.
Art 18 GRC Grundrecht auf Asyl... 28
7.2.
Maßgebende Bestimmungen des nationalen Rechts zur Klärung der Rechtskonformität ... 29
7.2.1.
Soziale Grundrechte? ... 29
7.2.2.
Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz ... 29
7.2.3.
Art 14 EMRK iVm dem Grundrecht auf Eigentum nach Art 1 1. ZPEMRK ... 30
7.3.
Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21.11.2018 ... 31
7.4.
Subsidiarantrag auf Normenkontrolle Art 140 B-VG – eine weitere Möglichkeit sich gegen die rechtswidrige Vorschrift zur Wehr zu setzen? ... 31
8.
Schlussbemerkungen ... 32
Literaturverzeichnis ... 33
Online Quellen ... 35
Genderklausel
Zur besseren Lesbarkeit dieser Arbeit wurde die männliche Form bei personenbezogenen Bezeichnungen und Formulierungen gewählt. Dies impliziert keinesfalls eine Benachteiligung des anderen Geschlechts. Frauen und Männer mögen sich gleichermaßen angesprochen fühlen.
1. Einführung
1.1. Einleitung
Menschen, die aufgrund einer sozialen Notlage1 ihren Lebensunterhalt mit eigenen Mitteln wie
etwa Einkommen, Arbeitslosengeld, Notstandshilfe oder vorhandenem Vermögen nicht mehr bestreiten können, wird im Rahmen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Oberösterreich eine idR monatliche finanzielle Unterstützung geboten,2 sofern sie bereit sind, ihre Arbeitskraft
einzusetzen,3 die erforderlichen Maßnahmen zur Integration zu setzen4 und ihr Hauptwohnsitz
oder dauernder Aufenthalt in Oberösterreich liegt.5
Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung verfolgt also das Ziel, hilfsbedürftigen Personen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, sie dabei zu unterstützen, soziale Notlagen selbständig und dauerhaft abzuwenden bzw zu überwinden, ihre Bedürfnisse zu decken und ihre Lebenssituation nachhaltig zu stabilisieren.6
Seit der Neureglung des Jahres 2016 der Oö BMSG erhalten Asylberechtigte mit befristetem Aufenthaltstitel (Menschen mit „Asyl auf Zeit“) und subsidiär Schutzberechtigte in Oberösterreich zur Deckung des Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs deutlich geringere Sozialhilfeleistungen als Asylberechtigte mit dauerhaftem Aufenthaltstitel, die somit österreichischen Staatsangehörigen gleichgestellt sind. Menschen mit „Asyl auf Zeit“, müssen sich mit einer Basisleistung und einem an Auflagen gebundenen Integrationsbonus („Steigerungsbetrag“) § 4 Abs 3 iVm § 13 Oö BMSG begnügen, wobei die Zuerkennung des Steigerungsbetrags die Abgabe und Einhaltung einer Integrationserklärung voraussetzt.7 Der Integrationsbonus wird stufenweise
gekürzt oder entfällt zur Gänze, sollte die Integrationserklärung nicht eingehalten werden. Ein alleinstehender Volljähriger erhält sohin inklusive des Taschengelds iHv € 40,00 einen monatlichen Gesamtbetrag von € 560,00.8 Im Vergleich dazu wird eine alleinstehende bzw
alleinerziehende Person, die kein Asylberechtigter mit befristeter Aufenthaltsberechtigung oder subsidiär Schutzberechtigter ist, durch € 921,30 monatlich unterstützt.9 Fraglich ist, ob diese
Differenzierung dem Sachlichkeitsgebot entspricht bzw ob die Ungleichbehandlung durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist.
Eine afghanische Familie, die unter Anwendung der Neuregelung mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land lediglich das gekürzte Ausmaß der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zugesprochen erhielt, erhob fristgerecht Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich und behauptete die Unvereinbarkeit der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Norm des § 4 Abs 3 Oö BMSG mit dem Unionsrecht, insbesondere dem Art 29 der Richtlinie 2011/95/EU.
Der Beschwerdeführer begehrte in seiner Beschwerde die Beachtung des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts, wonach entgegenstehendes nationales Recht weichen muss und nicht angewendet werden darf, sowie die Zuerkennung und Ausbezahlung der monatlichen Leistungen im Rahmen der Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs in voller Höhe und gleich einem österreichischen Staatsbürger. Darüber hinaus regte er die Klärung der 1 Vgl § 6 Oö BMSG. 2 Vgl § 13 Oö BMSG. 3 Vgl § 11 Oö BMSG. 4 Vgl § 11a Oö BMSG. 5 Vgl § 4 Oö BMSG. 6 Vgl § 1 Oö BMSG.
7 Seit dem im Rahmen dieser Arbeit analysierten EugH-Urteils C-713/17 ist die Sonderbestimmung des § 4 Abs 3 Oö
BMSG auf Asylberechtigte mit befristetem Aufenthaltstitel nicht mehr anwendbar.
8 Vgl Arbeiterkammer OÖ: Bedarfsorientierte Mindestsicherung,
https://ooe.arbeiterkammer.at/beratung/arbeitundrecht/arbeitslosigkeit/Bedarfsorientierte_Mindestsicherung.html, abgerufen am 20.06.2019.
9 Vgl Land Oberösterreich, Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs, https://www.land-
Europarechtskonformität des § 4 Abs 3 Oö BMSG im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens des Art 267 AEUV an.10
Zumal auch das LVwG OÖ ernsthaft bezweifelte, dass § 4 Abs 3 Oö BMSG im Einklang mit dem Unionsrecht steht, setzte das Gericht das anhängige Verfahren aus und befragte den EuGH, ob einerseits Art 29 der Richtlinie 2011/95 die Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit erfüllt und ob andererseits die Ungleichbehandlung von Asylberechtigten mit befristeter Aufenthaltsberechtigung und Asylberechtigten mit unbefristeter Aufenthaltsberechtigung dem Art 29 der Richtlinie 2011/95 entgegensteht.
1.2. Zielsetzung
Im Rahmen dieser Arbeit wird zunächst die Rechtsstellung als Flüchtling aus völkerrechtlicher Perspektive beleuchtet und der Harmonisierungsprozess der europäischen Flüchtlingspolitik zur Angleichung der Asylsysteme der EU-Mitgliedstaaten bzw Förderung der EU-weiten Gleichbehandlung von Asylwerbern dargestellt. Insbesondere werden die rechtlichen Grundlagen, dazu zählen einschlägige internationale Verträge und europäische Richtlinien, sowie die Rolle der EU-Mitgliedstaaten in der europäischen Asylpolitik beleuchtet. Nach einem Einblick in das österreichische Konstrukt der Bedarfsorientierten Mindestsicherung einschließlich der allgemeinen Kompetenzverteilung iSd B-VG wird schließlich die Rechtswidrigkeit der Oberösterreichischen Mindestsicherungsbestimmung analysiert und die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 21.11.2018 zur Rechtssache C-713/17 diskutiert.
