A-927 Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 16, 17. April 1998 (15)
ie Ärzte in der hausärzt- lichen Versorgung sollen künftig besser und einheit- lich qualifiziert sein. Der Hausarzt der Zukunft soll der in einem fünf- jährigen Curriculum weitergebildete Facharzt für Allgemeinmedizin wer- den. Zudem soll das bisherige Ver- hältnis von 60 Prozent Spezialärzten zu 40 Prozent hausärztlich tätigen Ärzten umgekehrt werden. So die Überlegungen einer Arbeitsgruppe von Ministerialbeamten in einem Initiativprogramm, das die Be- schlüsse der Gesundheitsminister- konferenz der Länder (vom 24. Mai 1995 in Potsdam) umsetzen will.
Nach dem Entwurf der Länder- referenten sollen die Selbstverwal- tungen (Bundesärztekammer, Kas- senärztliche Bundesvereinigung, Deutsche Krankenhausgesellschaft, Krankenkassen), nicht aber die Län- der, in die Sicherstellung und die Fi- nanzierung der hausärztlichen Ver- sorgung eingebunden werden. Das Papier knüpft an die Beschlüsse des 99. und 100. Deutschen Ärztetages (1996/1997) an, wonach die Verlän- gerung der allgemeinärztlichen Wei- terbildung von drei auf fünf Jahre an die Bedingung gebunden ist, daß zu- sätzliche Arbeitsplätze für die Ab- solvierung der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin und deren Finan- zierung garantiert werden. Dieses Junktim ist jetzt auch in das GMK- Entwurfspapier eingeflossen. Von einem gesetzlich abgesicherten fi- nanziellen Engagement der Länder in der Allgemeinmedizin – sei es in
der Aus- oder Weiterbildung, sei es bei der Etablierung des Faches All- gemeinmedizin an den Universitä- ten – ist allerdings nicht die Rede.
Um die hausärztliche Versor- gung nicht auszutrocknen, geht der Ansatz von einem Ersatzbedarf von mindestens 1 400 Ärzten im Jahr 2004 aus. Der Weiterbildungsbedarf im Fach Allgemeinmedizin beträgt jährlich 1 500 Ärzte, insgesamt also 7 500 Ärzte (über fünf Jahre). Für diese müßten entsprechende Stellen in Kliniken und Lehrpraxen vorge- halten und finanziert werden. Es wird unterstellt, daß im Regelfall drei Jahre der Weiterbildungszeit im Krankenhaus und weitere zwei Jahre in einer allgemeinmedizini- schen Praxis absolviert werden. Die benötigten Weiterbildungsmöglich- keiten verteilen sich im Verhältnis von 60 zu 40 auf stationär zu ambu- lant. Im stationären Bereich wären 4 500, im ambulanten Sektor rund 3 000 Stellen erforderlich.
Kliniken bis 500 Betten
Die Länder gehen davon aus, daß sich die Weiterbildungsmöglich- keiten im stationären Sektor künftig überwiegend auf Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung konzentrieren. Dies sind Kranken- häuser bis zu rund 500 Betten; diese sollten mindestens über Abteilun- gen „Allgemeine Innere Medizin“,
„Allgemeine Chirurgie“ und „Gynä- kologie/Geburtshilfe“ verfügen. Zur
Zeit gibt es rund 1 000 Krankenhäu- ser dieser Größenordnung mit rund 257 000 Klinikbetten. Dementspre- chend wären im Durchschnitt vier bis fünf Stellen je Krankenhaus (un- ter Berücksichtigung der AiP-Phase zwei bis 2,5 Stellen) beziehungswei- se eine Stelle je 114 (beziehungswei- se 57) Betten zu veranschlagen.
Die Rechnung geht davon aus, daß derzeit rund 30 000 Vertragsärz- te allgemeinmedizinisch tätig sind.
