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Struktur der Kernkräfte

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(1)

Kapitel 4.4

Struktur der Kernkräfte

1

(2)

Sommersemester 2016 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 9. Vorlesung

Kernpotenzial

Anforderungen an phänomenologisches Kernpotenzial (Einteilchennäherung)

durch experimentelle Befunde

Starke anziehende Kraft mit kurzer Reichweite (1.5 fm)

Abstoßung bei kleinen Abständen 
 (<0.8 fm)

Absättigung der Kernkräfte:

Wechselwirkung fast nur zwischen benachbarten Nukleonen 


→ fast konstante Bindungsenergie Starke Spin-Bahn-Kopplung 


→ magische Zahlen Quadrupolmomente 


→ kein reines Zentralpotenzial

2

286 8. Kernkr¨afte

aus dem f¨ur die erfolgreiche Beschreibung vieler Kerneigenschaften wich- tigen Einzelteilchen-Schalenmodell ist ferner die starke Spin-Bahn-Kraft bekannt.

Bereits 1935 schlug Hideki Yukawa ein Kernpotential vor, mit dem die be- kannten Ph¨anomene der Kernphysik beschrieben werden sollten (vgl. Kasten 8.1). Dieses Potential

V0(r) = g2er/λ

r (8.7)

mit der Kopplungskonstanten g erlaubt es, die kurze Reichweite der Kern- kr¨afte zu beschreiben. Die Gr¨oße λ im Exponenten wird mit der Compton- Wellenl¨ange des Pions gleichgesetzt, worauf die Vorstellung beruht, daß die Kernkr¨afte durch den Austausch von Pionen wirken. Die Pionen haben einen ganzzahligen Spin, womit sie als Feldquanten des Kernkraftfeldes verstanden werden k¨onnen, in Analogie zum Photon, das als Feldquant des elektroma- gnetischen Feldes wirkt.

Im Bereich oberhalb 1.2 fm ist der Pionenaustausch f¨ur die Wechselwir- kung als Ein-Pionen-Austausch verantwortlich. Im Bereich 0.6 r 1.3 fm wird die anziehende Wirkung durch den Austausch mehrerer skalarer Meso- nen (Pionen, η-Mesonen) beschrieben, w¨ahrend der innere, harte, abstoßende Kern (hard core) durch den Austausch von Vektor-Mesonen (ϱ-Mesonen, ω- Mesonen) beschrieben wird. In Bild 8.3 sind die einzelnen Anteile separat aufgef¨uhrt.

Bild 8.3. Potentiale zur Beschreibung der Kernkraft f¨ur einen 1S0-Zustand Kernpotenzial für 1S0-Zustand

Bethge, Walter, Wiedemann

(3)

Sommersemester 2016 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 9. Vorlesung

Parametrisierung Kernpotenzial

Allgemeiner phänomenologischer Ansatz für Kernkräfte

Zentralkraft (Deuteron: 96% 3S1-Zustand)

Spinabhängige Zentralkraft (Spin-Spin-Wechselwirkung) Spin-Bahn-Kopplung (vgl. Schalenmodell)

Nichtzentrale Tensorkraft (Deuteron: 4% 3D1-Zustand)

Potenzial zwischen zwei Nukleonen mit relativem Abstand r,

relativem Impuls p, Spins s

1

und s

2

, Bahndrehimpuls L = L

1

+ L

2

:

3

(+ weitere Terme aus Symmetriegründen → vernachlässigbar)

Spin-Spin Spin-Bahn Tensor V(r) =V0(r)

+ Vss(r)s1 · s2

~2

+ VLs(r)(s1 + s2) L

~2 + VT(r)

✓3(s1 · r)(s2 · r) r2~2

s1 · s2

~2

(4)

Sommersemester 2016 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 9. Vorlesung

Yukawa-Potenzial

Ansatz für Kernpotenzial (Yukawa, 1935): 


abgeschirmtes Coulombpotenzial



 


Interpretation: begrenzte Reichweite λ durch Austausch massiver skalarer virtueller Teilchen → Vorhersage von „Mesonen”

