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Ich darf nicht husten!!! Anne Gratzke; 18 Jahre

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„Ich darf nicht husten!!!“

Anne Gratzke; 18 Jahre

"Dieses Foto" von Unbekannter

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8.3.2020

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge sitze ich am Gate 4 des Aucklander Flughafens und warte auf das Boarding für meinen Flug nach Wellington. Dabei gehen mir viele Gedanken durch den Kopf. Neun Monate ist es nun schon her, dass ich mich in Deutschland von meiner Familie verabschiedete, um mich in das Abenteuer Au Pair zu begeben. Ich erinnere mich noch an die Ankunft bei meiner Gastfamilie. Sechs neugierige Kinderaugen starrten mich an, als ich aus dem Auto stieg und schließlich habe ich die drei sehr in mein Herz geschlossen, auch wenn die Eltern es mir nicht immer einfach machten und die Kinder recht schlechte Manieren hatten.

„Ich darf jetzt auf gar keinen Fall husten“, geht es mir weiter durch den Kopf. „Nicht, dass man mich nicht ins Flugzeug lässt!“ Die Menschen in Neuseeland sind extrem besorgt wegen des Coronaviruses und die Maßnahmen sehr streng und konsequent. Im Januar begann es damit, dass in den Bussen Plakate hingen mit der Aufschrift „Protect yourself and others against COVID-191“.

Außerdem erhielt ich bereits am 30.1. eine Email meiner Ballettschule mit der Information, dass alle Schüler, die in der letzten Zeit in der Provinz Hubei waren, für zwei Wochen nicht am Unterricht teilnehmen dürfen. Wenige Tage später, am 4.2., wurde diese Maßnahme von der Ministry of Health verschärft und dann mussten alle Personen, die in China waren, für 14 Tage in self-isolation. Auch von meiner Au Pair Agentur erhielt ich weitere Informationen dazu. Danach blieb die Situation bis zu meiner letzten Arbeitswoche Anfang März gleich. Doch dann gab es den ersten Coronafall in Neuseeland und die Panik der Menschen wurde größer2. In meiner letzten Ballettstunde waren alle ganz besorgt um mich, da ich für drei Wochen auf die Südinsel wollte und anschließend noch nach Australien.

14.3. 2020

Eine Woche reise ich nun schon umher und ich sah bereits viele atemberaubende Landschaften. Auch das Wetter war super gut und ich führte interessante Gespräche mit verschiedenen Personen. Morgen soll es dann endlich in den Milford Sound gehen. Darauf freue ich mich schon seit Monaten, denn ich habe eine Bootstour mit Übernachtung gebucht.

1 https://www.theguardian.com/world/2020/feb/28/new-zealand-confirms-first-coronavirus-case

2 Der erste Fall wurde am 28.2.2020 bestätigt. Es handelte sich um einen Neuseeländer, der aus dem Iran zurückkam und sofort nach seiner Ankunft isoliert wurde. (vgl.www.theguardian.com)

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Doch als ich schon im Bett lag, erreichte mich die Nachricht meiner Eltern, dass es meinem Papa nicht möglich sein würde nach Australien zu kommen, da sein Flug mit Singapur Airlines gestrichen wurde. Diese Nachricht erschütterte mich natürlich zutiefst, aber ich werde meine Reise fortführen und dann von Auckland aus nach Hause fliegen, denn die Situation in Neuseeland scheint sehr stabil und alle anderen Airlines fliegen auch noch.

19.3. 2020

Wieder sind einige Tage vergangen und die letzte Zeit war geprägt von unglaublichen Erlebnissen. Dennoch hatte ich sehr zwiespältige Gefühle. Einerseits erlebte ich die tollsten Dinge, aber andererseits schwang im Hinterkopf immer die Ungewissheit mit, wie ich nach Hause kommen soll und die Traurigkeit darüber, dass ich nicht nach Australien fliegen kann.

In der letzten Zeit wurde Corona zu einem sehr präsenten Thema unter den Reisenden. Man kann in keine Hostelküche gehen ohne dieses Wort zu hören und so berichtete mir beispielsweise ein Kanadier, dass die kanadische Regierung alle Menschen auffordert zurückzukommen so lange es noch möglich ist. Soll ich dies vielleicht auch tun? Andere machen sich dagegen überhaupt keine Sorgen und sind sich sicher, dass eine Rückreise auch in ein paar Wochen oder Monaten noch problemlos möglich sein wird.

Heute bin ich schon mit einem sehr komischen Gefühl aufgestanden. Dann betrete ich die Küche und höre wie ein deutsches Ehepaar ein Telefonat führt. „Du meinst also, wir sollen das Land sofort verlassen?“, höre ich sie sagen. Mein Magen krampft sich zusammen. Gibt es irgendwelche neuen Informationen? Als sie fertig sind, setze ich mich dazu und frage, ob sie etwas zur Rückreise wissen. Sie erklären mir, sie hätten gerade mit einer Freundin telefoniert, die in Christchurch in einem Reisebüro arbeitet und diese meinte, dass man davon ausgehen kann, dass in zwei Wochen kein Flugzeug Neuseeland mehr verlassen darf und bereits heute die Grenzen geschlossen werden. Außerdem würde sich Neuseeland nun auf einen lockdown3 vorbereiten. Sie würden jetzt sofort einen Rückflug buchen. Dies ist aber gar nicht so einfach, denn die meisten Flüge sind ausgebucht und total überteuert. Ich weiß nun gar nicht, was ich machen soll. Ich kann doch nicht einfach einen Flug buchen. Außerdem habe ich gar nicht das Geld für einen komplett überteuerten Flug. Also rufe ich meine Eltern so lange an, bis sie endlich vom Klingeln des Telefons erwachen und schildere ihnen die Situation. Wir einigen uns darauf, dass ich versuchen würde noch am selben Tag Stewart Island zu verlassen, um dann einen Tag später nach Auckland zu fliegen und von dort weiter nach Deutschland.

