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Schweizerische Ärztezeitung

SÄZ – BMS Bulletin des médecins suisses – Bollettino dei medici svizzeri – Gasetta dals medis svizzers

Offizielles Organ der FMH und der FMH Services www.saez.ch

45 8 . 11 . 2 017

1483 Editorial

Antibiotikaresistenzen entgegenwirken:

One-Health-Ansatz

1487 Interview mit Agnes Bäker

«Evidenz spricht für Besetzung von Führungs- positionen mit Ärzten»

1520 «Zu guter Letzt»

von Erhard Taverna Arbeit und Suizid

1484 FMH

Fortschritte in der Nephrologie: Vorteilhaft für Patienten

und Kosten

(2)

Antibiotikaresistenzen entgegen- wirken: One-Health-Ansatz

Carlos Beat Quinto

Dr. med., Mitglied des FMH-Zentralvorstandes, Departementsverantwortlicher Public Health und Gesundheitsberufe

Vom 13. bis zum 19. November 2017 findet auf Initiative der Weltgesundheitsorganisation WHO die World Anti- biotic Awareness Week statt. Auch die Schweiz beteiligt sich an diesen Aktivitäten. Die Awareness-Woche hat zum Ziel, der breiten Öffentlichkeit und Fachpersonen mehr über den umsichtigen Umgang mit Antibiotika und Antibiotikaresistenzen näherzubringen. Die Wo - che wird von den Bundesämtern für Gesundheit, Lebens mittelsicherheit und Veterinärwesen, Land- wirtschaft und Umwelt koordiniert.

Ein effizienter Umgang mit Antibiotikaresistenzen er- fordert ein breites, koordiniertes Vorgehen nach dem

«One-Health-Ansatz»: Mensch, Tier und Umwelt sind betroffen. Die FMH und verschiedene Fach- gesellschaften engagieren sich seit langem sowohl direkt als auch indirekt beispielsweise im Rahmen der Strategie Antibiotikaresistenzen StAR oder der Swiss NOSO. Es liegt im Interesse der Ärzteschaft, wei- terhin wirksame Antibiotika zur Verfügung zu haben.

Die Grundsätze im Umgang mit Medikamenten sind bekannt: Erstens dem Patienten nicht schaden. Zwei- tens sind Nutzen und Risiko einer Behandlung abzu- wägen. Generell gilt aber beim Einsatz von Medika- menten: so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich, um Polypharmazie und Überdosierungen zu vermei- den. Antibiotika allerdings müssen in der richtigen

Dosis über einen definierten Zeitraum eingenommen werden. Eine neuere Studie zeigt, dass die Antibiotika- Verschreibung im ambulanten Bereich in der Schweiz im europäischen Vergleich (Datenbasis European Sur- veillance of Antimicrobial Consumption Network ESAC-Net, 2013 bis 2015) nur einen Viertel des europäi- schen Durchschnitts ausmacht. Aus Public-Health- Sicht kann die Schweiz aber in drei Bereichen noch mehr beitragen: weniger Antibiotika in der Landwirt-

schaft, bessere Durchimpfungsrate hinsichtlich Grippe und eine tiefere Raucherprävalenz. 40 Prozent aller Grippepatienten benötigten gemäss einer deutschen Studie aufgrund bakterieller Sekundärinfekte Antibio- tika. Zudem brauchen Raucher wegen gehäufter bakte- rieller Infekte ein Mehrfaches an Antibiotika, wie eine grosse finnische Studie belegt. Auch ist Rauchen ein unabhängiger Risikofaktor, der insbesondere in Asien das Entstehen multiresistenter Tuberkulosebakterien begünstigt. In Zeiten der Globalisierung sitzen wir hin- sichtlich übertragbarer Krankheiten alle im selben Boot.

Zur Sensibilisierung der Bevölkerung wurde im Rah- men der StAR ein «Faktenblatt» in Form eines Flyers entwickelt: Patientinnen und Patienten wird dabei in einfachen Worten erklärt, wie sie sich verhalten sollen im Falle, dass sie ein Antibiotikum erhalten haben, oder weshalb sie kein Antibiotikum erhalten haben und was zu beachten ist. Im Sinne von «One Health»

findet sich in dieser Ausgabe neben einem Artikel des Departements Public Health und Gesundheitsberufe, das auch für den Heilmittelbereich verantwortlich ist, ein Artikel der Schweizerischen Gesellschaft der Tier- ärztinnen und Tierärzte. Dabei werden grundsätzliche Zusammenhänge zwischen Tierhaltung und Antibio- tika-Einsatz aufgezeigt.

Studien (vgl. www.anresis.ch) belegen, dass für die Qualität der Antibiotika-Verschreibung das Vorhan- densein eines Praxislabors entscheidend ist. Zentral sind weiter die mehrjährige klinische Ausbildung und Erfahrung, die eine gute Anamneseerhebung und kör- perliche Untersuchung erlauben. Eine gute Diagnose- stellung ist immer noch die wichtigste Voraussetzung für richtige Therapieentscheidungen, die im Gespräch mit Patientinnen und Patienten gefällt werden.

Die Antibiotika-Verschreibung im ambulanten Bereich in der Schweiz macht einen Viertel des europäischen Durchschnitts aus.

Eine gute Diagnosestellung ist immer noch die wichtigste Voraussetzung für richtige Therapie- entscheidungen im Dialog mit Patienten.

FMH Editorial 1483

(3)

Der wachsende Nutzen in der Medizin: Was erhält die Bevölkerung für die Gesundheitskosten?

Fortschritte in der Nephrologie:

Vorteilhaft für Patienten und Kosten

Pierre-Yves Martin

Nephrologische Abteilung HUG, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Nephrologie

Das seltenere Fortschreiten von Nierenerkrankungen hin zur terminalen Nierenin­

suffizienz ist ein wenig sichtbarer, aber klar vorhandener Nutzen für die Patienten, der langfristig auch Kostenvorteile bringt. Jeder Patient, bei dem ein Fortschreiten bis zur Dialyse abgewendet werden kann, geniesst eine höhere Lebensqualität – und spart Kosten von rund 250 000 Franken.

Die seit den siebziger Jahren in der Schweiz angebo­

tenen Möglichkeiten zur Dialyse und Nierentransplan­

tation ermöglichen tausenden Menschen ein Leben trotz unzureichender Nierenfunktion. Seit den siebzi­

ger Jahren ist der Einsatz dieser Nierenersatzverfahren ständig gestiegen, so dass aktuell mehr als 10 000 Menschen in der Schweiz dank dieser Behandlungen am Leben sind [1]. Die gewonnene Überlebenszeit ist oft beträchtlich: 55% der Personen zwischen 18 und 64 Jahren, die im Jahr 2004 auf ein solches Verfahren an­

gewiesen waren, lebten 10 Jahre später noch.

Frau X leidet unter einer angeborenen Nierenerkrankung, die sich im Alter von 30 Jahren in Richtung einer terminalen Insuffizienz entwickelt. Sie beginnt eine ambulante Peritone- aldialyse, die es ihr ermöglicht, in Vollzeit als Wirtschaftsprü- ferin weiterzuarbeiten. Zudem wird sie auf die Warteliste für eine Nierentransplantation gesetzt. Ihr Ehemann möchte ihr eine Niere spenden, weist aber eine andere Blutgruppe auf.

Nach zwei Jahren Peritonealdialyse ist die Patientin zuneh- mend müde und kann nur noch unter Mühen weiterarbeiten.

Das Paar entscheidet sich für eine seit einigen Jahren in der Schweiz mögliche ABO-inkompatible Transplantation (da sie ja unterschiedliche Blutgruppen aufweisen). Die Transplantation verläuft erfolgreich, und Frau X arbeitet sechs Monate nach dem Eingriff wieder Vollzeit. Zwei Jahre danach bekommen die beiden ihr erstes Kind.

Durch die Einführung der ambulanten Peritonealdia­

lyse und zuletzt der Heimhämodialyse steht inzwi­

schen eine grössere Auswahl an verbesserten Dialyse­

techniken zur Verfügung, was die Lebensqualität der Patienten deutlich verbessert. Auch bei Nierentrans­

plantationen, die bei terminaler Niereninsuffizienz die beste Option darstellen, hat der medizinische Fort­

schritt dazu geführt, dass solche Transplantationen für mehr Betroffene möglich sind und vom Körper

besser angenommen werden. Bei der Lebendspende sind grosse Fortschritte zu verzeichnen. Inzwischen sind ABO­inkompatible Nierentransplantationen mög­

lich, und ein Programm für Überkreuzspenden er ­ höht die Chance, einen passenden Spender zu finden, deutlich. Allerdings gibt es Einschränkungen. Die erste Einschränkung ist medizinischer Art: Mehr als 50%

der Patienten, bei denen es zur terminalen Nieren­

insuffizienz kommt, können – beispielsweise aufgrund kardiovaskulärer Risikofaktoren oder ihres hohen Alters – eine solche Behandlung nicht in Anspruch nehmen. Die zweite Einschränkung ergibt sich aus der

niedrigen Quote postmortaler Spenden in der Schweiz, die durch die hohe Quote an Lebendspenden, meist vom Partner oder einem anderen Familienmitglied, nur zum Teil ausgeglichen werden kann. Dies führt dazu, dass immer mehr Menschen auf der Warteliste stehen und die mittlere Wartezeit sehr lang ist (3 bis 4 Jahre). Es hat aber auch finanzielle Folgen: Schliess­

lich ist die Nierentransplantation die kostengünstigste Form der Behandlung einer terminalen Niereninsuffi­

zienz.