Reichweite = reduzierte Compton-Wellenlänge des Mesons






Vorhersage des Pions: Reichweite λ ≈ 1.5 fm → mMeson ≈ 130 MeV/c2

1947: Entdeckung des geladenen Pions in kosmischer Strahlung, 
 heute experimentell: m(π±) = 139.57018 (35) MeV/c2

4

H. Yukawa www.nobelprize.org

V0(r) = g2 exp[ r/ ] r

= ~

mMesonc

(5)

Sommersemester 2016 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 9. Vorlesung

Mesonenaustausch

Austausch einzelner Pionen:

Anziehende Wechselwirkung

zwischen Nukleonen für Abstände

> 1–2 fm

Tensorkraft (→ später)

Genauere Modellierung der Kernkräfte: weitere Prozesse benötigt

Austausch von ≥1 skalaren Mesonen (π, η, f0 = σ):

Anziehung bei mittleren Abständen

Austausch von Vektormesonen (ρ, ω): Abstoßung bei kleinen Abständen

5

Feynman-Diagramm Pionenaustausch

p n

p n

π

www.scholarpedia.org

(6)

Sommersemester 2016 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 9. Vorlesung

Mesonenaustausch

Pionenaustausch und Tensorkraft

Erklärung des Quadrupolmoments im Deuteron durch Kraft abhängig von Orientierung der

Spins relativ zu Verbindungslinie der Nukleonen Beschreibung: Tensorkraft mit Potential


Pionenaustausch auf Quarkebene

6

p n

p n

π

Ebene der Mesonen

V ⇠ 3(s1 · r)(s2 · r)

|r|2 s1 · s2

nach physics.aps.org anziehend abstoßend

Tensorkraft

r

r s1

s2

s1 s2

n

n

p Ebene der Quarks

d u u p

u d u d

d u

d u d π+ = ud

(7)

Sommersemester 2016 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 9. Vorlesung

Abstoßung im Quarkmodell

Abstoßung bei kleinen Abständen: Spin-Spin-Wechselwirkung der Quarks

Kleine Abstände zwischen zwei Nukleonen: Wellenfunktionen der sechs Quarks überlappen

Drehimpuls ℓ = 0 für alle Quarks: Energieerhöhung durch parallel

ausgerichtete Spins oder durch Drehimpulsänderung für ≥2 Quarks

Fazit: Mesonenaustausch

Mesonenaustausch: gutes Modell aber keine vollständige Theorie der Wechselwirkung zwischen Nukleonen

Sehr erfolgreich bis in 1980er Jahre

Neuere theoretische Entwicklungen: effektive Feldtheorie (chirale Störungstheorie) und Gittereichtheorie (engl.: lattice gauge theory)

7

(8)

Sommersemester 2016 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 9. Vorlesung

Kurze Zusammenfassung

Kern = komplexes Vielteilchensystem

Starke Kraft = Restwechselwirkung der QCD

Reichhaltige Struktur der Kernkräfte: abstoßende und anziehende Kräfte, Richtungsabhängigkeit, Korrelationen zwischen ≥2 Teilchen, kollektive

Kernanregungen, Halo-Kerne, …

Bis heute keine vollständige Theorie der Kernkräfte → Modelle

Modellierung der Kernkräfte:

Phänomenologische Parametrisierung des Kernpotenzials: Zentralkraft, Spin-Spin- und Spin-Bahn-Kopplung, Tensorkraft

Modell für Beiträge zum Kernpotenzial: Austausch eines oder mehrerer virtueller Mesonen

8

(9)

Kapitel 5

Instabile Kerne

9

(10)

Sommersemester 2017 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 10. Vorlesung

Überblick

Nur sehr wenige stabile Kerne, alle anderen zerfallen spontan (vgl. Nuklidkarte), wichtigste Mechanismen:

Überschuss an Neutronen: β-Zerfall (n → p + e + νe) Überschuss an Protonen: β+-Zerfall (p → n + e+ + νe) Schwerer Kern mit genug Energie zur Bildung von zwei Tochterkernen, einer davon meist Heliumkern: α-Zerfall

