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Archiv "Die Versorgung der Schwerhörigen mit modernen Hörgeräten" (04.03.1994)

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MEDIZIN DIE ÜBERSICHT

Die Versorgung der Schwerhörigen mit modernen Hörgeräten

Klaus Seiferl.

usformung und Verstehen menschlicher Sprache sind Vorbedingung für die Ent- wicklung menschlichen Gei- stes, für die Ausbildung von Kultur und Zivilisation. Verstehen verlangt Hören. Sprache ohne Hören ist grundsätzlich nicht denkbar. Erst die Sprache, das Sprechen und Verste- hen-Können macht aus dem zweibei- nigen biologischen Wesen den Men- schen (8).

Sicher ermöglicht moderne früh- kindliche Hör-Spracherziehung, wo immer sinnvoll unterstützt durch Hörgeräte-Hilfe, eine vollwertige so- ziale Integration auch bei angebore- ner oder früh erworbener Gehörlo- sigkeit oder hochgradiger Schwerhö- rigkeit; sie kann dies aber nur unter unendlichen Mühen leisten und bleibt praktisch immer unvollkom- men. Wer als bereits hörender und sprechender Mensch sein Gehör mehr oder minder einbüßt, der ist weniger behindert als der primär (prälingual) Hörbehinderte, und doch bekommt er ohne Hörhilfe zu- nehmend dieselben Probleme mit wachsender Kommunikationsbehin- derung.

Schlechtes Gehör ist anstren- gend. Wer mit ungenügendem Hör- vermögen einem Gespräch, gar ei- nem Gruppengespräch folgen muß, dem wird fortwährend eine erhöhte, schließlich überhöhte Anspannung und Konzentration abverlangt; er be- treibt quasi ständig einen Hochlei- stungssport ohne Pause — und darin ist das Versagen vorprogrammiert:

Versagen aber heißt hier: abschalten, resignieren, sich zurückziehen und einsam werden mit allen nur denkba- ren Folgen; es bedeutet nicht selten auch Versagen im Beruf und sozialen Abstieg.

Die HNO-Heilkunde hat heute große Erfolge mit hörverbessernden

Das alte Kastengerät ist Vergangen- heit. Moderne kleine hinter dem Ohr oder im Ohr getragene Hörgeräte mit ausgefeilter mikroelektronischer Technik können heute nahezu jede Art der Hörbehinderung so weit aus- gleichen, daß ausreichendes Sprach- verständnis und damit der Kontakt zum Mitmenschen gesichert sind.

Hörgeräte sind aktive Systeme, die nach sorgfältiger individueller Anpas- sung immer besser die wichtigsten Komponenten der individuellen Fehl- hörigkeit des geschädigten Ohres korrigieren können. Die Beratung der Schwerhörigen mit dem Ziel ei- ner besseren Nutzung dieser Hilfe ist eine Aufgabe für alle Ärzte.

plastischen Operationen. Selbst bei vollständiger Innenohrtaubheit kann das „Cochlear Implant" zumindest ein brauchbares Gehör schaffen.

Diese Operationen können aber nur einem kleinen Teil der Hörbehinder- ten Hilfe bringen, denn bei etwa 95 Prozent der Schwerhörigen ist ein In- nenohrschaden ganz oder teilweise die Ursache der Hörbehinderung (5).

Bei der Innenohrschwerhörigkeit können nur Hörgeräte, die den In- nenohrschaden so weit wie möglich ausgleichen, das Gehör verbessern;

die Versorgung von Schalleitungs- schwerhörigkeit mit Hörgeräten ist dagegen selten.

Fast jeder fünfte Einwohner Deutschlands hört schlecht. Nach statistischem Material („Deutsches Grünes Kreuz" 1985) ist für das heu- tige Deutschland die Zahl der Schwerhörigen vorsichtig auf 10 bis 15 Millionen zu schätzen. Versor-

gungsbedürftige Schwerhörigkeit wird weiter zunehmen, denn der Be- völkerungsanteil alter Menschen steigt schnell, und Innenohrschwer- hörigkeit ist eine typisch alternsbe- gleitende Störung, vereinfacht als Al- tersschwerhörigkeit bezeichnet. Auch jüngere Menschen erleiden immer häufiger eine Innenohrschwerhörig- keit durch Zivilisationsschäden ver- schiedenster Art, vor allem durch Lärm in Beruf, Umwelt und Freizeit.