2. EuGH-Entscheidung vom 21.11.2018 zur Rechtssache C-713/17
2.1. Ausgangslage
Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte bei seiner Einreise nach Österreich am 25.03.2016 einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz. Mit positivem Bescheid vom 20.09.2016 erteilte ihm das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine vorerst auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung.11
Zur Sicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs für sich und seine Familie stellte der Beschwerdeführer am 09.03.2017 einen Antrag auf Erteilung von Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs gem dem Oberösterreichischen Mindestsicherungsgesetz. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land wurde ihm schließlich aus dem Titel der Bedarfsorientierten Mindestsicherung unter Anrechnung seines Einkommens eine monatliche Geldleistung iHv € 430,00 zuerkannt. Unter Berücksichtigung des angerechneten Einkommens aus der Grundversorgung entspricht das einem Betrag von € 1.575,00, der dem Beschwerdeführer für seine fünfköpfige Familie monatlich zur Verfügung steht. Die Behörde rechtfertigt den Bescheid damit, dass gem § 4 Abs 3 Oö BMSG einem Asylberechtigten mit befristeter Aufenthaltsberechtigung iSd § 3 Abs 4 AsylG und subsidiär Schutzberechtigten zur Deckung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs lediglich eine Basisleistung sowie ein vorläufiger Steigerungsbetrag nach Maßgabe des § 13 Oö BMSG und nicht Mindestsicherung in voller Höhe zusteht.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht OÖ und rügte insbesondere die Unionsrechtswidrigkeit der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Norm des § 4 Abs 3 Oö BMSG. Die Bestimmung bedeute eine ungünstigere Behandlung von Flüchtlingen ohne dauerhaftes Aufenthaltsrecht und sei deshalb mit dem Art 29 Abs 1 der Richtlinie 2011/95/EU unvereinbar, der, wie im Kapitel 5.3. dieser Arbeit dargelegt, eine Gleichbehandlungspflicht von Asylberechtigten (unabhängig einer befristeten oder unbefristeten Aufenthaltsberechtigung) mit Staatsbürgern bezüglich der Gewährung von Sozialhilfe und medizinischer Versorgung normiert. Abweichende Bestimmungen seien nur für subsidiär Schutzberechtigte zulässig, eine Einschränkung des Ausmaßes der Bedarfsorientierten Mindestsicherung gegenüber anderen Personengruppen sei jedenfalls sachlich ungerechtfertigt. Der Beschwerdeführer begehrte daher die Beachtung des Anwendungsvorrangs des Unionsrecht, wonach entgegenstehendes nationales Recht nicht angewendet werden darf, sowie die Zuerkennung und Ausbezahlung der monatlichen Leistungen im Rahmen der Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs in voller Höhe und gleich einem österreichischen Staatsbürger. Darüber hinaus regte er die Klärung der Europarechtskonformität des § 4 Abs 3 Oö BMSG im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art 267 AEUV an.12
11 Vgl § 3 Abs 4 AsylG.
3. Grundlagen
Zur verständlicheren Aufbereitung des Falls wird in diesem Kapitel die Rechtsstellung als Flüchtling aus völkerrechtlicher Perspektive beleuchtet und ein kleiner Einblick in die Entwicklung und den aktuellen Stand der europäischen Asylpolitik gegeben.
3.1. Flüchtling
§ 3 Abs 1 AsylG iVm Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert einen Flüchtling als Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der sich außerhalb des Landes seiner Staatsangehörigkeit oder seines gewöhnlichen Aufenthalts befindet und wohlbegründete Furcht vor Verfolgung wegen der nachfolgend angeführten Gründen hat.13 Ein Flüchtling darf nicht in sein
Herkunftsland zurückgewiesen werden und hat einen Rechtsanspruch auf Gewährung von Asyl gegenüber den Konventionsstaaten und den damit einhergehenden Rechten, die ihm die Genfer Flüchtlingskonvention einräumt.14 Staatsangehörige der EU-Mitgliedstaaten sind vom
Flüchtlingsbegriff iSd QRL ausgeschlossen, da die Mitgliedstaaten gemäß dem Protokoll Nr 24 über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union füreinander als sichere Herkunftsländer gelten.
Das Fehlen der physische Präsenz genügt, um dem Begriff „außerhalb“ gerecht zu werden. Nicht die Flüchtlingskonvention, wohl aber die Richtlinie 2011/95/EU gibt außerdem Auskunft darüber, was unter dem Begriff „Verfolgung zu verstehen ist.15
Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft muss weiters begründete Furcht vor Verfolgung vorliegen. Diese muss durch objektive Tatsachen gerechtfertigt sein16 und ist anzunehmen, wenn
die betroffene Person bereits persönlich verfolgt wurde oder ihr dies unmittelbar droht. Ist dem Betroffenen bekannt, dass Angehörige seiner Ethnie, Mitglieder seiner Glaubensgemeinschaft oder sozialen Gruppe, verfolgt wurden und teilt er dieselben maßgeblichen Merkmale, sodass auch er mit Verfolgung rechnen muss, so ist ebenfalls von begründeter Furcht vor Verfolgung auszugehen.17 Die Verfolgung kann vom Staat, von Organisationen, die wesentliche Teile des
Staats beherrschenden oder nicht staatlichen Akteuren, wenn staatliche oder internationale Organisationen nicht in der Lage sind, Schutz zu bieten, ausgehen.
3.1.1. Die asylrelevanten Verfolgungsgründe
Ein Anspruch auf Asylgewährung wird nur dann begründet, wenn die Verfolgung auf einem asylrelevanten Grund basiert. Unerheblich ist dabei, ob die betroffene Person diese Eigenschaft auch tatsächlich vorweist oder ihr ein bestimmtes Merkmal lediglich unterstellt wird.18
Rasse
Unter dem Begriff der Rasse können Aspekte der Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe eigeordnet werden.19 Zentrales Ziel der europäischen
Menschenrechtsbestimmungen stellt die Beseitigung jeglicher Form von Diskriminierung dar. Aus
13 Vgl UNHCR – UN Refugee Agency, Flüchtlinge, https://www.unhcr.org/dach/at/services/faq/faq-fluchtlinge,
abgerufen am 05.07.2019.