Angeregte Kernzustände: Zerfall unter Emission von Gammastrahlung

Sehr schwere Kerne: (induzierte) Kernspaltung

10

Farbcode:

stabil

β-Zerfall β+-Zerfall α-Zerfall

N Z

(11)

Sommersemester 2017 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 10. Vorlesung

Reaktionen in Nuklidkarte

Radioaktive Zerfälle:

β-Zerfall:

β+-Zerfall:

α-Zerfall:

Weitere Prozesse:

Elektroneneinfang (engl.: electron capture, EC):


Gammastrahlung:

Weitere Kernreaktionen, z. B. Beispiel (n,p)- Prozess:

11

Cepheiden, Radioaktive_Zerfallsarten_in_der_Nuklidkarte.svg, CC BY-SA 3.0

N Z

Mutter- nuklid

α

β

n

p β

ε

+

AZ X ! AZ 42Y + 42He ( N = Z = 2)

AZ X ! AZ 1Y + e+ + ⌫e ( N = +1, Z = 1)

AZX ! AZ+1Y + e + ⌫e ( N = 1, Z = +1)

AZX ! AZ X +

Kurzschreibweise: Ausgangskern (Projektil, Ejektil) Endkern

AZX + e ! AZ 1Y + ⌫e

14N + n ! 14C + p

14N(n, p)14C

(12)

Kapitel 5.1

Zerfallsgesetz

12

(13)

Sommersemester 2017 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 10. Vorlesung

Zerfallsgesetz und Aktivität

Betrachte Ensemble von N instabilen Kernen:

Zerfallsrate proportional zu Zahl der Kerne


Lösung der Differenzialgleichung: Zerfallsgesetz

Aktivität A des Ensembles:

Zeitabhängigkeit der Aktivität:

SI-Einheit Becquerel, 1 Bq = 1/s (ein radioaktiver Zerfall pro Sekunde) Manchmal noch alte Einheit Curie, 1 Ci = 3.7 GBq, angelehnt an Aktivität von 1 g 226Ra

Typische Größenordnungen von Aktivitäten:

13

N(t) = N0 exp[ t]

A(t) = N0 exp[ t]

Menschlicher Körper kBq

Radioaktive Quelle im Praktikum MBq

60Co-Quelle zur Sterilisation von Lebensmitteln PBq dN(t)

dt = N(t) ⌘ A(t)

(14)

Sommersemester 2017 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 10. Vorlesung

Lebensdauer und Breite

Charakteristisches Zeitintervall: mittlere Lebensdauer 𝞃 



 


Nach t = 𝜏: nur noch 1/e = 36.8% der Kerne vorhanden Typische Werte von Lebensdauern:






Unschärferelation: instabile Zustände mit mittlerer Lebensdauer 𝜏 


→ charakteristische Breite Γ der Energieverteilung


14

⌧ = 1 N0

Z1

0

t A(t) dt = · · · = 1

Zerfall Top-Quark (t → Wb) 5·10–25 s

Betazerfall Tritium 17.7 a

Alphazerfall natürliches Uran (238U) 6.4·109 a Zerfall des Protons >2·1029 a

= ~

(15)

Sommersemester 2017 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 10. Vorlesung

Halbwertszeit

Alternatives charakteristisches Zeitintervall: Halbwertszeit t

1/2

Nach t = t1/2: nur noch 50% der Kerne vorhanden

15

N(t1/2) = 1

2N0 ! t1/2 = ln 2

= ⌧ · ln 2 ⇡ 0.693 · ⌧

0 0.5 1 1.5 2 2.5 3

0 0.2 0.4 0.6 0.8 1

Exp

N/N0

t (s)

t1/2 τ

(16)

Sommersemester 2017 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 10. Vorlesung

Zerfallsbreite

Zerfallsbreite = Energieunschärfe eines instabilen Teilchenzustands („Resonanz”)

Beispiel Z-Boson:

Zerfallsbreite: Γ = 2.4952(23) GeV Lebensdauer: 𝜏 ≈ 2.6·10–25 s

Beschreibung mit Breit-Wigner- Verteilung (vgl. Rechnernutzung)