Verbreitetes Fehlen eines Hörbe- wußtseins und traditionelle Gering- schätzung unseres Hörsinnes fördern eine nicht selten leichtfertige Schädi- gung des Gehörs und behindern zu- gleich die rechtzeitige angemessene Hörgeräte-Versorgung.

Unter audiologischen Gesichts- punkten und im internationalen Ver- gleich ist die Hörgeräte-Versorgung der deutschen Bevölkerung erheblich rückständig: von 10 bis 15 Millionen versorgungsbedürftigen Schwerhöri- gen sind bis heute erst etwa zwei Mil- lionen versorgt, von diesen nur acht Prozent beidohrig (im EG-Durch- schnitt 27 Prozent, in den USA 50 Prozent [10]).

Traditionelle Fehlbewertung des Gehörs und der Schwerhörigkeit, verbreitete Verkennung des schwer- hörigen Mitmenschen, psychologi- sche Hemmungen, sich zur Hörbe- hinderung zu bekennen, und nicht zuletzt Kostengesichtspunkte vor po- litischem Hintergrund, das sind die wesentlichen Faktoren dieser Unter- versorgung. Nur intensive Aufklä- rung durch informierte Ärzte kann, über die Sorge für vorbeugenden Ge- hörschutz hinaus, in der Bevölke- rung, bei den Hörbehinderten selbst, bei Kostenträgern, Verwaltung und politischen Entscheidungsgremien die Notwendigkeit und Vorteile rechtzeitiger und optimaler Hörgerä- te-Versorgung deutlich machen als

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MEDIZIN

Voraussetzung für die Bewahrung zwischenmenschlicher lautsprachli- cher Kommunikation, damit der Ar- beits- und Berufsfähigkeit und allge- mein der Lebensqualität.

Grundsätze einer modernen

Hörgeräteversorgung

Ist eine möglicherweise ver- sorgungsbedürftige Schwerhörigkeit aufgefallen, so wird einfühlsame Be- ratung des Hörbehinderten vordring- liche Aufgabe eines jeden Arztes.

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Die differenzierte Diagnostik der Hörbehinderung ist Aufgabe des HNO-Facharztes. Er hat operations- bedürftige Veränderungen auszu- schließen, den Hörschaden als eine eventuell besserungsfähige Schallei- tungs- oder aber eine nicht besse- rungsfähige Schallempfindungs- Schwerhörigkeit einzuordnen. In den meisten Fällen wird er eine Innen- ohrschwerhörigkeit feststellen und dann zu entscheiden haben, ob die Schwerhörigkeit bereits so weit fort- geschritten ist, daß eine Hörgeräte- versorgung notwendig wird.

Hörgeräteversorgung soll so früh wie möglich erfolgen, noch ehe der Hörbehinderte das richtige Hö- ren nach und nach verlernt hat.

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Ist der Hörverlust auf beiden Ohren annähernd gleich groß, dann sollen möglichst beide Ohren mit Hörgeräten versehen werden. Das Hörorgan benötigt zur optimalen Leistung beide Ohren, denn jedes Ohr wird vom Hörzentrum gesteuert, und jedes Ohr steuert das Hörzen- trum und das Gegenohr. Das ent- scheidend wichtige unbewußte Her- ausfiltern von Sprache und Nutz- schall aus dem allgegenwärtigen um- gebenden Störschall ist nur möglich bei beidohrigem Hören mit zentraler Verrechnung der Eingänge aus bei- den Ohren (7). Bei nur einohriger Versorgung beidohriger Schwerhö- rigkeit kann das Sprachverstehen im Störschall meßbar schlechter sein als ohne Hörgeräte (6). Einohrige Ver- sorgung beidohriger Schwerhörigkeit ist neben Fehlern bei der Feinanpas- sung an die Dynamik der Haupt- grund für gelegentlich unbefriedigen-

