• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Gustav Mahler: Die Liebe zur Kunst" (22.06.2001)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Gustav Mahler: Die Liebe zur Kunst" (22.06.2001)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

G

ustav Mahler kam am 7. Juli 1860 in Kalischt (Mähren) als Sohn ar- mer jüdischer Kleinbürger zur Welt. Ende 1860 zog Familie Mahler nach Iglau, wo Gustav seine Kinderzeit verbrachte.

Schon früh fiel Gustavs Musi- kalität auf; als Vierjähriger spielte er Mundharmonika;

und einmal fand man ihn auf dem Dachboden seiner Großmutter, einem Klavier Töne entlockend. 1870 trat Mahler zum ersten Mal öf- fentlich auf.

Rigide Verhältnisse

Gustav hat gerade- zu gierig gelesen;

während der Iglauer Gymnasiumsbe- trieb ihn anödete.

Die Quittung erhielt er 1877:

Er fiel durchs Abitur – hat es aber nachholen können.

Nach kurzem Aufenthalt in Prag wurde er mit 15 Jahren am Wiener Konservatorium

zugelassen. Im Herbst 1881 trat Mahler eine Stellung als Kapellmeister am „Land- schaftlichen Theater“ in Lai- bach an. Im Januar 1883 wur- de er Kapellmeister am kö- niglich-städtischen Theater in Olmütz (Mähren). Im Mai vermittelte ihm sein Agent ei- ne Dirigierprobe am Königli- chen Theater in Kassel, wo- nach Mahler auf Anhieb ei- nen Dreijahresvertrag er- hielt. 1888 wurde der 28-jähri- ge Mahler Direktor der Oper in Budapest. Er wagte die Ur- aufführung seiner Titan-Sin- fonie am 20. November 1889 – ein bewegendes Erlebnis für seine Freunde – sonst all- gemeine Ablehnung, Affären und Querelen. Als dann auch noch ein Mahler-Feind, Graf Géza Zichy, Intendant wurde, kam es zur Auflösung des Zehnjahres-Vertrages. Die hohe Abfindung von 25 000 Gulden strich Mahler sofort in bar ein, um noch im glei- chen Jahr eine andere hoch-

dotierte Stellung anzutreten.

Er war geschickt genug gewe- sen, seit Jahren in Briefkon- takt mit dem mächtigen Polli- ni in Hamburg zu stehen.

Mahlers Abschiedsbrief an die Mitglieder der Budape- ster Oper war am 15. März 1891 in der Zeitung, und noch im gleichen Monat begann er seine Tätigkeit als erster Kapellmeister in Hamburg.

Mahler sollte es in Hamburg nahezu sieben Jahre aushal- ten. Er arbeitete 1894 an sei- ner zweiten Sinfonie, und er quälte sich rast- und ratlos mit der Gestaltung des letzten Satzes. In der Hamburger Michaeliskirche, bei der Trauerfeier für den in Kairo gestorbenen Hans von Bülow, geschah es: Der Kna- benchor sang den Klopstock- Choral „Auferstehn wirst Du“, und es traf Mahler wie ein „Blitz“: „Dies ist die heili- ge Empfängnis“. Die Kon- zeption zur „Auferstehungs- sinfonie“.

Die Liebe zur Kunst ließ Mahler leiden unter den rigi- den Verhältnissen an der Hamburger Oper, Pollinis

„Zuchthaus“, wie er sie nann- te, die ihn, den unerbittlich Fordernden, bei Vielen unbe- liebt machte, und die ihn schließlich nach größeren Möglichkeiten suchen ließ. Es war „die Berufung zum Gott der südlichen Zonen“, wovon er träumte. Als Haupthin- dernis für die Durchsetzung seiner Pläne erkannte er:

sein Judentum – in Briefen belegt.

Hofoperndirektor in Wien Der zielstrebige Mahler fand die Lö- sung: Er konvertier- te zum Katholizis- mus. Er wurde be- rufen, er bekam seinen Ver- trag. Als er ging, war es in der Gewissheit, eine neue, höhe- re Stelle zu haben – das Höchste, was es für ihn gab:

V A R I A

A

A1702 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 25½½½½22. Juni 2001

Gustav Mahler

D

Diie e L Liie eb be e z zu ur r K Ku un ns st t

Mahler starb mit 50 Jahren an einer Herzkrankheit – möglicherweise ein psychosomatisches Leiden.

Feuilleton

Collage: Timm Ludwig

(2)

Er wurde Hofoperndirektor in Wien.

Die Wiener Hofoper hat ei- ne Blütezeit wie unter Mahler, von 1897 bis 1907, weder vor- her noch nachher je erlebt.

Als Wagnerianer dürfte er mit Wagner begonnen haben, ver- gaß Smetana nicht, brachte gern auch Mozart und mög- lichst viel Neues, rund einhun- dert verschiedene Werke in zehn Jahren. Seine Weise des Dirigierens war präzise, sug- gestiv, dabei mitreißend vehe- ment.

