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Verantwortlich:
Dietmar Hexel DGB Bundesvorstand
Nachfragen an:
Rainald Thannisch Abt. Mitbestimmungspolitik 030 240 60 605
rainald.thannisch@dgb.de
Stand: 06.12.11
Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes an das Bundesministerium der Justiz
zur Überarbeitung der EU- Bilanzierungsrichtlinien
Sehr geehrte Damen und Herren,
Wir bedanken uns für die Gelegenheit, Ihnen die Positionen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zur geplanten Überarbeitung und
Neustrukturierung der europäischen Bilanzrichtlinien vorlegen zu können. Der DGB würde es begrüßen, wenn Sie die mit diesem Schreiben unterbreiteten Anregungen in die Beratungen mit den europäischen Institutionen einbringen könnten. Aufgrund der Kurzfristigkeit, mit der diese Stellungnahme erarbeitet werden musste, bitten wir um Verständnis, dass wir nicht alle Aspekte mit der an sich notwendigen Tiefe bearbeiten konnten. Daher behalten wir uns vor, ggf.
im weiteren Verlauf des Prozesses noch auf zusätzliche Punkte einzugehen.
Wir stehen für vertiefende Gespräche gern zur Verfügung.
1. Grundsätzliche Überlegungen
Der DGB bezweifelt die Notwendigkeit einer derart umfassenden Überarbeitung und Umstrukturierung der europäischen Bilanzrichtlinien. Die
Zusammenfassung der Vierten und Siebenten Richtlinie ermöglicht lediglich den Verzicht auf Wiederholung der Bilanzierungsgrundsätze für den Bereich der Konzernabschlüsse. Dies wäre auch in der bisherigen Struktur möglich. Auch die strukturellen Überarbeitungen innerhalb der Vorschriften bringen keine so wesentlichen Vorteile, dass sich daraus erheblicher Reformbedarf ableiten ließe.
Allerdings werden mit dem Entwurf auch einige Verbesserungen
vorgeschlagen, die aus Sicht des DGB rundheraus zu begrüßen sind. Dazu gehört die Reduzierung der Vielzahl von Mitgliedstaatenwahlrechten wie z.B.
des Mitgliedstaatenwahlrechts, die Bilanzgliederung nach Art. 9 oder 10 der 4.
Richtlinie vorzuschreiben. Auch die Reduzierung der zulässigen Formen der Gewinn- und Verlustrechnung von vier auf nur noch zwei gehört zu den positiven Veränderungen. Die verschiedenen Wahlrechte der Mitgliedstaaten haben zu einer erheblichen Differenzierung der Bilanzierungsvorschriften in den europäischen Staaten geführt, so dass die Vergleichbarkeit der Abschlüsse teilweise erheblich gelitten hat.
Zu den positiven Änderungen des Entwurfs zählt auch die in Art. 5 Abs. 1,
Gehalt eines Geschäfts und nicht nur nach seiner Rechtsform. Damit wird ein bisher vorliegendes Mitgliedstaatenwahlrecht abgeschafft und stattdessen eine Verpflichtung erlassen. Diese Änderung hat große Bedeutung z.B. auf dem Gebiet der Leasingverhältnisse und führt die Rechnungslegung nach den EU- Richtlinien an die IFRS heran. In diesem Fall ist die Annäherung an die IFRS zu begrüßen, weil sie zu einer erheblich verbesserten Bilanzierungspraxis mit steigender Aussagekraft der Abschlüsse führt.
Gänzlich abzulehnen ist dagegen die mit Artikel 5 vorgenommene Einführung eines allgemeinen Grundsatzes der Wesentlichkeit. Danach haben Ansatz, Bewertung, Darstellung und Angabe in Abschlüssen dem Kriterium der Wesentlichkeit genügen. Davon abgesehen, dass die hier gewählte Formulierung keineswegs klar ist und umfassende Auslegungsspielräume eröffnet, litten unter einer solchen Regelung Aussagekraft und Vergleichbarkeit der Jahresabschlüsse erheblich, weil möglicherweise Posten in der Gewinn- und Verlustrechnung oder in der Bilanz zusammengelegt werden könnten. Auch der Verzicht auf Angaben im Anhang mit Verweis auf das angeblich nicht
erfüllte Kriterium der Wesentlichkeit ist aus Sicht des DGB nicht
wünschenswert. Der Nichtausweis von „nicht wesentlichen“ Rückstellungen wäre gerade aus Sicht des Gläubigerschutzes nicht zu rechtfertigen. Besonders problematisch ist die Zuweisung der Verantwortung für die Bestimmung der Wesentlichkeit an das Unternehmen, unabhängig davon, ob für das
Unternehmen eine Abschlussprüfung durchgeführt wird oder nicht, zumal im Richtlinienentwurf keine Kriterien für die Bestimmung der Wesentlichkeit genannt sind. Die Verlässlichkeit des Abschlusses ist damit nach Auffassung des DGB zumindest gefährdet.