DIE UBERSICHT

Abbildung 1: Modernes HdO-Gerät: Der Kipp- schalter M/T/0 dient zum Ein(M)- und Aus- (0)-Schalten des Gerä- tes und zum Umschal- ten auf die Telefonspu- le(T). Die Schalterstel- lung (T) ermöglicht, vom Mikrofon ungestört zu telefonieren oder ei- ne Übertragung über eine Induktionsschleife zu hören. Mit den vier schlitzförmigen Stellern wird vom Hörgeräte- akustiker die Feinein- stellung der Verstär- kungsvorwahl (G), der Tonblende (f), der AGC (A) und der PC (P) vor- genommen. Das mit Zahlen gekennzeichnete Potentiometerrad er- möglicht dem Hörgerä- teträger eine individu- elle Einstellung der Lautstärke.

den Versorgungserfolg („Schubla- den-Hörgeräte").

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Auch einseitige Schwerhörig- keit oder Ertaubung sollte mit einem Hörgerät auf dem schlechteren Ohr beziehungsweise einer CROS-Ver- sorgung soweit wie möglich gebessert werden mit dem Ziel, wieder ein beidohriges und Richtungshören zu ermöglichen. Bei der CROS-Versor- gung wird der Nutzschall vor dem fast oder ganz ertaubten Ohr durch ein Mikrofon aufgenommen und zum besseren Ohr übergeleitet. Benötigt zusätzlich auch das bessere Ohr eine Hörhilfe, so sprechen wir von einer BICROS-Versorgung.

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Grundsätzlich ist die bewähr- te Arbeitsteilung einzuhalten zwi- schen dem HNO-Arzt mit der audio- logischen Aufgabe der Befunderhe- bung, Indikationsstellung und Ver- ordnung einerseits und andererseits dem Hörgeräte-Akustiker, der die technisch-handwerkliche Anpassung vornimmt (7). Zu den Aufgaben des Hörgeräte-Akustikers gehören die Adaption des Hörgerätes an jedes Ohr mit einem individuell gefertigten

Paßstück, die Vorauswahl der Hör- geräte nach notwendiger Verstär- kung, Frequenzgang und gegebenen- falls Kompression, dann die verglei- chende Anpassung mehrerer, unter diesen Gesichtspunkten gleichartiger Hörgeräte und schließlich die Fein- anpassung des endgültig gewählten Gerätes an die individuelle Hörstö- rung. Entscheidend für die Schluß- auswahl ist die Verbesserung des Sprachverstehens unter Berücksichti- gung eines angenehmen Hörens.

Auch die ärztlich-audiologische und die technische Weiterbetreuung des Hörgeräteträgers und seiner Geräte sind analog zwischen HNO-Arzt und Hörgeräte-Akustiker verteilt.

0 Über 90 Prozent der Hörgerä- te werden zu Lasten der Gesetzli- chen Krankenversicherung (GKV) verordnet. Die Krankenkassen der GKV übernehmen die Kosten für ei- ne nach den „Heilmittel- und Hilfs- mittel-Richtlinien" der KBV erfolgte Verordnung und Anpassung der Hörgeräte im Rahmen einer Festbe- tragsregelung. Kosten, die zum Bei- spiel für bessere technische Ausstat- Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 9, 4. März 1994 (51) A-577

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v••·•a••t

DIE ÜBERSICHT

Abbildung 2a (links): Modernes schlankes HdO-Gerät, hier mit offener Anpassung ohne Gehörgangsverschluß.

b (Mitte): Das größere Concha-ldO-Gerät kann heute genau so viel Elektronik enthalten für schwierige Anpassung wie das HdO-Gerät. c (rechts): Kleines modernes Gehörgangs-ldO-Gerät

tung der Hörgeräte oder Sonderwün- sche (Fernbedienung oder derglei- chen) über den Festbetrag der Hör- geräteklasse hinausgehen, muß der Hörgeräteträger selber übernehmen, zur Zeit auch uneingeschränkt die Kosten für die notwendige Batterie- versorgung. - Für Kinder und Ju- gendliche ist die Kostenübernahme günstiger geregelt.

