Von Rosenmontag bis Muttertag 2020
aus dem Leben eines Zwölfjährigen im Münsterland in der Corona-Krise
24.02.20
Am Rosenmontag, an meinem Geburtstag, war hier noch alles normal - zumindest hier in einem kleinen Ort im Münsterland. Das Corona-Virus war noch weit weg.
26.02.20
Als ich von der Schule nach Hause kam, sagte Papa: „Wenn du von draußen herein kommst wasch´ dir immer die Hände!“ Das gilt auch für Freunde und Gäste.
08.03.20
Wir fuhren mit der ganzen Familie zu einem Kinderkonzert nach Münster und trafen uns dort mit Freunden. Mein Freund erzählte mir von seiner Tante, die zurzeit in China lebt. Dort herrschen eine Ausgangssperre und eine Maskenpflicht, da sich das Corona-Virus dort schnell verbreitet hatte. Da ich keine Ahnung hatte, was eine Ausgangssperre ist, habe ich Mama und Papa gefragt. Das ist ja echt blöd, wenn man nur noch in den Supermarkt darf und sonst nur noch zuhause bleiben muss. Außerdem erzählte mein Freund, dass in Münster schon erste Klassen in Quarantäne sind. Cool, wenn man nicht mehr zur Schule muss.
11.03.20
Papa und Mama haben uns heute erzählt , dass sie unseren Urlaub in den Osterferien in München abgesagt haben. Ich war schon traurig, denn ich wollte doch so gerne in die Allianz Arena. Und nur, weil das Corona-Virus jetzt schon in Deutschland ist, soll das ausfallen?
12.03.20
Beim Abendessen sagten Mama und Papa, wir sollen am nächsten Tag alle Schulsachen aus der Schule mitbringen, da sie glauben, dass sie geschlossen werden. Schon cool, wenn ich nicht mehr so früh aufstehen müsste.
13.03.20
Morgens in der Schule haben schon ein paar Schüler über Schulschließungen gesprochen.
Unser Klassenlehrer hat uns gebeten, alle Unterlagen der Hauptfächer mit nach Hause zu nehmen. Mein kleiner Bruder kam kurz nach mir von der Grundschule nach Hause und rief begeistert, dass er ab Montag bis zu den Osterferien nicht mehr zur Schule muss. So ein Mist! Und ich? Am Nachmittag bekamen Mama und Papa Bescheid, dass ich auch nicht zur Schule muss. Und dann kamen E-Mails und WhatsApp-Nachrichten, dass auch Fußball, Tischtennis und DLRG bis zum 19.04.20 ausfallen. Echt jetzt? Alles gestrichen?
14.03.20
Heute hat mich ein Freund angerufen und wollte sich mit mir verabreden. Mama und Papa haben es nicht erlaubt, da sie nicht möchten, dass wir uns mit Corona infizieren.
15.03.20
Das Fußballcamp, das eigentlich in den Osterferien stattfinden sollte, wurde in die Herbstferien verlegt. Gut, dass es nicht abgesagt, sondern nur verlegt wurde.
16.03.20
Ab heute bin ich zuhause; die Schulen sind geschlossen. Also bin ich quasi auch im
Homeoffice, das neue Wort ist jetzt ja wohl „Homeschooling“. Soziale Kontakte sollen wir auch einschränken. Also kann ich mich auch nicht verabreden. Dann mache ich halt Videotelefonie mit meinen Freunden und spiele online mit ihnen Fortnite.
20.03.20
Meine Eltern haben einen Passierschein für die Arbeit bekommen. Den benötigen sie für den Fall, dass es eine Ausgangssperre gibt, damit sie zur Arbeit können. Ob sie ihn am Montag auch brauchen? In anderen Bundesländern gilt schon eine Ausgangssperre. Ich kenne das Wort „Passierschein“ eigentlich nur im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg. Manche Politiker sagen ja, wir befinden uns im Krieg gegen einen unsichtbaren Feind.
