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Sprachlich-literarische»Aggregatzustände«im Japanischen

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Sprachlich-literarische

»Aggregatzustände«

im Japanischen

Sp ra ch lich -li te ra ri sch e »A gg re ga tz us tä nd e« im Ja pa ni sc he n

Die Europäischen Japan-Diskurse waren thematisch ausgerich- tete Tagungen, die von einer Kerngruppe von Japanologen unter- schiedlicher Spezialisierung zusammen mit Fachvertretern und Japan- Interessierten des jeweiligen Tagungsorts veranstaltet wurden. Ziel war der wissenschaftliche Austausch in einem persönlichen und überschaubaren Rahmen. Auf diese Weise kam es zu 21 Treffen – von Paris über Zürich, Krakau, Riga, Hamburg, Wien, Bukarest und Sofi a bis nach Athen und Istanbul.

Dieser Band versammelt 16 unterschiedliche Beiträge der letzten vier Tagungen. Sie befassen sich mit Darstellungsformen, Text- sorten und Motivinteraktionen des Japanischen vom Altertum bis zur Gegenwart und gliedern sich in die drei Hauptteile

»Poesie – Prosa«, »Mündlichkeit« sowie »Sprache/Poesie und andere Medien«.

Mit Beiträgen von Jasmin Böhm (Trier), Susanne Formanek (Wien), Kristina Iwata-Weickgenannt (Trier/Nagoya), Eduard Klopfenstein (Zürich), Sepp Linhart (Wien), Gergana Petkova (Sofi a), Hartmut O.

Rotermund (Paris/Japan) und Masako Sato (To¯kyo¯).

Europäische Japan-Diskurse 1998–2018

www.bebra-wissenschaft.de

Eduard Klopfenstein (Hg.)

Edu ar d K lo pf ens te in (Hg .)

9 783954 102679 ISBN 978-3-95410-267-9

48,–[D]

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Sprachlich-literarische »Aggregatzustände« im Japanischen

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Eduard Klopfenstein (Hg.)

Sprachlich-literarische

»Aggregatzustände«

im Japanischen

Europäische Japan-Diskurse 1998–2018

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio- grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro- verfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CD-ROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen.

© be.bra wissenschaft verlag GmbH Berlin-Brandenburg, 2020 KulturBrauerei Haus 2

Schönhauser Allee 37, 10435 Berlin post@bebraverlag.de

Lektorat: Nele Robitzky, Berlin Umschlag: typegerecht berlin Satzbild: Friedrich, Berlin Schrift: Minion 10/13 pt

Druck und Bindung: Finidr, Český Těšín ISBN 978-3-95410-267-9

www.bebra-wissenschaft.de

Die Abbildung auf dem Umschlag stammt aus: Shibai gakuya zue shūi, ge no kan. Ōsaka 1802.

Nachdruck: Shibai gakuya zue, ‹Kabuki no bunken, 5›. Kokuritsu gekijō, geinō chōsashitsu hen.

Tōkyō (1973). S. 214.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort ...9 Dank an Frau Ōkura Momoyo (1915–2008) ... 11

POESIE – PROSA

Die Tradierung und Verwendung von alten Mustern und Motiven in einer Erzählung der frühen Edo-Zeit und in der Massenmedienkultur

der 1980er Jahre ...15 Masako Sato

Chasse à la bouddhéité: un exemple de syncrétisme japonais ...43 Hartmut O. Rotermund

Humor im Haiku und im Senryū ... 61 Eduard Klopfenstein

Erlesenes Essen – Kimch’i, Gender und Ethnizität

in der japankoreanischen Gegenwartslyrik ...70 Kristina Iwata-Weickgenannt

Reflexionen über das Dichten in der Lyrik Tawada Yōkos ... 89 Jasmin Böhm

Anfänge und Anschlussstrategien in der modernen Kettendichtung ...105 Eduard Klopfenstein

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MÜNDLICHKEIT

Japanese Folktales and the Storytelling Tradition –

Spatiotemporal Framework, Performance and Experience ... 125 Gergana Petkova

Orality in Writing: On the Prominence of Characters’ Speech

in Major Works of Edo–period Popular Prose ... 135 Susanne Formanek

Zwischen Sprechen und Singen – Erzählung, Dialog, Gesang

in der Jōruri-Rezitation ...149 Eduard Klopfenstein

Moderne Dichtung nach 1945 zwischen lautlosem und lautem Lesen,

Rezitation und Performanz ...160 Eduard Klopfenstein

SPRACHE/POESIE UND ANDERE MEDIEN

The Shichiken zushiki (1779): A Funny Ken-Game Instruction Book

by Yomo no Akara and His Drinking Companions ...175 Sepp Linhart

Die Inschriften in den Bildern (gasan) zum Ken-Spiel von Shōkōsai von 1809, verfasst von Tetsugōshi Namimaru, kyōka-Dichter und

Eisenhändler aus Ōsaka ...194 Sepp Linhart

Motivinteraktion in der japanischen Kultur: Lyrik hinter Gemälden –

Wie sich poetische Motive in anderen Medien verwandeln ...222 Masako Sato

The Myth of “The Cave of the Sun Goddess”:

Images and Interpretations in Tokugawa-period Japan ... 254 Masako Sato

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Plum Blossoms in Japanese Culture ...280 Masako Sato

Lyrik auf Edo-zeitlichen gedruckten (Kinder-)Spielen ... 303 Susanne Formanek

Überblick über die Europäischen Japan-Diskurse (EJD) 1998–2018 ...325 EJD-Publikationen... 331 Die Autorinnen und Autoren ...335

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Vorwort

Die »Europäischen Japan-Diskurse« sind thematisch ausgerichtete Tagungen, die von einer Kerngruppe von Japanologinnen und Japanologen unterschiedlicher Spezialisie- rung aus fünf Ländern (Deutschland, Frankreich, Japan, Österreich, Schweiz) zusam- men mit Fachvertretern und Japan-Interessierten des jeweiligen Tagungs orts veran- staltet wurden. Ziel war die wissenschaftliche Diskussion in einem per sönlichen und überschaubaren Rahmen. Auch sollte der freund schaftliche Austausch nicht zu kurz kommen – in der Regel folgten am letzten Tag gemeinsame Besichtigungen oder kurze Exkursionen. Zur Kerngruppe gehörten die Profes soren Roland Schneider (Universität Hamburg), Masako Sato (Nihon daigaku), Sepp Linhart (Universität Wien), Hartmut O. Rotermund (École Pratique des Hautes Études, Collège de France), Eduard Klopfenstein (Universität Zürich) und Frau Dr. Susanne Formanek (Univer- sität Wien). Im Zeitraum von 1998 bis 2018 kam es zu insgesamt 21 Treffen an nicht weniger als 17 verschiedenen Lokalitäten in 14 verschiedenen Ländern, so wie sie im Anhang aufgeführt sind.

Die Diskurse gehen auf eine Initiative unseres 2007 leider früh verstorbenen Kolle- gen Roland Schneider zurück. Sie wurden ermöglicht durch Zuwendungen von Frau Ōkura Momoyo, über deren Stiftertätigkeit Kollegin Masako Sato in der anschließen- den Würdigung und Danksagung Auskunft gibt.