Dennoch nehmen auch diese Behandlungen das Ge­

sundheitssystem sehr stark in Anspruch, da Dialyse und Nierentransplantation teure Infrastrukturen er­

fordern. Da die Anzahl der Patienten und ihre Lebens­

erwartung steigen, erhöhen sich auch Jahr für Jahr die

Therapien, die ein Fortschreiten in Richtung terminaler Niereninsuffizienz verhindern können, sind das beste Mittel, um die finan­

ziellen Kosten von Niereninsuffizienzen zu verringern.

FMH Ak tuell 1484

(4)

Kosten. Aus diesem Grund steht die Behandlung der terminalen Niereninsuffizienz im Visier der Entschei­

dungsträger des Gesundheitswesens und von Sparfor­

derungen. Dies führt zu enormen Spannungen zwi­

schen den Akteuren in der Nephrologie und den Leistungsfinanzierern, da sich der Grossteil der in die­

sen Strukturen entstehenden Kosten kaum verringern lässt.

Die Herausforderung: bei mehr Patienten die terminale Niereninsuffizienz ver­

meiden

Der beste Weg, um die Lage der Patienten zu ver­

bessern und zugleich die Behandlungskosten zu senken, ist, es bei möglichst wenigen Patienten zur terminalen Niereninsuffizienz (TNI) kommen zu lassen. Da die meisten TNI­Patienten über 75 Jahre alt sind, erscheint dies bei einer alternden Bevölke­

rung schwierig. Andererseits nehmen die beiden häu­

figsten Ursachen für eine terminale Niereninsuffizienz – Typ­II­Diabetes und arterielle Hypertonie – immer weiter zu [2].

Herr Y, 65 Jahre alt, Raucher, leidet seit 20 Jahren unter Typ-II-Dia- betes und Bluthochdruck; begleitet von einer Gewichtszunahme um mehr als 20 kg. Aufgrund seiner zahlreichen beruflichen und sozialen Aktivitäten konnte er nie eine Diät verfolgen; sein Diabe- tes und sein Bluthochdruck werden nur unzureichend behandelt.

Als er eine progressive Niereninsuffizienz entwickelt, sagt man ihm eine Dialysepflichtigkeit innerhalb von drei Jahren voraus.

Nach seiner Pensionierung hat er nun seine Ernährung umge- stellt und nimmt weniger Salz und Proteine, aber mehr Gemüse zu sich. Er raucht nicht mehr und ist körperlich aktiver (3 x 1 Stunde Gehen/Woche). Dank einer medikamentösen Behandlung haben sich seine Blutdruckwerte verbessert, ebenso die Stoffwechsel- azi dose, die mit seiner Niereninsuffizienz einhergeht. Mit 67 Jah- ren hat er nun 13 kg abgenommen, der Diabetes ist besser kon- trolliert und die Niereninsuffizienz hat sich stabilisiert. Falls Herr Y in seinem Leben noch Dialyse-Patient wird, dürfte dies frühes- tens 15 Jahre später eintreten.

Indessen erleben wir seit zwei Jahrzehnten grosse Fort­

schritte im Verständnis der Pathogenese chronischer Niereninsuffizienz. Chronische Nierenerkrankungen können in unterschiedlichen Kontexten auftreten: Sie können die Folge einer akuten Nierenschädigung (akute Niereninsuffizienz unterschiedlichster Ursache) sein, die irreversibel wird. Sie können auch durch sys­

temische Autoimmun­ oder Stoffwechselerkrankun­

gen ausgelöst werden, wenn sich bei deren Behand­

lung Nierenschädigungen nicht vermeiden lassen.

Beide Situationen führen zum Verlust von Nephronen, den strukturellen und funktionalen Untereinheiten einer Niere. Dieser Verlust wiederum bewirkt eine Überlastung der noch funktionsfähigen Nephrone,

was ihre Alterung beschleunigt und eine progressive Degeneration zur Folge hat. Dadurch wird der Nephro­

nenverlust noch einmal verschlimmert. Der Prozess setzt sich bis zum totalen Funktionsverlust fort.

Das Verständnis dieses Phänomens hat zum Konzept der «Nephroprotektion» geführt, das eine Vielzahl an Massnahmen im Bereich der Medikation, der Ernäh­

rung und des Lebensstils umfasst. Eine chronische Niereninsuffizienz lässt sich immer noch nicht heilen, ihr Fortschreiten aber zumindest verlangsamen, wenn nicht gar stoppen. Dazu gibt es eine Reihe von Instru­

menten, die wir kombinieren können. Spezielle Medi­

kamente (ACE­Hemmer/Sartane) sind unverzichtbar,

und ihr Nutzen ist gut belegt [3]. Laut sämtlichen veröf­

fentlichten Studien bremsen diese Therapien die Pro­

gression der Niereninsuffizienz, wenn auch mit unter­

schiedlichem Erfolg. Auch der Verzicht auf Tabak, die Senkung der Säurebelastung durch eine Ernährung, die ärmer an Proteinen und stärker an Basen ist, wir­

ken sich positiv aus. Der frühzeitige Einsatz von Stati­

nen sorgt für kardiovaskulären Schutz. Das Aufkom­

men von SGLT2­Hemmern in der Behandlung von Typ­II­Diabetes erweist sich in der diabetischen Neph­

ropathie als vielversprechend, und die ersten Studien zeigen, dass diese das Fortschreiten der diabetischen Nephropathie bremsen [4].

Verlangsamtes Fortschreiten der Nieren­

insuffizienz dank medikamentöser Therapien

Die Beine von Herrn Z., 40 Jahre alt, schwellen innerhalb weniger Tage enorm an. Es wird eine membranöse Glomerulo nephritis in Verbindung mit Antikörpern gegen PLA2R diagnostiziert; diese Autoimmunerkrankung stellt die Hauptursache für primäre membranöse Glomerulonephritis dar. Unbehandelt beträgt das Risiko, dass sich eine terminale Niereninsuffizienz entwickelt, 50%. Die verfügbaren Therapien be inhalten hohe Dosen an Kor- tison und Endoxan. Eine solche immunsuppressive Therapie geht mit zahlreichen Nebenwirkungen einher. Die Ärzte entschei- den sich für Rituximab. Zwar ist diese Behandlung noch nicht für diese Indikation registriert; zahlreiche Studien belegen aber ihre Wirksamkeit und ihr besseres Profil an Nebenwirkungen. Sechs Monate nach der Behandlung lassen die Symptome nach. Auch nach fünf Jahren ist kein Rückfall festzustellen, die Nierenfunk- tion ist normal.

Eine der Ursachen für Niereninsuffizienzen ist Glome­

rulonephritis. Bei einem grossen Teil der hiervon be­

troffenen Patienten ist ein Fortschreiten in Richtung terminaler Niereninsuffizienz (TNI) zu verzeichnen,

Die Kosten erhöhen sich Jahr für Jahr – da die Anzahl der Patienten und ihre Lebens­

erwartung steigen.

FMH Ak tuell 1485

(5)

sodass diese Erkrankung letztlich eine der wichtigsten Ursachen für TNI darstellt. Biologische Therapien wie Rituximab oder Eculizumab, die eigentlich für nicht nephrologische Indikationen entwickelt wurden, er­

weisen sich bei der Behandlung zahlreicher Glomeru­

lonephritiden als sehr wirksam [5]. Zwar werden diese Therapien für solche Indikationen, die zumeist noch nicht registriert sind, aufgrund ihres Preises bislang nur wenig eingesetzt, sie dürften aber zu einer Verbes­

serung der renalen Prognose von Glomerulonephriti­

den führen. Dies lässt sich bereits in der Schweiz und in den USA feststellen.

Ebenso gibt es Hoffnung bei der Behandlung der poly­

zystischen Nierendegeneration. Hierbei handelt es sich um eine Erbkrankheit, die zur Bildung zahlreicher Zysten in den Nieren führt. Seit einem Jahr ist ein spe­

zielles Medikament, Tolvaptan, verfügbar [6]. Dieses Medikament bremst das Zystenwachstum und ver­

langsamt dadurch das Fortschreiten der Niereninsuffi­

zienz mit einer Wirksamkeit, die in den ersten Jahren derjenigen von ACE­Hemmern entspricht. Angesichts der Tatsache, dass sich bei 50% der Menschen, die unter dieser Erbkrankheit leiden, eine terminale Niereninsuf­

fizienz entwickelt und diese mehr als 10% der Pa tienten ausmachen, dürften in einigen Jahren, falls sich eine langfristige Wirksamkeit dieses Medikaments bestä­

tigt, entsprechende Erfolge zu verzeichnen sein.