3 Neuseeland führte ein Alert Warnsystem ein, welches bis zur Stufe vier geht. Es war geplant, diese Stufe ab dem 25.3.2020 für mindestens vier Wochen anzusetzen. Dies bedeutet, alle Personen müssen zu Hause bleiben, außer die essentiellen Berufe und beim Spazierengehen oder Einkaufen muss ein Abstand von zwei Metern eingehalten werden.

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Zuerst suche ich nun nach einem geeigneten Flug. Es kommt nur Emirates oder Qatar Airline in Frage. Letztere haben die nächsten bezahlbaren Flüge erst in zwei Wochen. Also buche ich mit Emirates einen Flug am Montag über Dubai. Natürlich ist auch dieser teurer als zu nicht Coronazeiten. 1130€! Danach muss ich sehen wie ich Stewart Island verlassen kann. Ich laufe also zum Office von Stewart Island Airways und kann meinen Flug zum Glück problemlos umbuchen. Allerdings muss ich im Cockpit sitzen, da dies der einzige freie Platz ist. Es handelt sich um ein sehr kleines Flugzeug, in das nur zehn Personen passen und es ist eine unglaubliche Erfahrung so zu fliegen. Der Pilot erklärt mir wofür die einzelnen Knöpfe sind und ich muss aufpassen, dass meine Beine nicht im Weg sind. Am Anfang bittet er mich tatsächlich auf einen Knopf zu drücken, weil er nicht mehr rankommt und als wir uns der Landebahn nähern und immer tiefer fliegen, steuern wir aber irgendwie nicht auf die Landebahn zu. Da werde ich schon etwas nervös und schließlich landen wir auf dem Rasen, weil es so stürmisch ist und die Landung dadurch gedämpft wird. Mein nächstes Problem ist, dass es abends keinen Bus von Invercargill nach Queenstown gibt. Aber das deutsche Ehepaar ist so nett und nimmt mich mit dem Auto mit, da sie den gleichen Weg fahren. Im Hostel, in Queenstown angekommen, merken wir zum ersten Mal so richtig, dass es Corona gibt. Beim einchecken werden wir gefragt wie lange wir schon im Land sind, ob wir uns krank fühlen oder fühlten und so weiter. Da ich schon fast ein Jahr hier bin, ist das bei mir alles kein Problem. Aber das Ehepaar ist erst seit zwei Wochen in Neuseeland und da überlegt der Hostelbesitzer recht lange, ob er ihnen wirklich ein Bett gibt. Eigentlich haben wir ein Achtbettzimmer gebucht, das war das einzige welches man in ganz Queenstown überhaupt noch buchen konnte. Uns wird erklärt, dass Hostels nur noch zur Hälfte belegt sein dürfen, damit im Fall der Fälle Personen isoliert werden können. Deshalb bekamen wir dann zu dritt ein Vierbettzimmer. Desweiteren wird uns bestimmt hundertmal erzählt, dass wir sofort Bescheid geben müssen, wenn wir husten oder es uns schlecht geht und die neuseeländische Regierung die Kosten für einen Test übernehmen wird.

20.3. 2020

Heute ging es dann also zurück nach Auckland. Eine Woche früher als gedacht und ich war sehr traurig darüber. Jetzt hatte ich doch immer noch keine Delfine gesehen! Am Flughafen ist totales Chaos, weil viele Flüge überbucht sind und an den Schaltern der Airlines bilden sich lange Schlangen, da jeder versucht umzubuchen. Außerdem sieht man viele Menschen mit Atemschutzmasken. Am Rande bekommt man Geschichten von anderen mit, die Neuseeland frühzeitig und völlig überstürzt verlassen wollen. Besonders viele sind aus Deutschland oder den USA. Ich nutze die Zeit und schreibe schnell noch eine Postkarte an meine Gastkinder.

Das hatte ich ihnen doch versprochen und durch all den Stress, bin ich noch gar nicht dazu gekommen.

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21.3. 2020

Inzwischen bin ich wieder bei meiner Gastfamilie in Auckland angekommen. Die Kinder haben sich sehr gefreut und außerdem ist heute Maries4 Geburtstag und wir sind mit vielen Freunden in einem Restaurant. Um 12 Uhr findet eine Verkündung der Premierministerin Jacinda Ardern statt und wir verfolgen diese alle sehr gespannt. Es gab schon vorher Gerüchte, dass Ausländer Neuseeland nicht mehr verlassen dürfen, aber zum Glück gibt es nur ein Verbot für Neuseeländer zu reisen. Somit werden auch immer mehr domestic Flüge eingestellt und ich bin froh, schon wieder in Auckland zu sein. Am Abend treffe ich mich mit einer Freundin im Zentrum, aber viele Restaurants und Geschäfte haben bereits geschlossen.

Vorher war ich noch neue Spitzenschuhe kaufen und die Verkäuferin erzählte mir, dass ihre Tochter in zwei Wochen einen Deutschen heiraten wolle, aber er sei vor ein paar Tagen nach Hause geflogen um dann mit seinen Eltern zurückzukommen. Nun darf er nicht mehr nach Neuseeland und sie nicht nach Deutschland. Wer weiß, wann sie sich wiedersehen können.