Ci) Diese staatlich gelenkte Ko- stensituation steht nicht immer in Einklang mit dem audiologischen Leitsatz:

~ Bei dem heutigen Stand der Technik kann auch die beste Hörgerä- te-Versorgung kein normales Gehör wiedergewinnen. Gutes Hören aber ist für die zwischenmenschliche Kommu- nikation und damit für menschliche Lebensqualität von so entscheidender Bedeutung, daß nur die beste tech- nisch und pathophysiologisch mögli- che, die "optimale" Hörgeräte-Ver- sorgung als "ausreichend, zweckmä- ßig und wirtschaftlich" (§ 12, Abs. 1 SGB V) gelten kann.

Probleme und

Lösungsmöglichkeiten

Innenohrschwerhörigkeit bedeu- tet nicht nur leiser und weniger hö- ren, sie bedeutet vor allem falsch und

verzerrt hören. Bei einer Innenohr- schwerhörigkeit ist es also nicht da- mit getan, den Nutzschall, zum Bei- spiel die Sprache des Partners, ein- fach lauter zu machen, das heißt line- ar zu verstärken; vielmehr muß im Hörgerät der Nutzschall intensiv be- arbeitet und an die individuelle Fehl- hörigkeit des geschädigten Innenoh- res angepaßt werden. Vereinfacht gesagt: der Nutzschall muß im Hör- gerät so verzerrt werden, daß er spie- gelbildlich die Verzerrungen im de- fekten Innenohr ausgleicht. Eine Hörgeräte-Anpassung ist also viel komplizierter als etwa eine Brillen- anpassung, denn das Hörgerät ist im Gegensatz zur Brille ein hochaktives System ( 4, 7, 9).

Mit der schnellen Entwicklung der Mikroelektronik hat die Hörge- räte-Technologie entscheidende Fortschritte gemacht. Das Kasten- Hörgerät wurde fast vollständig ab- gelöst durch das viel kleinere und akustisch günstigere HdO-Gerät (Hinter-dem-Ohr-Gerät, 60 bis 70 Prozent der heute angepaßten Hör- geräte,Abbildung 1); es überträgt den Schall durch einen Hörschlauch in den meistens mit einem Kunststoff- paßstück verschlossenen Gehörgang (Abbildung 2a, 6).

Die fortschreitende Miniaturi- sierung der elektronischen Bauteile und der Batterie ermöglichte den

Übergang zum IdO-Gerät (Im-Ohr- Hörgerät, Abbildung 3). Es wird di- rekt in der Ohrmuschel (Abbildung 2b ), im günstigsten Fall als Gehör- gangsgerät im äußeren Gehörgang (Abbildung 2c) getragen und ist aku- stisch besonders vorteilhaft, denn es nimmt den Schall an der "richtigen"

Stelle auf und nutzt die natürliche Verstärkung und Riebtwirkung der Ohrmuschel (3).

Probleme besonders für ältere Menschen bei der Bedienung der winzigen Schalter der HdO- und IdO-Geräte können gelöst werden durch Fernbedienungsgeräte in Scheckkartengröße (Abbildung 4), die ihre Steuersignale durch Funk,. Infrarot oder Ultraschall zum Hörge- rät übertragen.

Einem neuen Konzept folgt ein sehr kleines IdO-Gerät, das unmit- telbar vor dem Trommelfell getragen wird, und zwar so tief im Gehörgang, daß es nur an einem Faden wieder herausgezogen werden kann (siehe hierzu die Abbildung 5). Durch den trommelfellnahen Sitz soll es die stö- renden Resonanzen und Verluste des langen Übertragungsweges bis- heriger Geräte vermeiden und so viel weniger Verstärkung benötigen, daß es mit einer Grundeinstellung der Lau.tstärke und einer Kompressions- schaltung zur Vermeidung zu großer Verstärkung auskommt (9). C>

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MEDIZIN

Die akustische Rückkoppelung ist ein Grundproblem des Hörgerätes und auch dem Normalhörigen be- kannt zum Beispiel aus Vortragssä- len als unangenehmes Pfeifen oder Brummen, wenn Mikrofon und Laut- sprecher sich zu nahe kommen oder die relative Verstärkung zu hoch ist.

