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Archiv "Lernprozeß eines Ärztefunktionärs" (12.02.1976)

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Die Information:

Bericht und Meinung Jugendarbeitsschutz

den Belangen der ärztlichen Pra- xis, soweit sie Ausbildungsort für Arzthelferinnen ist, nicht genügend Rechnung getragen werde. Den letztmals bei der Sachverständigen- anhörung vorgetragenen Ände- rungswünschen der Ärzteschaft ist man im Gesetz erfreulicherweise entgegengekommen.

So ist insbesondere die Arbeitsbe- freiung an Berufsschulwochen mit Blockunterricht an mindestens fünf Tagen dadurch eingeschränkt wor- den, daß neben den 25 Berufs- schulstunden an diesen fünf Tagen zusätzliche Ausbildungsveranstal- tungen bis zu zwei Stunden wö- chentlich zugelassen worden sind

— ein Zugeständnis an eine praxis- bezogene Ausbildung.

Der Bitte der Bundesärztekammer, die Ausnahmeregelungen zur Samstags- und Sonntagsruhe, auf die sich in Berufsausbildung befin- denden Arzthelferinnen in den Pra- xen niedergelassener Ärzte auszu- dehnen, ist im Hinblick auf den Notfallbereitschaftsdienst ebenfalls entsprochen worden. Damit erhält die angehende Arzthelferin, die nach Abschluß ihrer Ausbildung dem Arzt als vollwertige Hilfe zur Seite stehen soll, die Möglichkeit, schon in ihrer Berufsausbildung ihre künftige Arbeit im Rahmen des Notfallbereitschaftsdienstes ken- nen und beurteilen zu lernen.

Eine analoge Befreiung für die Un- terstützung des Arztes bei der Durchführung der Vorsorgeunter- suchungen, die ebenfalls mit stei- gender Inanspruchnahme vielfach an Samstagvormittagen stattfinden, wurde freilich nicht vorgenommen.

Trotz aller guten Absichten bleibt es letztlich in der Hand der Jugend- lichen bzw. ihrer Eltern, ob das Ge- setz seine Wirksamkeit entfaFten kann. Ein Rahmengesetz, das durch die Sozialpartner hätte wirk- lichkeitsnahe ausgefüllt werden können, hätte den Intentionen aller Betroffenen vielleicht eher entspro- chen als die — sicherlich wohlge- meinte — Auflistung vieler, manch- mal aller perfekten Einzelregelun- gen. Renate Schiffbauer

DER KOMMENTAR

Lernprozeß eines

Ärztefunktionärs

Zeit: Ende 1975. Ort: die Aula einer Schule. Gegenstand: eine Po- diumsdiskussion. Gastgeber: eine demokratische Partei. Teilnehmer:

drei Ärzte, zwei Kontrahenten der Ärzteschaft, ein Moderator.

Die Ärzte sind einfach zu charakte- risieren, zwei von ihnen sind nie- dergelassene Ärzte, einer ist Chef- arzt. Alle drei nehmen ehrenamtli- che Funktionen in der ärztlichen Selbstverwaltung wahr, und zwar im Unter- und Mittelbau der Selbst- verwaltung. Keine Topmanager al- so, vielmehr Männer, die tagsüber ihrem Arztberuf nachgehen und ein paar Abende in der Woche oder im Monat ihrem Ehrenamt widmen.

Die Kontrahenten hingegen: Spit- zenklasse im Partei-Gewerk-

schafts-Kran ken kassen-Manage- ment. Hauptamtliche Interessenver- treter, jeder von ihnen auf zwei, drei Pferden bestens im Sattel. Der Moderator immerhin ein hauptamt- licher Krankenkassengeschäftsfüh- rer; seine Parteizugehörigkeit ist mehr Zufall — oder auch weniger Zufall.

Thema: das leidige Geld im deut- schen Gesundheitswesen.

Darauf hätte man sich als Arzt nie einlassen dürfen, mit solchen Leu- ten und solchem Schiedsrichter in den Ring zu gehen, notabene vor solchem Publikum.

Wobei dem Publikum als Ganzem die Ehre gegeben werden muß, daß es zwar Partei, aber diszipli- niert war.

