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Stellungnahme
des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB)
zum OECD-Länderbericht für Deutschland
„Ageing and Employment Policies“
March 2005
Der OECD-Länderbericht „Ageing and Employment Policies“ bietet eine umfas- sende Analyse der Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland vor dem Hintergrund des demo- grafischen Wandels. Der DGB hält den demografischen Wandel für eine gesamt- gesellschaftliche Herausforderung, die nicht nur zu bestehen ist, sondern auch Chancen für den Arbeitsmarkt und für eine humane Gestaltung der Arbeitswelt („Gute Arbeit“) bietet. Die Diskussion sollte nicht auf eine demografisch bedingte Belastung der Sozialsysteme verengt werden.
Der demografische Wandel darf nicht als (Schein-)Legitimation für einen Abbau des Sozialstaates dienen. Deshalb schlägt der DGB einen offensiven Umgang mit dem Thema vor, der die Gestaltungsperspektiven aller Akteure und die damit verbundenen gesellschaftlichen Perspektiven in den Blick nimmt: Chancen für eine offensive Beschäftigungspolitik und für eine Steigerung des Stellenwerts der Qualität von Arbeit. Innovative Arbeitsformen, eine vorausschauende betriebliche Personalpolitik, stetige Weiterbildung, Gesundheitsförderung sowie für eine aus- gewogene Balance von Arbeit und Leben sind Schlüsselfragen für eine Bewälti- gung des demografischen Wandels.
Diese Stellungnahme beschränkt sich auf aus DGB-Sicht zentrale kritische Punk- te im OECD-Bericht.
1. Vorzeitiger Altersruhestand
Der Entwurf des OECD-Berichts konstatiert ein großes Risiko, das aufgrund noch bestehender Übergangsfristen die derzeitige Praxis von „Frühverrentungen“ noch für eine Dekade fortgesetzt wird. Daraus wird die Forderung abgeleitet, „Frühver- rentungen“ noch unattraktiver zu machen. Hierbei wird ein Rentenabschlag von 5,5 bis 6 % pro Jahr vorzeitigen Rentenbezugs durch die OECD nahegelegt.
Daneben wird gefordert, das gesetzliche Renteneintrittsalter automatisch mit der steigenden Lebenserwartung anzuheben.
Der DGB teilt diesen Befund und die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlun- gen nicht. Der Berichtsentwurf berücksichtigt den bereits 1992 mit dem Renten- reformgesetz eingeleiteten und später unter anderem über das Bündnis für Arbeit fortgesetzten Paradigmenwechsel weg von Vorruhestandsregelungen nur sehr unzureichend. Die gesetzlich eingeräumten Übergangsfristen sind bis 2005 im Wesentlichen abgelaufen. Nur für einen eng umrissenen Personenkreis besteht noch ein fortdauernder Vertrauensschutz.
Diese Politik findet ihren Niederschlag im aktuellen Rentenzugangsgeschehen.
Das durchschnittliche Rentenzugangsalter hat sich in den letzten Jahren deutlich nach oben entwickelt und liegt bei durchschnittlich 60,5 Jahren. Daraus folgt nach Auffassung des DGB die Notwendigkeit, das tatsächliche Zugangsalter der gesetzlichen Regelaltersgrenze anzunähern und nicht das gesetzliche Zugangs- alter weiter hinauszuschieben. Hierfür ist eine aktive Bekämpfung der Arbeitslo- sigkeit älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie eines vorzeitigen ge- sundheitlichen Verschleisses vieler Arbeitnehmer erforderlich. Hier bestehen
chen Rentenzugangsalters läuft faktisch auf eine Kürzung der Altersrenten hin- aus. Mittelbar droht damit eine Zunahme von Altersarmut.
Zu den versicherungsmathematischen Rentenabschlägen bei vorzeitigem Ren- tenbeginn verweist der DGB auf die Berechnungen von BfA und VdR. Danach sind die in der Bundesrepublik derzeit geltenden Abschläge von jährlich 3,6 % bei einem vorzeitigen Rentenzugang so kalkuliert, dass keine Belastung der Ren- tenkassen im Saldo eintritt. Die im Berichtsentwurf auf S. 77ff. angesprochenen Berechnungen sind aus DGB-Sicht nicht nachvollziehbar.
Der DGB unterstützt den Vorschlag, arbeitgeberseitige Anreize zum Missbrauch der Arbeitslosenversicherung als Vorruhestandsinstrument abzubauen. Hierzu schlägt der DGB vor, die im Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) bereits exis- tierende Regelung zur Erstattung des Arbeitslosengeldes durch den Arbeitgeber bei nicht gerechtfertigter Kündigung zu nutzen. Diese Regelung sollte nach Auf- fassung des DGB verschärft werden, um die Belastungen der Sozialversicherung gemäß des Verursachungsprinzips zu reduzieren und betriebswirtschaftliche An- reize zu setzen, Ältere länger im Betrieb zu halten.
2. Altersteilzeit
Die OECD-Forderung zielt auf einen beschleunigten Ablauf der Altersteilzeitrege- lungen ab. Der DGB schließt sich dieser Forderung nicht an. Eine stärkere Flexi- bilisierung der Arbeitszeiten ist sinnvoll einschließlich einer Stärkung von Teil- zeitarbeit. EU-Staaten mit einer hohen Teilzeitquote (z.B. Niederlande) sind häu- fig auch Länder mit einer insgesamt positiven Beschäftigungssituation. Institutio- nen wie die EU-Kommission und auch die OECD propagieren diese Flexibilisie- rung an anderer Stelle kontinuierlich.
