BIBB/BAuA 2012
Arbeiten an der Leistungsgrenze
Höhere Anforderungen, mehr gesundheitliche Beschwerden
24 baua: Fakten
Wer häufig an der Grenze der eigenen Leistungsfähigkeit arbeitet, sieht sich oft weiteren psychi
schen und körperlichen Arbeitsanforderungen ausgesetzt. Betroffene fühlen sich eher belastet und leiden häufiger unter psychosomatischen Beschwerden, wie Müdigkeit, Erschöpfung oder Reiz
barkeit. Außerdem berichten sie vermehrt über MuskelSkelettBeschwerden, wie Schmerzen im Schulter und Nackenbe reich. Psychosomatische Beschwerden liegen dabei vor den MuskelSke
lettBeschwerden. Das zeigen Ergebnisse der BIBB/BAuA Erwerbstätigenbefragung 2012.
Bisherige Auswertungen der BIBB/BAuA Erwerbstäti- genbefragung 2012 haben ergeben, dass rund 16 % der abhängig Beschäftigten häufig an der Grenze ihrer Leis- tungsfähigkeit arbeiten. 74 % dieser Personen empfin- den dies als Belastung1. In den Pflegeberufen liegen die Anteile noch höher. Dort arbeiten 30 % der Beschäftigten häufig an der Grenze der eigenen Leistungsfähigkeit und 85 % von ihnen fühlen sich dadurch belastet2. Oft tragen weitere Anforderungen der Arbeit zur Belastung bei3. Wel- che Anforderungen sind das genau? Und welche gesund- heitlichen Beschwerden gehen mit dem Arbeiten an der Grenze der Leistungsfähigkeit einher? Um diese Fragen zu beantworten, werden in diesem Faktenblatt Anga- ben von abhängig Beschäftigten ausgewertet, die in der BIBB/BAuA Beschäftigtenbefragung 2012 erhoben wur- den (n = 17.562). Betroffen sind vor allem abhängig Be- schäftigte in Pflegeberufen, darunter Gesundheitspfleger/
-innen, Kinderkrankenpfleger/-innen, Hebammen, Ent- bindungspfleger/-innen und Altenpfleger/-innen. Sie wer- den daher gesondert betrachtet (n = 728).
Psychische Anforderungen
Wenn Beschäftigte häufig an ihre Leistungsgrenze gelan- gen, geht dies oft mit hohen psychischen Anforderungen ihrer Tätigkeit einher (Abb. 1). So verspüren 83 % von ih- nen häufig Termin- oder Leistungsdruck. Bei Beschäftigten hingegen, die manchmal, selten oder nie an ihre Grenzen gehen, geben diesen Druck nur 46 % an. Auch wer oft ver- schiedene Arbeiten gleichzeitig betreut, sehr schnell ar- beitet und bei der Arbeit gestört oder unterbrochen wird, arbeitet häufiger an der Grenze der eigenen Leistungsfä- higkeit. Erreichen Beschäftigte die Grenze ihrer Leistungs- fähigkeit nur manchmal, selten oder nie, berichten 8 % von ihnen über eine gefühlsmäßige Belastung. Bei häufi- gem Arbeiten an der Leistungsgrenze vervierfacht sich die-
ser Anteil nahezu (31 %). Wer in einem Pflegeberuf häufig an der Leistungsgrenze arbeitet, ist fast doppelt so häufig gefühlsmäßig belastet (57 %) im Vergleich zu Kolleginnen und Kollegen, die nicht häufig an der Leistungsgrenze ar- beiten (30 %).
Alle Berufe Pflegeberufe
83 83
77 88
71 82
63 81
31 57
46 58
55 65
33 43
41
100 80 60 40 20 0 20 40 60 80 100
Starker Termin- und Leistungsdruck
Sehr schnell arbeiten
Gefühlsmäßige Belastung
Arbeiten an der Grenze der
Leistungsfähigkeit: häufig manchmal, selten, nie Verschiedene
Arbeiten gleichzeitig betreuen
Bei der Arbeit gestört,
unterbrochen 49
8 30
Abb. 1 Psychische Anforderungen an abhängig Beschäftigte, die häufig bzw. manchmal, selten oder nie an der Leistungsgrenze arbeiten (in%)
Körperliche Anforderungen
Auch körperliche Anforderungen des Arbeitsplatzes be- treffen stärker diejenigen, die häufig an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit arbeiten (Abb. 2). Sie berichten im Ge- gensatz zu denen, die nur manchmal, selten oder nie mit dieser Arbeitsbedingung konfrontiert sind, z. B. doppelt so oft von häufigem Heben und Tragen schwerer Lasten (40 % vs. 19 %) und häufigem Arbeiten unter Zwangs- haltung (28 % vs. 14 %). In den Pflegeberufen sind diese Unterschiede ebenfalls erkennbar. Dort liegen die Werte im Vergleich zu anderen Berufen insgesamt deutlich höher aufgrund der hohen körperlichen Anforderungen. Häufi- ges Heben und Tragen schwerer Lasten ist z. B. bedingt durch das notwendige regelmäßige Umlagern der Patien- teninnen und Patienten.
baua: Fakten Arbeiten an der Leistungsgrenze 2
Impressum | Herausgeber: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Friedrich-Henkel-Weg 1–25, 44149 Dortmund, Telefon: 0231 9071-2071, E-Mail: info-zentrum@baua.bund.de, Internet: www.baua.de |
Autor: M. Lück, Redaktion: Dr. G. Meilicke, Gestaltung: V. Seeger | doi:10.21934/baua:fakten20180420 | Juni 2018
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Weiterführende Informationen
1 Zeitdruck & Co – Arbeitsbedingungen mit ho- hem Stresspotenzial. BIBB/BAuA-Faktenblatt 01.
Dortmund: BAuA.
