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Dies konnte in der politischen Praxis auf Dauer nur durch Unterdrückung der inneren Konflikte einer Gesellschaft zugunsten äußerer gelingen

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Wolfram Wette

Hitlerfaschismus, Kriegspropaganda und öffentliche Meinung

Es ist eines der eigentümlichsten Merkmale des europäischen Faschismus, daß er zunächst als ein bloßes Phänomen des Überbaus auftrat1. Die faschistische Ideo- logie, gerade auch die nationalsozialistische, gab sich nidit, wie die traditionelle liberale und sozialistische, als Ausdruck bestimmter Klasseninteressen zu erkennen.

Erst später enthüllte sich der Faschismus als die politische Kraft, die im Interesse des kapitalistisch strukturierten Gesamtzustandes der Gesellschaft wirkte. Die Ideologie blieb irrational in dem Sinne, daß sie gesellschaftliche Zusammenhänge nicht reflektierte, sondern mythologisierte und verdrängte. Dies konnte in der politischen Praxis auf Dauer nur durch Unterdrückung der inneren Konflikte einer Gesellschaft zugunsten äußerer gelingen. Der absolute Vorrang der national- sozialistischen aggressiven Außenpolitik liefert dafür den Beweis.

Daß der Faschismus als Massenbewegung auftrat, war eine Erscheinung, die den marxistisch orientierten Gesellschaftsanalytikern der ausgehenden zwanziger und beginnenden dreißiger Jahre besondere Schwierigkeiten bereitete, weil die ideo- logische Rechtsentwicklung von Teilen der Massen ihrer sozialen Lage wider- sprach 2. Heute sehen wir deutlicher, daß der Massencharakter der faschistischen Bewegung mit den Methoden ökonomischer Rationalität nicht zureichend zu erklären ist. Viel eher scheint die Sozialpsychologie berufen zu sein, den Zusam- menhang zwischen der weitgehend psychisch motivierten faschistischen Ideologie und den irrationalen Ängsten und Sehnsüchten vieler Menschen der Zeit auf einen Nenner zu bringen.

Die hier vorzustellenden Neuerscheinungen, die den Zeitraum vom Ende des Ersten bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges abdecken, befassen sich mit der nationalsozialistischen Ideologie, ihrer kultischen und agitatorisch-propagandi- stischen Vermittlung und schließlich mit den Auswirkungen dieser sich ständig intensivierenden Manipulation, soweit sich diese an der »Stimmung und Haltung«

der deutschen Bevölkerung ablesen lassen. Die einzelnen Spezialuntersuchungen

— unter den Autoren befinden sich Historiker und Soziologen, sowie ein Germa- nist und ein Publizistikwissenschaftler, und dementsprechend unterschiedlich sind die Forschungsansätze — sollen hier unter das Leitthema »Kriegsideologie und Kriegspropaganda« gestellt werden, was jedoch von der Sache her keine einseitige Beschränkung auf diesen schmalen Ausschnitt bedeuten kann. Die Hervorhebung dieses Komplexes erscheint gerechtfertigt durch die vom Interesse am Frieden diktierte Frage, welche psychischen und kognitiven Dispositionen die National- sozialisten in der deutschen Bevölkerung vorfanden und welche Manipulationen sie vornehmen mußten, um ihre aggressiven außenpolitischen Pläne, die den Zweiten Weltkrieg verursachten, verwirklichen zu können.

1 W. Alff: Der Begriff Faschismus und andere Aufsätze zur Zeitgeschidite. ( = Edition Suhr- kamp. 456.) Frankfurt/M. 1971, S. 20 (zit. Alff). Einen Überblick über die in- und aus- ländische Literatur zum Problem des internationalen Faschismus bietet W. Schieder: Faschismus und kein Ende? In: Neue Politische Literatur. 15 (1970) 166—187.

2 Diese »Schere« psychoanalytisch zu deuten versuchte als erster W. Reich: Die Massenpsycho- , logie des Faschismus. 1933. 3. Aufl. Köln, Berlin 1971. Vgl. die Anz. d. Verf. in: MGM 11

173 MGM 2/72 (1972) 267 f.

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Im Zuge einer um Verdrängung bemühten »Vergangenheitsbewältigung« ist in der Geschichtsschreibung der Nachkriegszeit vielfach der Versuch gemacht worden, Hitler zum dämonischen Demagogen zu stilisieren, dessen geradezu hypnotischer Redegewalt man sidi bereits in den zwanziger Jahren kaum zu entziehen ver- mochte. Schon aus diesem Grunde ist Grieswelles gründliche Untersuchung der Rhetorik Hitlers in den Jahren 1920 bis 1933 3 zu begrüßen. Sie bekommt ihren besonderen Stellenwert durch die eingangs erwähnte Tatsache, daß der Faschismus zunächst als ein bloßes Phänomen des Uberbaus auftrat. In den Jahren der Weimarer Republik war die rednerische Propaganda das zentrale Werbemittel der NSDAP.

Der von Grieswelle gewählte Titel »Propaganda der Friedlosigkeit« ist irre- führend. Eine Analyse der nationalsozialistischen Kriegsideologie jedenfalls ent- hält dieses Buch nicht. Der Saarbrücker Soziologe will ganz allgemein »sine ira et studio« untersuchen, »warum Hitler mit seiner Rhetorik so erfolgreich war«:

»Wir konzentrieren uns darauf, durch die Analyse der historischen Umstände, der Aussage in ihrer thematischen, normatischen und sprachlichen Struktur und der Meinungen des Redners und der Rezipienten ein Bild der kommunikativen Wirklichkeit zu geben« (S. 2). Als Quellenmaterial dienen neben den Hitlerreden auch Ton- und Filmdokumente über die nationalsozialistischen Massenversamm- lungen. Indem der Verfasser Hitler selbst ausführlich zu Worte kommen läßt und den organisatorischen Rahmen der Versammlungen sowie die jeweilige Stimmung anschaulich schildert, gelingt ihm eine eindrucksvolle Mischung von Dokumen- tation und Analyse. Neben den Quellen konnte auf historisch-soziologische, psychologische und psychoanalytische Vorarbeiten zurückgegriffen werden, wobei allerdings einige neuere ideologie-kritische Untersuchungen4 noch nicht ein- gearbeitet sind.

Die Studie ist erfreulicherweise so angelegt, daß Hitlers Rhetorik nicht als etwas Eigenständiges betrachtet wird, losgelöst von der gesellschaftspolitischen Situation der Weimarer Zeit, sondern sie beginnt mit einer Skizze der Lage Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg bis 1933, mit der Schilderung des historischen Hinter- grundes also, von dem aus die Wirkung der rhetorischen Aktion erst begriffen werden kann.

Grieswelle zeigt, in welch starkem Maße Hitlers Erfolg — gerade auch sein rhetorisches Reüssieren — von der wirtschaftlichen Lage abhing. Es bestand eine deutliche »Parallelität seines Aufstieges mit dem Niedergang der Wirtschaft«

(S. 15, 21). Zum Hintergrund des Erfolges der nationalsozialistischen Propa- ganda gehört auch das schon von anderen Autoren analysierte sozialpsycholo- gische Phänomen, daß in den zunehmend komplexer werdenden Lebensverhält- nissen des entwickelten Kapitalismus die Meinungs- und Urteilsbildung des einzelnen ungemein erschwert wurde. In dieser von Grieswelle mit dem Terminus

»Desintegration« bezeichneten Situation erhielten Ideologie und Propaganda u. a.

die Funktion, die hochkomplizierte Gesellschaft mit plausiblen Parolen in Schwarz-Weiß-Manier zu erklären. »Die weitgehende Auflösung der sozialen Ordnung bedingte bei vielen Deutschen Ziellosigkeit, Unsicherheit und Gereizt- heit, so daß sie zu Stimmungen und Handlungen hindrängten, die vernünftige

' Detlev Grieswelle: Propaganda der Friedlosigkeit. Eine Studie zu Hitlers Rhetorik 1920 bis 1933. Stuttgart: Enke 1972. 233 S.

4 Gemeint sind u.a. E.Jäckel: Hitlers Weltanschauung. Entwurf einer Herrschaft. Tübingen 1969 (vgl. die Rez. d. Verf. in: MGM 10 (1971) 252 f.) und K. Lenk: Volk und Staat. Struk- turwandel politischer Ideologien im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 1971 (vgl. die Rez. d.

Verf. in: MGM 11 (1972) 189—196.

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Überlegung ausschalteten (S. 21).« Hieraus erklärt sich die Abwendung vieler Menschen von der Rationalität traditioneller Ideologien (Liberalismus und Sozia- lismus) und die Hinwendung zur Emotionalität faschistischer Mythenkonglo- merate.

In der ersten Phase der Geschidite der NSDAP (1919—1923) war Hitlers indi- viduelle Begabung (Grieswelle spricht von »Hitlers rhetorischem Genie«, S. 43) der entscheidende Trumpf der Partei. Nach ihrer Neugründung (Februar 1925) bis zum Jahre 1928 verlagerte sich die Aufgabe der rhetorischen Propaganda auf Goebbels, Strasser, Frick, Feder und andere, weil Hitler von den meisten Ländern mit einem Redeverbot in öffentlichen Versammlungen belegt worden war. Die dritte Phase (1929—1933) ist gekennzeichnet durch einen permanenten und furiosen Wahlkampf, in dem eine gut geschulte Rednertruppe auf tausenden von politischen Versammlungen agitierte. Grieswelle schildert die nationalsozialistische Massenveranstaltung als ein wohlgeplantes Zusammenspiel von Kult, emotionaler Einstimmung und Rhetorik und betont, Hitler selbst habe größten Wert auf das suggestive Repertoire gelegt, weil er den Kult als ein »essentielles Bedürfnis vieler Menschen der Weimarer Gesellschaft« einschätzte (S. 42).