23.03.20
Ab heute gilt eine Kontaktsperre in NRW. Gott sei Dank „nur“ eine Kontaktsperre und keine Ausgangssperre. Den Passierschein brauchen Mama und Papa jetzt doch (noch) nicht.
NRW liegt bei den Covid-19-Fällen/100.000 Einwohnern im Vergleich zu den anderen Bundesländern auf Platz 4. Im Kreis Borken gibt es 295 Fälle. Jeden Abend gucke ich mir die aktuellen Zahlen des Kreis Borken an. Ob sie noch steigen? Die Hauptsache ist, dass das Gesundheitssystem nicht überlastet ist und noch alle medizinisch versorgt werden können.
Die Bilder aus Italien sind echt schrecklich.
Schon wieder gab es Aufgaben der Lehrer für Zuhause. Jetzt muss ich mich selbst organisieren.
24.03.20
Unsere Klassenfahrt wurde abgesagt und auf das 7. Schuljahr verschoben. Ich finde es schade, dass wir noch ein Jahr lang warten müssen.
06.04.20
Hey, heute war der 1. Tag der Osterferien. Ehrlich gesagt, so viel anders als in den drei Wochen vorher war es auch nicht.
07.04.20
Jan, mein kleiner Cousin hat Geburtstag. Er wird sechs Jahre alt. Wir waren dort, um zu gratulieren. Als wir ankamen, hat er uns schon erwartet. Wir haben die Geschenke in eine kleine Karre gelegt, die er mit einem Seil zu sich ziehen konnte. Das war ein komischer Geburtstag. Alle standen weit voneinander weg.
Oma hat uns Stoffmasken zugeworfen, die sie für uns genäht hatte. In manchen Städten in Deutschland braucht man sie schon. Ob wir sie in NRW auch bald brauchen? Für uns Jungs gibt es sie in blau und für Mama natürlich in rosa. Sie passen ja ganz gut, aber so soll ich jetzt rumlaufen?
12.04.20
Heute war Ostersonntag. In der Karwoche hatten wir schon jede Menge Osterplätzchen gebacken und Ostergrüße gebastelt. Die haben wir heute an unsere Omas, Familien und Freunde verteilt. Überall haben wir die Plätzchen vor die Tür gestellt, geklingelt und frohe Ostern gewünscht. Die Radtour war echt schön, aber ich hätte doch noch gerne Ostereier in Omas Garten gesucht. Und so richtig reden konnte man ja auch nicht.
15.04.20
In die Schule dürfen wir nach den Osterferien immer noch nicht. Langsam wird es hier zuhause echt anstrengend.
22.04.20
Heute haben wir unseren Kurzurlaub über Pfingsten abgesagt. Diesmal sollte es nach Nottuln in die Jugendherberge gehen. Das ist ja nicht weit weg, aber Mama hätte sich schon gefreut, ihre Freundinnen wiederzusehen.
Fußball fällt immer noch aus. Aber unsere Trainer haben sich coole Challenges einfallen lassen, damit wir fit bleiben.
23.04.20
Heute hat Lennard, Jans kleiner Bruder Geburtstag. Er wird vier. Wetten, der Geburtstag läuft so ab wie bei Jan?
Wow, diesmal haben wir Fußball auf Abstand gespielt. „Distanzschüsse“ also. Wie gut, dass wir alle einen Garten haben.
26.04.20
Geburtstag in dieser Corona-Zeit zu haben, macht keinen Spaß. Der nächste Cousin hat Geburtstag. Carlos ist heute 11 geworden. Auf der Straße haben wir gratuliert und dann im Dreieck ein bisschen den Ball gekickt. Aber so macht Fußball keinen Spaß. Bald werden wir schon zu Experten im „Geburtstag feiern auf Distanz“.
27.04.20
Ab heute gilt die Maskenpflicht in NRW. Wie gut, dass wir schon welche haben. Aber eigentlich geht nur Mama seit der Corona-Krise einkaufen, Papa eher selten.