Verfügbar unter: www.baua.de/dok/6505186 2 Arbeit in der Pflege – Arbeit am Limit? Arbeits-
bedingungen in der Pflegebranche. BIBB/BAuA- Faktenblatt 10. Dortmund: BAuA.
Verfügbar unter: www.baua.de/dok/6505548 3 I. Rothe, L. Adolph, B. Beermann, M. Schütte,
A. Windel, A. Grewer, U. Lenhardt, J. Michel, B.
Thomson und M. Formazin, 2017: Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Wissenschaft- liche Standortbestimmung. Dortmund: BAuA.
Verfügbar unter: www.baua.de/dok/8708776 4 U. Rösler, K. Schmidt, M. Merda und M. Melzer,
2018: Digitalisierung in der Pflege. Wie intel- ligente Technologien die Arbeit professionell Pflegender verändern. Berlin: Initiative Neue Qualität der Arbeit. Verfügbar unter: https://
www.inqa.de/DE/Angebote/Publikationen/
pflege-4.0.html
65 95
53 87
57 80
39 63
40 82
19 61
100 80 60 40 20 0 20 40 60 80 100
Alle Berufe Arbeiten im Stehen
Heben und Tragen schwerer Lasten
Arbeiten an der Grenze der Leistungsfähigkeit: häufig Arbeiten mit den
Händen (große Kraft, hohe Geschicklichkeit oder schnelle Abfolge)
Arbeiten unter Zwangshaltung
Pflegeberufe
28 49
14 30
manchmal, selten, nie
Abb. 2 Körperliche Arbeitsanforderungen an abhängig Beschäf- tigte, die häufig bzw. manchmal, selten oder nie an der Leistungs- grenze arbeiten (in %)
Gesundheit
Wer häufig an der Grenze der Leistungsfähigkeit arbeitet, fühlt sich seltener gesund. So bewerten nur 20 % der Be- schäftigten, die häufig an der Leistungsgrenze arbeiten, ihren allgemeinen Gesundheitszustand als „sehr gut“ oder
„ausgezeichnet“, im Gegensatz zu 34 % der Beschäftigten, die manchmal, selten oder nie an der Grenze ihrer Leis- tungsfähigkeit arbeiten.
Beschäftigte, die häufig an der Leistungsgrenze arbeiten, geben auch öfter an, sich durch die genannten psychi- schen und körperlichen Anforderungen belastet zu fühlen.
Zudem zeigen sich bei ihnen vermehrt psychosomatische Beschwerden und Muskel-Skelett-Beschwerden (Abb. 3).
Während 67 % aller Beschäftigten, die häufig an der Leis- tungsgrenze arbeiten, von drei und mehr psychosoma- tischen Beschwerden berichten, sind Beschäftigte, die manchmal, selten oder nie an ihre Grenzen gehen, in 34 % der Fälle davon betroffen.
17
33 12
35
0 häufig
Psychosomatische Beschwerden bei abhängig Beschäftigten
MuskelSkelettBeschwerden bei abhängig Beschäftigten
häufig manchmal,
selten, nie
manchmal, selten, nie
20 40 60 80 100
21
31 31
37 67
52 34
30 Arbeiten an
der Grenze der Leistungs- fähigkeit:
keine Beschwerden 1–2 Beschwerden 3 und mehr Beschwerden
Abb. 3 Gesundheitliche Beschwerden von abhängig Beschäftig- ten, die häufig bzw. manchmal, selten oder nie an der Leistungs- grenze arbeiten (in%)
Von drei und mehr Muskel-Skelett-Beschwerden berichten 52 % aller Beschäftigten, die häufig an der Leistungsgren- ze arbeiten, im Gegensatz zu 30 % der Beschäftigten, die manchmal, selten oder nie an der Grenze der Leistungs- fähigkeit arbeiten. Psychosomatische Beschwerden kom- men also noch etwas häufiger vor als Muskel-Skelett-Be- schwerden. Bei Beschäftigten in Pflegeberufen, die häufig an der Leistungsgrenze arbeiten, treten psychosomatische Beschwerden und Muskel-Skelett-Beschwerden häufiger auf als bei allen anderen Beschäftigten.
Fazit
Häufiges Arbeiten an der Grenze der Leistungsfähigkeit wird von den Beschäftigten als belastend wahrgenommen und geht mit gesundheitlichen Beschwerden einher. Oft bestehen gleichzeitig weitere belastende psychische und körperliche Anforderungen an die Beschäftigten. Füh- rungskräfte sollten geeignete Maßnahmen ergreifen, z. B.
zusätzliches Personal einplanen, realistische Ziele mit den Beschäftigten vereinbaren sowie unterstützende Fort- und Weiterbildungen anbieten. Auch neue Technologien soll- ten daraufhin beurteilt werden, ob sie den Arbeitsalltag der Beschäftigten erleichtern können4. Gerade in Berufen mit besonders hohen psychischen und körperlichen Anforde- rungen, wie etwa in der Pflege, muss die Gestaltung guter Arbeitsbedingungen in den Mittelpunkt rücken.