Bei einem prognostizierten Bedarf von 3 000 Stellen müßte sich dem- nach jeder zehnte niedergelassene Allgemeinarzt an der Weiterbildung nachrückender Allgemeinärzte be- teiligen. Um Engpässe in der Start- phase zu vermeiden, wird unterstellt, daß im ambulanten Sektor einein- halb Jahre des Weiterbildungsobli- gatoriums abgeleistet werden.
Während einer zweijährigen Vorfinanzierungsphase sollen acht Eckpunkte realisiert werden:
– Die Stellen im ambulanten und stationären Sektor sollen im Rahmen der Umsetzungsstrategie bereitgestellt werden.
– Die Ärztekammern registrie- ren die vorhandenen Weiterbil- dungsstellen in beiden Bereichen.
– Weiterbildungsinteressenten melden sich bei den Ärztekammern, die ihnen freie Stellen vermitteln.
– Innerhalb der Krankenhäu- ser entscheidet über die Verwaltung und Besetzung der Stellen der Ärzt- liche Direktor, der für die der Wei- terbildung entsprechenden Zuwei- sung zu den Weiterbildungsstatio-
P O L I T I K LEITARTIKEL
Allgemeinmedizin
Länder wollen „Negativtrend“
stoppen
Die Bundesländer wollen mit einem „Initiativprogramm zur Sicherstellung der allgemeinmedizinischen Versorgung“ die hausärztliche Versorgung verbessern.
D
Bis heute gibt es noch keine um- fassende deutsche Publikation der Akten des Nürnberger Ärzteprozes- ses. Das wird vom kommenden Jahr an anders sein. Dann wird nämlich jeweils eine deutsch- und englisch- sprachige Gesamtedition erscheinen.
Möglich wurde dieses umfangreiche Projekt durch die finanzielle Unter- stützung vieler Ärztinnen und Ärz- te. Der ehemalige Leiter der West- fälischen Klinik für
Psychiatrie, Psychoso- matik und Neurologie in Gütersloh, Prof. Dr.
med. Dr. phil. Klaus Dörner, hatte dazu eine Spendeninitiative ge- startet, über die unter anderem auch vom Deutschen Ärzteblatt in mehreren Beiträgen be- richtet wurde.
Jetzt hat die Ham- burger Stiftung für So- zialgeschichte des 20.
Jahrhunderts (HSG) ei- nen Bericht vorgelegt, in
dem über den derzeitigen Stand des Projekts informiert wird:
1 Die deutsch- und englischspra- chige Gesamtausgabe mit einem je- weiligen Umfang von 30 000 Seiten wird auf Mikrofiches erscheinen. Eine Ausgabe in Buchform ist deshalb nicht vorgesehen, weil sie eine 60bän- dige Aktenedition ergeben hätte.
Außerdem hätte man den gesamten Text neu erfassen müssen. Auf CD- ROM konnten die Dokumente nicht erscheinen, da die Qualität der Quel- len zum Teil nicht sehr gut ist. „Man hätte die Vorlagen nicht als Daten, sondern lediglich als Bilder erfassen können. Damit aber wären die Vortei- le, wie zum Beispiel die Volltext-Re- cherche, die eine CD-ROM normaler- weise bietet, verlorengegangen“, heißt es in dem Sachstandsbericht.
Schließlich sei außerdem die Edition auf Mikrofiches auch international gebräuchlich.
1 Um die Quellen handhabbar und nutzbar zu machen, erstellt die
HSG Register und Konkordanzen.
Für die deutsche Version sind bereits zwei Drittel der entsprechenden Re- gister fertiggestellt. Die englische Ver- sion wird seit November 1997 bear- beitet. Die Register und Konkordan- zen werden voraussichtlich im Herbst 1999 als Begleitband zur Mikrofiche- Edition erscheinen.