Zu Art. 4, 17 und 34: Ausnahmen für kleine Unternehmen
Der DGB sieht ein erhebliches Interesse von Adressaten – insbesondere von Gläubigern der Unternehmen – an aussagekräftigen, vergleichbaren und verlässlichen Abschlüssen von Kapitalgesellschaften. Dies schließt den Bedarf an Prüfung der Abschlüsse durch gesetzlich vorgesehene Abschlussprüfer und die Offenlegung der Abschlüsse ein. Prüfung und Offenlegung der Abschlüsse sind als Preis für die Haftungsbeschränkung anzusehen – und dies gilt für kleine Unternehmen ebenso wie für größere.
Zwar ist das Motiv des Bürokratieabbaus zugunsten kleiner Unternehmen grundsätzlich begrüßenswert, dem steht aber ein erhebliches Interesse externer (und interner) Adressaten der Abschlüsse auch kleiner Unternehmen entgegen.
Gläubiger dieser Unternehmen sind nicht nur klassische Kreditgeber, die sich Informationen für ihre Zwecke auch auf anderem Weg verschaffen können, sondern auch Zulieferer und Mitarbeiter sowie deren Vertretungen
(Gewerkschaften und Betriebsräte). Diese haben in der Regel nur die
Möglichkeit, sich Informationen über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens über publizierte Abschlüsse zu verschaffen. Und dies ist von besonderem Gewicht bei haftungsbeschränkten Gesellschaften wie der GmbH oder der AG.
Daher beharrt der DGB auf der Verpflichtung zur Unternehmenspublizität auch bei kleinen Gesellschaften und regt an, das Mitgliedstaatenwahlrecht zu streichen, nach dem kleine Unternehmen von der Pflicht zur Veröffentlichung ihrer Gewinn- und Verlustrechnung ausgenommen werden können.
Den besonderen Bedingungen der kleinen Unternehmen wird nach Auffassung des DGB hinreichend Rechnung getragen durch die geringeren Anforderungen hinsichtlich der Struktur und des Umfangs der Rechenwerke und des Anhangs sowie dem Verzicht auf die Pflicht zur Vorlage eines Lageberichts.
Um die Verlässlichkeit der Abschlüsse sicherzustellen, ist aus Sicht des DGB auch für kleine Unternehmen eine Prüfung der Abschlüsse verpflichtend vorzusehen. Der Aufwand für die Prüfung ist bei kleinen Unternehmen vergleichsweise gering, so dass diese Last tragbar erscheint. Zwar hat Deutschland das bereits bisher (Art. 51 Abs. 2 der Vierten RL) bestehende Wahlrecht ausgeübt, die Abschlussprüfung nicht für kleine Gesellschaften vorzuschreiben. Gleichwohl bittet der DGB, unter Prüfung der vorgetragenen Argumente die bisherige deutsche Regelung zu überdenken und sich auch gegen die geplante Lockerung des europäischen Rechts auszusprechen. Dafür spricht auch, dass die zur Kategorisierung eines Unternehmens vorgesehenen Größenkriterien die Komplexität und Risikoträchtigkeit des Geschäftsmodells u.
U. nicht ausreichend abbilden. Gerade in Unternehmen mit risikoträchtigen Geschäftsmodellen erfüllt der Abschlussprüfer eine wertvolle
Unterstützungsfunktion für das Aufsichtsorgan. Es sollte daher überlegt werden, generell alle Unternehmen einer Prüfungspflicht zu unterwerfen.
Außerdem muss nach Auffassung des DGB sichergestellt werden, dass Mitgliedstaaten weiterhin die Möglichkeit haben, auch kleinen Unternehmen – zumindest Unternehmen mit öffentlichem Interesse – zusätzliche Bestandteile des Jahresabschlusses und zusätzliche Angaben im Jahresabschluss
abzuverlangen. Nur so können ggf. besondere Fragestellungen aus dem nationalen Umfeld wie z.B. dem jeweiligen Unternehmensrechtsmodell aufgenommen werden.
Kleine Gesellschaften, die die Spitze einer Konzernholding bilden, sollten keine Vereinfachungen oder Erleichterungen in Anspruch nehmen können!