Zur allerersten Zusammenkunft kam es 1998 in Como, Italien. Das war kein Zu- fall: Como war und ist noch immer ein Zentrum der europäischen Seiden verarbeitung, und das Tagungsthema stand damit im Zusammenhang. Roland Schneider hat sich anschließend in einem Bericht folgendermaßen über die Zielsetzung geäußert:

»Unter der Schirmherrschaft der japanischen Zeitung Asahi shinbun […] fand in Como ein internationales Symposium statt, das gewisser maßen als Probelauf zu regelmäßigen europäischen Japan-Diskursen neue Formen der intereuropäi- schen wissenschaftlichen Kommunikation über Japan, unter Betei ligung japani- scher Kollegen und unter Betonung japanologisch-interdisziplinärer Ansätze, zu erproben hatte. In Abgrenzung zu den inzwischen auch in der Japanologie üb- lich gewordenen Großkongressen mit mehreren Hundert Teilnehmern […] und zu den jährlich stattfindenden Tagungen von Japanwissenschaftlern einer in ge- wissem Sinne ›einheit li che(re)n‹ Ausrichtung wie die der sozialwissenschaftlich

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arbeitenden Japanologen […] sollen die Euro päischen Japan-Diskurse die Vor- teile eines kleinen, damit in der Rede- und Diskussionszeit nicht eingeengten Forums mit denen der Interdisziplinarität und Internationalität verbinden.« (In:

Asien – Deutsche Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur, Nr. 70, Januar 1999, S. 75–79).

Dieses Konzept wurde durch all die Jahre hindurch beibehalten, und wir versuchten, durch allgemeine übergreifende Themenstellungen, die sich sowohl auf das alte wie auf das gegenwärtige Japan bezogen, auch ein Japan-affines Laienpublikum anzuspre- chen.

Hinzu kam nach der Jahrtausendwende das Bestreben, gezielt auch ost europäische Tagungsorte auszuwählen. Angesichts des europäischen Zusam men rückens schien es uns angezeigt, die Beziehungen zu Fachkollegen und japano logischen Abteilungen in den ehemaligen Ostblockstaaten verstärkt zu pflegen und diese zumindest ideell zu unterstützen, was durchaus auch den Absichten der Stifterin Frau Ōkura entsprach. So konnten erfreulicherweise Symposien in Riga, Kaunas, Krakau, Prag, Belgrad, Buka- rest und Sofia abgehalten werden. Schließlich wurden auch noch Athen und Istanbul einbezogen.

Einige Zusammenkünfte wurden bereits in Form von Zeitschriften- oder Buchpu- blikationen dokumentiert (siehe Anhang). Der vorliegende Band umfasst Beiträge der Tagungen 2015 bis 2018. Sie ergänzen sich thematisch, insofern es um literarische Sprachgestaltungen geht, die in unterschiedlichsten Kontexten oder Präsentations- formen auftreten und sich gleichsam in den Randbezirken sprach licher Manifestatio- nen bewegen: Untersuchungen über Mündlichkeit im Märchen und in Erzählungen, in Gedichtvorträgen und in Theater-Rezitationen; Untersuch ungen über erbauliche Geschichten und Predigt-Texte im buddhis tischen Umkreis, über Lyrik und Humor, Lyrik und Essen, über Metapoesie, über Motiv-Transformationen in Wort und Bild durch die Jahrhunderte, über die Beziehungen von Dichtung und außer literarischen Bereichen wie Mythologie, Malerei oder Gesell schaftsspielen. Durch diese Vielfalt von Aspekten und Äußerungsmöglichkeiten sind wir auf den Titel ›sprachlich-literarische Aggregatzustände‹ gekommen – gewiss eine eher ungewöhnliche Metapher, die uns aber den Sachverhalt treffend zu wider spiegeln scheint.

Noch ein Wort zur Gestaltung der Referate: Prinzipiell wurde die originale Vor- tragsform beibehalten. Wir sind der Meinung, dass auch diese Präsenta ti onsart gerade bei einer über greifenden, interdisziplinären Thematik ihre Berech ti gung hat. Das heißt, dass die Beiträge in dem anlässlich der Tagungen präsentierten beschränkten Umfang und im mündlichen Vortragsstil – je nachdem mit stark reduziertem wissen- schaftlichem Apparat – publiziert werden. Doch war es selbstverständlich niemandem benommen, die eigenen Beiträge zu ergänzen und weiter auszuarbeiten.

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Dank an Frau Ō kura Momoyo (1915—2008)

Die ›Europäischen Japan-Diskurse‹ (EJD) verdanken ihre Entstehung und Fort- führung der ideellen Unterstützung und dem langjährigen Engagement von Frau Ōkura Momoyo. Voraus gehend hatte sie 1987–1997 den ›Ōkurayama-Kulturverein‹

(Ōkurayama bunka kaigi), einen Zusammenschluss namhafter japanischer Kulturwis- senschaftler, gefördert und führenden Universitätsbibliotheken im In- und Ausland den ›Jahresbericht des Ōkurayama-Kulturvereins Nr. 1–10‹ zukommen lassen. Roland Schneider (Hamburg), der sich als Gastprofessor am ›Nationalen Forschungsinstitut für japanische Literatur‹ (Kokubungaku kenkyū shiryōkan) aufhielt, war von Anfang an aktives Mitglied dieser Vereinigung, was schließlich den Anstoß zur Gründung der

›Europäischen Japan-Diskurse‹ gab.

Der Einsatz von Frau Ōkura für die internationale Anerkennung und Erforschung der japanischen Kultur hing einerseits mit ihren eigenen langen Erfahrungen in Euro- pa und Amerika zusammen, andererseits aber auch mit der Geschichte der Ōkura- Familie. Es gibt Hinweise, dass das Haus Ōkura schon seit der Edo-Zeit im Ver- lags- und Vertriebsgeschäft tätig gewesen war und Holzschnitte und Bücher mit Holzdrucken von Hokusai und Hiroshige herausgebracht hatte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun derts wandte es sich dem Druck mit beweglichen Lettern zu. Es ist zum Beispiel bekannt dafür, dass frühe Publi kationen von Natsume Sōseki in seinem Verlag erschienen sind. In der Frühphase der Industri alisierung entwickelte sich das Unternehmen schließlich weiter zur Papierproduktions-Firma, welche die großen Buch- und Zeitungsverlage mit Papier im west lichen Stil belieferte.

Frau Ōkuras Vater, Ōkura Kunihiko (1882–1971), dem die heftigen sozialen und kulturellen Veränderungen unter westlichem Einfluss Sorge bereiteten, plante die Er- richtung einer Institution, die sich der geisteswissenschaftlichen Forschung und dem harmonischen Ausgleich zwischen östlicher und westlicher Kultur widmen sollte. Er versammelte führende Wissenschaft ler um sich und gründete 1932 in Yokohama die mit einer reichen Bibliothek ausgestattete Forschungsstätte namens ›Ōkura seishin bunka kenkyūsho‹ (wörtl. Ōkura-Forschungsinstitut für Geisteskultur). Dieses Insti- tut übte große Anziehungskraft auf junge Forscher aus, besonders wegen der vielen Schriften aus dem Besitz ehemaliger Daimyō-Familien, aber auch wegen der umfang-

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reichen Bestände an westlichen Büchern – in einer Zeit, da der Ankauf von Büchern mit staatlichen Mitteln äußerst beschränkt war. Als es 1987 zum Zusammenschluss des ›Ōkurayama-Kulturvereins‹ kam, waren auch zwei jüngere Mitglieder des ›Ōkura seishin bunka kenkyūsho‹, nämlich die damals maßgebenden Buddhismus-Gelehrten Nakamura Hajime und Furuta Shōkin, an vorderster Front beteiligt.

In den Turbulenzen der Nachkriegszeit war allerdings die Verbindung des Ōkura- Forschungs instituts mit der Gründerfamilie verloren gegangen – zum Leidwesen von Frau Ōkura. Sie bemühte sich jedoch nicht mehr um eine Wiederanbindung des Insti- tuts, sondern setzte sich zum Ziel, das kulturverbindende Ideal des Hauses Ōkura neu zu beleben. Die Begründer der EJD griffen diese Ideen auf und schufen einen Rahmen des wissenschaftlichen Austauschs, der den Vorstellungen von Frau Ōkura entsprach.

Bis ins hohe Alter und bis ans Ende ihres Lebens äußerte sie sich immer wieder erfreut und glücklich darüber, dass ihr Ideal auf diese Weise verwirklicht werden konnte. Und ihre Tochter, Frau Ōkura-Mieli Yōko, hat das Vermächtnis der Mutter bis heute hoch- gehalten.

