Nimm Dein Leben in die Hand
wie die Sonne am Wegesrand!
Imran,
Du bist aktuell mein einziges Mündel. Vor nun schon vier Jahren lernte ich Dich im Kinder- und Jugendnotdienst im Rudolf-Bergander-Ring in Dresden kennen. Damals unterrichtete ich ehrenamtlich die deutsche Sprache und Kultur. Du warst 12 Jahre alt! Es war schwierig mit Dir, denn es fiel Dir sehr schwer, ohne Deine Familie klar zu kommen. Die neue Umgebung und keine wirkliche Bezugsperson, kaum Sprachkenntnisse …Danach verloren wir uns aus den Augen. Ein Sprichwort sagt, dass man sich immer zweimal im Leben trifft. Bei uns sollte das schon bald passieren und ich freute mich, welch positive Entwicklung Du inzwischen genommen hast.
Der Zufall wollte es, dass ich Deine damalige Amtsvormundin „beerben“ durfte und am 16. Februar 2018 vom Familiengericht Dresden als neuer Vormund für Dich bestellt wurde.
Du bist nach wie vor in Deiner Wohngruppe gut aufgehoben und gehst regelmäßig in die Schule, zwar noch nicht mit dem Erfolg, den Du Dir selbst sicher auch wünschst, aber Dein Weg ist das Ziel.
Nun bist Du schon ein ziemlich Großer und mit 16 Jahren ist es gut, wenn man in Deutschland so langsam weiß, wohin man auch beruflich gehen will. Und da Du schon länger gern mal mit mir an die Ostsee fahren wolltest, wie ich das mit meinen anderen Jungs schon tat, nutzte ich die Gelegenheit, Dich in einer ortsansässigen Tagespflegestation
der Diakonie für ein Praktikum unterzubringen. Ich denke, Du kannst gut mit Menschen, bist organisiert und verantwortungsvoll, und ein kräftiger Mann wird in der Pflege immer gebraucht. Eine Woche mit alten Omis und Opis! Ich hatte keine Ahnung, ob das wieder gut funktioniert. Ein anderer meiner Jungs hatte dort einen sehr guten Eindruck hinterlassen, deshalb bekamst Du da auch Deine Chance.
Ich weiß nicht, ob es das Praktikum war oder der Ostseetrip, worauf Du Dich mehr gefreut hast, aber schon eine halbe Woche vor der Fahrt wolltest Du nochmal genau wissen, was Du alles mitnehmen musst, um nichts zu vergessen. Es hat mich sehr
gefreut, jemanden dabei zu haben, der mitdenkt. Und ich wollte Dich endlich mal richtig kennenlernen.
Damit uns alleine nicht langweilig wird, lud ich meinen Mitbewohner Ali, einen jungen Arzt aus Syrien ein, mit uns zu fahren. Er wollte die Ruhe an der Ostsee nutzen, um sich auf seine Fachsprachenprüfung für Mediziner an der Sächsischen Landesärztekammer vorzubereiten.
Ich freute mich auf abwechslungsreiches, orientalisches Essen und auf kleinere Radtouren, von denen Du noch nichts wusstest.
Der Deal war, dass abwechselnd jeder mal mit dem Kochen dran ist, die Küche war unsere gemeinsame Aufgabe.
Und natürlich wolltest Du auch dieses Tagebuch schreiben, denn Du kanntest das schon von meinen anderen Jungs. Wir waren allerdings nicht nur wegen Urlaub oder einer
Bildungsreise hierher gekommen, also machten wir einen Mix aus Arbeit und Erholung.
Letztere brauchtest Du durchaus, zum einen nach der Arbeit und zum anderen nach meinen Radtouren mit Dir. Mit unseren Drahteseln erkundeten wir die Umgebung.
Das anspruchsvolle Ziel war, zusammen für jedes Kilo Deines Körpergewichtes einen Kilometer zu schaffen. Das konnten wir sogar übertreffen.“
Wir hatten eine schöne Zeit, gutes, selbst gekochtes Essen und viel frische Luft neben Deinen ersten Erfahrungen im Arbeitsleben.
Ich würde das gerne mal wiederholen. Aber wer weiß, ob die Zeiten dafür noch mal so gut sind.
Vielleicht kommt bei Dir nach dem Lesen Deines Tagebuches doch der Wunsch, das schöne Erlebnis noch einmal zu wiederholen. In der Pflegestation hattest Du jedenfalls einen sehr guten Eindruck hinterlassen, wie mir die Chefin und auch eine Stationsschwester bestätigten. Du kannst stolz auf Dich sein.
Auch darüber kann ich mich nur freuen.
Du wirst nun 17 Jahre alt und hast Dir Dein Geschenk selbst gemacht. Ich gratuliere Dir sehr herzlich und wünsche mir, dass aus Dir richtig was wird, ein Großer bist Du ja schon ;-)
Genug „gelabert“ — jetzt kommt Dein Werk.
G estern war es sehr spät als wir nach einer langen Autofahrt hier ankamen, und heute fuhren wir nach dem Frühstück zu den Wasserrettern nach
Ahrenshoop. Das Ostseewasser an den Füßen war ziemlich kalt.
SAMSTAG 18. JULI 2020
H eute hat Ali gekocht und ich habe Beeren für den Nachtisch gepflückt. Danach spielten Frau Schech und ich zwei Runden Tischtennis. Das reichte ihr wohl noch nicht, deshalb fuhren wir noch 10 km mit dem Fahrrad, um die Umgebung ein bisschen kennenzulernen und damit ich mich an das Fahrrad gewöhne.
SONNTAG 19. JULI 2020
H eute war der erste Tag von meinem Praktikum. Dort habe ich die Zimmer sauber gemacht, zwei Betten gemacht, Essen ausgeteilt und das Geschirr weggeräumt. Das ging schon am ersten Tag super und alle sind sehr nett hier.
Bei Frau Schech gab es dann Nudeln mit Tomatensoße und Käse, das war auch lecker. Nach einer kurzen Ruhepause arbeiteten wir im Garten. Natürlich fuhren wir noch 25 km mit dem Fahrrad.
Zuerst gab es Gegenwind und dann fuhren wir mit Rückenwind. Am Abend war ich dann fix und fertig.
MONTAG 20. JULI 2020
„Imran zeigte sehr großes Interesse an den Arbeits- und Zeitabläufen eines Pflege dienstes … In kürzester Zeit konnte er zu allen anfallenden Arbeiten im Bereich Pflege und Hauswirtschaft mit eingesetzt werden.
Ein freundliches, hilfsbereites und höfliches Auftreten gegenüber den Bewohnern, Tagesgästen und Klienten sowie dem Personal war für Imran selbstverständlich. Ebenso zeichnete er sich durch ein pünkt liches, ordentliches Erscheinungsbild aus."