Als ich im Bus zurück nach Hause sitze und einmal husten muss, weil ich mich verschlucke, drehen sich sofort alle zu mir um und rücken lieber noch ein paar Meter von mir weg. Ist das nicht verrückt?

22.3. 2020

Heute Morgen nach dem Aufstehen stelle ich fest, dass mein Flug gecancelt ist. Muss ich jetzt etwa noch für eine sehr lange Zeit hierbleiben? Eine Rückholaktion ist ja auch noch nicht vorgesehen. Die Botschaft sagt, dass die Ansteckungsgefahr in Neuseeland geringer ist und diese Aktion nur für Risikogebiete durchgeführt wird.

Ich telefoniere wieder mit meinen Eltern und wir finden einen Flug für Dienstag über Sydney und Abu Dhabi mit Etihad. Allerdings gibt es nur noch Business class Plätze. Ich glaube, meine Gastfamilie freute sich etwas, dass ich nicht fliegen kann, da ich dann für die Kinder da sein kann, denn es steht nun fest, dass der lockdown am Donnerstagmorgen beginnt und für vier Wochen gehen wird.

Aber sie sind unglaublich nett zu mir und ich versuche die Zeit sinnvoll zu nutzen und spreche viel Afrikaans mit der Oma.

Außerdem führten wir heute ein großes Malprojekt im Garten durch.

4 Die Namen sind verändert.

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23.3. 2020

Die Kinder sind heute noch einmal in der Schule, aber meine Gasteltern arbeiten bereits von zu Hause aus. Ich verbringe den Tag mit packen und in Warteschleifen hängen um noch etwas mit meinen Flügen zu klären. Etihad garantiert mir, dass es zu keinen Streichungen ihrerseits kommen würde und Virgin Australia (mit denen werde ich von Auckland nach Sydney fliegen) müsse meinen Transit überprüfen und wenn nicht feststeht, dass ich wirklich in Frankfurt ankomme, dürfen sie mich auch nicht losfliegen lassen. Eigentlich ist der Flughafen Sydney für internationale Passagiere bereits geschlossen. Da es aber viel mehr internationale Flüge von Australien als von Neuseeland aus gibt, hat die australische Regierung bis Dienstagmitternacht den Transitbereich für Europäer aus Neuseeland mit Weiterflug freigegeben. Heute Morgen wurde dann auch noch bekannt gegeben, dass Virgin Australia viele Flüge streicht, aber meiner ist zum Glück und wie durch ein Wunder nicht betroffen.

Jetzt kann ich überhaupt nicht einschlafen. Aber das ist schon seit Tagen so. Werde ich in Deutschland ankommen? Was ist, wenn ich unterwegs strande? Ist das Risiko nicht zu hoch?

Soll ich nicht lieber hierbleiben? Ich telefoniere stundenlang mit meiner Freundin und habe riesige Angst vor morgen.

24.3. 2020

Sehr früh am Morgen fährt mich meine Gastmutter zum Flughafen. Wir haben uns sogar richtig gut verstanden, das war ja sonst eigentlich nicht so und sie meint, ich soll mir keine Sorgen machen, wenn ich doch hierbleiben muss oder zurückkomme, dann kann ich einfach wieder bei ihnen einziehen. Während der Autofahrt lenkt sie mich ab und erzählt von Südafrika, zum Beispiel wie eine Schlange im Schlafzimmer war. Sie meint, sie müssen mir das unbedingt alles einmal zeigen. Vor dem Flughafeneingang muss ich erst einmal mein Flugticket und meinen Pass vorzeigen und dann wird dies noch einmal von einem Mann vor dem Schalter kontrolliert. Dieser sortiert die Menschen in genehmigten Transit und Transit muss noch geprüft werden. Ich bin zum Glück in der genehmigten Transitschlange und dann heißt es warten und warten und warten. Bei jedem Passagier wird telefoniert und alle Leute stehen dort mit zitternden Knien und beten, dass man sie fliegen lassen wird. Mir fallen zwei Mädchen in meinem Alter auf, die sich umarmen und vor Freude weinen, als sie endlich ihre Tickets in der Hand halten. Dann gibt es einen Jungen, den man nicht mitfliegen lassen will, hätte er geahnt, was uns anderen bevorsteht, hätte er nicht geweint. Aber so ist dies das Ende der Welt für ihn. Außerdem gibt es noch eine Familie mit zwei großen Jungs. Diese unterhalten sich sehr laut und deshalb weiß ich nun, dass auch sie ihre Reise halsüberkopf abbrachen. Irgendwann bin ich schließlich an der Reihe und es geht alles gut. Mein Gepäck wird bis Frankfurt durchgecheckt und ich erhalte alle Boardkarten. Auch die Ausreise und die Sicherheitskontrolle verlaufen reibungslos und so habe ich noch sehr viel Zeit bis zum

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Abflug. Deshalb kaufe ich für meine Cousine noch schnell ein Souvenir. Das hatte ich bei all dem Stress der letzten Tage völlig vergessen. Schließlich geht es ins Flugzeug und ich denke mir: „Wenn ich erst einmal in Sydney bin, dann werde ich auch nach Hause kommen.“ Der Flug ist sehr gut. Beim Landeanflug auf Sydney sehen wir ein riesiges Kreuzfahrtschiff. Ein Kapitän, der neben mir sitzt, erklärt mir, dass dieses Schiff nicht anlegen darf und nun liegt es dort. Mal sehen wie lange noch mit all den tausenden Passagieren an Bord. Im Vergleich dazu bin ich doch in einer sehr guten Situation. In Sydney bekommt jeder einen Zettel mit Hinweisen zur self-isolation in Australien. Allerdings dürfen und wollen wir ja sowieso nicht einreisen. Also geht es direkt weiter in den Transitbereich und dort ist es extrem leer. Es sind fast keine Menschen da. Ich denke mir, es sei eine gute Idee sich in die