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Poesie – Prosa

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Masako Sato

Die Tradierung und Verwendung von alten Mustern und Motiven in einer

Erzählung der frühen Edo-Zeit und in der Massen medienkultur der 1980er Jahre

Einleitung

Die im Spätmittelalter, im 15. und 16. Jahrhundert, allmählich auftauchenden, schlich- ten, ungeschickt abgefassten und großenteils didaktischen Volksbücher (otogi-zōshi) verarbeiteten viele verschiedene Narrationen wie Mythen, regionale Sagen, buddhis- tische Legenden, Tiergeschichten und Alltagsereignisse aus dem Leben. Aufgrund der oft und zahlreich vorkommenden übernatürlichen und phantastischen Wesen (übermenschliche Helden, Riesen, Zwerge, Teufel, Gespenster usw.) kann man sie zum größten Teil bereits in die Kategorie des Märchens einreihen. Dieses gelangte als eigenes Genre aber erst in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zur Blüte, als kleine, günstige und mit einigen Bildern geschmückte Rot-, Schwarz- und Grün-Hefte die Literatur auch den Ungebildeten und den unteren Gesellschaftsschichten zugänglich machten.1 Einige der volkstümlichen Erzählungen mit besonders beliebten Sujets, wie zum Beispiel die Liebesgeschichte von Yoshitsune und dem Fräulein Jōruri,2 welche zweifelsohne unter dem Einfluss der vornehmeren Kunstprosa entstanden sind, wur- den schon früh auf besondere Weise rezipiert, indem sie in Form von rezitativartigen Gesängen vorgetragen wurden.3

1 Siehe Ichiko Teiji (1989), Muromachi-monogatari to sono shūhen, in: Shin Nihon koten bungaku taikei 54: Muromachi monogatari shū jō. Iwanami shoten: 471–487 und ders. (1955): Chūsei shōsetsu no kenkyū. Tōkyō daigaku shuppankai. Ebenfalls: Ōshima Tatehiko (1974), in: Nihon koten bungaku zenshū 36: Otogizōshi shū, Shōgakkan: 5–33.

2 Shida Jun’ichi (Hg. u. Komm., 1965), Jōruri-gozen monogatari, in: Shin Nihon koten bungaku taikei 90: Kanazōshi shū. Vgl. Rene Sieffert (Übers., 1994), Histoire de demoiselle Jōruri, Paris:

P.O.F.

3 Karl Florenz wies auf diese Entwicklungsgeschichte der Volksliteratur schon im Jahr 1906 hin (Geschichte der Japanischen Literatur, Amelang, Leipzig: 355–370). Als parallele Erscheinung in der japanischen Literaturforschung ist die philologische Analyse der buddhistischen Narrationen aus vergleichender Sicht mit europäischen Narrationen und Märchen von Haga Ya’ichi und Sakai

DIE TRADIERUNG VON ALTEN MUSTERN UND MOTIVEN …

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Fast gleichzeitig erschienen narrative Texte mit Protagonisten, die aus den unteren Schichten aufstiegen und hohe gesellschaftliche Positionen erreichten. Als Parodie auf den berühmten klassischen Roman »Die Erzählung vom Prinzen Genji« (Genji mo- nogatari) wurde die »Erzählung des Affen Genji« (Saru Genji sōshi) abgefasst. Dabei handelt es sich um eines der ersten Werke der neu aufstrebenden Schichten, die durch Imitation der klassischen höfischen Kultur ein bestimmtes gesellschaftliches Gebaren entwickelten und es als Element für den eigenen Erfolg übernahmen. Diese literari- schen Erscheinungen wurden aber auch außerhalb der neuen Gesellschaftsschichten rezipiert, und durch die zurückhaltende satirische Art verbreiteten sie sich so, dass beispielsweise der Affe häufig als Symbol für jemanden genutzt wurde, der unter un- wahrscheinlichen Voraussetzungen erfolgreich war und den sozialen Aufstieg schaff- te.4 Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts wurde dagegen in einigen Erzählungen auch die bürgerliche Kultur beschrieben und mit ihrem Wertesystem und ihrer Lebens- weise in den Mittelpunkt gestellt, wobei man stark auf das Thema Geld sowie auf den Macht- und Ansehenszuwachs durch Geldverdienen fokussierte.5

Die vorliegende Arbeit besteht aus zwei Teilen. Zuerst wird vor dem Hintergrund dieser sozialen Entwicklung eine Erzählung von Ihara Saikaku (1642–1693) aus dem fünfbändigen, dreißig Texte umfassenden Nippon Eitaikura (spätes 17. Jahrhundert) behandelt, mit dem für die Fragestellung beredten Untertitel: »Neuer Leitfaden zu Glück und Reichtum«. Danach kommt eine sehr beliebte Fernsehserie aus unserer modernen Gesellschaft zur Sprache, die unter dem Titel Oshin von April 1983 bis März 1984 in 300 Episoden ausgestrahlt wurde und zu den erfolgreichsten ihrer Art gehörte. Zwischen diesen beiden Narrationen besteht eine zeitliche Distanz von drei Jahrhunderten, aber beide präsentieren grundsätzlich Protagonisten, die sich aus einer schwierigen gesellschaftlichen Situation durch verschiedene anspruchsvolle Prüfun- gen zu erfolgreichen Unternehmern entwickeln.

Kōhei zu erwähnen, die sich beide besonders auf das Konjaku monogatari shū (Ende des 11. Jhs.

oder Anfang des 12. Jhs.) konzentrierten. Auf dieser Basis wurde die weitere Erforschung der Erzählliteratur bis zur Edo-Zeit fortgesetzt, und dadurch erhielten die Genres den richtigen Platz in der modernen philologischen Literaturgeschichte (Masako Satō (1995), Karl Florenz in Japan.

Auf den Spuren einer vergessenen Quelle der modernen japanischen Geistesgeschichte und Poetik, Hamburg Mitteilungen der OAG Bd.124: 160).

4 Yokoi Kiyoshi (1999/1975), Chūsei minshū no seikatsu bunka, Tōkyō daigaku shuppankai, darin:

Gekokujō no bunka, 21–42.

5 Siehe Roland Schneider (1976), Shussemono der otogizōshi – Literatur zwischen Mittelalter und Edo-Zeit –, in: Oriens Extremus, Jg. 23, Heft 1: 77–86, und Kay J. Genenz (1979), Otogizōshi – Probleme der mittelalterlichen japanischen Kurzprosa unter besonderer Berücksichtigung ihrer sprachlichen Merkmale und ihrer Bedeutung für die japanische Sprachgeschichte, Hamburg:

Mitteilungen der OAG Bd. 80.

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Die erste Geschichte, die vor dem Hintergrund der frühen bürgerlichen Gesell- schaft spielt, entwickelt ihren Plot aus der Situation heraus, dass der Protagonist wegen einer leichtsinnigen Beziehung zu einer Kurtisane vom Vater des Hauses verwiesen wird und er daraufhin seine eigene kaufmännische Fähigkeit durch harte Erfahrun- gen auf einem schwierigen Reiseweg unter jahreszeitlich ungünstigen Witterungsver- hältnissen unter Beweis stellen muss. Auch die Heldin der zweiten Geschichte, Oshin, bewegt sich in einem ähnlichen Erzählmuster. Es ist die Lebensgeschichte einer Frau, die in eine äußerst arme Familie hineingeboren wird, verschiedene Herausforderun- gen mit einem unbezwingbaren Geist und harter Arbeit bewältigt und schließlich als Besitzerin einer Supermarkt-Kette Erfolg hat.

In beiden Fällen soll zunächst der Inhalt, die Struktur und der sozio-kulturelle Zu- sammenhang dargestellt werden. Dabei soll eine Verortung in der Entstehungszeit sowie in der japanischen kulturellen Tradition vorgenommen und mit Hilfe eines Analyseinstrumentariums eine Grundstruktur erarbeitet werden, auch im Vergleich mit anderen Werken. Bei der Fernsehserie wird im Besonderen der Ausstrahlungs- zeitraum berücksichtigt, der über das Verhalten und die Bedürfnisse von Rezipienten moderner Massenmedien unter bestimmten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen Auskunft geben kann.