 


Γ entspricht voller Breite bei halber Höhe (full width at half maximum, FWHM)

16

f(E; E0, ) = 1

/2

(E E0)2 + ( /2)2

Ecm [GeV] σ had[nb]

σ from fit QED corrected

measurements (error bars increased by factor 10)

ALEPH DELPHI L3

OPAL

σ0

ΓZ

MZ

10 20 30 40

86 88 90 92 94

Phys. Rep. 427 (2006) 257

Breite der Z-Resonanz

(17)

Sommersemester 2017 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 10. Vorlesung

Zerfälle mit Verzweigung

Gleichzeitige (konkurrierende) Zerfälle in unterschiedliche Zerfallskanäle, z. B.

212Bi: β-Zerfall in 212Po (64%) und α-Zerfall in 208Tl (36%) π+: schwache Zerfälle in µ+ νµ (99.99%) und e+ νe (0.01%)

Zerfallsgesetz für Zerfälle mit Verzweigung:



 


Totale Breite Γtot: Summe der Partialbreiten Γi = ħλi


Verzweigungsverhältnis Bi (engl.: branching fraction, branching ratio):

Anteil der Partialbreite für einen Zerfall an der totalen Breite 


17

tot = ~

⌧ = ~ tot = X

(~ i) = X

i

dN(t)

dt = X

iN(t) ! N(t) = N0 exp h X

iti

⌘ N0 exp [ tott]

Bi = i

tot

(18)

Sommersemester 2017 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 10. Vorlesung

Weitere Strahlungseinheiten

Energiedosis D = deponierte Energie pro Masse

SI-Einheit Gray, 1 Gy = 1 J/kg (alte Einheit: 1 rad = 0.01 Gy)

Äquivalentdosis H: gewichtete Energiedosis

SI-Einheit Sievert, 1 Sv = 1 J/kg (alte Einheit: 1 rem = 0.01 Sv) wR: Strahlungswichtungsfaktor (früher: Qualitätsfaktor)


→ Berücksichtigung von Strahlungsart, Energiebereich, zeitlicher Verteilung

18

H = w

R

· D

2. Einheiten des Strahlenschutzes 9

Tabelle 2.1

Strahlungs-Wichtungsfaktoren wR6

Strahlenart und Energiebereich Strahlungs- Wichtungsfaktor wR

Photonen, alle Energien 1

Elektronen und Myonen7, alle Energien 1

Neutronen En < 10 keV 5

10 keV En 100 keV 10

100 keV < En 2 MeV 20

2 MeV < En 20 MeV 10

En > 20 MeV 5

Protonen, außer Rückstoßprotonen, E > 2 MeV 5 α-Teilchen, Spaltfragmente, schwere Kerne 20

Abb. 2.1

Spuren von α-Teilchen und Elektronen in einer

Diffusionsnebelkammer, die

normaler Raumluft ausgesetzt war.

Die unterschiedliche Länge und Breite der α-Teilchen-Spuren (linkes Bild) kommt durch Projektionseffekte zustande

Gleichzeitig wird die schwach ionisierende Wirkung von Zerfalls- elektronen sichtbar, deren Spuren in der Nebelkammer durch Viel- fachstreuung sehr stark gekrümmt sind (rechtes Bild).

Neben diesen Einheiten findet noch eine Größe für die Men-

ge der erzeugten Ladung Verwendung, das Röntgen (R). Ein Rönt- Röntgen

gen ist diejenige Strahlendosis an Röntgen- oder γ-Strahlung, die in 1 cm3 Luft (bei Normalbedingungen) je eine elektrostatische La- dungseinheit an Elektronen und Ionen freisetzt.

Wenn man die Einheit Röntgen durch eine Ionendosis I in Cou- Ionendosis

lomb/kg ausdrückt, erhält man

1 R = 2,58 × 104 C/kg . (2.21) Das Gewebeäquivalent des Röntgens ergibt sich zu

1 R = 0,88 rad = 8,8 mGy . (2.22)

6 Der energieabhängige Strahlungs-Wichtungsfaktor für Neutronen kann durch die Funktion wR = 5 + 17 e16(ln(2En))2 approximiert werden, wobei die Neutronenenergie En in MeV gemessen wird.