Flughafen Sydney

Nähe von anderen Deutschen zu setzen, für den Fall der Fälle. Also setze ich mich zu einer Familie mit Babyzwillingen und mit der Zeit kommen wir ins Gespräch. Sie wollen die gleichen Flüge nehmen wie ich und auch für sie ist es nicht der erste Versuch nach Hause zu fliegen. Zwei Stunden vor Abflug sollen alle Passagiere zum Gate kommen. Das kommt uns schon sehr merkwürdig vor und als wir dann dort sind, erklärt man uns, dass der Transit in Abu Dhabi seit heute Morgen geschlossen ist und wir deshalb nicht fliegen können. Eigentlich habe man Virgin Austalia rechtzeitig darüber informiert, dass sie uns nicht mitnehmen dürfen.

Man würde versuchen, für uns ein Visum für Australien zu bekommen und wir müssen schauen, wo wir schlafen und uns jemanden organisieren, der für uns einkaufen geht, weil wir dies die nächsten zwei Wochen nicht selber dürfen. Ich meine, wie sollen Deutsche, die zum größten Teil noch nie in Sydney waren, denn jemanden finden, der für sie einkaufen geht?

Nun bin ich erst einmal sehr verzweifelt. Alle anderen sind wenigstens zu zweit oder als Familie unterwegs. Zum Glück meint die Familie mit den Zwillingen, dass ich mit ihnen kommen kann. Dadurch bin ich schon etwas beruhigter. Nun heißt es wieder warten und überlegen. Allerdings gibt es mit unseren Visa Probleme und so werde nun auch versucht, ob wir wieder zurück nach Neuseeland können. Durch das lange Warten, die Ungewissheit und die Wut beziehungsweise das Unverständnis für das Geschehene kommen wir mit anderen Reisenden ins Gespräch. Paul und Maja, die Babys, bringen uns dabei immer wieder zum Lachen und so bildet sich ein Gesprächskreis um die auf Decken liegenden Babys. Neben ernsten Themen machen wir auch immer wieder Witze und versuchen es mit Humor zu nehmen. Aber es ist doch mehr der Versuch sich gegenseitig vor einem Nervenzusammenbruch zu bewahren. So steht fest, müssen wir im Terminal bleiben, drehen wir einen Film. „Das Terminalbaby“ und überlegen bereits, ob wir dafür einen Oscar bekommen werden.

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Nach vier Stunden steht fest, alle müssen zurück nach Neuseeland und zwar sofort. Es ist aber nicht klar, ob wir alle in das Flugzeug passen oder ob manche von uns die Nacht noch im Transitbereich verbringen müssen. Am Ende halten aber doch alle eine handgeschriebene Boardkarte in den Händen. Außerdem schreibe ich noch meiner Gastfamilie und sie meint, das sei gar kein Problem und ich könne natürlich zurückkommen. Bereits als ich ihnen schrieb, dass ich nicht weiterfliegen kann, reagierten sie sehr nett und versuchten mich zu beruhigen.

Allerdings einigen wir uns darauf, dass ich die erste Nacht mit der Familie in ein Hotel gehen würde, da wir keine Ankunftszeit wissen und es wahrscheinlich mitten in der Nacht sein wird.

25.3. 2020

Um 1 Uhr nachts landen wir in Auckland und dann beginnen die Kontrollen. Uns werden Fragen gestellt, es wird Fieber gemessen und wir müssen angeben wo wir unsere seld-isolation verbringen werden. Dazu meint auch jeder etwas anderes. Manche sagen, wir dürfen das Haus gar nicht verlassen und andere meinen wir dürfen Spazierengehen, wenn wir zwei Meter Abstand halten. Zu allem Überfluss erhalte ich eine Nachricht meiner Gastfamilie, dass sie sich überlegt hatten, dass ich doch nicht kommen darf. Das war dann alles was ich von ihnen hörte. Ich war erst einmal sprachlos und Luise und Julius sagen sofort, dass ich bei ihnen bleibe, bis wir wieder in Deutschland sind und sind auch sprachlos darüber, wie man ein junges Mädchen im Ausland so alleine lassen kann, obwohl man fast ein ganzes Jahr zusammen wohnte. Die Krönung ist dann aber, dass das Gepäck von allen Passagieren, die weiter nach Abu Dhabi fliegen wollten, nicht ankam. Ich hatte aber vorausblickend schon ein paar Dinge in mein Handgepäck gepackt. Allerdings haben wir nicht mehr viel Babynahrung und keinen Sterilisator für die Flaschen. Irgendwann kommen wir im Hotel an und die Hotelangestellten führen sich auf, als würden wir gerade aus einem Risikogebiet wie Italien kommen. Dabei war ich seit Juli in Neuseeland! Schließlich sind wir im Zimmer und ich kann endlich mit meinen Eltern telefonieren und erst in diesem Moment realisiere ich so richtig in welche Situation ich da geraten bin und kann die Tränen nicht weiter zurückhalten.