Die Kontrahenten waren darüber hinaus wohlerzogen und höflich im privaten Vorgespräch wie auch im privaten Gespräch hinterher. In der Diskussion allerdings hatten sie ihre Trickkiste offen. Und da konn- te man lernen, was Schulung wert ist. Denn auf Sachkenntnis allein

kommt es bei solchen Diskussio- nen nicht an: da man in einer be- grenzten Zeit nicht alles auf einmal verkaufen kann, muß man in ge- drängter Kürze die richtigen Dinge verkaufen. Jene Dinge, die ankom- men und den gewünschten Effekt erzielen. So viel Für, daß für das Wider keine Zeit mehr bleibt.

Ein Beispiel für viele, und dieses herausgerissen aus Dutzenden blitzschnell gestochener Finten:

Die Ärzte sind es, welche über das Geld der Krankenkassen verfügen, erstens durch ihr Angebot an Lei- stungen, zweitens durch ihr Ange- bot an Medikamenten. Sie steigern die Morbidität, sie steigern die Lei- stungen, sie steigern den Medika- mentenverbrauch.

Kein Problem, solch einer Anklage zu begegnen, wenn sie für sich al-

lein widerlegt werden müßte. Ist aber diese Anklage nur Bruchteil einer breitangelegten Offensive, so weiß man, wenn man endlich das Wort bekommt, kaum noch, wo man anfangen, wo man aufhören soll.

Von der Schwierigkeit, gegen mundflinke Apostaten unseres

„Systems" antreten zu müssen Und nun der Moderator, heil ihm!

Vom Aussehen und Auftreten her hätte er genausogut den Verband Junger Unternehmer repräsentie- ren können. Merke, Ärzteschaft:

die Managerpersönlichkeiten von heute bevorzugen in zunehmendem Maße unsinkbare Schiffe, einen Krankenkassenverband etwa. Der rauhe Wind, welcher der freien Wirtschaft zur Zeit ins Gesicht bläst, und dann Kähne, auf die Hinz und Kunz ihre Breitseiten entladen

— nee, dann schon lieber ein mitt- leres Geschäftsführergehalt, abge- sichert durch Parteibuch und Mit- gliedskarte einer soliden Gewerk- schaft. Wenn Deutschlands Zukunft auf dem Wasser liegt, wie Kaiser Willi einst gesagt haben soll, dann empfiehlt es sich jedenfalls nicht, sich als freier Reeder zu versu- chen. Dann schon lieber festbesol-

396 Heft 7 vom 12. Februar 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Die Information:

Bericht und Meinung

deter Kapitän auf einem staatseige- nen Panzerschiff!

Wenn einer clever ist, soll man ihm das nicht zum Vorwurf machen, sondern sich fragen, wie man auf einen Schelm anderthalbe setzen kann. Mit den altersgeheiligten Gebetsmühlen längstvergangener (akademischer) Disputationen kommt man gegen die mundflinken Apostaten der klassischen Wirt- schaftslehren des Spätkapitalismus jedenfalls nicht auf.

Merke also, deutsche Ärzteschaft:

solange du dir nicht auch solche flinke Gesellen als deine Wortfech- ter in den Dienst nimmst, wirst du verlieren, verlieren!

Von den Tricks, mit denen ein Moderator „mäßigt"

Ein Moderator ist ein Mann, der normalerweise moderieren soll.

Moderieren heißt soviel wie mäßi- gen, ausgleichen. Moderator ist aber ursprünglich ein Deponens, ein Zeitwort, das in passiver Form akti- ve Bedeutung besitzt. Moderatus sum heißt demnach, ich habe ge- mäßigt, und nicht etwa, ich bin ge- mäßigt worden. Aber wer weiß heu- te noch um diese Tücke der lateini- schen Grammatik, wenn er das aus dem Lateinischen stammende, aber dort in dieser Form gar nicht mögliche Wort gebraucht? Nun, der Moderator schien es gewußt zu haben. Wenn man weiß — und das steht nach der ersten Runde fest

— wer von den Moderierten vor- aussichtlich die schwächste Ge- genantwort parat haben wird, wem gibt man dann zur Erwiderung das Wort?

