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Multinationale Unternehmen (MNC/

multi-national corporation) können wir als Firmen definieren, „die wirt- schaftliche Einrichtungen in zwei oder mehr Ländern besitzen“.1 Al- Qaida und ihr Anführer Osama Bin Laden spiegeln dieses Konzept einer MNC wider, obwohl die Gruppierung eher politische als wirtschaftliche Ziele verfolgt. Die Organisation be- steht aus multinationalen Akteuren, die in 40 bis 50 Ländern operieren.

Das „Headquarter“ gibt Richtung und Infrastruktur vor, während lokale Gruppen mit Hilfe örtlicher „Ange- stellter“ bestimmte Ziele vor Ort ver- folgen. Al-Qaida muss sich mit Büro- kratien, Budgets und sogar Veruntreu- ung durch Angestellte herumschlagen.

Zudem setzt die Al-Qaida-Führung auch vielfältige Formen direkter Aus- landsinvestitionen als Teil seiner all- täglichen Organisationsroutine ein, was leicht zu erklären ist, da Bin Laden und viele seiner „Mitarbeiter“

auf eine Karriere als Geschäftsleute zurückblicken können.

Al-Qaida ist eine bemerkenswert komplexe Organisation, die für die Durchführung ihrer Geschäfte Millio- nen braucht. „Sie muss für die Sicher- heit von Ruheräumen aufkommen,

die Familien von „Märtyrern“ finan- ziell unterstützen, Rekrutierung, In- doktrinierung, logistische Unterstüt- zung und Training bezahlen. Weiter wird ein Budget für demonstrative humanitäre Anstrengungen wie Wohlfahrtsorganisationen, Kliniken und Schulen benötigt, die als Tarnung für Terroristen dienen oder um Un- terstützung und Rekruten zu gewin- nen. Zu guter Letzt sind da noch die Kosten für Waffen,“2 so Daniel Gla- ser, Direktor der Abteilung im US-Fi- nanzministerium, die für Fragen der Finanzierung von Terroraktivitäten zuständig ist.

Wie viele „Angestellte“ Al-Qaida beschäftigt, können wir nur schätzen.

Nicht alle wurden in Trainingslagern ausgebildet, nicht alle Trainingslager sind bekannt.3 Und einige Al-Qaida- Mitglieder, wie die Attentäter von Madrid am 11. März 2004 wurden nie in einem Lager ausgebildet, son- dern waren in der spanischen Gesell- schaft gut verankert. Auf dem Höhe- punkt seiner Aktivitäten brauchte das terroristische Al-Qaida-Imperium jährlich Mittel von 35 Millionen Dol- lar.4 Selbst heute, wo große Teile sei- ner Infrastruktur zerstört sind und seine Führung auf der Flucht ist, be-

Geschäftszweck: Terror

Al-Qaida als multinationales Unternehmen

von Jodi M. Vittori

Modernes Management, flexible Strukturen, internationale Akteure, Franchise-Unternehmen in über 40 Ländern, diversifizierte Produktpalet- te, Joint-Ventures: Der ehemalige Ökonomiestudent Osama Bin Laden führt sein Terrorimperium als cleverer Geschäftsmann. Deshalb bewegt sich Al-Qaida in der globalisierten Welt wie ein Fisch im Wasser.

1 Robert Gilpin: The Political Economy of International Relations, Princeton 1987, S. 231.

2 US House Government Reform Committee, Subcommittee on Criminal Justice, Drug Policy, and Human Resources, Testimony by Daniel L. Glaser on Terrorism Financing and Money Laundering, 11.5.2004.

3 Heraldo Munoz: First Report of the Analytical Support and Sanctions Monitoring Team Appoin- ted Pursuant to Resolution 1526 (2004) Concerning Al-Qaeda and the Taliban and Associated Indi- viduals and Entities, UN Security Council, 25.8.2004, S. 7.

JODI M. VITTORI, geb. 1972, ist Doktorandin im Fach Politische Wissenschaften an der US Air Force University of Denver. Der Text ist eine Kurzfassung ihres Vortrags „The Business of Terror.

Al-Quaeda as a Multi-National Corporation“, den sie auf der Jahres- versammlung der International Securi- ty Studies Section Ende 2004 in Washington hielt.

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nötigt es wahrscheinlich fünf bis zehn Millionen Dollar pro Jahr. Um diese Bedürfnisse zu erfüllen, bedarf es ei- niger sehr cleverer Geschäftsleute.