26.3. 2020

Nach einer extrem kurzen Nacht kommt Julius zu mir und hat bereits Zahnbürste und Zahnpasta gekauft. Ich gehe irgendwann rüber in das Zimmer der Familie und wir frühstücken, obwohl ich gar keinen Appetit habe und anschließend gehen wir ein paar Sachen kaufen. Ab 16 Uhr sollen alle Läden geschlossen werden. Ansonsten mache ich nicht viel. Wir warten auf eine Email der Botschaft mit Informationen zu unserem Flug und auf unser Gepäck. Dieses soll heute Abend aus Sydney nach Auckland kommen. Es ist sehr schwierig an Informationen bezüglich der Rückflüge zu kommen. Die Botschaften beantworten keine

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Emails und es gibt keine Telefonnummer. Viele sind sich unsicher, ob sie auch wirklich für das Rückholprogramm registriert sind, da es keine Bestätigung gibt.

27.3. 2020

Heute morgen bin ich recht guter Dinge beim Aufwachen. Ich werde bestimmt eine Email mit Fluginformationen bekommen. Am Freitag soll der erste Rückholflug gehen, vielleicht sind wir ja dabei. Aber bei 15.000 Personen die auf ein Ticket warten, eher unwahrscheinlich.

Dann ruft mich Luise an und meint, dass wir das Hotel wechseln müssen, weil das „Mercur“

nun zu einem Quarantänehotel wird und wir ins „Sofitel“ müssen. Also packe ich schnell und füttere danach die Babys, damit die beiden auch packen können. Julius fährt dann mit unserem Gepäck schon nach unten und wir folgen ihm mit den Babys. Auf dem Flur begegnen wir einem Wachmann, dem wir erklären müssen, wo wir hinwollen und dieser informiert daraufhin die Hotelangestellten an der Rezeption. Luise und ich laufen jetzt mit den Kindern zum nächsten Hotel. Leider regnet es und wir müssen auch noch etwas einkaufen. Aber die Schlangen sind ewig lang. Trotzdem haben wir gerade noch relativ viel Glück. Ins Geschäft lassen sie nur Personen hinein, wenn auch wer herauskommt und dann staut es sich auch noch ewig an den Kassen. In Neuseeland gibt es überwiegend self-checkout Kassen und nach jedem Kunden wird diese sehr gründlich desinfiziert. Das dauert …

Unsere neue Unterkunft ist sehr schön, aber eben auch sehr teuer. Hoffentlich müssen wir nicht zu lange hierbleiben. Man darf nicht einfach die Unterkunft wechseln und wir hatten auch keinen Einfluss darauf, in welches Hotel wir gekommen sind. Die Mitarbeiter sind sehr nett und bemüht um uns. Am Nachmittag gehe ich mit Julius spazieren und zeige ihm ein bisschen Auckland und wir kommen auch am „Mercur“ vorbei. Dort stehen viel Busse mit der Aufschrift „special charter“, die die Leute vom Flughafen, es handelt sich um Neuseeländer, die in den USA waren, ins Hotel bringen. Überall ist Polizei und

die Busse vor dem „Mercur“

das Gesundheitsamt. Man gut, dass wir nicht mehr in diesem Hotel sind. Außerdem fällt uns auf, dass auf der Queensstreet, der Haupteinkaufsstraße in Auckland, alle Schaufenster leergeräumt und zum größten Teil abgeklebt sind. Es wird berichtet, dass sich Geschäfte auf Plünderungen vorbereiten und ein Schaufenster wurde bereits eingeschlagen. Gestern war dies noch nicht der Fall.

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28.3. 2020

Gerade gehe ich zum Frühstück in das Zimmer von Julius und Luise da fragen mich die beiden, ob ich schon die schlechten Neuigkeiten gehört habe. Nein, habe ich nicht. Was soll das denn nun schon wieder sein? Es kann doch nicht noch schlimmer kommen, oder etwa doch? Luise meint: „Die neuseeländische Regierung verbietet die Rückholflüge bis auf weiteres. Sie sind bis zum 1.4. eingestellt.“ Aber warum denn das und wie sollen wir jetzt nach Hause kommen?

Es betrifft doch so viele Menschen. Was sollen wir denn jetzt machen? Kurze Zeit später schreibt mir eine Freundin, die auch Au Pair ist, dass Neuseeland seine Grenzen für 18 Monate zu machen will. Müssen wir jetzt für 18 Monate hierbleiben? Das geht doch nicht!!!

Wovon sollen wir leben, wo und wann sehen wir Familie und Freunde wieder?

Wir beschließen nun doch einen Flug mit Qatar Airways zu buchen. Dies ist die einzige Fluggesellschaft mit der wir noch fliegen können und sie haben groß auf ihrer Website stehen:

„Wir bringen sie nach Hause“. Hoffentlich können sie ihr Versprechen halten. Doch erstmal müssen wir überhaupt einen Flug buchen und dies ist einfacher gesagt als getan. Den nächsten halbwegs bezahlbaren Flug gibt es am 9.4. für 2.000€. Business class kostet jetzt 10.000€!!!

Aber als wir Econemy class buchen, bekommen nur noch Luise und Julius einen Platz und ich muss für den 10.4. buchen. Ich wundere mich, wieso Qatar noch fliegen darf, aber die Bundesregierung nicht. Hoffentlich verbieten sie es Qatar nicht auch noch. Die sind doch jetzt unsere letzte Rettung.