Hitler vermied es, in seinen Reden — der Verfasser spricht von einer »Predigt eines politischen Glaubens« — konkrete politische Pläne zu entwickeln, sondern er stellte sich statt dessen als »weltlich-politischer Erlöser« (S. 57) dar, der in der Zukunft alle Hoffnungen erfüllen werde. Typisch ist die folgende, an das Irratio- nale appellierende Aussage aus dem Jahre 1927: »Seien Sie versichert, auch bei uns ist in erster Linie das Glauben wichtig und nicht das Erkennen! Man muß an eine Sache glauben können. Der Glaube allein schafft den Staat. Was läßt den Menschen für religiöse Ideale in den Kampf gehen und sterben? Nicht das Erken- nen, sondern der blinde Glaube« (S. 55). Diese Strategie konnte Erfolg haben, weil die emotionale Identifikation mit einem Kollektiv oder einer Führerfigur dem einzelnen Ersatz f ü r das gewähren konnte, was ihm real abging. Während die Volksgemeinschaftsideologie die Interessenkonflikte kaschieren sollte, kam dem Antisemitismus die Funktion zu, den divergierenden sozialen Gruppen einen gemeinsamen Feind zu benennen, der das eigene Mißgeschick verursacht habe.

Die demagogischen Behauptungen über eine angebliche jüdische Weltverschwö- rung lenkten von den wirklichen Ursachen ab, intensivierten die infolge der Wirt- schaftskrise entstandenen Angstgefühle und lenkten die daraus resultierende Aggressivität auf einen bestimmten Feind. Mit dem Schlagwort vom »raffenden Kapital« attackierte Hitler die jüdische Finanzmacht5 und konnte zugleich »von Angriffen gegen die deutsche Hochfinanz ablenken« (S. 96). Der gleichzeitig betriebenen antikapitalistischen Agitation kam lediglich die taktische Funktion zu, die kleinbürgerlichen Massen zu binden e.

Bei seinem Versuch, die Beziehungen zwischen der Hitlersdien Rhetorik und den Interessen und Einstellungen des Publikums herzustellen, beschränkt sich der Ver-

5 In welchem Maße Hitler auch bei dieser Taktik an eine antisemitische Tradition anknüpfen konnte, derer sidi die »staatstragenden« Schichten des Bürgertums seit der Novemberrevolu- tion 1918 zur Sicherung ihrer bedrohten Stellung gezielt bedienten, zeigt W. Jochmann: Die Ausbreitung des Antisemitismus. In: Deutsches Judentum in Krieg und Revolution 1916—1923.

Hrsg. von W. E. Mosse und A. Paucker. Tübingen 1971, insbes. S. 463 und 507 f.

• Das beweisen etwa die Gespräche Hitlers mit dem Chefredakteur der rechtsgerichteten »Leip- ziger Neuesten Nachrichten« vom Frühsommer 1931. Vgl. E. Calic: Ohne Maske. Hitler- Breiting Geheimgespräche. Frankfurt/M. 1968. Dazu R. Kühnl: Der Deutsche Faschismus.

Nationalsozialismus und »Drittes Reich« in Einzeluntersudiungen und Gesamtdarstellungen.

In: Neue Politisdie Literatur. 15 (1970) 13—43; hier 18 ff. (zit. Kühnl).

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fasser leider auf eine wahlsoziologisdie Analyse. Ihr Ergebnis, der Mittelstand sei das eigentliche Einzugsgebiet nationalsozialistischer Wählerstimmen gewesen (S. 107 ff.)7, ist zwar richtig, es verengt jedoch den Blick und läßt die Frage nach dem Nutzen des Faschismus f ü r das Gesellschaftssystem außer Betradit.

Die Entwicklung der Hitlerschen Rhetorik in der Weimarer Zeit überblickend, kommt Grieswelle zu dem Ergebnis, die Reden zeigten »eine Konsistenz, die den Atem verschlägt... Hitler folgte mit äußerster Hartnäckigkeit seinen schon früh- zeitig fixierten Ideen« (S. 179). Er reüssierte allerdings nicht »dank der Perfektio- nierung seiner rhetorischen Mittel, sondern die historische Entwicklung verhalf seiner R h e t o r i k . . . zum Erfolg« (S. 179). Die somit politisch unverbindlich blei- bende Untersuchung sdiließt mit der Erörterung der Frage, »um welches spezi- fische Genus von politischer Rhetorik es sich bei Hitlers Redekunst« handele (S. 183). Der Autor antwortet, es handele sich um »eine Form von Pseudo- Religion«. Ihr wird mit Eric Voegelin entgegengehalten: »Die innerweltliche Religiosität, die das Kollektivum, sei es die Menschheit, das Volk, die Rasse oder den Staat, als Realissimum erlebt, ist Abfall von Gott (S. 193).« Es ist ersichtlich, daß hier die ideologiekritische Analyse durch eine ahistorisch-metaphysische Deutung — von einem »bewußt christlich wertenden Standpunkt« aus (S. 193) — ersetzt wird.

Wie bereits erwähnt, enthält dieses Buch keine Untersuchung der aus dem Sozial- darwinismus rezipierten faschistischen Ideologeme8. Den folgenden Passus aus einem von Hitler im »Völkischen Beobachter« vom 29./30. April 1923 veröffent- lichten Artikel zitiert Grieswelle lediglich im Sinne einer Werbung der Nazis unter den ehemaligen Berufssoldaten: »Ein Volk, das nicht bereit ist, sich zu wehren, ist charakterlos. Dazu müssen wir als einen der elementarsten Grund- sätze unserem Volk wieder erwerben: Ein Mann ist nur der, der als Mann sich auch wehrt und verteidigt, und ein Volk ist nur das, das bereit ist, wenn not- wendig, als Volk auf die Walstatt zu treten. Das ist nicht Militarismus, sondern Selbsterhaltung (S. 141).« Uber den von den Nazis tausendfach propagierten Mythos, das Kämpfen sei das Naturgesetz des Lebens und der Natur- wie der Völkergeschichte, über dieses den Titel »Propaganda der Friedlosigkeit« verdie- nende Kapitel erfahren wir in der vorliegenden Studie nichts.

Wie die rhetorische Propaganda, so war auch der Kult, den der Nationalsozialis- mus hervorbrachte, ein wirkungsvolles Manipulationsinstrument. Mit der germa- nistischen Dissertation von Vondung 9 ist dieser Komplex nunmehr erstmals in einer umfassenden Weise aufgearbeitet worden. »Der nationalsozialistische Kult umfaßte ein breites Spektrum von Feiern: es reichte von spektakulären >Weihe- stunden< an Staats- und Parteifeiertagen über >nationalsozialistische Lebensfeiern<

zu Geburt, Hochzeit und Tod bis hin zu schlichten sonntäglichen >Morgenfeiern<

der Parteigliederungen. Eigens geschaffene Parteiämter überwachten gleich Riten- kongregationen die Feiergestaltung und gaben Richtlinien und Beispielprogramme heraus. Man bemühte sich, >Feierformen von liturgischem Charakter< zu entwik- keln, und versuchte bewußt, der nationalsozialistischen Feier den >Charakter einer

7 Vgl. A. Schweitzer: Die Nazifizierung des Mittelstandes. Stuttgart 1970 und neuerdings Η. A. Winkler: Mittelstand, Demokratie und Nationalsozialismus. Die politische Entwicklung von Handwerk und Kleinhandel in der Weimarer Republik. Köln 1972.

s Vgl. H.-G. Zmarzlik: Der Sozialdarwinismus in Deutschland als geschichtliches Problem. In:

VfZG 11 (1963) 246—273.

' Klaus Vondung: Magie und Manipulation. Ideologischer Kult und politische Religion des Nationalsozialismus. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1971. 256 S. (zit. Vondung).

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kultischen Handlung< zu verleihen. Literarische Werke besonderer Art — so- genannte >chorisdie Dichtungen< — dienten neben Führerworten und Liedern als liturgische Texte. Solche >Feierdiditungen< und >Kantaten< waren ausschließlich für die Gestaltung nationalsozialistischer Feiern bestimmt; viele entstanden im Auftrag der zuständigen Lenkungsorgane. Spezielle Feierstätten, rituelle Hand- lungen und weihevolle Requisiten steigerten die Kultförmlichkeit (S. 8 f.).« Der Verfasser untersucht in seiner materialreidien und informativen Arbeit nicht nur diese verschiedenen Typen nationalsozialistischer Feiern, sondern ebenso ihre Organisation und Lenkung durch die Rivalen Goebbels, Rosenberg und Ley1 0 und ihre an kirchliche Vorbilder angelehnten Formen und Gestaltungsmittel (Sprache, Musik, Feierstätten und Rituale).

Welche Rolle dem ideologischen Kult des Nationalsozialismus als einem Teil der Regie des öffentlichen Lebens im Zusammenhang der Kriegsvorbereitung zukam, hat Vondung klar erkannt. Er schreibt dazu: »Dem grundsätzlichen Ziel der Manipulation, die Gesellschaftsmitglieder zu willigen Gefolgsleuten des National- sozialismus zu machen, kommt besondere Bedeutung zu im Hinblick auf den Krieg, den Hitler seit Beginn seiner politischen Laufbahn anstrebte. Nicht von ungefähr wurden im Kult die Vitalkräfte gefeiert und Gehorsam, Heldentum und Opferbereitschaft zu zentralen Tugenden befördert, wobei diese Qualitäten im übrigen immer vitalistisch bestimmt sind.« Es ist kennzeichnend, »daß während des Krieges die Feiergestaltung nicht nur fortgeführt wurde, sondern daß sogar eine Ausdehnung und Intensivierung der Tätigkeit auf diesem Gebiet stattfand«.

Insbesondere die »Heldenehrungsfeiern« hatten die Funktion, die Kriegsbereit- schaft zu erhalten und zu stärken (S. 197).