Neben ihrem Nutzen für die Patienten bieten erfolgreiche Therapien auch wirtschaftliche Vorteile

Therapien, die ein Fortschreiten in Richtung termi­

naler Niereninsuffizienz verhindern können, bieten nicht nur den Patienten grossen Nutzen, sondern sind auch das beste Mittel, um die finanziellen Kosten von Niereninsuffizienzen zu verringern. Aus den USA kom­

men Schätzungen, wonach pro Patient, bei dem eine Dialyse verhindert werden kann, Kosten in Höhe von 250 000 US­Dollar eingespart werden [7]. In der Schweiz dürften diese Einsparungen ebenso hoch, wenn nicht noch höher sein, also bei etwa 250 000 Franken liegen. 2015 mussten 848 Personen eine Dia­

lyse beginnen. Wenn diese Zahl um 10% gesenkt wer­

den könnte, lies sen sich im Schweizer Gesundheitswe­

sen rund 21 Mil lionen Franken einsparen. Die seit kurzem erhältlichen und die in Entwicklung befindli­

chen Medikamente bieten auf jeden Fall ein solches Potenzial.

Zusammenfassung

Seit den siebziger Jahren haben sich die Dialyse­ und Transplantationstechniken eindrücklich weiterent­

wickelt und diversifiziert. Die dadurch zunehmenden und besseren Behandlungsmöglichkeiten haben die Lebenszeit und die Lebensqualität der Patienten deut­

lich erhöht. Dank dieser seither ständig zunehmenden Behandlungen sind aktuell mehr als 10 000 Menschen in der Schweiz am Leben. Allerdings beanspruchen diese Behandlungen erhebliche Ressourcen unseres Gesundheitssystems, da sie teure Infrastrukturen er­

fordern und hohe Kosten verursachen. Therapien, die ein Fortschreiten in Richtung terminaler Niereninsuf­

fizienz verhindern können, bieten nicht nur den Pa­

tienten grossen Nutzen, sondern sind auch das beste Mittel, um die finanziellen Kosten von Niereninsuffi­

zienzen zu verringern. Pro Patient, bei dem eine Dia­

lyse verhindert werden kann, können Kosten in Höhe von 250 000 Franken eingespart werden. Angesichts der Zahl betroffener Patienten bieten die seit kurzem erhältlichen und die in Entwicklung befindlichen Me­

dikamente ein grosses Potenzial zur Behandlung – und zur Kostensenkung.

Literatur

1 Pippias M, Kramer A, Noordzij M, et al. The European Renal Association – European Dialysis and Transplant Association Registry Annual Report 2014: a summary. Clin Kidney J.2017 Apr;10(2):154–69.

2 Heaf J. Current trends in European renal epidemiology.

Clin Kidney J.2017 Apr;10(2):149–53.

3 Ruiz­Hurtado G, Sarafidis P, Fernández­Alfonso MS, et al. Global cardiovascular protection in chronic kidney disease. Nat Rev Cardiol. 2016Oct;13(10):603–8.

4 Wanner C, Inzucchi SE, Lachin JM,et al. EMPA­REG OUTCOME Investigators. Empagliflozin and Progression of Kidney Disease in Type 2 Diabetes. N Engl J Med.2016 Jul 28;375(4):323–34.

5 Holdsworth SR, Gan PY, Kitching AR. Biologics for the treatment of autoimmune renal diseases. Nat Rev Nephrol. 2016 Apr;12(4):217–31.

6 Gansevoort RT, Arici M, Benzing T,et al. Recommendations for the use of tolvaptan in autosomal dominant polycystic kidney disease:

a position statement on behalf of the ERA­EDTA Working Groups on Inherited Kidney Disorders and European Renal Best Practice.

Nephrol Dial Transplant. 2016 Mar;31(3):337–48.

7 Lederer ED. America’s kidney disease epidemic merits congres­

sional attention. The Hill. Thehill.com/blogs/congress­blog/

healthcare/

Korrespondenz:

Pierre­Yves Martin, M.D.

Head of Nephrology Service Director of the Department of Medical Specialties University Hospital of  Geneva

4 rue Gabrielle­Perret­Gentil CH­1211 Genève 14 Tél.: +41 22 372 97 61 Geneva, Switzerland President of the Swiss­Soci­

ety of Nephrology 2016–2017

Eine chronische Niereninsuffizienz lässt sich immer noch nicht heilen, ihr Fortschreiten aber zumindest verlangsamen, wenn nicht gar stoppen.

FMH Ak tuell 1486

(6)

Interview mit Agnes Bäker, Assistenzprofessorin für Management von Nonprofit-Organisationen an der Universität Zürich

«Evidenz spricht für Besetzung von Führungspositionen mit Ärzten»

Interview: Bruno Kesseli

Dr. med. et lic. phil., Chefredaktor

Sind Spitäler besser, wenn Sie von Ärztinnen und Ärzten geführt werden? Zu diesem Thema forscht die an der Universität Zürich lehrende Ökonomin Agnes Bäker. Ihre Erkenntnisse fasste sie im Mai in einem spannenden Referat vor der Ärztekammer zusammen. Das folgende Interview knüpft an ihre damaligen Ausführungen an.

Frau Bäker, Sie haben mit zwei Mitautoren im vergangenen Jahr in der Harvard Business Review einen Artikel mit dem Titel «Why The Best Hospitals Are Managed by Doctors» publiziert. Wie kamen Sie dazu, sich mit diesem Thema zu beschäftigen?

Den Anstoss gab Amanda Goodall, eine Ko-Autorin des Artikels. Ich hatte Amanda zu einem Vortrag an meine damalige Universität eingeladen und sie stellte die Evi- denz zu «Expert leadership» vor – unter anderem ihre 2011 veröffentlichte Studie zur Korrelation des Ranges von U.S. Spitälern im USNWR-Ranking1 mit dem ärzt- lichen Hintergrund des CEOs. Die Frage nach der Erklä- rung, den Mechanismen hinter dieser starken Korrela- tion beschäftigte mich sofort. Und seitdem versuchen wir dies – zunächst theoretisch, inzwischen auch em- pirisch – zu ergründen.

Die Titelaussage impliziert zunächst, dass die besten Spitäler von Ärztinnen oder Ärzten geführt werden.

Aufgrund welcher Datenbasis lässt sich eine solche Aussage machen?

Diese Aussage, die ja zunächst nur eine Korrelation be- inhaltet, lässt sich inzwischen an einer Reihe von Daten sätzen zeigen. Amanda betrachtete die Top-100 U.S. Spitäler nach dem USNWR-Ranking von 2009. Eine eben veröffentlichte Studie von Tasi, Keswani und Bozic (2017) nutzt das USNWR-Ranking von 2015 und zeigt den Zusammenhang für die grössten 115 Spitäler

in den USA, von denen 34 von Ärztinnen oder Ärzten geleitet wurden. Allerdings finden die Autoren keine Unterschiede in ökonomischen Kennzahlen, nur in Qualitätsmassen für die Spitalleistung. Eine Studie von Kuntz und Scholtes aus dem Jahr 2013 ergibt, dass die Anzahl der Ärztinnen und Ärzte pro Patient und der Pflegekräfte pro Patient grösser ist in Krankenhäusern mit einem ärztlichen CEO in Vollzeit als in Teilzeit. Für Spitäler in England können Veronesi, Kirkpatrick und Vallascas (2013) zeigen, dass die Leistung der Spitäler grösser ist, wenn der Anteil der Ärztinnen und Ärzte im Aufsichtsrat grösser ist. In einem Überblicksartikel fassen Sarto und Veronesi (2016) zusammen, dass die Evidenz für die Besetzung von Führungspositionen in Spitälern mit Ärzten spricht.

1 U.S. News & World Report’s rankings: Der U.S.

News & World Report ist ein amerikanisches Nachrichtenmagazin, das einflussreiche Rankings von Institutionen im Bildungs- und Gesundheitsbereich, aber auch auf weiteren Gebieten, publiziert.

Zur Person

Prof. Dr. rer. pol. Agnes Bäker, geb. 1982, ist seit März 2016 Assis- tenzprofessorin (tenure track) für Management von Nonprofit-Or- ganisationen an der Universität Zürich. Sie lehrt im CAS «Medical Leadership» des Instituts für Be- triebswirtschaftslehre und im CAS

«Aortic Valve Structural Interventions» des Universitäts spitals Zürich – zwei Programme, die sich speziell an Ärztinnen und Ärzte wenden und unter anderem der Vermittlung von Manage- mentwissen und Führungsfähigkeiten widmen.

Warum sind die besten Spitäler von Ärztinnen oder Ärzten geführt? Dies haben Sie sich sicher auch schon gefragt.

Mehr darüber erfahren Sie von der Forscherin aus Zürich in diesem lesenswerten Interview.

Dr. med. Jürg Schlup, Präsident der FMH

FMH Ak tuell 1487

(7)

Agnes Bäker forscht und publiziert zum Thema, wie Ärztinnen und Ärzte im Top- Management sich auf die Performance von Spitälern auswirken.

Wenn von «den besten Spitälern» die Rede ist:

An welchen Kriterien werden diese gemessen?