Osama Bin Laden als CEO

Laut Bruce Hoffman ist „die Organi- sation, die Al-Qaida am meisten äh- nelt, eine multinationale Firma. Und Bin Laden selbst sollte wohl als ein Terroristen-CEO angesehen wer- den.“5 Hoffman fährt fort: „Die Orga- nisation, die von Bin Ladens beträcht- licher Geschäftserfahrung profitiert, ist offensichtlich wie ein modernes Unternehmen strukturiert, basierend auf Management-Konzepten der frü- hen neunziger Jahre, einschließlich Bottom-Up- und Top-Down-Netzwer- ken, einem gemeinsamen ,Mission Statement‘ und unternehmerischem Denken selbst in den unteren Rän- gen. Das macht sie außerordentlich flexibel und fähig, auch ernsthafte Niederlagen zu verkraften.“6 Er fügt hinzu: „Bin Laden wandte moderne Management-Techniken zur Führung einer transnationalen Terroristenor- ganisation an, die er an der Universi- tät und im Baugeschäft seiner Familie kennen gelernt hat.“7

Bin Ladens Vater Mohammed Bin Awad Bin Laden war ein Einwande- rer aus dem Jemen, der in Saudi-Ara-

bien eine äußerst erfolgreiche Baufir- ma gründete. Er knüpfte intensive Kontakte zum Königshaus und war in den sechziger Jahren sogar Minister für öffentliche Arbeiten.8

Osama Bin Laden schloss die sau- diarabische King Abdul Aziz Univer- sität mit einem Abschluss in Wirt- schaft und öffentlicher Verwaltung ab. Dort kam er zum ersten Mal mit der Muslim-Brüderschaft in Kon- takt.9 Als Mitarbeiter im Familien- unternehmen begann Bin Laden nach der sowjetischen Invasion Af- ghanistans die Mudjaheddin zu un- terstützen. Er lieferte Maschinen zur Räumung von Minen und zum Bau von Schützengräben und Straßen. 10 Vom pakistanischen Peshawar aus betrieb er zusammen mit seinem frü- heren Professor Abdullah Azzam Maktab al-Khadamat, das „Dienstbü- ro“, mit dessen Hilfe arabische Frei- schärler und Geld nach Afghanistan geschleust wurden.11 Hier baute Osama auch die finanziellen und or- ganisatorischen Grundstrukturen von Al-Qaida auf.12

Für Al-Qaida entwickelte Bin Laden ganz bewusst eine dezentralisierte, flexible und komplexe Finanzierung.

Es gibt keine „Hauptquelle“, die man trocken legen könnte, sondern ein Netz von Nebenquellen.13 Einige sei-

„Al-Qaida ist offensichtlich wie ein modernes Unternehmen strukturiert, basierend auf Management- Konzepten der frühen neunziger Jahre.“

5 Bruce Hoffman: Redefining Counterterrorism: The Terrorist as CEO, RAND Review 28, Nr. 1, 2004. S. 14. CEO ist die Abkürzung für Chief Executive Officer, dt. Vorstandsvorsitzender.

6 Bruce Hoffman: The Leadership Secrets of Osama Bin Laden. The Terrorist as CEO, Atlantic Monthly, April 2003, S. 26–27.

7 Bruce Hoffman (Anm. 5).

8 Peter L. Bergen: Holy War Inc.. Inside the Secret World of Osama Bin Laden, New York 2002, S. 45–47.

9 Ebd., S. 51. Der überwiegende Teil der erforschten Quellen gibt an, Bin Laden habe in Wirt- schaft und öffentlicher Verwaltung graduiert. Es gibt jedoch auch Quellen, die behaupten, Bin Laden habe in Wirtschaft und Ingenieurwissenschaft graduiert. Benjamin und Simon schreiben, Bin Laden beanspruche, dass ihm sein ingenieurwissenschaftlicher Hintergrund geholfen hätte, den Schaden den die Attentate am 11.9.2001 am World Trade Center anrichteten, vorherzusa- gen. Daniel Benjamin und Steven Simon: The Age of Sacred Terror: Radical Islam’s War against America, New York 2003, S. 98.

10 Bergen: Holy War, Inc. (Anm. 8), S. 53–54.

11 Ebd., S. 54.

12 Maurice R. Greenberg, William F. Wechsler, Lee S. Wolosky: Terrorist Financing: Report of an Independent Task Force, Council on Foreign Relations, New York 2002, S. 5.