Trotz dieses richtigen Hinweises auf die politische Funktion des Kultes bleibt die Untersuchung Vondungs, die von dem Münchener Germanisten Hermann Kunisch angeregt und von dem bereits genannten Philosophen und Politologen Eric Voegelin in starkem Maße inspiriert worden ist, weitgehend dem germanistischen Metier verhaftet. Im übrigen übernimmt auch Vondung die These Voegelins,

»daß der Nationalsozialismus in gewisser Weise religiösen Charakter besaß«, indem er »die spirituelle und politische Autorität wieder zusammenzufassen« ver- suchte (S. 9). In der Konsequenz dieses auf das Quasi-Religiöse. des deutschen Faschismus verengten Blickwinkels werden sehr häufig Parallelen zur katholischen Kirche gezogen, nicht aber zu dem zumindest ebenso wichtigen Vorbild des Mili- tärs. Manche Passagen erwecken den Eindruck, der Verfasser sei seinem Thema

»Magie und Manipulation« erlegen. So scheint er in seinen Schlußbemerkungen selbst den magischen Zauberstab zu schwingen, wenn er schreibt: »Nicht durch Revolution, sondern durch Magie versuchte der Nationalsozialismus, die politische und gesellschaftliche Realität zu verändern (S. 210).« Hitler wird folgerichtig wieder zum »Magier« (S. 211) gestempelt — ein Rückfall in die irrationalistische

»Vergangenheitsbewältigung« der Nachkriegszeit, die eigentlich überwunden zu sein schien.

Wichtig ist der in den einleitenden Kapiteln untersuchte Tatbestand, daß der nationalsozialistische Kult Vorläufer und Vorbilder hatte, daß er bestehende Tendenzen aufgreifen konnte. Hier ist die schon im Kaiserreich übliche »Ver- ehrung des Kriegerischen und Heldischen, des Völkischen und Nationalen«, wie sie etwa mit dem Sedantag kultiviert wurde, ebenso zu nennen wie viele Er-

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10 Vondung stützt sich hierbei im wesentlichen auf R. Bollmus: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem. Stuttgart 1970. Vgl.

die Rez. d. Verf. in diesem Bande S. 235—239.

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scheinungen der Jugendbewegung, die durch den Nationalsozialismus übernom- men wurden, ζ. B. der Wortschatz, das Feuer-Ritual, die Jugendmusik, das Laien- spiel, sowie »der fatale Hang zur feierlichen Überhöhung des Völkischen«

(S. 14—18). Trotz der vielfältigen Anleihen entwickelte der nationalsozialistische Kult jedodi ein durchaus eigenes Gepräge, das durch die politischen Massenver- sammlungen und Demonstrationen der Partei während der sogenannten Kampf- zeit bestimmt wurde. Im Kundgebungsstil der Nazis wird das militärische Vor- bild besonders deutlich. Hier sei erinnert an das feierliche Zeremoniell des Fahnen- einmarsches, an die in Reih' und Glied aufmarschierte SA, an Marschmusik, Trommelwirbel und »Rednerwache« sowie an die großen Aufmärsche als Demon- strationsmittel und an den Abzeichenkult.

Die bereits erwähnte Tatsache, daß mit dem Andauern des Krieges die Aktivität auf dem Gebiet der nationalsozialistischen Feiergestaltung wuchs, bedarf der Er- klärung. Vondungs psychologische Interpretation bleibt vordergründig: »An- gesichts der Belastung und des Leids, die der Krieg mit sidi brachte, suchten die Menschen Trost und Stärkung (S. 64).« Der Kult fungierte hier vielmehr als ein Ersatz für politisches Denken und damit als eines der Herrschaftsmittel des NS- Staates. So hat es auch ein Mitarbeiter Rosenbergs in der wünschenswerten Deut- lichkeit ausgesprochen11: »Feiern der NSDAP, auch wenn sie vorwiegend von einer künstlerischen Vortragsfolge getragen werden, dienen ausnahmslos einer politisch-nationalsozialistischen Ausrichtung unseres Volkes und sind unabweis- lich als ein Teil der psychologischen Volksführung anzusprechen.«

Seine erste Rede im Rundfunk hielt Goebbels im Juli 1932. Er erkannte mit klarem Blick, welche Möglichkeiten dieses Medium als das modernste Massen- beeinflussungsmittel bot. Wenige Tage nach seiner Ernennung zum »Reichsmini- ster für Volksaufklärung und Propaganda« (13. März 1933) versammelte Goeb- bels die Intendanten und Direktoren der Rundfunkgesellschaften. In seiner mit massiven Drohungen gespickten Ansprache verkündete er in ungeschminkter Offenheit, welche Rolle der Rundfunk fortan spielen sollte: »Wir machen gar keinen Hehl daraus: Der Rundfunk gehört uns, niemandem sonst! Und den Rund- funk werden wir in den Dienst unserer Idee stellen, und (der Redner klopft auf das Pult) keine andere Idee soll hier zu Worte kommen.« »Der Rundfunk hat sich der Zielsetzung, die sich die Regierung der nationalen Revolution gestellt hat, ein- und unterzuordnen! Die Weisungen dazu gibt die Regierung!«

Diese Ansprache und eine Auswahl weiterer Goebbels-Reden aus den Jahren 1932—1939 finden sich in einer neuen, von Heiber auf Grund von Original-Ton- dokumenten besorgten Edition 12. Die Lektüre dieser Reden macht einmal mehr deutlich, wie sehr Goebbels der Maxime Hitlers verpflichtet war: »Jede Propa- ganda hat volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau zu richten nach der Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die sie sich zu richten g e d e n k t . . . Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist eine nur sehr be- schränkte, das Verständnis klein, dafür jedoch die Vergeßlichkeit groß 1S.« Das Auffallendste an den Goebbels-Reden ist, daß man vergeblich nach definitiven politischen Aussagen sucht. Wo solche anklingen, werden sie sogleich wieder ver-

11 Zit. nach Vondung, S. 66.

12 Joseph Goebbels: Reden. Hrsg. von Helmut Heiber. Bd 1: 1932—1939. Düsseldorf: Droste 1971. 337 S. Die beiden Zit. finden s ü auf S. 87 und 89. Bd 2: 1940—1945, wird im Herbst 1972 erscheinen.

178 u A. Hitler: Mein Kampf. Bd 1. München 1925, S. 189 f.

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deckt von einer vehementen und aggressiven Stimmungsmadie, die sich weniger, ständig wiederkehrender Klischees bedient. Allerdings wählte Heiber die Reden audi nicht unter dem Gesichtspunkt politischer Aussagekraft aus, sondern er wollte eine möglichst große Anzahl verschiedener Redetypen vorführen.

Die Einleitung des Herausgebers provoziert einige kritisdie Bemerkungen. Heiber hat ein kenntnisreiches, flott formuliertes, aber unpolitisches Vorwort geschrieben.

Es darf bezweifelt werden, ob seine Hervorhebung des rhetorischen Aspekts der Reden und sein Verzicht auf Ideologiekritik und Analyse der politischen Funk- tion als sadiadäquat bezeichnet werden können. Überdies ist bedenklich, wenn das Streben nach Distanz (vgl. S. XI) in Verniedlichung umschlägt (vgl. S. X X X I V ) : so ist nicht nur — verharmlosend — von dem »lächerlichen Buchhalter des Ter- rors«, dem »effektiv verrückt gewordenen Geflügelzüchter Heinrich Himmler«

und von der »schon mitleiderregende(n) Mittelmäßigkeit der Führerschaft jener Partei« die Rede, sondern Heiber gleitet sogar in die Terminologie aus dem

»Wörterbuch des Unmenschen« 14 ab, wenn ihm f ü r diese Führerschaft nichts Bes- seres als die Bezeichnung »menschlicher Abfall« einfällt (S. XIII).

In den Jahren 1933—1939 war es die Taktik des Hitlerfasdiismus, vom Frieden zu reden und zugleich heimlich den Krieg vorzubereiten. Dieses große Täuschungs- manöver führte der Goebbelssche Propagandaapparat in erster Linie mit Hilfe des Rundfunks durch. Mit dem Rundfunk als dem wichtigsten Propaganda- instrument befaßt sich auch ein neues Buch von Scheel15. Dieser DDR-Historiker hat sich bereits mit mehreren Publikationen zum Problem der Meinungsmani- pulierung im deutschen Faschismus als ein guter Kenner der Materie ausgewie- sen. Es ist dem Autor gelungen, ein streckenweise regelrecht spannendes Buch zu schreiben. Ähnlich einem Drehbuch wechseln sich im Reportagestil gehaltene Ab- schnitte mit analytischen und interpretierenden ab. Leider wurde auf einen wis- senschaftlichen Anmerkungsapparat verzichtet. Die gut ausgewählte Dokumen- tation kann ihn nur teilweise ersetzen. Scheels Kapiteleinteilung folgt dem histo- rischen Ablauf: 1. Monopole dirigieren die Ouvertüre; 2. Formierung für den Krieg; 3. Raubzug zur »Neuordnung« Europas; 4. Durchhalteparolen bis zum Ende.

Während hierzulande der soziale und ökonomische Hintergrund noch immer weit- gehend aus der Analyse des Faschismus ausgeklammert wird, zeichnen sich die in der D D R erschienenen Untersuchungen dadurch aus, daß sie dem strukturellen Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus nachgehen. Dies geschieht, wie schon der Buchtitel ankündigt, auch in der Arbeit von Scheel. Aus ihr kann auch derjenige eine Menge lernen, der die sowjetmarxistische Theorie des »Faschismus

14 Vgl. D. Sternberger, G. Storz, W. E. Süskind: Aus dem Wörterbuch des Unmenschen. Mün- chen 1962.

15 Klaus Scheel: Krieg über Ätherwellen. NS-Rundfunk und Monopole 1933—1945. Berlin:

VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften 1970. 316 S. (zit. Scheel).