Das ist je nach Studie unterschiedlich. Die Studien von Amanda und von Tasi und Koautoren messen Spital- qualität über das USNWR-Ranking. Tasi und Ko autoren ziehen ausserdem noch die Bettenbelegung heran.

Für den Gewinn und die Gewinnspanne finden sie hingegen keine signifikanten Unterschiede. Die Studie von Kuntz und Scholtes betrachtet das Verhältnis aus Ärzten und Patienten. Gerade die Tat sache, dass der Befund anscheinend nicht von der Wahl des Masses für die Spitalleistung abhängt, macht diesen für mich umso stärker. Gleichzeitig muss man auch sehen, dass nicht in allen Studien für alle Leistungsmasse ein statistisch signifikanter Unter- schied gefunden wird.

Der Zusammenhang zwischen Ärzten an der Spitze und besserer Spitalperformance lässt sich offenbar statistisch nachweisen. Gibt es Indizien für einen kausalen Zusammenhang oder könnte es sich genauso gut um eine zufällige Assoziation handeln?

An Zufall glaube ich in diesem Zusammenhang nicht, dafür sind die Befunde zu replizierbar. Um Kausalität nachzuweisen, müsste man jedoch ein Experiment durchführen, in dem man Spitälern randomisiert ärzt- liche und nicht-ärztliche Führungskräfte zuweist. Und auch nach langem Suchen haben wir bisher kein Spital gefunden, das damit einverstanden wäre. Was bleibt sind Langzeitstudien, in denen die Spitalleistung über die Zeit hinweg analysiert wird und mit etwaigen Wechseln an der Spitze in Verbindung gebracht wird.

Für Spitäler haben wir diese Studien noch nicht durch- geführt. Amanda hat jedoch unterstützende Evidenz auf einem verwandten Gebiet gefunden: Die Ernen- nung häufig zitierter Forscher zum Fachbereichsspre- cher an Universitäten hat einen positiven Effekt auf die langfristige Forschungsleistung des Fachbereichs.

Gibt es Erkenntnisse darüber, wie sich Management by doctors in den verschiedenen Bereichen eines Spitals auswirkt? Welche Mechanismen sind dafür verantwortlich, dass es den Patienten am Schluss besser geht?

Genau die Frage nach den Mechanismen finde ich besonders spannend. Auf mittlerer Führungsebene in Spitälern sehen wir in unserer jüngsten Studie, dass klinische Expertise mit einem anderen Führungsstil und anderen Human-Ressources-Praktiken einhergeht.

Zudem wird das Arbeitsumfeld von den unterstellten Ärztinnen und Ärzten positiver wahrgenommen. Mög- licherweise sind es also diese Praktiken des Personal- managements, die den Ausschlag geben. Aller dings denken wir, dass für die Top-Management-Ebene die

höhere Glaubwürdigkeit des CEOs, wenn diese(r) eine exzellente Ärztin oder ein exzellenter Arzt ist, eine zentrale Bedeutung hat. Dies könnte zum Beispiel dazu führen, dass Entscheidungen weniger angezweifelt werden. Bisher haben wir dafür jedoch nur anekdoti- sche Evidenz.

Wie sieht die wirtschaftliche Performance von Spitälern aus, die von Ärztinnen oder Ärzten geleitet werden?

Zumindest die Studie von Tasi, Keswani und Bozic (2017) findet keinen Unterschied – was ja letztendlich ein guter Befund ist, bedeutet es doch, dass finanzielle Erwägungen nicht im Widerspruch zu einer optimalen Patientenversorgung stehen.

Kommen wir zurück zur Titelfrage Ihres Artikels:

Worauf ist es zurückzuführen, dass von Ärztinnen und Ärzte geführte Spitäler besser sind als solche ohne Ärzte an des Spitze des Managements?

Abschliessend können wir das (noch) nicht beantwor- ten, da sich nicht alle unserer theoretischen Mechanis- men gut erfassen lassen. Beispielsweise ist es schwer, die Glaubwürdigkeit der Führungskraft zu messen oder den genauen Zusammenhang zwischen der klini-

«An Zufall glaube ich in diesem Zusammen- hang nicht, dafür sind die Befunde

zu  replizierbar.»

«Was wir zeigen können, ist, dass Ärzte mit klinisch exzellenten Führungskräften zufriedener mit den Führungspraktiken und dem Arbeitsumfeld sind.»

FMH Ak tuell 1488

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schen Expertise einer Führungskraft und der Qualität der neueingestellten Ärzte zu ergründen. Homophilie könnte dazu führen, dass klinische Experten andere klinische Experten einstellen – aber für diese Analyse bräuchte man Informationen über die Qualität aller Bewerber beziehungsweise Kandidaten. Was wir zei- gen können, ist, dass Ärzte mit klinisch exzellenten Führungskräften zufriedener mit den Führungsprakti- ken und dem Arbeitsumfeld sind. Sie fühlen sich zum Beispiel sicherer vor Mobbing oder Diskriminierung.

Über das Arbeitsumfeld wird dann auch die Leistung der Ärztinnen und Ärzte beeinflusst, und damit die Spitalleistung. Was uns somit noch fehlt, ist die Ver- bindung zwischen den Ärzten an der Spitze und den klinischen Experten auf mittlerer Führungsebene.

Hier gehen wir davon aus, dass Praktiken von oben nach unten weitergegeben werden und auch eine gewisse Selektion und Passung vorliegt, da obere Hier- archieebenen für die Besetzung von unterstellten Posi- tionen verantwortlich sind.

Sind die im Artikel vorgestellten Erkenntnisse zur Expert Leadership ärztespezifisch oder lassen sie sich verallgemeinern?

Bei der Verallgemeinerung auf andere Kontexte muss man natürlich immer vorsichtig sein. Allerdings gibt es inzwischen unterstützende Evidenz für Expert Lea- dership aus einer Reihe von anderen Kontexten wie Universitäten, Basketball, Formel 1 und sogar bran- chenübergreifende Befunde aus grossangelegten Arbeitnehmerbefragungen. Von daher würde ich sagen: Ja, die Erkenntnis, dass Experten im Kernge- schäft ceteris paribus die besseren Führungskräfte sind, gilt allgemein. Was die Mechanismen anbelangt, so finden wir vergleichbare Befunde auch in Universi- täten, was immerhin ein Zeichen für die Verallgemein- erbarkeit ist.

Welche weiteren interessanten Befunde im Zusam- menhang mit der untersuchten Fragestellung würden Sie hervorheben?

Ich denke es ist wichtig zu erwähnen, dass natürlich nicht jeder Arzt oder jede Ärztin eine exzellente Füh- rungskraft ist. Management- und Führungsfähigkeiten werden entsprechend in unserem theoretischen Mo- dell berücksichtigt, aber erst mit unserer jüngsten Be- fragung von Klinikern können wir nun tatsächlich

auch zeigen, dass die administrative Expertise der ärztlichen Führungskräfte eine entscheidende Rolle für die Arbeitszufriedenheit spielt.

Aus Ihren Ergebnissen liesse sich der Schluss ziehen, dass Spitäler Ärztinnen und Ärzte als CEOs anstellen müssen, um erfolgreicher zu werden. Ist eine solche Schlussfolgerung zulässig?

Amanda und ihre Koautoren zeigen, dass sich die Forschungsleistung von universitären Fachbereichen verbessert, wenn man einen vielzitierten Forscher anstellt. Verallgemeinert man diesen Befund, dann könnte es auch für Spitäler sinnvoll sein, ärztliche CEOs einzustellen. Aber bisher haben wir, wie beschrie- ben, keine auch nur annähernd kausale Evidenz für Spitäler. Ausserdem stört mich an der Aussage, dass sie impliziert, nur wenn man einen ärztlichen CEO ein- stellte, könne die Spitalleistung besser werden. Dem ist natürlich nicht so.

Lassen sich aus Ihren Erkenntnissen weitere Empfeh- lungen für die Praxis ableiten?

Dass es wichtig ist, Ärztinnen und Ärzte für Führungs- aufgaben zu schulen und nicht nur für die klinische Tätigkeit. Gleichzeitig wird man auch das Thema ange- hen müssen, dass Ärztinnen und Ärzte nicht um ihre Identität als Mediziner/-in fürchten müssen, wenn sie ihre Führungstätigkeit ernst nehmen und Führungs- positionen – bis zur Position des CEOs – übernehmen.

Welche Fragen zum behandelten Themenkreis sollten in weiteren Studien vertieft untersucht werden?

Haben Sie selbst diesbezügliche Projekte?

Meine beiden Koautoren und ich sind in verschiedene angewandte Projekte involviert, im Rahmen derer wir Management- und Leadership-Programme für Ärztin- nen und Ärzte aufsetzen – und diese auch wissen- schaftlich evaluieren. Gleichzeitig haben wir mehrere Forschungsprojekte, die sich dem «Why» in unserem Artikel näher widmen. Und auch das Thema der Iden- tität als Arzt oder Manager und wie man Ärztinnen und Ärzte davon überzeugen kann, CEO-Positionen zu  übernehmen, wird in einem zukünftigen Projekt untersucht werden.