13 Ebd., S. 6.

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ner Gelder kommen aus seinem Erbe, das auf 35 bis 250 Millionen Dollar geschätzt wird.14 Dazu kommen be- trächtliche weltweite Investitionen und eine Palette anderer Tätigkeiten von Drogen- und Diamantenschmug- gel bis zur Passfälschung. In der Ver- gangenheit kam der Großteil seiner Mittel aus den rund 80 Firmen, die er weltweit besaß. Sie dienten allein der Finanzierung von Al-Qaida-Operatio- nen.15 Bargeld wurde in Bündeln nach Kairo geflogen oder per Kamel- karawane von Oberägypten in den Sudan transportiert.16

Während seines Aufenthalts im Sudan errichte Bin Laden ein wahres Firmenimperium von Baufirmen, Produktionsfirmen, Devisenhandel, Import-Export und Landwirtschaft, einschließlich einer eigenen Bank, in die er rund 50 Millionen Dollar seines eigenen Geldes investierte. Wahr- scheinlich wussten die tausenden von Angestellten dieser Firmen nicht, was Al-Qaida überhaupt war: nur Al- Qaida-Mitglieder wussten von seiner Existenz und dass die Organisation dieses Finanzimperium kontrollier- te.17 Man schätzt jedoch, dass Bin Laden ungefähr 150 Millionen Dollar verloren hat, als er Sudan verlassen musste.18

Al-Qaida als multinationale Firma Eine Reihe der Charakteristika multi- nationaler Unternehmen passen auf Al-Qaida. Ihre Eigentümerschaft ist oligopolistisch, Produktion und Ver- kauf werden in mehreren Ländern getätigt, sie sind in eine Hauptver- waltung und mehrere Unterabteilun-

gen gegliedert.19 Innerhalb von Al- Qaida treffen Bin Laden und seine

„shura“ (Beratergremium) die Ge- schäftsentscheidungen für die gesam- te „Firma“. Unterhalb der „shura“

gibt es Räte, die verantwortlich sind für militärische Angelegenheiten, Geschäftsinteressen, Fatwas und die Medien, wobei wir nicht viel über die genauen Befugnisse dieser Komitees wissen. Intern wird Bin Laden „Di- rektor“ genannt, man benutzt eine Geschäftssprache, wie ein Dokument über eine jemenitische Al-Qaida- Zelle belegt, das in Kabul entdeckt wurde. Darin heißt es: „Das Spitzen- management soll konsultiert werden, was die Aufnahme und den Heraus- wurf aus der Firma angeht, die gene- relle Strategie und den Namen der Firma.“20

Al-Qaida ist ein multinationales Unternehmen der Spitzenklasse. Es operiert in fast 50 Ländern, ein- schließlich Ägypten, Somalia, Bosni- en, Kroatien, Tansania, Kaschmir, Tschetschenien, Uganda, Elfenbein- küste, Togo oder Ghana, und benutzt modernste Kommunikationstechnolo- gie. Viele der „Abteilungsleiter“ kön- nen wir als „Kosmokraten“ bezeich- nen, die sich in ihrer Heimatstadt ge- nauso wohl fühlen wie in New York oder Hongkong.21 Al-Qaida gehört nicht mehr zu den alten Terroristen- organisationen, die von staatlichen Subventionen leben. Ganz im Gegen- teil ist das Unternehmen frei von jeder Regierungskontrolle, kann seine eigene Organisationsinfrastruktur, Trainingsprogramme und Operatio- nen unterhalten, weshalb die Organi-

Al-Qaida ist ein multinationales Unternehmen der Spitzenklasse. Viele

„Abteilungsleiter“

sind „Kosmokra- ten“, die sich in ihrer Heimatstadt genauso wohl fühlen wie in New York oder Hongkong.

14 Bergen: Holy War, Inc. (Anm. 8), S. 104.

15 Benjamin und Simon: The Age of Sacred Terror (Anm. 9), S. 111.

16 Ebd., S. 112–113.

17 Bergen: Holy War, Inc. (Anm. 8), S. 83.

18 Ebd., S. 105.

19 Gilpin: The Political Economy of International Relations (Anm. 1), S. 232.

20 Bergen: Holy War, Inc. (Anm. 8), S. 31.

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sation bevorzugt im Gebiet dysfunkti- onaler Staaten operiert.22

Auch Bin Ladens engste Mitarbei- ter verfügen über enorme technische und ökonomische Qualifikationen.