Zu Art. 9 und 10: Gliederung und alternative Darstellung der Bilanz
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, unterstützt der DGB die mit Art. 9
vorgenommene Einschränkung der zulässigen Bilanzgliederung. Das mit Art. 10 neu eingeführte Wahlrecht einer Unterscheidung der Bilanzpositionen in kurz- und langfristige Posten vergrößert zwar einerseits wieder die Varietät der Abschlüsse in Europa, ermöglicht aber andererseits den Mitgliedstaaten eine Annäherung an die IFRS.
Grundsätzlich spricht nichts gegen eine Fristengliederung der Bilanz, allerdings sollte dann ebenso wie für die „klassische“ Bilanz eine verpflichtende Struktur vorliegen. Andernfalls lägen unterschiedliche Verpflichtungsgrade für die Bilanzierenden je nach gewählter Bilanzdarstellung vor. Außerdem litten Vergleichbarkeit und Lesbarkeit der nach Fristen gegliederten Bilanzen – wie dies bereits bei den in Europa vorliegenden IFRS-Konzernbilanzen
nachvollziehbar ist. Alle Adressaten von Abschlüssen, die Bilanzanalysen mit standardisierten Methoden und Programmen vornehmen leiden zudem unter nicht gleichmäßig strukturierten Abschlüssen. Jede Abkehr von
Strukturvorschriften für Bilanz und GuV ist daher abzulehnen. Der DGB regt daher eine verpflichtende Struktur für die nach Fristen gegliederte Bilanz analog zur klassischen Bilanzstruktur an.
Zu Art. 6: Bewertung des Anlagevermögens nach der Neubewertungsmethode
Die in Artikel 6 umfassend geregelte Option für Mitgliedstaaten, für
Anlagevermögen eine bilanzielle Neubewertung vorzuschreiben sieht der DGB kritisch. Diese Methode durchbricht das Vorsichts- und
Anschaffungskostenprinzip. Ein Anreiz zur Nutzung dieser Methode besteht regelmäßig nur bei gestiegenen Marktpreisen für das Unternehmensvermögen bzw. für Teile davon (z.B. Immobilienvermögen). Die Nutzung des Wahlrechts ermöglicht erhöhte Vermögensausweise zum Zweck der Bilanzgestaltung.
Sollte das Wahlrecht weiterhin – und in der vorgesehenen Form – Bestandteil der EU-Richtlinie bleiben, so sind aber zumindest die bisher geplanten
Vorschriften zur Information der Adressaten zu verwirklichen.
Zu Art. 7: Zeitwertbewertung von Finanzinstrumenten
Der DGB steht der Zeitwertbewertung grundsätzlich kritisch gegenüber. Sie ist in der praktischen Umsetzung nicht mit dem Vorsichtsprinzip vereinbar,
scheitert oftmals an nicht vorhandenen aktiven Märkten und wirkt sich regelmäßig prozyklisch aus. Es ist zu bedenken, dass für viele
Finanzinstrumente kein funktionierender, liquider Markt existiert, wodurch sich die Notwendigkeit modellgestützter Bewertungen ergibt. Die bei nicht
vorhandenen aktiven Märkten herangezogenen Bewertungsmodelle bilden eben gerade nicht marktäquivalente Bewertungen ab. Die Bewertung beruht dann vielmehr nur noch auf einer methodengestützten Schätzung des Managements. Eine Folge davon wäre die bereits vielfach kritisierte
Entobjektivierung der Bilanz durch das Dominieren subjektiver Erwartungen und Einschätzungen mit den damit verbundenen Risiken auch einer erhöhten
Manipulierbarkeit.
Doch selbst wenn ein aktiver Markt existiert, sind unerwünschte Folgen zu berücksichtigen: Gerade dort, wo keine realen Güter gehandelt werden, fließen Zukunftserwartungen und Spekulationen in hohem Maße in die Preisfindung ein.
Zusammengefasst führt die Fair-value-Bewertung nach Ansicht des DGB gegenüber der bisherigen Bilanzierung zur Überbewertung in „guten Zeiten“, zu erheblichem Abwertungsbedarf in Krisensituationen und zu hoher Volatilität der ausgewiesenen und mit dem Zeitwert bewerteten Vermögenswerte. Solange alles gut läuft, erfreuen sich Ersteller von Bilanzen und Investoren an den
„guten“ Zahlen. Im Falle tiefgreifender Krisen sind sie dann aber an der Bilanzierung nach dem Anschaffungskostenprinzip interessiert.
Bereits die in Deutschland geschaffene Möglichkeit der Zeitwertbewertung für Finanzinstrumente des Umlaufvermögens von Kreditinstituten ist an sich ein Fremdkörper in unserer bisher auf dem Vorsichtsprinzip beruhenden
Rechnungslegung. Dies sollte keinesfalls auf anderen Unternehmen ausgedehnt werden.