7 Myonen sind kurzlebige Elementarteilchen, die hauptsächlich in der kosmischen Strahlung gebildet werden (s. Kap. 11.1).

Grupen, Grundkurs Strahlenschutz,Springer 2008

(19)

Sommersemester 2017 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 10. Vorlesung

Weitere Strahlungseinheiten

Effektive Dosis H

eff

: gewichtete Äquivalentdosis

SI-Einheit Sievert

HT: Äquivalentdosis in Gewebeart T (engl.: tissue) wT: Gewebe-Wichungsfaktor














Dosisleistung: Dosis pro Zeit (in Gy/s bzw. Sv/s)

19

Heff = X

T

wT · HT

2. Einheiten des Strahlenschutzes 11

Erfolgt eine Strahlenbelastung mit einer mittleren Pro-Kopf- Äquivalentdosisleistung H (t)˙ für eine Bevölkerungsgruppe über

einen längeren Zeitraum, so definiert man die „Folgeäquivalentdosis“ Folgeäquivalentdosis

gemäß

Hf = !

H (t)˙ !t , (2.31) wobei über die relevanten Zeitintervalle !t zu summieren ist. Hängt die Dosisleistung H (t)˙ nicht von der Zeit ab, so gilt

Hf = ˙H t , (2.32)

wobei t den betrachteten Zeitraum darstellt.

Soll eine Teilkörperbestrahlung in eine Ganzkörperdosis umge- rechnet werden, so muss man die bestrahlten Organe des Körpers

mit einem Wichtungsfaktor wT bewerten. Diese effektive Äquiva- effektive Äquivalentdosis

lentdosis ist definiert als

Heff = E =

!n

T=1

wT HT , (2.33)

wobei HT die mittlere Äquivalentdosis in dem bestrahlten Organ oder Gewebe und wT der Wichtungsfaktor für das T -te Organ oder Gewebe ist.8

Für Zwecke des Strahlenschutzes wird vereinfachend definiert,

dass der Mensch dreizehn „Organe“ hat. Die Wichtungsfaktoren Wichtungsfaktor

sind auf 1 normiert ("

wi = 1). Diese Gewebe-Wichtungsfaktoren sind in Tabelle 2.2 zusammengestellt.

Tabelle 2.2

Gewebe-Wichtungsfaktoren wT

Organ oder Gewebe Gewebe-Wichtungsfaktor wT

Keimdrüsen 0,20

rotes Knochenmark 0,12

Dickdarm 0,12

Lunge 0,12

Magen 0,12

Blase 0,05

Brust 0,05

Leber 0,05

Speiseröhre 0,05

Schilddrüse 0,05

Haut 0,01

Knochenoberfläche 0,01

andere Organe oder Gewebe 0,05

8 In der Strahlenschutzverordnung von 2001 wird Heff mit E bezeichnet, um darauf hinzuweisen, dass es sich um eine effektive Dosis handelt.

Grupen, Grundkurs Strahlenschutz, Springer 2008

(20)

Sommersemester 2017 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 10. Vorlesung

Strahlenbelastung

Mittlere Strahlenbelastung in Deutschland: ca. 4 mSv/Jahr

Wichtigster natürlicher Beitrag:

Einatmen von Radonfolgeprodukten Wichtigster zivilisatorischer Beitrag:

Medizin

Berufliche Strahlenexposition:

ALARA-Prinzip („as low as reasonably achievable”)

Grenzwert für berufliche Exposition:

20 mSv/Jahr

Grenzwert für Allgemeinbevölkerung: 


1 mSv/Jahr

20

Kerntechnik

<0.1 mSv

Medizin 1.9 mSv

Terrestrische Strahlung 0.4 mSv

Kosmische Strahlung 0.3 mSv

Nahrung 0.3 mSv Radon

1.1 mSv

Datenquelle: www.bfs.de

Strahlenbelastung in Deutschland 2011

(effektive Dosis)