Bildnachweis:

Porträtfoto Universität Zürich.

Foto Agnes Bäker im Gespräch: © Sabine Biedermann.

«Von daher würde ich sagen: Ja, die Erkenntnis, dass Experten im Kerngeschäft ceteris paribus die besseren Führungskräfte sind, gilt

allgemein.»

«Ich denke es ist wichtig zu erwähnen, dass natürlich nicht jeder Arzt oder jede Ärztin eine exzellente Führungskraft ist.»

bkesseli[at]emh.ch

FMH Ak tuell 1489

(9)

Aktualisierte Safer-Sex-Regeln und ein individueller Safer-Sex-Check

Daniel Kocha, Karoline Aebi-Poppb, Alexandra Calmyc, Jan Fehrd

a Dr. med. MPH; b Dr. med., MSc; c Dr. med., PD; d Prof. Dr. med.

Wenn es um Sexualität geht, sind die Safer-Sex-Regeln Thema vieler Beratungsge- spräche. Nach 30 Jahren HIV-Prävention war es für das Bundesamt für Gesundheit (BAG) Zeit, die Hauptbotschaften zu überprüfen und zu aktualisieren. Ergebnis ist:

Das Kondom bleibt die wichtigste Regel. Die anderen Regeln sind präzisiert und neu in einen Safer-Sex-Check integriert. Der Check ermittelt mit ein paar wenigen Fragen persönlich abgestimmte Empfehlungen. Er weist beispielsweise darauf hin, dass man sich beim Oralsex mit einer sexuell übertragbaren Infektion anstecken kann – auch ohne Sperma oder Blut in den Mund zu nehmen. Nicht neu, aber wei- terhin wichtig, sind bei der Diagnose einer sexuell übertragbaren Infektion (STI) die Partnerinformation und die Partnerbehandlung.

Seit der Integration im Jahr 2011 von anderen STI ( Syphilis, Gonorrhoe, Chlamydien, virale Hepatitis) ins Nationale HIV-Programm ist Safer Sex nicht mehr nur HIV-Prävention, sondern auch Prävention von anderen sexuell übertragbaren Infektionen. Deshalb sind die Botschaften, was Sex sicherer macht, in den letzten Jah-

ren komplexer geworden. Und im Bereich HIV haben neue Erkenntnisse gezeigt, dass es unter gewissen Vor- aussetzungen zusätzliche Möglichkeiten gibt, sich vor einer HIV-Infektion zu schützen (HIV-Prä-Expositions- prophylaxe) oder eine solche nach einer Risikositua- tion zu verhindern (HIV-Post-Expositionsprophylaxe).

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Knapp 10 Jahre nach dem «Swiss-Statement» [1] kann bestätigt werden, dass wer dank erfolgreicher HIV-The- rapie keine nachweisbare Viruslast mehr aufweist, se- xuell niemanden mit dem HI-Virus ansteckt.

Gemeinsam mit Vertreterinnern und Vertretern der Aids-Hilfe Schweiz (AHS), Sexuelle Gesundheit Schweiz (SGCH) und der Eidgenössischen Kommission für se- xuelle Gesundheit (EKSG) ist das Bundesamt für Ge- sundheit (BAG) zum Schluss gekommen, dass es nebst der zentralen Hauptbotschaft – dem Kondomgebrauch – zielführend ist, einen personalisierten Ansatz zu wählen.

Safer-Sex-Regeln: was war – was ist neu

Bisher galten drei Safer-Sex-Regeln:

1. Eindringender Geschlechtsverkehr – immer mit Kondom (oder Femidom).

2. Kein Sperma und kein Menstruationsblut in den Mund nehmen.

3. Bei Grippesymptomen nach ungeschütztem Sex sowie bei Juckreiz, Brennen, Ausfluss oder ande- ren Beschwerden im Genitalbereich sofort zum Arzt, zur Ärztin.

Neu werden nur noch zwei Safer-Sex-Regeln kommu- niziert:

1. Vaginalsex und Analsex mit Kondom

2. Und weil’s jede(r) anders liebt: Mach jetzt deinen persönlichen Safer-Sex-Check auf lovelife.ch

Der individuelle online Safer-Sex-Check

Das BAG hat gemeinsam mit den erwähnten Institutio- nen und unter Einbezug weiterer Fachleute und Vertre- terinnen und Vertretern von Zielgruppen einen auf www.lovelife.ch online verfügbaren, anonymen Safer- Sex-Check entwickelt. Nach der Beantwortung weniger Fragen zum persönlichen Sexleben generiert der Check individuelle Safer-Sex-Empfehlungen. Es werden sämtliche Empfehlungen, die für den Schutz vor HIV und STI relevant sind, aufgeführt: Schutz durch Kon- dom, Schutz durch Impfungen, Informationen zu risi- koreichen Sexpraktiken, Beratungsgespräche mit einer Fachperson über HIV und andere STI und die erforder- lichen medizinischen Tests. Es wird auch über die Nichtübertragbarkeit von HIV bei einer wirksamen anti retro viralen Therapie als Element der Risikobewer- tung informiert. Die persönlichen Empfehlungen kön- nen zur Gedächtnisstütze oder als Grundlage für ein Beratungsgespräch gespeichert oder ausgedruckt wer- den. Die Empfehlungen stellen eine Momentaufnahme

dar. Wenn sich die persönliche Situation verändert, sollte der Check erneut gemacht werden.

Kondome bleiben wichtig

Kondome sind ein zuverlässiger Schutz vor HIV. Sie verringern auch das Risiko, sich mit einer anderen STI anzustecken.

Bei Oralsex Übertragung anderer STI als HIV

Die bisherige Botschaft «Sperma und Blut nicht in den Mund» vermittelt betreffend anderer STI eine falsche Sicherheit. Denn diese können auch ohne Sperma oder Blut im Mund beim Oralsex übertragen werden. Zu- dem ist die Übertragungsgefahr für HIV bei Sperma und Blut im Mund geringer als früher angenommen [2]. Neu vermittelt der Check, dass bei Oralsex die An- steckung von sexuell übertragbaren Infektionen mög- lich ist, es sich dabei aber mehrheitlich um heilbare STI handelt und es daher wichtig ist, diese früh zu erken- nen und durch eine Therapie auch eine Ansteckung weiterer Personen zu verhindern.

Nicht nur bei Symptomen, sondern auch bei wechselnden Sexualpartnern muss an STI gedacht werden.

Anstelle des Hinweises in der bisherigen dritten Regel bei Symptomen im Genitalbereich zum Arzt zu gehen, werden neu Personen mit wechselnden Sexualpart- nern darauf hingewiesen, einen Arzt, eine Ärztin zu konsultieren. Das Vorgehen, nur symptomatische Per- sonen auf STI zu testen, scheint nicht ausreichend, da es zahlreiche asymptomatische Verläufe gibt. Frauen, die Symptome im Intimbereich haben, haben oft keine STI. Und Frauen ohne Symptome können trotzdem eine STI haben. Auch Männer, die aufnehmenden Analsex praktizieren, haben häufig trotz Infektion keine Symptome [3]. Wechselnde Sexualpartner und nicht nur Symptome sind also ausschlaggebend, sich regelmässig hinsichtlich STI beraten und testen zu las- sen.

HIV-Primoinfektion erkennen ist  entscheidend

Fieber und andere grippeähnliche Symptome nach ei- ner Risikosituation können einen wichtigen Hinweis auf eine HIV-Infektion im Anfangsstadium sein (soge- nannte Primoinfektion)[4]. Es ist äusserst wichtig, dass

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eine HIV-Infektion früh erkannt wird: Während der so- genannten HIV-Primoinfektion, also Tage und Wochen nach der Ansteckung, steigt die Viruslast im Blut rasch an. Während dieser Zeit ist die betroffene Person sehr infektiös.

Keine HIV-Transmission unter wirksamer Therapie

Ein rascher Therapiebeginn ist nicht nur aus individu- almedizinischer Sicht wichtig, sondern auch aus Sicht der öffentlichen Gesundheit. Bei einer Person unter er- folgreicher HIV-Therapie steckt sich niemand mehr se- xuell an.

Die Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) und die Post-Expositionsprophylaxe (PEP)

Unter gewissen Voraussetzungen gibt es zusätzlich die Möglichkeit, sich vor einer HIV-Infektion durch eine HIV-Prä-Expositionsprophylaxe zu schützen. Die EKSG hat im Januar 2016 Richtlinien [5] hierzu publiziert.

Ebenfalls kann nach einer Risikosituation mit einer HIV-Post-Expositionsprophylaxe [6] eine Ansteckung verhindert werden.

STI-Diagnose und Partnerinformation gehören zusammen

Wird eine STI festgestellt, ist es wichtig, mit dem Pati- enten, der Patientin die Information an die Sexual- partner zu thematisieren. Den Betroffenen stehen auf www.lovelife.ch/de/hiv-co/partnerinfo/Informationen und unterstützende Hilfsmittel zur Verfügung: Sie können ihre Partner einfach und mithilfe von Textvor- lagen oder E-Mails benachrichtigen.