Zu Art. 11: Verbot der LIFO-Methode bei der Vorratsbewertung
Das in Art. 11 des Entwurfs ausgesprochene Verbot von LIFO ist zwar ebenfalls IFRS-kompatibel, sollte aber kritisch betrachtet werden. So gibt es in
verschiedenen Industriebereichen in der Tat eine Verbrauchsfolge, die der LIFO-Methode entspricht. Dies ist beispielsweise in den Rohstoff-Lagern der Stahlindustrie nicht unüblich. Die Umstellung der entsprechenden Abschlüsse dürfte erhebliche Auswirkungen auf die Erfolgsdarstellung dieser Unternehmen haben. Es sollte zumindest eine Öffnung dahingehend erreicht werden, dass die LIFO-Methode immer dann angewendet werden darf, wenn sie der tatsächlichen Verbrauchsfolge nahekommt.
Der DGB macht übrigens darauf aufmerksam, dass in der deutschen Übersetzung des Entwurfs im Begründungsteil offenbar versehentlich das FIFO-Verfahren anstelle des LIFO-Verfahrens genannt wird.
Zu Art. 2, 18 und 19: Einführung einer neuen Kategorie „Unternehmen von öffentlichem Interesse“, für die erweiterte Berichterstattungspflichten gelten
Die EU-Kommission greift hier die Definition der Richtlinie 2006/43/EG auf, welche kapitalmarktorientierte Unternehmen, Banken und Versicherungen als Unternehmen von öffentlichem Interesse klassifiziert. Die Richtlinie 2006/43 ermöglicht es den nationalen Gesetzgebern, zusätzliche Unternehmen als „von öffentlichem Interesse“ zu definieren. Das ist insofern zu begrüßen, als auch solche Unternehmen, die ein öffentliches Gut anbieten, darunter gefasst werden könnten – beispielsweise kommunale Versorgungsunternehmen und weitere Unternehmen mit Relevanz für die Infrastruktur.
Zu Art. 11, Abs. 9 und 10: Verpflichtende Abschreibung von selbst erstelltem immateriellem Anlagevermögen sowie eines erworbenen Geschäfts- oder Firmenwertes über eine Nutzungsdauer von einheitlich fünf Jahren
Der DGB begrüßt es ausdrücklich, dass an den bisher schon (Art. 37 der 4.
Richtlinie) bestehenden Vorschriften zur Bilanzierung von Geschäfts- oder Firmenwerten festgehalten wird. Dies gilt insbesondere für die systematische Abschreibung von Firmenwerten über ihre Nutzungsdauer und die
Auffangregelung mit einer Abschreibung über einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren. Der auf dem Feld der IFRS beschrittene Weg des „Impairment only“ für Firmenwerte ist dagegen abzulehnen.
Der DGB regt an, die Vorschrift zur Aktivierung von Forschungs- und
Entwicklungskosten zu überdenken und diesbezüglich ein Bilanzierungsverbot vorzusehen. Die Spielräume bei der Abgrenzung der Entwicklungskosten sind groß und die damit gegebenen Möglichkeiten zur bilanzpolitischen Gestaltung erheblich. Zudem liegt hier ein Konflikt mit dem Vorsichtsprinzip und dem
Gläubigerschutzprinzip vor. Im Falle von Unternehmensinsolvenzen dürften sich erhebliche Teile von aktivierten Entwicklungskosten als nicht werthaltig
herausstellen, weil sie an das gerade zugrunde gegangene Unternehmen oder ein bestimmtes Geschäftsmodell geknüpft waren. Wird die Vorschrift dennoch
der aktivierten und noch nicht abgeschriebenen Entwicklungskosten festgehalten werden.
Zu Art. 8: Zuschreibungen auf den Bilanzansatz assoziierter Unternehmen unterliegen in Höhe von die Dividenden übersteigenden Beträgen einer Ausschüttungssperre.
Die Richtlinie sieht vor, dass Erträge aus der Beteiligung oberhalb der
Dividende (das betrifft v. a. thesaurierte Gewinne) lediglich ergebnisneutral in die Rücklagen eingestellt werden dürfen. Das ist im Sinne des Vorsichtsprinzips (Verbot einer Ausschüttung bestimmter Rücklagen bzw. Erhalt eines Mindest- Eigenkapitals) zu begrüßen und angesichts der fehlenden Beherrschungs- und Verfügungsgewalt über assoziierte Unternehmen sachlich angemessen.