Aywan Zawahiri, der oft als das „Ge- hirn“ Al-Qaidas angesehen wird, ist Arzt. Bin Ladens früherer Medienbe- rater in London war ein saudischer Unternehmer, der im Import-Export- Geschäft arbeitete, während sein Mili- tärberater als Computerspezialist in Kalifornien tätig gewesen war. Mam- douh Mahmud Salim, eine weitere Spitzenkraft des Unternehmens, stu- dierte Elektrotechnik.23

Bin Ladens Investitionsportfolio enthält Investments in Mauritius, Singapur, Malaysia, den Philippinen und Panama; hinzu kommt Grundbe- sitz u.a. in Europa.24 Al-Qaida be- nutzt auch Wohltätigkeitsorganisatio- nen wie die kürzlich geschlossene

„Benevolence International Founda- tion“, eine Hilfsorganisation aus Illi- nois mit Sitz in Bosnien-Herzegowi- na, die von einem Syrer mit amerika- nischer und bosnischer Staatsbürger- schaft betrieben wurde. Die Wohlfahrtsorganisation unterhielt u.a. ein Waisenhaus in Aserbaidschan und ein Tuberkulose-Hospital in Tad- schikistan, sie half beim Versuch, Uran zu kaufen und stellte Bargeld für die Attentate auf zwei US-Bot- schaften in Afrika im Jahr 1998 be- reit.25 Am Handel mit „Blutdiaman- ten“ aus Sierra Leone soll die Orga- nistion ebenfalls beteiligt sein.26

Al-Qaida hat auch das internationa- le Banksystem besonders geschickt manipuliert. Bin Laden selbst behaup- tete in einem Interview mit einem pa- kistanischen Journalisten, dass seine finanziellen Unterstützer „die Lücken im westlichen Finanzsystem so gut kennen wie die Linien ihrer Handflä- chen“.27 Zwar wurden Millionen Dol- lar auf Konten eingefroren, deren Nut- zung durch Al-Qaida bekannt wurde.

Doch inzwischen nutzt die Organisati- on die regionalen und wenig transpa- renten Banksysteme des Nahen Os- tens, einschließlich der Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwaits, Bahr- ains und des Libanon. Islamische

Bankininstitutionen, die sich nach den Regeln der Schariah richten, ge- nießen außerordentliche Autonomie und sind dafür bekannt, dass sie die Gelder von vielen Kunden vermischen und in Gruppeninvestitionen stecken, was zur Anonymität der Konten bei- trägt. Ausgiebig greift die Organisation auch auf das alternative, in Dubai üb- liche Hawala-Banksystem zurück, das als unreguliert, anonym und sehr effi- zient bekannt ist. Schließlich scheint Al-Qaida auch häufig Offshore-Bank- dienstleistungen in Anspruch zu neh- men, die für ihre strikte Beachtung des Bankgeheimnisses bekannt sind, vor allem auf den Bahamas. 28

Die Nichtregierungsorganisatio- nen, die von Al-Qaida gegründet oder beeinflusst sind, steuern ebenfalls Wesentliches bei. Indem sie Al-Qaida- Aktivisten Posten in ihren weltwei-

Auch Bin Ladens engste Mitarbeiter verfügen über enorme technische und ökonomische Qualifikationen.

Sie sind Ärzte, Computer- spezialisten, Import-Export- Fachleute und Elektroingenieure.

22 Greenberg, Wechsler, Wolosky: Terrorist Financing (Anm. 12), S. 5.

23 Bergen: Holy War, Inc. (Anm. 8), S. 31.

24 Rensselaer Lee: Terrorist Financing: The U.S. And International Response, Congressional Research Service, 6.12.2002, S. 8.

25 Douglas Frantz: Possible Link Seen to U.S.-Based Charity and Al-Qaeda, New York Times, 14.6.2002.

26 Expert and Newspaper Says Diamonds Fund Terrorists, 6.11.2001, zitiert 10.7.2002, http://www.jckgrop.com/index.

27 Kevin McCoy und Daniel Cauchon: The Business Side of Terror: Al-Qaeda Network Runs Like Fortune 500 Firm, USA Today, 16.10.2001.