Mahler litt zunehmend un- ter gesundheitlichen Proble- men. 1898 musst er sich wegen starker Hämorrhoidalblutun- gen im Wiener Rudolphinen- krankenhaus operieren las- sen. Am 24. Februar 1901, bei einer „Zauberflöte“-Auf- führung in der Wiener Hof- oper, trat die bis dahin schwerste Hämorrhoidalblu- tung auf. Sein Arzt, Dr. Sin- ger, verordnete Eiswasserbä- der; als sie nichts halfen, wur- de ein Chirurg, Dr. Hoche- negg, hinzugezogen. Dieser tamponierte den Enddarm aus und äußerte dabei: „Eine halbe Stunde später wäre es zu spät gewesen.“ Die Opera- tion, eine Woche später, ku- rierte das Leiden definitiv, hinterließ aber erhebliche Narben und die Notwendig- keit strenger Diät. Nach Ab- klingen der postoperativen Schmerzen begab sich Mahler nach Abazzia; er schrieb dort an seiner vierten Sinfonie.

Im November 1901 verlieb- te sich Mahler in die 19 Jahre jüngere Alma Schindler, eine hübsche und hochgebildete Dame der Gesellschaft. Sie hat gemeint, in ihren Tage- büchern festhalten und später veröffentlichen zu sollen: Sie sei als Jungfrau diese Bezie- hung eingegangen, und Mah- ler sei sexuell unerfahren ge- wesen, Gelegenheiten zur

„Vereinigung“ wären unge- nutzt geblieben. Sie begann zu

leiden – unter heftigem Schwangerschaftserbrechen (dennoch) im März 1902.

Mahler, der die Heirat nicht länger vor sich herschieben mochte, machte aus seiner Abneigung gegen Konventio- nen keinen Hehl: Er kam zur Hochzeit im Straßenanzug.

1907: Mahlers Schicksalsjahr Die Mahlers hatten zwei Töchter: Maria Anna („Putzi“) wur- de im November 1902 geboren, Anna Justine („Gucki“) im Juni 1904. Der Mittvierziger Mah- ler, in den Jahren 1902 bis 1906, war somatisch relativ gesund, voller Energie und Schaffenskraft: 1902 vollen- dete er seine Vierte, 1904 die Sechste, und 1906 arbeitete er bereits an seinem Hauptwerk, der achten Sinfonie. 1907 wur- de Mahler zunehmend zum Ziel und Opfer einer antise- mitischen Kampagne, eines Pressefeldzugs gegen ihn als

„Zerstörer des Ensembles“.

1907 wurde zu Mahlers Schicksalsjahr: familiär, ge- sundheitlich, beruflich. Zer- mürbt von permanenten Querelen und Intrigen, reich- te er, von einer Tournee nach Rom zurück, seine Demissi- on als Hofoperndirektor ein.

Er wusste, dass es ihm gelin- gen würde, im Juni einen Vertrag mit der Metropolitan Opera in New York abzu- schließen.

Ende Juni 1907 fuhr er mit der Familie in sein Sommer- haus in Maiernigg. Drei Tage später erkrankte Putzi an Halsentzündung; bald kam es zu Erstickungsanfällen; Dr.

Blumenthal sprach von

„Scharlach-Diphtherie“ – doch dürfte im Vordergrund eine Diphtherie gestanden haben. Am 12. Juli starb Put- zi. Die Eltern waren nicht bei ihrem Kind; sie irrten ver- zweifelt durch den Park ihres

Anwesens, jeder für sich al- lein. Mahler hat den Tod sei- ner abgöttisch geliebten Putzi nie verwinden können.

Mahler bat Blumenthal um eine Untersuchung des Her- zens. Dieser hörte Herzgeräu- sche, die für einen Klappen- fehler sprachen. Mahler such- te Gewissheit bei dem Wiener Spezialisten Prof. Friedrich Kovacs. Das einzige Doku- ment darüber ist Mahlers Te- legramm aus Wien, in dem er von einer befallenen vereng- ten Mitralklappe schreibt.

Kovacs verordnete Ruhe, un- tersagte körperliche Anstren- gungen. Mahler entschloss sich, ein zweites Urteil einzu- holen, und zwar von einem Dr. Hamperl: Dieser sprach beruhigend von einer nur leichten Verengung der Mit- ralklappe, womit er getrost seinen Beruf ausüben könne.

So konnte er sich also Mitte Dezember mit Alma und Gucki nach New York ein- schiffen. In New York hatte er nur während der Saison zu sein, die Sommermonate ver- brachte er in Europa. Er kom- ponierte 1908 in Toblach

„Das Lied von der Erde“, 1909 die neunte Sinfonie, 1910 das Adagio der Zehnten.