Informationsmaterial zum Safer-Sex- Check

Für die Bekanntmachung des Safer-Sex-Checks bei Patientinnen/Patienten und bei Klientinnen/Klienten,

beispielsweise in Arztpraxen, Fachstellen, Beratungs- stellen, Apotheken oder Drogerien, stellt die LOVE LIFE- Kampagne Promotionsmaterial zur Verfügung: ein Kleinplakat und einen Präsentationsdispenser mit Fly- ern im Kreditkartenformat. Sie können kostenlos be- stellt werden unter: www.bundespublikationen.ad- min.ch → Kampagnen → HIV- / STI-Prävention – LOVE LIFE.

Literatur

1 Pietro Vernazza, Bernard Hirschel, Enos Bernasconi, Markus Flepp, EKAF: HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirk- samer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös https://

saez.ch/de/resource/jf/journal/file/view/article/

saez.2008.13252/2008-05-089.pdf/

2 – Page-Shafer et al. 2002: Risk of HIV infection attributatble to oral sex among men who have sex with men and in the population of men who have sex with men. AIDS 16(17).

– Patel et al. 2014: Per-act HIV transmission risk estimates. AIDS 28(10):1509–1519

– Vittinghoff et al. 1999: Per-Contact Risk of Human Immunodefici- ency Transmission between Male Sexual Partners. Am J Epidemiol 150(3):306–311

– Baggaley et al. 2008: Systematic review of orogenital HIV-1 trans- mission probabilities. Int J Epidemiol 37:1255–1265

– Del Romero et al. 2002: Evaluating the risk of HIV transmission through unprotected orogenital sex. AIDS 16 (9):1276–1297 3 CID 41:67–74

4 – Der HIV-Test auf Initiative des Arztes/der Ärztin: https://www.

bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/mt/p-und-p/richtlinien- empfehlungen/pict-hiv-test-auf-initiative-des-arztes.pdf.down- load.pdf/bu-21-15-pict-hiv.pdf und

– Die HIV-Primoinfektion – Hinweise zu Diagnose und Bedeutung:

https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/mt/p-und-p/

richtlinien-empfehlungen/faktenblatt-zu-primoinfektion-2015.

pdf.download.pdf/fb-primoinfektion-hiv.pdf

5 Empfehlungen der Eidgenössischen Kommission für sexuelle Ge- sundheit (EKSG) zur HIV Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) in der Schweiz: https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/

mt/p-und-p/richtlinien-empfehlungen/prep-empfehlungen-der- eksg-januar-2016.pdf.download.pdf/bag-04-16-praevention-expo.

pdf

6 Notfall HIV-Exposition – PEP kann die richtige Antwort sein:

https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/mt/p-und-p/

richtlinien-empfehlungen/notfall-hiv-exposition-pep.pdf.down- load.pdf/bu-48-14-pep-hiv-exposition.pdf

Bildnachweis:

Kampagne LOVE LIFE Korrespondenz:

Daniel Koch, Dr. med. MPH Leiter Abteilung Eidgenössisches Departe- ment des Innern EDI Bundesamt für Gesundheit BAG

Abteilung Übertragbare Krankheiten

Schwarzenburgstrasse 157 CH-3003 Bern

Karoline Aebi-Popp, Dr. med., MSc

Fachärztin Gynäkologie und Geburtshilfe

Universitätsklinik für Infek- tiologie, Inselspital CH-3010 Bern

Gruppenpraxis Schönburg CH-3013 Bern

Dr. med., Alexandra Calmy, PD

Médecin adjointe agrégée Unité VIH/SIDA Service de maladies infectieuses

4 rue Gabrielle Perret Gentil CH-1211 Genève 14

Prof. Dr. med. Jan Fehr Departementsleiter Public Health

Institut für Epidemiologie Biostatistik und Prävention Universität Zürich Hirschengraben 84 CH-8001 Zürich und Klinik für Infektionskrank- heiten und Spitalhygiene Universitätsspital Zürich CH-8091 Zürich

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Informationssicherheit beim Cloud Computing

Thomas Kessler

Thomas Kessler studierte Physik an der ETH Zürich und ist seit mehr als 25 Jahren in der Informationssicherheit tätig. Er ist Geschäftsführer der TEMET AG in Zürich.

Cloud Computing in der (Arzt-)Praxis

Beim Cloud Computing (oder «Rechnen in der Wolke») befinden sich Informatikanwendungen oder Daten nicht mehr lokal beim Anwender, sondern zentral bei einem Cloud-Service-Anbieter. Diese Verschiebung der IT in die Cloud hat auch in der Arztpraxis längst be- gonnen und lässt sich nicht aufhalten. Das Tempo ist aber für die verschiedenen Anwendungsfälle unter- schiedlich:

– Am weitesten verbreitet ist der Datenaustausch über die Cloud. Streng genommen handelt es sich bei einem externen E-Mail-Postfach (z.B. HIN Mail, bluewin oder gmail) bereits um eine Cloud-Lösung mit mehr (oder eben weniger) Sicherheit. Leider wer- den auch Cloud-Speicher wie Dropbox oder WeTransfer für den Austausch von grossen Daten- mengen verwendet, indem der Absender die Daten zwischenspeichert und dem Empfänger die Ad- resse für den Zugriff (Hyperlink) zustellt.

– Die zeitlich unbefristete Datenablage in der Cloud ist heute in der Konsumelektronik gang und gäbe, wobei gerade das Gesundheitswesen (z.B. Fitness-Tracker) hierbei eine Vorreiterrolle spielt. Auch Hersteller von

Laborgeräten und anderen Medizinalgeräten (z.B.

für Radiologie) haben diesen Trend aufgenommen und transferieren erfasste Daten auf eigene zentrale Speicher.

– Die Datenverarbeitung in der Cloud über sogenannte Software as a Service (SaaS) Lösungen erlebt der- zeit in verschiedenen Branchen einen rasanten Auf- schwung, der auch Arztpraxen erfasst hat. Die meis- ten Hersteller führen heute eine Praxissoftware as a Service im Angebot und forcieren Cloud-basierte Archivierungssysteme. Diese Lösungen dürften sich flächendeckend durchsetzen, sobald noch beste- hende Vorbehalte bezüglich Datensicherheit und Netzwerkzuverlässigkeit ausgeräumt sind.

– Der Cloud Desktop, bei dem das Endgerät des Anwen- ders nur noch als Bildschirm für den beim Cloud- An- bieter betriebenen Arbeitsplatz dient, wäre die wohl konsequenteste Form des Cloud Computing. Ob und wann dies auch für eine Arztpraxis praktikabel wird, lässt sich derzeit allerdings kaum abschätzen.

Sicherheitsrisiken beim Cloud Computing

Grundsätzlich lassen sich drei Risikobereiche unter- scheiden:

Sicherheitsrisiken beim Cloud-Service-Anbieter: In den allermeisten Anwendungsfällen werden die Daten nicht vor dem Transfer in die Cloud ver- schlüsselt. Vertraulichkeit und Integrität der Daten müssen deshalb vom Cloud-Service-Anbieter sicher- gestellt werden, und zwar auf drei Ebenen: Erstens muss der Cloud-Service-Anbieter sicherstellen, dass seine Mitarbeitenden nur die für ihre Tätigkeit not- wendigen Zugriffsrechte erhalten (need-to-know oder least-privilege Prinzip). Zweitens muss er die Anwendungen und Datenbestände seiner Kunden so voneinander isolieren, dass sich Schwachstellen oder Fehler beim einen Kunden nicht auf andere Kunden auswirken können. Und drittens muss er dafür sorgen, dass seine Infrastruktur nicht von an- onymen Angreifern aus dem Internet korrumpiert wird. Hinzu kommen gewisse Risiken in Bezug auf die Verfügbarkeit der Daten beispielsweise bei ei- Tabelle 1: Zehn Fragen an Ihre potentiellen Cloud Service Provider

1 Werden meine Daten ausschliesslich innerhalb der Schweiz gespeichert und verarbeitet?

2 Genügt die Vertragsgestaltung den rechtlichen Anforderungen aus dem Arztgeheimnis?

3 Wie kann ich sämtliche Daten eines einzelnen Patienten konform zum Datenschutzgesetz löschen?

4 Unterstehen alle Personen mit Zugriff auf meine Daten der ärztlichen Schweigepflicht?

5 Kann ich jederzeit eine Liste aller Personen einfordern, die Zugriff auf meine Daten haben?

6 Wie wird die Datensicherheit überprüft und kann ich die Prüfberichte jederzeit einsehen?

7 Wer ist mein Ansprechpartner für Sicherheitsfragen und wie werde ich über Vorfälle informiert?

8 Wie sind meine Daten von den Daten und Anwendungen anderer Kunden isoliert?

9 Wie erhalte ich ein tägliches Backup meiner Daten, das ich auch andernorts einspielen kann?

10 Sind alle Verbindungen verschlüsselt und wie aktiviere ich eine 2-Faktor- Authentifizierung?

eHealth Aktuell

FMH eHealth 1493

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nem Ausfall des Rechenzentrums oder einem Kon- kurs des Cloud-Service-Anbieters.