14 Vgl Schumacher/Peyrl/Neugschwendtner, Fremdenrecht4 (2012), 209. 15 Vgl Art 9 Abs 1 RL 2011/95/EU.
16 Vgl UNHCR, Handbook on Procedures and Criteria for Determining Refugee Status under the 1951 Convention and
the 1967 Protocol relating to the Status of Refugees, 1979, Rz 38.
17 Vgl UNHCR, Handbook on Procedures and Criteria for Determining Refugee Status under the 1951 Convention and
the 1967 Protocol relating to the Status of Refugees, 1979, Rz 44.
18 Vgl Schumacher/Peyrl/Neugschwendtner, Fremdenrecht4 (2012), 222.
19 Vgl Art 10 Abs 1 lit a der Richtlinie 2011/95/EU und das Internationale Übereinkommen der Vereinten Nationen zur
diesem Grund verbietet die EU-Grundrechtecharte etwa die Diskriminierung aufgrund der Rasse.20
Religion
Jeder Mensch hat das Recht eine Glaubensüberzeugung einzunehmen und diese öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Diese kann eine theistische, nichttheistische oder atheistische sein. Art 10 Abs 1 lit b der Richtlinie 2011/95/EU schützt daher sowohl die Freiheit, den eigenen Glauben privat auszuüben, als auch die Freiheit, diesen öffentlich zu leben, vor gravierenden Eingriffen.21
Nationalität
Der Begriff der Nationalität umfasst die Staatsangehörigkeit, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe mit gemeinsamer kultureller, ethnischer oder sprachlicher Identität oder gemeinsamer geografischer bzw politischer Herkunft. Der EuGH und die Gerichte der Mitgliedstaaten haben sich bislang mit diesem Verfolgungsgrund nur spärlich befasst. Ein möglicher Grund für die Verfolgung aus Gründen der Nationalität kann in der feindlichen Haltung gegenüber einer ethnischen oder sprachlichen Minderheit liegen. Zweck der Einbeziehung dieses Verfolgungsgrundes ist also unter anderem der Schutz von Personen, die einer häufig diskriminierten und verfolgten Minorität angehören.22
Politische Überzeugung
Die Verfolgung als Ursache dafür, dass eine Person eine bestimmte Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, mit der sich Staat, Regierung oder Politik befassen könnte, ist der wohl am öftesten geltend gemachte Verfolgungsgrund.23 Zum Umstand seiner politischen Gesinnung im
Rahmen der freien Meinungsäußerung nicht vorbehaltlos Ausdruck verleihen zu können, muss noch die Tatsache der individuellen Verfolgung des Flüchtlings hinzutreten.24
3.2. Die Genfer Flüchtlingskonvention und das Protokoll von 1967
Die Genfer Flüchtlingskonvention bietet als bedeutendstes internationales Dokument des Flüchtlingsschutzes die Grundlage für den Schutz der Flüchtlinge. Sie ist wichtiger Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens zur Förderung des Schutzes von Flüchtlingen. Bislang traten insgesamt 148 Staaten der Konvention und/oder dem Protokoll von 1967 bei. Die Konvention definiert, wer ein Flüchtling ist und regelt die Rechte und Pflichten des Flüchtlings im Gastland. Kriegsverbrechern wird kein Flüchtlingsstatus zuerkannt. Ursprünglich war die Konvention bestrebt, europäische Kriegsflüchtlinge zu schützen und räumte ausschließlich diesen die entsprechenden Rechte ein. Mit der Verabschiedung des Protokolls von 1967 wurden die zeitlichen und räumlichen Einschränkungen allerdings beseitigt und der Geltungsbereich uneingeschränkt auf alle beigetretenen Staaten gegenüber allen Flüchtlingen weltweit ausgedehnt. Jeder beigetretene Staat ist verpflichtet, Personen, die Flüchtlinge iSd Art 1 der Konvention sind, Schutz, also Asyl zu gewähren.25
20 Vgl European Asylum Support Office, Richterliche Analyse: Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen
Schutzes (2018), 53.
21 Vgl European Asylum Support Office, Richterliche Analyse: Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen
Schutzes (2018), 53.
22 Vgl UNHCR, Handbook on Procedures and Criteria for Determining Refugee Status under the 1951 Convention and
the 1967 Protocol relating to the Status of Refugees, 1979, Rz 74.
23 Vgl European Asylum Support Office, Richterliche Analyse: Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen
Schutzes (2018), 60.
24 Vgl Schumacher/Peyrl/Neugschwendtner, Fremdenrecht4 (2012), 225.
25 Vgl UNHCR, Die Genfer Flüchtlingskonvention: https://www.unhcr.org/dach/at/ueber-uns/unser-mandat/die-genfer-
Das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge („United Nations Treaty Series“) wurde am 28. Juli 1951 von der Generalversammlung der UNO verabschiedet und ist seit dem 22. April 1954 in Geltung. Es wurde durch das am 4. Oktober 1967 in Kraft getretene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ergänzt.26 In Österreich trat die GFK am 30. Jänner 1955 in Kraft.27
Damals unterzeichnete Österreich die Konvention mit zahlreichen Vorbehalten.28 Die
Einschränkungen zu Art 22 Z 1, Art 23 und Art 25 Z 2 und 3 werden als Interpretationsvermerke qualifiziert, die aus völkerrechtlicher Sicht Vorbehalte darstellen, da sie über eine bloße Auslegung hinausgehen und die Rechtswirkung einzelner Vertragsbestimmungen für Österreich abändern. Heute, mehr als 50 Jahre danach, sind die Vorbehalte weitgehend überholt, da die österreichische Rechtslage anerkannten Flüchtlingen mittlerweile den Zugang zum Arbeitsmarkt und Bildung, sowie zur nötigen Sozialhilfe gewährt. Inzwischen sind diese Rechte Mindeststandards, die durch das Unionsrecht vorgeschrieben werden. Der einzig noch relevante Vorbehalt ist jener zu Art 17 Z 1, da ein Flüchtling der in einem anderen EU-Mitgliedstaat anerkannt wurde, bislang nicht denselben Zugang zum Arbeitsmarkt besitzt wie ein EU-Bürger.29
3.3. UN-Migrationspakt – Globaler Pakt für eine sichere, geordnete und
reguläre Migration
Der UN-Migrationspakt beabsichtigt, durch abgestimmte internationale Zusammenarbeit den Herausforderungen der internationalen Migration effektiv zu begegnen, um das Management und die Rechte der Migranten zu verbessern und dennoch die Souveränität der Staaten zu wahren. Der UN-Migrationspakt ist kein Vertrag. Den ratifizierenden Staaten erwachsen daher keine neuen rechtlichen Verpflichtungen. Allerdings reflektiert der Pakt völkerrechtliche Normen und Prinzipien, wie beispielsweise die Genfer Flüchtlingskonvention, an die Staaten bereits gebunden sind. Der UN-Migrationspakt ist ein kooperativer Leitfaden zur Förderung internationaler Zusammenarbeit im Hinblick auf die Migrationsproblematik. Der Pakt erkennt, dass effektive Migrationslösungen auf internationaler Ebene geschmiedet werden müssen und ein Staat alleine das Problem nicht dauerhaft erfolgreich bewältigen kann.30
3.4. Subsidiärer Schutz
Um auch Personen zu schützen, die die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllen, internationalen Schutz aber tatsächlich benötigen, entwickelte das EU-Recht eine weitere subsidiäre Schutzform, die den betroffenen Personen einen angemessenen Status verleiht. Der Aufenthaltstitel subsidiär Schutzberechtigte ist zunächst auf ein Jahr befristet und kann verlängert werden. Auch subsidiär Schutzberechtigte haben einen eingeschränkten Anspruch auf Leistungen aus der Grundversorgung.31
3.5. Staatenloser
Gemäß dem Art 1 Abs 1 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen ist ein Staatenloser „eine Person, die kein Staat auf Grund seines Rechtes als Staatsangehörigen
ansieht“. Staatenlose sind also Personen, die keine oder zumindest keine anerkannte
Staatsangehörigkeit vorweisen. Laut UNHCR sind über 10 Millionen Menschen weltweit mit keinem Staat durch eine Staatsangehörigkeit verbunden.32 Art 67 Abs 2 AEUV stellt Staatenlose
26 Vgl Abkommen über die Rechtsstellung von Flüchtlingen vom 28.07.1951. 27 Vgl Schumacher/Peyrl/Neugschwendtner, Fremdenrecht4 (2012), 211. 28 Vgl BGBI. Nr 55/1955.