19 K. Scheel: Die faschistische Meinungsmanipulierung in Deutschland 1944/45. Funktion, Organisation, Mittel, Methoden und Argumentation«. Berlin (Humboldt-Universität) Phil.

Diss. 1968. Ders.: Die letzten Wochen des Nazirundfunks 1945. In: Beiträge zur Geschichte des Rundfunks. H. 1/1969, S. 3—34. Ders.: Zur Rolle des Senders Flensburg im Mai 1945.

Ebd. H. 3/1969, S. 45—66. Ders.: Der Auftrag des Nazirundfunks zur Unterstützung der faschistischen Aggressionspolitik 1938/39. Ebd. H. 1/1970, S. 35—54. Ders.: Meinungsmani- pulierung im Faschismus. Die faschistische Propagandamaschinerie — Bestandteil des staats- monopolistischen Herrschaftssystems in Nazideutschland. In: Zeitschrift für Geschichtswissen- schaft. 17 (1969) 1283—1303.

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als Agentur des Monopolkapitals« (so lautet die kürzeste Formel) für falsch oder für eine Halbwahrheit hält1 7.

Scheel untersucht u. a. die Monopolisierung und die Machtkonzentration in der Elektroindustrie seit Anfang des 20. Jahrhunderts (S. 8 ff.) und widmet seine be- sondere Aufmerksamkeit dem Zusammenspiel von Wirtschaft und NSDAP nach der Gleichschaltung des Rundfunks, die im März 1933 begann. Bald nach dem Regierungsantritt Hitlers bildete sich ein Kreis von Wirtschaftsführern (der soge- nannte F-Kreis), der auf Goebbels Einfluß zu nehmen versuchte, um — insbeson- dere in der Auslandspropaganda — die eigenen Interessen gesichert zu wissen.

Aus dem F-Kreis wurde im September 1933 ein dauerhaftes Gremium mit der Be- zeichnung »Werberat der deutschen Wirtschaft« (S. 61—64). Wie das Profitstreben der Industrie und die Propagandazielsetzung der NSDAP Hand in Hand gingen, zeigt der Verfasser an dem besonders aufschlußreichen Beispiel der Produktion von Rundfunkgeräten, die gemeinsam von NS-Führern und Vertretern der großen Elektrokonzerne geplant wurde. Der Verkauf von 1,5 Millionen »Volksempfän- gern« allein im Jahre 1933 wurde einerseits für die Radiounternehmer ein

»Riesengeschäft«, andererseits bedeutete er für die NSDAP eine erhebliche Ver- größerung der Zahl der Rundfunkhörer und damit eine Voraussetzung für die Massenwirksamkeit ihrer Propaganda. Scheel kann überdies belegen, daß der Staatsapparat »im Interesse der Monopole alle Versuche kleinerer Unternehmen, ähnlich preiswerte Radios auf den Markt zu bringen«, unterdrückte (S. 68 f., 262 f.).

Während Hitler bereits wenige Tage nach dem Regierungswechsel (am 3. Februar 1933) in einer Besprechung mit den Befehlshabern der Reichswehr18 seinen Kriegs- kurs verkündete (Aufrüstung, Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht, Ziel der Eroberung neuen »Lebensraums« im Osten), fiel der Propaganda vor- läufig die Aufgabe zu, dieses Ziel durch fortwährende Friedensbeteuerungen zu verschleiern. Zugleich hatte sie »den Volksmassen ein die soziale Wirklichkeit verzerrt reflektierendes Bewußtsein zu vermitteln und das neue Regime so zu ver- klären, daß möglichst große Teile der Bevölkerung ihm willig dienten (S. 49).«

Goebbels (S. 106) definierte seine Aufgabe in der bereits zitierten Instruktion der Rundfunkdirektoren in wiederum entwaffnender Offenheit so: »Wenn die ande- ren Armeen organisieren und Heere aufstellen, dann wollen wir das Heer der öffentlichen Meinung mobilisieren, das Heer der geistigen Vereinheitlichung.« In den Jahren der geheimen Aufrüstung beschränkte sich die Propaganda auf die Verherrlichung der »neuen Tugenden«: Edelmut, Heroismus, Männlichkeit, Opfer- bereitschaft, Disziplin, Einordnungsvermögen, glühende Hingabe an den Staat und an die gemeinsame nationale Sache (S. 121). Goebbels (S. 122) verkündete zweideutig: »Wir wollen den Frieden, aber wir wollen auch unsere nationale Ehre.« Dem Motto »Und willst Du nicht mein Bruder sein, so schlag ich Dir den Schädel ein!« blieb diese »Friedenspropaganda« auch verpflichtet, als im März

17 Zur sowjetmarxistischen Faschismusinterpretation vgl. den ausgezeichneten Literaturbericht von H. Hennig: Industrie und Faschismus. Anmerkungen zur sowjetmarxistischen Interpretation.

In: Neue Politische Literatur. 15 (1970) 432—449; ferner T. W. Mason: Zur politischen Relevanz historischer Theorien. Die Imperialismus-Diskussion im Schatten des Kalten Krieges.

In: Aus Politik und Zeitgeschichte. 22 (1972), Β 20: 33—42. Siehe audi

Η. C. F. Mansilla: Faschismus und eindimensionale Gesellschaft. Neuwied, Berlin: Luchter- hand 1971. 238 S. ( = Sammlung Luchterhand. 18.); hier S. 11—19. Das Werk wird ab S. 188 vorgestellt.

1 8 Eine Niedersdirift dieser Rede Hitlers ist u. a. abgedruckt bei H.-A. Jacobsen. 1939—1945.

Der Zweite Weltkrieg in Chronik und Dokumenten. 5. Aufl. Darmstadt 1961, S. 95 f. (zit.

Jacobsen).

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1935 die bisherige Geheimhaltung der Aufrüstung aufgegeben wurde. Goebbels (S. 212 f.) rechtfertigte sie während einer Massenkundgebung in Danzig am 6. April 1935 folgendermaßen: »Wir bauten ein Heer auf, nicht um Krieg zu führen, sondern um den Frieden zu beschützen. Denn wir wußten: solange Deutschland ganz allein entwaffnet zwischen hodigerüsteten Staaten liegt, solange bietet es für alle anderen aufgerüsteten Staaten eine billige Einladung, es mit Krieg zu überziehen. Nicht das bewaffnete Deutschland beunruhigt Europa, das unbewaffnete Deutschland hat Europa beunruhigt!« »Oft genug hat der Führer der Welt seine offene Friedenshand entgegengehalten. Diese Hand bleibt aus- gestreckt, und es liegt an der Welt, darin einzuschlagen. Wir sind bereit zum Frieden, aber wir dulden es nicht, daß man ein 66-Millionen-VoIk als minder- wertig behandelt!« An den Vorwurf des Auslandes, Deutschland hetze zum Krieg, knüpfte Goebbels die scheinheilige Frage an: »Hat je ein deutscher verantwort- licher Staatsmann von Krieg gesprochen?« Hier ist die Politik der Kriegsvor- bereitung bei gleichzeitiger Friedenspropaganda auf den kürzesten Nenner ge- bracht.

Scheel hat für diese demagogische Massentäuschung die Formel »Säbelrasseln und Friedensbeteuerungen« (S. 64) gefunden. Niemand hat diese Taktik jedoch klarer beschrieben als Hitler selbst. In seiner Rede 19 vor der deutschen Presse am

10. November 1938, die mit Recht als ein Schlüsseldokument gilt, machte er den versammelten Verlegern und Redakteuren klar, wie das Volk auf die Notwendig- keit zukünftiger Kriege vorbereitet werden sollte: »Die Umstände haben mich ge- zwungen, jahrzehntelang fast nur vom Frieden zu reden. N u r unter der fort- gesetzten Betonung des deutschen Friedenswillens und der Friedensabsichten war es mir möglich, dem deutschen Volk Stück für Stück die Freiheit zu erringen und ihm die Rüstung zu geben, die immer wieder für den nächsten Schritt als Vor- aussetzung notwendig war. Es ist selbstverständlich, daß eine solche jahrzehnte- lang betriebene Friedenspropaganda auch ihre bedenklichen Seiten hat; denn es kann nur zu leicht dahin führen, daß sich in den Gehirnen vieler Menschen die Auffassung festsetzt, daß das heutige Regime an sich identisch sei mit dem Ent- schluß und dem Willen, den Frieden unter allen Umständen zu bewahren. Das würde aber nicht nur zu einer falschen Beurteilung der Zielsetzung dieses Systems führen, sondern es würde vor allem auch dahin führen, daß die deutsche Nation, statt den Ereignissen gegenüber gewappnet zu sein, mit einem Geist erfüllt wird, der auf die Dauer als Defätismus gerade die Erfolge des heutigen Regimes nehmen würde und nehmen müßte. Der Zwang war die Ursache, warum ich jahrelang nur vom Frieden redete. Es war nunmehr notwendig, das deutsche Volk psychologisch umzustellen und ihm langsam klar zu machen, daß es Dinge gibt, die, wenn sie nicht mit friedlichen Mitteln durchgesetzt werden können, mit Mitteln der Gewalt durchgesetzt werden müssen. Dazu war es aber notwendig, nicht etwa nun die Gewalt als solche zu propagieren, sondern es war notwendig, dem deutschen Volk bestimmte außenpolitische Vorgänge so zu beleuchten, daß die innere Stimme des Volkes selbst langsam nach der Gewalt zu schreien begann.«

Nach der Entfesselung des Krieges wurde die Massentäuschung fortgesetzt durdi die Behauptung, man müsse einen »gerechten Verteidigungskrieg« führen. Die Nazipropagandisten konnten es nicht wagen, der deutschen Bevölkerung die Wahrheit einzugestehen. Goebbels gab in einer seiner täglichen Konferenzen im

" Der vollständige Text dieser audi bei Scheel erwähnten Geheimrede findet sidi bei M. Doma- rus: Hitler. Reden und Proklamationen 1932—1945. Bd 1: Triumph (1932—1938). Würzburg 1962, S. 973—977. Auszüge u. a. bei Jacobsen, S. 105 f.