– Sicherheitsrisiken bei der Netzwerkverbindung: Beim Cloud Computing kommuniziert der Anwender über ein öffentliches Netzwerk mit dem Cloud Service.

Wenn sich die Endpunkte der Kommunikation nicht gegenseitig zuverlässig authentifizieren, dann kann sich ein Dritter den Zugang auf die Daten und An- wendungen in der Cloud verschaffen. Bei einer un- verschlüsselten Kommunikationsverbindung be- steht zusätzlich das Risiko, dass die transferierten Daten auf einem dazwischenliegenden Netzwerk- knoten unbemerkt mitgelesen werden.

Sicherheitsrisiken beim Anwender: Mangelhaft ge- schützte Endgeräte oder fehlendes Sicherheitsbe- wusstsein beim Anwender können auch die Sicher- heit des Cloud Computing beeinträchtigen: Eine schädliche Verschlüsselungssoftware (Ransomware) auf dem Arbeitsplatz verschlüsselt die Daten auch dann, wenn sie auf einem Cloud-Speicher abgelegt sind. Und auch gegen ein trojanisches Pferd, das Passwörter mitliest und für den späteren Missbrauch abspeichert, sind die Betreiber von Cloud Services weitgehend machtlos.

Cloud Computing ist nicht per se sicherer oder weniger sicher als die herkömmliche lokal betriebene Informa- tik. Grundsätzlich hat der Betreiber eines Cloud Service eher bessere Voraussetzungen dafür, seine zentralen Systeme laufend zu aktualisieren und nach einem hohen Sicherheitsstandard zu betreiben. Die Vernet- zung schafft aber zusätzliche potentielle Sicherheits- schwachstellen, die kontrolliert werden müssen.

Das Management der Informationssicherheit wird aber auf jeden Fall anspruchsvoller, weil mehrere Parteien involviert sind und zusätzliche Schnittstellen bestehen.

Dies trifft insbesondere auf das Risiko eines Kollateral- schadens zu, wenn entweder der Betreiber des Cloud Service oder ein mangelhaft isolierter anderer Kunde Opfer eines Angriffs wird.

Handlungsempfehlungen

Vermeiden Sie die unbewusste Nutzung von Cloud Services

Klären Sie bei der Kommunikation mit Patientinnen, Spitälern oder anderen Leistungserbringern, auf wel- chen IT-Systemen Ihre Daten zwischenge speichert wer- den, und meiden Sie öffentliche Cloud- Speicher wie Dropbox oder WeTransfer für den Austausch von Patien- tendaten. Informieren Sie sich darüber, ob Ihre Praxis- software oder Laborgeräte Daten ungefragt in einen Cloud-Speicher kopieren.

Stellen Sie sicher, dass die Daten in der Schweiz verbleiben

Das Schweizer Strafrecht und insbesondere das ärztli- che Berufsgeheimnis nach Art. 321 StGB kann nur durchgesetzt werden, wenn sich die Daten und alle auf die Daten zugreifenden Personen in der Schweiz befin- den. Dies kann bei ausländischen Anbietern von Cloud Services kaum sichergestellt werden.

Wählen Sie Ihre Cloud-Service-Provider sorgfältig aus Als Anwender eines Cloud Service bleiben Sie für die Si- cherheit Ihrer Daten verantwortlich, auch wenn Sie keinen direkten Einfluss auf die vom Anbieter getroffe- nen Sicherheitsmassnahmen haben. Dies ist beim Ver- tragswerk angemessen zu berücksichtigen und erfor- dert ein hohes Mass an Vertrauen. Stellen Sie jedem potentiellen Anbieter die in der Tabelle 1 aufgelisteten 10 Fragen, bevor Sie sich für sein Angebot entscheiden.

Halten Sie eine Kopie Ihrer Daten als Backup

Wird die Cloud nur für den Datenaustausch verwendet, dann können Sie im Fehlerfall wieder auf das Original zurückgreifen. Bei allen anderen Anwendungsfällen kann ein Fehler beim Cloud-Service-Anbieter dazu führen, dass Ihr Praxisbetrieb nachhaltig beeinträch- tigt wird. Es ist deshalb essentiell wichtig, dass Sie lokal bei sich oder bei einem zweiten Cloud Service eine Ko- pie Ihrer Daten aufbewahren, auf die Sie nötigenfalls zurückgreifen können.

Aktivieren Sie die starke Authentifizierung beim Zugriff auf Cloud Services

Passwörter bieten keinen ausreichenden Schutz gegen Angriffe aus dem Internet, wenn es um den Zugriff auf Patientendaten geht. Verlangen Sie deshalb von Ihrem Cloud-Service- Anbieter, dass er Ihnen eine sichere und benutzerfreundliche 2-Faktor-Authentisierungslösung zur Verfügung stellt.

Nutzen Sie nur verschlüsselte Kommunikationsver- bindungen

Achten Sie darauf, dass alle Kommunikationsverbin- dungen zwischen Ihren Endgeräten und dem Cloud Service verschlüsselt sind. Dies betrifft auch die Ma- schine-zu-Maschine-Kommunikation von Laborgerä- ten und anderen medizinischen Einrichtungen.

Sichern Sie Ihre Arbeitsplätze

Auch die sicherste Cloud-Lösung kann wenig gegen eine auf dem Arbeitsplatz des Benutzers installierte Schadsoftware ausrichten. Es ist und bleibt deshalb wichtig, dass Sie Ihre lokalen Geräte sicher konfigurie- ren und stets auf dem aktuellen Stand halten.

Korrespodenz:

Thomas Kessler

Partner und Geschäftsführer TEMET AG

Basteiplatz 5 CH-8001 Zürich Tel: +41 79 508 25 43 thomas.kessler[at]temet.ch

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Antibiotikaresistenz: Tierärzte kämpfen gegen andere Tücken

Patrizia Andina

Dr. med. vet., Wiederkäuermedizin, Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte, Verantwortliche Tierarzneimittel und Tierärztliche Tätigkeiten

Der Antibiotikaverbrauch in der Tiermedizin sinkt. Weshalb ein gänzlicher Verzicht auf Antibiotika nicht möglich ist, und wo die Herausforderungen einer weiteren Reduktion liegen.

Als Ärzte für Tiere haben sich Tierärztinnen und Tier- ärzte verpflichtet Tiere zu heilen. Im Heimtierbereich kümmern sie sich um enge Begleiter des Menschen. Im Nutztierbereich sind sie verantwortlich für die Lebens- mittelsicherheit tierischer Produkte und somit für einen Teil der öffentlichen Gesundheit. In beiden Be- reichen kommen sich Tier und Mensch sehr nahe. Das spricht klar dafür, das Problem der Antibiotikaresis- tenzen gemeinsam anzugehen. Eine spezifische Pro- blematik der Nutztiermedizin besteht darin, dass es sich oft nicht um Erkrankungen bei einzelnen Tieren, sondern um ganze Gruppen handelt. Dies soll das fol- gende Beispiel aufzeigen.

Bob, das «überzählige» Kalb

Bob wurde vor 21 Tagen geboren. Er ist das männliche Kalb einer Milchkuh. Wie die meisten seiner Kollegen hat Bob nicht das Zeug zum Zuchtstier und soll deshalb gemästet werden. Wenn der Besitzer ihn in die Mast verkauft, wird er für das feine Milchkuhkalb einen ge- ringen Erlös erzielen, so dass zum Schluss ein Null- summenspiel resultiert. Aber nur, wenn Bob vorher nicht krank wurde. Denn der finanzielle Aufwand für die Fütterung, Pflege und Haltung entspricht bereits dem Verkaufspreis.

Bob hatte nachts um 2.00 Uhr das Licht der Welt er- blickt. Der Landwirt hat die Geburt überwacht. Das Kälbchen hat er aus hygienischen Gründen sofort von der Mutter entfernt und in eine saubere Box gebracht.

Danach hat er sich nochmals ins Bett gelegt. Nach dem Melken morgens um 6.00 Uhr hat er Bob das erste Mal Kolostrum gegeben.

Eine andere Plazenta

Als Wiederkäuer hat Bob von seiner Mutter diapla- zentär keine Immunglobulin G bekommen. Er muss

seinen ganzen Bedarf an diesen Antikörpern über das Kolostrum decken. Für Bob kam diese erste Kolos- trumgabe zu spät. Bob ist hypogammaglobulinämisch.

Transport und Entwöhnen von nicht immunkompetenten Tieren

Heute, im Alter von 21 Tagen, muss das Kalb den Ge- burtsbetrieb bereits verlassen. Es wird von einem Händler abgeholt und zusammen mit anderen Kälbern von anderen Betrieben in einem Lastwagen von Ort zu Ort gefahren, bis es beim Mäster ankommt. Bob wird mit 39 anderen Jungtieren in einem Raum eingestallt.

39 unbekannte Virenstämme treffen auf 39 andere Kälbchen. Einige Kälber leiden bereits an versteckten Infekten wie inneren Nabelabszessen oder Otitiden.