29 Vgl 30/ME XXV. GP, Teilweise Zurückziehung der österreichischen Vorbehalte zur Genfer Flüchtlingskonvention,
Ministerialentwurf, Erläuterungen, 1.
30 Vgl Mc Adam, Introductory note to global compact for safe, orderly and regular migration (2018), 160. 31 Vgl UNHCR, Global Trends: Forced displacement in 2015 (2015), 20f.
Drittstaatangehörigen gleich. Solange die Voraussetzungen erfüllt sind, haben sowohl Drittstaatsangehörige als auch Staatenlose einen Anspruch auf internationalen Schutz.
3.6. Asylwerber/Asylberechtigter
Asylwerber sind Personen, die sich außerhalb ihres Heimatstaats befinden, zum Schutz vor Verfolgung um Asyl, also Aufnahme, ansuchen und deren Asylverfahren noch nicht beendet wurde.33 Bis zur Entscheidung über ihren Antrag erlangen Asylwerber keine
Aufenthaltsgenehmigung, sondern lediglich einen faktischen Abschiebeschutz.34 Als gesetzliche
Grundlage für die Gewährung der Grundversorgung gilt die Grundversorgungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern gemäß Art 15a B-VG. Während des Zulassungsverfahrens haben Asylwerber Anspruch auf Grundversorgung, welche vom Bund geleistet wird und Verpflegung, Unterbringung und andere Versorgungsleistungen umfasst.35 Ergibt die Prüfung des Antrags,
dass die Person tatsächlich verfolgt im Sinne der GFK wird, so ist dem Asylwerber der Status eines Flüchtlings zuzuerkennen. Mit Zustellung des positiven Bescheids steigt der Asylwerber zum Asylberechtigten auf und erhält alle Rechte und Pflichten, die dieser Status mit sich bringt.36
3.6.1. Asylberechtigte mit einer befristeten Aufenthaltsberechtigung
Seit der Asylgesetz-Novelle 2016 sieht das Asylgesetz 2005, genau der § 3 Abs 4, vor, dass Asylberechtigten zunächst nur eine auf 3 Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zukommt, welche sich um eine unbefristete verlängert, sofern die Asylberechtigungsvoraussetzungen weiterhin vorliegen. Ist ihr Asylantrag also positiv entschieden, erhalten Asylberechtigte zunächst „Asyl auf Zeit“. Asylsuchende, die den Antrag vor dem 15. November 2016 stellten, fielen noch in die alte Regelung und erhielten sofort „unbefristetes Asyl“.37
3.6.2. Befristete Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer, afghanischer Asylwerber, erhielt mit positivem Bescheid vom 20.09.2016 den Status als Asylberechtigter und einer damit einhergehend für 3 Jahre befristeten Aufenthaltsberechtigung zuerkannt. Sofern am 20.09.2019 keine Gründe vorlagen, die eine Aberkennung des Status rechtfertigten, wandelte sich seine Aufenthaltsberechtigung in eine unbefristete um.
3.6.3. Der Weg zum gemeinsamen Europäischen Asylsystem (CEAS38)
Seit 199939 arbeitet die Europäische Union an der Kreation eines gemeinsamen europäischen
Asylsystems (GEAS), das mit der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, dem Protokoll von 1967 und anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen muss40, um schrittweise einen Raum
der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aufzubauen, der allen zur Verfügung steht, die rechtmäßig in der Union um Schutz ansuchen.41 Ziel des gemeinsamen europäischen
Asylsystems ist die Entwicklung eines gemeinsamen Asylverfahrens und eines einheitlichen
33 Bundesministerium Inneres, Asyl: Begriffsbestimmungen,
https://www.bmi.gv.at/301/Allgemeines/Begriffsbestimmungen/start.aspx#be_08, abgerufen am 10.06.2019.
34 Vgl Schumacher/Peyrl/Neugschwendtner, Fremdenrecht4 (2012), 270. 35 Vgl Schumacher/Peyrl/Neugschwendtner, Fremdenrecht4 (2012), 273. 36 Vgl Bundesministerium Inneres, Asyl: Begriffsbestimmungen,
https://www.bmi.gv.at/301/Allgemeines/Begriffsbestimmungen/start.aspx#be_08, abgerufen am 10.06.2019.
37 Vgl § 27 Abs 24 AsylG.
38 Common European Asylum System.
39 Auf der Sondertragung des Europäischen Rates in Tampere vom 15. Und 16. Oktober 1999.
40 Vgl Press Release IP/16/2433 EASO, An introduction to the Common European Asylum System for Courts and
Tribunals: A judicial analysis, 16.
41 Vgl Richtlinie 2011/95/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für
die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, 2.