1 Zusätzlich zu der Mikrofiche- Edition plant die Hamburger Stiftung eine zweibändige Pu- blikation für ein „breite- res interessiertes Publi- kum“. Der erste Band soll die neuesten For- schungsergebnisse be- züglich aller Aspekte des Ärzteprozesses ent- halten. Der zweite Band soll exemplarische, mög- lichst ungekürzte und aussagekräftige Doku- mente zu den jeweili- gen Forschungsaufsät- zen präsentieren. Für diese Publikation ist ebenfalls der Herbst 1999 als Erscheinungstermin vor- gesehen.
1 Zur Vorbereitung dieser Pu- blikation veranstaltet die HSG in Zu- sammenarbeit mit dem Institut für Medizinische Soziologie der Univer- sität Hamburg und der Ärztekammer Hamburg eine Ringvorlesung zum Nürnberger Ärzteprozeß. Vom 22.
April an referieren Medizinhistoriker und -historikerinnen unter anderem über die Themen „Die soziale Lage der Ärzte im NS-Staat“ und „Der Menschenversuch in der Medizin“.
Da immer noch Spenden einge- hen, kann Dörner das „amtliche End- ergebnis“ noch nicht mitteilen. Bisher sei, so der Psychiater, mehr als eine Million DM eingegangen, „so daß nicht nur das Gesamtprojekt finan- ziert ist, sondern auch noch – wie ver- einbart – ein erheblicher Betrag den überlebenden Opfern, also dem ,Bund der Euthanasie-Geschädigten und Zwangssterilisierten‘ zur Verfü- gung gestellt werden kann“. Kli nen sorgt. Die Ärztekammern werden
verpflichtet, zusammen mit den Lan- desbehörden den Ärztlichen Direkto- ren (den Krankenhäusern) flächen- deckend eine entsprechende Ermäch- tigung oder Zulassung zu erteilen.
– Das Konzept unterstellt, daß im stationären Bereich künftig stärker zwischen allgemeinärztlicher interni- stischer und spezialärztlich interni- stischer Weiterbildung unterschie- den wird. Spezialärztliche Weiterbil- dungsermächtigungen sollen durch die Ärztekammern künftig nur noch vergeben und aufrechterhalten wer- den, wenn dies vom Patientenauf- kommen notwendig ist und die struk- turellen Voraussetzungen der Spezial- abteilungen dies erfordern.
Ärztekammer koordiniert
Während der Absolvierung des stationären Weiterbildungsgangs sol- len Verträge nach Maßgabe des Wei- terbildungsbefristungsgesetzes ge- schlossen werden. Die AiP-Zeit soll in die Weiterbildungszeit integriert blei- ben. Die Ärztekammern ermächtigen die Vertragsärzte zur Weiterbildung in der Allgemeinmedizin, auch soweit es anrechnungsfähige Fächer betrifft.
Kernstück des Projekts ist die Finan- zierung in Form einer Pool-Lösung.
Ambulanter und stationärer Sektor sollen mit einem gleich hohen Finan- zierungsanteil herangezogen werden.
Die Krankenkassen sollen die Weiter- bildung zum Allgemeinarzt im Kran- kenhaus und in der Allgemeinarzt- praxis mit 2 000 DM pro Monat und Assistentenstelle bezuschussen (und zwar befristet).
Im ambulanten Bereich soll die Förderung über einen paritätisch von Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen aufzubringenden Bei- trag finanziell abgesichert werden.
Zumindest mittel- und langfristig sol- len die Gehälter der Assistenten über eine Anhebung des Praxisumsatzes refinanziert werden. Dort, wo einzel- ne KVen bereits Vergütungsregelun- gen für Weiterbildungsassistenten in der Allgemeinmedizin getroffen ha- ben (so in Sachsen), sollen sich die Krankenkassen (analog die PKV) mit einem Beitrag bis zu 2 000 DM pro Monat beteiligen. Dr. Harald Clade A-928
P O L I T I K LEITARTIKEL/AKTUELL
(16) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 16, 17. April 1998
Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses
Eine Million Mark Spenden
Klaus Dörner, Initiator des Projekts
Foto: Herbert Mück