Wir beschließen einkaufen zu gehen. Vor dem Supermarkt ist eine ewig lange Schlange und da wir mit den Babys sowieso nicht reindürfen, laufe ich fast vier Stunden im Albert Park mit den beiden im Kreis. Dabei höre ich ein sehr verzweifeltes deutsches Ehepaar diskutieren, was sie jetzt machen sollen und ein Mädchen in meinem Alter sitzt weinend unter einem Baum und telefoniert mit ihren Eltern. Es geht auch hier um die Frage, wie komme ich zurück? Es sind so viele betroffen, warum hat die neuseeländische Regierung nur diese Entscheidung gefällt. Die eigenen Bürger holen sie doch auch zurück!

Am Nachmittag machen wir ein paar Witze wie wir die nächsten 1,5 Jahre in Auckland leben werden.

Wahrhaben, dass dies im Moment die Realität ist, will es keiner und wir glauben fest daran, das Deutschland und andere Länder mit der neuseeländischen Regierung verhandeln wird. Am Yachthafen überlegen wir, welche

Yacht wir nehmen könnten, um damit nach Hause zu fahren. Einige gefallen uns sehr gut.

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29.3. 2020

Heute ist Julius Geburtstag. Gestern haben wir extra schon einen Kuchen und Luftballons gekauft. Nach dem Frühstück gehen wir schließlich

spazieren. Uns fällt wieder einmal auf, dass die Neuseeländer es sehr genau mit der Abstandsregel nehmen.

Einmal wollten wir eine Fahrradfahrerin überholen lassen und sind zur Seite gegangen, aber sie bremste nur stark und meinte, sie kann nicht vorbei, das sind nur 1,5 Meter und nicht 2. Desweiteren prägen die langen Schlangen vor den Supermärkten das Stadtbild. Dadurch, dass zwischen den

einzelnen Personen ein großer Abstand sein muss, ziehen diese sich teilweise mehrere 100 Meter und man muss ersteinmal das Ende finden. Außerdem prüfen wir alle 10 Minuten, ob wir unseren Flug umbuchen können, denn das ändert sich ständig. Aber häufig ist man im Endeffekt zu langsam. Irgendwann habe ich aber Glück und kann auf den 9.4. buchen und ein paar Minuten später sogar für den 6.4.. Am Abend bestellen wir Essen im Hotel und haben so einen sehr schönen Ausklang des Tages.

30.3. 2020

Als ich die Vorhänge aufziehe, lacht mich bereits die Sonne an. Alles sieht so schön und idyllisch aus, wie die Yachten und Segelboote vor der Harbour Bridge im Wasser liegen. Aber dann fällt mir wieder ein, wieso ich immer noch in Auckland bin. Also überprüfe ich als erstes, ob ich meinen Flug noch weiter umbuchen kann. Leider Fehlanzeige. Nebenan höre ich ein Baby schreien. Wir frühstücken immer erst, wenn Maja und Paul das erste Mal schlafen, also habe ich noch recht viel Zeit. Ich telefoniere kurz mit meinen Eltern und mit meiner Patentante, es wird wohl ein recht langweiliger Tag werden. In zwei Tagen wird verkündet, wie es mit den Rückholflügen weitergeht, deshalb sind wir recht angespannt. Luise ist in einer Facebookgruppe mit vielen, die in Neuseeland gestrandet sind. Dort kursieren verschiedenste Gerüchte. Vielleicht werden nur bestimmte Personengruppen ausgeflogen. Dann würde ich ganz sicher nicht dazu gehören.

31.3. 2020

Heute ist alles so aufregend, ich weiß gar nicht, was ich zuerst machen soll. Aber von vorne.

Um fünf Uhr morgens kam Luise in mein Zimmer und meinte, es gäbe gerade fünf freie Plätze für den heutigen Flug. Ich war sofort hellwach und lief schnell nach nebenan und wir versuchten umzubuchen. Bitte, bitte, bitte, lass uns heute schon fliegen damit das alles ein Ende hat. Leider klappte es nur bei mir. Da war ich auf der einen Seite sehr glücklich, aber

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auf der anderen Seite auch sehr traurig und hatte Angst, dass ich in Qatar nicht weiterkomme und dann alleine bin. Aber irgendwie war ich gleichzeitig auch unvorstellbar entspannt, weil ich dachte, viel schlimmer kann es nicht mehr kommen und so, wie die Situation sich in Neuseeland verändert, ist es in den meisten anderen Ländern wahrscheinlich besser.

Gerade habe ich kurz mit meinen Eltern telefoniert, dann fiel mir plötzlich ein, dass ich gestern Wäsche gewaschen hatte und diese noch komplett nass ist. Wie soll ich denn da jetzt meinen Koffer packen? Ich beginne mich fertig zu machen und meine Sachen zumindestens so weit zu föhnen, dass diese nicht mehr triefnass sind. Vielleicht sollte ich nun einmal kurz auf mein Handy schauen und prüfen, ob es nicht noch zwei weitere Plätze auf meinem Flug gibt.

Gesagt getan, da stand doch wirklich „noch 5 verfügbare Plätze“. Das muss ich sofort Julius sagen und beide Daumen drücken, dass es klappt. 10 Minuten später kommt endlich die Nachricht, dass auch sie fliegen können. Jetzt muss alles wirklich schnell gehen. Ich kümmere mich also um Maja und Paul und die beiden packen. Mit zwei Babys kommt wirklich viel zusammen und was man da alles im Flugzeug braucht. Windeln, Wechselsachen, Spielzeug, Brei, Milch …. Wenig später sitzen wir im Taxi und sind nun doch alle sehr angespannt, denn es ist noch nicht 12 Uhr. Dann gibt es die nächste Pressekonferenz und damit einhergehend die nächsten Entscheidungen, unter anderem über den Flugverkehr. Wir fliegen ja erst 15 Uhr. Hoffentlich lassen sie uns noch raus! Es ist auch ein komisches Gefühl noch einmal durch Auckland zu fahren. Ist es jetzt wirklich das letzte Mal? Ich hatte mir das ja alles ein bisschen anders vorgestellt. Eigentlich wäre ich gestern nach Sydney geflogen und heute würde Papa ankommen. Es könnte alles so schön sein. Es hätte doch mal ein schönes Jahr werden können ohne irgendwelche Probleme, Krankheiten…nach all den letzten Jahren.