Status für Personen mit internationaler Schutzbedürftigkeit.42 Auf kurze Sicht sollte das
Gemeinsame Europäische Asylsystem zur Angleichung der Bestimmungen über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaften führen.43 Im Schengener Durchführungsübereinkommen und dem
Dubliner Übereinkommen, zwei Abkommen völkerrechtlicher Natur, vereinbarten die EU- Mitgliedstaaten zunächst die Zusammenarbeit in Flüchtlingsfragen und legten fest, dass die Prüfung eines Asylansuchens zukünftig nur mehr ein Staat erledigen sollte. Im Vertrag von Amsterdam übertrugen die Mitgliedstaaten der Union Kompetenzen zur Ausarbeitung von Rechtsvorschriften im Asylbereich.44 Die Europäische Union erließ daraufhin eine Reihe von
Richtlinie und Verordnungen, die den Harmonisierungsprozess der Asylsysteme der EU- Mitgliedstaaten vorantrieben. Weitere Schritte für die Vereinheitlichung der europäischen Asylpolitik wurde im Haager und Stockholmer Programm festgelegt.45 Der Vertrag von Lissabon
führte ein gemeinsames Asylsystem mit einheitlichem Asylverfahren und einheitlichem Status46
innerhalb der Europäischen Union ein.47 Die wichtigsten bestehenden Rechtsinstrumente und
gegenwärtigen Reformbemühungen inkludieren eine Neufassung der Anerkennungsrichtlinie, Eurodac-Verordnung, Dublin-III-Verordnung und der Richtlinie über die Aufnahmebedingungen und die Asylverfahrensrichtlinie. Zukünftig soll das CEAS durch die Implementierung von direkt anwendbaren Verordnungen anstelle von Richtlinien verbessert werden.48
3.6.4. Entwicklung der Asyl- und Migrationssysteme in Österreich
Als Reaktion auf die Flüchtlingsströme im Kalten Krieg, die vor den kommunistischen Regimen Ost- und Mitteleuropas flohen, wurde im Jahre 1968 das erste österreichische Asylgesetz erlassen.49 Im Jahre 1991 erging in Beantwortung der politischen Umwälzungen in Europa, die
auf den Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien und den Fall des Eisernen Vorhangs zurückzuführen waren, das Asylgesetz 1991.50
Das Fremdengesetz 199351 und das Aufenthaltsgesetz 199352, die 1997 zum Fremdengesetz
1997 zusammengefügt wurden, dienten der Regelung und der Beschränkung der neuen Zuwanderung in den 1990er Jahren.
Durch den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union 1995 wurde das Asylgesetz im Jahre 1997 novelliert, insbesondere wurde das Schengener Übereinkommen inkludiert und das Asylgesetz mit dem Dubliner Übereinkommen harmonisiert.
Durch das Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam, der Mindeststandards für die Aufnahme von Asylsuchenden und Asylverfahren einführte, musste das Asylrecht weiterführend harmonisiert werden.
Im Jänner 2006 trat das Fremdenrechtspaket 200553 in Kraft, wodurch mehrere EU-Richtlinien
umgesetzt, das österreichische Migrationsrecht tiefgreifend reformiert, das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz geteilt, das Fremdengesetz in das Fremdenpolizeigesetz 2005 umgewandelt und das Asylgesetz überarbeitet wurde. Das Asylgesetz 2005 setzte insbesondere die Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, den Vorgänger der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU, um und regelt die Zu- und Aberkennung des Asylstatus und des subsidiären Schutzstatus in Österreich. Das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009, das unter anderem das
42 Vgl Press Release IP/16/2433 EASO, An introduction to the Common European Asylum System for Courts and
Tribunals: A judicial analysis, 16.
43 Vgl Richtlinie 2011/95/EU „des europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für
die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes“, 5.
44 Vgl Europäisches Parlament, Migration und Asyl: Eine Herausforderung für Europa, S. 3. 45 Vgl Schumacher/Peyrl/Neugschwendtner, Fremdenrecht4 (2012), 212.
46 einheitlicher Asylstatus, subsidiärer Schutzstatus, gemeinsame Reglung für den vorübergehenden Schutz 47 Vgl Europäisches Parlament, Migration und Asyl: Eine Herausforderung für Europa, S. 4.
48 Vgl Europäisches Parlament, Migration und Asyl: Eine Herausforderung für Europa, S. 6.
49 Vgl Fassmann/Reeger/Sievers, Statistics and Reality: Concepts and Measurements of Migration in Europe (2008),
21.
50 Vgl BGBI. Nr. 8/1992. 51 Vgl BGBI. Nr. 838/1992. 52 Vgl BGBI. Nr. 466/1992. 53 Vgl BGBI. Nr. 100/2005.
Abschiebeverfahren straffälliger Asylsuchender beschleunigte, einen Fremden- und Konventionsreisepass für Staatenlose und subsidiär Schutzberechtigte einführte und den Abschiebeschutz für Personen, die Folgeanträge im Asylverfahren stellen, aufhob, setzte zwei Richtlinien der Europäische Union um, nämlich einerseits die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (=europäische Grundfreiheit) und andererseits die Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen. Um das Asylverfahren zu beschleunigen, wurde im Jahr 2008 der Asylgerichtshof ins Leben gerufen.54 Seit der Verwaltungsreform 2011 ersetzt das Bundesamt für
Fremdenwesen und Asyl das Bundesasylamt.
Das FNG-Anpassungsgesetz 201355 setzte die Anerkennungsrichtlinie, die Richtlinie über die
kombinierte Aufenthaltserlaubnis (Richtlinie 2011/98/EU) und die Richtlinie über die langfristige Aufenthaltsberechtigung (Richtlinie 2011/51/EU), den Visakodex und den Schengener Grenzkodex um. Im Jahr 2014 wurde ein Migrationsrat für Österreich gegründet, welcher eine umfassende Zuwanderungsstrategie erstellen und so die Bundesregierung unterstützen soll. Das Fremdenrechtsänderungsgesetz 201556 brachte ua Änderungen im Zulassungsverfahren und im
Verfahren zur Vorführung von Asylsuchenden vor das BFA und verkürzte die Entscheidungsfrist des Bundesverwaltungsgerichts bei Aberkennungsverfahren.
Hauptzuständig für die österreichische Asyl- und Migrationspolitik ist das Bundesministerium für Inneres. Es wird durch den Migrationsrat für Österreich unterstützt. Zu seinen Zuständigkeiten gehört unter anderem das Ein- und Auswanderungswesen, Asylangelegenheiten, Aufenthaltsverbote, Ausweisungen und Abschiebungen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist die erste Instanz im Asylverfahren und dem BMI unterstellt. Für Integrationsangelegenheiten, wie das Visumverfahren, Angelegenheiten der Integration oder der Entwicklungszusammenarbeit ist das Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres zuständig.
