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Archiv "Theater an der Ruhr: Gegen den Fremdenhaß" (07.03.1991)

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Theater an der Ruhr:

Gegen den Fremdenhaß

Station eines Gastspiels in der Türkei DEUTSCHES

ARZTEBLATT

KULTURNOTIZEN

geben werden konnte. Jug- dutt zählte weitere günstige Befunde auf: weniger regio- nale linksventrikuläre Dys- funktionen oder Asynergien, eine vergrößerte linksventri- kuläre Auswurffraktion, we- niger Überleitungsstörungen, weniger Thromben im linken Ventrikel, weniger Fälle ei- nes kardiogenen Schocks.

„Bereits minimale Nitro- glyzerindosen, die weder den Füllungsdruck senken noch den arteriellen Blutdruck ver- mindern, noch gesunde Kranzarterienabschnitte dila- tieren, führen zu einer Erwei- terung von Koronarsteno- sen", ergänzte Professor Wulf-Dirk Bussmann, Uni- versität Frankfurt. Er speku- lierte, möglicherweise werden

„subtotale Verschlüsse wie- der durchgängig". Hier beruft er sich auf die Arbeiten des Physiologen I. Bassenge, der nachwies, daß Nitrate, das heißt, das aus ihnen freige- setzte NO, den EDR-Faktor ersetzen können, der im En- dothel einer atherosklero- tisch geschädigten Koronar- arterie nur vermindert gebil- det wird. Nach dieser Theorie geht dem Gefäß im Fall einer intravaskulären Gerinnung die Möglichkeit zur Dilatati- on verloren, die ein physio- logischer Reflex auf jede Thrombusbildung ist.

Während der Wert von Nitroglyzerin in der Initial- phase des Herzinfarktes und bei der hypertensiven Krise nicht mehr angezweifelt wird, sind weitere auf dem Sympo- sium diskutierte Indikationen noch nicht durch größere Stu- dien gesichert. Dr. Martin Kriegmair, Oberarzt am Kli- nikum Großhadern in Mün- chen, führte eine offen rando- misierte Studie mit Nitro- glyzerin durch, um durch die- ses Relaxans glatter Muskel- fasern den Harnleiter zu dila- tieren. Auch die Versuche von Privatdozent Martin Sta- ritz, Universität Mainz, der seine Patientinnen Nitro- glyzerin bei Gallenkoliken selbst applizieren ließ, sind, wie er sagte, erst „hoffnungs- volle" Anfangsergebnisse.

Rüdiger Meyer

E

s ist Mittagszeit am Flughafen von Anka- ra, von wo uns ein Bus in die von europäischen, oft deutschen Architekten am Reißbrett verplante Stadt transportiert, über leere Landstraßen, vorbei an ok- kerfarbigen, fast kahlen Fel- dern der Westanatolischen Hochfläche. Von immenser Häßlichkeit: die brüchigen Fassaden langsam einfallen- der Häuschen, die, über Nacht errichtet und von im Bau befindlichen Schnellstra- ßen eingekeilt, den sich im- mer mehr verdichtenden Gürtel der Gecekondular bil- den.

Blanke Armut sticht hier ins Auge. Zu spüren ist die

Furcht vor der als Folterer in Verruf geratenen Polizei, wenn auch nicht auf Schritt und Tritt. Es wirkt so, als wollte die Mehrheit der Tür- ken die düsteren Ereignisse sowenig wie möglich anrüh- ren, um in der beginnenden Liberalisierung eine Versöh- nung zu erreichen. Alles in al- lem der gestörte Anfang einer paradoxen Demokratie, be- droht auch durch islamische Fundamentalisten.

Um so wichtiger die baldi- ge, bisher verweigerte Anbin- dung an Europa, um so we- sentlicher eine starke Kultur, die sich öffnet, ohne ihr Ei- genleben aufzugeben. Vor diesem Hintergrund erhält das erfolgreiche Gastspiel, das das Mülheimer „Theater an der Ruhr" von Ankara nach Izmir, von Izmir nach Istanbul brachte, seine ei- gentliche Bedeutung. Übri- gens bereiste das auslandser- probte Ensemble, dessen We- ge bisher von Athen bis Zü- rich, Zagreb bis Chicago führ- ten und dessen Herz für den Geist nomadenhafter Zigeu- ner schlägt, nicht zum ersten Mal die Türkei.