28 Greenberg, Wechsler, Wolosky: Terrorist Financing (Anm. 12), S. 9–10.

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ten NGO-Büros verschaffen, halten sie eine für die Planung und Ausfüh- rung von terroristischen Attacken notwendige Infrastrukur parat. Sie versorgen die potenziellen Attemtä- ter mit Wohnungen, Aufenthaltsge- nehmigungen und Identitätspapie- ren.29 Auch stellen sie Bankkonten zur Verfügung, die für Bargeldabhe- bungen benutzt werden können.

„Wohlfahrtsorganisationen,“ so ein US-Regierungsbeamter, „sind die beste Tarnung. Sie tun mit der einen Hand Gutes und mit der anderen de- cken sie Terroristen.“30

Al-Qaidas Investitionen zeigen das Verständnis der Unternehmenslei- tung für den globalen Markt. Zum Beispiel wurde schweres Gerät gene- rell in Tschechien, Ungarn und Russ- land gekauft, wo die Preise niedrig sind. Produkte von Bin Ladens Far- men wurden auf Zypern verkauft, weil dies ein leichter Einstieg in den lukrativen europäischen Markt war und die Insel ein „freundliches“ Ban- kenwesen anbietet, wo wenig Fragen gestellt werden.31 Auch der Standort Europa mit seinen offenen Gesell- schaften gewann für Al-Qaida an Be- deutung. Zudem hat der Kontinent eine große und wachsende islamische Bevölkerung, die es rekrutieren und in der die Gruppe untertauchen kann.

Schließlich bietet Europa eine fortge- schrittene technische Infrastruktur, die die Terroristen brauchen, um weltweit zu operieren.32

Wie jede multinationale Firma kennt auch Al-Qaida Finanzkrisen.

In den neunziger Jahren hatte sie an- geblich Cash-Flow-Probleme wegen

des starken Dollars, vor allem im Ver- hältnis zum schwachen sudanesi- schen Pfund. Bin Laden musste Kos- ten sparen, indem er die Löhne kürz- te. Das verursachte Spannungen in- nerhalb der Dschihad-Gruppen unter dem Management Al-Qaidas. Die Schwierigkeiten wurden offensicht- lich so groß, dass er seine Truppen ermahnen musste: „Unsere Aufgabe ist größer als ein Geschäft. Wir wer- den hier keine Gewinne machen, aber wir müssen der Regierung helfen und die Regierung unserer Gruppe, und das ist unser Ziel.“33

Al-Qaida als Joint-Venture

Das prinzipielle Ziel einer multinatio- nalen Firma ist es, die kostengünstigs- te Produktion von Gütern auf dem Weltmarkt sicherzustellen. Ausländi- sche Direktinvestitionen sind durch verbesserte Transportmöglichkeiten, Kommunikation und positive Regie- rungspolitiken leichter geworden.34 Eine Untergruppe solcher Investitio- nen sind Joint-Ventures. Bin Laden neigt dazu, sich wie ein Joint-Venture- Kapitalist zu verhalten. Er ermutigt eine Entwicklung eigener Ideen in der Basis, fördert die kreativsten und umsetzungsfähigsten Ansätze und stellt eine Finanzierung für die viel versprechendsten Vorschläge zur Ver- fügung.

Das gilt vor allem für Attacken, die mehr an der „Peripherie“ der islami- schen Welt stattfinden, was etwa für die gewalttätigen Aktivitäten der in- donesischen Gruppe Jemaah Isla- miyah in Bali im Jahr 2002 und in Jakarta 2003 zutrifft.35 In einem CIA-

Al-Qaidas

Investitionen zeigen das Verständnis der Unternehmens- leitung für den globalen Markt.

Zum Beispiel wurde schweres Gerät in Tschechien, Ungarn und Russland gekauft, wo die Preise niedrig sind, Produkte aus Bin Ladens Farmen wurden lukrativ auf Zypern verkauft.