54 Vgl Refworld, Austria: Asylum Court (Asylgerichtshof), https://www.refworld.org/publisher/AUS_AC.html, abgerufen
am 10.07.2019.
55 Vgl BGBI. I Nr. 68/2013. 56 Vgl BGBI. I Nr. 70/2015.
4. Das Vorabentscheidungsersuchen des LVwG OÖ in der Rechtssache C-
713/17
Als Asylberechtigter mit befristeter Aufenthaltsberechtigung fällt der Beschwerdeführer in den Anwendungsbereich des § 4 Abs 3 Oö BMSG. Ihm gebührt daher nach nationaler Rechtslage nicht die volle Höhe der Bedarfsorientierten Mindestsicherung gleich einem Staatsbürger oder Asylberechtigten mit dauerhafter Aufenthaltsberechtigung, sondern lediglich ein eingeschränktes Ausmaß davon. Die bescheidausstellende Behörde, die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land, hatte daher spruchgemäß zu entscheiden und ist ihr Bescheid rechtlich richtig.
Es stellt sich jedoch die Frage, ob die dem Bescheid zugrundeliegende Bestimmung des § 4 Abs 3 Oö BMSG überhaupt europarechtskonform ist, widrigenfalls zu prüfen bleibt, ob die der nationalen Norm entgegenstehende Unionsrechtsnorm unmittelbar anwendbar ist. Eine unmittelbar anwendbare Unionsrechtsnorm, die einer nationalen Norm entgegensteht, genießt relativen Anwendungsvorrang und verleiht dem Einzelnen ein eigenes, subjektives Recht. Die nationale Norm ist zwar nicht schlechthin nichtig, sie muss aber jedenfalls unangewendet bleiben. Zudem trifft den nationalen Gesetzgeber nach stRsp des Europäischen Gerichtshofs eine Rechtsbereinigungspflicht.57 Der Gesetzgeber hat die dem Unionsrecht widersprechende
nationale Norm aufzuheben oder zu ändern, um Unklarheiten und einen Zustand der Ungewissheit bei Fortgeltung einer entsprechenden nationalen Norm für die betroffenen Normadressanten hintanzuhalten.58
Zur Klärung der Europarechtskonformität der § 4 Abs 3 Oö BMSG und der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art 29 der Richtlinie 2011/95/EU wurde daher vom LVwG OÖ ein Antrag auf Vorabentscheidung gemäß Art 267 AEUV gestellt.
4.1. Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV)
Stellt sich im Rahmen eines anhängigen Verfahrens vor einem nationalen Gericht eine Frage hinsichtlich der Auslegung, Anwendung oder Gültigkeit des primären oder sekundären Unionsrechts, so hat das nationale Gericht die Möglichkeit, das Verfahren auszusetzen und die entsprechende Auslegungsfrage dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen. Ein letztinstanzliches Gericht, dessen Entscheidung mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angefochten werden kann, ist zur Anrufung des EuGHs sogar verpflichtet.59 Als Teil
des EU-Primärrechts ist Art 267 AEUV Bestandteil aller mitgliedstaatlichen Verfahrensordnungen und genießt zudem Anwendungsvorrang.60 Es dient der Wahrung der Rechtseinheit und soll den
Individualrechtsschutz sicherstellen. Dem vorlegenden Gericht obliegt zwar weiterhin die Entscheidung des konkreten Anlassrechtsstreits, es ist dabei allerdings an das Urteil des EuGHs, das in Beantwortung der Vorlagefrage ergeht, gebunden. Das mitgliedstaatliche Gericht hat die in der Antwort des Europäischen Gerichtshofs ausgelegte bzw für gültig erklärte unionsrechtliche Norm auf den Anlassfall entsprechend anzuwenden und seiner Entscheidung zugrunde zu legen.61 Neben dem vorlegenden Gericht sind auch alle anderen Gerichte, die in derselben
Rechtssache zu entscheiden haben, von der Bindungswirkung erfasst.62
Das Vorabentscheidungsverfahren kann als Kernstück des Gerichtssystems der Europäischen Union betrachtet werden.63 Der EuGH selbst sieht in ihm „die eigentliche Grundlage für das
Funktionieren des Binnenmarktes“, die garantieren soll, dass dem Unionsrecht „in allen
Mitgliedstaaten der Europäischen Union dieselbe Wirkung zukommt“.64
57 Vgl Leidenmühler, Europarecht: Die Rechtsordnung der Europäischen Union, 35. 58 Vgl EuGH, 25.10.1979, Rs 159/78, Rz 22.
59 Vgl Klingler, Vorabentscheidungsersuchen: Fragen an den EuGH im österreichischen Zivilverfahren (2018), 1. 60 Anwendungsvorrang bedeutet, dass die nationalen Behörden und Gerichte die Vorschriften des Unionsrechts auch
dann anzuwenden haben, wenn nationale Normen dem entgegenstehen.
61 Vgl Klingler, Vorabentscheidungsersuchen: Fragen an den EuGH im österreichischen Zivilverfahren (2018), 33. 62 Vgl Schima in Mayer/Stöger, EUV/AEUV3 (2012), Art 267 AEUV, Rz 197.
63 Vgl Rodriguez Iglesias, Der EuGH und die Gerichte der Mitgliedstaaten – Komponenten der richterlichen Gewalt in
der Europäischen Union (2000), 2.