(21)

Sommersemester 2017 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 10. Vorlesung

Kurze Zusammenfassung

Radioaktive Zerfälle: exponentielles Zerfallsgesetz
 mit charakteristischen Größen

Nach mittlerer Lebensdauer 𝝉 = 1/λ: nur noch 1/e der Kerne vorhanden Nach Halbwertszeit t1/2 = 𝝉 ln 2: nur noch 1/2 der Kerne vorhanden

(Energie-)Breite instabiler Zustände: Γ = ħ/𝝉

Zerfälle mit Verzweigung: Verzweigungsverhältnis Bi = Γitot

Strahlungseinheiten:

Aktivität einer Quelle: A(t) = λN(t), Einheit Becquerel (1 Bq = 1/s) Energiedosis, Einheit Gray (1 Gy = 1 J/kg)

Äquivalentdosis (→ Gewichtung Energiedosis mit Strahlungsart), 
 Einheit Sievert (1 Sv = 1 J/kg)

Effektive Dosis (→ Gewichtung Äquivalentdosis mit bestrahltem Gewebe), Einheit Sievert (1 Sv = 1 J/kg)

21

N(t) = N0 exp[ t]

(22)

Kapitel 5.2

Gammastrahlung

22

(23)

Sommersemester 2017 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 10. Vorlesung

Angeregte Kerne

Gammastrahlung = Photonenemission angeregter Kerne:

≥1 monoenergetische Photonen, Energiebereich 100 keV bis 10 MeV gg-Kerne: große Anregungsenergie (Trennung gepaarter Nukleonen), alle anderen Kerne: „erreichbare” Energieniveaus (Abstand einige 100 keV) Typische Halbwertszeiten angeregter Kerne: 10–15 s bis 10–9 s


(Ausnahme Kernisomere: längere Lebensdauer, t1/2 > 10–9 s)

Gammaspektroskopie: Spektrallinien (→ Photonenenergie) und

Winkelverteilung relativ zum Kernspin (→ Quantenzahlen: Spin, Parität)

Abregung angeregter Kerne ohne Photonenemission:

Innere Konversion: Übertragung der Photonenenergie auf Hüllenelektron

→ diskretes Spektrum von Konversionselektronen mit Ekin,e = Eγ – EB,e


→ Auffüllen der Leerstelle: Röntgenübergänge, Emission Auger-Elektronen Innere e+e-Paarbildung im Kernfeld falls Q = Eγ > 2me

23

(24)

Sommersemester 2017 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 10. Vorlesung

Gammaspektrum von Uranerz

24

Wusel007, Gammaspektrum_Uranerz.jpg, CC BY-SA3.0

(25)

Sommersemester 2017 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 10. Vorlesung

Multipolarität

Klassifikation elektromagnetischer Übergänge in Kernen nach Multipolordnung (vgl. Atomphysik)

Ansatz: Multipolentwicklung der Wechselwirkung mit elektromagnetischen Feldern

Fermis Goldene Regel: Zerfallskonstante aus Matrixelement & Phasenraum


Matrixelement: elektromagnetische Wechselwirkung

Niedrigste Multipolmomente: elektrischer Dipol (E1) und magnetischer Dipol (M1) mit Zerfallskonstanten

25

= 1

⌧ = 2⇡

~ |h f|Mfi|ii|2 ⇢(Ef )

(L Drehimpuls, s Spin, g Landé-Faktor) mit µ = e

2m(L + gs) magnetisches Moment

E1 = e2

3⇡✏0~4c3 E3 |h f|r| ii|2

M1 = µ0

3⇡~4c3 E3 |h f |µ| ii|2

Wechselwirkung mit elektrischem Dipol er

⇠ e

m p · A

(26)

Sommersemester 2017 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 10. Vorlesung

Auswahlregeln

Auswahlregeln für Gammastrahlung: Paritätserhaltung und Drehimpulserhaltung in elektromagnetischer Wechselwirkung