Aber es soll wieder nicht sein. Am Flughafen ist eine lange Schlange vor dem Gebäude und wir müssen unsere Pässe und Flugtickets zeigen. Drinnen ist die Schlange dann noch länger. Qatar ist der einzige offene Schalter und es stehen Massen von Menschen an.

Ob die überhaupt alle in ein Flugzeug passen? Dann ein Blick auf die Anzeigetafel. Hinter fast jedem Flug steht mit rot „cancelled“. Es folgt der erste Schockmoment:

Qatar Airways: „cancelled“.

Flughafen Auckland check-in Bereich

Zum Glück realisieren wir schnell, dass dies der Flug am nächsten Morgen ist. Dennoch komisch, dass dieser gestrichen ist. Sowieso ist ab morgen alles gecancelled, es scheint als sei es heute unsere letzte Chance das Land zu verlassen und diesen Gedanken teilen viele andere mit uns. Es dauert ewig und alle werden immer aufgeregter. Man macht sich gegenseitig verrückt. Auf einmal wird das einchecken gestoppt. Gerüchte gehen rum, der Flug wurde gestrichen oder er ist überbucht. Mir wird langsam schon ganz schlecht und schwindelig. Ich darf jetzt aber nicht umkippen! Sonst denken die noch ich habe Corona und lassen mich nicht

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ins Flugzeug. Nach quälenden 10 Minuten schließlich die Durchsage, dass das Computersystem abgestürzt ist und sich das einchecken dadurch verzögert. Mir fällt ein Stein vom Herzen, aber da ist noch dieser Mann der rumgeht und die Pässe scannt und dann etwas zu den Leuten sagt. Manche bleiben in der Schlange stehen und sehen zufrieden aus, andere müssen sich wo anders anstellen. Aber was genau sagt er? Wir stehen noch zu weit hinten, um es zu hören. Schließlich geht es weiter und dann passiert das, was alle gehofft haben, dass es nicht passiert. Das erste Ehepaar wird wieder weggeschickt. Das Flugzeug ist überbucht. Die Stimmung unter den Leuten kippt wieder. Es wird diskutiert.

Ist man sicher, wenn man online eingecheckt hat oder spielt das keine Rolle? Wonach entscheidet sich wer mitdarf und wer nicht? Langsam beginnt sich wieder alles zu drehen.

Vielleicht war der Taxifahrer doch sehr weise, als er uns seine Karte gab für den Fall, dass wir nicht wegkommen. Wir hatten noch gelacht, aber jetzt scheint unsere letzte Hoffnung wieder einmal an einem extrem seidenen Faden zu hängen. Dann ist es soweit. Nach zwei Stunden scannt der Mann unsere Pässe. Den Personen vor uns musste er sagen, dass sie wahrscheinlich nicht mitkommen. Dann scannt er Julius, Luises, Majas und Pauls Pass und gibt Entwarnung, ihre Buchung ist in Ordnung. Schließlich bin ich an der Reihe. Er ist sehr nett und hat, glaube ich, Mitleid mit mir. Es folgt die

längste Minute meines Lebens und der Satz: „Deine Buchung ist in Ordnung“. Jetzt kann doch eigentlich wirklich nichts mehr schief gehen. Aber wir müssen noch eine ganze Weile warten bis wir endgültig am Schalter stehen und es werden immer mehr Menschen weggeschickt, deren Buchung schon als ok ausgegeben wurde. Gerade als

wir an der Reihe sind, heißt es, alle Menschen die jetzt noch anstehen, können nicht mit. Ich drehe mich um und sehe in bestimmt dreißig verzweifelte und geschockte Gesichter. Es ist auch ein alleinreisendes Mädchen im meinem Alter darunter. Das könnte jetzt ich sein und ich habe Mitleid mit ihr, aber noch bin ich auch nicht eingecheckt. Die Frau am Schalter ist sehr nett zu uns und entschuldigt sich dafür, dass wir nicht zusammensitzen können. Das ist uns im Moment wirklich egal. Hauptsache wir halten gleich ein Ticket in der Hand. Sie beginnt unser Gepäck einzuchecken. Julius fängt langsam an sich zu entspannen, aber ich will es erst glauben, wenn ich wirklich meine Boardkarte in der Hand halte. Unser Übergepäck interessiert lustigerweise keinen und wir fühlen uns als hätten wir einen bedeutenden Preis gewonnen, als wir unsere Boardkarten überreicht bekommen. Hinter uns wird wild diskutiert. Wir spüren die neidischen Blicke als wir gehen. Die Airlinemitarbeiter versuchen für die übrigen Passagiere Lösungen zu finden. Aber was sollen sie schon machen? Es gibt

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Leute die weinen, andere diskutieren wild und die nächsten haben die Hoffnung bereits aufgegeben. Für viele war es nicht der erste Versuch. Die psychische Achterbahnfahrt, die wir alle in den letzten Wochen erlebten, ist zermürbend und es macht so wütend, wenn sich in Deutschland Leute beschweren, dass sie nicht ins Fitnessstudio gehen dürfen. Aber auch für uns ist es noch nicht vorbei. Unsere Knie sind noch ganz zittrig als wir zur Sicherheitskontrolle gehen. Mit den Babys werden wir dieses Mal sofort vorgelassen. Der Flughafen hat sich verändert zum letzten Mal. Der Gang durch den

duty free Bereich führt jetzt durch Wände und es ist alles geschlossen.