Die Tradierung von alten Mustern und Motiven in der Erzählung der frühen Edo-Zeit

Kurzer Abriss des historischen und kulturellen Hintergrundes der Erzählung

Es handelt sich bei dieser Nippon Eitaikura-Sammlung um eines der ersten Werke, das die neue bürgerliche Kultur mit ihrem Wertesystem und ihrem Leben in den Mit- telpunkt stellt und auf das Thema Geld sowie Macht- und Ansehenszuwachs durch Geldverdienen fokussiert.6

Der geographisch-politische Hintergrund der Geschichte wird anhand zweier Pole konstruiert, nämlich der Hauptstadt Kyōto und des neuen Machtzentrums Edo. Auf dem Weg vom einen zum anderen Pol lernt der Held der Erzählung in einer prekä-

6 Vgl. Ihara Saikaku, Jahresende: Eine Rechnung geht nicht auf, in: Ekkehard May und Martina Schönbein (Hg., 1990), Blütenmond. Japanisches Lesebuch 1650–1900, München: Piper Verlag:

134–140 (Übers. aus: Saikaku shokoku banashi). Erich Pauer, Zur Geschichte des Geldes so- wie des Reichtums in Japan, in: Angelika Ernst und Peter Pörtner (Hg., 1998), Die Rolle des Geldes in Japans Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Hamburg: Institut für Asienkunde: 31–54 (Mitteilungen des Instituts für Asienkunde Bd. 286).

DIE TRADIERUNG VON ALTEN MUSTERN UND MOTIVEN …

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ren Situation, Geld zu verdienen. Die Grundstruktur der Geschichte richtet sich nach einem alten Muster, das auf den Altertumsmythen basiert und in späteren Geschichts- konstruktionen immer wieder rezipiert wurde. Darin muss der Protagonist durch har- te Erfahrungen und mit Hilfe von anderen seine eigene Kraft entwickeln, damit er sich endlich als erfolgreicher Herrscher in seiner Welt durchsetzen kann.

Die gesellschaftliche Schichtung in der Feudalzeit sah wie folgt aus: Krieger – Bauern – Handwerker – Kaufleute. Die letzteren wurden aus der Sicht des oberen Teils der Hierarchie als »unproduktiv« betrachtet und hatten daher ein sehr geringes sozi- ales Prestige, und die steigende Abhängigkeit von dieser Gruppe steigerte die negati- ven Gefühle der Kriegerschicht zusätzlich; denn es war die Befürchtung da, dass sie gesellschaftlich zu viel Einfluss ausüben könnten. Dies wurde vor allem akut, als die wirtschaftliche und politische Entwicklung einen intensiveren und schnelleren Wa- renverkehr im gesamten Reich und auch Finanzdienstleistungen erforderte. Obwohl die Kriegerschicht die Lebensweise des Kaufmanns verachtete, wurde sie im täglichen Leben von seinen Diensten abhängig.7

Wer zum Leben in den Burgstädten gezwungen war, war auf einen Kaufmann an- gewiesen, der die Kluft zwischen Stadt und Land überbrückte. Während der Zeit des großen Friedens unter dem Tokugawa-Shogunat nahm die bürgerliche Bevölkerung zu, und ihr Reichtum vermehrte sich beträchtlich. Die Werte, die von den herrschen- den Schichten für ihr Leben als wegweisend angesehen wurden, wurden von der auf- steigenden Schicht teils übernommen, teils mit neuen Inhalten gefüllt. In den großen Städten, die sich zu Zentren des wirtschaftlichen Lebens entwickelten, fand nun auch die bürgerliche Schicht in großer Breite die Möglichkeit, sich zu bilden und sich zu vergnügen. Somit schwand das kreative wie rezeptive Monopol der oberen Schichten.

Auch die Inhalte änderten sich und spiegelten mehr und mehr die Welt des neu entste- henden Bürgertums, das zudem eine große Zahl von neuen Rezipienten stellte.8 Nach anfänglichem Unterlegenheitsgefühl gegenüber der kulturellen Leistungsfähigkeit der oberen, einst einzig gebildeten Schichten bildete sich im Bürgertum ein Selbstbewusst- sein mit eigenem Wertesystem heraus, was in den Werken dieser Schicht zu Tage tritt.9

7 John W. Hall (1968), Fischer Weltgeschichte Bd. 20: Das japanische Kaiserreich, Frankfurt/M.:

Fischer TBV: 197–210.

8 Hara Naofumi (1996), Nihon kinsei no chiiki to ryūtsū, Yamakawa shuppansha.

9 Schneider (1976): op.cit, 81–86.

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Zum Inhalt der Erzählung 10 Herkunft der Hauptperson

Die Geschichte beginnt mit einer Parodie des Gesangsverses eines populären Tanzes.

Die Hauptfigur heißt Shinroku und ist der erste Sohn eines gläubigen, angesehenen und überaus erfolgreichen Kaufmanns in Kyōto, der einem alten Glauben entspre- chend aus einem Teil einer Holzbrücke eine Daikoku-Gottheit hat schnitzen lassen und sie verehrt, was er als Grund für seinen geschäftlichen Erfolg ansieht. Er hat noch zwei weitere Söhne und er lässt allen dreien eine gute Erziehung angedeihen. Zu seiner Freude entwickeln sie sich zu klugen jungen Männern, sodass er einer guten Altersver- sorgung und einem wohlverdienten, sorgenlosen Ruhestand entgegensieht.

Krisenhafte Wendung

Zu dem Zeitpunkt verstrickt sich Shinroku in eine leidenschaftliche Liebesbeziehung mit einer Kurtisane, wofür er sehr viel Geld braucht, das er im Geschäft seines Vaters veruntreut. Bei der ersten Summe decken ihn die Mitarbeiter noch durch einen Trick in der Buchhaltung. Als im nächsten Halbjahr jedoch eine noch größere Summe in der Geschäftskasse fehlt, ist es nicht mehr möglich, diese Tatsache vor seinem Vater zu verheimlichen. Dieser lässt sich auch durch Vermittlungsversuche anderer Leute nicht umstimmen und verstößt seinen Sohn offiziell. Für Shinroku bedeutet dies, dass er sich plötzlich in einer Situation befindet, in der er weder Geld noch ein Dach über dem Kopf hat und seine Heimatstadt verlassen muss; so entschließt er sich, nach Osten aufzubrechen.

Weg nach Osten (Hilfe und Teilmobilisierung eigener Kraft)

Da ihm nichts anderes bleibt, als die Stadt überstürzt zu verlassen, muss er sich nicht nur ohne Geld, sondern auch mit sehr wenig dünner Kleidung auf den Weg machen, was die Situation für ihn noch verschlimmert, da es Ende Dezember ist. So stiehlt er unterwegs eine Strohmatte, um sich zumindest notdürftig vor dem Schnee zu schüt- zen. In einem Dorf trifft er auf Knaben, deren Hund gestorben ist. Er bittet sie, ihm den sehr großen toten Hund zu überlassen, was sie auch tun. Er wickelt ihn in eine Strohmatte ein und bittet unterwegs einen Bauern um Hilfe, um den Hund, den er für einen mit bestimmten Arzneimitteln gefütterten Wolf ausgibt, zu erhitzen, um aus

10 Nippon eitaikura, in: Taniwaki, Masachika u.a. (Hg. und Komm., 1972), Nihon kotenbungaku zenshū 68: Ihara Saikaku shū 3, Shōgakkan: 89–261. Der Gegenstand der Analyse ist Erzählung Nr. 3 aus Buch 2 (128–135), mit dem Titel: Saikaku o kasa ni kiru Daikoku.