29 Benjamin und Simon: The Age of Sacred Terror (Anm. 9), S. 144–145.

30 Frantz (Anm. 25).

31 Benjamin und Simon: The Age of Sacred Terror (Anm. 9), S. 112.

32 Ebd., S. 175.

33 Ebd., S. 114–115.

34 Gilpin: The Political Economy of International Relations (Anm. 1), S. 233.

35 Bruce Hoffman: Redefining Counterterrorism (Anm. 5), S. 14.

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Briefing im Weißen Haus wurde Bin Laden 1995 als „die Ford Foundation des sunnitischen Extremismus“ be- schrieben: „Möchtegern-Terroristen machten Vorschläge. Fand Bin Laden die Projekte lohnend, schrieb er Schecks aus.“36

Wie viele andere multinationale Firmen hat Al-Qaida daran gearbeitet, seine Strukturen flacher und vernetz- ter zu gestalten.37 Van Natta Jr. weist darauf hin, dass „Terrorismus als ein Zerrbild der New Economy gesehen werden kann. In dieser Finanzstruk- tur managen Firmenchefs schlanke kleine Firmen, indem sie für spezielle Jobs Freiberufler anstellen. Die Spezi- alisten arbeiten als Team an einem Auftrag und übernehmen dann ande- re Jobs, oft für andere Firmen.“38

Nichtsdestotrotz gibt es Aspekte der Organisation, die ein traditio- nelleres Geschäftsmodell widerspie- geln, vor allem in der Führungsspitze.

So war Bin Laden bei einigen der spektakulärsten Attacken direkt be- teiligt.39 Sollte ein Anführer gefangen genommen, getötet oder kommunika- tionsunfähig werden, ist die Nach- folge genau geregelt.40

Al-Qaida ist bemerkenswert flexi- bel – sie hat keinen singulären Modus operandi. Wie Brian Jenkins kom- mentierte, sind „die Feinde von heute dynamisch, unvorhersehbar, vernetzt und in ständiger Entwicklung be- griffen.“41 Ein Teil dieser Flexibilität erklärt sich aus dem bipolaren Cha- rakter Al-Qaidas, die sowohl Organi-

sation als auch dynamische Ideologie ist. Neben Bin Ladens Kommando- kette gibt es andere, die nur dem losen Netzwerk angehören, dessen Binde- glied der Respekt für Bin Laden und seine Ideen ist.42

Diese Flexibilität ermöglicht das Weiterbestehen der Organisation, ob- wohl sie mit der vollen Härte des Kampfes gegen den Terror konfron- tiert ist. Wenn ein Operationsbereich verletzbar scheint, kann Al-Qaida ihren Modus operandi außeror- dentlich rasch umstellen. Droht einer Niederlassung Gefahr, benutzt sie ihre weitverzweigten Strukturen, um sie auf sichereres Gelände zu ver- schieben. Überprüfen amerikanische Steuerinspektoren eine spezielle Wohlfahrtsorganisation, kann diese unter anderem Namen in ein anderes Bundesland umziehen.43 Diese amö- benartige Existenz ist der Schlüssel zum Überleben der Organisation.

Eine neue Al-Qaida-Generation dürfte noch schwerer zu durchschauen sein. Die „Neue Garde“ sieht Bin Laden eher als Inspiration denn als CEO. Zu dieser neuen Garde gehört der Jordanier Abu Musab al-Zarqawi, Al-Qaidas mutmaßlicher Chefterrorist im Irak, und der Saudi Abu Walid, der eine Führungsposition bei den tschet- schenischen Rebellen übernommen hat. Diese Gruppe gilt als besser aus- gebildet, technisch noch versierter und mindestens ebenso religiös mo- tiviert wie die erste Al-Qaida-Genera- tion.44 Zudem verlässt sich Al-Qaida

„Terrorismus kann als Zerrbild der New Economy gesehen werden.

In dieser Finanz- struktur managen Firmenchefs schlanke kleine Firmen, indem sie für spezielle Jobs Freiberufler anstellen.“

36 Benjamin und Simon: The Age of Sacred Terror (Anm. 9), S. 242–243.

37 Hoffman: Redefining Counterterrorism (Anm. 5), S. 14.

38 Don Van Natta: Running Terrorism as a New Economy Business, New York Times, 11.11.2001.

39 Hoffman: Redefining Counterterrorism (Anm. 5), S. 14.

40 Ebd., S. 15.

41 Brian Michael Jenkins: Redefining the Enemy. The World Has Changed, but Our Mindset Has Not, RAND Review, Bd. 28, Nr. 1, 2004, S. 17.

42 Bergen: Holy War, Inc. (Anm. 8), S. 5.

43 Report to Congressional Requesters on Terrorist Financing: U.S. Agencies Should Systemati- cally Assess Terrorists’ Use of Alternative Financing Methods, General Accounting Office, November 2003. S. 30.

