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Die erschütterte Festung

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8 IP November 2008

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Fred David | „Wir können dem lieben Gott danken, dass die Schweiz sich fel- senfest außerhalb der Europäischen Union behauptet“, schrieb Roger Köp- pel, Chefredakteur und Verleger der Zürcher Weltwoche, am 16. Oktober.

„Heute steht das Land vor der Aufgabe, seine liberalen Errungenschaften gegen staatliche Allmachtsfantasien und einen antikapitalistischen Backlash in Europa zu verteidigen.“ Die triumphie- rende Titelschlagzeile: „La crise n’existe pas“ (Die Krise existiert nicht), auf die absolute Unerschütterlichkeit des Schweizer Bankensystems anspie- lend, war kaum trocken, da verkünde- te die Schweizer Regierung gleichen- tags etwas verkniffen, leider existiere die Krise halt doch, und zwar ziemlich heftig. Man schritt, was niemand im Alpenparadies für möglich gehalten hatte, zur vorübergehenden Teilver- staatlichung der größten Bank des Lan- des, der UBS.

Wie keine andere Bank hatte sie sich in den USA mit kontaminierten Hypo-Papieren verzockt und schrieb in ihren Büchern über 45 000 Millionen Franken ab. Der Schweizer Staat sprang über Nacht mit mindestens 60 Milliar- den Franken zur Hilfe, sonst hätte der Bank die Zahlungsunfähigkeit gedroht.

Die zweite Großbank des Landes, die Credit Suisse (CS), rettete sich mit dem rasch beschafften Geld eines Investors aus Katar – vorerst, heißt es.

Die Bilanzsumme allein dieser bei- den Geldriesen liegt bei 3,2 Billionen Franken. Das ist achtmal so viel, wie das gesamte Volkseinkommen des Lan- des beträgt. Schweizer Banken verwal- ten etwa ein Drittel des privaten Anla- gekapitals der Welt. Wanken diese Ban- ken, wankt die Schweiz. Und nicht nur sie. In der Kleinstadt Olten, in der Mitte des Dreiecks Basel–Bern–Zürich, liegen 22 Meter unter der Erde und acht Meter tief im Grundwasserstrom in einem Bunker Wertpapiere von drei Billionen Franken. Das sind 3000 Mil- liarden Franken, profan verstaut in 30 000 grauen und grünen Plastikkäs- ten. Einige hundert Milliarden Fran- ken gehören deutschen Anlegern – zum größten Teil dem deutschen Fiskus entzogenes Schwarzgeld.

Der Oltener Bunker ist eine der größten Schatzkammern der Welt, den meisten Schweizern ist er jedoch unbe- kannt: Ihre Medien berichten nicht dar- über. Sogar zu sich selbst ist man über- diskret, sobald es um Bankangelegenhei- ten geht – ein Beweis für das Festungs- denken, an dem bisher keiner rüttelte.

Die erschütterte Festung

Nur widerwillig nimmt die Schweiz Abschied von der Illusion, dass ihr die Finanz- krise nichts anhaben kann. Doch die Geldkammer der Welt braucht mehr Kontrolle Brief aus … Zürich

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IP November 2008 9

IP November 2008 9

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In keinem Land Europas, mit Aus- nahme des winzigen Liechtenstein, haben die Banken mehr Einfluss als in der Schweiz. Die Finanzindustrie schafft über zwölf Prozent aller erzeug- ten Werte. Das Einkommen des Bank- personals liegt ein Drittel über dem Landesdurchschnitt. Das Erstaunliche dabei: Die meisten Schweizer sind überhaupt nicht so reich, wie sie vom Ausland wahrgenommen werden.

Jeder dritte Haushalt besitzt keinen Rappen Vermögen, wie jüngst eine UN-Studie zeigte. Dennoch ist die Af- finität der Bevölkerung zu ihrer Ban- kenwelt unübertroffen hoch: Der Wer- beslogan „You & US = UBS“ wird für das ganze Land akzeptiert, obwohl nir- gendwo auf der Welt der Reichtum un- gleicher verteilt ist: Zehn Prozent der Steuerpflichtigen, darunter 120 Milli- ardäre, besitzen fast Dreiviertel des gesamten Vermögens. Zum Vergleich:

In Deutschland sind es 43 Prozent.

Inzwischen mehren sich die Beden- ken, ob eine derartige Abhängigkeit von zwei Großbanken nicht schädlich für das Land sei. Doch die Medien verhal- ten sich im Zweifelsfall staatstragend und weitgehend unkritisch gegenüber Eingriffen der Wirtschaft in die Politik.

Ein Beispiel: Die staatliche Kontrollbe- hörde der Banken wird ausgerechnet von einem ehemaligen UBS-Direktor geleitet, der gleichzeitg auch noch maß- geblich die Bedingungen für die üppige Staatshilfe mit seinem ehemaligen Ar- beitgeber aushandelte. Solche Interes- senverflechtungen sind in der Schweiz nicht ungewöhnlich und werden meist stillschweigend akzeptiert.

Die politischen Institutionen, die seit der Staatsgründung vor 160 Jahren in ihrer Struktur unverändert blieben, werden bewusst schwach gehalten. Mit

dem explosionsartigen Wachstum des Finanzsektors nach dem Zweiten Welt- krieg können sie nicht mithalten – und schon gar nicht mit dessen zunehmen- der Macht und Professionalität. Der Bundesrat, einst dem „Direktorium“

der Französischen Revolution nachge- bildet, hat keinen Regierungschef. Die sieben Minister müssen sämtliche Ent- scheidungen wie ein Miniparlament in Mehrheitsfindung treffen. Das macht den Regierungsapparat schwerfällig und kaum durchschaubar. Das Freizeitpar- lament tritt in Abständen nur wenige Wochen im Jahr zusammen, die Abge- ordneten beziehen ein karges Honorar und können sich meist weder Sekretä- rin noch Assistenten leisten. Das fach- liche Know-how stellen in der Regel lobbyierende Experten von aussen.

Ihr Haupteinkommen verdienen die Volksvertreter anderswo, im Beam- tenapparat, in Unternehmen oder sie werden von Organisationen und Ver- bänden bezahlt. Natürlich haben auch UBS und CS ihre Repräsentanten im Parlament sitzen. Das führt trotz des Korrektivs der direkten Demokratie mit ihrem gut ein Dutzend Volksab- stimmungen im Jahr zwangsläufig zu unverkennbar oligarchischen Erschei- nungen.

Aus diesem Umfeld erklären sich Schlagzeilen wie jene in der größten Wochenzeitung des Landes: „La crise n’existe pas.“ Danken wir Gott, dass wir nicht so sind wie die Anderen.

FRED DAVID war Chefredakteur beim Schweizer Wirtschaftsmagazin cash. Seine jüngste Veröffentlichung: „Im Club der Milliardäre“

(Hoffmann u. Campe).

Brief aus … Zürich

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