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ihm ein besonderes und seltenes Medikament herzustellen, das er dann auf seiner weiteren Reise verkaufen will. Er gibt sich als Jäger aus dem Gebirge aus und verdient so auf der ersten Wegstrecke einen ansehnlichen Geldbetrag; so macht er zum ersten Mal in seinem Leben ein gutes Geschäft, was ihn auf den Gedanken bringt, dass er, wenn er so gute Arbeit schon in Kyōto geleistet hätte, sich nicht auf dem Weg nach Edo befände.

In Edo (Hilfe und Teilmobilisierung eigener Kraft)

Er macht also auf dem weiteren Weg gute Geschäfte und erreicht am 62. Tag nach sei- ner Abreise sein Ziel, die Stadt Edo. Da er keine Freunde oder Bekannten in der Stadt hat, will er die Nacht vor dem Tor eines Tempels verbringen, wo bereits viele obdach- lose Arme lagern und miteinander über die Geschehnisse in ihrem Leben sprechen, die sie in die heutige Situation gebracht haben. So hört Shinroku drei Geschichten, die ihm für seinen – auch geschäftlichen – Lebensweg Lehren mitgeben sollen.

Der erste Mann hat sein Vermögen, das er mit einem soliden Geschäft in seiner Heimat erworben hatte, verloren, als er gegen den Rat seiner Freunde und Verwand- ten weitere Geschäfte in Edo eröffnete, mit denen er sich jedoch nicht gegen die dor- tigen Konkurrenten durchsetzen kann. Der zweite hat eine umfassende Ausbildung in der künstlerisch-kulturellen Welt der Oberschicht durch die besten Lehrer hinter sich, womit er jedoch weder in der bürgerlichen noch in der aristokratischen Welt Fuß fassen konnte. Nun bedauert er, dass er nicht praktische Dinge gelernt hat, die ihm in der realen Welt ermöglichen, erfolgreich sein Leben zu meistern. Der letzte stammt aus Edo und hatte von seinen Eltern ein Vermögen geerbt, das er durch seinen wenig sparsamen Lebenswandel verschwendete, wodurch er schließlich zum Bettler abgesunken ist.

Shinroku erzählt seinerseits seine Geschichte und fragt die drei Männer, ob sie ihm Ratschläge geben können, womit er in Edo ein gutes Geschäft machen könne, da er die Stadt und ihre Bedürfnisse als Außenstehender nicht kennt. Die drei zeigen ihm dar- aufhin verschiedene Geschäftsmöglichkeiten auf, die man ohne viel Kapital realisieren kann. Er bedankt sich für ihre Hilfe und schenkt jedem einen Geldbetrag.

In Edo (Mobilisierung eigener Kraft)

Mit diesen Ratschlägen im Kopf geht er zu einem Bekannten, der ein Textilgeschäft besitzt. Mit dessen Hilfe beginnt er, vor einem Tempel den Gläubigen Taschentücher, die er aus einem großen Stoffballen schneidet, zu verkaufen.

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In Edo (Erfolg und Anknüpfung an die Vergangenheit und Aussöhnung mit ihr) Das Geschäft läuft sehr gut, und er vergrößert sich immer mehr, sodass er nach ei- nigen Jahren ein sehr reicher, angesehener und erfolgreicher Kaufmann ist. Er wird schließlich der erfolgreichste Bankier der damaligen Zeit mit Geschäftsbeziehungen zu den Kriegerfürsten. Er macht die Daikoku-Gottheit mit dem Reisestrohhut zum Markenzeichen seines Ladens und knüpft so die Beziehung zu seiner Vergangenheit und seiner Familie.

Analyse

Symbol und Code

Durch den parodistischen Vers am Anfang, betreffend die Daikoku-Gottheit und ihre Verehrung durch den Vater des Helden, der seinen geschäftlichen Erfolg auf diesen Glaubensakt zurückführt, sowie dadurch, dass der Held sich am Ende darauf zurück- besinnt, steht die Erzählung in Verbindung mit dem Bereich des Glaubens und mit dem Kult dieser Gottheit – das ergibt den Handlungsrahmen. Zusätzlich ist ein Be- zug zur historischen Entwicklung dieses Glaubens festzustellen. Die Gottheit Daikoku ist ursprünglich im Rahmen des buddhistischen Glaubenstransfers aus Indien über China nach Japan gekommen. Infolge der Verschriftlichung des Namens im Chine- sischen wurde sie mit der altjapanischen Gottheit Ōkuni-nushi gleichgesetzt. Und zwar dadurch, dass mit der sino-japanischen Lesung die chinesischen Zeichen für die Namen der beiden Gottheiten auch gleich gelesen werden können.11

11 Karl Florenz bemerkt zur Beziehung zwischen Oho-kuni-nushi (大国主 Ōkuninushi) und Daikoku- ten (大黒天  Daikoku-Gottheit): »Oho-kuni-nushi-no-kami ist ›Der Gott Herr des großen Landes‹

und ist identisch mit Oho-na-muji, welches der ursprüngliche Name des Gottes ist. Wie der Gott nach der Legende zum Namen Oho-kuni-nushi kommt, wird im Appendix, Sect. 23 des Kojiki berichtet. Später hat man ihn auch mit dem Gott des Reichtums Dai-koku-ten, oder Daikoku, einem der sieben Glücksgötter, identificiert, was aber auf einer oberflächlichen Verwechslung beruht.

Der Gott Dai-koku-ten 大黒天 ›groß-schwarz-Himmel‹ ist die durch den Buddhismus nach Japan verpflanzte indische Gottheit Mahakala (er verleiht reichliche Nahrung und wird besonders von den Kaufleuten usw. um Glück angefleht); indem man nun die beiden ersten Elemente des Namens Oho-kuni-nushi, nämlich 大国 Oho-kuni mit sino-japanischer Aussprache Dai-koku las, wurde eine äußere lautliche Identificierung der beiden Namen bewirkt; von der grundverschiedenen Bedeutung der beiden gleichlautenden Lautkomplexe sah man ab und identificierte beide Götter, und zwar so, dass man den buddhistischen Dai-koku als eine spätere Auflage des schon von jeher in Japan vorhandenen Oho-kuni-nushi ansah. Dai-koku spielt unter den Shintō-Gottheiten eine ganz hervorragende Rolle, z. B. in der fast durchaus shintoistischen Provinz Idzumo, weil man in ihm den Gott Oho-kuni-nushi erblickt, aber eigentlich mit Unrecht, wie sich aus obiger Argumentation ergibt. Dieser Gott ist eines von den zahlreichen Beispielen für die innige Vermengung echt japani- scher und ausländischer Elemente und zeugt von dem tiefgehenden Einfluss des Buddhismus auf den Shintoismus in alter Zeit.« (Karl Florenz, Japanische Mythologie, Nihongi »Zeitalter der Götter«, Supplementband 4 der Mitteilungen der OAG 1901,128–129, Anm. 29).

DIE TRADIERUNG VON ALTEN MUSTERN UND MOTIVEN …

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Man betrachtete also die beiden Gottheiten seit der Zeit der synkretistischen Bewe- gung als Einheit aus buddhistischer und shintoistischer Gottheit. So wurden nicht nur die Namen, sondern selbstverständlich ebenfalls die dazugehörigen Inhalte, die als Beziehungsbündel im Lévi-Straussschen Sinne an diesen Gottheiten hängen, zu- sammengefügt und weitervermittelt.12 Von daher ergeben sich, wenn man den Ōkuni- nushi-Mythos und seine Rezeptions- und Tradierungsgeschichte betrachtet, auf in- haltlicher wie struktureller Ebene interessante Betrachtungsweisen für die vorliegende Erzählung.