Auch im Sinne einer gelingenen Work-Life-Balance ist das Instrument der Al- tersteilzeit sinnvoll. Es ermöglicht bei richtiger Anwendung, einen gleitenden Ü- bergang in den Ruhestand zu organisieren und entspricht damit auch den Emp- fehlungen der Arbeitsmedizin.
Zutreffend ist die Feststellung im Berichtsentwurf, dass der Schwerpunkt in der Bundesrepublik eindeutig auf der sog. verblockten Altersteilzeit liegt. Sowohl Ar- beitgeber als auch viele Arbeitnehmer sehen hier einen organisatorisch einfache- ren Weg und nutzen die Altersteilzeit faktisch zum Vorruhestand. Der DGB schlägt vor hier entgegenzusteuern, indem durch die Förderkonditionen eine att- raktivere Zuschussregelung eingeführt wird, wenn echte Altersteilzeit mit einer reduzierten Arbeitszeit bis zum Renteneintritt gewählt wird.
Die Altersteilzeit ist keine subventionierte Vorruhestandsregelung. Die Subventi- onierung setzt bei Neueinstellungen für den freiwerdenden Arbeitsplatz oder der Übernahme von Auszubildenden an, ist also ein arbeitsmarktpolitisches Förder- instrument mit Beschäftigungswirkung. Bei Altersteilzeit ohne Nachbesetzung gelten die obigen Ausführungen hinsichtlich der versicherungsmathematisch aus- reichend kalkulierten Rentenabschlägen. Hier kann nicht von einer Belastung der Rentenkassen durch einen Vorruhestand gesprochen werden.
3. Beteiligung Älterer an Weiterbildungsmaßnahmen
Der DGB unterstützt die Forderung, das „lebenslange Lernen“ auszubauen und die bisher unterdurchschnittlich an Weiterbildungsmaßnahmen partizipierenden älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärker in den Fokus zu nehmen.
Gerade ältere Beschäftigte haben in den vergangenen Jahren erneut seltener an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung teilgenommen als noch Mitte der neunziger Jahre. Generell ist berufliche Weiterbildung eine Domäne der jünge- ren, besser qualifizierten und männlichen Beschäftigten. Gerade Personen mit höherem Beschäftigungsrisiko wie z.B. geringer Qualifizierte nehmen weit unter- durchschnittlich an Qualifizierungsmaßnahmen teil.
Der DGB schlägt vor, Betriebe zu verpflichten, bisher benachteiligte Beschäftig- tengruppen bei der Weiterbildung bevorzugt zu behandeln. Flankiert werden soll- te diese Verpflichtung durch eine Ausweitung der arbeitsmarktpolitischen Förde- rung für Betriebe, die insbesondere benachteiligte Gruppen an Weiterbildungs- maßnahmen beteiligen. Der DGB schlägt hier ein Bundesrahmengesetz für die Weiterbildung und eine Novellierung der Weiterbildungsgesetze der Bundeslän- der zur Sicherung von Mindeststandards für Beratung und Zugang, Finanzierung und Qualitätssicherung im Weiterbildungssystem vor. Ohne eine hinreichende in- stitutionelle Verantwortung für die Weiterbildung wird sich „lebenslanges Lernen“
nicht organisieren lassen.
4. Tarifverträge und betriebliche Mitbestimmung
Der DGB bekräftigt die Bedeutung der Sozialpartner und der betrieblichen Mitbe- stimmung für eine Bewältigung des demografischen Wandels. Tarifverträge bie- ten die Möglichkeit, unterhalb der gesetzlichen Ebene branchenbezogene Vor- kehrungen zur präventiven Bewältigung des demografischen Wandels zu treffen.
Beispiele aus der Bundesrepublik sind der Qualifizierungstarifvertrag der würt- tembergischen Metallindustrie oder auch die Vereinbarungen zur Beschäfti- gungssicherung und zum Beschäftigtentransfer in der Chemie- und Metallindust- rie.
Der Umstand, dass tarifvertraglich regulierte Branchen sowie Betriebe mit Arbeit- nehmerinteressensvertretung hinsichtlich des „Active Ageing“ besser aufgestellt sind, wurde auch im Seminar mit den OECD-Vertretern am 26. April 2005 im Bundeswirtschaftsministerium deutlich. Sozialpartner und Betriebsräte sind zugleich Ansprechpartner für die Politik und Multiplikatoren bei der Umsetzung von politischen Entscheidungen in die betriebliche Praxis.
5. Präventiver Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung
Der DGB regt an, den OECD-Bericht um Vorschläge hinsichtlich eines besseren Arbeitsschutzes und einer stärkeren präventiv wirkenden betrieblichen Gesund- heitsförderung zu ergänzen. Hier bleiben die Vorschläge im Berichtsentwurf noch unzureichend. Eine bessere Koordination von Maßnahmen der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung in Bezug auf Rehabilitationsmaßnahmen ist
ternsgerechten Arbeitswelt enthalten sind.