44 Faye Bowers: Al-Qaeda’s New Young Guard. A Shift in Tactics, Christian Science Monitor, 13.2.2004.

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immer stärker auf seine globalen

„Franchise-Firmen“. Dazu gehören die Moro-Befreiungsbewegung in den Philippinen, Jemaah Islamiah in Indo- nesien, die Al-Ansar-Mudjaheddin in Tschetschenien und die Harakat ul- Mudjaheddin in Kaschmir.

Al-Qaidas Geldverteilungssystem Da die Organisation nun dezentralisier- ter ist, unterhält sie keine Trainings- camps mehr oder unterstützt ganze Regierungen. Deshalb braucht sie we- sentlich weniger Geld. Nach Schätzun- gen von David Aufhauser, Berater des US-Finanzministeriums, braucht sie anstatt 35 Millionen vor wenigen Jah- ren heute vermutlich nur noch fünf bis zehn Millionen Dollar jährlich.45

Generell werden die Operationen Al-Qaidas auf zweierlei Weise finan- ziert. Bei größeren Operationen wie jenen des 11. September werden Grundkapital und Beratung von der Organisationsführung zur Verfügung gestellt. Die Kosten beliefen sich auf etwa 200 000 bis 500 000 Dollar. We- niger kostspielige Aktionen können von kleine Zellen selbst finanziert werden, indem sie für die Beschaf- fung von Bargeld beispielsweise Tarn- firmen oder gestohlene Kreditkarten benutzen.46 Kleine, sich selbst finan- zierende Zellen sind äußerst schwie- rig aufzubrechen. Dennoch kann man ihnen mit traditionellen Strafverfol- gungsmethoden zu Leibe rücken, vor allem wenn die Informationen der jeweiligen Geheimdienste an die Er- mittlungsbehörden weiter geleitet werden. Um die generellen Al-Qaida- Aktivitäten einzudämmen, bedarf es jedoch intensiver Geheimdiensttätig-

keit und internationaler Unterstüt- zung. Auf diesem Gebiet sind viele Taktiken bereits eingesetzt worden.

Als längerfristige Lösung versucht man, die Unterstützung für Al-Qaida vor allem in den islamischen Gesell- schaften auszutrocknen. Es muss je- doch noch viel mehr getan werden, um die Finanzstrukturen zu zer- stören, die das Funktionieren der Or- ganisation als Ganzes garantieren. Zu diesem Zweck müssen die Finanz- ströme analysiert werden, die die Ter- roroperationen und Propagandakam- pagnen Al-Qaidas ermöglichen.

Geldwäsche ist laut US-Recht defi- niert als „die Bewegung von illegalem Bargeld oder Bargeld-Äquivalenten in, aus oder durch die Finanzinstitutionen der USA.“47 Jede kriminelle Gruppe muss Geldbewegungen tarnen, vor allem wenn die Mittel für illegale Op- erationen verwendet werden sollen.

Der Geldwäscheprozess läuft im Allge- meinen in drei Stufen ab. Die erste Stufe ist die Platzierung, in der eine Person, die Schlupflöcher in Finanz- systemen ausfindig machen kann, das Geld ins internationale Finanzsystem einschleust. Das wird häufig über Off- shore-Konten getätigt. In einem zweiten Schritt werden die Gelder umgeschich- tet, um ihre Quellen zu verschleiern.

Das passiert oft durch mehrere Finanz- transaktionen unterhalb der 10 000- Dollar-Schwelle, die einen Währungs- transaktions-Report auslöst. Der dritte Schritt ist die Integration, wobei die Gelder durch legal wirkende Transak- tionen wie Investitionen in legale Ge- schäfte und Immobilienkauf versteckt werden.48 Al-Qaida beherrscht alle drei Schritte perfekt.

Bei größeren Ope- rationen wie 9/11 werden Grund- kapital und Beratung von der Organisations- führung zur Verfügung gestellt.

Die Kosten beliefen sich auf etwa 200 000 bis 500 000 Dollar. Weniger kostspielige Aktionen können von kleinen Zellen selbst finanziert werden.