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Propagandaministerium die Sprachregelung aus, audi nach dem Einmarsch in Polen nicht von »Krieg« zu reden, sondern lediglidi von »Kampfhandlungen«

(Scheel, S. 117 f.). Auch während des Krieges versäumte es Hitler niemals, in seine Rundfunkreden die Behauptung einzuflechten, die »anderen« hätten den Krieg vom Zaun gebrochen. Mit Kriegsbeginn versuchte die faschistische Propaganda- masdiinerie zugleich in verstärktem Maße, die Verbreitung von Informationen unmöglich zu machen. Das geschah durch das von Sicherheitsdienst (SD) und Gestapo kontrollierte Abhörverbot von Auslandssendern 20 und durch den Aus- bau der Störsender. Wie Scheel berichtet, wurde im Sommer 1944 das weitgehend einheitliche »Reichsprogramm« von 107 Lang- und Mittelwellensendern, 23 Kurz- wellensendern und 150 Drahtfunkzentralen ausgestrahlt. Die Auslandspropaganda

arbeitete mit 100 Geheimsendern (S. 227 f.).

Die Arbeit des Rundfunks erreichte einen quantitativen Höhepunkt, nachdem Goebbels in seiner berühmt-berüchtigten Rede im Berliner Sportpalast am 18. Fe- bruar 1943 den »totalen Krieg« proklamiert hatte. Die Rundfunkpropaganda war jedoch schon lange zuvor ihrer Glaubwürdigkeit verlustig gegangen. Der an- fängliche Siegesrausch war nach der Wende von Stalingrad einer zunehmenden Kriegsmüdigkeit in der deutsdien Bevölkerung gewichen. In einer Situation, in der sich die Arbeits- und Lebensbedingungen der Volksmassen in der Heimat ständig verschlechterten, bot der Propagandaapparat mit seinen Durchhalteparolen noch einmal alles auf. Er erzeugte bewußt eine »Angst- und Greuelpsychose..., die dazu führte, daß fanatisierte Jugendliche und Kinder in den Tod marschierten, daß eine Selbstmordwelle um sich griff und sinnlose Zerstörungen noch in letzter Minute vorgenommen wurden« (Scheel, S. 238).

Die bisher vorgestellten Untersuchungen behandeln in erster Linie die Aktivseite totalitärer Meinungsmanipulation: Instrumentarium, Organisationen, Formen und Inhalte der Propaganda. Über die beim Einsatz dieses Herrschaftsinstruments erzielten Erfolge bzw. Mißerfolge, über die Propagandawirkungen also, konnten nur sehr vage Angaben gemacht werden. Unser bisher spärliches Wissen über die öffentliche Meinung im »Dritten Reich« wird nun mit den Studien von Steinert21

über die »Stimmung und Haltung der deutschen Bevölkerung im Zweiten Welt- krieg« und von Dröge 22 über das Gerücht im Zweiten Weltkrieg erheblich er- weitert. Da bisher fast nichts über die Empfänger der Propaganda totalitärer Staaten bekannt war, heben die beiden Autoren mit Recht hervor, daß sie in wissenschaftliches Neuland vorstoßen.

Die Wahlsoziologie kann in Ermangelung eines Untersuchungsgegenstandes über die Einstellung der Bevölkerung zum Nazi-Regime nichts aussagen. Daher dürfen die Versuche, auf anderem Wege eine wissenschaftlich begründete Aussage zu die- sem Thema zu machen, ein gesteigertes Interesse beanspruchen. Untersuchungen

20 Zur Propagandatätigkeit des britischen Rundfunks während des Zweiten Weltkrieges vgl.

A. Briggs: The War of words. London 1970 ( = The History of broadcasting in the United Kingdom. Vol. 3) und die Rez. in diesem Bande S. 253—256.

: l Marlis G. Steinert: Hitlers Krieg und die Deutsdien. Stimmung und Haltung der deutschen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg. Düsseldorf, Wien: Econ 1970. 646 S. ( = Veröffentlichung des Institut Universitaire de Hautes Etudes Internationales, Genf.) (zit. Steinert).

22 Franz Dröge: Der zerredete Widerstand. Zur Soziologie und Publizistik des Gerüchts im Zweiten Weltkrieg. Düsseldorf: Bertelsmann Universitätsverl. 1970. 258 S. (zit. Dröge).

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über die Publikumsmeinung stellen insbesondere eine Ergänzung und ein not- wendiges Korrektiv zur traditionellen politischen und Kriegsgeschichtssdireibung aus der Perspektive hödister politischer und militärischer Instanzen dar.

Wie aber kann man die öffentliche Meinung erforschen für eine Zeit, in der es keine Wahlen und keine öffentlichen demoskopischen Repräsentativumfragen gab, in der Rundfunk, Film 2S, Presse 24, Literatur und Kunst2 5 gelenkt wurden, in der man den Versuch einer in ihrer Totalität bis dahin unbekannten Meinungsmani- pulation unternahm? Seit der 1965 erfolgten Publikation der vom SD erstellten

»Meldungen aus dem Reith« von Boberach2® wissen wir, daß es im »Dritten Reich « durchaus eine Meinungsforschung, eine Ermittlung der »vox populi«, gab, die den nationalsozialistischen Führern ein differenziertes und weitgehend zutref- fendes Bild über die Publikumsmeinung zu verschaffen vermochte. Insbesondere während des Krieges ließen sich viele Ministerien und Parteidienststellen von ihren Basisorganisationen und Außenstellen Tätigkeits- und Wirkungsberichte anfertigen.

Den wichtigsten Quellenbestand stellen die vom SD des Reichssicherheitshaupt- amtes verfaßten »Berichte zur innerpolitischen Lage«, »Meldungen aus dem Reich« und »SD-Berichte zu Inlandsfragen« dar, weldie den Zeitraum von 1939 bis 1944 abdecken. Der SD war die eigentliche Meinungsforschungsinstanz des

»Dritten Reiches«. In der sogenannten Lebensgebietsberichterstattung betrieb er nach der Technik der teilnehmenden Beobachtung eine umfassende Meinungs- und Stimmungsforschung. Dazu bediente er sich eines weitläufigen Netzes von Infor- manten. Dröge (S. 54) errechnete, daß auf etwa 2500 Bürger ein SD-Mann kam.

Wegen ihrer hohen Präzision nimmt Dröge nur die SD-Beridite zur Material- grundlage seiner Untersuchung (vorzügliche Quellenkritik, S. 45—48). Nach seinem Urteil bilden sie »eine einmalige Quellensammlung, die unter den gegebe- nen Umständen in optimaler Weise Auskunft über das Verhalten der Bevölkerung unter der faschistischen Diktatur gibt« (S. 56). Einen weniger geschlossenen Kom- plex bilden die Berichte der Hoheitsträger der Partei (Januar—Juli 1943). Da- neben gibt es drei weitere bedeutende Quellengruppen: Die Berichte der Ober- landesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte an das Reichsjustizministe- rium (1940 bis Anfang 1945); die vom Leiter der Propagandaabteilung im

»Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda« zusammengestell- ten Tätigkeitsberichte der Reichspropagandaämter, die aus allen Gauen nicht nur über die Auswirkung der Propaganda, sondern auch über die Stimmung der Be- völkerung Auskunft gaben (März 1943 bis März 1945); die Monatsberichte der Regierungspräsidenten der bayerischen Regierungsbezirke (Juli 1937 bis Septem- ber 1943). Schließlich liegen einige Stimmungsberichte aus dem Bereich der Wehr- macht vor (Amtsgruppe Wehrmachtspropaganda im OKW).

88 Vgl. G. Albrecht: NS-Filmpolitik. Eine soziologische Untersuchung über die Spielfilme des Dritten Reiches. Stuttgart 1969, und H . Pohle: Der Rundfunk als Instrument der Politik. Zur Geschichte des deutschen Rundfunks von 1923—1939. Hamburg 1955.

24 Vgl. K. Abel: Presselenkung im NS-Staat. Eine Studie zur Geschichte der Publizistik in der nationalsozialistischen Zeit. Berlin 1968. Dazu die Rez. von K. Koszyk in: H Z 213 (1971) 222 ff.

25 Vgl. D. Strothmann: Nationalsozialistische Literaturpolitik. Bonn 1960. J. Wulf: Kunst und Kultur im Dritten Reich. 1—5. Gütersloh 1963—1964. H. Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus. Berlin 1964. W. Alff: Die Angst vor der Dekadenz. Zur Kunstpolitik des deutschen Faschismus. In: Alff, S. 124—141.

M Meldungen aus dem Reich. Auswahl aus den geheimen Lageberichten des Sicherheitsdienstes der SS 1939—1944. Hrsg. von H. Boberach. Neuwied, Berlin 1965.

Vgl. auch V. R. Berghahn: Meinungsforschung im »Dritten Reich«: Die Mundpropaganda- Aktion der Wehrmacht im letzten Kriegshalbjahr. In: MGM 1 (1967) 83—119.

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Die Fülle des erhalten gebliebenen Quellenmaterials hat Steinert dazu verführt, ein mehr als 600 Textseiten umfassendes Werk vorzulegen. Ihren Entschluß, die Kriegsjahre des Nationalsozialismus zum Gegenstand der Untersuchung zu machen, rechtfertigt die Verfasserin mit der in der Tat äußerst günstigen Quellen- lage. Auf rund 500 Seiten ihres Buches referiert sie chronologisdi die Berichte der genannten Meinungsforschungsinstanzen, verzichtet dabei weitgehend auf Kom- mentare (häufig auch auf die nötige Quellenkritik) und verknüpft die Beridit- inhalte nur notdürftig mit dem politischen und militärischen Ereignisablauf.