Das Problem ist beim Hörgerät um so größer, je höher die notwendige Verstärkung ist und je kleiner das Hörgerät, das heißt je näher der Schalleingang am Mikrofon und der Schallausgang am Hörer beieinander liegen. Bei hochgradiger Schwerhö- rigkeit mit notwendiger hoher Ver- stärkung ist darum bisher zur siche- ren Trennung von Mikrofon und Hö- rer ein dichter Verschluß des Gehör- ganges durch das Paßstück unver- meidlich (Abbildung 6), belastet mit Problemen der Hautschädigung und des unangenehmen Verschlußge- fühls. Aktuelle Problemlösung ist ein in der Entwicklung weit fortgeschrit- tenes System zur digitalen Unter- drückung der Rückkoppelung im Hörgerät (DFS): Es nimmt das Rückkoppelungssignal auf, setzt ihm ein gleiches Signal mit umgekehrter Phase entgegen, die beiden Signale löschen sich gegenseitig aus (9). Da- mit kann es künftig möglich werden, auf den Gehörgangsverschluß weit- gehend zu verzichten und insbeson- dere auch höhergradige Schwerhö- rigkeit mit IdO-Geräten und ohne den dichten Gehörgangsverschluß zu versorgen.

Nur selten ist die Innenohr- schwerhörigkeit in allen Frequenzen, das heißt allen Tonlagen gleich; mei- stens sind die höheren Frequenzen stärker geschädigt als die tiefen. Eine primär in allen Frequenzen etwa gleich hohe lineare Verstärkung läßt sich daran mit einstellbaren Tonblen- den und konstruktiver Betonung als Hochton-, Breitband- beziehungs- weise Tieftongerät gut anpassen (7).

Moderne digital programmierbare Hörgeräte enthalten weitgehend alle Möglichkeiten in einem einzigen Ge- rätetyp.

Problematischer ist die Anpas- sung an die veränderte Dynamik des geschädigten Innenohres. Der Ab- stand zwischen der Hörschwelle, ei- ner Lautstärke „gerade eben hörbar"

einerseits und andererseits der Emp-

DIE ÜBERSICHT

Abbildung 3: Explosionszeichnung eines moder- nen Concha-getragenen IdO-Gerätes: Die Steller für die Feinanpassung sind verdeckt. Die relativ große runde Gehäuseschale dient als handliches Potentiometerrad zur Lautstärkeregulierung.

Abbildung 4: Moderne Fernbedienung für Hd0 und IdO-Hörgeräte

findung „zu laut", der Unbehaglich- keitsschwelle, ist beim geschädigten Innenohr eingeengt (Restdynamik), in der Regel in den Frequenzberei- chen am stärksten, in denen der Hör- verlust am größten, das heißt die not- wendige Verstärkung am höchsten

ist. Die Unbehaglichkeitsschwelle darf auch in lautester Umgebung vom Hörgerät niemals überschritten wer- den, sonst ist das Gerät unerträglich und wird abgelehnt („Schubladen- Hörgerät").

Eine ausgereifte Lösung dieses Problems, des sogenannten Recruit- ment, ist die elektronische Begren- zung (PC) zusammen mit einer auto- matischen elektronischen Kompres- sion (AGC). Die Signale des linearen Verstärkers werden durch die AGC ab einer bestimmten Stärke nichtli- near zunehmend komprimiert, wer- den schließlich bei sehr hoher Ver- stärkung durch die PC rigoros ge- kappt, eben unterhalb der Unbehag- lichkeitsschwelle (4, 7).

Diese Kompression eines einka- naligen linearen Verstärkers ist heu- te Standardausrüstung, ein brauch- barer, aber doch unbefriedigender Kompromiß; die Größe der Kom- pression muß sich notgedrungen an den am stärksten geschädigten Fre- quenzbereichen orientieren und un- vermeidlich auch in den weniger oder gar nicht geschädigten Frequenzbe- reichen den Nutzschall komprimie- ren, läßt also die verbliebene Restdy- namik nicht voll nutzen.

Eine logische Verbesserung ist das dreikanalige Hörgerät. Es besitzt einen Tieftonkanal für den meist un- gestörten Tieftonbereich, einen Hochtonkanal, in dem regelmäßig ei- ne starke Kompression notwendig ist, dazwischen einen Mitteltonkanal, der nun unabhängig von der starken Kompression im Hochtonkanal mit nur geringer oder gar ohne Kompres- sion die verbliebene Restdynamik in dem für das Sprachverstehen wichtig- sten Frequenzbereich voll nutzen kann.