Der Ōkuni-nushi-Mythos – kurzer Hinweis auf seine Rezeption und Tradierung Bereits an anderer Stelle wurde zu diesem Thema gearbeitet, und dabei hat die Ana- lyse Zusammenhänge u. a. vom Ōkuni-nushi-Mythos des Altertums zum mittelalter- lichen Erzählmotiv vom Prinzen Ame-waka-hiko und bis hin zu den Erzeugnissen moderner Unterhaltung ergeben.13 Diese Ergebnisse sollen hier kurz zusammenge- fasst werden, soweit sie der Argumentation dienen. Es wurden verschiedene Mythen und Geschichten einer strukturellen Analyse unterzogen, so wie sie nachstehend auch an der vorliegenden Erzählung durchgeführt werden soll. Dabei offenbarte sich eine grundlegende Handlungsstruktur, die als Basis für den Vergleich verschiedener nar- rativer Texte diente. Darüber hinaus wurde versucht, über die symbolische Bedeu-

12 Vgl. Claude Levi-Strauss (1967), Strukturale Anthropologie, Frankfurt/Main: Suhrkamp: 232.

»[D]ie wirklichen konstitutiven Einheiten des Mythos sind keine isolierten Bezie hungen, sondern Beziehungsbündel, und dass jene nur in Form von Kombina tionen solcher Bündel eine Bedeutungsfunktion erlangen. Beziehungen, die zum selben Bündel gehören, können in weiten Zwischenräumen erscheinen, wenn man sich auf einen diachronischen Standpunkt stellt; wenn wir sie aber in ihre ›natürliche‹ Gruppie rung eingliedern können, gelingt es uns, den Mythos aufgrund eines zeitlichen Bezugssystems anderer Art zu organisieren. […] Dieses System hat somit zwei Dimensionen: eine diachronische und eine synchronische, und es vereinigt so die charakteristischen Eigenschaften der ›Sprache‹ und des ›Gesprochenen‹.«

13 Vgl. z. B. Masako Satō (2004), Die Entstehung der Bildrolle »Himmlischer junger Prinz« und die Mythen des Altertums – Verwandlung einer Tragödie in eine »success story«, in: Klaus Vollmer et al. (Hg.), Sünden des Wortes. Festschrift für Roland Schneider zum 65. Geburtstag, Hamburg: OAG:

111–135 (=Mitteilungen der OAG 141).

sino-japanische Lesung dai koku

Daikoku-ten 大 黒 (ten)

japanische Lesung ō kuro

sino-japanische Lesung dai koku

Ōkuni-nushi 大 国 主

japanische Lesung ō kuni nushi

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tung von Namen wie über die Herausarbeitung von Beziehungsbündeln zu einzelnen Elementen eine historische kulturelle Kontinuität und Tradierung in struktureller wie inhaltlicher Hinsicht aufzuzeigen.

Die soziale Herkunft der Helden, ihre Konflikte und Problemlösungen wie auch die Feindbilder finden innerhalb einer stetig weitertradierten Struktur jeweils zeitgemäße Ausprägungen. Dabei wird bewusst oder unbewusst an die Strukturen der Mythen früherer Herrschaftssysteme angeknüpft – ein Vorgehen, das Kontinuität wie auch erhöhte Akzeptanz und Legitimierung der eigenen Position durch Aktivierung des kulturellen Gedächtnisses verspricht.

Bei Ōkuni-nushi beispielsweise agiert der Held noch innerhalb der shintoistischen Götterwelt, die die Legitimation für den Herrschaftsanspruch des japanischen Kaiser- hauses darstellt. Er muss mit den um die Herrschaft konkurrierenden Brüdern kämp- fen und mit Hilfe magischer Interventionen seinen Herrschaftsanspruch durch setzen.

Demgegenüber trifft man in der mittelalterlichen Geschichte vom Prinzen Ame- waka-hiko auf eine andere Konstellation, auch wenn die Handlungsstruktur gleich- bleibt. Dieser Zusammenhang wird noch deutlicher in einem weiteren interessanten Beispiel, wenn man die zur Zeit des erstarkenden Bürgertums geschriebene Erzählung vor dem Hintergrund dieses Traditionsstranges untersucht.

Strukturelle Analyse (Vergleich mit dem Grundmuster)

Im Laufe verschiedener Analysen, gerade auch alter japanischer Texte, hat sich also ein allgemeines Handlungsschema ergeben, mit dessen Hilfe es gelingt, die Tiefenstruk- tur sowohl von stark formelhaften narrativen Texten der japanischen Kulturgeschichte (mit Einschluss von Mythen, Sagen, Märchen, Abenteuergeschichten) wie auch von manchen Formen der modernen Massenkultur, die in Inhalt und Struktur durch Se- rialität geprägt sind, zu beschreiben und zu untersuchen. Das Schema lässt sich auf unterschiedlichste narrative Texte anwenden, stellt so Vergleichbarkeit her und macht Kontinuitäten über lange Zeiträume hinweg sichtbar.

Das grundlegende Schema kann durch Wiederholung und Verkettung zu einem beliebig langen Handlungsstrang zusammengefügt werden. Dabei bildet die indivi- duelle strukturelle Ausprägung aufgrund der Länge und Art der Verkettung gleich sam das Skelett eines narrativen Textes, während die konkreten Inhalte und Bedeutun- gen, die die Struktur ausfüllen, sozusagen das Fleisch an den Knochen sind. Im Fall von Saikakus Erzählung haben wir es mit einer typischen ›success-story‹-Struktur zu tun.

DIE TRADIERUNG VON ALTEN MUSTERN UND MOTIVEN …

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Schema 1 Grundstruktur / Sequenz

Anhand von Schema 1 sollen diese Ausführungen konkretisiert und die verwen- deten Bezeichnungen eingeführt werden. Die einfachste Struktur einer ›success- story‹, ihr Handlungsstrang, besteht aus einer Sequenz in sechs Schritten, die alle durchlaufen werden müssen, um einen narrativen Text mit dieser Struktur zu vollenden. Es besteht jedoch die Möglichkeit, die Länge und Komplexität zu stei- gern, indem man mehrere unvollendete Sequenzen aneinanderfügt oder sogar in- einander verschachtelt, denn, so die These dieser Arbeit, der narrative Text mit

›sucess-story‹-Struktur ist erst dann beendet, wenn eine Sequenz komplett durchlau- fen ist. Alle zuvor verwendeten unvollendeten Sequenzen bedeuten einen Bruch mit den bewussten oder unbewussten Erwartungen des Rezipienten und dienen unter an- derem der Spannungssteigerung.

Schema 2 Grundstruktur und Handlungsstrang aus mehreren Sequenzen (Sequenz 1 ... – Sequenz x)

Schritt 1 Schritt 2 Schritt 3 Schritt 4 Schritt 5 Schritt 6 Konflikt Verlassen

des ur- sprünglichen Territoriums

Durchreise/

zeitlich be- schränkter Aufenthalt in einer frem- den Welt/

Umgebung

Konfrontation mit Gefahr/

Prüfung

Hilfe von au- ßen (göttliche oder mensch- liche) und Mobilisierung eigener Fä- higkeiten und Stärken

Etablierung der eigenen Position und positives Wirken in der Welt Äußere und innere Veränderung

Konflikt Verlassen des ur- sprünglichen Territoriums

Durchreise/

zeitlich be- schränkter Aufenthalt in einer frem- den Welt/

Umgebung

Konfrontation mit Gefahr/

Prüfung

Hilfe von au- ßen (göttliche oder mensch- liche) und Mobilisierung eigener Fä- higkeiten und Stärken

Etablierung der eigenen Position und positives Wirken in der Welt Äußere und innere Veränderung

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| 25 1. Sequenz: Hauptfiguren: Shinroku, Vater, Kurtisanen; Helfer: Knaben, Bauern

In dieser Sequenz werden alle Schritte durchlaufen, allerdings gibt es im 6. Schritt keine vollständige Auflösung des Konflikts aus Schritt 1.