45 Don Van Natta: Terrorists Blaze a New Money Trail, New York Times, 28.9.2003.

46 Greenberg, Wechsler, Wolosky: Terrorist Financing (Anm. 12), S. 3 und Boucek: The Battle to Shut Down (Anm. 4), S. 2.

47 Kimberly L. Thachuk: Terrorism’s Financial Lifeline: Can It Be Severed?, Strategic Forum 191, 2002, S. 1–2.

48 Ebd., S. 1–2.

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Politik-Empfehlungen

Der Versuch, Al-Qaida von ihrem Bar- geldzugang abzuschneiden, ist laut einer jüngst erschienenen UN-Studie gescheitert. Die Gründe sind vielfältig:

Es erwies sich als außerordentlich schwierig, Sanktionen auf Organisatio- nen und Individuen anstatt auf Staaten zuzuschneiden. Viele Staaten sind un- willig oder unfähig, entsprechende Ge- setzgebungsmaßnahmen zu erlassen und durchzusetzen. Dazu kommt Al- Qaidas ausgeprägte Fähigkeit, wech- selnde Taktiken und Organisationsfor- men zu nutzen.49

Brian Jenkins konstatiert: „Was die Geheimdiensterkenntnisse angeht, müssen wir schnell schlau werden.

Wir brauchen die Fähigkeit zu ver- netzter, multilateraler Bedrohungs- analyse – vergleichbar mit ,Echtzeit- Geheimdienstanalyse auf dem Schlachtfeld‘ – um Informationen zu generieren, die gebündelt und von einem Soldaten in Afghanistan, einem Amtmann in Frankreich, einem Po- lizisten in Singapur, einem Marinesol- daten in Haiti schnell benutzt werden können. Diese Fähigkeit haben wir bisher noch nicht.“50

Terrorbekämpfung auf diesem Niveau erfordert das Abrücken von einigen fest gefügten Vorstellungen.

Erstens müssen die USA begreifen, dass sich zwischen inneren und äußeren Angelegenheiten kaum mehr unterscheiden lässt. Zweitens ist auch der Unterschied zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor

obsolet.51 Wir sollten aus unserer Er- fahrung vor und nach dem 11. Sep- tember wissen, dass Terrorfinanzie- rung ein kompliziertes und multidi- mensionales Problem ist, dass innen- politisch wie international eine Reihe von legalen, gesetzgeberischen, finan- ziellen, geheimdienstlichen und strafrechtlichen Interessen berührt.52

Die USA können nicht allein jede Al-Qaida-Zelle eliminieren. Wie David Aufhauser, Spitzenbeamter des US-Finanzministeriums schon 2003 sagte, sind „unsere Wirtschaften ab- sichtlich offen und durchlässig. Die Möglichkeiten, Restriktionen des Kapitalflusses zu umgehen, sind nahe- zu unendlich. Zudem haben wir es mit einer weltweiten Herausforder- ung zu tun.”53 Alexei Vassiliev, Afri- ka-Experte der Russischen Akademie der Wissenschaften, weist darauf hin, dass „Drogenhändler ähnliche Maß- nahmen erfolgreich umgingen und es ihnen gelungen ist, im vergangenen Jahrzehnt ungefähr eine Billion Dol- lar zu waschen – deshalb ist es zwei- felhaft, dass die Kanäle zur Terrorfi- nanzierung total blockiert werden können.“54 Das Beste, was die USA erhoffen können, ist, Al-Qaida einzudämmen, wie sie es mit der Sow- jetunion während des Kalten Krieges taten. In der Zwischenzeit müssen die USA und ihre Allierten Al-Qaidas Möglichkeiten einschränken und die soziologischen Faktoren minimieren, die zu ihrer Unterstützung als Ideolo- gie beitragen.55

Der Versuch, Al-Qaida von ihrem Bargeldzugang abzuschneiden, ist laut einer jüngst erschienenen UN-Studie gescheitert.

49 Munoz, First Report of the Analytical Support and Sanctions Monitoring Team Appointed Pursuant to Resolution 1526 (2004) Concerning Al-Qaeda and the Taliban and Associated Indi- viduals and Entities (Anm. 3).

50 Jenkins: Redefining the Enemy (Anm . 41), S. 20.

51 Benjamin und Simon: The Age of Sacred Terror (Anm. 9), S. 402.

52 U.S. Senate Foreign Relations Committee, Testimony of Juan C. Zarate, Deputy Assistant Sec- retary of the Treasury on Terrorist Financing and Financial Crime, 18.3.2003.

53 Josh Meyer: Cutting Money Flow to Terrorists Proves Difficult, Los Angeles Times, 28.9.2003.

54 Alexei Vassiliev: Financing Terror: From Bogus Banks to Honey Bees, Terrorism Monitor I, Nr. 4, 2003, S. 5.

55 Benjamin und Simon: The Age of Sacred Terror (Anm. 9), S. 411.

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