„Wenn es um die Realisie- rung einer multikulturellen Gesellschaft ohne Grenzen geht, dann muß sich der Haß gegenüber dem Fremden ver- ringern. Und wir merken, daß, je rascher die Entwick- lung vorangeht, der Fremden- haß in allen europäischen Ländern um so beängstigen- der zunimmt. Da muß man sich gerade als Theaterma- cher fragen, wie man dem Haß, der Gewalt, der Intole- ranz entgegenwirkt." Das be- tonte Roberto Ciulli, Insze- nierer des „Theaters an der

*Ruhr", immer eindringlicher.

Seine Fassung von Sartres

„Tote ohne Begräbnis", lei- der aus technischen Gründen nur in Ankara spielbar, wirk-

te hier, in diesem Land, wo die Beschäftigung mit Litera- tur nicht erst seit Republik- gründung und keineswegs nur zu Zeiten der Militärdiktatur riskant gewesen ist, wie der emanzipierende Bruch mit ei- nem Tabu. Seine Phantasien der Folter waren in ihrer un- glaublichen Kompromißlosig- keit zugleich Konfrontation mit dem Verdrängten.

Am Anfang sieht man, wie fünf Menschen in weißer Un- terwäsche mit verbundenen Augen, in Bewegungslosigkeit verharrend, auf den Sprossen des Klettergerüstes einer un- ter Wasser stehenden Turn- halle angebunden, schweigen, wie Tote am Kreuz. Es ge- schieht nichts, nur die Gum- mistiefel, die im Wasser trei- ben, signalisieren, daß Zeit vergeht. In ihr existieren kei- ne Lösungen, keine Vergan- genheit, keine Zukunft, nur die ewige Gegenwart der Op- fer, die ohne Begräbnis sind.

Eine atemberaubende In- szenierung, die den Bauch in Unruhe, den Kopf in Aufruhr versetzt, weil sie vor Augen führt, daß in jedem Opfer ein potentieller Folterer steckt,

weil sie das Risiko eingeht, einprägsame, vor allem attak- kierende Bilder zu finden für den Sadismus der Folterer, die Absurdität ihrer Taten;

die Logik des Terrors, den Schrei geschundener Körper, den Wahn fauler Ideologen, was Peter Weiss, während er an den „Ermittlungen"

schrieb, als Ding der Unmög- lichkeit befand.

Natürlich war die Ent- scheidung, Sartre zu spielen, auch politisch von Bedeu- tung. Denn wo sonst als in ei- nem Land, in dem gefoltert wird, vermag eine solche In- szenierung ein Engagement zu provozieren? Es gehört mit zu den allmählichen Verän- derungen der Türkei, daß ein so brennendes, die Gemüter erregendes Thema aus den dunklen Tabuzonen treten kann. Das betonte Ciulli, vor- sichtig, auch abwägend, in langen Pressekonferenzen wie in öffentlichen Debatten.

Der Generalintendant des türkischen Staatstheaters, Bizkurt Kuruc, jedenfalls wußte, was auf ihn zukam, als er das „Theater an der Ruhr"

nach Ankara einlud. Auf das Mitbringen dieser Inszenie- rung legte er allergrößten Wert, wenn er es auch unter- ließ, für sie im größeren Um- fang zu werben, eine sanfte Strategie des Verschweigens aus Selbstschutz. Keine Pla- kate, kaum Ankündigungen, nur Einladungen und Mund- propaganda. Das genügte, um die neue, am Abend einge- weihte Spielstätte zu füllen, eine umgebaute Turnhalle ei- nes ehemaligen Militärcamps, am Rand von Ankara gele- gen, von Stacheldraht umge- ben. Assoziationen drängten sich hier draußen, in dieser kahlen Öde, verstärkt durch zufällig am Himmel kreisen- de Militärhubschrauber, auf, passend zum Schreckens- tenor der gewagten Inszenie- rung, die manch einen Deut- schen aus dem Umkreis des Goethe-Instituts vergraulte, wegen der Langeweile, wie sie behaupteten.