Paritätsoperation P: Punktspiegelung am Ursprung, x → –x (→ später) Drehimpulserhaltung: Änderung des Gesamtdrehimpulses J durch

relativen Drehimpuls L und Spin s des emittierten Photons: 𝓵 = L + s Charakterisierung des Anfangs- und Endzustands: Eigenwerte des Paritätsoperators Pi,f und Gesamtdrehimpulsoperators Ji,f

Elektromagnetische Wechselwirkung: dieselbe Physik nach Paritätsoperation→ Paritätssymmetrie erhalten

Multipolentwicklung: Kugelflächenfunktionen mit definierter Parität


→ Auswahlregel aufgrund der Paritätserhaltung Multipolordnung gegeben durch Eigenwert von 𝓵 Elektrische Übergänge E𝓁: Pf Pi = (–1)𝓁

Magnetische Übergänge M𝓁: Pf Pi = (–1)(–1)𝓁 = (–1)(𝓁+1)

26

(27)

Sommersemester 2017 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 10. Vorlesung

Auswahlregeln

Austauschteilchen: einzelnes Photon

Drehimpulserhaltung (𝓵 = L + s):


Photon = masseloses Spin-1-Teilchen: 


s = 1, zwei Polarisationen ms = ±1


→ kein Multipolübergang Ji = 0 → Jf = 0

Photon kann zusätzlich relativen Drehimpuls L forttragen

Zusammenfassung: Auswahlregeln

Dipolübergänge E1, M1: ΔJ = 0, ±1

Quadrupolübergänge E2, M2: ΔJ = 0, ±1, ±2 Multipolübergänge E𝓁, M𝓁: ΔJ = 0, …, ±𝓁 Übergänge mit Ji = 0 → Jf = 0 verboten

Parität: E𝓁 → Pf Pi = (–1)𝓁, M𝓁 → Pf Pi = (–1)

27

Jf = Ji + ` ! |Jf Ji|  `  Jf + Ji

Jp = 1+

Jp = 0+

𝓁 = 1, PfPi = 1
 M1-Übergang

Beispiele (nach Bethke):

Jp = 1

Jp = 0+

𝓁 = 1, PfPi = –1
 E1-Übergang

Jp = 3/2+

Jp = 1/2+

1 ≤ 𝓁 ≤ 2, PfPi = 1
 gemischter M1-
 und E2-Übergang

(28)

Sommersemester 2017 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 10. Vorlesung

Zerfallskonstante

Gesamter Gammazerfall:

Überlagerung erlaubter Übergänge

Wichtigkeit der Übergänge über Zerfallskonstante λ

Für dieselbe Multipolordnung:

Zerfallskonstante für M𝓁 kleiner als für E𝓁 (zusätzlicher Faktor v/c), höhere

Multipolordnungen stark unterdrückt Beispiel 3+ → 1+-Übergang:


E2, M3, E4 erlaubt, E2 dominant Beispiel 110mAg: erster erlaubter Übergang 6+ → 2 (M4) 


→ metastabiles Isomer mit t1/2 = 249.8 d

Starke Energieabhängigkeit:

28

E1

E3 1016

1012 108 104 100 10-4 10-8

Wahrscheinlichkeitλ[s-1 ]

E2

E4 E5 M1

M2 M3

M4 M5

20 50 100 200 500

Gamma-Energie Eγ [keV]

nach S.A. Moszkowski, Theory of Multipole Radiation, 1965

(29)

Sommersemester 2017 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 10. Vorlesung

Mößbauer-Effekt

Kernresonanzfluoreszenz

Resonante Absorption von Photonen in Atomkern: 


Eγ = Ef – Ei = E* – E0

Zu beachten: Auswahlregeln und Kinematik

Impulsübertrag auf Kern → Photon kann nicht von freien Kernen emittiert und wieder absorbiert werden (trotz endlicher Breite der Energieniveaus)

Mößbauer (1958)

Kerne in Kristallgitter: Impulsübertrag auf gesamtes Gitter 


→ Resonanzbedingung durch langsame Bewegung des Kristalls erfüllt

Quantenmechanik: endliche Wahrscheinlichkeit, bei Stoß keine Energie auf Gitter zu übertragen (Debye-Waller-Faktor)