Die rechtliche Bedeutung des Vorabentscheidungsverfahrens liegt vor allem im dezentralen Vollzug des Unionsrechts, dessen Einhaltung und Anwendung dezentral gerichtlich kontrolliert wird.65 Das Unionsrecht wird im Wesentlichen nicht direkt durch die Organe der europäischen
Union vollzogen, sondern indirekt durch die Behörden der einzelnen Mitgliedstaaten.66 Der EuGH
ist zwar Unionsgericht im institutionellen Sinne, teilt sich die Rechtsprechungsfunktion allerdings mit den nationalen Gerichten der Mitgliedstaaten, deren Richter in unionsrechtlichen Sachverhalten sohin funktionell als „ordentliche Richter des Unionsrechts“67 tätig werden und das
unmittelbar geltende Unionsrecht verantwortungsvoll anzuwenden haben. Den Richtern der Mitgliedstaaten obliegt die Sicherstellung der Wirksamkeit des Unionsrechts und der Schutz der subjektiven Rechte – das sind Herrschafts- und Gestaltungsrechte wie beispielsweise das Recht am Eigentum – die das Unionsrecht dem Unionsbürger verleiht.68
4.2. Praktische Bedeutung
Ein Blick in die Statistik des Jahres 2017 veranschaulicht die gegenwärtige Bedeutung des Vorabentscheidungsverfahrens des Art 267 AEUV:
§ Im Jahr 2017 gingen 739 Rechtssachen neu beim EuGH ein. Davon betrafen 533 – und somit mehr als zwei Drittel – Vorlagen nationaler Gerichte.69
§ Seit dem ersten Vorabentscheidungsersuchen im Jahre 1961 bis einschließlich 2017 wurde insgesamt 10.149-mal an den Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegt.70
§ Dieser „Boom“ ist insbesondere auf die intensivierten Rechtssetzungsaktivitäten der EU der letzten Jahre zurückzuführen. Die EU ist bestrebt, immer mehr Bereiche des täglichen Lebens auf EU-Ebene zu regeln. Zudem sind mittlerweile 28 Mitgliedstaaten vorlageberechtigt und durch den Vertrag von Lissabon, der am 01.12.2009 in Geltung trat, wurde der sachliche Anwendungsbereich des Vorabentscheidungsverfahrens insbesondere dadurch erweitert, dass die Säulenstruktur der EU beseitigt und der Bereich „der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ als Titel V in den AEUV integriert und so dem allgemeinen Rechtsschutzregime der EU unterworfen wurde.71
4.3. Die Funktionen des Vorabentscheidungsverfahrens
4.3.1. Rechtseinheit - Wahrung der einheitlichen Rechtsauslegung
Damit das Unionsrecht in allen Mitgliedstaaten einheitlich angewendet wird und die gleiche Wirkung entfaltet, hat der EuGH das Monopol zur Auslegung des primären und sekundären Unionsrechts inne und kann primärrechtswidriges Sekundärrecht für ungültig erklären.72
4.3.2. Gültigkeitskontrolle
Das Vorabentscheidungsverfahren dient den mitgliedstaatlichen Gerichten, wie bereits dargelegt, einerseits als Wegweiser und Garant EU-konformer Interpretation, andererseits der Gültigkeitskontrolle von Unionsrechtsakten und der Rechtmäßigkeitskontrolle von Handlungen der Unionsorgane. Art 267 Abs 1 lit b AEUV besagt nämlich, dass der EuGH im Wege der
65 Vgl Klingler, Vorabentscheidungsersuchen: Fragen an den EuGH im österreichischen Zivilverfahren (2018), 2. 66 Vgl Wegener in Calliess/Ruffert, EUV/AUEV5 (2016), Art 267 AEUV, Rz 9.
67 Vgl Wegener in Calliess/Ruffert, EUV/AUEV5 (2016), Art 267 AEUV, Rz 1. In seinem Gutachten zum geplanten
europäischen Patentgericht bezeichnet mittlerweile sogar der EuGH die mitgliedstaatlichen Gerichte als „ordentliche Unionsgerichte“ (EuGH 8.3.2011, Gutachten 1/09, Slg 2011, I-1137 RZ 80).
68 Vgl Klingler, Vorabentscheidungsersuchen: Fragen an den EuGH im österreichischen Zivilverfahren (2018), 2. 69 Vgl EuGH, Pressemitteilung Nr. 36/18, Rechtsprechungsstatistiken 2017: Die Zahl der anhängig gemachten
Rechtssachen liegt erneut über der Schwelle von 1 600 (2018).
70 Vgl Klingler, Vorabentscheidungsersuchen: Fragen an den EuGH im österreichischen Zivilverfahren (2018), 1. 71 Vgl Schwarze, EU-Kommentar4 (2018), Art 267 AEUV, Rz 7.
Vorabentscheidung über die Gültigkeit der Einrichtungen, Organe und sonstigen Stellen der Union entscheidet.
4.3.3. Fortbildung des Unionsrechts
Die Unionsrechtsordnung ist nach wie vor ein „unabgeschlossenes rechtliches und funktionales
Instrument der Integration“.73 Im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahren kann der EuGH
Regelungslücken schließen und dadurch kontinuierlich das Rechtssystem zu einem abgeschlossenen weiterentwickeln.74
4.3.4. Individualrechtsschutzfunktion
Die direkten, selbständigen Klagemöglichkeiten eines einzelnen Unionsbürgers gegen Unionsrechtsakte sind beschränkt. Erfüllt ein Unionsbürger die restriktiven Voraussetzungen für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage iSd Art 263 AEUV nicht, beispielsweise weil er selbst nicht unmittelbar und individuell betroffen ist, kann er dennoch den nationalen Rechtsweg bestreiten und das nationale Gericht ersuchen, im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens, einem nicht-streitigen Zwischenverfahren, die Gültigkeit der unionsrechtlich-einschlägigen Regelung durch den EuGH überprüfen zu lassen. Ein diesbezüglicher prozessualer Anspruch kommt der Partei allerdings nicht zu. Vielmehr gewährt das Verfahren ihr nur einen mittelbaren Rechtsschutz.75
4.4. Vorlagegegenstand und Vorlagefragen
Nach Art 267 Abs 1 lit a und lit b AEUV entscheidet der EuGH über die „Auslegung der Verträge“ sowie „über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union“.76
Auslegungsfragen können das Primärrecht, also den EUV und AEUV samt ihrer Anhänge und beigefügten Protokolle, Änderungs- , Ergänzungs- und Beitrittsverträge, das ungeschriebene Primärrecht, das aus dem Unionsgewohnheitsrecht und den gemeinsamen Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten besteht, die EU-Grundrechtecharta und die Auslegung sämtlicher Handlungen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, sowie die in Art 288 Abs 1 AEUV angeführten Rechtsakte betreffen.77
4.5. Antrag auf Vorabentscheidung in der Rechtssache C-713/17
Das Landesverwaltungsgericht OÖ stellte im Rahmen einer mündlichen Verhandlung fest, dass der angefochtene Bescheid rechtlich richtig ist. Zumal das Gericht allerdings ernsthafte Bedenken hegte, ob die dem Bescheid zugrunde liegende Norm des § 4 Abs 3 Oö BMSG mit der Richtlinie 2011/95/EU, insbesondere dem Art 29 der Richtlinie, auch im Einklang steht, setzte es das Verfahren aus und legte folgende Auslegungsfragen dem europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung iSd Art 267 AEUV vor:
1. „Ist Art. 29 der Richtlinie 2011/95, der die Pflicht eines Mitgliedstaats begründet, Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, (in dem Mitgliedstaat, der diesen Schutz
gewährt hat) die notwendige Sozialhilfe zu gewähren, wie sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats erhalten, dahin gehend auszulegen, dass er die vom Gerichtshof in seiner
Rechtsprechung entwickelten Kriterien der unmittelbaren Anwendbarkeit erfüllt?“78
73 Vgl Pernthaler, Die Herrschaft der Richter im Recht ohne Staat (2000), 691.
74 Vgl Klingler, Vorabentscheidungsersuchen: Fragen an den EuGH im österreichischen Zivilverfahren (2018), 26. 75 Vgl Klingler, Vorabentscheidungsersuchen: Fragen an den EuGH im österreichischen Zivilverfahren (2018), 28. 76 Vgl Art 267 AEUV.