Man trifft kaum Menschen. Vor unserem Gate sitzen schon viele Leute. Wir haben gar keine Zeit uns hinzusetzten, da geht es auch schon ins Flugzeug. Maja und Paul haben tatsächlich ein Bett bekommen. Ich sitze ein paar Reihen weiter vorne und bin doch noch sehr angespannt. Wird alles gut gehen? Der Flug ist ok und die 18 Stunden vergehen relativ schnell. In Doha führt uns der Weg einmal

quer über den Flughafen. Wir müssen dreimal durch Temperaturmessgeräte laufen. Schließlich sitzen wir am Gate. Ich kümmere mich um die Babys und Julius und Luise ruhen sich für zwei Stunden aus. Unser Flug steht als planmäßig dran. Das gibt Mut, aber noch sind es zwei Stunden. In Sydney dachte ich das schließlich auch. Allerdings möchte Qatar sicherlich nicht so viele Deutsche im Flughafen haben, also werden wir wahrscheinlich auch nach Frankfurt kommen. Schnell spricht sich unter uns Reisenden herum, dass Neuseeland die Rückholflüge auch weiterhin nicht fliegen lässt und sie bis auf ungewisse Zeit eingestellt werden. Da sind wir noch glücklicher, dass wir heute fliegen konnten. Schließlich geht es wieder zum Boarding. Hoffentlich vorerst zum letzten Mal. Dieses Mal sitze ich neben zwei jungen Mädchen, die gerade erst vor zwei Wochen ihre Australienreise begonnen haben. Für sie war es der erste Versuch nach Hause zu kommen, die Glücklichen. Als das Flugzeug in der Luft ist, kippt die Stimmung bei den Passagieren. Für viele ist der Traum nun endgültig zerplatzt. Man ist froh nach Hause zu kommen, natürlich. Aber nun, wo im Display steht, noch sechs Stunden bis Frankfurt, ist es real, dass man nicht mehr das machen kann was man wollte. Die einen waren in Elternzeit, die nächsten auf Weltreise, manche machten Work &

Travel und andere einfach eine Rundreise. Doch alle haben eins gemeinsam. Man plante es Monate, wenn nicht jahrelang im Voraus, musste das Geld sparen, die Vorfreude steigerte sich. Neuseeland bzw. Australien liegen ja am anderen Ende der Welt und nun war man dem Traum so nah, doch schließlich zerplatzte er. In diesem Moment zerplatzen so viele Träume wie viele Seifenblasen. Es erinnert mich daran, wie ich mit meinen Gastkindern Seifenblasen fliegen ließ. Manchmal wurde Suzan so wütend, wenn eine besonders schöne Seifenblase gegen das Trampolin flog und zerplatzte und nun waren wir wütend, weil unsere persönliche Traumseifenblase zerplatzt ist. Der Pilot sagt

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schließlich die Temperatur in Frankfurt durch. -4 Grad! Da wollen wir alle schnell wieder zurück. Als wir einstiegen waren es doch noch über 30 Grad gewesen. Bei der Landung weinen viele, man will schnell weg, raus aus der Menge und sich zu Hause erst einmal verkriechen und alles sacken lassen. Doch wir dürfen nicht raus, da wir zu früh landeten und dann werden immer nur 40 Passagiere hinausgelassen und dann wird 5 Minuten gewartet. So zieht es sich hin, aber schließlich stehe ich wieder auf deutschem Boden. Nur eigentlich will ich noch gar nicht hier sein. In den letzten Monaten habe ich mir oft den Moment ausgemalt, wie es sein wird, wenn ich wieder in Deutschland ankomme. Ich dachte, ich bin dann voller Vorfreude und aufgeregt, habe so viel zu erzählen und Fotos zu zeigen. Dann warte ich ungeduldig auf mein Gepäck und dann komme ich raus und umarme Mama. Ich hatte auch schon eine Liste geschrieben mit Essen welches ich vermisste und Mama mitbringen sollte. Ein Körnerbrötchen mit Käse, Klöpse von Oma, Granatapfelkerne… Aber jetzt stehe ich ziemlich entspannt bei der Gepäckausgabe und keiner freut sich auf ein Wiedersehen wie es eigentlich der Fall sein sollte. Schließlich gehe ich nach draußen und dann freue ich mich schon Mama und Papa wieder zu sehen. Wir verabschieden uns von Julius, Luise, Paul und Maja. Ich bin ihnen unendlich dankbar, dass sie mich mitgenommen haben. Wir hatten eine schöne Zeit, auch wenn wir auf die meisten Umstände gerne verzichtet hätten.

3.4.2020

Jetzt bin ich wieder zu Hause. Aber wirklich toll ist dies auch nicht. Ich habe keine Lust Fotos zu zeigen, erzähle auch nicht viel aus den letzten Monaten, weiß nicht recht was ich mit der Zeit anfangen soll, weiß nicht wie es weitergeht. Die meisten sagen „Du bist noch jung, das kann man doch nachholen.“ Kann man sicherlich auch. Aber dennoch ist die Situation sehr unerfreulich, verdrießlich, unerquicklich und misslich.

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