Anwendung: extrem genaue Frequenzmessung, z. B. Linienaufspaltung im Magnetfeld (→ lokale B-Felder)

29

www.nobelprize.org

R. Mößbauer

274 7. Kernzerf¨alle – Radioaktivit¨at

Bild 7.36. Linienverschiebungen bei Resonanzprozessen; (a) Schema der Uberg¨ange im Emitter und Absorber, (b) Emissionslinie, (c) Verschiebung¨ der Emissions- und Absorptionslinie unter Ber¨ucksichtigung des R¨uckstoßes, (d) Doppler-Verbreiterung der Emissionslinie, bedingt durch thermische Bewegung der Atome in einem Gas, (e) ¨Uberlappung der dopplerverbreiterten Emissions- und Absorptionslinie

Um die Resonanzverstimmung zu kompensieren, kann dem Kern eine Geschwindigkeit aufgepr¨agt werden. Unter Ausnutzung des Doppler-Effekts kann dadurch der ¨Uberlapp von Absorptions- und Emissionslinie vergr¨oßert werden. D.h., werden Quell- und Absorberkern relativ zueinander bewegt, kann auf diese Weise die Resonanzbedingung erf¨ullt werden, allerdings ist dieses Verfahren nur bei kleinen Anregungsenergien durchf¨uhrbar, weil die Geschwindigkeiten

v = 2ER

Eγ c (7.113)

oftmals die experimentellen Erfordernisse ¨ubersteigen.

Rudolf M¨oßbauer beobachtete die Resonanzabsorption am 191Ir, in dem ein γ- ¨Ubergang bei 129 keV, der eine Breite von 5.1 · 106 eV hat, auftritt.

Als bewegte Quelle diente ein 191Os-Pr¨aparat, das durch β-Zerfall in den an- geregten Zustand des Ir ¨ubergeht. Die R¨uckstoßenergie betr¨agt 0.047 eV und die thermische Verbreiterung bei Zimmertemperatur 0.1 eV. Der Ir-Absorber wurde auf einer Temperatur von 88 K gehalten und die Temperatur der Quelle variiert. Dabei beobachtete er mit abnehmender Temperatur eine Zu- nahme der Resonanzabsorption. Den gr¨oßten Effekt beobachtete er bei der Relativgeschwindigkeit v = 0 zwischen Quelle und Absorber.

In Analogie zur Resonanzabsorption thermischer Neutronen konnte der Effekt als r¨uckstoßfreie Absorption erkl¨art werden. Entscheidend ist hierbei, daß emittierender und absorbierender Kern jeweils in einen Festk¨orper ein- gebaut sind. Hierdurch wird der R¨uckstoß des einzelnen Kerns, der in das Gitter eingebaut ist, vom Kristall aufgenommen, d.h. die R¨uckstoßmasse ist nicht allein der absorbierende Kern, sondern der K¨orper des Kristalls. Die Bethge, Walter, Wiedemann

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Sommersemester 2017 Moderne Experimentalphysik III (4010061) – 10. Vorlesung

Kurze Zusammenfassung

Gammastrahlung durch Photonenemission angeregter Kerne

Monoenergetische Photonen, 100 keV bis einige MeV

Überlagerung von Multipolübergängen verschiedener Ordnung Auswahlregeln für Parität: 


Pf Pi = (–1)𝓁 für elektrische Übergänge E𝓁,


Pf Pi = (–1)(𝓁+1) für magnetische Übergänge M𝓁 Auswahlregeln für Drehimpuls: Jf = Ji + 𝓁 


→ |Jf – Ji| ≤ 𝓁 ≤ Jf + Ji und 0→0-Übergänge verboten

Vergleich der Zerfallskonstanten für dasselbe 𝓁: λE𝓁 > λM𝓁

Vergleich der Zerfallskonstanten für 𝓁 und 𝓁+1: λE𝓁 ≫ λE(𝓁+1), λM𝓁 ≫ λM(𝓁+1)

Anwendung: Gammaspektroskopie

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