Veruntreuung von Geldern aufgrund einer Be- ziehung mit Kurtisanen (Charakter- schwäche) Dadurch verursachter Bruch mit der Familie

Durch offizi- elle Versto- ßung durch den Vater Notwendig- keit, die Hei- matstadt zu verlassen

Weg von Kyoto nach Osten

Zu dünn bekleidet und ohne Geld im Winter auf dem Weg in eine fremde Stadt (Edo)

Beim Anblick einer Hunde- leiche kommt S. eine Ge- schäftsidee Knaben schenken ihm Hunde- leiche Bauern helfen ihm, aus ihr ein Medikament herzustellen

Er kann auf dem Weg dieses Medi- kament ver- kaufen und hat so seinen ersten (klei- nen) eigenen Geschäfts- erfolg, kann sich auf der Reise finan- zieren Erste Anzei- chen einer inneren Än- derung Keine Lösung des Familien- konflikts

2. Sequenz: Hauptfiguren: Shinroku; Helfer: obdachlose gescheiterte Arme

In dieser Sequenz werden nur die letzten beiden Schritte durchlaufen, es wirkt dadurch wie ein erneutes Schwungnehmen zur Lösung des Konfliktes, der zwar noch nicht gelöst wird, aber einer Lösung zumindest des ersten Teiles näher kommt als noch in der 1. Sequenz.

Obdachlose in Edo zeigen ihm durch ihre (exem- plarischen) Lebensge- schichten, was es zu vermeiden gilt.

Sie geben ihm zudem konkrete (In- sider-) Rat- schläge für geschäftliche Unterneh- mungen

Er hat nun eine aus- sichtsreiche, realisierbare Idee, die er versuchen kann, umzu- setzen.

Weitere Anzeichen einer inneren Änderung Keine Lösung des Familien- konflikts Konflikt Verlassen

des ur- sprünglichen Territoriums

Durchreise/

zeitlich be- schränkter Aufenthalt in einer frem- den Welt/

Umgebung

Konfrontation mit Gefahr/

Prüfung

Hilfe von au- ßen (göttliche oder mensch- liche) und Mobilisierung eigener Fä- higkeiten und Stärken

Etablierung der eigenen Position und positives Wirken in der Welt Äußere und innere Veränderung

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3. Sequenz: Hauptperson: Shintoku; Helfer: Bekannter Textilhändler, Shinroku selbst Wie in der 2. Sequenz werden auch hier nur die letzten beiden Schritte durchlaufen, was aber dort eine retardierende Funktion hatte, wird hier aufgelöst, denn sowohl der Konflikt im Hin- blick auf seine Charakterschwäche als auch die Distanz zur Familie wird aufgelöst.

Er wendet sich mit seiner Ge- schäftsidee an einen bekannten Textilhändler, der ihm hilft, sie zu kon- kretisieren und umzuset- zen

Er arbeitet selbst hart, und wirt- schaftet klug, um sich zu verbessern und erfolg- reich zu sein Er gibt seinen Ge- schäften das Markenzei- chen, das für seinen (gläu- bigen) Vater eine große Bedeutung hatte

Hat mit seiner Ge- schäftsidee Erfolg und durch be- harrliches Arbeiten an ihr wird er erfolgreich, reich und angesehen Er knüpft an seine Ver- gangenheit und seinen Vater an, und söhnt sich so mit ihnen aus; er zieht dadurch im Hinblick auf Geschäfts- tüchtigkeit, Erfolg und Gläubigkeit eine Linie von seinem Vater zu sich

Da die Grundstruktur immer gleich ist,14 ist es aufschlussreich, sich an bestimmten Stellen die ›Füllung‹ anzuschauen, da sie viel über Werte und gesellschaftliche Ver- hältnisse aussagt. Dabei sind – auch in der vergleichenden Analyse – die Herkunft des Helden, die Art des Konfliktes, die Helfer und ihre Werkzeuge wichtig. Am Konflikt lässt sich ein modellhaftes Problem erkennen, das in der Zeit der Niederschrift eine Rolle spielte. Aus der Situation des Helden ist die soziale Schichtung mit ihren Wer- ten und Befürchtungen herauszulesen, während die Helfer und ihre Problemlösungs-

14 Vgl. Satō, op. cit. (Anm. 13).

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| 27 3. Sequenz: Hauptperson: Shintoku; Helfer: Bekannter Textilhändler, Shinroku selbst

Wie in der 2. Sequenz werden auch hier nur die letzten beiden Schritte durchlaufen, was aber dort eine retardierende Funktion hatte, wird hier aufgelöst, denn sowohl der Konflikt im Hin- blick auf seine Charakterschwäche als auch die Distanz zur Familie wird aufgelöst.

Er wendet sich mit seiner Ge- schäftsidee an einen bekannten Textilhändler, der ihm hilft, sie zu kon- kretisieren und umzuset- zen

Er arbeitet selbst hart, und wirt- schaftet klug, um sich zu verbessern und erfolg- reich zu sein Er gibt seinen Ge- schäften das Markenzei- chen, das für seinen (gläu- bigen) Vater eine große Bedeutung hatte

Hat mit seiner Ge- schäftsidee Erfolg und durch be- harrliches Arbeiten an ihr wird er erfolgreich, reich und angesehen Er knüpft an seine Ver- gangenheit und seinen Vater an, und söhnt sich so mit ihnen aus; er zieht dadurch im Hinblick auf Geschäfts- tüchtigkeit, Erfolg und Gläubigkeit eine Linie von seinem Vater zu sich

strategien (samt derjenigen, die der Held schließlich für sich annimmt) auf die Mög- lichkeiten in einer spezifischen sozialen Konstellation hinweisen.

Der Held ist immer eine ›Prinzengestalt‹, das heißt ein potentieller Anwärter auf einen Herrschaftsbereich (Nachfolger), der im Rahmen des Konfliktes unter zeitty- pischen Umständen sein Reich bzw. Herrschaftsgebiet verliert und es sich mit Hilfe von außen und unter Einsatz und Kennenlernen der eigenen Kräfte auf einer ande- ren Ebene zurückerobert. Denn nur durch diese Eroberung sind die Kenntnisse und Fähigkeiten zu erlangen, um erfolgreich zu herrschen. In dieser kurzen strukturellen Zusammenfassung findet man ohne Weiteres sowohl die Ōkuni-nushi- wie auch die Shinroku-Typen wieder, aber auch zahlreiche andere Helden in Erzähltexten der japa- nischen Literaturgeschichte.

In der vorliegenden Erzählung widerspiegeln sich die Werte der aufblühenden und an gesellschaftlichem Einfluss gewinnenden bürgerlichen Schicht, deren Haupt- ziele geschäftlicher Erfolg und gesellschaftliche Anerkennung waren. Verschwendung und geschäftsschädigendes Verhalten wurden besonders stark verurteilt, weil sie die Existenz und die Selbstbehauptung dieser rein geschäftlich orientierten Schicht un- tergruben.

An dieser Stelle sei kurz auf die Lebensumstände der Bürger in dieser Zeit verwie- sen, da dies einzelne Elemente der Analyse verdeutlicht: Die Bürger waren aufgrund der gesellschaftlich-wirtschaftlichen Gegebenheiten, wie beispielsweise der Zugangs- beschränkungen zu Grundbesitz, aber auch aufgrund von Einschränkungen der Frei- zügigkeit zum Leben in den Städten gezwungen, wo sie die größte Gruppe bildeten und überwiegend in kaufmännischen Bereichen, aber auch im Handwerk tätig waren.