Das ging nicht immer gut, aber manchmal ging es schon. Es ging beim Chefarzt, der wie ein Maschi- nengewehr replizierte: 71 Prozent Personalkosten, 16 Prozent Ener- giekosten belasten meinen täg- lichen Pflegesatz. Die Energie- preise machen wir Ärzte nicht, und für die Personalkosten war unter anderen ihr Kollege Kluncker zu- ständig. Und nun sagen Sie mir bit-

te, was ich an den restlichen 13 Prozent einsparen soll, in welchen Verpflegung und Medikamente je- weils weniger als zwei Prozent ausmachen?

Das saß natürlich und wurde von den Kontrahenten mit säuerlicher Miene geschluckt.

Aber sie hatten ja noch mehr in der Trickkiste als die Pflegesätze, die Herren Verwalter der sozialen Schutzbedürftigkeit von jeder-

mann. Und sie erzielten Treffer auf Treffer. Mit Zahlen, die entweder unwiderlegbar oder unbewiesen waren. Was geht es schließlich die Ärzte an, wenn behauptet wird, die Pharma-Industrie erziele horrende Gewinne? Welcher Arzt hat schon deren letzte Bilanzen im Kopf?

Da aber, wo die eherne Brünne der Ärzteschaft tatsächlich Lücken auf- weist und wo jeder anständige Ärz- tefunktionär Mißstände zuzugeben

bereit war und zur kooperativen Abhilfe sich willig zeigte, wurde, wenigstens im privaten Gespräch, lässig abgewinkt: Eure schwarzen Schafe schenken wir euch, die sind nicht unser Problem. Unser Problem sind die Kosten. Und die werden wir senken!

Von der Macht

der gefinkelten Funktionäre Wer es gewesen ist, der noch vor kurzem dem angeblich mündigen Bürger das Blaue vom Himmel sei- ner sozialen Sicherheit verspro- chen hat, kam erst gar nicht zur Sprache. Die Soziologen haben in- zwischen das Wort „Anspruchs- denken" dafür gefunden, und ket- zerische Geister faseln neuerdings sogar vom „gezüchteten Sozialpa- rasitismus".

Wenn richtig, dann auf alle Fälle zu spät. Man weiß seit langem, was man will, man hat die Weichen ge- stellt, der Zug ist abgefahren.

Wohin? Nun, das ist doch ganz klar, in die neue Zeit! In die Zeit der gefinkelten Funktionäre mit

Pensionsberechtigung, nahezu un- angreifbar für jedes demokratische Begehren. Der neue Mensch wird ein verwalteter sein, und wohl dem, der dann Verwalter ist!

Als sich die Versammlung auflöste und die Teilnehmer, angeregt dis- kutierend, treppab dem Ausgang der Schule zustrebten, vernahm der Referent dieses Berichtes die Worte eines Diskutanten, der sich in der gesamten Podiumsdiskus- sion nur durch seine absonderliche Haartracht ausgezeichnet hatte.

Treppab stellte sich dieser Zeit- und sonstige Genosse als männli- ches Wesen heraus — durch seine Stimmlage, in welcher sich der jun- ge Mann wie folgt empörte:

I> „Es ist doch eine Schweinerei, daß wir die Ärzte nicht unter die Fuchtel kriegen!"

Dies kam so laut, daß der hinter dem Referenten die Treppe herab- schreitende wohlerzogene Kontra- hent vom Podium sie kaum über- hört haben konnte.

Der Referent blickte nach oben zu- rück und leistete sich eine ironi- sche Geste, die da bedeuten sollte:

„Sehen Sie, Herr S., Sie sprechen von Zusammenarbeit und haben es mir übelgenommen, daß ich in mei- nem Schlußwort sagte: ,Die Worte hör' ich wohl — .

Man kann solch einen Satz mit ei- ner Geste ausdrücken, und Herr S.

muß sie verstanden haben, denn er tat, als habe er sie nicht verstan- den — er blickte zur Seite.

Und das war nun die Stimme der sogenannten „Basis": die Ärzte un- ter die Fuchtel kriegen! Fuchtel hieß der Stock, mit welchem die Korporäle König Wilhelms und Kö- nig Friedrichs ihre Rekruten trak- tierten, um sie „auf Vordermann"

zu bringen.

Viel Spaß, Kolleginnen und Kolle- gen demnächst! Wenn Sie alle erst einmal richtig „gefuchtelt" werden.

Dr. med. Fritz Macha

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 7 vom 12. Februar 1976 397

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