Jeder Kanal verfügt über eine unabhängige Kompression und unab- hängige Tonblenden; die Kanalfilter- grenzen sind in weitem Umfang ver- schiebbar. Eine solch komplizierte Verschaltung ist nicht mehr von Hand mit dem Schraubenzieher ein- zustellen: Derartige Mehrkanal-Ge- räte und auch einige besonders breit variable Einkanal- oder Zweikanal- Geräte werden mit einem speziellen Computer programmiert und spei- chern das Programm elektronisch.

Diese „digital programmierbaren Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 9, 4. März 1994 (55) A-581

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MEDIZIN

Hörgeräte" können mit Hilfe des Programmier-Computers jederzeit umprogrammiert und so in weiten Grenzen auch an eine sich verän- dernde Hörbehinderung angepaßt werden (2).

Das gesunde menschliche Hör- organ mit intakten Innenohren ist äußerst anpassungsfähig, vom Lau- schen und Wahrnehmen feinster Ge- räusche in fast vollkommener Stille bis hin zum unbeteiligten Ertragen von Lärm und dem nur beidohrig möglichen Herausfiltern von Nutz- schall, wie Sprache, aus dem Umge- bungsgeräusch. Zu solch einer An- passung ist mit geschädigten Innen- ohren unser Hörorgan nicht mehr fä- hig. Darum ist für den Innenohr- schwerhörigen die Anpassung an un- terschiedliche äußere Hörbedingun- gen das größte Problem. Typisch ist für den Innenohrgeschädigten, auch bei guter und beidohriger Hörgeräte- versorgung, daß er in ruhiger Umge- bung zu Hause gut verstehen kann, aber in lärmerfüllter Umgebung zwar viel hört, aber nichts mehr versteht.

Lärm enthält überwiegend tiefe Fre- quenzanteile; im geschädigten Innen- ohr überlagern und maskieren sie die verbliebene Hörfähigkeit in dem noch am besten erhaltenen Frequenzbe- reich, das Verstehen erlischt.

Problemlösung ist die Ausblen- dung tiefer Frequenzen im Hörgerät unter Lärmeinfluß, entweder von Hand zuschaltbar oder elektronisch- automatisch; bei dieser Automatik wird entweder die untere Grenzfre- quenz durch Verschieben einer Tief- tonblende heraufgesetzt (CTC) oder bei mindestens zweikanaligen Gerä- ten der Störschall im Tieftonkanal automatisch (ASP) komprimiert durch eine AGC. Auch im Dreika- nalgerät hat der Tieftonkanal eine unabhängige AGC, die als automati- sche Störschallkompression genutzt werden kann. Ein Hörgerät klingt bei aktiver CTC oder AGC zwar unange- nehm metallisch-spitz, das Verstehen im Störschall ist aber wesentlich ver- bessert. Störgeräusche müssen in un- serer Umwelt notgedrungen als „nor- mal" hingenommen werden. Stör- schallunterdrückung im Hörgerät des Innenohrschwerhörigen ist darum oft der beste Weg, sein Sprachverstehen entscheidend zu verbessern (9).

DIE ÜBERSICHT

Abbildung 5: Neues Konzept eines unmittelbar vor dem Trommelfell tief im Gehörgang getragenen IdO-Gerbites

Abbildung 6: Bei den meisten HdO-Geröte-Anpas- sungen muß heute noch der Gehörgang ganz oder teilweise durch ein Ohrpaßstück verschlossen wer- den. Bei geringerer notwendiger Verstärkung wird der Gehörgang mit einer Belüftungsbohrung teil- weise offen gehalten, bei hochgradiger Schwerhö- rigkeit muß der Verschluß vollständig sein. Auch IdO-Geröte werden möglichst mit einer Belüftung ausgerüstet.