Der Mäster impft sie zwar gegen die gängigsten Viren- stämme, dennoch erkranken nach fünf Tagen die ers- ten Kälber so schwer, dass der Bestands-Tierarzt ent- scheidet, alle Tiere während zehn Tagen antibiotisch gegen Pneumonie zu versorgen (Metaphylaxe). Das Medikament wird über die Milch-Tränkeautomaten verabreicht. Der Tierarzt, mit dem der Mäster eine Ver- einbarung hat, hat das Medikament mit einem aus- führlichen Rezept verschrieben. Er musste dazu eine vom Bund anerkannte Weiterbildung besuchen und eine Prüfung absolvieren. Alle fünf Jahre muss er die Kenntnisse wiederauffrischen. Der Tierarzt begleitet die Behandlung beim Mäster eng und dokumentiert den Verbrauch der Antibiotika. Einzelne Tiere, die so stark erkrankt sind, dass sie zu wenig trinken, müssen separiert und parenteral behandelt werden.

Schwierige Diagnose

Das Beispiel mit Bob ist exemplarisch für den Mast- kalbbereich. Die Probleme in anderen Nutztierberei- chen sind ähnlich gelagert.

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Versuche, die Kälber ohne antibiotische Behandlung einzustallen, scheitern oft. Zur schnellen Sicherung der klinischen Diagnose hat ein Nutztierarzt kaum Möglichkeiten. Es gibt keinen Test, um bei einem Nutz- tier eine virale von einer bakteriellen Pneumonie kurzfristig zu unterscheiden (analog dem C-reaktiven Protein oder Procalcitonin). Und es gibt keine Kran- kenkasse, die sich an aufwändigeren Tests finanziell beteiligt. Rinder reagieren bei bakteriellen Pneumo- nien rasch mit Verwachsungen der Pleuren und Ab- szessen. Schnelles Reagieren des Tierarztes, oft eben mit der Verschreibung von Antibiotika, ist deshalb un- bedingt notwendig, um das Wohl der Tiere zu erhalten.

Engagement der Nutztierärzte

Die Nutztierärztinnen und Nutztierärzte in der Schweiz leisten einen grossen Effort, den Bedarf von Antibiotika in den Tierhaltungen zu reduzieren. Eine einfache Lösung gibt es nicht; verschiedenste Mass- nahmen wurden deshalb umgesetzt oder initiiert.

Einen Schwerpunkt bildet die Beratung der Tierhalter.

Es gilt, präventive Massnahmen durchzusetzen und die Haltung zu optimieren. Im Beispiel von Bob hiesse dies, dass die Kolostrumgabe und die Impfprogramme

optimiert würden. Zudem ist als weiterer Schwerpunkt sicherzustellen, dass die Diagnostik finanziell tragbar ist und der nachhaltige Nutzen für den Tierhalter auf- gezeigt werden kann. Tiergesundheitsdienste leisten schon seit mehreren Jahren wertvolle Dienste für die Tiergesundheit, indem sie als Vereinigung von Spezia- listen mit Schwerpunkt Prävention und Management den Tierhaltern und den Tierärzten Unterstützung anbieten. Ein Kälbergesundheitsdienst befindet sich derzeit im Aufbau.

In Zusammenarbeit mit dem Bund und im Rahmen der nationalen Strategie gegen Antibiotikaresistenzen (StAR) werden mit Stakeholdern weitere Massnahmen diskutiert. So hat die Tierärzteschaft Therapieleitlinien für den Nutztierbereich entwickelt. Ab 2019 sollen die Tierärztinnen und Tierärzte jeden Antibiotikaeinsatz (auch im Heimtierbereich) in einer Bundesdatenbank eingeben (Heilmittelgesetz und Verordnung IS-ABV).

Durch diese Daten soll aufgezeigt werden, wo am häufigsten mit Antibiotika behandelt wird. Dies macht es wiederum möglich, gezielt zu beraten und zu infor- mieren.

Eine Entschärfung des beschriebenen Problems könnte auch über die vermehrte Ausmast der Kälber auf dem Geburtsbetrieb erreicht werden. Die zeit- und kostenintensive Betreuung der jungen Kälber so früh wie möglich auszulagern, ist aber heute üblich und eine Folge des Kostendrucks in der Landwirtschaft.

Eine Änderung dieses Systems bedingt ein Umdenken in der Landwirtschaft, aber auch bei den Vermarktern und in der Gesellschaft. Die Preise für die entsprechen- den Produkte würden vermutlich steigen. Keine Lö- sung ist, dass «überzählige» Kälber wie Bob nach der Geburt umgehend getötet oder zur Mast ins Ausland abgeschoben werden. Wir müssen dieses Problem in der Schweiz lösen.

Eine Tieraufzucht, die ohne Antibiotikagabe auskommt, wird nicht möglich sein. Die Tierärzteschaft arbeitet je- doch intensiv daran, dass Antibiotika nur gezielt ein- gesetzt werden, nämlich wenn es zwingend erforder- lich ist, und dass Antibiotikaeinsätze weniger oft nötig sind. Die Antibiotikastatistik im Tierbereich zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Bildnachweis BLV Korrespondenz:

Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (Société des Vétérinaires Suisses)

Brückfeldstrasse 18 3012 Bern Tel. 031 307 35 35 info[at]gstsvs.ch

Antibiotikagesamtvertrieb in der Tiermedizin von 2006–2016: Es wird bis anhin nur das gesamte Gewicht aller von Pharmafirmen an Tierärzte in der Schweiz verkauften Antibiotika registriert.

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Antibiotikaresistenzen: die Rolle der Patienten im One-Health-Ansatz

Linda Hadorna, Barbara Weilb

a Wissenschaftliche Mitarbeiterin Abteilung Public Health FMH; b Leiterin Abteilung Public Health FMH

Am 3. September 1928 entdeckte Alexander Fleming Schimmelpilze auf seinen Bakterienkulturen, die eine wachstumshemmende Wirkung hatten. Dies war die Geburtsstunde des ersten modernen Antibiotikums. Die Entwicklung zählt zu den bedeutendsten Fortschritten in der Medizin. Unsachgemässer Gebrauch und über- mässiger Einsatz führen jedoch dazu, dass Bakterien gegen Antibiotika resistent werden. Die Konsequenzen betreffen Mensch, Tier, Landwirtschaft und Umwelt – was nach einem One-Health-Ansatz [1] im Umgang mit der Problematik verlangt und auch die Patienten in die Verantwortung nimmt.

Antibiotika sind heute aus der medizinischen Versor- gung von Mensch und Tier nicht mehr wegzudenken.

Sie sind zentrale Medikamente für die Behandlung von bakteriellen Infektionen. Die Kehrseite der Medaille stellen die zunehmenden Resistenzen dar. Die Schweiz ist gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft gefordert. Antibiotikaresistenzen sind ein Problem für die Gesundheitsversorgung, aber auch für Landwirt-

schaft und Umwelt. Sollen Antibiotika auch in Zukunft erfolgreich eingesetzt werden, ohne allseitig einen Bä- rendienst zu erweisen, braucht es ein gemeinsames und entschiedenes Vorgehen von allen involvierten Disziplinen. Dieser sogenannte One-Health-Ansatz wird auch im Rahmen der nationalen Strategie Anti- biotikaresistenzen Schweiz (StAR) verfolgt [2]. Diese wurde am 18. November 2015 vom Bundesrat verab- schiedet und sieht für die Schweiz Massnahmen in acht strategischen Handlungsfeldern vor. Es handelt sich dabei um die Felder Prävention, sachgemässer An- tibiotikaeinsatz, Rahmenbedingungen, Information und Bildung, Kooperation, Forschung und Entwick- lung, Überwachung sowie Resistenzbekämpfung, in welchen nun schrittweise Massnahmen umgesetzt werden.

In der breiten Öffentlichkeit wird das Thema Anti bioti- ka resistenzen im Rahmen des verfügbaren Wissens thematisiert und mehr oder weniger diskutiert. Unter- schiedliche Massnahmen sollen u.a. dazu beitragen, dass die Öffentlichkeit verstärkt darüber informiert ist, was Antibiotika sind, wie sie wirken, welche Vor- und Nachteile sie haben, wie sie anzuwenden sind und weshalb Resistenzen entstehen können. Denn Gesund- heit entsteht im Alltag und im soziokulturellen Kon- text, in dem die Menschen leben. Die interprofessio- nelle Zusammenarbeit ist ein zentrales Instrument in Bezug auf die Umsetzung des eben genannten Anlie- gens.

Der vorliegende Artikel beleuchtet die Thematik aus der Sicht Humanmedizin. Der zweite Artikel in dieser

Patienteninformationsmaterial – Bestellmöglichkeit

Die Informationsmaterialen für den Einsatz in Arztpraxen, Spitä- lern und Apotheken werden im Rahmen eines Mediengesprächs mit dem BAG, BLV, BLW und BAFU während der Antibiotika- Awareness-Woche 2017 am 10. November 2017 vorgestellt. Die Materialien können ab diesem Datum kostenlos unter www.anti- biotika-richtig-einsetzen.ch bestellt werden.

FMH Thema 1497

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