28.04.20
Ich war zum 1. Mal mit Stoffmaske im Supermarkt. Es war dort schon schwierig, Abstand zu halten und wohl gefühlt habe ich mich auch nicht, denn es war schon echt eng in den Gängen.
30.04.
Heute hatte ich den ganzen Tag Halsschmerzen. Ich lag viel in meinem Bett und auf der Couch. Ich habe ein bisschen Angst, weil vielleicht habe ich mich ja mit dem Coronavirus infiziert. Aber wo?
01.05.20
Heute Morgen hatte ich auch noch Fieber. Von „logo“ weiß ich, dass das Symptome einer Coronainfektion sein können. Aber auch von Scharlach, hatte ich im letzten Sommer noch.
Jedenfalls sind wir zum kinderärztlichen Notdienst gefahren. Die Ärztin dort hat mir
empfohlen, einen Test machen zu lassen. Aber weil an diesen Testzentren im Münsterland nicht mehr viel los ist, hatten die um 12 Uhr heute Mittag schon geschlossen. Also ist ein Test erst morgen möglich. Eigentlich gut, dass die Zahlen fallen oder gehen die Leute einfach nicht mehr zum Testen?
02.05.20
Mama und Papa haben dann heute Morgen entschieden, dass ich mich testen lassen sollte.
Aaron soll ja am 7. Mai wieder in die Schule. Nicht, dass wir nachher das Virus verbreiten.
Jedenfalls fuhren Mama und ich zu einem Testzentrum. Als wir dort ankamen, war zum Glück kein anderer da. Auf dem Parkplatz wurden wir schon abgefangen und gefragt, wen wir testen lassen wollen. Dann erklärte uns der Herr den Weg zum Eingang. Da wiederum nahm uns eine vermummte Krankenschwester in Empfang. Wir mussten unsere Hände desinfizieren und die Krankenkassenkarte einlesen lassen. Die Krankenschwester und der Arzt hatten Schutzanzüge an und FFP3-Masken auf. Den Abstrich hat Mama aber machen müssen. Sie musste mit dem Wattestäbchen ganz tief in den Rachen hinein, quasi den Würgereflex auslösen. Voll eklig. Beim Rausgehen sagte die Krankenschwester dann, das Ergebnis kommt am 05.05. und bis dahin müssten wir so tun, als ob ich positiv wäre.
Im Kreis Borken sind jetzt 109 Leute aktuell infiziert. Hauptsache, ich erhöhe die Zahl nicht.
03.05.20
Wir sind in Quarantäne und können nicht mal für einen Spaziergang raus. Wie ätzend ist das denn? Die Spanier, Italiener und Franzosen dürfen das seit Wochen schon nicht mehr.
Na ja, heute habe ich echt lange mit Freunden Fortnite gespielt. Sie sind auch schon auf mein Ergebnis gespannt. Also Fieber und Halsschmerzen hatte ich den ganzen Tag schon nicht mehr.
05.05.20
Heute Morgen hat das Testzentrum angerufen: Negativ! Zum Glück! Andererseits hätte ich es gehabt, wäre ich danach ja wahrscheinlich immun und könnte mich frei bewegen.
Jetzt dürfen Mama und Papa wieder zur Arbeit und wir wieder nach draußen. Deshalb haben wir am Abend erst mal einen großen Spaziergang gemacht.
06.05.20
Ich hätte ja nie gedacht, dass ich die Schule vermisse. Aber die Lehrer erklären die Aufgaben viel besser. Mama und Papa sind da wirklich anstrengend. Und ich sehe ja auch absolut niemanden mehr. Mein kleiner Bruder kann morgen in die Schule, da sieht er zumindest seine Freunde in echt und nicht am Telefon so wie ich.
10.05.20
Wann gibt es endlich einen Impfstoff?
Wann hört das alles auf?
Wann kann ich wieder mit einem guten Gefühl rausgehen und mich mit Freunden treffen?
Wie lange soll es noch so weitergehen?
Wie lange halten wir das noch aus?