Ein Hörgerät mit automatisch regelnder Tieftonunterdrückung ist aber zum Beispiel zum Hören von guter Musik ungeeignet. Logische Konsequenz ist die Schaffung der Möglichkeit, in demselben Hörgerät

mindestens eine andere Einstellung abrufbar vorzuhalten. Bei diesen

„Multi-Memory-Geräten" ist eine di- gitale Programmierung Vorbedin- gung: Ihr Programmspeicher umfaßt neben einem Standard-Programm ein besonderes Programm für stör- schallreiche Umgebung (Zwei-Prog- ramm-Gerät), besser beim Vier- Programm-Gerät zum Beispiel ein besonders breitbandiges Programm, eventuell ganz ohne Kompression, für das Hören von Musik, dazu ein Programm mit stärker aktiver Stör- schallunterdrückung für das Hören von Sprache im Lärm und ein weite- res mit starker Kompression aller Frequenzen und aktiver PC für extre- me Lärmbedingungen. Jedes der bis zu acht Programme wird individuell digital eingestellt, im Speicher fixiert und ist vom Hörgeräteträger jeder- zeit von Hand oder über Fernbedie- nung abzurufen. Das Multy-Memory- System wird neuerlich auch bei Mehrkanalgeräten eingesetzt. Ver- mutlich vorerst der Endpunkt einer Entwicklung in dieser Richtung ist ein Dreikanal-Im-Ohr-Hörgerät mit einem Vier-Programm-Multy-Memo- ry-Teil (9).

Das besonders gewichtige Pro- blem der Anpassung an verschiedene äußere Hörsituationen hat daneben zu anderen, noch sehr neuen Kon- zepten einer nichtlinearen Verstär- kung geführt, zum Beispiel durch au- tomatisch pegelabhängig regelnde Filter höherer Ordnung oder durch mehrkanalige Signalprozessoren, die ohne Regelung durch den Hörgerä- te-Träger die Verstärkung dem Ein- gangssignal anpassen.

In der aktuellen Entwicklung tre- ten wegen ihrer großen Vorteile für den Hörbehinderten solche pegel- abhängig selbstregulierenden Hörge- räte — mit unterschiedlichen Konzep- ten der Regelautomatik — immer mehr in den Vordergrund. Und seit diese fortschrittliche Technik zuneh- mend auch in Im-Ohr-Geräten Platz findet, vergrößert sich der Anteil der IdO-Geräte zu Lasten der HdO-Ge- räte. Bedauerlich ist nur, daß durch- gehend solche Hörgeräte mit höher- wertiger Regeltechnik nicht zum Festbetrag der GKV zu haben sind;

das Problem der Zweiklassenversor- gung wird damit weiter verschärft. >

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Weitere laufende Verbesserun- gen durch die Mittel der modernsten Mikroelektronik sind sicher zu er- warten. Mit der bisherigen frequenz- und dynamikbezogen korrigierten Verstärkung können allerdings die heutigen Hörgeräte nur die wichtig- sten Komponenten der Fehlhörigkeit des geschädigten Innenohres ausglei- chen. Andere Fehlerkomponenten wie das veränderte Zeitauflösungs- vermögen und die verminderte Fre- quenzselektivität des Innenohres sind nur mit einer digitalen Signal- verarbeitung zu korrigieren. Aus ver- schiedenen Gründen werden wir auf das Hörgerät mit digitaler Signalver- arbeitung aber noch einige Jahre warten müssen (1). Erst dann können wir dem heute noch unerreichbaren Ziel nahe kommen, mit den Hörgerä- ten nicht nur das Sprachverstehen zu verbessern, sondern das geschädigte

MEDIZIN DIE UBERSICHT / DISKUSSION

Gehör wieder einem Normalgehör anzugleichen.

Deutsches Ärzteblatt

91 (1994) A-576-585 [Heft 9]

Literatur:

1. Agnew, J.: Advanced digital signal proces- sing schemes for ITEs — The realities of today's digital technology. Hearing Instru- ments 42 (1991) 13

2. Bentler, R.A.: Programmable hearing aid review. American Journal of Audiology 1991, 25

3. Keller, F.: Im-Ohr-Geräte. Der Hörgerä- te-Akustiker 20 (1985) 2/40 u. 3/15 4. Keller, F.: Features von Hörgeräten, 5.

Aufl. (1991): Sonderdruck: Universitäts- HNO-Klinik, Klinische Audiometrie, Kil- lianstr. 5, 7800 Freiburg

5. Keller, F.: In: Geers, V., Keller, F., Löwe, A., Plath, P.: Technische Hilfe bei der Re- habilitation Hörgeschädigter. 2. Aufl.