Alma zuliebe nahm er am New Yorker Gesellschaftsle- ben teil. Dort wurde durch die Cocktailpartys Almas Nei- gung zum Alkohol gefördert.

Die Ehekrise spitzte sich zu.

In Tobel-Bad lernte Alma ei- nen jungen Mann kennen:

Walter Gropius.

Mehr als zwei Wo- chen lang verbrach- te sie mit ihm die Nächte in seinem Hotelzimmer. Als sie Mitte Juli nach Toblach zurückgekehrt war, erhielt Gustav Mahler einen Brief, angeblich eine Panne des Absenders Gropius: Die- ses an Alma gerichtete Schrei- ben handelte von glühender Liebe und dem Unvermögen, allein weiterleben zu können.

„Mahler fiel aus allen Wol- ken“, schreibt ein Biograph.

„Er sprach sich mit Gropius aus und wollte Alma sogar freigeben.“ Sie aber zog die wirtschaftliche Sicherheit bei

Mahler vor und ging ihrer Liebschaft fortan heimlich nach.

Am 12. September 1910 wurde Mahlers Achte urauf- geführt, eine riesige Angele- genheit mit mehr als tausend Mitwirkenden. Unter den 3 000 Zuhörern waren Mah- ler-Freunde aus aller Welt, unter anderem Schönberg, Alban Berg und Thomas Mann.

Mahlers Ende kündigte sich am 20. Februar 1911 in New York an: abermals Hals- schmerzen und Fieber. Die Halsschmerzen vergingen, aber das Fieber hielt an. In Dr.

Fränkel keimte ein böser Ver- dacht auf. Dieser wurde be- stätigt von Dr. Emanuel Lib- man vom Mount Sinai Hospi- tal. Ein präsystolisch-systoli- sches Herzgeräusch, petechia- le Blutungen am Rumpf, Milztumor, Uhrglasnägel, Fie- ber und Abgeschlagenheit.

Mit den Temperaturen schwankte die Stimmung des Todkranken zwischen Nie- dergeschlagenheit und Eu- phorie. Alma war ihm jetzt ei- ne gewissenhafte Kranken- pflegerin, die einzige, die er akzeptierte.

Ein „Meer von Blumen“

Fränkel und Libman fassten einen ver- zweifelten Ent- schluss: Sie rieten zur Rückreise nach Eu- ropa, weil sie von ersten Versu- chen mit der Behringschen Se- rumtherapie in Paris gehört hatten. Die Todeskrankheit Endokarditis hat sich manife- stiert. In Paris sollte noch ein Versuch mit Serum am Institut Pasteur gemacht werden.

Doch Mahler wollte neben sei- ner Tochter beigesetzt werden, er wollte heim. Am 12. Mai kam man im Sanatorium Loew an der Mariannengasse in Wi- en an – in Mahlers Zimmer ein

„Meer von Blumen“.

Am Nachmittag des 18.

Mai starb Gustav Mahler.

Seinen Grabstein in Grin- zing schuf Josef Hoffmann:

schlicht, wie Mahler es ge- wünscht hatte.

Dr. med. Timm Ludwig V A R I A

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 25½½½½22. Juni 2001 AA1703

Sein Leben schien ein Kreislauf der Kraft: Er verströmte sie an die Kunst, von der Kunst schien er

sie erneuert zurückzuempfangen.

Bruno Walter

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Plus que dans les ceuvres antérieures, Mahler s’intéresse dans ces trois symphonies aux problémes du matériau musical, de la trame musicale.. Dans |’histoire de

In den Schutzbereich von Art. 1 GG müsste eingegriffen worden sein. Fraglich ist, ob durch die Entziehung des Passes überhaupt ein Eingriff in die Meinungsfreiheit des M

A more recent vintage of comparison was provided by two Audite releases of Mahler symphonies featuring the Bavarian Radio Symphony Orchestra conducted by Rafael Kubelik.. Knowing

In seinen Memoiren „Die Welt von Gestern“ (1942) beschrieb Stefan Zweig die Ernennung von Mahler als Beispiel des Mißtrauens des Wiener Publikums gegen jüngere Künstler:

Opernaufführungen 292 Die von Mahler in Hamburg geleiteten Konzertauffuhrungen 292 Die von Mahler in Hamburg geleiteten Opernaufführungen 300 Anhang 2: Dirigenten, Daten und

Semnre Immer diescflien • 'AlUrrrn Sifts streng im Takt ohne Ritenulo... allegro.

Neue historische Aufnahme bewahrt die Gesangskunst von Edith Mathis für die Zukunft Rezensionstext wird aus urheberrechtlichen Gründen nicht vollständig angezeigt... www.artalinna.com

An so manchem Korb können Klara, Gustav und der kleine Ernst sich gar nicht sattsehen: Käse, Salami, Orangen, Datteln und Haselnüsse, Granatäpfel, Mandeln, Sardellen und