Im Wertesystem der Kriegsherren war kaufmännische Tätigkeit sehr weit unten ange- siedelt. Eine aktive Teilnahme der Bürger am politischen Leben war ausgeschlossen, und so blieb diesem Stand dieser öffentliche Bereich als Quelle der gesellschaftlichen Anerkennung verwehrt. Der Reichtum, der sich mit der unternehmerischen Tätigkeit erzielen ließ, war demnach der einzige Ausdruck gesellschaftlichen Erfolgs; und nur durch Reichtum ergaben sich Einwirkungsmöglichkeiten auf die Gesellschaft. Ent- sprechend spielte er innerhalb des bürgerlichen Wertesystems eine überragende Rolle und prägte es in hohem Maße.15

Deshalb waren Sparsamkeit, Fleiß und Klugheit hoch gewertet; ebenso Ideen und Ratschläge, wie man zu Wohlstand kommt. Im Bereich der Literatur spielten Schilde- rungen von den Risiken im Geschäftsleben, von Rückschlägen und Existenzkämpfen eine große Rolle, ebenso vom Scheitern, das dann eines auf allen Ebenen war, da der

15 Bitō Masahide (2006/1983), Edo-jidai to wa nanika, Iwanami shoten, darin: Edo jidai no shakai to seiji shisō no tokushitsu, 50–57. Watanabe Hiroshi (2010), Nihon seiji-shisōshi 17–19 seiki, Tōkyō daigaku shuppankai, darin: Kashoku kokka to risshin shusse, 70–87.

DIE TRADIERUNG VON ALTEN MUSTERN UND MOTIVEN …

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Kaufmann sein Ansehen und seine Stellung zusammen mit seinem Geld verlor und ihm, im Gegensatz zum Samurai, seine Familienzugehörigkeit nicht half. So wurde in Beispielen vor möglichen Ursachen der Verarmung gewarnt, seien es risikoreiche Spekulationsgeschäfte, Vernachlässigung des Geschäfts oder übermäßiges Ausgeben des Geldes für Frauen, Alkohol und Glücksspiel. Es galt als sinnvoll, in der Jugend hart und entbehrungsreich zu arbeiten, um dann im Alter seinen Wohlstand zu genießen, wenn dieser Genuss nicht mehr das Geschäft und damit die Existenz gefährden konn- te, weil es bereits auf soliden Füßen stand und weil der ältere, erfahrene Mann nicht so leicht die Kontrolle über seine Vergnügungen verlor wie vielleicht ein jüngerer. Dazu wurde durchaus auch propagiert, seinem Nachwuchs kein Geld zu hinterlassen. So schreibt beispielsweise Saikaku: »Söhne, die ohne Arbeit zu Geld gekommen sind, […]

taugen nichts und […] gehen zugrunde«.16

Schlusswort

Die Tradierung und Verwendung von alten Mustern und Motiven beschränkt sich bei dieser Erzählung natürlich nicht nur auf die hier dargestellten Elemente, denn es lassen sich selbstverständlich viele Facetten der Rezeptionsgeschichte eines Werkes untersuchen. Hierbei fällt zum Beispiel noch der Gebrauch eines beliebten und vielge- nutzten Motivs der japanischen Literatur ins Auge, nämlich der Anlass der Reise und die Art der Reisebeschreibung, wie man sie schon aus der Zeit der höfischen Literatur kennt. Es handelt sich um das fluchtartige Verlassen der Hauptstadt und die Reise in den Osten, die zwangsläufig auf eine bestimmte Art, wie mittels eines Codes, beschrie- ben werden muss – mit bestimmten Etappen und dem Innehalten an bestimmten Or- ten, die dann mittels typischer Metaphern beschrieben werden.

So zeigt sich eine Tradition der Inhalte sowie eine Tradition der Übernahme und Einverleibung älterer Elemente in neue Strömungen, also ein Prozess, den man mit Hilfe der entsprechenden Fragestellung und des passenden Analyseinstrumentariums wie einen roten Faden durch die kulturelle und politische Geschichte hindurch ver- folgen kann. Speziell in Bezug auf den Mythos zeigt sich so, dass durch diese Art der Übernahme und Erinnerung von mythischen Inhalten und Strukturen sich seit dem Altertum eine Kausalstruktur in einer Gesellschaft durch die Zeiten hindurch fort- setzt, und dass die orientierende Kraft, die ein Mythos in einer Gesellschaft besitzt, nicht auf ihn selbst beschränkt bleibt, sondern in seiner formenden und handlungslei- tenden Bedeutung für spätere Zeiten liegt.

16 Vgl. Taniwaki (1972), op. cit., Sakuhin kaidai (23–28). Beispiele befinden sich auch in den Ge- schichten 2–1 (95–100) und 5–3 (167–171).

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Massenkultur und Verwendung alter Erzählmuster in der Fernsehserie Oshin

Vor allem in den Produktionen der modernen Massenkultur lassen sich strukturell viele Elemente alter Mythen wiederfinden. Im Folgenden soll dies an einer in den 1980er Jahren populären japanischen Fernsehserie aufgezeigt werden, um dann zu einem Versuch der Beantwortung der Frage vorzustoßen, wie diese Mythenstrukturen über die Jahrhunderte tradiert wurden und warum sie immer wieder Verwendung in narrativen Formen bis in unsere Zeit finden.

Einleitung

Von April 1983 bis März 1984 wurde in 300 Episoden die japanische TV-Produktion Oshin ausgestrahlt, die zu den erfolgreichsten ihrer Art gehört. Der höchste Publi- kumsanteil betrug 62,9 Prozent, und der jährliche Durchschnitt war 52,6 Prozent.17 Aufgrund des großen Erfolges in Japan18 wurde die Serie ebenfalls ins Ausland ver- kauft und schließlich mit ebenso großem Erfolg in 59 Ländern ausgestrahlt. Allein in China soll sie von rund 200 Millionen Menschen gesehen worden sein, womit sie zu den bekanntesten japanischen Medienexporten gehört.19

Oshin zählt zu den sogenannten ›Morgendramen‹. Es handelte sich um die 31.

und erfolgreichste Produktion. Bereits seit den 60er Jahren wurden solche Morgen-

17 Es wird geschätzt, dass 98 Prozent der japanischen Fernsehzuschauer wenigstens eine der drei- hundert Episoden gesehen haben. Die Drehbuchautorin Hashida Sugako (geb. 1925) ist eine der populärsten und erfolgreichsten Autorinnen von TV-Serien. Die Serie wurde als Roman in zwei Bänden unter dem Titel Shōsetsu Oshin von Nippon hōsō-kyōkai (NHK) im Jahr 2003 veröffent- licht. Die Analyse basiert auf der Textausgabe.

18 Die Begeisterung führte zu einem »Oshin-Effekt« in der japanischen Kultur – so kann man die Konkretisierung der Kunstfigur in der Realität bezeichnen. In Oshins Heimatstadt wurden

»Oshin-Reiskonfekt« und »Oshin-Sake« als Andenken verkauft. Eine Gesellschaft, die Kreuz- fahrten entlang des Mogami-Flusses anbot, änderte ihren Namen von »Bashō-Line« zu »Oshin- Line«. Oshin erschien auch in Cartoons, Comic-Büchern, im Theater und sogar in einem Lied.

Politiker sprachen von»einer Wirtschaft basierend auf Oshins Philosophie« und es gab die

»Oshin-Diät«. Prominente Wirtschaftswissenschaftler äußerten sich zu einer Philosophie der Beharrlichkeit und bezogen sich auf Oshin. Und ein Sumō-Ringer, der nach zahlreichen Ver- letzungen und Rückschlägen doch noch Erfolg hatte, erhielt den Spitznamen »Oshin Yokozu- na«. In all diesen Fällen wurde der Name Oshin benutzt, um Beharrlichkeit, Arbeitswilligkeit und Geduld auszudrücken. (Hashida Sugako, Watakushi no rirekisho, in: Nihon keizai shinbun, 24.5.2019).

19 Laut der Zeitung Nikkei Shinbun hatte Oshin in China eine Einschaltquote von 75,9 Prozent, im Iran 82 Prozent, im Irak 76,7 Prozent, in Thailand 81,6 Prozent und in Polen 70 Prozent. Oshin war international so populär, dass die Serie in einer Rede des amerikanischen Prasidenten Ronald Reagan erwähnt wurde. Seit April 2019 wurde die Serie auf NHK BS Premium wieder ausge- strahlt (Shunjū, in: Nihon keizai-shinbun vom 28.4.2019).

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