77 Vgl Klingler, Vorabentscheidungsersuchen: Fragen an den EuGH im österreichischen Zivilverfahren (2018), 44. 78 Vgl EuGH C-713/17, 4.
2. „Ist Art. 29 der Richtlinie 2011/95 dahin gehend auszulegen, dass er einer nationalen Bestimmung entgegensteht, welche lediglich Asylberechtigten mit dauerhaftem Aufenthalt die
Sozialhilfe in Form der bedarfsorientierten Mindestsicherung in voller Höhe und damit im gleichen Ausmaß wie Staatsangehörigen des Mitgliedstaats gewährt, jedoch die Kürzung von
Sozialhilfeleistungen aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung für jene Asylberechtigten vorsieht, welchen nur ein befristeter Aufenthalt zuerkannt wurde, und diese damit hinsichtlich der
Höhe der Sozialhilfe den subsidiär Schutzberechtigten gleichstellt?“79
Das Landesverwaltungsgericht OÖ als Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit mit Rechtsprechungstätigkeit iSd Art 267 AEUV war als solches zwar zur Anrufung des EuGHs berechtigt aber nicht verpflichtet. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 21.11.2018, die in Beantwortung der Vorlagefragen erging, entfaltet gegenüber dem Ausgangsverfahren bindende Wirkung. Verbindlich ist der Urteilstenor, der „im Lichte der
Entscheidungsgründe zu verstehen“80 ist.81 Das Landesverwaltungsgericht OÖ hat das
einschlägige Unionsrecht, im gegenständlichen Fall den Art 29 der Richtlinie 2011/95, im Sinne der Interpretation des EuGHs auf den Ausgangsfall anzuwenden.
79 Vgl EuGH C-713/17, 4. 80 Vgl EuGH C-713/17, 4.
5. Die Bedeutung der Richtlinie 2011/95/EU der Europäischen Union und
ihre direkte Wirkung in der gegenständlichen Rechtssache C-713/17
Zumal § 4 Abs 3 Oö BMSG im Widerspruch zu Art 29 der Richtlinie 2011/95 steht, ist Österreich seiner Verpflichtung nicht fristgerecht nachgekommen, die besagte Richtlinie korrekt in innerstaatliches Recht zu transformieren. Zu prüfen ist nun, ob die nicht korrekt umgesetzte Richtlinie unmittelbar anwendbar ist und dadurch direkte Wirkung entfaltet.
5.1. EU-Richtlinie (Art 288 Abs 3 AEUV)
Die Richtlinie ist eine generell-abstrakte Rechtssatzform der Europäischen Union und Teil des Sekundärrechts. Damit die Richtlinie, die im Gegensatz zur EU-Verordnung nicht unmittelbar in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen anwendbar und verbindlich wird, in den einzelnen Mitgliedstaaten in Geltung erwächst, bedarf es eines nationalen Rechtsaktes der Gesetzgebungsorgane der Mitgliedstaaten. Die Adressaten der Richtlinie sind somit zunächst die Länder selbst und erst nach Einhaltung ihrer mitgliedstaatlichen Umsetzungsvorschriften – die Form und das Mittel der Umsetzung bleibt dabei den nationalen Gesetzgebungsorganen überlassen, hat aber jedenfalls innerhalb der festgesetzten Frist zu erfolgen – auch natürliche und juristische Personen. Die Umsetzung kann durch die Schaffung neuer Gesetze oder die Anpassung bereits bestehender Gesetze erfolgen.82 Die Europäische Kommission, als „Hüterin der Verträge“83, ist üblicherweise von der entsprechenden Umsetzung in Kenntnis zu setzen. Eine
Richtlinie, die noch nicht in das nationale Recht transformiert wurde, genießt grundsätzlich keinen Anwendungsvorrang, sodass entgegenstehendes nationales Recht nicht weichen muss.
5.2. Direkte Wirkung / Anwendungsvorrang des EU-Rechts
Wurde eine Richtlinie allerdings nicht vollständig bzw nicht ordnungsgemäß in innerstaatliches Recht umgesetzt und ist die Umsetzungsfrist bereits verstrichen, so entfaltet sie ausnahmsweise direkte Wirkung, sofern sie einerseits unbedingt und hinreichend konkret formuliert wurde, also „self executing“ ist, und andererseits die einzelne natürliche oder juristische Person gegenüber dem Mitgliedstaat ausschließlich begünstigt.84 Zu Lasten eines EU-Bürgers oder zur
Vorenthaltung seiner Rechte kann die Richtlinie hingegen nicht unmittelbar angewandt werden. Die nationalen Gerichte und Behörden haben das gesamte innerstaatliche Recht zu berücksichtigen und alle darin verankerten Auslegungsmethoden heranzuziehen, um die vollständige Wirksamkeit des Unionsrechts zu garantieren und ein Ergebnis zu erreichen, das mit den Zielen des Unionsrechts vereinbar ist. Nationale Normen, die durch die Umsetzung einer Richtlinie erlassen wurden, sind nach dem Wortlaut und dem Zweck dieser Richtlinie auszulegen und anzuwenden, damit ihr angestrebtes Ziel verwirklicht wird. Liegen die Voraussetzungen der direkten Wirkung vor, haben die Gerichte und Behörden die entsprechenden Richtlinienbestimmungen zu Gunsten des Einzelnen unmittelbar anzuwenden und den Anwendungsvorrang des EU-Rechts zu beachten. Zwischen Privaten entfaltet eine nicht ordnungsgemäß umgesetzte Richtlinie keine direkte Wirkung.85
5.3. Die fehlerhafte Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU in
österreichisches Recht
Die Statusrichtlinie 2011/95/EU, auch als Qualifikations- oder Anerkennungsrichtlinie bekannt, definiert einen einheitlichen Status für Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte und
82 Vgl Leidenmühler, Europarecht: Die Rechtsordnung der Europäischen Union (2015), 52. 83 Vgl Leidenmühler, Europarecht: Die Rechtsordnung der Europäischen Union (2015), 81. 84 Vgl VwGH 21.05.2019, Ra 2019/19/0006.