Wir haben es also im wesentlichen (ausgenommen sei insbesondere das vorzügliche Kapitel über die Vorkriegsjahre) mit einer geringfügig kommentierten Quellen- edition zu tun, die in die Form einer mosaikartig aufbauenden, chronologischen Darstellung gekleidet ist. Diese Methode hat den unbestreitbaren Vorteil, daß der Leser durch die »Ursprünglichkeit uhd Authentizität der berichteten Meinungen«

(S. 47) in dieses bisher fast unbekannte Gebiet hineingeführt wird. Sehr nachteilig macht sich jedoch bemerkbar, daß das umfangreiche Material nur wenig ver- arbeitet ist. Der Leser fühlt sich von der Fülle des Berichteten regelrecht er- schlagen und sieht sich — trotz der einige wichtige Aspekte resümierenden Schluß- betrachtungen — schließlich selbst vor die Aufgabe gestellt, aus dem komplexen Stoff theoretisch aussagekräftige Hypothesen herauszudestillieren.

Das Interesse des Publizistikwissenschaftlers Dröge an den Meinungsforschungs- berichten des »Dritten Reiches« ist nicht primär historisch. Er nimmt die histo- rische Situation nur als »Vorwand«, als »Folie«, da er mit der Untersuchung des Gerüchts im Zweiten Weltkrieg einen Beitrag zur publizistischen Theoriebildung leisten will. Was die Studie in dieser Hinsicht abwirft, mögen die Fachkollegen des Verfassers beurteilen, die — wie aus der Verwendung einer Menge kompli- zierter soziologischer und publizistischer Fachterminologie zu schließen ist — vom Autor als die eigentlichen Adressaten anvisiert werden.

Zumindest einige Erkenntnisse der Publizistikwissenschaft muß man jedoch rezi- piert haben, um die Möglichkeiten und Grenzen der Meinungsmanipulierung unter den Bedingungen der Nazi-Diktatur einschätzen zu können. Zu diesen Erkennt- nissen gehört, daß die Massenmedien im Prozeß der gesellschaftlichen Kommuni- kation zwar eine wichtige Rolle spielen, daß die direkten kommunikativen Be- ziehungen zwischen Individuen (die sogenannte interpersonelle Kommunikation) jedoch eine zumindest ebenso wichtige Rolle spielen. Mit anderen Worten: Die Massenmedien wirken nicht nur direkt, sondern auch weitgehend über orale und informelle Kommunikationsnetze. Wo ein akuter Informationsmangel gegeben ist, wie im hitlerfaschistischen Herrschaftssystem, wird eine richtige Widerspiegelung der sozialen und politischen Realität erheblich erschwert, wenn nicht gar unmög- lich gemacht. In dieser Situation versuchen die Menschen, mit Hilfe des Gerüchts und anderen Varianten der interpersonellen Kommunikation diesen Mangel teil- weise aufzuwiegen. Überdies lehren die Publizistikwissenschaftler, daß der ein- zelne über eine Reihe von Abwehrmechanismen verfügt, die ihn gegen Beeinflus- sung zu einem erheblichen Teil immunisieren. Es ist also nicht so, daß die Aussage des Massenmediums eine unmittelbare Wirkung beim Leser oder Hörer im Sinne des Mediums ausübt, sondern es gibt zahlreiche weitere Steuerungsinstanzen, etwa das in den Primärgruppen entwickelte Wertsystem des einzelnen, den sogenann- ten Meinungsführer und die Evidenz persönlicher Beobachtungen.

Freilich wäre es naiv, aus diesen Ergebnissen der empirischen Kommunikations- forschung schließen zu wollen, die Menschen seien durch Propaganda nicht mani- pulierbar. In der Gesamtbilanz des unter der NS-Diktatur herrschenden Meinungs-

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bildes bleibt die Beeinflussung durch die einseitig gesteuerte Propaganda die ent- scheidende Größe. Dröge und Steinert (S. 587 f., 597) kommen jedoch überein- stimmend zu dem einer weitverbreiteten Ansicht widersprechenden Ergebnis, eine vollständige Beeinflussung der Bevölkerung sei auch im »Dritten Reich« nie er- reicht worden. »Das heißt, daß die menschliche Widerstandsfähigkeit gegen eine ideologische Propaganda größer ist, als man gemeinhin unter dem Eindruck der Totalitarismus-Theorien annimmt (Dröge, S. 215).« Gerade die Untersuchung Dröges macht deutlich, wie die Menschen unter der nationalsozialistischen Dik- tatur versuchten, »dem manipulativen Eingriff der Propaganda durch und in der Gerüchtekommunikation ein Regulativ entgegenzusetzen, mit dessen Hilfe sie sich der staatlichen Einflußnahme wenigstens in Grenzen zu entziehen« (S. 8) ver- mochten. Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Gerücht »in einem nicht für möglich gehaltenen Maße wieder benutzt, weil die gesellschaftlich und ökono- misdi angemessenen Austauschinstrumente, die Massenmedien, von einer madit- monopolistischen Herrschaftsgruppe mit manipulativer Absicht total okkupiert worden waren« (S. 13). Das Gerücht bot die Möglichkeit, eine propagandistisch völlig verstellte, weder primär noch sekundär erfahrbare Welt zu strukturieren.

Gerüdite fungierten als publizistische Notlösungen.

Der Titel des Drögeschen Buches »Der zerredete Widerstand« ist eine Metapher.

Tatsächlich entbehrte die Gerüchtekommunikation der politischen Zielgerichtet- heit; sie war kein Widerstand. Dröge spricht ihr allenfalls »potentiell emanzipa- torisdien Charakter« zu. Das heißt, daß die subjektive Widerspruchserfahrung zwar nicht ohne Konsequenzen für den persönlichen Bereich blieb, im politischen Bereich jedoch keine Verlängerung fand. Die informelle Kommunikation konnte im besten Falle ein kritisches Bewußtsein schaffen, aber sie konnte kein opposi- tionelles politisches Handeln auslösen. Dröge kommt sogar zu dem Schluß, die Gerüchtekommunikation habe sich gegen jede gesellschaftliche Änderung aus- gewirkt, weil abweichende Motive durch sie kommunikativ »abgesättigt« wurden (S. 214 f.). So hat das Wort vom »zerredeten Widerstand« durdiaus seine Berech- tigung.

Sehr deutlich lassen sich die Einwirkungsmöglichkeiten und Grenzen der Meinungsmanipulation am Beispiel der stereotypen Freund-Feind-Bilder ablesen.

Auch in diesem Punkt vertreten Steinert und Dröge gemeinsam die These, die massivsten Propagandabemühungen hätten es nicht vermocht, etwa das im Ersten Weltkrieg aufgebaute Mißtrauen gegen den italienischen Verbündeten zu zer- stören. Das feststehende Vorurteil lautete: Die Siege werden von den deutschen Truppen erkämpft, die Niederlagen aber von den Italienern (Dröge, S. 106;

Steinert, S. 590). Im Gegensatz dazu gelang es der nationalsozialistischen Propa- ganda leicht, das bisher wenig konturierte Japanbild positiv aufzubauen, den Stereotyp eines »Supergermanen des Ostens« zu suggerieren (Steinert, S. 590).

Einem interessanten Wandel unterlag das Rußlandbild der Deutschen. Während die jahrelange Berieselung mit antibolschewistischer Propaganda und die rassisti- sche Verhetzung der Russen als asiatische »Untermenschen« zunächst die erwünsch- ten Erfolge zeitigten, brachte der im Krieg mit Rußland zustande gekommene Kontakt mit dem Arbeiter aus dem Osten, »der sich als intelligent, technisch begabt und sympathisch erwies«, eine deutliche Erschütterung des von der Propaganda sorgsam aufgebauten Feindbildes. »Kollektivstereotyp und persönliche Erfahrun- gen klafften immer weiter auseinander, und entgegen allen offiziellen Propa- 185 gandabemühungen schwand die Furcht vor dem Bolschewismus, vor allem in

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Arbeiterzirkeln und beim kleinen Mann, und wuchs die Anerkennung für die un- geheuren Leistungen des östlichen Gegners (Steinert, S. 593).« Diese historische Erfahrung läßt sich unschwer übertragen auf die in der Zeit des Kalten Krieges propagierten Feindbilder, die die Friedensforschung heute wiederum durch die Gegenüberstellung mit der Realität zu überwinden versucht27. Die Forderung

»Von der Konfrontation zur Kooperation!« zeigt die Richtung an, in der das durch interessengesteuerten Realitätsverlust entstandene Feindbild abgebaut wer- den kann.

Angesichts der nadi der Devise »Friedensbeteuerungen und Säbelrasseln« (Scheel) verfahrenden Propaganda in den ersten sechs Jahren des Hitlerfaschismus und angesichts der nach der bereits zitierten Rede Hitlers vom 10. November 1938 einsetzenden Schwenkung zur offenen Kriegspropaganda stellt sich die Frage, wie die deutsche Bevölkerung auf den Kriegsausbruch reagiert hat. Steinert ent- nimmt den Stimmungsberichten, daß es in den Jahren 1938/39 zwar Unmuts- äußerungen sozialpolitischen Charakters gegeben hat, aber keine Kriegspsychose.