Die türkischen Zuschauer dagegen reagierten offener, auch sensibler. Und das, ob- A-774 (80) Dt. Ärztebl. 88, Heft 10, 7. März 1991

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gleich keine Übersetzung vor- lag. Sie waren auf bannende Bildfiktionen angewiesen, die ohne die Macht der Wörter auskamen. Eines der vielen, das sie berührte, war das Bild der Veronika Bayer im wei- ßen Kleid einer Braut, die, nach ihrer Schändung hinter dem roten Vorhang, vor Kraftlosigkeit mit verzerrtem, auch verletztem Mund ins Wasser stürzt, nur noch stam- melnd. Ein schauriges Bild, das wie eine ätzende Säure das Gedächtnis angreift, an- dere Bilder ausradiert, weil es zeigt, wie jemand noch ein- mal durch die irdische Hölle gejagt wird, Kunst hier als wahre Katharsis im aristoteli- schen Sinne erlebbar, und das an drei Abenden im ausver- kauften Haus.

Für die türkischen Zu- schauer, darunter viele junge, war das eine Ausnahme. Ihre Erwartung, mit dem konfron- triert zu werden, vor dem an- dere ausweichen, wurde bei weitem übertroffen, ihre Ru- he gestört. Zur Abendord- nung überzugehen, schien un- denkbar. Was sie da gesehen hätten, erzählten sie, sei mehr, als Zeitungsberichte leisteten, und ginge in seiner Drastik weit über das hinaus, was bisher im türkischen Theater zu sehen gewesen sei, ein Lob an die Glaubwür- digkeit der Leistungen. Zu- dem ein Beleg dafür, daß ein über Bilder rezipierbares Theater über Sprachbarrie- ren hinweg den Nerv eines Landes zu treffen vermag.

Daß sich diese schlüssige Bildversion, die sich radika- len Textstreichungen ver- dankt, nicht als arrogante Einmischung in die inneren Angelegenheiten mißverste- hen ließ, ist sicherlich auf die überall an den Tag gelegte Haltung des Theater-Teams Roberto Ciulli und Drama- turg Helmut Schäfer zurück- zuführen. Aber auch die In- szenierung, die das Pathos existentialistischer Freiheit wie aktuelle Anspielungen ausklammert, ließ derartige Eindrücke erst gar nicht zu.

Helmut Schäfer in einer Dis- kussion zum Thema falscher

Veronika Bayer als Lucie in Jean-Paul Sartres Stück „Tote ohne Begräbnis", inszeniert von Roberto Ciulli Foto:

Werner Groneck

Anmaßung: „Unmöglich, als deutscher Theatermacher so arrogant zu sein, in der Tür- kei bestimmen zu wollen, was sich dort etablieren soll.

Richtiger ist, daß man in ei- nem Land gastiert, um etwas an Regisseure und Schauspie- ler zu vermitteln, die damit etwas anfangen können, und ihnen die Kraft gibt, ihren Weg zu einer progressiven Ästhetik zu gehen."

Erleichtert schien Bizkurt Kuruc, als er erlebte, wie be- geistert Journalisten und Zu- schauer den Abend aufnah- men. Daß er womöglich sei- nen Intendantensessel aufs Spiel setzte, das mochte er, der sympathische Diplomat, nicht zugeben. Nein, riskiert habe er nichts. Er verstehe sich als passionierter „Exi- stentialist", der zu seiner Ver- antwortung stehe, bereit, mit jenen in Verbindung zu tre- ten, die politisch offen seien.

Doktrinen aller Art begegne er mit Skepsis. Wenn es galt, den aktuellen Stand der Din- ge zu verteidigen, entwarf er ein rundes Gesamtbild von ei- ner verkannten, durch Vorur- teile blockierten Kulturnati- on, eine Rhetorik des Wün- schens. Zu befürchten sei, daß das Image seines Landes zu sehr von jenen in Deutsch- land arbeitenden Türken ge- prägt sei, „die nicht unsere Kultur repräsentieren". Wert legte er darauf, sich nach Eu- ropa zu orientieren, wobei er betonte, auch mit Franzosen und Engländern im Kontakt zu stehen.