(1980), Springer, Berlin Heidelberg New York

6. Plath, P.: persönl. Mitt. 1993

7. Seifert, K.: (1987) Hörgeräte-Verordnung in der HNO-Praxis. I. Allgemeine Grund- lagen der Verordnung und der Hörgeräte- Technik. HNO 35 (1987) 149. — II. Hör- geräte-Bauformen und beidohrige Hörge- räte-Versorgung. HNO 35 (1987) 181. — Aktualisierter Nachdruck: Bosch Audio- Technik Sonderheft November 1989 8. Seifert, K.: Menschsein durch Sprache

und Gehör — Gutes Hören als ärztliche Aufgabe. Festvortrag beim Internationa- len Symposion 21./22. September 1990 an- läßlich des „Festivals des Hörens" in Er- langen vom 20. — 30. 09. 1990

9. Seifert, K.: Moderne Hörgeräteversor- gung. Wien Med. Wschr. 142 (1992) 460 10. Sweetow, R.W.: Binaurale Versorgung in

den USA: Vortrag 35. Internationaler Hörgeräte-Akustiker-Kongreß, Mainz 12. 10. 1990 (Sonderdruck mit Überset- zung ins Deutsche: Fa. Starkey, Norder- stedt, Dezember 1990)

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Klaus Seifert HNO-Arzt — Chirotherapie Großflecken 72

24534 Neumünster

Die laparoskopische Cholezystotomie zur Therapie von Steinen

und Polypen in der Gallenblase

Operationsrisiko nicht geringer

Zu der Arbeit von Frimberger und Classen über die laparoskopi- sehe Cholezystotomie sind aus chir- urgischer Sicht ergänzend zu den Ausführungen von Schreiber und Ungeheuer (Editorial) einige Anmer- kungen erforderlich.

1. Die nach chirurgischer Cho- lezystotomie in Langzeitstudien be- obachtete Rezidivsteinquote von über 80 Prozent (3) ist nicht, wie von Frimberger angenommen, durch die postoperativen Verwachsungen nach Cholezystotomie und dadurch be- dingte Motilitätsstörungen der Gal- lenblase zu erklären. Vielmehr wur- de durch histologische Untersuchun- gen der entfernten Gallenblase nach- gewiesen, daß die Cholezystolithiasis eine Erkrankung der Gallenblase selbst ist. Im eigenen Krankengut

Zu dem Beitrag von

Dr. med. Eckart Frimberger und Prof. Dr. med.

Meinhard Classen in Heft 1-2/93

(927 Patienten) ergab die histologi- sche Untersuchung der entfernten Gallenblase bei symptomatischer Cholezystolithiasis in 94,0 Prozent der Fälle entzündliche Veränderun- gen im Sinne einer chronischen Cho- lezystitis. Andere Autoren berichte- ten über ähnliche Ergebnisse (1, 4).

Diese entzündlichen Veränderungen der Gallenblase bedingen eine ge- störte Funktion der Gallenblase und sind dadurch eine wesentliche Ursa- che der nach Erhaltung des Organs auftretenden Steinrezidive. Nur die

Cholezystektomie kann als kausale Therapie die Rezividsteinbildung und damit die schweren Komplika- tionen des Gallensteinleidens sicher verhindern.

2. Die Annahme, daß nach lapa- roskopischer Cholezystotomie eine

„gesunde Gallenblasenwand" zu- rückbleibt, ist nicht nachzuvollzie- hen. Erstens ist die Gallenblase in der Regel bereits präoperativ krank- haft verändert. Zweitens wird sie durch die Cholezystotomie zusätzlich traumatisiert. Dies erklärt die selbst gegenüber den konkurrierenden or- ganerhaltenden Verfahren höhere Rezidivquote der Cholezystotomie.

Es ist nicht anzunehmen, daß die la- paroskopische Operationstechnik daran etwas ändern kann.

3. Die Vermeidung des „Post- Cholezystektomie-Syndroms" wird von allen Befürwortern organerhal- tender Verfahren als Hauptargu-

Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 9, 4. März 1994 (59) A-585

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