Hitlers außenpolitische Erfolge verschafften ihm im deutschen Volke »ein fast legendäres Ansehen«. Nach dem Münchener Abkommen scheint im Frühjahr 1939

»die Identifikation mit Hitler von breiten Bevölkerungsteilen vollzogen worden zu sein«. In den Monaten Mai bis August 1939 war die Stimmung insoweit zu- versichtlich, als außer einer Minderheit niemand an einen Krieg glaubte, sdion gar nicht an einen Weltkrieg (Steinert, S. 76—84). Nachdem der Krieg gegen Polen entfesselt war — die deutschen Zeitgenossen mochten an einen Kriegs-

»Ausbruch« glauben — konstatierten die SD-Berichte eine ruhige und gefaßte Haltung, aber auch eine gedrückte Stimmung in der Bevölkerung. Andere Augen- zeugen berichten von der »Apathie der Deutschen« (W. L. Shirer), die weder Kriegsbegeisterung nodi Auflehnung aufkommen ließ. Krausnick brachte die Stimmung am 1. September 1939 auf den Nenner »widerwillige Loyalität«, und Gerhard Ritter urteilte, »stumpfer Gehorsam einer durch Terror gewaltsam dis- ziplinierten, zu blinder gedankenloser Gefolgschaft erzogenen, aber audi durch militante Propaganda betäubten und verwirrten Masse« habe die Situation gekennzeichnet (Steinert, S. 91). Auf Grund seiner Analyse der nach dem Ende des Polenfeldzuges kursierenden Gerüchte trifft Dröge die Feststellung: »Eine Frie- densdisposition war im ersten Vierteljahr 1940 in Deutschland also grundsätzlich und bei der Mehrheit des deutschen Volkes vorhanden (S. 87).« Die Friedens-

17 Vgl. D. Senghaas: Zur Analyse von Drohpolitik in den internationalen Beziehungen. In: Ders., Rüstung und Militarismus. ( = Edition Suhrkamp. 498.) Frankfurt/M. 1972, S. 28—93. Seng- haas kritisiert an der Abschreckungspolitik u. a. »eine durch fiktive Konflikterwartungen und paranoide Feindbilder gehemmte und eingeschränkte Wirklichkeitserfassung« (S. 45). Sein analytisches Modell der autistisdien Feindschaft (Autismus = extreme Selbstbezogenheit) will u. a. »die Bedingungen des im Abschredkungssystem ständig drohenden Realitätsverlusts der Beteiligten« erklären (S. 61). Autistisch wird dabei »ein Kommunikationsmuster« genannt,

»in welchem die Umweltbilder, wie sie im Innensystem eines Akteurs entstehen, die tatsäch- lichen realitätsadäquaten Informationen aus der Umwelt selbst dominieren« (S. 46). Die Förderung realer Austauschprozesse kann zu einer »Überwindung der im Kalten Krieg hoch- gezüchteten regressiven Bewußtseinsstrukturen der Öffentlichkeit« beitragen (S. 92).

Derzeit sind zwei großangelegte Studien über Freund-Feind-Bilder in der BRD-Presse und in der veröffentlichten Meinung der DDR beim Hessischen Institut für Friedens- und Konflikt- forsdiung in Frankfurt/M. und beim Institut für Politische Wissenschaft der TU Mündien in Arbeit. Vgl. DGFK-Informationen 1/1971, S. 11, und 1/1972, S. 9 (DGFK = Deutsche Ge- sellschaft für Friedens- und Konfliktforschung). Vgl. auch G. Beier: Ost-West-Vorurteile in der Politischen Bildung. Methodisch-didaktisches Modell über die Aufarbeitung von Vorurteilen.

Theorie — Planung — Material. Frankfurt/M. 1971.

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erwartung war weit verbreitet, obwohl die Medien die ganze Zeit über die Kriegs- bereitschaft schürten 28.

Im weiteren Verlauf des Krieges durchlief das Friedensgerücht mehrere Phasen.

Nach jedem neuen Sieg hoffte man, daß der Krieg nun endgültig zu Ende sei, und suchte nach Anhaltspunkten, um diese Hoffnung mit realen Beobaditungsdaten zu legitimieren und zu rationalisieren. Folgende vier Phasen sind nach Dröge (S. 91) zu unterscheiden: 1. Krieg vermeiden bzw. sofort beenden (Oktober 1939 bis Dezember 1940); 2. Siegfrieden (August 1941 bis August 1942); 3. Kompro- mißfrieden (Oktober 1942 bis Dezember 1942); 4. Verlustfrieden (August 1943 bis Kriegsende). Wie der Gerüchtekommunikation zu entnehmen ist, brach die später dironisdi werdende publizistisdie Vertrauenskrise im Winter 1941/42 aus.

Das sich ausbreitende »Frontwissen« (vermittelt durch Gerüchte, Feldpostbriefe, Fronturlauber) stand ab September 1941 in deutlichem Gegensatz zur deutschen Propaganda. Es führte dazu, daß die Gerüchtekommunikation von da an bis zum Kriegsende zu einem regelrechten Ersatzsystem wurde. Trotz des hochgradig formalisierten Systems der Rückinformation (eben durch die Stimmungsberidite) war der Goebbelssdie Propagandaapparat dieser Entwicklung nicht gewachsen.

Die schwerwiegende, von Steinert gestellte Frage, warum »die Deutschen Hitler stumm und willenlos in den Krieg gefolgt« seien und »sich nidit gewehrt (hätten), diesen Kurs in den Abgrund mitzumachen« (S. 92 f.), kann verständlicherweise durch die Kenntnis der Stimmungsberidite allein nidit befriedigend erklärt wer- den. Gerade die von der Publikumsmeinung ausgehenden Analysen stehen in Gefahr, die Erfolge der faschistischen Meinungsmanipulation über- und die mili- taristischen Traditionen unterzubewerten.

Rückblickend ist die über die ganzen Kriegsjahre hinweg fast ungebrochene Bindung der deutschen Bevölkerung an die Person Hitlers eines der erstaunlichsten Phäno- mene. Steinert faßt ihre aus dem Studium der Stimmungsberichte gewonnene Er- kenntnis folgendermaßen zusammen: »Dieser Staat, den Hitler geschaffen hatte, die Partei, die ihn trug, und die Ideologie, mit denen sie gerechtfertigt wurden, waren vom Volke schon lange verworfen worden, während sein Schöpfer in geradezu schizophrener Weise noch Gegenstand der Verehrung blieb (S. 600).«

Hieraus mag verständlich werden, warum die Verfasserin den Budititel »Hitlers Krieg und die Deutsdien« gewählt hat. Die in dieser Wortverbindung enthaltene Gegenüberstellung suggeriert die Kriegssdiuld des einen Mannes Hitler und läßt

»die Deutsdien« als die unschuldig Verführten ungeschoren. Steinert ist sich dieser Problematik durchaus bewußt (vgl. S. 28 f. und 600). Sie vertritt jedodi die Auf- fassung, der Einfluß Hitlers auf das Verhalten und Denken der Deutsdien müsse

»sehr hodi« angesetzt werden. Mit Redit gibt Dröge zu bedenken, die in den nationalsozialistischen Meinungsforsdiungsinstanzen tätigen Parteigenossen hätten sidi häufig »in reinen Lobhudeleien auf den Führer« ergangen, und verweist auf die Erkenntis amerikanischer Wissenschaftler: »Je höher die Spannungen, desto stärker ist die Tendenz von unterinstanzlichen Berichterstattern, bewußt oder un- bewußt nur die Informationen weiterzuleiten, von denen sie annehmen können, daß sie von den zentralinstanzlichen Entsdieidungsfällern erwünscht sind oder erwartet werden (S. 47).«

187 28 Vgl. Kriegspropaganda 1939—1941. Geheime Ministerkonferenzen im Reidispropagandamini- sterium. Hrsg. und eingel. von W. A. Boelcke. Stuttgart 1966.

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Freilich sind gegen eine Überbetonung der Rolle des »Führers« auch prinzipielle Bedenken anzumelden. Jede Geschichtsschreibung, die nach dem Leitsatz »Männer machen die Geschichte« verfährt, begeht den Fehler, einen Aussdinitt aus der Realität für die ganze Realität zu halten. Allzuoft verbirgt sich hinter einem solchen Verfahren eine nachträgliche Feindprojektion (ζ. B. die Verteufelung Hitlers) zur eigenen Rechtfertigung 29.

Gegen die personifizierende Interpretation des deutschen Faschismus als »Hitleris- mus« wendet sich auch der junge Sozialphilosoph Mansilla30, dessen Buch

»Faschismus und eindimensionale Gesellschaft« 27 abschließend vorgestellt werden soll. Er schreibt: »Theorien über den Faschismus legen in verblüffend hohem Maß den entscheidenden Akzent auf die Persönlichkeit der >Führer<, als deren Werk oder gar bloße Selbstdarstellung man die historische Gestalt des Faschismus dar- zustellen versucht. Dieser Deutungsversuch des Faschismus aus der Pathologie seiner Führer führt zur Mythologisierung der historischen Bedeutung der Persön- lichkeit und somit zur Mythologisierung der Geschichte selbst. Die >Machtergrei- fung< des Führers erscheint demnach als Verhängnis, für das die Gesellschafts- ordnung keine Verantwortung zu tragen hat (S. 13).« Diese Kritik versteht sich als Reaktion auf eine ganze Reihe historischer Arbeiten der Nachkriegszeit. Sie warnt mit Recht vor einer individualisierenden Darstellung komplexer historischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge. Die unbestreitbar führende Rolle Hitlers innerhalb der politischen Sphäre wird damit nicht geleugnet.

Mansillas eigene theoretische Position, die sich der »Kritischen Theorie« (ins- besondere Horkheimer, Marcuse, Neumann und Fromm) verpflichtet weiß, und die sich von den im Westen geläufigen »Totalitarismustheorien« und der sowjet- marxistischen Faschismusinterpretation gleichermaßen distanziert, wird aus dem folgenden Satz ersichtlich: »Die kritisch-dialektische Theorie der Gesellschaft betrachtet den Faschismus nicht als einen einmaligen Betriebsunfall des Kapitalis- mus, sondern begreift ihn als Produkt einer historischen Konstellation, die tief in der Entwicklung unserer Gesellschaftsordnung wurzelt (S. 10).« Das Ziel des Ver- fassers, in einer weit ausgreifenden Analyse den »Faschismus und die autoritären, eindimensionalen Tendenzen unserer Gesellschaft durch den Rekurs auf den ge- meinsamen sozio-ökonomischen Hintergrund des Spätkapitalismus zu erklären«

(S. 8), ist nach der Auffassung des Rezensenten in überzeugender Weise erreicht worden. Mansillas Buch ist zumal demjenigen zu empfehlen, der einen gut les- baren und doch zugleich theoretisch anspruchsvollen Einstieg in den gegenwärti- gen Stand der Faschismusdebatte sucht.