Daß es dem unermüdli- chen, sich in auffälliger Di-

stanz zum üblichen Stadt- theaterbetrieb profilierenden Ensemble, das so viele Stra- pazen auf sich nimmt, nicht um hybrides Vorzeigen zu be- wundernder Produkte geht, sondern um freundschaftliche Kontakte mit anderen Län- dern, mit anderen Kulturen, das wurde unterwegs, auf allen Stationen dieser ungewöhnli- chen Reise, offenkundig.

Dahinter steht die von skeptischen Blicken begleite- te Hoffnung, daß die Kultur irgendwann einmal über die Barbarei siege, daß die zu- nehmenden Eskalationen der widerlichsten Art, wie sie sich auf jüdischen Friedhöfen er- eignen, doch noch abnehmen und in ein friedliches Neben- einander sich unterscheiden- der Völker übergehen. Als wenn Roberto Ciulli sich da- vor hütete, im Fahrwasser einseitiger Kritik zu schwim- men, führte er, der Italiener aus Mailand, die jüngsten Horrorereignisse aus seiner Heimat als eklatante Beispie- le rassistischen Größenwahns an, von der Erschießung schwarzer Afrikaner in Flo- renz erzählend. Und er wurde nicht müde, vom konkreten Sinn zu rettender Kunst zu reden, und er sprach vom schlechten Umgang der Deut- schen mit der Erbschaft ihrer Zeit: „Wenn die Deutschen ihren Kleist, ihren Hölderlin im Herzen trügen, wäre Auschwitz unmöglich, wobei das Theater sich als die Kunst erweist, der die Möglichkeit gegeben ist, die Autoren zu vermitteln."

Heinz-Norbert Jocks

Freizeit kreativ:

Klavierkurs mit Computerflügel

Vom 14. Juni (Anreise) bis zum 21. Juni 1991 (Abreise) bietet der Arzt und Konzert- pianist Wolfgang Ellenberger einen Spezial-Klavierkurs für Ärzte im Maritim-Staatsbad- hotel Bad Salzuflen an. Er rechnet sowohl mit aktiven als auch mit rezeptiven Teil- nehmern, die diesen Kurs im Ganzen oder auch tageweise besuchen können.

Erörtert werden die phy- sikalischen, physiologischen und psychischen Grundlagen des Klavierspiels, die dann im Einzelunterricht praktisch er- arbeitet werden. Auf drei elementaren Grundübungen wird die gesamte Klaviertech- nik vom Bewegungsablauf her aufgebaut, wobei einige „Re- gelkreis-Lernexperimente"

versuchen, die meist unterfor- derte rechte Gehirnhälfte an- zuregen. Der Clou wird die Arbeit mit einem Bösendor- fer-Computerflügel sein, der mit seinen mehr als tausend dynamischen Schattierungen auch das „Unausgesproche- ne" der Musik zu reproduzie- ren vermag.

Der Präsident der Ham- burger Musikhochschule, Prof. Dr. Herrmann Rauhe, mit dem Ellenberger seit der Einführung des Studiengan- ges Musiktherapie bekannt ist, referiert über „musikthe- rapeutische Forschung", mu- sikpsychologische Themen behandelt Stefan Casalino, Absolvent der Folkwang- hochschule für Musik und Tanz in Essen.

Im Maritim Bad Salzuflen kostet Halbpension zum Se- minar-Sonderpreis EZ 157 DM, DZ 128 DM pro Person und Tag; Kursgebühr für die ersten drei Tage 100 DM, dann jeder weitere Tag 50 DM, für nur rezeptive Hörer 40 DM pro Tag (Auskünfte und Anmeldungen: Wolfgang Ellenberger, Pleicherkirch- platz 17, W-8700 Würzburg, Telefon 09 31/5 28 95, Fax 09 31/5 75 14). EB Dt. Ärztebl. 88, Heft 10, 7. März 1991 (83) A-777

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