Für die hier anstehende spezielle Fragestellung ist diese um eine historische Ein- ordnung des Faschismus bemühte Studie insofern hilfreich, als sie den Blick für den Stellenwert der mit den Stichworten »Ideologie, Kult, Propaganda, öffentliche Meinung« bezeichneten Problematik schärfen hilft. Welche Rolle spielten diese Überbauelemente, insbesondere im Hinblidk auf den Krieg? Die vorliegenden Monographien erlauben noch keine abschließende Antwort auf diese Frage, ein- mal, weil sie in ihrer jeweiligen Thematik begrenzt sind, zum anderen, weil sie die gesellschaftlichen Voraussetzungen der faschistischen Ideologie und Propaganda nur ungenügend reflektieren und daher über die Entität »Manipulation« großen-

" Vgl. Kühnl, S. 13 ff.

30 Siehe Anm. 17.

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teils nicht hinauskommen 31. Zweifellos trifft Mansilla einen wichtigen Punkt, wenn er hervorhebt, »daß die faschistische Weltanschauung für die Parteileitung nur einen instrumentalen Wert hatte, nämlich den eines Mittels, die Massen für ihre Zwecke irrezuführen und f ü r ihre Zwecke auszubeuten« (S. 98). Für Hitler selbst wird diese rein funktionalistische Interpretation nach dem Erscheinen der Studie von Jäckel32 jedoch nicht mehr zu halten sein. Jäckel zufolge bilden die Programmpunkte expansive Außenpolitik (Gewinnung von »Lebensraum«) und radikaler Antisemitismus die zentralen und durchgängig nachweisbaren Kern- elemente der Weltanschauung Hitlers, und die Geschichte des »Dritten Reiches«

hat gezeigt, mit weldier erbarmungslosen Konsequenz diese Ziele verwirklicht wurden. Es ist jedodi bekannt, daß die nationalsozialistische Propaganda ein wesentlich diffuseres Bild von den Zielen der »Bewegung« zeichnete.

Vielleicht ist es hilfreich, unter funktionalistischen Gesichtspunkten die folgenden drei Phasen der hitlerfaschistischen Propaganda zu unterscheiden:

1. In den Jahren der Weimarer Republik diente die mit dem Terror paramilitä- rischer Formationen einhergehende Propaganda der Gewinnung von Anhängern.

Die Massenbasis der faschistischen Bewegung in Deutschland mußte in dieser Phase über das Bewußtsein der Menschen erreicht werden. Hier konnte man an die

mit dem verlorenen Krieg entstandene Angst vor der Dekadenz anknüpfen und das ganze Reservoir antirevolutionärer (gegen Demokratie und Sozialismus ge- richteter) Energien mobilisieren 33. »Der ideologische Einbruch in weite Kreise des Bürgertums, des Kleinbürgertums und der Bauernschaft wurde dadurch begün- stigt, daß viele der Anschauungen, Thesen und Forderungen, die die faschistische Ideologie und Propaganda bestimmten, schon seit Jahrzehnten durch reaktionäre Propagandaorgane, Parteien und Organisationen verbreitet worden waren.«

(Scheel, S. 18) Das gilt für den Antidemokratismus und Antisozialismus ebenso wie für die Theorie vom »Volk ohne Raum«, die Rassen- und die Volksgemein- schaftsideologie und schließlich die Kriegsideologie, die sich auf die biologisch und metaphysisch verankerte Vorstellung eines ewigen, animalischen Kampfes ums Dasein berief. Im übrigen taktierten die Propagandisten der NSDAP in der Weimarer Zeit so, daß sie jeder sozialen Gruppierung Versprechungen machten, ohne beispielsweise jemals ein Wirtschaftsprogramm vorzustellen.

2. In der zweiten, auf die Jahre 1933—1938/39 zu datierenden Phase brauchten sich die NS-Agitatoren nicht mehr auf die von politischer Rhetorik geprägten Massenveranstaltungen zu beschränken. Einmal im Besitz der Macht, konnten sie sich aller Mittel bedienen, die der staatliche Apparat bereitstellte. Die Gleich- schaltung der Massenmedien eröffnete die Möglichkeit einer tendenziell totalen Manipulation. Die soziale Funktion der vom Nationalsozialismus propagierten Politisierung und Ideologisierung bestand in dieser Phase »bloß in dem Einimpfen von blinder Gesinnung und Begeisterung, deren Kehrseite die Ausklammerung einer tatsächlichen Diskussion über sozialpolitische Probleme ausmachte« (Man- silla, S. 178), also in einer tatsächlich weitgehenden Entpolitisierung aller Schich- ten. Die propagandistische Manipulation stand nunmehr ganz im Dienste der

31 Das gilt nicht f ü r die Arbeiten von Mansilla und Scheel, und nur zum Teil f ü r die Studie Grieswelles. Der gesellschaftliche Charakter der NS-Ideologie und -Propaganda wird konse- quent herausgearbeitet in der hervorragenden Analyse von L. Windeier: Studie zur gesell- schaftlichen Funktion faschistischer Sprache. Frankfurt/M. 1970.

S ! Siehe Anm. 4.

1 8 9 as Vgl. Alff, S. 44.

(18)

Konsolidierung des Regimes — und der kapitalistisch strukturierten Gesellschafts- ordnung. War es erst einmal gelungen, »den Volksmassen ein die soziale Wirklich- keit verzerrt reflektierendes Bewußtsein zu vermitteln und das neue Regime so zu verklären, daß möglichst große Teile der Bevölkerung ihm willig dienten«

(Scheel, S. 49), so konnte man die mit den Friedensbeteuerungen gezielt betriebene Massentäuschung aufgeben und nunmehr audi in der Propaganda auf offenen Kriegskurs gehen, nachdem die materiellen Voraussetzungen zur Kriegführung (Blitzkriegskonzeption) in den vergangenen Jahren bereits geschaffen schienen.

3. Diese Schwenkung markiert den Beginn der dritten Phase (1939—1945), in der die Propaganda vollständig in den Dienst der Kriegführung gestellt wurde. Die propagandistisch-ideologische Rechtfertigung des Krieges erwies sich trotz fehlen- der Kriegsbegeisterung bei der deutschen Bewölkerung als gar nicht so schwierig, weil man nun die Früdite der jahrelangen Erziehung zu blinder »Gefolgschaft«

ernten und zudem an die kriegerischen Denktraditionen anknüpfen konnte. Die These darf gewagt werden, daß der Krieg im Bewußtsein der Zeitgenossen weit- gehend als ein legitimes Mittel der Politik galt. Selbst ein Hitler-Gegner wie der Generaloberst Ludwig Beck wandte sidi in den dreißiger Jahren lediglich gegen den von Ludendorff propagierten »totalen Krieg«, stellte im übrigen aber fest: »Den Krieg können wir nidit abschaffen. Jedes Nachdenken über die von Gott gewollte Unvollkommenheit der Menschen muß immer wieder zu diesem Resultat kommen 34.« Die NS-Propagandisten brauchten hinsichtlich des Krieges also lediglich ohnehin vorhandene psychische und kognitive Dispositionen, die eine Jahrtausende alte Kriegstradition erzeugt hatte, zu aktivieren. Dabei kann offen bleiben, welche Rolle im Rahmen der Kriegsrechtfertigung die rassentheoretische Begründung gespielt hat, ob sie im Bewußtsein der Deutschen eine primäre oder nur eine zusätzliche Motivation abgab.

Die verbreitete These von der totalen Meinungsmanipulation im NS-Herrsdiafts- system kann nach den Büchern von Dröge und Steinert nun nicht mehr gehalten werden. Es gab offensichtlich auch während des »Dritten Reiches« eine öffentliche Meinung, die mit den Propagandainhalten nicht völlig identisch war. Ihre Exi- stenz blieb jedoch weitgehend folgenlos, was sich einmal aus dem von Dröge beschriebenen Phänomen der kommunikativen Absättigung kritischen Bewußtseins erklären läßt und zum anderen — bezüglich des Krieges — aus der Kontinuität der Kriegsideologien, welche verhinderten, daß im Bewußtsein der Menschen Barrieren gegen den Krieg aufgebaut werden konnten. In diesem Zusammenhang muß auch bezweifelt werden, ob die in der bürgerlichen Friedensbewegung und innerhalb der sozialistischen Bewegung entwickelten pazifistischen Traditio- nen eine ins Gewicht fallende Wirksamkeit besaßen.

So erweist sich der vom faschistischen Deutschland entfesselte Krieg auf der Ebene des Überbaus nicht als ein »einmaliger Betriebsunfall«. Doch erscheint der Hinweis angebracht, daß Kriegsideologie und Kriegspropaganda nur einen Faktor inner- halb der wesentlich komplexeren Kriegsursachenproblematik darstellen. Es hieße dem propagierten Selbstverständnis der Nationalsozialisten folgen, wollte man die Ideologie als die primäre Triebkraft der historischen Entwicklung anerkennen.

Der Gegenstand dieses Berichts war es jedoch nicht, die Identität oder Parallelität der Interessenlage der deutschen faschistischen Partei und der wirtschaftlich herr- schenden Klasse, die in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung ist, darzustellen.

190 u L. B e i : Studien. Hrsg. von H. Speidel. Stuttgart 1955, S. 251.

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